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Into the wild.

von

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imprisoned.

1
 

Alessa erwachte mit einem Ruck.

Ein Knall ertönte vom Wasser her, dann ein Pfeifen und Sekunden später wurde das Fort von einem gewaltigen Dröhnen erschüttert. Knirschend bohrten sich glühende Eisensplitter in das morsche Holz unterhalb der Klippen und brachte den hölzernen Wall zum Beben.

Alarmglocken erklangen jäh in der nächtlichen Stille, Männer riefen durcheinander und das panische Wiehern fliehender Pferde war zu hören.

Mit klopfendem Herzen presste sich Alessa gegen das feuchte Holz ihres Gefängnisses, drückte sich auf ihren nackten Zehen soweit es ging nach oben und spähte aus der Luke oberhalb ihres provisorischen Lagers.

Der winzige Ausguck ging zum Innenhof und sofort schlug ihr Rauch und der Geruch von Gischt und Meerwasser ins Gesicht. Feuer loderte auf den Kanonentürmen und fraß sich mit beängstigender Schnelligkeit in das dunkle Holz. Soldaten, rotgewandet und mit gezogenen Waffen, liefen hektisch durcheinander, schrien raue Befehle in die kühle Nachtluft und versuchten das heillose Durcheinander zu koordinieren.

Auch in dem Gefangenenblock erwachten Stimmen, forderten lautstark ihre Freilassung und immer mehr der Insassen begannen mit ihren Essnäpfen gegen die eisernen Gitterstäbe zu schlagen.

Schon war die Luft von dem Klirren und Jaulen von Metall auf schartigem Eisen erfüllt und Alessas Ohren dröhnten. Eine weitere Erschütterung brachte sie aus dem Gleichgewicht und sie wankte bedrohlich ehe sie Halt an ihrem Zellengenossen fand.

„Was hast du gesehen?“, fragte der Alte, der schon beinahe sein halbes Leben in diesem Loch verbracht haben musste. Seine Augen waren nahezu blind und das wenige verbliebene Haar war schütter und schlohweiß.

„Wir werden angegriffen.“, murmelte Alessa und ging zum Zellengitter. Hektisch warf sie einen Blick den Gang hinunter, presste ihr schmales Gesicht soweit es ging durch die kalten Metallstäbe ihres Gefängnisses und versuchte so einen Blick auf die Wachen zu erspähen.

Niemand da.

Hoffnung brandete in ihr auf.

„Sie sind weg, Harold.“, rief sie aufgeregt und versuchte das Scheppern und Dröhnen ihrer Mitgefangenen zu übertönen.

Der alte Mann lächelte für einen kurzen Moment, dann schlug ein Splitter glühenden Metalls in die Mauer neben seinem Kopf. Holz, Lehm und Metall regneten auf den zusammensinkenden Leib hinab, bohrten sich durch Haut, Muskeln und Knochen.

Mit einem ekelerregenden Knirschen zersprang Harolds Schädel und der Geruch von verbrannter Haut stieg in Alessas empfindliche Nase. Übelkeit kroch ihre Kehle hinauf und sie zwang sich den Blick von dem zerfetzten Leichnam abzuwenden. Schluchzend wich sie zurück bis ihr Rücken gegen die kalten Gitterstäbe stieß, den Blick auf das warme Blut gerichtet, dass sich rasch ausbreitete und ihren nackten Füßen mit jedem Atemzug näher kam.

Sie hatte Harold nur ein paar Tage gekannt, aber er war ein stiller und freundlicher Zellengenosse gewesen. Anders als die anderen Gefangenen hatte er sie nicht mit den Blicken ausgezogen oder ihr obszöne Worte nachgeschrien. Er war stets zuvorkommend gewesen.

Alessa war kein sentimentaler Mensch, hatte sich Gefühle und Zuneigung längst abgewöhnt – dennoch weinte sie. Weinte um den Verlust eines Menschenlebens.

Ein weiterer Schlag erschütterte die nunmehr zerfallenden Grundfesten des Forts und der Geruch nach Rauch und Tod drang mit unbarmherziger Schnelligkeit in den Zellenblock. Schon schrien die ersten Gefangenen nach den Wachen, husteten und würgten in panischer Qual.

'Du musst hier raus.', wisperte die kleine Stimme in Alessa, die sie schon mehr als einmal vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.

Schniefend wischte sich die junge Frau die Tränen aus dem Gesicht, klärte ihre Sicht und sah sich dann prüfend um, den Anblick von Harolds niedergestrecktem Körper sorgfältig meidend. Noch immer glühte das Metallgeschoss auf dem festgestampften Zellenboden. Es war etwa doppelt Handteller groß und hatte ein beträchtliches Loch in die lehmige Außenwand des Zellenblocks gerissen. Scharfkantige Splitter hoben sich gegen den nachtdunklen Himmel ab und im rotglühenden Schein des flackernden Feuers konnte Alessa einen mannshohen Spalt ausmachen.

Umsichtig stieg sie über die Stein- und Lehmbrocken hinweg, umging die tiefdunkle Lache klebrigen Blutes am Boden mit geschickten Schritten und trat dann näher an die beschädigte Fassade.

Der Riss im Mauerwerk war schmal, zu schmal um Platz Alessas Körper Durchlass zu gewähren. Doch sie hatte nur diese eine Chance – und sie würde nicht zögern sie zu ergreifen.

Mit einem energischen Ruck und bis aufs Äußerste konzentriert begann sie einen Splitter nach dem anderen aus dem zerstörten Mauerwerk zu ziehen. Holz prasselte auf sie herab, verfing sich in ihren langen Haaren und zerriss die schmutzige Haut ihrer Hände.

Blut mischte sich mit festgestampften Dreck. Lehmstaub stob in der kalten Nachtluft davon, setzte sich in die Atemwege der Arbeitenden und ließ sie erbärmlich husten.

Als die nächsten Geschosse vom Wasser her heransausten hatte sich Alessa bereits ein ganzes Stück vorangearbeitet. Schweiß rann von ihrer Stirn und malte helle Spuren auf ihre seit nunmehr Wochen ungewaschene Haut und obwohl die wie von Sinnen arbeitete, Blut, Schmerz und die Hölle um sie herum ignorierend, griff die Furcht nach ihr. Sie würde nicht schnell genug sein. Sie würde hier drin draufgehen wie all die anderen auch. Ersticken. Verbrennen.

Eingepfercht in eine Hölle aus Rauch und Tod.

Mit der nächsten Erschütterung barst der Hauptturm. Ächzend bog sich das Holz, als es von surrendem Eisen durchschlagen wurde und im Nu stand das trockene Holz in Flammen. Heiß bleckten die Feuerzungen über das einst so majestätische Gebilde und brachten es zum Schwanken. Nägel und Metallverstrebungen gingen glühend unter, wurden erst heiß, dann spröde und schließlich fiel der Turm mit einem ohrenbetäubenden Kreischen in sich zusammen. Männer in roten Gewändern wurden von herabprasselnden Balken erschlagen, andere gingen in Flammen auf und schrien bis das Feuer ihre Kehlen fraß. Heiß griffen die Flammenzungen nach dem Dach des Zellenblocks und nur wenige Augenblick später brach die Hölle über die Gefangenen herein.

'Du bist noch nicht bereit zu sterben.', murmelte die Stimme in Alessa, müde von der schweren Arbeit und benebelt vom beißenden Qualm. Erneut rannen Tränen über das Gesicht der jungen Frau – doch noch war sie nicht am Ende. Noch war sie nicht bereit.

Mit nunmehr tauben Fingern, die Nägel an Holz und Lehm blutig gerissen, arbeitete sie sich voran, zog Splitter um Splitter aus der Wand und endlich, nach einer schieren Ewigkeit wie es schien, war der Spalt breit genug um ihrem schmalen Körper durchzulassen.

Keine Sekunde zu früh.

Als Alessa stöhnend ihr Bein nach draußen zog ging ein Ächzen durch das brennende Gebäude. Wie ein uraltes Tier bäumte sich der Gefangenenblock des Forts noch ein letztes Mal auf, ehe er mit einem Brüllen in sich zusammenfiel.

Ziegeln, Holz, Trümmer und brennende Balken prasselten an der Stelle nieder, an der Alessa bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte und begruben die Zelle, Harolds Leiche und all die schreienden, sterbenden Gefangenen unter sich.
 

Alessa atmete zweimal tief durch, versuchte das Brennen und Stechen in Lunge und Flanken zu ignorieren und ging dann in die Hocke. Prüfend sah sie sich um, während ihr Verstand fieberhaft arbeitete.

Der Zellenblock, oder zumindest was von ihm übrig geblieben war, lag auf einer kleinen Anhöhe und überblickte nahezu das gesamte Fort. Auf dem Innenhof hatten sich einige Rotröcke versammelt und waren verzweifelt versucht in dem Chaos eine Formation zu bilden. Ein Trupp versprengter Soldaten rannte auf den Zinnen umher, gestikulierte und schrie immer wieder neue Befehle in die kalte Nachtluft.

Alessa konnte den Hauptmast des Schiffes sehen, dass den Angirff zu führen schien und Hoffnung keimte in ihr auf: es segelte unter amerikanischer Flagge. Vielleicht, wenn sie schnell und geschickt vorginge, würde sie an Bord und unter Deck schaffen. Als blinder Passagier könnte sie mitreisen bis das gewaltige Schiff ankern würde – dann wäre sie sicher.

Hektisch überschlug die junge Frau im Kopf ihre Chancen, musterte dabei weiter das sich bietende Schauspiel und erspähte schließlich eine Lücke in den Reihen der Soldaten. Dort unten, gleich bei dem niedrigen Vorratslager, zwischen Stall und Soldatenunterkünften klaffte ein winziges Loch in dem hölzernen Wall. Die Flammen hatten den Durchgang noch nicht erreicht und der Wind stand günstig. Wenn sie nur genug Zeit aufbringen könnte den aufgeschütteten Erdhaufen abzutragen, dann war sie das – ihre Chance auf die Flucht.

Noch einmal nahm Alessa einen tiefen Atemzug, bückte sich tiefer in die flackernden Schatten und bewegte sich dann langsam vorwärts.

Der Weg war abschüssig und die vielen losen Kiesel erschwerten den Abstieg ungemein. Immer wieder strauchelte das Mädchen, verlor den Boden unter den Füßen und rutschte meterweit in die Tiefe. Ihre nackten Füße schmerzten nach wenigen Metern und Blut schoss aus wenigen kleinen Wunden. Alessa fluchte lautlos, spannte ihren Körper wie eine Bogensehne und legte die letzten Meter schließlich auf allen Vieren zurück.

Noch hatte sie niemand entdeckt wie es schien, hatte niemand Alarm geschlagen oder eine Waffe auf sie gerichtet. Die tobenden Rotröcke schienen zu aufgebracht, zu ungeordnet um eine einzige Flüchtige zu bemerken.

Am Fuß des Abhangs verharrte Alessa eine Weile und holte Atem. Ihre Lungen brannten vom Qualm der lodernden Feuer und Adrenalin jagte pfeilschnell durch ihren Körper. Ein toter Soldat, niedergestreckt von einem herabfallenden Balken, lag unweit der jungen Frau im Gras, das Rückgrat zerbrochen. Seine leeren Augen waren vor Überraschung geweitet und starrten in den nachtdunklen Himmel.

Vorsichtig kroch Alessa näher, biss sich auf die Lippen und tastete den noch immer warmen, toten Körper mit spitzen Fingern ab.

„Komm schon.“, murmelte sie leise, spürte endlich kaltes Metall an ihren Fingern und atmete auf. Mit einem Ruck stahl sie den Dolch aus der Scheide, beruhigte ihren tobenden Geist und setzte ihren Weg dann fort.

Tief geduckt und den Körper immer im Schlagschatten des Walls haltend bewegte sie sich vorwärts, der Freiheit entgegen.

Die Soldaten um sie herum schrien noch immer unaufhörlich. Einige versuchten die bleckenden Flammen zu löschen, andere formierten sich um das Haupthaus. Es schien, als würden sie auf etwas -oder Jemanden- warten, die Gewehre im Anschlag, die spitzen Bajonettklingen auf den Eingang gerichtet. Furcht lag auf den Gesichtern einiger Weniger, die anderen wirkten forsch und konzentriert.

'Geh weiter.', mahnte die Stimme im Kopf der jungen Frau und Alessa folgte ihr. Sie hatte keine Zeit sich mit den Angelegenheiten der Rotröcke zu befassen – sollten sie doch alle in Feuer und Schmerz untergehen.

Als die Flüchtige die Stallungen erreichte brach ein Tumult auf dem Innenhof aus. Kampfgeschrei wurde laut und die kleine Abteilung Rotröcke gruppierte sich um eine einzige Person in der Mitte des Platzes.

Hochaufgeschossen, das Gesicht von einer weiten Kapuze bedeckt, trat ein Mann aus der Tür des Haupthauses, in der einen Hand eine Axt, einen schimmernden Dolch in der anderen.

Schatten züngelten über seine fremde Uniform und er schien nicht im Geringsten besorgt. Unbeeindruckt von Gewehren und Bajonetten trat er auf die Soldaten zu, schenkte ihnen ein müdes Lächeln und ging ganz langsam in eine geduckte Haltung über.

Dann ging alles ganz schnell. Ein Rotrock nach dem anderen stürzte sich mit einem martialischen Schrei auf den Unbekannten – alle fielen. Von Axt und Dolch niedergestreckt, erschlagen von der puren Wucht wilder Schläge gingen die Soldaten in die Knie. Blut spritzte nach allen Seiten, tränkte Boden und Uniformen gleichermaßen. Schüsse dröhnten über das Knistern und Knacken der Flammen hinweg, verfehlten ihr Ziel und bohrten sich unverrichteter Dinge in morsches Holz. Brutal und ungezähmt, mit der Präzision eines wilden Wolfes, streckte der Unbekannte einen Gegner nach dem anderen nieder, zerfetzte Hälse, Bäuche und Gliedmaßen mit gnadenloser Hingabe.

Als endlich nur noch ein Rotrock stand, wankend und das Gesicht eine verzerrte Maske aus Furcht und Abscheu, legte sich der Kampflärm und für einen winzigen Moment wurde alles ganz still. Wind kam auf, wehte Qualm und Funken davon und selbst das Feuer schien für den Bruchteil einer Sekunde aufzuhören zu wüten.

Alessas Körper sank in sich zusammen, kein Muskel regte sich und nur ihr Herz schlug in gleichmäßigem Rhythmus gegen ihre Brust. Angst und Panik wichen von ihr wie ein böser Geist und mit der Klarheit eines Wintermorgens dämmerte es ihr: dieser Mann, dieses Ungetüm in einem Menschenkörper, würde ihre Rettung sein.

Der letzte Soldat ging gurgelnd zu Boden, dann sah sich der Fremde um. Mit großen Schritten, ein Lächeln auf den blutverschmierten Lippen, näherte er sich der Stallung und riss die dunkle Flügeltür auf. Für einen Moment verschwand er im Dunkeln und Alessas Körper, dicht gegen das Dach des niedrigen Gebäudes gepresst, atmete auf.

Schon hörte sie das Heranrücken neuer Soldaten, der Verstärkung aus dem Inland. Hunderte von Füßen trommelten gegen den feuchten Waldboden und Stimmen wurden laut.

Ein leises Wiehern lenkte die Aufmerksamkeit der jungen Frau wieder auf das Geschehen unter sich.

„Jetzt gilt's.“, wisperte sie sich zu und wartete auf den richtigen Moment. Jeder Muskel, jede Sehne in ihr war zum Zerreißen gespannt und sie wusste, dass sie nur diese eine Chance hatte.

Als der Fremde wieder in Alessas Sichtfeld trat hatte er sich bereits auf den Rücken eines Pferdes geschwungen.

Ruhig und in perfekter Haltung lehnte er in dem ledernen Sattel, groß und mächtig und todbringend. Die weite Kapuze hüllte sein Gesicht in Schatten, die vielen Waffen an seinem Gürtel klirrten bei jedem Schritt des unruhigen Hengstes.

In langsamem Trab umkreiste der Unbekannte die Stallungen, hielt direkt auf den Hauptausgang zu, und als er nahezu unterhalb der jungen Frau war, ließ sich Alessa mit einem Schrei in die Tiefe fallen.

Einen Moment befürchtete sie sich verschätzt zu haben. Dann schlug sie auf den harten Pferderücken und das erschrockene Tier machte wiehernd einen Satz nach vorn.

Panisch krallte sich Alessa in den rauen Stoff der blutigen Uniform, presste ihre Schenkel zusammen bis sie krampften und stöhnte erleichtert auf, als der Hengst wieder zur Ruhe kam.

Einen Atemzug lang geschah gar nichts, dann zückte die junge Frau den blitzenden Dolch und bohrte ihn mit Nachdruck und einiger Wucht in den Rücken des Fremden. Erstaunlich leicht durchschnitt die Klinge Stoff und Haut.

„Reit weiter, Fremder.“, knurrte Alessa zwischen zusammengebissenen Zähnen und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass Angst ihr die Kehle zuschnürte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Dieser Mann war ein Raubtier!

„Warum sollte ich?“ Eine schlichte Frage, interessiert und gefährlich sachlich hervorgebracht.

„Du wirst mich hier rausbringen.“, antwortete Alessa ein bisschen zu schnell und gab der Klinge in ihrer Hand zur Bestätigung einen berechnenden Stoß. Der Fremde zischte auf und presste dann die Fersen in die Flanken des Hengstes.

In scharfem Trab passierten die unfreiwilligen Reisegefährten das Haupttor, ließen Flammen und Soldaten hinter sich und hielten einen Moment direkt auf den nächtlich brachliegenden Wald zu. Furcht brandete wie eine übermächtige Welle durch Alessas Körper und sie war versucht sich einfach fallen zu lassen.

'Er wird dich ausliefern.', schrie alles in ihr und Finsternis lauerte hinter ihrem Verstand.

Nein. Nicht noch einmal. Noch einmal würde sie die Folter der Rotröcke nicht überleben.

Ein leises Schnalzen erklang aus dem Mund des Unbekannten und das Pferd wich vom Weg ab. Flinken Schrittes verließ es den knirschenden Kies und bewegte sich nun auf weichem Gras dahin. Weg vom Wald, weg von den lärmenden Trommeln und weg von den roten Soldaten.

„Wohin reitest du?“, rief Alessa so forsch sie konnte über das Dröhnen der Wachen hinweg und bohrte ihre Finger noch fester in den Stoff der fremden Uniform.

„Ich sollte dich dort rausbringen – hier sind wir.“, rief der Reiter über die Schulter hinweg, beugte sich dann tief über den schlanken Hals des Hengstes und gab ihm mit Wucht die Sporen.

Alessa schrie auf als ein Ruck sie durchfuhr und fiel nach vorn.

Weich und voll unbändiger Kraft streckten sich die Muskeln des Tieres unter ihren Schenkeln, arbeiteten gegen sie und trieben sie unablässlich dem dahinfliegenden Boden entgegen. Eiskalte Nachtluft schlug ihr entgegen und sie vergrub ihre Hand in wilder Verzweiflung in der Kleidung des Unbekannten.

Ohne Erfolg.

Immer weiter rutschte sie nach hinten und ihre nunmehr tauben Finger lösten sich mit jedem zurückgelegten Meter.

Es gab nur eine Lösung wenn sie das Schiff auf dem Rücken des Pferdes erreichen wollte, dessen war sie sich wohl bewusst – auch wenn es sie wahrscheinlich den Kopf kosten würde.

'Lieber von der Bestie getötet werden als von den Rotröcken gefoltert.', wisperte die Stimme in ihrem Kopf und Alessa nickte grimmig.

Mit einer entschlossenen Bewegung warf sie den Dolch in die Nachtluft, ließ ihre Hände um den breiten Körper vor sich gleiten und klammerte sich an ihn. Verzweifelt und alle Hoffnung auf Gnade oder Erbarmen fahren lassend, schmiegte sich die junge Frau an den Unbekannten, presste ihr Gesicht in den blutigen Stoff.

Sie hatte die Waffe fortgeschmissen, ihre einzige Garantie, lebend aus der Sache raus zukommen und nun blieb ihr nichts. Nur das atemlose Warten auf den Tod.

Schon war die Reiterstaffel der Rotröcke hinter ihnen, galoppierte den Abhang hinab und nahm die Verfolgung auf.

Wind pfiff in Alessas Ohren und der Duft von Harz und Rauch kroch in ihre Nase. Der Duft des Fremden.

'Lieber tot als in den Händen der Rotröcke.', flüsterte die Stimme noch einmal und Alessa drängte sich näher an Unbekannten.

Wie der Teufel flogen sie dahin, ließen Felder, Wiesen und Gräben hinter sich und hielten mit traumwandlerischer Sicherheit auf die Klippen zu.

Ein Licht tauchte in der Dunkelheit auf, dann noch eins, dann drei und schließlich ein ganzes Schiff, beleuchtet von gelben Sturmlampen. Männer liefen hektisch an Deck auf und ab, riefen sich Befehle zu und steuerten den Kahn mehr als gefährlich nahe an das felsige Ufer. Segel wurden eingeholt und eine breite Planke schob sich über die Reling.

„Hier Captain.“, rief ein bärtiger Mann und winkte mit einer der Öllampen zu ihnen herüber. Sein Gesicht, rau und wettergegerbt, wurde zur Hälfte erleuchtet und ein schurkisches Grinsen lag auf seinen Lippen.

Wie auf Befehl riss der Unbekannte das Pferd herum und einen Moment jagten sie parallel zum Ufer dahin. Kleine Steine stoben durch die Luft, aufgewirbelt von den Hufen des mittlerweile panischen Tieres und schon nach wenigen Metern tauchte ein Abgrund vor ihnen auf.

Alessas Augen weiteten sich vor Überraschung, dann drückte sie ihr Gesicht wieder in den rauen Stoff der Uniform. Sie wollte nicht sehen wie sie hinabstürzten. Nicht hören wie das Pferd panisch wieherte. Nicht fühlen wie der Sog sie nach unten zog.

„Jetzt!“, ertönte ein Ruf gegen die Brandung, dann spannte sich der Fremde im Sattel und das Pferd unter ihm. Sie verschmolzen zu einer perfekten Einheit, wurden eins im Sprung und sanken dann gemeinsam in die Tiefe.

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Mit einem Krachen schlugen vier Hufe gleichzeitig auf gebeiztes Holz.

Ein schrilles Wiehern und Alessa wurde zur Seite gerissen. Hart prallte sie gegen knackendes Holz, stöhnte auf und für einen Moment versank ihre Welt in gnädiger Schwärze. Dann wurden Stimmen laut, Applaus ertönte irgendwo in der Ferne und jemand packte sie am Oberarm:

„Wir haben einen Gast.“



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