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Kopfgeister

von

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Montag, 7. Jänner

(06:08)
 

Tja, fail. Vielleicht ist das so was wie eine Medizin und muss sich erst im Körper anreichern, um zu wirken? Für gestern hat mir das Schreiben jedenfalls nichts gebracht. Hab mir wieder die ganze Nacht den Kopf zermartert. Meine „Fortschritte“ soll ich auch aufschreiben, hat er gesagt.

Also Fortschritt: 0%

Chris hat heute Nacht wieder das seltsame Zeug gemacht. Aber jetzt erst mal fertig machen für den ersten Schultag. Ich wird am Abend dann noch schreiben.
 

(21:47)
 

Der Tag ist also endlich rum. Ein Montag, der sich nicht besonders von anderen Montagen zuvor unterschieden hat. Wie immer habe ich Chris zur Schule gebracht. Die ist idealerweise nur ein paar Straßen weit von unserer Wohnung entfernt. Dort muss er aber sicher eine halbe Stunde warten, bis er rein darf. Das geht leider nicht anders, weil ich selbst pünktlich zur Schule und noch sechs Stationen mit dem Bus fahren muss. Also habe ich ihn abgesetzt und mich verabschiedet, stieg in den Bus, sechs Stationen bis zu meiner Schule. Pünktlich angekommen. Wie immer.
 

Um 14:35 war die Schule vorbei. Das einzig Erhellende war Sport am Nachmittag. Wieder derselbe Trott. Bus, sechs Stationen zurück in meinen Ort. Dort wartet Chris schon vorm Hort. Mit ihm an der Hand nach Hause gehen. Dabei tut mir immer der Arm weh. Er möchte unbedingt an der Hand gehen, obwohl er schon neun ist. Ich will nach Hause, er anscheinend nur die Umgebung anschauen, die eigentlich immer gleich ausieht. Darum muss ich ihn immer hinter mir her ziehen. Zwar nur kurz, aber das reicht, dass der Arm schmerzt. Alleine gehen scheint ihm jedoch nicht möglich. Lasse ich ihn los, wirkt er verschreckt und sucht nach meiner Hand.

So viel zum Tagesablauf.
 

Eigentlich mache ich mir gar keine wirklich großen Sorgen um Chris. Trotzdem geht er mir nicht aus dem Kopf. Er scheint mit sich selbst eigentlich gut klar zu kommen, obwohl er natürlich keine Freunde und auch sonst mit niemandem Kontakt hat. Autismus wollte ein Arzt kurz nach dem Auftreten seiner Eigenarten diagnostizieren. Dann Asperger-Syndrom. Aber daran biss er sich die Zähne aus. Chris scheint zwar gewisse Anzeichen für diese Krankheiten zu zeigen, das Wesentliche fehlte aber immer. Von der Schule hört man auch nichts Schlechtes. Sonst hätte ich das sicher von Mutter erfahren. Einen Bruder sollten solche Dinge nichts angehen, aber mit wem soll Mutter sonst sprechen? Außerdem wirkte Chris in letzter Zeit wieder viel fröhlicher und mutiger als sonst.
 

Seit drei Wochen soll ich jeden Dienstag zum Schulpsychologen. Warum eigentlich? Hatte doch nur ein paar schlechte Noten. Oder ist es, weil meine Mutter uns alleine erzieht? Werden dann alle Kinder gleich mal vorsorglich psychologisch betreut? Kann gar nicht sein. Erik, ein ehemaliger Schulkamerad aus meiner vorherigen Klasse, hatte auch geschiedene Eltern, musste dem Psychologen aber keinen Besuch abstatten.

Also darf ich morgen wieder zum „Schüller“ gehen. (Herr Doktor Anton Schüller heißt er ganz, aber „Schüller“ geht schneller.)

Der Schüller ist ein eigenartiger Mann. Er ist mittelgroß, hat eine Halbglatze und runde Brillengläser. Die Erzählung wirkt gar nicht so eigen-artig, wie er eigentlich ist. Ich weiß nicht, ob das alle Psychologen so machen, aber er schaut mich immer an, als wäre ich nicht ganz dicht. Er notiert sich viel, fragt ab und zu was, lässt mich aber sonst reden. Ich dachte anfangs, er würde mich über meinen Vater ausquetschen und dass er uns verlassen hat. Verlorene Vaterfigur und so. War aber nicht so. Er wollte mit mir über Chris reden. Wie wir uns verstehen, wie wir miteinander umgehen, was so „besonders“ an ihm ist. Daher sollte ich ja auch mit dem Tagebuch beginnen – weil mir einfach so viel über Chris durch den Kopf ging.
 

Aber es ist mal wieder spät. Hab ja nicht so viel geschlafen von gestern auf heute – wieder mal.

Wünsch ich mir mal selber eben eine gute Nacht!



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