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Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels

Drittes Buch
von

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Der Wille des Mondes

Auf dem Mond Yasar war die Morgendämmerung ein kränkliches Gelb, fast wie die Farbe, die die Auberginen bei Tayson und Asta angenommen hatten. Es hatte etwas Unheilvolles... Simu dachte sich, dass er hier nicht leben wollte... selbst, wenn es keine Drei-Tage-Katastrophe gäbe, die ihnen am Abend dieses letzten Tages das weitere Rasten verbieten würde, wenn er Thira richtig verstanden hatte. Was genau eigentlich dann passieren würde, hatte sie überdies nie gesagt... er fragte sich, ob sie es wusste. War ihrem Großvater Honuk, als er die Trias vor Jahren versteckt hatte an dem Ort, den zu finden sie jetzt versuchten, damals hier auch diese Katastrophe begegnet? Simu war eigentlich ein Rationalist. Er dachte und handelte gerne logisch und hatte handfeste Erklärungen für alles, was es so gab – soweit das ging, denn er war bei Schamanen aufgewachsen und die arbeiteten mit Geistern, die alles andere als handfest waren. Und doch waren sie für ihn handfester als die Vorstellung, dieser gesamte Mond hätte einen eigenen Willen, der punktgenau drei Tage abzählte und dann eine Katastrophe verursachte, um die lästigen Menschen zu verjagen.

Aber er spürte es... die Gegenwart eines übernatürlichen Bewusstseins, er spürte es durch jede Pore seiner Haut in seinen Körper eindringen, durch jeden Atemzug, mit jedem Kribbeln auf jedem Zoll seiner Haut. Es war unheimlich, es ließ ihn sich so beobachtet und schutzlos fühlen... unruhig sah er auf das leichte Glimmen in seinen Händen, das sich jetzt zu einer glühenden Kugel aus purer, seelischer Macht manifestierte. Seine Reikyu... es war das erste Mal, dass er versuchte, sie zu rufen, und sie tatsächlich wie eine Kugel aussah und nicht wie ein unruhig herum wabernder Haufen Seele. Es fühlte sich eigenartig an zu denken, dass das, was in seinen Händen lag, ernsthaft seine eigene Seele war... es spannte ihn auf eine ungewohnte Weise an und er keuchte, als das Glimmen in seinen Händen plötzlich verpuffte, weil ein Schatten seine Konzentration störte, der über ihn fiel.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du plötzlich Zuyyaner bist... ich meine, das ist echt hart.“ Simu sah auf und sah in Taysons verwirrtes Gesicht. Der größere Mann trug ein paar der Hasenrehe, die er wohl im Wald erlegt hatte. Am vergangenen Tag hatten sie nach anfänglichen Koordinationsproblemen und vor allem grausamen Kopfschmerzen tatsächlich noch ihren Vorrat verdoppelt (und eher weniger von den Regenbogenauberginen gesammelt)... und sie sammelten trotzdem noch mehr, denn die Vorräte mussten ja auch noch für die Rückreise nach Zuyya reichen. Ob sie dann, falls sie jemals so weit kämen, wohl noch einmal drei Tage hier rasten dürften?

„Ja, mir geht es da auch nicht besser.“, sagte der Blonde zu Tayson, der ihm einen skeptischen Blick schenkte. „Ich muss plötzlich lernen, Dinge zu beherrschen, von denen ich nicht wusste, dass ich sie besitze.“

„Aber diesen Instinkt hast du immer gehabt.“, sagte der Größere, „Dieses... Wissen, wenn etwas passiert. Und wenn ich darüber nachdenke, warst du in der Schule auch immer überdurchschnittlich klug, jetzt, wo ich weiß, dass du Zuyyaner bist, macht das Sinn, ich meine... Zuyyaner sind doch alle so klug, sagt man.“ Simu zuckte die Achseln und erhob sich; er wollte gerade antworten, da war es ein sanftes, aber bedrohliches Grollen aus den Tiefen der Erde, das ihn inne halten ließ. Tayson schien es nicht bemerkt zu haben, denn er fing gerade an, weiter zu plappern, als Simu ihn nervös aufhielt.

„Warte, hast... du das gerade nicht gespürt? Die Erde hat gebebt, irgendwo ganz tief drinnen...“

„Alter, ich bin kein Zuyyaner...“, sagte Tayson verwirrt, als Simu den Kopf drehte und jetzt tatsächlich ein Geräusch hörte, das aus Richtung Westen kam. Tayson musste das auch mitbekommen haben, denn er drehte sich auch um und folgte Simus Blick alarmiert. „Was war das?“

„Keine Ahnung, muss was großes gewesen sein – wo sind die anderen?“

„Karana und Iana sind nach Osten gezogen und Yarek nach Süden...“, murmelte Tayson, als Simu nach dem Tsukibo griff, das an der Tari Randora gelehnt hatte, vor der er gesessen und Wache gehalten hatte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus, als das Grollen der Erde zurückkehrte, das offenbar nur er wahrnahm. Es drang in sein Bewusstsein und machte ihn nervös, als er an das dachte, was sie alle schon vor zwei Tagen befürchtet hatten.

Was, wenn Scharan in der Nähe ist mit seinem Schiff...?

„Ich gehe nachsehen.“, murmelte der Blonde dumpf und ließ Tayson stehen, „Das Grollen der Erde wird stärker, als... als würde der Mond wollen, dass ich gehe.“ Tayson wirkte befremdet.

„Nicht alleine, Himmel! Du kannst doch nicht-...“

„Er ist nicht alleine, Tay-Tay.“, hörten sie da eine vertraute Stimme aus dem Norden kommen und beide Männer drehten sich zu Zoras Derran um, der mit Neisa zusammen aus dem Wald kam und auch noch ein wenig Proviant mitbrachte. „Ich gehe auch... ich kann es auch spüren, das Unheil aus der Erde. Schon seit gestern, und es macht mir verdammt noch mal Kopfschmerzen.“ Simu sah seinen Schwager verblüfft an, aber noch verblüffter war Tayson, der einen Schritt rückwärts machte, als der kleinere Mann zusammen mit Neisa zu ihnen stieß. Letztere hielt ein Bündel aus Leinentuch, in dem Simu gesammelte Fürchte und Wurzeln erkennen konnte.

„Es kamen Geräusche aus dem Westen.“, sagte Simu, „Irgendetwas geht da vor sich, vielleicht ein Raubtier.“

„Oder schlimmer.“, entgegnete Zoras ungeniert und ließ seine erlegte Beute vor Taysons Füße fallen, ehe er eben dem ins Gesicht sah. Taysons Miene wurde augenblicklich grantig, wie eigentlich immer, wenn er mehr als nötig mit dem Mann zu tun haben musste, der ihm Neisa ausgespannt hatte. „Pass auf meine Frau auf, Tay-Tay. Wehe, ihr ist ein Haar gekrümmt, wenn ich zurückkehre.“

„Zoras...“, wandte Neisa ungeduldig ein und verdrehte die Augen, während der Größte der Anwesenden missbilligend schnaubte.

„Pass doch selber auf sie auf, statt den Helden zu spielen, und ich gehe mit Simu.“

„Du solltest dich freuen, das Privileg zu genießen, dass ich dich für wertvoll genug halte, meine Frau zu beschützen, obwohl du gar nichts kannst.“

„Seid ihr behindert?“, fragte Simu genervt, „Am besten nehme ich Neisa mit und ihr beide macht mit eurem Gefrotzel weiter, wie wäre es?“

„Geh schon!“, zischte Neisa und schubste ihren Mann unsanft in Richtung Westen, „Und hör auf, Tayson unnötig zu ärgern. - Bilde dir nichts darauf ein, Tayson, du hörst genauso auf, ist ja albern mit euch!“ Tayson starrte nur absolut baff, als Simu einfach losging und ihm egal war, wer von diesen Vögeln jetzt mit ihm käme. Das ungute Gefühl in ihm wurde heftiger, je mehr er nach Westen kam, und Zoras holte ihn ein, als er kurz stehen blieb und taumelte, weil er die Erde tief im Inneren dezent beben spürte... auf eine Weise, die ihm die Haare zu Berge stehen ließ.

„Was glaubst du, ist das?“, murmelte der Blonde fast tonlos, ohne seinen Schwager anzusehen, der neben ihm auch zum Stehen gekommen war und argwöhnisch seine Hellebarde herum schwang.

„Keine Ahnung, aber es fühlt sich übel an. Was immer es ist, es hat... die Aura eines Dämons.“ Simu schauderte. Dass sie Ulan Manha, die Wiedergeburt des Geistes von Kelar Lyra, auch einen Dämon und eine Bestie nannten, machte seine Befürchtungen nicht geringer.

„Meinst du, das Beben der Erde und das Unheil aus dem Westen stammen beide von Manha?“, murmelte er, als sie den Weg rasch fortsetzten und sich zielstrebig direkt nach Westen durch den gigantischen, finsteren Urwald kämpften. Zoras war dabei verblüffend geschickt und durchaus eleganter als Simu, dem es etwas schwer fiel, zwischen den Bäumen, Farnen, wabernden Pflanzen und durch das Unterholz zu turnen.

„Eins weiß ich mit Sicherheit.“, entgegnete der Schwarzhaarige vor ihm grantig, „Was immer es verursacht, ich werde es eigenhändig zerfetzen, damit endlich Ruhe im Topf ist!“ Das war eine Ansage – und bei Zoras' aktueller immer noch schlechter Laune glaubte Simu ihm das glatt aufs Wort.
 

Yamuru sah die beiden, lange bevor sie ihn erreichten. Er lobte sich innerlich selbst für die meisterhafte Voraussicht, die anderen Trottel auf einem Umweg zur Tari Randora geschickt zu haben, damit sie einen zweiten Versuch starteten, die Batterie zu ergattern; es wäre schlecht gewesen, wären Kanau und die anderen Simu Ayjtana und Zoras Derran im Wald begegnet. Wenn er den alten Sagen glaubte, wozu er generell neigte, waren die Sieben so etwas wie Götter... mit annähernd göttlichen Gaben, was einiges einschloss. Er fragte sich, wie weit das reichte... vermutlich würde er gleich eine Chance bekommen, das auszuprobieren.

„Sieh an... so ein Zufall, dass wir uns hier begegnen, was... Zoras Derran?“, kicherte der Zuyyaner, als er von dem Ast, auf dem er hockte, die beiden Männer beobachtete, die genau in seine Richtung kamen. Sie hatten ihn noch nicht gesehen... es wurde Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Das war der letzte Tag auf Yasar – in Zukunft würde es etwas anstrengender werden, den Sieben zu begegnen, wenn sie erst weiter durch das All flogen. „Bevor ihr unser Schiff orten könnt und den Meister nervt, gucken wir lieber, wie göttlich ihr wirklich seid... nicht wahr?“ Das zu sich gemurmelt passte er genau den Moment ab, in dem die zwei direkt vor seinem Baum waren, ehe er in die Tiefe sprang und unmittelbar vor Simu und Zoras auf dem Erdboden landete. Wie er erwartet hatte fuhren beide erbleichend zurück, Zoras verfinsterte einen Schreckmoment später sein Gesicht und bedrohte ihn mit der Hellebarde von Yamir.

„Ach.“, sagte er, „Dann kam das schlechte Gefühl also von dir... Yamuru.“

„Freut mich auch, Zoras Derran, Seelenfänger.“, giggelte der Ältere guter Laune und sah Simu seine Waffe auch ziehen. „Simu Ayjtana... Sohn von General Nodin. Ich erinnere mich nicht an deinen Vater, als er starb, war ich erst drei. Aber Chenoa hat immer in den höchsten Tönen von ihm gesprochen, diese verräterische Schlampe... in meinen Augen war er ein Mitläufer des Imperators, der zufällig denken konnte. Nichts weiter... nach dem, was ich über ihn gehört habe, siehst du ihm ähnlich.“ Simu bewies eindrucksvoll, wie zuyyanisch er doch war, als er sein Gesicht nicht mal verzog und keinerlei Emotion durchscheinen ließ.

„Mein Vater ist Puran Lyra, König von Kisara.“

„Ah, Selbstverleumdung, üble Sache. Kenne aber einige, die das praktizieren.“

„Was willst du?“, fragte Zoras Derran grollend, „Dann hat mich mein Instinkt ja nicht betrogen... dass Manha hier auf Yasar ist. Und du... bist sein Handlanger und bist gekommen, um uns zu töten, bevor wir euch finden.“ Yamuru schenkte dem Zwerg ein Grinsen.

„Warum genau hast du jetzt diese Frage gestellt, wenn du die Antwort doch weißt?“ Das reichte offenbar als Provokation, denn im nächsten Moment schlug Zoras wütend mit der Waffe nach ihm und schmetterte einen gleißenden Blitz aus der Klinge in die Luft. Yamuru hatte keine Mühe, dem absolut vorhersehbaren Angriff auszuweichen, und der Kleinere fuhr verblüffend schnell herum, um gleich noch einen Blitz nach ihm zu werfen.

„Ich bringe dich um, du Hurensohn... noch mal verarschst du mich nicht!“ Yamuru feixte, ehe er seine Hand hob und darin seine eigene, grün schimmernde Reikyu erscheinen ließ.

„Das versuch mal. Ich bin gespannt.“
 

Es ging schnell. Simu spürte das Unbehagen in seinem Inneren rasant ansteigen in dem einen Moment, in dem Zoras sich samt Hellebarde und einem gleißenden Blitzen auf diesen Typen stürzte, der ihnen da in den Weg gekommen war. Das war Yamuru Mirrhtyi, von dem auch Thira gesprochen hatte – ihr Cousin und genau wie sie ein Mitglied eines der mächtigsten Clans der Zuyya. Der Blonde fluchte ungehalten und griff sein Tsukibo, als der Gegner Zoras' Zerstörer mit einer Bewegung seiner glimmenden, grünen Kugel zerschmetterte und sowohl den Angreifer als auch Simu durch die entstehende Druckwelle der Magie von den Beinen riss. Die Erde bebte, als Simu sich keuchend aufrappelte und Zoras bereits wieder blitzschnell auf den Beinen war, während er wutentbrannt seine Waffe herum schwang und mit einem wuchtigen Schlag die Klinge gegen Yamurus Reikyu krachen ließ. Der Zuyyaner pustete sich reichlich unbeeindruckt ein paar violette Strähnen aus dem Gesicht und sprang zurück, um seine Kugel verschwinden zu lassen und stattdessen an seinen Gürtel zu greifen.

„Katari, dafür, dass du so kurz gewachsen bist, hast du ja echt Kraft in den Armen...“, kommentierte er Zoras' Angriffe mit einem heiteren Lächeln, „Und du bist schnell... tapfer von dir, Zoras Derran.“

„Halt die Schnauze, du Hurensohn! Du hast schon damals für Scharan gearbeitet, als ich dir Neisa gegeben habe, oder?! Ich lasse mich nicht noch mal verarschen!“

„Zu deinem Glück habe ich gar nicht vor... dich zu verarschen.“, grinste Yamuru und zog aus einer Scheide an seinem Gürtel jetzt eine Waffe. Simu hatte so ein Ding noch nie gesehen... es hatte einen griff wie jedes Schwert, aber es hatte statt einer Klinge gleich drei, die sich im griff zu einer vereinten und deren drei messerscharfe Spitzen furchteinflößend waren. Der Blonde schnaubte, als Zoras schon wütend fortfuhr.

„Dein Messerchen wird dir nichts nützen gegen mich, Zuyyaner, selbst dann nicht, wenn es tausend Klingen hätte!“

„Sagst du.“, erwiderte der Größere und machte ein erstauntes Gesicht, als Zoras den nächsten Blitz auf ihn schleuderte und es den Zuyyaner kaum eine Handbewegung mit seinem komischen Dreizack kostete, um jenen Blitz erneut zu zerschmettern und seinerseits anzugreifen – und Simu starrte mit blankem Entsetzen auf die gewaltigen, messerscharfen Eiszapfen, die aus den drei Klingen auf sie beide zu geschossen kamen. Zoras weitete ebenfalls die Augen und schlug mit der Hellebarde im selben Moment nach vorne wie es auch der Blonde mit dem Tsukibo tat, sodass Yamurus Eiszauber klirrend an den Klingen beider Waffen zerschellte.

„Eine Eiswaffe wie Thiras Kouriha...“, murmelte Simu und spürte das Beben der Erde erneut, tief im Inneren, fast nicht wahrnehmbar, aber es war trotzdem da. Es beunruhigte ihn und geistesgegenwärtig riss er gerade noch seine Waffe hoch, um eine erneute Fuhre Eiszapfen abzuwehren, die der Gegner nach ihnen beiden warf. Reflexartig wirbelte er herum und schleuderte mit einem Schwung des Tsukibos eine Welle aus Wasser auf den Zuyyaner, während Zoras noch keuchend zurücksprang und aus dem Himmel einen weiteren Blitz rief – dann hörte er Yamuru zu lachen anfangen.

„Du bist nicht so klug, wie ich gedacht hätte, wenn du... mit Wasser auf einen Eismagier losgehst, Simu Ayjtana... wie enttäuschend. Aber danke, erspart mir Kraftaufwand.“ Als Simu noch die blauen Augen aufriss, sah er seinen Wasserzauber bereits im Flug gefrieren und dann in Form von unzähligen Eissplittern rasend schnell zu ihm zurückkehren. Er keuchte und im nächsten Moment erwischten ihn die massiven Zapfen schon, rissen ihn um und nagelten ihn am Erdboden fest, durchbohrten seine Kleider und machten ihn komplett bewegungsunfähig. Das Tsukibo fiel ihm aus der Hand, als er plötzlich am Boden lag, irgendeine ätzende Wurzel drückte ihm schmerzhaft in den Rücken und die Eiszapfen ließen sich beim besten Willen nicht entfernen, wie sehr er auch versuchte, sich loszureißen.

„Verdammt, was-...?!“

„Du bist noch nicht geübt genug mit der Reikyu, um dich loszumachen.“, stellte Yamuru feixend fest, „Wenn du das übst, kannst du dich eines Tages aus bloßer Willenskraft heraus aus so einer Lage befreien – ich glaube, es liegt daran, dass du dich immer noch dagegen sträubst, ein... böser, blutrünstiger Zuyyaner zu sein, hm?“

„Wolltest du Simu Tipps zum Überleben geben oder willst du einen Arschtritt, Hurensohn?!“, brüllte Zoras hinter Simu, ehe jener hätte reagieren können, „Bleib liegen, Simu, ich erledige den alleine!“

„Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben...“, brummte der Blonde und verfluchte sich innerlich für seine Unfähigkeit – oder die Dummheit, den Kerl mit Wasser angegriffen zu haben, wenn der Eis daraus machen konnte. Das hätte er wissen können... es war instinktiv passiert, er hätte besser nachdenken sollen. Was war es, das ihn so in Panik versetzte...? Der Dreizack? Der ganze Typ? Oder eher das Beben der Erde, das ihn mehr und mehr nervös werden ließ, während er sich wütend darauf zu konzentrieren versuchte, sich zu befreien. Er konnte kaum sehen, was Yamuru und Zoras trieben, er hörte sie nur, das Krachen von Donner, Zoras' wütendes Gebrüll, Yamurus Kichern und das Klirren, wenn die Klingen der Waffen aneinander gerieten – oder die Eiszapfen an die Klinge der Hellebarde. Er schrie nur plötzlich, als Zoras mit einem mal wieder in sein Blickfeld flog und rücklings quer auf Simus Bauch landete.

„Aua, Alter!“, japste der Blonde noch und sein Schwager fluchte wüst, ehe er sich rückwärts wieder von ihm weg rollte und seine Hellebarde packte – und Yamurus nächste Eiszapfen flogen in solcher Geschwindigkeit wieder auf den Schamanen zu, dass der kaum Zeit hatte, sich auch nur aufzurappeln oder seine Waffe zu heben – sie hätten ihm unweigerlich die Kehle zerfetzt, wäre nicht just in diesem Moment aus dem Nichts ein weiteres Geschoss gekommen, das die Flugbahn des Eiszapfens kreuzte und ihn mit einem unschönen Knirschen zerschmetterte. Zoras sank keuchend und sichtlich bleich wieder zu Boden, weil der Eiszapfen so getroffen plötzlich vor seiner Nase zersplitterte, und Simu versuchte heftig atmend den Kopf zu drehen. „W-was ist da los?!“ Dann sah er Zoras neben sich auch den Kopf drehen und die schmalen Augen noch mehr weiten – als nächstes hörte er eine bekannte Stimme, mit der er hier jetzt nicht gerechnet hatte.

„Lass die Finger von ihnen... oder es wird dir leid tun, Cousin.“
 

Zoras wusste nicht genau, ob er vor Erleichterung, dass er gerade dem sicheren Tod durch Eiszapfen entkommen war, laut auflachen sollte oder lieber vor Scham im Boden versinken, weil er von einer Frau gerettet werden musste. Wie Thira sie so plötzlich hier gefunden hatte, hinterfragte er besser nicht... vermutlich hatte sie irgendeine Eingebung in der Reikyu gehabt. Jetzt stand sie jedenfalls da und schien absolut erbarmungslos, ihre bläulich schimmernde Kouriha in der Hand und den Blick auf den anderen Zuyyaner gerichtet, der... sich eine Hand auf den Mund presste und offenbar versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.

„Du amüsierst dich wohl sehr, du alberner Vogel?!“, zischte Zoras und kam auf die Beine, aber Thira streckte die Kouriha in seine Richtung aus und hielt ihn auf, als er schon seine Waffe schnappen wollte.

„Halt dich da raus, Zoras.“, sagte sie monotoner als jemals zuvor, noch immer nur auf Yamuru starrend. „Er ist kein Gegner für dich. Noch nicht.“

„Was soll denn das heißen, arsch mich nicht an, Thira!“ Doch sie würdigte ihn keines Blickes und die Erinnerung an den Eiszapfen, der unglaublich schnell auf ihn zu gekommen gewesen war und der ihm fast die Kehle durchbohrt hätte, wäre Thira nicht gekommen, ließ ihn grollend gehorchen und zurücktreten.

Dieser Typ... hat die ganze Zeit nur herum gespielt, er hat erst in dem Moment Ernst gemacht, als er mich fast erwischt hätte... der tut so, als wäre er dümmer als er ist, da bin ich sicher. Ihn zu unterschätzen wäre dumm... den Zuyyaner mit der Seele.

Ja, er erinnerte sich an seine allererste Begegnung mit diesem Mann. Und an seine Feststellung, dass dieser Mann, obgleich er Zuyyaner war, so gar nichts mit allen anderen Zuyyanern gemein hatte, die Zoras kannte. Das Bild, das sich ihm jetzt bot, wie sich Thira und der Kerl, der immer noch giggelte und sich gar nicht mehr einkriegen wollte, einander umschlichen wie zornige Raubkatzen, die Waffen gezückt und bereit, den anderen zu schlachten, war echt bizarr. Die junge Frau war so absolut emotionslos... und Yamuru schien vor Amüsement nur so zu platzen. Wie konnte er als Zuyyaner, die doch seelenlos sein sollten, so emotional sein? Das machte ihn gefährlicher als Thira, dachte Zoras sich verblüfft – denn es machte ihn unberechenbarer.

„Was für ein Zufall, dass du gerade kommst, um Zoras das Leben zu retten.“, grinste der Typ gerade und hob drohend seinen Dreizack, „Oder eher göttliche Fügung, was? Ich glaube ja, ihr Sieben könnt gar nicht sterben... die Mächte der Schöpfung... seien es nun Geister, Götter oder Katari... werden es so lange verhindern, bis eure Aufgabe erfüllt ist. Das ist so witzig, ich kann nicht mehr...“

„Spar dir dein Gelächter für den Moment auf, in dem ich dir die Kehle herausreiße, damit du darüber lachen kannst, wie dumm du warst, mich zu reizen.“, grollte Thira, worauf der Typ tatsächlich sein Lachen unterdrückte und sich räusperte.

„Vergib mir, liebe Cousine. Es ist lange her... das letzte Mal, dass wir einander begegnet sind, warst du noch ein Baby, erinnerst du dich überhaupt an mich?“

„Nein. Offenbar aus gutem Grund.“

„Ich erinnere mich aber an dich...“, freute sich Yamuru, „Ich fand dich... bildhübsch, schon als Baby.“

„Wenn du gedacht hast, indem du mir schmeichelst, besänftigtest du mich, irrst du. Ich werde dich töten, Yamuru Mirrhtyi... weil du deinen Vorfahren den Rücken gekehrt hast und jetzt... für Manha den Hofhund spielst.“ Yamuru grinste und trat ein paar Schritte zur Seite, um seine Waffe drohend auf seine Cousine zu richten.

„Da bin ich ja gespannt.“, feixte er, „Unsere Waffen sind einander ebenbürtig – deine Kouriha, das Erbstück des Jamali-Clans, gegen die Sanhari des Mirrhtyi-Clans... fragt sich nur, ob ihre Träger einander auch ebenbürtig sind, hm?“

„Halt's Maul, Verräter!“, zischte Thira, und dann, Zoras konnte gar nicht so schnell gucken, stürzten sie sich zeitgleich aufeinander.

Es gab ein lautes, grollendes Krachen, das dem Schamanen am Rand einen eisigen Schauer über den Rücken jagte, als die Klingen beider Waffen aufeinander prallten. Der Schlagabtausch, der folgte, fand in einer Geschwindigkeit und Intensität statt, dass Zoras kaum fassen konnte, was eigentlich vorging, und noch weniger, dass bei dem Elan, den beide Gegner in ihren Kampf legten, nicht längst jemand gestorben war. Er sah Eiszapfen fliegen, die aufeinander krachten, die knapp die Kehle des jeweils anderen verfehlten, Thiras Klinge zerriss Yamurus Ärmel und seine einen Teil ihrer Haarspitzen, worauf einer ihrer beiden grünen Zöpfe plötzlich viel kürzer war als der andere. Dann, genauso schnell, wie es begonnen hatte, war es vorbei, und es war Yamuru, der seine Cousine mit einem gewaltsamen Stoß seiner Waffe rückwärts stieß, sodass sie tatsächlich ins Straucheln geriet – in dem Moment riss er ihr mit offenbar purer Willenskraft und einem blutrünstigen Blick aus seinem seltsamen, linken Auge ihre Kouriha aus der Hand. Thira keuchte, reagierte aber sofort und sprang zurück, ehe sie ihre Hände empor riss und ihre Reikyu herauf beschwor – in einer unglaublichen Geschwindigkeit war plötzlich auch Yamurus Dreizack auf dem Erdboden und Zoras klappte der Unterkiefer herunter bei dem Spektakel, das er hier mitansah. Simu grummelte irgendetwas auf dem Boden, wo er immer noch lag.

„Du bist schnell zu Fuß.“, stellte der Violetthaarige gerade amüsiert fest, als Thira ihre Reikyu anhob und ein furchteinflößendes Gesicht machte, sodass selbst Zoras kurz schauderte, und er war eigentlich so einiges an furchteinflößenden Gesichtern gewohnt. In dem Moment begriff er zum ersten Mal, wie absolut skrupellos und furchterregend die Zuyyaner tatsächlich waren... der Krieg auf Tharr war an ihm vorbei gegangen größtenteils. Er hatte nur aus Erzählungen der Alten gehört, wie furchtbar die Bewohner des blauen Mondes waren... das, was sich hier abspielte zwischen nur zweien von ihnen, war bestialisch und er spürte, wie sich in ihm etwas zusammenzog bei dem bloßen Anblick.

„Deshalb kannst du uns trotz Versteck sehen...“, grollte Thira unwirsch und fixierte ihren Cousin, der seine Hand auch hob und darin ebenfalls wieder seine grünliche Kugel erscheinen ließ. „Du... hast zwei Reikyus. Du hast... zwei Seelen, die du kontrollierst... das ist schlimmer, als ich befürchtet habe.“

„Wie jetzt?!“, keuchte Simu am Boden, „Zwei Seelen, w-wie kann das sein?! Das ist unmöglich!“

„Zuyyaner.“, war Yamurus Patentantwort und er giggelte schon wieder. „War eine schmerzhafte und brutale Sache, mir die Reikyu meines Vaters ins Auge zu transplantieren, aber es lohnt sich. Auch, wenn man komisch gucken kann so...“

„E-er hat sich eine-... was?!“, schnappte Zoras jetzt auch heillos überfordert – wie war denn so etwas möglich? Allein die Vorstellung, dass sich jemand eine... zur Kugel geformte Seele ins Auge pflanzte, brachte ihn fast zum Würgen, so scheußlich war es, und er wollte gar nicht wissen, aus was für einem Grund dieser Spinner wohl seines Vaters Seele gestohlen hatte – das war barbarisch!

„Halt dich raus!“, blaffte Thira ihn noch einmal an und hob ihre Hand mit der bläulichen Reikyu etwas höher, „Gut, unsere Waffen mögen einander ebenbürtig sein. Unsere psychische Magie ist es nicht.“

„Nein.“, gackerte Yamuru, „Ich bin doppelt so gut wie du.“

„Sagst du.“ Mit diesen Worten ließ Thira ihre Kugel aufblitzen und das, was dann geschah, vermochte Zoras nicht in ernste Gedanken zu fassen.

Äußerlich war überhaupt nicht zu sehen, was geschah. Die beiden Kontrahenten standen einander einfach nur gegenüber und alle Reikyus glühten bedrohlich... es war ein Kampf purer Willenskräfte, purer, geistiger Energie. Und obgleich Zoras die Schlacht, die gefochten wurde, nicht sehen konnte, konnte er sie deutlich spüren. Sie war wie ein enormer, schmerzhafter Druck, der entstand, ein Aneinanderreiben zweier unglaublich grausamer Mächte, und diese Reibung erzeugte in ihm ein so fürchterliches Gefühl, dass er glaubte, er würde daran zerbrechen. Die Druckwelle presste ihn zu Boden, presste ihm die Luft aus den Lungen, blendete ihn und war so schmerzhaft, dass er unwillkürlich keuchte, als er plötzlich glaubte, der Kampf der Reikyus würde ihn in Stücke reißen... die geistige Macht fraß ihn von innen heraus auf, zerquetschte seine Organe und seine Adern, so fühlte es sich an, bis sie mit einem grauenhaften Stich in seinem Kopf zu explodieren schien. Dem Schmerz folgte ein plötzliches Schwindelgefühl, das so heftig war, wie Zoras es noch nie erlebt hatte, gepaart mit einer furchterregenden Übelkeit ließ es ihn auf alle Viere am Boden zusammenbrechen und ihm wurde schwarz vor Augen, während der schmerzhafte Druck immer noch schlimmer und unerträglicher wurde, bis er mit einem Mal gellend aufschrie, ohne es irgendwie vermeiden zu können; in dem Moment knackte irgendetwas in seinem linken Ohr mit einem so bestialischen Schmerz, dass er glaubte, er würde daran verrecken... und dann wurde die Welt plötzlich stumpf und leise.

„Alter, Zoras!“ Das war Simus Stimme, sie klang meilenweit weg und entsetzt – lag der Kerl nicht unmittelbar vor seiner Nase? Wieso war er so leise? Rechts war es lauter... jetzt hörte er Thira heftig ein und ausatmen und dann wütend zischen:

„Bleib hier, du Missgeburt, ich kriege deinen Kopf, Yamuru Mirrhtyi!“ Zoras verstand nicht ganz, was abging, er konnte nicht richtig sehen, die ganze Welt drehte sich und waberte haltlos vor und zurück, während er seine eigenen Arme und Oberschenkel so heftig zittern spürte, dass er glaubte, er würde gleich ganz flach am Boden liegen, weil ihm die Kraft fehlte, sich weiterhin auf alle Viere zu stützen. Die Übelkeit kehrte mit solcher Heftigkeit zurück, als er sich heftig japsend auf seine Füße setzte und versuchte, seinen Oberkörper aufzurichten, dass er glatt wieder nach vorne kippte und sich hustend auf den Erdboden übergab.

„W-was macht ihr mit mir, verschwindet!“, keuchte er fassungslos und griff stöhnend nach seinem übelst schmerzenden Schädel, „Mach es weg, Thira, es... es bringt mich um!“

„Scheiße!“, hörte er Thiras Stimme von rechts jetzt etwas lauter, und als er keuchend und vor Schmerzen und Schwindel fast wahnsinnig den Kopf herum riss, starrte sie ihn aus ihren roten Augen entsetzt an. „Sieh mich an, Zoras! - Kannst du mich sehen?“

„Ja, verdammter Scheißdreck!“, brüllte er und verspürte trotz seines vor Panik rasenden Herzens eine Erleichterung durch seinen Körper strömen, als der Druck nachließ und der Schmerz abebbte. Keuchend fasste er sich an den Kopf und zitterte noch immer am ganzen Körper, während Thira hinter sich auf den Boden langte und ihre Kouriha aufhob. Sie beugte sich vor und rammte sie neben Zoras in die Erde, worauf es kurz bebte und ein Knirschen im Boden erklang.

„Steh auf, Simu, die Eiszapfen sind jetzt unter der Erde durchtrennt worden. – Hast du auch was abbekommen? Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen...“

„Was?“, fragte Simu, und Zoras hörte ihn fast gar nicht, sodass er verwirrt den Kopf nach links drehte, um den Blonden anzusehen. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass es nicht an Simus Stimme lag, dass er so leise war, sondern an seinem Ohr.

„Ich... kann dich nicht mehr hören...“, stammelte der Schamane verblüfft und griff nach seinem linken Ohr; es war noch ganz, aber tatsächlich war er plötzlich auf der linken Seite absolut taub. „Ich kann mit links nicht mehr hören, was zum Geier passiert hier und-... w-wo ist der Bastard, Thira?“

„Yamuru? Abgehauen, verdammt, der Druck der Magie der Reikyu hat sicher deinen Gehörsinn vernichtet – das ist nicht gut.“

„Das... ist absolut nicht gut, kann man dagegen denn nichts machen?!“, fragte Simu entsetzt, „Wieso ist mir das nicht passiert?“

„Du bist zuyyanischen Blutes, wir Zuyyaner können den Druck natürlich besser ab als alle anderen... verdammt, daran hätte ich denken sollen. Kannst du aufstehen?“

„Mir wurden keine Beine amputiert, verflucht!“, brüllte Zoras laut und rappelte sich auf die Beine – und wäre fast wieder umgekippt, weil der Verlust seiner Hörfähigkeit auf der linken Seite seinen Gleichgewichtssinn ebenfalls störte. Simu sprang geistesgegenwärtig auf und packte ihn an den Armen, um ihn festzuhalten.

„W-wir müssen zurück zur Tari Randora... vielleicht kann Neisa das heilen. Sie ist immerhin Leyya Lyras Tochter... und Leyya hat Techniken entwickelt, die selbst zuyyanischer Magie trotzen.“
 

Der Angriff auf die Tari Randora kam aus dem Nichts von einem Moment auf den anderen und hätte Asta beinahe das Leben gekostet, die zufällig vor dem Haufen mit dem Proviant gehockt hatte, als plötzlich ein Schwall Feuer direkt auf sie zugeschossen gekommen war. Tayson war geistesgegenwärtig genug gewesen, mit einem atemberaubenden Hechtsprung aus dem Eingang des Schiffes zu schießen, sich auf das Mädchen zu stürzen wie ein Löwe sich auf seine Beute und sie damit zu Boden mitten in den Provianthaufen zu reißen. So entkamen alle bis auf Taysons Haarspitzen der plötzlichen Flamme und im nächsten Moment schrie Eneela irgendwo vor Schreck auf, als aus dem umliegenden Gestrüpp die Männer auftauchten, die ihnen schon im Karanyi-Nebel begegnet waren. Karana erkannte die Männer wieder, als er seine erlegte Beute abrupt fallen ließ, die er noch kaum zwei Momente vorher erst zusammen mit Iana zum Lager geschleppt hatte. Letztere zog mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Bestialität ihr Kurzschwert und stürzte sich auf die Angreifer, ehe Karana sie aufhalten konnte.

„Dieses mal kriege ich euch am Arsch, dass ihr es wagt, hier noch mal aufzutauchen!“, zischte sie dabei und der junge Mann fuhr herum, kurz darauf hätte ihn beinahe der Telekinese-Schlag des Telepathen erwischt, dem er mehr durch pures Glück gerade noch ausweichen konnte.

„Verdammt!“, fluchte er und zog sein Schwert, ehe er auf Tayson und Asta sah, die sich gerade wieder aufrappelten. „Tayson, bring sie rein, na los! Und Neisa soll auch ja drinnen bleiben! - Wo sind Simu und Zoras eigentlich?!“

„Keine Ahnung, die sind schon ewig weg!“, sagte Tayson, „Die wollte irgendwie nach Westen und – irgendwann ist Thira ihnen wie vom Blitz getroffen hinterher gejagt und... Alter, Vorsicht!“ Die Warnung war überflüssig, Karanas Instinkte hatten ihn bereits gewarnt, dass der Typ mit den roten Haaren jetzt einen tödlichen Strahl aus lodernden Flammen nach ihm warf. Mit einem Keuchen riss der Geisterjäger sein Schwert hoch und direkt in die Bahn des Zaubers, um ihn mit einem Wirbel aus Macht zurück zu schleudern und verrauchen zu lassen. Das musste der Nomae-Kerl sein, von dem Ryanne gesprochen hatte. Es waren insgesamt fünf Männer, die von allen Seiten den Vorplatz des Lagers umzingelten und den Kameraden keine Chance gaben, irgendwohin zu fliehen... selbst, wenn sie hätten fliehen wollen, was ziemlich kontraproduktiv gewesen wäre, wie Karana fand. Iana tauchte wieder neben ihm auf und war offenbar nicht weit gekommen mit ihrem versuchten Konterangriff, auf seiner anderen Seite fand der Schamane jetzt Eneela, die zwar noch blasser als ohnehin schon wurde, aber deren Augen eine Feindseligkeit versprühten, die selbst Karana einen Schauer über den Rücken jagte. Sicher... das waren Männer von Ulan Manha. Schergen des Mannes, der sie gefangen gehalten hatte, der ihr Volk versklavt hatte. Tayson kehrte ebenfalls zurück, nachdem er Asta unsanft ins Innere des Schiffes geschubst hatte, wo auch Neisa und die dumme Seherin sein mussten. Und Yarek war noch im Wald unterwegs... wenn sie Glück hatten, dachte Karana, würde der Söldner einen der Bastarde von hinten erschlagen können, das würde ihnen allen ein Überraschungsmoment geben, das ihnen definitiv helfen würde.

„Ihr wollt die Batterie der Tari Randora?“, fragte Karana seine Gegner kalt und hob drohend sein Schwert in ihre Richtung, „Dann... versucht doch, sie euch zu holen.“

„Mit Vergnügen; das ist ja schließlich der Grund, aus dem wir kommen.“, erklärte der Rothaarige grinsend, ehe er seine Hände wieder hob und dann laut den Befehl zum Angriff gab.

Sie kamen alle auf einmal. Karana hatte Mühe, den Überblick zu behalten, und gab es letztlich auf, als die Erde unter seinen Füßen zu grollen und enorm zu beben begann, was ihn fast von den Füßen geworfen hätte, während er sich mit dem blonden Telepathen herumschlug. Der Kerl war verblüffend wendig, obwohl er größer und breiter als Karana war, und es war ein echter Akt, ihn überhaupt mal zu erwischen, weil er sich am laufenden Band weg teleportierte oder Barrieren erstellte, die ihn vor angreifenden Zaubern schützten.

„Pff, und du bist also der großartige Sohn des größten Genies überhaupt?“, spottete der Blonde dabei, „Ist ja albern. Und von deinem Vater sagen sie alle, er wäre das absolute Wunderkind, da hätte ich bei dir irgendwie... nun ja, mehr erwartet.“

„Das liegt nur daran, dass ich noch mit mir hadere, ob es sich überhaupt lohnt, sich bei einem solchen Hurensohn ernsthaft ins Zeug zu legen.“, mutmaßte Karana gelassen und wich einem weiteren Telekinese-Schlag aus, „Weißt du was? Wir können jetzt einfach ewig so weitermachen und Katz und Maus spielen, bis wir müde werden. Oder aber du bleibst einfach mal auf der Stelle stehen, sodass ich dir mit einem einzigen Schlag dermaßen die Fresse polieren kann, dass selbst die Schlampe von einer Mutter, die dich einst geboren hat, jedes Mal zu heulen anfängt, wenn sie dich bei Tageslicht sehen muss.“ Der blonde Kerl, Karana glaubte sich zu erinnern, dass er Rok hieß, reagierte auf die Provokation genau so, wie er erwartet hatte, und stürzte sich wutentbrannt frontal auf ihn, sodass Karana feixend sein Schwert empor reißen konnte, um ihn endlich mal mit einer Katura zu treffen, sodass der Windzauber seinen Gegner unter dessen schmerzerfülltem Schreien durch die Luft und zurück schmetterte. Was dachte der sich, dass er einfach an ihm vorbei käme? Er war verdammt noch mal der Sohn des Herrn der Geister. Und er hatte nicht vor, seinem Vater Schande zu bringen, indem er gegen einen solchen Hundsfott verlor...

Warte nur, Ulan Manha... Urgroßvater Kelar! Ich werde dich kriegen... wenn ich deine Hofhunde einen nach dem anderen abgeschlachtet habe, werde ich dich kriegen. Und du wirst winseln und um den Tod betteln, während du mir zu Füßen liegst... und vielleicht werde ich so gnädig sein, ihn dir zu gewähren.
 

Die Erde bebte, weil einer der Männer am Boden hockte, die Hände auf die Erde gelegt, und offenbar Erdzauber ausführte. Iana wollte ihn stoppen, damit das Geschwanke aufhörte, aber der rothaarige Kerl mit dem Feuer ließ sie nicht zu ihm durch. Sie verfluchte den Kerl aufs Übelste, als sie seinen herum wirbelnden Flammen beinahe erlegen wäre und sich noch rechtzeitig zu Boden fallen ließ. Sie bekam kaum Zeit, überhaupt aufzustehen, da war der Kerl bereits über ihr und versuchte sie mit bloßen Händen an den Boden zu pinnen. Sie wand sich wüst schimpfend und riss sich die Hand mit Kadhúrem los, um ihm damit wuchtig mitten ins Gesicht zu schlagen. Das Kurzschwert riss seine komplette Wange auf und vernichtete sein halbes Gesicht, sodass er brüllend zurückfuhr und Iana wieder auf die Beine hechten konnte.

„Du verfluchte Hure!“, brüllte der Kerl und presste sich noch immer vor Schmerzen keuchend die Hand auf die blutüberströmte Wange, „Das... wirst du büßen!“

„Spuck keine Töne, ich hab keine Angst vor Männern.“, grollte Iana wütend und riss ihre Waffe hoch, als er fluchend zurückfuhr und einem weiteren Angriff von ihr tatsächlich entkam. Die Wunde musste aasig wehtun, aber er schien sich ganz gut gefangen zu haben, schneller als der Frau lieb war, wie sie zugeben musste. Im Handumdrehen war er, wenn auch taumelnd, wieder auf den Beinen, und in dem Augenblick, in dem er einen Feuerzauber nach ihr schleuderte, schwankte die Erde erneut mit einem ohrenbetäubenden Grollen. Iana riss die Augen auf, als sie spürte, wie sie rückwärts von den Beinen gerissen wurde – und noch im Fallen sah sie wie in Trance das gewaltige, tödliche Feuer auf sich zu schnellen, das sie definitiv verbrannt hätte...

Eigentlich.

Es war wie an dem Tag, an dem sie gegen Karana gekämpft hatte auf der zuyyanischen Tundra. Sie wusste nicht mal, woher das Wasser plötzlich kam... es war plötzlich da und mit einem Donnern aus dem gelblichen, kranken Himmel über Yasar traf ihr Wasserzauber das Feuer von Kanau Nomae. Und es geschah nicht ganz das, was Iana erwartet hatte, denn das Feuer erlosch nicht, stattdessen färbte sich das Wasser in der Luft plötzlich flammend rot und wurde zäher – und Kanau lachte ihr gegenüber amüsiert, als sie auf dem Boden aufschlug und über ihr eine kochende, wabernde Masse aus flüssigem Feuer schwebte, wie schwerelos... weil der Gegner sie mit ausgestreckten Händen in der Luft festhielt, wie es aussah.

„Dummes Mädchen. Wasser nützt dir nichts... kein schamanisches Wasser. Ich beherrsche Wasser und Feuer gleichermaßen und kann sie nach belieben kombinieren... dann werden sie zu einer Art magischer Lava. Schade eigentlich um dich... du bist 'ne Hübsche.“

Iana wollte ihn töten allein für die Frechheit, dass er sich anmaßte, Worte zu ihr zu sagen, die allein ihrem verblödeten Ehemann zustanden, aber sie kam nicht dazu, denn in diesem Moment ließ er seine Lava auf sie fallen – und sie wäre zum zweiten Mal eigentlich gestorben, wenn nicht absolut entgegen aller Naturgesetze oder der Schwerkraft plötzlich Yarek aus dem Nichts aufgetaucht wäre, sie gepackt hätte und sie mit einem Tempo zur Seite zerrte, das an sich nicht möglich hätte sein dürfen... aber er schaffte es, sie unter der Lava weg zu ziehen, noch bevor sie auch nur Ianas äußerste Haarspitzen hätte berühren können. Die Frau keuchte und hustete, als der Söldner sie auf die Beine zerrte und sich dann grantig an Kanau wendete, seine gigantisch lange Masamune schwingend.

„Vorsicht mit solchen Worten, Hurensohn.“, warnte er den Magier, „Iana beißt, und ihre Bisse sind giftig.“
 

„Können wir denn nichts tun?!“, fragte Asta unglücklich, und Ryanne kicherte gelassen – oder wahnsinnig – vor sich hin, während sie an ihrem merkwürdigen, freizügigen Gewand herum zupfte.

„Wir sind hier drinnen besser und nützlicher als da draußen.“, stellte die Seherin klar, „Letztes Mal war ich auch drinnen und es war richtig. Wenn der Mann zurückkommt, klaue ich ihm seinen Schädel. Er hat Verstand, ich bin neidisch.“ Asta schien das nicht wirklich zu beruhigen, was Neisa ihr nicht verdenken konnte. Und sie hatte jetzt definitiv keine Nerven für das Gefasel dieser Verrückten, die sich an nichts erinnerte. In ihrem Kopf pochte es, als sie unruhig mit einigem Abstand von den beiden anderen durch den Korridor tigerte und draußen das Kampfgebrüll und das Krachen von Zaubern hörte, die aufeinander prallten. Durch das Schiff ging ein unstetes Beben, das Neisas Knie erzittern ließen, als sie sich noch etwas von den anderen Frauen entfernte. Ihre Sorge galt nicht ihrem Bruder und den anderen – sie hatte ein Gefühl, dass sie das hier unbeschadet überstehen würden. Aber sie sorgte sich um ihren Mann, der seit einer Weile plötzlich aus ihren Visionen verschwunden war. Sie hatte ihn nicht mehr im Auge, egal, wie sehr sie versuchte, sich auf ihn zu konzentrieren, und der Gedanke, Zoras könnte irgendetwas zugestoßen sein, machte sie fast wahnsinnig. Sie wollte nicht so enden wie die Seherin... verrückt, ohne Verstand, einfach nur irre. Ihr Kopf schmerzte heftiger und sie fuhr zusammen, als sie sich zischend an die Schläfen griff und versuchte, mit etwas unbeholfener Heilmagie ihre Schmerzen zu lindern. Sie hatte in letzter Zeit oft Kopfschmerzen gehabt... sie waren eine nervöse Unruhe in ihrem Inneren, ein Schatten, der sie irgendwie alle befiel.

Chenoa hatte sie gewarnt... der Schatten würde an ihnen ziehen. Neisa spürte, wie er an ihr zerrte, und er zog auch an den anderen. An Asta, die völlig verzweifelte war ob ihrer dauerhaften Nutzlosigkeit, an Ryanne, die ihren gesunden Menschenverstand mit jedem Tag mehr einzubüßen schien, an Zoras, der dem Wahnsinn seiner Visionen zu verfallen drohte, jedes Mal, wenn er versuchte, mit den Geistern zu sprechen... jedes Mal, wenn sie ihn festhalten und dafür sorgen musste, dass er nicht zu weit hinaus trieb in den Strom des Geisterreichs. Das Gefühl war unheimlich und ergriff Besitz von ihr, mit jedem Atemzug, den sie tat, mehr und intensiver.

Die Geister wisperten in ihrem Kopf... Worte, die sie nicht verstand.

Sieh mich an... Liebster. Sieh mich an, Zoras!

Und wenn er sie in ihren Traumbildern ansah, sah sie den Schatten... der seine Seele verschlingen wollte. Und ihre. Und sie hörte aus der Ferne das kehlige Lachen einer Bestie, die zu bändigen sie nicht vermochte...

Ihre Macht hatte nachgelassen. Schon lange... waren die Ketten gerissen, in denen das Monster eigentlich hätte liegen sollen. Die sie hätte festhalten müssen... wenn sie gekonnt hätte.

„Der Schattendämon... ist zu mächtig, um ihn zu bändigen. Übrig bleiben... werden Scherben, die ich... nicht einzusammeln vermag. Scherben... alles, was von der Macht, die ich einst hatte, noch übrig ist... ist es nicht so, Liebster?“

Sie verstand ihre eigenen Worte nicht. Es waren Worte, die Neisa nicht selbst gedacht hatte... als hätte jemand anderes sie durch ihren Mund gesagt, wie es schon öfter passiert war. Und doch waren sie so vertraut... und das Gefühl, das zu ihnen gehörte, diese zum Verzweifeln grauenhafte Ohnmacht... war es ebenso. Und ihr Kopf schmerzte wieder heftiger, als sie das Gesicht herrisch erhob und merkte, dass ihr gegenüber plötzlich ein Typ stand, den sie nicht kannte – ein Typ von Scharan. Und er starrte sie an, absolut perplex, bis er endlich den Mund auftat.

„Wieso... gerate ich eigentlich jedes Mal, wenn ich hierher geschickt werde, an irgendeine wahnsinnige Seherin?! Letztes Mal war es die aus Fann, jetzt...“ Er machte eine erschrockene Pause und fixierte Neisas Gesicht so intensiv, als würde er darin den Schlüssel zur Unsterblichkeit finden, wenn er nur lange genug starrte. „Gezeiten, du bist Neisa Lyra... du bist die Urenkelin der Seherin Salihah... Kelars Ehefrau.“

„Und mit wem haben wir die Ehre?“

Die Stimme kam von vorne, und der Kerl vor Neisa fuhr herum, während sie strauchelte – hinter dem Kerl war Yarek aufgetaucht, ein wenig aus der Puste und höchst missgelaunt, die Masamune gezogen. Neisa sprach den Namen des Heilers vor ihrer Nase aus, ehe er es selbst hätte tun können, und sie wusste gar nicht, woher sie ihn kannte – vermutlich hatte Ryanne ihn einst erwähnt, aber es fühlte sich nicht an wie eine Erinnerung an etwas einst Gesagtes... es war Instinkt.

„Turo Ankti... der Junge, dessen Verstand Ryanne haben will... wie bist du hier reingekommen?“

„Da ist ja mein jungfräulicher kleiner Freund!“, johlte Ryanne da auch schon hinter ihr und Neisa sah den Kerl entsetzt die Luft einziehen.

„Alter – g-geh mir vom Leib, du Irre, und – nun, wie bin ich wohl herein gekommen, durch die Tür, schätze ich. Da alle anderen beschäftigt waren... und da mir irgendwie jedes Mal eine durchgeknallte Frau mit Psychosen in den Weg kommt, schiebe ich das nächstes Mal an wen anderes ab – war nett mit euch.“

Er war flink – Neisa wusste noch nicht genau, was passierte, als er urplötzlich herum wirbelte und an Yarek vorbei sprang, ihn dabei mit der bloßen Hand gegen den Arm mit der Masamune schlagend – die der Söldner daraufhin verblüfft fallen ließ, als der Feind so plötzlich an ihm vorbei gestürmt war, und Ryanne kicherte und warf einen Telekinesezauber nach ihm, um ihn einzufangen – es war ein ohrenbetäubendes Brüllen aus den Tiefen der Erde, das sie allesamt inne halten und augenblicklich alles andere vergessen ließ... einen Moment später begann die Erde so heftig zu beben, als würde der ganze Planet auseinander brechen.
 

Eneela strauchelte und fuhr zusammen bei dem grellen Aufflammen von Feuer irgendwo rechts von ihr. Das wurde ihr fast zum Verhängnis, denn der Mann, der mit Pflanzenranken zaubern konnte, erwischte sie mit einer seiner Ranken am Bein und riss sie in die Luft, bis sie japsend kopfüber hin und her baumelte. Sie schalt sich eine Närrin, weil sie durch ihre Panik vor dem Feuer so nutzlos war. Der Versuch, die Wasserbestie Yolei zu beschwören, war gründlich daneben gegangen, denn der Typ, mit dem sie kämpfte, beherrschte Pflanzen... und denen machte Wasser absolut nichts aus. Selbst der Versuch, ihn mit einem gezielten Wasserstrahl von Yolei durchbohren und weg schießen zu lassen, war fehlgeschlagen, weil er einen der umstehenden Riesenbäume kontrolliert hatte, der ihn mit einem Ast hinauf gehoben hatte, sodass der Wasserstrahl vorbei gegangen war. Jetzt stand Yatli wieder auf dem Erdboden und lachte sie aus, als sie kopfüber in der Luft baumelte und ihre Beine von den Ranken langsam zermalmt wurden.

„Wie armselig... Eneela Kaniy.“, schnaufte er dabei grinsend, „Bist du nicht das Mädchen, das fliehen konnte? Die Sklavin, die trotz der Drogen beschwören konnte? Das war sensationell, habe ich gehört, und der Meister war ganz schön sauer deswegen... und jetzt fange ich dich so einfach ein und... das war's?“

„Sprich nicht... meinen Namen aus!“, zischte Eneela und sie sah sein Grinsen verschwinden, als sie sich wütend in seiner Schlinge wand und die Arme gen Erdboden streckte. „Komm... Urak!“

„Was zum-...?!“, schnaufte Yatli und sprang zurück, als unter der Stelle, über der Eneela hing, der Boden aufbrach und daraus eine weitere Pflanze heraus schnellte. Ein Monster aus Ranken und Tentakeln ähnlich dem Zauber, den er selbst verwendete... aber das, was Eneela rief, war kein Zauber, sondern eine Lian. Die Bestie der Erde... sie hatte sie schon einmal im Karanyi-Nebel beschworen. „Und du beschwörst eine Pflanze, um damit eine Pflanze zu bes-... aah!“ Er schrie empört, als die Lian tatsächlich schneller als erwartet aus dem Boden schoss und mit den Ranken mit messerscharfen Schlägen seinen eigenen Zauber zerschnitt, sodass Eneela zu Boden stürzte – die Lian fing sie mit einer anderen Ranke auf und stellte sie behutsam, beinahe zärtlich, auf dem Boden ab, und Yatli schnaubte.

„Töte ihn... Urak.“, zischte das blasse Mädchen erfüllt von tiefem Zorn, der gar nicht in erster Linie Yatli selbst galt... er galt Scharan. Dem Bastard, der ihre Mutter getötet hatte... und ihr Volk versklavt. Sie würde nicht zulassen, dass es verblendete Penner gab, die diesem Monster gehorchten... und wenn sie sie alle einzeln auslöschen müsste.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und die Macht, die sie verwendete, um die Bestien zu rufen, war wie ein Blutrausch, der sie fast um den Verstand brachte, als sie strauchelte und Yatli mit seinen Ranken gegen die Ranken der Lian kämpfte. Schließlich fluchte der Mann ungehalten und hechtete zurück, zerschlug mit einer seiner Ranken einen Teil von Urak und wich gleichzeitig einem Angriff aus, ehe er die Hände auf den Boden presste.

„Scheiße, ich lasse mich doch nicht von einer verdammten Sklavenhure töten!“, brüllte er, und was dann geschah, überstieg Eneelas Auffassungsvermögen ein wenig. Der ganze Urwald um sie herum begann plötzlich zu beben mit einer Intensität, die sowohl sie als auch alle anderen inne halten ließ. Sie taumelte rückwärts und rief Urak geistesgegenwärtig zurück, weil sie das Gefühl beschlich, mit der Erdlian nicht mehr viel ausrichten zu können... als die Palmen, Farne, Wurzeln und alle möglichen, riesenhaften Pflanzen des grauenhaften Waldes sich plötzlich auf sie zu bewegten und mit einem donnernden Brüllen aus der bebenden Erde zum Angriff übergingen.

Irgendwer schrie ihren Namen; Eneela wusste nicht, wer es war. Es donnerte über ihr, unter ihr, in ihr, überall, und sie schrie, als die Farne aus dem Urwald unter Yatlis Kontrolle nach ihren Beinen angelten, während der herunter schwingende Ast einer riesenhaften Palme sich um ihren Arm schlang und sie hoch in die Luft hinauf riss. Ein anderes Gestrüpp schlang sich um ihren Rumpf und fesselte sie; das Gefühl der Ranken, die sich um ihren Körper wanden und sie zerquetschten, war so grauenhaft, dass sie nicht mal mehr schreien konnte, und Panik ergriff das junge Mädchen. Irgendwer schrie... irgendwo ganz weit unten. Eneela kniff hysterisch die Augen zu und versuchte panisch, sich zu winden, sich loszureißen aus den festen Griffen der wild gewordenen Urwaldpflanzen, doch es schien absolut zwecklos. Jetzt umschlang eine Ranke ihren Hals und drückte fest zu, sodass sie keuchte und in blinder Todesangst noch heftiger zu zappeln begann.

Warum bin ich immerzu nur nutzlos?! Warum kann ich nicht alleine gegen diese Leute bestehen und... muss mir immer helfen lassen? Oder sterben...?

„N-nein!“, würgte sie und schnappte hysterisch nach Luft, als sie ihre Hände mit aller Kraft, die sie im Angesicht des drohenden Todes aufbringen konnte, ein Stück weit von ihrem Körper weg zerren konnte, „Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben! Verschwindet, elendes Unkraut... verschwindet!“ Sie spürte die Hitze der Magie durch ihre Adern rasend schnell in ihre Hände rauschen, auf eine Art, die sie noch nie erlebt hatte... es war, als würden die Lians, die sie befehligen konnte, von selbst kommen, um ihren Tod zu verhindern, obwohl sie kaum fähig war, auch nur einen Namen der Bestien auszusprechen... davon abgesehen, dass sie nicht mal wusste, welche Lian ihr jetzt helfen könnte. Es war eine verblüffende Stimme in ihrem Kopf, die zu ihr sprach... Worte, die Eneela in Panik versetzten.

„Feuer... verbrennt das Unkraut, Eneela. Lass sie brennen... jetzt!“

Und sie gehorchte... ohne es selbst wirklich zu registrieren, denn von sich aus wäre die letzte Lian, die sie jemals gerufen hätte, die des Feuers... weil sie das Feuer mehr als alles andere fürchtete.

Das Feuer, das ihre Mutter getötet hatte...

„Lavia!“, keuchte sie kaum bei Atem, als die Pflanze ihr die letzte Luft aus den Lungen zu pressen drohte... sie war kaum bei Bewusstsein, als sie den Namen der Bestie des Feuers aussprach. Sie spürte die Hitze, die plötzlich um sie herum aufflammte... eine angenehme Hitze war es, und ein gutes, angenehmes Leuchten, obwohl sie es nur hinter geschlossenen Lidern wahrnahm. Erstaunt stellte sie fest, dass sie vor dem Feuer, das sie gerade selbst beschworen hatte, keine Angst hatte... dann spürte sie, wie die Ranken sie losließen und unter dem Brüllen der Erde und dem wüsten Fluchen eines Mannes – sie vermutete, dass es Yatli war – zurück wichen, sodass die Lianerin zu Boden stürzte... sie wurde von etwas Warmem aufgefangen wie von einem Kissen aus purer Wärme und Licht – als sie benommen die Augen öffnete, sah sie sich auf dem ausgebreiteten, flammenden Flügel von Lavia liegen, der Bestie, die Gestalt eines brennenden Vogels annahm. Verblüfft stellte sie fest, dass ihr das Feuer von Lavia gar nichts anhaben konnte... es war etwas anderes, was sie sowie auch Yatli, der aufgesprungen war, und alle anderen herum fahren ließ. Plötzlich gab es ein so ohrenbetäubend lautes Krachen direkt unter ihnen, dass Eneela glaubte, die Welt würde explodieren... und das Entsetzliche war, sie tat es offenbar wirklich.

Mit einem Mal zerbrach die Welt um sie herum. Lodernde Flammen, die so hoch in den Himmel hinauf ragten wie die grauenhaft gigantischen Bäume, waren plötzlich überall, und Eneela ließ Lavia eher unterbewusst verschwinden, ehe sie sich aufrappelte, am ganzen Leibe zitternd, und zu den anderen blickte, die wild durcheinander schrien und den Kampf ob dieses Spektakels gerade einstellten.

„Was zur Hölle?!“, schrie Karana mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, „W-was... ist das?!“

„Der... der ganze, verdammte Wald brennt!“, brüllte Kanau, „Scheiße, zurück, Männer! - Verdammt, Turo, lauf, sonst werden wir alle verrecken!“ Niemand hielt die Feinde auf, als sie panisch die Flucht ergriffen – und Eneela spürte, wie sie von jemandem gepackt wurde, der plötzlich hinter ihr auftauchte. Erschrocken fuhr sie herum und starrte in Simus fassungsloses Gesicht.

„Weg hier!“, fuhr der Blonde sie an, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, „D-das ist die Katastrophe, von der Thira erzählt hat! Der Planet wirft uns raus, los, beeilt euch!“

„B-bist du sicher?!“, keuchte Iana, während Eneela schon gehorchte und zum Schiff rannte, das bedrohlich bebte. Hinter Simu waren auch Thira mit gezückter Waffe und ein verblüffend bleicher Zoras aufgetaucht, und Karana packte Tayson am Kragen, der noch immer entsetzt auf das Inferno starrte. Es war, als würden aus der Erde Flammen brechen, die den ganzen Urwald in ein einziges, riesiges Feuer verwandelten.

„Packt noch so viel vom Proviant ein, wie ihr tragen könnt, und dann nichts wie weg hier!“, schrie Thira und sprintete bereits los in die Tari Randora, um sie schon zu starten, wie Eneela vermutete. Simu schubste sie ins Innere des Schiffes, um wieder hinaus zu rennen und Karana, Iana und Tayson zu helfen, noch zwei Arme voll von dem Provianthaufen mitzunehmen, der den Kampf teilnahmslos verfolgt hatte. Es donnerte und ein gewaltiges Beben riss die Lianerin von den Beinen, sodass sie rückwärts in den Korridor kippte und gegen Asta stieß, die zusammen mit Neisa, Yarek und Ryanne auch auftauchte.

„Rennt!“, brüllte Letztere gellend, als Thira den Motor des Schiffs startete und bereits ein Ruck durch die Tari Randora ging; Karana und die anderen hasteten in letztem Moment mit ein paar Vorräten durch die Tür des Raumschiffes, und sobald Tayson als Letzter endlich drinnen war, knallte die Seherin die massive Stahltür zu. Es wurde dunkel auf dem Korridor, als die Kameraden keuchend zu Boden sanken, um sie verteilt die Vorräte, die sie hatten retten können. Als das Schiff startete und wegfuhr von den Flammen, die mit lautem Dröhnen den ganzen Wald vernichteten und sie um ein Haar mit gegrillt hätten, begann Eneela zu weinen, als der Schock über das plötzliche Inferno von ihr abfiel.

„I-ich dachte, wir sterben!“, keuchte sie fassungslos und fuhr sich bebend mit den Händen über das bleiche Gesicht. Simu keuchte heftig nach dem Sprint zum Schiff und fasste ihre Hand, um sie festzuhalten und ihr wie immer Trost und Schutz zu spenden. Es war die Seherin, die etwas recht eigenartiges zu dem Thema sagte... und dabei wie immer irre vor sich hin grinste.

„Ach was, überbewertet. Ihr könnt gar nicht sterben, bis eure Aufgabe erfüllt ist... dafür werden sie sorgen, und wenn es das Letzte ist, das sie tun... ah, sieh an.“ Eneela konnte sie nur anstarren und wusste nicht, wie sie diese Worte begreifen sollte – ebenso wenig wie alle anderen, die die blonde Fannerin auch anstarrten, die in dem Haufen Proviant eine der Regenbogenfrüchte fand und sie aufhob. Sofort färbte sich die Frucht leuchtend rot. „Sieh an, Rot für die Seele... der Götter, hehe.“ So gackerte sie, ehe sie genüsslich in die Frucht biss.
 


 

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Yeah, Kapi sechs :D Dödödödöh.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Izumi-
2013-07-03T18:40:28+00:00 03.07.2013 20:40
Das Kapitel war lang. ö.ö
Na, mal schauen, was gab es denn? Simu ist jetzt ein richtiger Zuyyaner, yay ^o^ Mir fällt gerade noch mal auf, wie sehr ich ihn mag, er ist voll cool... <3
Das kleine Random-Gespräch mit Tayson so zur Abwechslung war eigentlich auch ganz nett, Tayson ist lieb. ^^ Irgendwie ist es seltsam, früher, als ich Fm zum ersten Mal gelesen hab, fand ich Tayson jetzt eher random (klar, storytechnisch ist er das wohl auch, aber auch charakterlich, mein ich), dafür bin ich voll auf Zoras abgefahren und hab mich total gefreut, als er und Neisa dann zusammen waren... heute ist es irgendwie gar nicht mehr so. ö.ö Ich mag Zoras immer noch, aber irgendwie find ich Tayson heute toller. Seltsam. óô
Schön war dann auch, wie sie alle herumbitchfighten, wer nun Simu begleiten darf und er einfach voll genervt weg geht. XD Hab ich gefeiert, aber Zoras wäre mal lieber da geblieben, wo er gewesen ist.
Irgendwie sind Zuyyaner ja schon ganz schöne Übermenschen. oô Ich meine, generell kommen ja Schamanenkämpfe viel häufiger vor und die ballern ja auch ganz beeindruckend herum, aber wenn ich mir zum Beispiel ansehe, wie Zoras gegen Yamuru da steht... das ist schon krass, wenn man bedenkt, dass er eigentlich absolute Schamanen-Elite ist. o_O
Yamuru ist eben cool und Thira auch. <3 Simu muss das mit dem cool sein noch mal üben, aber hey. Leider hat Zoras jetzt ein funktionstüchtiges Ohr weniger, na toll... ='D Aber ist ja nicht so, dass er der einzige Quotenbehinderte bleiben wird, höhö. Gleichberechtigung und so.
Scharans Deppen da sind aber auch immer wieder herrlich, voll schade, dass sie eigentlich alle Sterbestatisten sind. oô Ich mag Kanau. <3 Und... na ja, eigentlich alle. XD Oh, und Iana darf random wieder zaubern, das sollte sie mal richtig lernen. oô
Asta ist btw. voll arm, ich meine, mit diesen beiden Mongo-Tanten da im Schiff zu hocken, während draußen die Welt unter geht... XD Ich meine, Ryanne ist ja sowieso bekloppt und Neisa sieht tote Menschen, oder so, also ein Vergnügen ist das nicht! XD Gell Iruka.
Oh, und ein großes Herz für Eneela. Was ich an der neuen Version von Fm voll mag ist, dass sie gar nicht mehr so hilflos und zerbrechlich wirkt, ohne dabei ooc zu werden. Ich meine, sie entwickelt sich und sie kann was, eigentlich ist sie eine richtige Poserin und das ist auch gut so. oô Ich befürworte das. ^o^
Und dann geht die Welt wirklich unter, haha. XD Dieser Mond ist eine ganz schöne Zicke... XD
Mochte Kapitel ^o^
Antwort von:  -Izumi-
03.07.2013 20:41
... wtf, so viel zum Reload-Schutz o_O


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