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Twisted Paradise

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2. The Name of the game

2. The Name of the game
 

Es war Nacht, als Jeremy erwachte. Seine Kopfschmerzen waren verflogen, doch als er seinen rechten Arm hob, ertastete er einen dicken Verband an seiner Schläfe. Auch seine linke Schulter und der Arm waren eingebunden und letzterer an Jeremys Seite fixiert, so dass er ihn kaum bewegen konnte. Er seufzte leise und blickte sich um.

Das Zimmer war geräumig und besaß große scheibenlose Fenster zu beiden Seiten, vor denen dünne, kunstvoll bestickte Stoffe hingen, die sich in einer warmen Brise unmerklich bewegten. Leise Gesänge drangen an sein Ohr, von denen Jeremy allerdings nicht mehr als die Melodie wahrnahm. Doch schon diese hatte etwas beruhigendes und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, während er lauschte und den Rest seines Zimmers näher betrachtete. Eine Wolke musste vorbeigezogen sein, denn unvermittelt fiel gleißendes Mondlicht herein und der Junge entdeckte neben seinem die Umrisse eines weiteren belegten Bettes. Die Person darin regte sich nicht, doch Jeremy sah, dass auch diese den Kopf verbunden hatte. Auch wenn er nicht mehr erkennen konnte, wusste er, dass es sich dabei um Melanie handeln musste.

Mühsam setzte er sich auf und ließ sich auf dem Hocker neben ihrem Bett sinken.

Ihr Gesicht war entspannt. Sie schien zu schlafen und der Anblick wäre ein geradezu friedlicher gewesen, wäre nicht der Verband gewesen. Behutsam strich Jeremy ihr über die Wange und musterte sie besorgt, musste jedoch einsehen, dass er in dem Moment nichts für sie tun konnte. So saß er einfach nur da und betrachtete das Mädchen beim Schlafen.
 

Er musste wohl wieder eingenickt sein, denn als er den Kopf hob, bemerkte er, dass die Sonne schon hinter den Bergen aufgegangen war. Draußen herrschte bereits geschäftiges Treiben, doch es war seltsam gedämpft, nicht laut und hastig, wie er es gewöhnt war; es wurde nicht geschrieen und es klingelte kein Handy. Auch die Schritte der Bewohner waren kaum hörbar und alles in allem war es mehr ein Rascheln, das von gelegentlichem Wiehern, Gelächter und Gesang begleitet wurde. Und vom Rauschen nahen Wassers.
 

Jeremy lauschte neugierig und fasziniert, und wie in der Nacht zuvor erfüllten ihn die Geräusche mit einem Gefühl der Entspannung und der Freude. Er verspürte das dringende Verlangen, hinauszugehen und herauszufinden, wohin es ihn verschlagen hatte. Er war sich sehr sicher, dass er sich nicht mehr in Deutschland befand, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo dort solch einen Ort geben konnte.

Nichts desto trotz kam ihm alles sehr vertraut vor. Vielleicht war er gestorben und dies war nun der Himmel... Welch ein Blödsinn, schalt er sich. Wenn er tot war, hätte er sicher nicht seine Wunden mit hierher gebracht, sonst wäre es wohl schlecht um die bestellt, die aufgrund ihrer Todesursache in Einzelteilen hinüberwanderten. Welch ein makaberer Gedanke. Er schüttelte den Kopf, um die Bilder zu verscheuchen, die sich darin einzunisten drohten und kehrte zu der eigentlichen Frage zurück. Denn, wenn er nicht gestorben war und sich folglich nicht im Jenseits befand, wo war er dann und wie war er hierhergekommen? Erinnerungen an die Autofahrt kehrten zurück und Schuldgefühle erfüllten ihn, während er schweigend auf das schlafende Gesicht Melanies blickte. Warum hatte es so kommen müssen? Und warum ausgerechnet ihnen?
 

Sicher hatten die Anderen bereits von dem Unfall gehört. Was sie wohl gerade machten? Ihre Eltern? Tom? Erneut schüttelte er den Kopf. Oh nein, er würde jetzt ganz sicher nicht damit beginnen, über seinen Exfreund nachzudenken! Sollte der ruhig trauern, Jeremy war es egal. Ebenso verschwendete er keinen mitfühlenden Gedanken an seinen Vater. Doch er konnte nicht leugnen, dass es ein paar Menschen gab, mit denen er durchaus Mitleid empfand, wenn er an sie dachte. Da war zum einen seine Großmutter, mit der er sich gut verstanden hatte, auch wenn sie in Trier wohnte und sie sich daher nur selten sahen; dann einige seiner Mitstudenten und Professoren und ein wenig auch seine Mutter, die sich gewiss Vorwürfe machen würde. Besonders aber dachte er an seinen dicken, braunen, furchtbar haarenden und sehr verfressenen Kater Gil-Galad. Was würde nun wohl aus ihm werden? Jeremy seufzte leise und ließ den Kopf hängen.
 

Doch der Klang der Stimmen ließ seine Wehmut rasch verfliegen und er sagte sich, dass sein Kater wohl ein gutes, neues Zuhause finden würde, immerhin trug er diesen Namen mit Stolz und hatte sogar meistens darauf gehört. Grinsend entschied Jeremy, dass er die Sorgen auf später verschieben würde und nun erst einmal mehr darüber herausfinden würde, wo er war und was es hier alles zu entdecken gab. Und vielleicht gab es hier auch eine Waschmöglichkeit und etwas zu Essen, denn sein Magen machte sich leise bemerkbar. Motiviert stand er auf und blickte sich um, als sein Blick auf sein Spiegelbild an der Wand fiel. Den großen rahmenlosen Spiegel, der von knapp über dem Boden bis etwa zwanzig Zentimeter über Jeremys Kopf reichte, hatte er gestern Nacht gar nicht bemerkt, was vermutlich daran lag, dass auch er teilweise verhangen war. Jeremy musterte die Kleidung, die er trug. Es war nicht seine eigene, sondern sah aus, wie ein Kleid, vielleicht ein Nachthemd mit langen, ausladenden Ärmeln und erinnerte Jeremy ein wenig an ein schlichtes Zeremonialgewand. Der beigefarbene Stoff war sehr weich und nicht sonderlich weit geschnitten, doch man konnte sich darin gut bewegen. Ein wenig ratlos blickte er sich um, entdeckte jedoch keine anderen Kleider und er betrachtete sich nachdenklich im Spiegel. Grundsätzlich hatte er kein Problem mit Kleidern, denn tatsächlich verkleidete er sich gern und trug auch mal Frauenklamotten, wenn Melanie ihn wieder einmal dazu überredete, mit ihr zu einer Convention zu fahren. Doch zum einen war er nicht sehr angetan von der Idee, in seinen Schlafsachen herumzulaufen. Zum anderen war es ungewohnt, keine Hosen darunter zu tragen und er hoffte sehr, dass das hier nicht so Brauch war, oder es zumindest die Möglichkeit gab, sich irgendetwas hosenartiges zu beschaffen.
 

Aber dazu musste er erst einmal jemanden finden. Er seufzte und erstarrte in der Bewegung. Im Spiegel war sein Blick an einem Mann hängen geblieben, der in der Tür stand und ihn beobachtete. Zögernd wandte Jeremy sich zu ihm um und hielt den Atem an. Sein Gegenüber hat eine beeindruckende Ausstrahlung. Er war sehr groß, trug einen hellen Mantel mit ausladenden Ärmeln über einem ähnlichen Gewand, wie Jeremy es trug und hatte lange dunkle Haare, aus denen spitze Ohren herauslugten. In diesem Moment fiel es dem Jungen wie Schuppen von den Augen. Weshalb ihm hier alles so vertraut vorkam und alles so leise und ruhig war: Er befand sich in einem Elbenhaus. Warum hatte er das nicht schon eher bemerkt?

So oft hatte er sich vorgestellt, wie es wohl sein mochte, doch die Realität übertraf alles. Fast hatte er den Elben an der Tür vergessen, als er den Raum mit neuen Augen betrachtete. Er kam sich sehr dumm dabei vor, war es doch so offensichtlich gewesen. Alles hier schrie geradezu ‚elbisch’ in sein Gesicht.
 

Der Elb, der ihn aufmerksam musterte, trat lautlos näher und als Jeremy sich seiner wieder gewahr wurde, senkte er beschämt den Kopf und murmelte eine Entschuldigung. Er erkannte, dass es sich bei dem Fremden um den handelte, der ihm am Tor entgegengekommen war. Jeremys Hals war trocken und er hoffte, dass der Andere das Gespräch beginnen würde, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Und tatsächlich ergriff der Elb im nächsten Moment das Wort.

„Wie ich sehe, seid Ihr aufgewacht. Ihr hattet großes Glück. Eure Wunden und auch die des Mädchens waren tief und für einen Menschen lebensgefährlich. Lange hätten Eure Füße Euch nicht mehr getragen, so groß war euer Blutverlust. Was ist geschehen und woher kommt Ihr?“

Jeremy war es bei der warmen Stimme des Elben heiß den Rücken hinuntergelaufen. Auch sein forschender, doch nicht feindseliger Blick erfüllte ihn mit einer wohligen Geborgenheit, von der er sich nicht erinnern konnte, sie jemals zuvor gespürt zu haben. Er verspürte den Drang, dem Elben einfach alles zu erzählen, doch er verwarf den Gedanken, da er ja selbst noch nicht einordnen konnte, was passiert war. So antwortete er nach kurzem Schweigen: „Ich danke Euch vielmals für Eure Hilfe. Meine Schwester und ich erwachten in der Nähe im Wald mit diesen Wunden. Ich kann nicht sagen, wie wir dazu gekommen sind. Auf der Suche nach Hilfe fanden wir den Pfad, der uns zu diesem Ort führte.“

„Dieser Ort heißt Rivendell. Vielleicht habt Ihr schon davon gehört.“

Perplex starrte der Junge den Elben an. Das konnte nicht sein. „Ihr meint, dies sei Lord Elronds Haus? Am Fuße der Nebelberge?“

Der Elb nickte und seine Mundwinkel und eine Augenbraue zuckten amüsiert. „Dasselbige. Ich bin Elrond. Wie ist Euer Name?“

Diese eigentlich recht einfache Frage wurde durch den Schock erschwert, der über Jeremy hinwegrollte und ihm den Atem raubte. Stand er tatsächlich einem der alten Elbenfürsten gegenüber, dem Träger von Vilya und Begründer und Herren von Imladris, des letzten sicheren Elbenheims diesseits des Belegaers, des großen Meeres, welches Mittelerde von Aman trennte? Konnte das wahr sein? Er musterte den Elben. Vom Aussehen und der Ausstrahlung her wurde Hugo Weaving ihm nicht annähernd gerecht, doch das war von einem Menschen wohl auch zuviel erwartet. Sein Gesicht wirkte seltsam zeitlos, auch wenn sich alle Spuren vergangener Tage in seinen grauen Augen wiederspiegelten. Diese Augen. Jeremy fiel es schwer, sich nicht darin zu verlieren und er schloss seine Lider einen Moment, um sich zu sammeln. Dann stellte er sich selbst und seine Schwester vor.

Lächelnd und ein wenig besorgt, so schien es Jeremy, lauschte Elrond seinen Worten, fragte jedoch nicht weiter. Stattdessen wies er auf die Tür, durch die er gekommen war und erklärte, dass sich auf der linken Seite ein Badzimmer befand und er den Speisesaal erreichen würde, wenn er dem Gang rechterhand folgte. Dann hieß er den Jungen in seinem Haus willkommen, verließ das Zimmer und ließ einen völlig überforderten Jeremy zurück, der nicht wusste, wie er mit dem neu erworbenen Wissen umgehen sollte.
 

So entschied er sich erst einmal dazu, das Angebot eines Bades anzunehmen, was sich jedoch schwieriger als erwartet gestaltete, nicht das Finden des Raumes, denn das war kein Problem. Auch war es zwar ungünstig, die Haupthand nicht zur Verfügung zu haben, denn er war Linkshänder, doch auch das konnte er handhaben. Doch die Fixierung seines Armes war über seine Kleidung gelegt worden, was von außen betrachtet durchaus vernünftig war, nur hatte es den Nachteil, dass man diese Kleidung nicht abnehmen konnte, ohne den Verband gleichermaßen zu lösen und das stellte Jeremy vor eine unlösbare Herausforderung, zumal er nicht glaubte, dass dies eine gute Idee war.

Sehnsüchtig blickte er auf die mit warmem, klarem Wasser gefüllte Wanne und versuchte ein weiteres Mal erfolglos, sich zu befreien. Da hörte er ein Kichern und als er sich umwandte, entdeckte er eine grüngewandete Elbin in der Tür, die ihn amüsiert beobachtete. Er deutete eine Verbeugung an, auch wenn er ihr Lachen nicht sonderlich höflich fand.

„Ihr wirkt ein wenig überfordert, Herr Jeremy. Lord Elrond schickt mich, zu sehen, ob Ihr möglicherweise Hilfe benötigt und wie es scheint, war dieser Gedanke nicht ganz unbegründet. Ich bin Elen.“ Erneut lachte sie und Jeremy musste sich eingestehen, dass sie sehr hübsch war. Sie hatte lange blonde Haare, die ihr offen über die Schultern fielen, abgesehen von den üblichen zwei geflochtenen Schläfensträhnen, die sich am Hinterkopf zu einem Zopf vereinigten. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig geschnitten und Jeremy wagte nicht, ihr Alter zu schätzen, auch wenn es ihn durchaus interessiert hätte.

Sie kam näher und half ihm, den Verband abzulegen, und auch das Gewand, wobei ihm das unangenehm war. Nicht, dass er schlecht aussah. Auch wenn er außer Schwimmen nur wenig Sport trieb, setzte bei ihm nichts an und auch in tieferen Gefilden hatte er keinen Grund für Minderwertigkeitsprobleme. Doch er fühlte sich ohne seine Kleidung schutzlos und daran vermochte auch die freundliche Atmosphäre Bruchtals kaum etwas zu ändern.

Elen merkte es natürlich und als sie ihn darauf ansprach, konnte er ein leises Seufzen nicht unterdrücken. Aber erst, als er im Wasser saß, fand er die Ruhe, eine Antwort zu formulieren. Die Elbin hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und lauschte aufmerksam seinen Worten.

„Bitte verzeiht mir mein Verhalten. Dort, wo ich herkomme, ist es nicht üblich, sich vor anderen entblößt zu zeigen und es fällt mir schwer, diese Scham einfach abzulegen.“

Grinsend nickte Elen. „Es scheint so, ja. Ihr Menschen seit so verklemmt, was das betrifft.“

„Elben haben wohl keine Probleme, nachts nackt durch den Wald zu tanzen?“ Der Gedanke amüsierte ihn, doch noch beim Aussprechen fürchtete er, die Elbin damit beleidigt zu haben. Doch seine Sorge stellte sich als unbegründet heraus, denn Elen legte nur leicht den Kopf schief und musterte ihn belustigt.

„Das ist wohl die Vorstellung, die Ihr hegt, wenn Ihr an Elben denkt?“

„Mitnichten“, beeilte sich Jeremy zu erklären, doch er fühlte nicht mehr den Drang, sich zu rechtfertigen. Stattdessen versuchte er nun, ein wenig mehr zu erfahren.

„Ich weiß nur sehr wenig über Elben, doch in meiner Vorstellung trugen sie stets Kleider. Nur rein Interesse halber: Sollte ich darauf gefasst sein, wenn ich eines Nachts erwache und ans Fenster trete, dass dort draußen ungewandte Gestalten sich vergnügen?“

Elen grinste. „Vereinzelt kann das schon vorkommen und wenn viel Alkohol im Spiel ist, dann auch etwas häufiger, doch zumeist wird Euch der Anblick verwehrt bleiben. Oder erspart, je nachdem, wie Ihr es sehen wollt.“

„Das würde wohl von der Person abhängen, doch im großen und ganzen bin beruhigt und danke Euch sehr für diese Einblicke.“

„Jederzeit zu Euren Diensten, Herr Jeremy.“ Sie lächelte und beobachtete, wie der Rothaarige langsam die Augen schloss und sich wohlig aufseufzend entspannte.



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