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Das Lied des einsamen Berges

von

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Ruf aus dem Auenland

Ithilwen beugte sich so nah an das Schild heran, dass sie es beinahe mit der Nasenspitze berührte. Das vermoderte Holz ließ nur noch erahnen, dass einmal Buchstaben eingeritzt gewesen waren. Frustriert seufzend warf sie einen Blick auf die Karte, die sie aus Isengart mitgenommen hatte. Mit dem Finger fuhr sie den Weg nach, dem sie bisher gefolgt war. Hoffte sie zumindest. Vielleicht hatte sie die Karte die ganze Zeit über verkehrt herum gehalten und war von Isengart aus in die falsche Richtung aufgebrochen? Entsetzt über diese Vorstellung ließ sie die Karte sinken. Ihr Blick schweifte über die grünen Hügel. Ein Fluss rauschte in der Nähe, vereinzelt standen Bäume herum. Weit und breit gab es bis auf den Weg kein Zeichen von Zivilisation gleich welcher Art.
 

„Da scheint jemand in Schwierigkeiten zu stecken.“ Mit einem Hepp sprang eine Gestalt auf den Wegstein neben dem Schild. Ithilwen blinzelte überrascht in das Gesicht des Mannes. Jetzt, da er auf dem Stein stand, war er fast genauso groß wie sie, aber nur fast. Obwohl er die Größe eines kleinen Jungen hatte, waren seine Schultern breit und in seinem von wilden, braunen Zotteln umrahmten Gesicht spross ein Bart. In diesem Moment verbeugte sich der seltsame kleine Mann tief vor ihr.

„Ihr dürft mich gerne Retter holder Maiden nennen, liebliches Fräulein. Zu Euren Diensten.“ Er richtete sich wieder auf und räusperte sich geschäftig. „In diese Richtung geht es dorthin, wo wir herkommen.“ Er wies auf eine der drei Wege, auf dem gerade ein weiterer kleiner Mann, jedoch mit blondem Haar und Bart, angestapft kam. „In diese Richtung“, er deutete auf die Straße, die Ithilwen gekommen war, „geht es dorthin, wo Ihr herkommt. Dann kann es sich beim dritten Weg nur noch um den handeln, den wir alle beschreiten müssen“, schlussfolgerte er mit einem zufriedenen Nicken. „Dürfte ich Euch vielleicht meine untertänigsten Dienste als …“

„Kili!“, unterbrach der blonde kleine Mann ihn, der sie gerade erreicht hatte. Die Arme in die Hüften gestemmt, sah er finster zu dem Braunhaarigen auf, der ihn um drei Haupteslängen überragte. „Was trödelst du hier herum? Wir dürfen keine Zeit verlieren, die anderen sind bestimmt schon längst bei dem Meisterdieb, von dem Gandalf gesprochen hat.“

Nun wurde Ithilwen, die die Szene amüsiert beobachtet hatte, hellhörig. „Gandalf sagtet Ihr, werter Herr?“
 

Der Blonde blinzelte in ihrer Richtung, als würde er ihrer Anwesenheit erst jetzt gewahr. „Gandalf sagte ich, ja, ja. Es wundert mich nicht, wenn Ihr ihn kennt, immerhin scheint er recht weit herumzukommen, der alte Herr.“

„Zufällig bin ich auf dem Weg zu ihm. Er hat mich zu sich ins Auenland gerufen“, erklärte Ithilwen erfreut. Anscheinend hatte sie sich doch nicht verlaufen.

„Hat er?“ Die beiden kleinen Männer tauschten einen Blick. Der Braunhaarige, den der andere als Kili bezeichnet hat, sprang von seinem Stein. Auf seinem Rücken trug er einen Köcher mit Pfeilen und einen festgeschnallten Bogen.

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte er frohgemut. „Dann lasst uns zusammen gehen. Wir werden nämlich ebenfalls von ihm im Auenland erwartet. Ich bin übrigens Kili und das ist mein Bruder Fili.“ Der Kleine grinste breit und Ithilwen konnte nicht anders, als es zu erwidern. Was für fröhliche kleine Gesellen!

„Mein Name ist Ithilwen.“ Sie setzten sich in Bewegung und folgten langsam dem dritten Weg, wie Kili angekündigt hatte. „Sagt, seid Ihr etwa Hobbits?“, fragte sie neugierig, denn es war die einzige Erklärung, die sie für die geringe Größe ihrer neuen Begleiter fand. Außerdem war die Überlegung gar nicht so abwegig, wenn sie sich schon in der Nähe des Auenlands befanden, was sie schwer hoffte. Die lange Reise hatte ihr Pferd ermüdet und von ihrem spektakulären Ausbruch aus Isengart lagen ihre Nerven immer noch blank … Sie erschauderte bei dem Gedanken daran. Ihr Vater würde sie wirklich umbringen, wenn er sie das nächste Mal sah.
 

„Hobbits?“, wiederholte Fili. Die Augenbrauen hochgezogen und die Kinnlade aufgeklappt sah er sie in etwa so an, als hätte sie ihn gerade als einen Bratapfel bezeichnet.

Hilflos hob Ithilwen die Schultern. „Nun, im Auenland leben doch Hobbits, oder nicht? Und da Ihr so klein seid …“

Empört schnappte Kili nach Luft und richtete sich zu seiner größtmöglichsten Größe auf, was immer noch erstaunlich klein war, ihm aber einen außerordentlich lustigen Gehstil verlieh. Ithilwen konnte ein Kichern nicht unterdrücken.

„Werte Maid, es sind die inneren Werte, die zählen“, erklärte Kili immer noch mit geschwollener Brust und auf Zehen tänzelnd. „Im Übrigen sind wir Zwerge normal groß; ihr Menschen seid die mit der unnormalen Größe!“

„Ich bin kein Mensch, ich bin …“ Um ein Haar hätte sie gesagt, eine Peristar, konnte es aber gerade noch in ein Hüsteln umwandeln. Ihr Vater hatte ihr immerzu eingeschärft, dass es aufs Strengste verboten war, jemandem zu verraten, was sie war. Die Istari mischten sich still und leise in die Geschicke der Welt ein, um sie auf der rechten Bahn zu halten, ohne aber preiszugeben, was sie wirklich waren.
 

Kili sah mit großen Augen zu ihr auf. „Du bist eine Husträusperhusthust? Was ist das denn? Von dieser seltsamen Art habe ich noch nie gehört.“ An dem Funkeln in seinen Augen konnte Ithilwen erkennen, dass er es nicht erst meinte und ihm lediglich der Schalk im Nacken saß. Dafür dass die Elben die Zwerge als barbarische, griesgrämige, grobklotzige Männlein bezeichneten, waren sie äußerst humorvoll, wie Ithilwen mit einem innerlichen Augenverdreher feststellen musste.

„Ich bin …“, setzte sie noch einmal an. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „… eine Zauberin“, beendete sie ihren Satz schließlich mit einem erleichterten Schnaufer. „Eine Zauberin, genau. Gandalfs Nichte nämlich, und ich möchte meinen Onkel gerne besuchen.“

„Ich wusste nicht, dass Gandalf eine Familie hat.“ Fili kratzte sich an seinem bärtigen Kinn. „Aber gut, anders könnte er nicht so gut gelaunt sein. Ohne Familie muss es doch traurig sein. Erinnerst du dich noch an den alten Krikur, der nie eine Familie hatte? Er war zeitlebens völlig verbittert und schlecht gelaunt.“

„Oh ja, wie er uns den Hintern versohlt hat, nachdem wir den Sprengkörper in seine Pfeife getan haben“, sinnierte Kili weiter und schüttelte den Kopf. „Kein Sinn für Humor, der Alte …“

„Ohne eine Familie ist man wirklich schlecht dran.“ Fili nickte ihr zu, als hätte er damit ihre Antwort akzeptiert. „Aber warum willst du ihn im Auenland treffen, Ithilwen Gandalfsnichte?“, fragte er und wählte eine vertraulichere Anrede. Als (angebliches) Familienmitglied Gandalfs konnte man bei den Zwergen anscheinend punkten. Nun gut, so weit hergeholt war die Behauptung gar nicht … Immerhin gab es nur wenige Istari, wodurch sie sich durchaus als eine Art kleine Familie sehen konnten.
 

„Wo soll ich ihn denn sonst treffen?“, fragte Ithilwen zurück. „Er ist doch stetig auf Wanderschaft! Ich bin froh, dass er mir einmal mitgeteilt hat, wo er sich aufhält, damit ich ihn mal wieder finden kann.“

„Ob er wohl möchte, dass sie unserer Versammlung beim Meisterdieb beiwohnt?“, mutmaßte Kili.

Fili zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nichts davon. Gandalf sagte, wir würden das Haus des Meisterdiebs schon finden. Mittwoch zur Teestunde, hat er gesagt. Dort würden wir die anderen treffen, den Meisterdieb abholen und alles weitere für die Reise besprechen.“

Sie folgten dem Weg einen Hügel hinab zum Fluss, über den sich eine Brücke spannte. Daneben befand sich ein Turm und dahinter … Ithilwen kniff die Augen zusammen. Dahinter waren viele Hügel, doch es waren keine normalen Hügel. Sie hatten Schornsteine und Gartenzäune und große runde Türen, die in sie hineinführten. Ihr Herz tat einen freudigen Satz. Das musste das Auenland sein! Gandalf hatte ihr schon viel von den heimeligen Behausungen der Hobbits erzählt.

Sie überquerten die Brücke, während Kili und Fili eifrig über das bevorstehende Treffen plauderten. Von Bifur und Bofur und Bombur und allerhand anderen, deren Namen sie sich nicht merken konnte. Jenseits der Brücke sah Ithilwen dann zum ersten Mal in ihrem Leben Hobbits. Sie werkelten an diesem schönen Sommernachmittag in ihren Gärten oder saßen pfeiferauchend oder zeitunglesend auf ihren Bänken. Wenn Ithilwen mit ihren kleinwüchsigen Begleitern vorbeikam, sahen sie auf und warfen ihnen misstrauische Blicke zu. Sie sahen tatsächlich so aus wie zu klein geratene Menschen, anders als die Zwerge, die eher quadratisch gebaut waren. Kili und Fili warfen die Köpfe hin und her und schienen nach einer bestimmten Tür zu suchen, wobei sie ihre Suche lauthals kommentierten. Sie spazierten zwischen mehreren Hügeln hindurch, bis Kili schließlich erfreut aufschrie.

„Schau Fili, da ist es! Das Zeichen!“
 

Neugierig folgte Ithilwen mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Arm. Tatsächlich, an einer sorgfältig grüngestrichenen Tür war eine Rune eingeritzt worden. Kili und Fili öffneten das Gartentor und gemeinsam gingen sie zur Tür. Sie war ein Stück kleiner als Ithilwen. Die beiden Zwerge klingelten, zuerst Fili und dann noch einmal Kili. Kurze Zeit später wurde die kreisrunde Tür aufgerissen und ein Hobbit trat hervor, mit geöffnetem Mund und erhobenem Zeigefinger. Er schien etwas sagen zu wollen, doch bei ihrem Anblick verfinsterte sich sein Gesicht und sein Mund klappte zu.

Kili und Fili drängten sich an ihm vorbei zur Tür hinein. Ithilwen folgte ihnen zögerlicher. Über ihren Anblick schien der Hobbit nicht gerade erfreut und es behagte ihr nicht, ungebeten bei jemandem einzudringen. Außerdem musste sie sich bücken, um durch die Tür zu kommen. Im Inneren der tatsächlich sehr behaglichen Hobbithöhle war es zwar besser, aber ihr Kopf war nur einen Fingerbreit von der hölzernen Decke entfernt.

„Kili, zu Euren Diensten.“ Kili verbeugte sich vor dem Hobbit.

„Und Fili“, fügte Fili hinzu, ehe er es seinem Bruder nachtat.

„Bilbo Beutlin. Zu Euren Diensten“, erwiderte der Hobbit sichtlich überfordert.
 


 

***

„Krikur“, der Name des alten Zwerges, den Kili und Fili ansprechen, stammt aus dem Isländischen. Ich glaube mich zu erinnern, dass Tolkien seine Zwergennamen allesamt aus einem altisländischen Gedicht hat (zumindest die jener 13), weshalb es mir angemessen erscheint.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2013-01-06T22:56:29+00:00 06.01.2013 23:56
Sooo, dann wollen wir doch einmal was schreiben.
Um ehrlich zu sein, komme ich gerade aus dem Kino und wollte mal schauen, ob auch ein paar andereso begeistert von dem Film sind wie ich...

Und der Satz "und Thorin, der sie mit seinem Wesen immmer mehr fasziniert." hat mich sofort erfasst. Ich finde ihn nämlich auch ganz, ganz, ganz, ganz toll^^

Aber nun genug geschwafelt, jetzt will ich dir mal was zu den ersten zwei Kapiteln schreiben: Das hört sich ja schon mal ganz viel versprechend an! Und wenn ich nicht ganz auf den Kopf gefallen bin, dann ist deine Hauptperson Sarumans Tochter, oder? Die Idee finde ich schon mal nicht verkehrt. Aber was in aller Welt ist ein Peristar (war das so richtig?)??? Hast du dir das ausgedacht, oder gibt es diesen Begriff wirklich? (Wobei mich viel mehr interessiert, was für eine Frau Sarumans Blut zum kochen bringt. Aber das ist eine andere Geschichte....)

Kili und Fili finde ich bereits sehr gut getroffen. Und auch die Art und Weise, wie Gandalf Ithilwen (?) zu dem Abenteuer dazuholt, finde ich ganz hervorragend.

Mein Fazit:
Ich bin neugierig, wie es weitergeht und werde bestimmt erst einmal dran bleiben.

Lieben Gruß
die etwas in Hobbit-Wahn geratene Lufix


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