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Welt zwischen den Worten

[Rundum-Wichteln die Zweite]
von

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Runde 2 = Meine Unsterblichkeit

Es ist schöner sich das Lied dabei anzuhören, welches man in der Charakterübersicht findet
 

****************
 

These wounds won't seem to heal

This pain is just too real

There's just too much that time cannot erase
 

Ihre Finger glitten elegant über die Saiten der Harfe. Ihre Augen hatte sie geschlossen. Sie musste nicht hinsehen, um die Melodie zu spielen und das Publikum hätte sie auch mit offenen Augen nicht gesehen. Der Scheinwerfer war so hell auf sie gerichtet, dass sie nichts sah, was sich außerhalb der Bühne abspielte.

Immer wieder zupfte sie eine der Saiten und war mit ihren Gedanken doch ganz wo anders. Dieses Konzert war nicht wichtig. Nicht mehr.

Natürlich, sie liebte das spielen, aber ihr Leben würde es nicht so einfach ausfüllen. Es würde nicht die Leere füllen, die Dario hinterlassen hatte.

Dario.

Ein simpler Name, der sie fast in der Note verrutschen ließ. Doch dieses mal schaffte der Gedanke an ihn nicht, sie so aus der Bahn zu werfen, dass sie sich verspielte.

Dario war Dirigent. Sie hatten sich damals in dem Orchester kennengelernt, in dem sie angefangen hatte, ihre Liebe zur Musik zum Beruf zu machen.

Er hatte gesagt, sie wäre ihm sofort aufgefallen. Die Art wie sie die Harfe spielen würde. Er war nur ein paar Jahre älter als sie selbst und so ging sie mit ihm aus. Das erste mal aus Höflichkeit. Das zweite mal aus Interesse. Das dritte mal aus Verliebtheit. Er bevorzugte sie nie im Orchester. Er unterstützte sie nicht außerordentlich.

Sie stützte ihn. Sie hielt ihm die Noten, wenn kein Notenständer zur Hand war. Sie spielte ihm die Stücke in seiner Wohnung vor, wenn er sie nochmal hören wollte, um zu überlegen, wie er sie am besten inszenierte.

Als man sie entdeckte, als sie als Solisten begann, da blieb sie bei Dario. Sie wartete häufig auf ihn, verschob Vorstellungen, wenn ihm der Termin nicht passte.

Sie war seine Stütze.

Ja, selbst als er seinen Job als Dirigent verlor, weil sich das Orchester auflösen musste, da half sie ihm. Sie bezahlte Rechnungen, sie kochte für ihn und ertrug seine schlechten Launen.

Sie hielt ihn im Arm, wenn er weinte aus Selbstmitleid. Sie ließ seine Schimpftiraden über sich ergehen, wenn die Wut mal wieder aus ihm herausbrach und sie ermutigte ihn aufzustehen, wenn er lustlos auf dem Sofa lag.

So ging es vier Jahre. Sie war für ihn da und liebte ihn mehr, als dass er es verdient hätte.

Dann vor einem Monat kam sie in die Wohnung nach einer Vorstellung, die Dario sich nicht ansehen hatte wollen und die Wohnung war fast leer gewesen. All seine Sachen waren weg.

Er hatte seinen Wohnzimmertisch mitgenommen und seine Kaffeemaschine. Seine Lieblingsbezüge und seinen Fernseher. Sein Laptop und seine Kleidung.

Sie hatte es sich nicht erklären können. Warum hatte er sie ohne ein Wort verlassen? Sie hatte ihn gesucht - nachdem der erste Schock verflogen war - und ihn gefunden. Er hatte ein Angebot bekommen, schon Wochen zuvor und zwar 500 km entfernt von ihrem Wohnort. Er hatte alles geplant, schon länger vorgehabt sie zu verlassen. Sie hatte sich für ihn aufgegeben und er hatte sie einfach abgelegt, wie einen alten Schal.

Ihre Finger stoppten. Das Lied war vorbei. Doch erst das rauschende Klatschen der Menge holte sie aus ihren Gedanken. Ihre Wangen waren feucht und sie wünschte sich so sehr, dass es Schweiß wäre, doch sie wusste um die Tränen, die ihre Wangen herunter kullerten.
 

Ihr war nicht klar, wie sie in dieses Interview hineingeraten war, doch ihre Agentin hatte sie am ende gedrängt. Nun saß sie hier und sah sich einem fremden Mann gegenüber, der ihr allerlei Fragen stellte.

„Nun Frau Nowak, was meinen sie, warum berührt ihre Musik so viele Menschen?“, fragt der Mann und legte das bereits eingeschaltete Diktiergerät zwischen sie auf den Tisch.

„Sie können mich ruhig Emilia nennen. Sie wollen also wissen was ich denke? Nun ganz simpel: wenn ich an der Harfe sitze, dann spiele ich was ich fühle. In meiner Musik hört man echte Emotion und es sind Gefühle die jeder spürt. Liebe, Glück -“

„Einsamkeit?“, unterbrach der Reporter sie. Emilia fühlte sich ertappt, schluckte aber den bitteren Gedanken herunter, den sie mit Dario verband.

„Ja auch Einsamkeit“, gab sie ruhig zu.

„Sind sie denn im Moment einsam?“, fragte der Reporter etwas mitfühlender. Sein Blick schien sie zu durchbohren.

Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Sie schaute das Diktiergerät an und wollte einfach nicht, dass ihre Gefühlswelt jedem Leser offenbart wurde. Die Leere gehörte ihr und war alles was von Dario geblieben war. Sie hatte ihm alles gegeben und er war gegangen.

„Es gibt Wunden, die heilen nicht“, sagte sie mit einem Räuspern heiser.

Der Reporter schaltete das Gerät einfach aus.

„Wer braucht schon Aufnahmen“, bemerkte er mit einem Schulterzucken.

„Wollen sie darüber reden Emilia?“

„Worüber? Kann man über Leere reden? Was gäbe es da zu erzählen“, sinnierte die junge Frau und fühlte sich selber albern.

„Eine Menge“, antwortet der Reporter kryptisch.

„Ich beschäftige mich die ganze Zeit mit der Frage, was bleibt von mir? Ich habe mich aufgegeben, aufgeopfert für einen Menschen, der mich für so austauschbar hielt, wie eine Mütze. Ich habe mich selber verloren in einer Person, die geht, ohne sich umzudrehen. Also, was bleibt von mir?“, platzte es aus Emilia hervor und neue Tränen fingen an, sich ihren Weg zu bahnen.

„Sie fragen mich, was bleibt? Ganz simpel, ganz einfach. Es ist ihre Unsterblichkeit die bleibt. Ihre Gefühle in der Musik, ihre Musikstücke die ihren Körper überleben werden. Darin liegt ihre Unsterblichkeit, in den wenigen Noten, die sie auf der Harfe spielen. Diese Noten, die in der richtigen Art gespielt, selbst dann noch Menschen zu Tränen rühren, wenn ihr Körper längst nicht mehr existiert“, flüsterte der Reporter ihr zu. Emilia dachte nach. Die Leere würde bleiben. Der Gedanke an all das, was nur Dario gehörte. Selbst nachdem er gegangen war. Vielleicht reichte ihr Unsterblichkeit nicht. Der Gedanke, ewig Leer und einsam zu sein, ließ sie schaudern. Aber es war doch ihre Musik die unsterblich würde und nicht die Gefühle, die sie kaputt machten. Ja, mit dem Gedanken konnte sie vielleicht leben. Mit dem Gedanken, dass all das Leid mit ihr sterben würde, aber das gute, gesunde Stück von ihr, ihre Musik, alles überdauerte.

„Danke“, brachte sie zögernd hervor.

„Wenn sie wollen, können wir das Interview auch ein anderes mal führen, wenn sie noch ein wenig länger über diese Antwort nachgedacht haben“, sagte der Report und stand auf.

„Noch eine Frage“, bat Emilia leise.

„Ja?“

„Wie heißen sie?“ Natürlich kannte sie seinen Nachnamen, es wäre ja dumm zu einem Interview zu gehen ohne zu wissen wer der Reporter war. Doch sie wollte seinen Vornamen.

„Moritz“, gab er preis, kurz bevor er den Raum verlassen hatte. Schon war sie wieder alleine. Mit einem Namen, einer Antwort und einer Wunde, die wohl nie heilen würde.
 

I'm so tired of being here

Suppressed by all my childish fears


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bedanke mich bei allen die diesen OS gelesen haben
Ich hoffe es hat meinem Wichtelkind Sam_Linnifer gefallen
Wie immer freue ich mich über Kritik jeder Art
lg
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sam_Linnifer
2013-03-30T23:07:04+00:00 31.03.2013 00:07
So es hat etwas gedauert, aber schließlich soll die Geschichte keinesfalls unkommentiert bleiben :)
Zuerst einmal vielen Dank! Auch dieser Text ist sehr schön geschrieben. Und sehr traurig.
Allerdings muss ich sagen, dass es faszinierend ist, wie unterschiedlich Menschen Lieder interpretieren (vermutlich mag ich das Thema deshalb auch so).
Die Perspektive, die du ausgesucht hast, entspricht so gar nicht dem, was ich mit diesem Lied verbinde, aber es ist in jedem Fall interessant und sehr schön umgesetzt. Schade fand ich lediglich, dass in der Geschichte an sich wenig passiert. Alle Handlung ist im Grunde schon geschehen. Aber es ist ja nicht umsonst ein OS ;) und du hast die Schwerpunkte an anderer Stelle gelegt.
LG


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