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Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels

Drittes Buch
von

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Kadhúrems Schatten

Sie beobachtete, wie Thira Jamali von Okothahp die Tari Randora verließ und sie wusste ganz genau, wohin die Zuyyanerin gehen würde. Bebend presste sie sich die Hände auf den Mund, um das Kichern zu unterdrücken, das ihr zu entweichen drohte, weil das alles ungeheuer witzig war. Die violetten Iriden sahen innerlich zu, wie das Mädchen, das sich unbemerkt glaubte, verschwand, erst, als Thira die Tari Randora ganz verlassen hatte, erlaubte Ryanne sich, zu kichern, dabei wippte sie auf den nackten Fußballen vor und zurück, auf denen sie im Korridor hockte.

„Haha, ja, wir wissen genau, wo du hingehst, Prinzessin des Nordreiches.“, giggelte die Seherin, „Geh nur, geh und habe Spaß. Denn bald kommt der Abgrund und da wird dein Spaß... scheitern.“ Sie kicherte immer noch und wippte weiter auf ihren Fußballen herum. Dabei fiel ihr ein, wenn sie den Abgrund erreichten, würde es dunkel werden. Sie sollte sich selbst aufschreiben, was sie zu tun hatte, wenn sie da wären – denn wenn es erst soweit war, würde sie sich nicht mehr erinnern können und dann wäre die ganze Arbeit umsonst. So dachte sie noch, und im nächsten Moment hatten ihre Gedanken einen Riss. Als sie wieder denken konnte, war Yarek vor ihr. Wie immer steckte zwischen seinen Lippen eine Zigarette und er sah etwas irritiert auf sie herunter.

„Was grinst du denn so debil? – Halt, warte, das tust du immer. Aber wieso wackelst du hier mutterseelenallein auf dem Korridor herum?“ Er nahm die Kippe nicht aus dem Mund, wenn er sprach. Ryanne erhob sich und grinste ihn an, sah hinauf in sein Gesicht. Ihr Unterarm schmerzte und sie wusste nicht wieso – erst, als Yareks Blick direkt darauf fiel und sich seine Brauen hoben, bemerkte sie die blutverschmierten Wunden in ihrem eigenen Arm und blinzelte ein paar Mal.

„Huch! Was ist denn das?!“

„Hast du versucht, dich umzubringen?“, fragte Yarek, „Reichlich erfolglos.“

„Ich glaube auch – na ja, mit einer unsterblichen Seele ist das schwer.“ Das sagte sich leicht, aber sie hatte keinen Schimmer, warum ihr Arm blutete... was hatte sie gemacht? Hatte sie das gemacht?
 

Der Teil in ihr, den sie nicht bändigen oder verjagen konnte... der Teil in ihr, der ihre Erinnerungen fraß.

Sie hasste ihn... wie hieß sie eigentlich?
 

„Da steht irgendwas, oder?“, fragte Yarek, die Kippe zwischen seine Finger genommen, und sah auf ihren blutenden rechten Unterarm. „Das sind Schriftzeichen... schneidest du dir Buchstaben in den Arm, Seherin?“ Sie fand, die Frage war überflüssig, andererseits wusste sie es auch nicht besser. Und wenn sie es getan hatte, war sie so umsichtig gewesen, in einer Schrift zu schreiben, die sie nicht lesen konnte. Bei näherem Hinsehen sah es wirklich nach Buchstaben aus... aber es war nicht die Einheitsschrift von Tharr...

Sie unterbrach ihre Gedanken, weil sie wieder kichern musste. Yarek zog die Brauen wieder hoch, als sie ihren verwundeten Arm mit merkwürdigen Buchstaben ignorierte und ihn anstrahlte.

„Willst du nicht wissen, wo Thira ist?“

„Wieso Thira?“, fragte er, „Hast du sie gerade gesehen?“

„Vielleicht.“, sagte sie und giggelte, als sie an die Zuyyanerin dachte, „Fort ist sie, fort, fort!“

„Super. Sie ist sicher schlafen gegangen.“

„Sie hat die Tari Randora verlassen.“, grinste Ryanne und es amüsierte sie, wie Yareks Gesichtszüge auf einen Schlag ernst wurden. Sie tänzelte um ihn herum und das Kichern machte ihr Spaß, obwohl sie nicht wusste warum und ihr Kopf höllisch schmerzte. Yarek verfolgte sie mit seinen Blicken argwöhnisch. „Guckst du aber böse!“, sagte sie zu ihm und er hielt ihr Handgelenk fest, das noch vom herab gelaufenen Blut ihres Arms verschmiert war.

„Antworte. Wann ist sie weggegangen?“ Der Ton in seiner Stimme ließ sie schaudern, aber es war ein gutes Schaudern. Sie sah ihn an und sah seinen Geist... und das Schicksal, das er hatte, der Mann ohne Zukunft.

Sie war die Frau ohne Vergangenheit. Sie beide gaben ein tolles Paar ab, fand sie, und der Gedanke machte sie euphorisch.

Sie hätte ihn gerne geküsst, aber er schob sie von sich weg und schien nicht sehr willig.

„Antworte.“

„Schläfst du dann mit mir?“, freute sie sich und er murrte.

„Das würde ich auch so, aber nicht jetzt. Antworte.“

„Kaum wenige Momente her.“ Ja, sie konnte sie genau sehen, sie sah genau, wie Thira auf dem anderen Schiff war, was sie machte... die Bilder ließen sie kichern. „Ja, ja, ei, böse Thira, Blutschänderin.“

„Blutschänderin?“, wiederholte Yarek und ließ ihr Handgelenk ungalant los, ehe er zurück trat, „Was genau soll das heißen? Wohin ist sie gegangen?“ Ryanne wiegte sich hin und her.

„Die Frage ist viel wichtiger, wieso? - Wohin ist ja wohl kein Rätsel – wie viele Orte gibt es hier, an die sie wollen könnte?“ Sie sah dem Mann ins Gesicht und sah seinen Scharfsinn, und sie wusste, dass er es auch wusste. Yarek sagte einen Moment nichts.

„Yamuru, ihr Cousin.“, sagte er dumpf und Ryanne kicherte, weil er gut im Raten war. Oder wissen – er war ein kluger Mann ohne Zukunft. Vielleicht sollte sie seine Seele aufessen.

Aber nein, dann hätte sie nichts mehr von ihm und seinem Scharfsinn.

„Was... will sie bei ihm?“, fragte der Söldner und sie lächelte unsterblich – sie beide wussten, wie überflüssig die Frage war, denn Ryanne verriet ihm die Antwort bereits mit einem eindeutigen Blick.

„Fragst du das noch?“
 

Karana zischte und stieß Neisa von sich, als der Verband fest saß. Sein rechtes Auge schmerzte bis zum Himmelsdonner – er fragte sich wutentbrannt, wie es schmerzen konnte, wenn da gar kein Auge war. Da war nur eine matschige Masse gewesen, die Zoras' Zauber übrig gelassen hatte, und er verfluchte Neisa und ihren verdammten Gatten für das, was er ihm angetan hatte.

„Fass mich nicht an!“, fuhr er sie an und seine Schwester verengte die verschiedenen Augen zu schmalen Schlitzen. In ihm regte sich irgendein Gefühl, als er ihren Zorn sah, gepaart mit Sorge, aber ihre Blicke erweichten ihn nicht mehr.

Er begehrte sie nicht... diese Verräterin, die ihn mit ihrem vermaledeiten Liebhaber zusammen in den Abgrund schmeißen wollte. Er würde sie zwingen, vor ihm zu knien, sie, Zoras Chimalis, sie alle... wie Würmer würden sie kriechen, wenn er es befahl, denn die Macht über das Fluchmal war sein allein!

Auch du wirst kriechen, Manha... wenn ich dich töte, bin ich der einzige Erbe von Lyrien. Der einzige, dem die Ehre gebührt... und vor dem die Geister kriechen werden!

Er fasste zischend nach dem Verband, der die Wunde verdeckte, als er sich aufsetzte und der Schmerz pochend wie eine Strafe sämtlicher Geister durch sein malträtiertes Gesicht fuhr. Verdammt, sein Gesicht! Sein schönes, makelloses Gesicht, wäre er eine Frau oder sein Vater, hätte er jetzt gern geheult.

Sein Vater war Geschichte... jetzt war er der Herr der Geister, denn er war es gewesen, der mit Hilfe des Fluchmals seinen Vater ermordet hatte. Wer den Herrn der Geister im Kampf schlagen konnte, trat an seine Stelle... als höchster Vertreter der Geister. Der Gedanke berauschte den Mann, als er sich schwankend erhob und sein Blick auf Iana fiel, die in seine Richtung griff und ihn am Arm festhielt.

„Du solltest liegen bleiben.“, sagte sie zu ihm und er schnaubte und riss sich unwirsch los.

„Gib mir keine Befehle!“, fuhr er sie an, „Fort mit euch! Bringen wir es endlich zu Ende... finden wir die Trias und dann zerfleischen wir Manha und seine Hunde!“

„Du hast gerade ein Auge verloren, wie willst du da jemanden zerfleischen?“, hörte er Neisas Stimme, und er wollte ihr gerade antworten, da unterbrach Yarek Liaron seine wütenden Gedanken, der zusammen mit der Seherin zur Tür seiner Kammer zurückkehrte.

„Es gibt da vermutlich etwas, das wir im Auge behalten sollten.“, war die Ankündigung des Söldners und er erntete von den Anwesenden ungeteilte Aufmerksamkeit. Karana spürte seinen Kopf schmerzen und wie alles in ihm vor Zorn zitterte aus einem Grund, den er nicht mal richtig kannte. Er spürte Ianas bohrenden Blick in seinem Rücken und er wusste nicht, warum er plötzlich so ein seltsam beklemmtes Gefühl bekam, als er ihrer kalten Blicke gewahr wurde... fast wie Angst.

Ich habe doch keine Angst vor meiner eigenen Frau! Ich bin der Erbe von Lyrien... der König aller Magier!

„Was gibt es denn, Yarek?“, hörte er Iana fragen und er verkrampfte sich irgendwo, als er dem Größeren in das ernste Gesicht starrte. Yarek nahm seine Kippe aus dem Mund – doch ehe er sprechen konnte, tat es Ryanne, die kichernd an ihm lehnte und mit den Händen spielerisch an seiner Hose fummelte. Karana starrte auf ihre Hände und Yareks Hose und lauschte ihren Worten nur halb:

„Thirachen geht hinter eurem Rücken weg und amüsiert sich mit ihrem klugen Cousin.“, trällerte sie und der Moment, in dem sie Yamuru erwähnte, ließ Karana aus seinem Zorn fahren – in dem Moment erinnerte er sich plötzlich an einen Traum, den er unlängst gehabt hatte. Einen Traum, in dem Thira ihm mit Yamuru an der Hand den Rücken gekehrt... und sie alle verraten hatte.

„Was... sagst du da?!“, keuchte er und während Iana hinter ihm die Luft einzog, offenbar erstaunt, grinste die Seherin ihn wissend an... und ihm war klar, dass sie seine Gedanken gesehen hatte.

„Richtiges... schändliches... Vergnügen.“, raunte sie, indem sie Yarek mit der Hand auf der Hose in den Schritt fuhr, bis er ihre Hand festhielt und wegschob, genervt irgendetwas murrend. „Wie du es kennst, Karana... nicht wahr? Ich sehe... dich. Und deine Gedanken... von früher.“ Er hatte nicht mal die Nerven, zu erröten oder irgendetwas zu denken, weil sie vermutlich auf Neisa anspielte, seine Schwester, die er vor kurzem noch wie eine Frau begehrt hatte.

„Wenn sie uns mit diesem Penner hintergeht... reiße ich sie... in Stücke!“, zischte er und bebte, als der Schmerz in grauenhafter Stärke in sein Gesicht zurückkehrte. Er beherrschte das Fluchmal... er würde keine Schwierigkeiten haben, Thira Jamali zu töten, nicht einmal dann, wenn sie Zuyyanerin und von mächtigem Blut war.

Er war der Herr der Geister. Der Herr über die Geister von Himmel und Erde... der Herr über den Schatten, vor dem er ewig weggelaufen war. Jetzt war der Schatten sein Verbündeter... Manha hatte recht gehabt, mit ihm war er stärker. Mächtiger. Die Gedanken machten ihn euphorisch und er lachte laut auf, als er die Seherin am Arm packte, der irgendwie verletzt aussah, worauf sie zischte.

„Dann bring uns... rüber auf Manhas Schiff!“, grollte er, „Ich werde sie finden, und wenn sie mit ihrem Cousin Blutschande treibt und uns hintergeht auf so... schmutzige Weise... wird sie sterben! - Yarek! Ruf die anderen zusammen, wir gehen rüber! Dieses Mal werden sie kriechen... dieses Mal entkommen sie mir nicht! Nicht Thira und Yamuru... nicht Kanau, Rok und die anderen Deppen... nicht Kyeema, nicht einmal Ulan Manha! Jetzt... werden sie sterben, noch bevor wir am Abgrund sind, und ich werde der König aller Dinge sein, noch bevor die Sonne der neuen Welt aufgegangen ist!“ Er nahm kaum Notiz von dem, was seine kleine Schwester grollte, als der Rausch aus purer Macht durch seine Adern strömte wie ein gewaltiger Fluss, als alles in ihm nur danach lechzte, die neue Macht einzusetzen, sie alle zu zerfetzen mit seinem Fluchmal, dem Schatten, den er jetzt ein für allemal beherrschte, der ihn nie wieder in die Knie zwingen würde... sie war ihm egal. Sie war Neisa... und dafür, dass sie ihn so schändlich verraten hatte, würde er sie bluten lassen, schwor er sich wutentbrannt, als die Macht in ihm zunahm.
 

„Wenn du das tust... wird es keine neue Welt und keine Sonne geben, Kelar.“
 

Weil sie eine Einheit waren, konnten sie einander orten. Zoras konnte Thiras Anwesenheit ganz deutlich spüren und die Richtung benennen, aus der sie kam, als sie mit Hilfe von Ryanne (und Tayson, der sie schwungvoll und tatsächlich verblüffend geschickt nahe genug an Manhas Schiff heran manövriert hatte) auf das feindliche Schiff geraten waren und den Korridor hinab jagten auf der Suche nach ihrer verschollenen Kameradin. Zoras wusste, die fünf anderen spürten es genauso, vielleicht tat es auch Ryanne, sie war die Seherin. Aber viel einnehmender als Thiras Präsenz war eigentlich die von Karana, und sie machte ihn fast wahnsinnig – er hatte es für klug gehalten, seinem Schwager nach dem Desaster mit seinem Auge weitläufig auszuweichen, denn wenn Karana ihn bisher nur gehasst hatte, würde er jetzt keine Gnade mehr kennen. Vielleicht nicht zwingend wegen des Auges, denn eigentlich besaß der Karana, mit dem Zoras quasi aufgewachsen war auf Tharr, immerhin den Stolz eines Kriegers und jammerte nicht über so etwas. Aber das hier war nicht der Karana von Tharr... das war der Dämon, und er war ebenso wenig berechenbar oder gutherzig wie Ulan Manha, oder Kelar Lyra, wer immer er sein mochte... Karana war ein Stück von beiden, irgendwie. Und er war so absolut hasserfüllt und voller Zorn, dass er wie ein Berserker durch die Korridore stampfte, allen voran, selbst der militärisch ausgebildete Yarek hatte kaum eine Chance, ihn einzuholen, und er schien sich mächtig darüber zu ärgern. Zoras, ganz am Ende der wilden Truppe, umklammerte nervös seine Hellebarde und überlegte wie wahnsinnig, was er tun sollte, würden sie Thira finden – denn in dieser Stimmung würde Karana sie in Stücke reißen, ehe sie auch nur zu einer Erklärung ansetzten könnte, und das wäre schlecht für sie alle.

Es würde schon einen Sinn haben, dass sie Sieben und nicht Sechs sein sollten.

„Und wer weiß? Vielleicht hat es ja einen Sinn, dass Karana einen an der Klatsche hat?“ Zoras fuhr herum, als er plötzlich Ryannes Stimme direkt neben seinem noch funktionierenden Ohr hörte, und vor Schreck sprang er zur Seite und hätte ihr beinahe mit der Hellebarde den Kopf abgeschlagen. Die Seherin grinste ihn an mit diesem Blick, der ihn immer nur gruselte, während sie weiter hasteten, mehr oder minder Karana nach, der eine Aura purer Mordlust ausstrahlte. „Ich meine, wissen wir es, Zoras Chimalis? Wenn wir alle einen Grund haben, geboren worden zu sein, muss auch alles, was wir tun, einen Sinn haben, oder nicht?“

„Du weißt es ja wohl am besten. Du bist die Seherin.“, schnarrte er und sie kicherte.

„Wir wissen nicht alles... nur das meiste.“ Er wollte sie fragen, seit wann sie von sich selbst in der Mehrzahl sprach, aber dazu kam er nicht, denn ihr Rennen durch die Korridore wurde jäh unterbrochen.

„Weiter kommt ihr nicht!“, brüllte Kanau irgendwo vorne angriffslustig, „Heute werdet ihr verrecken!“ Das waren wirklich beeindruckende Worte, fand Zoras genervt, und kaum einen Moment später schleuderte Karana den Gegnern einen monströsen Windzauber aus purer Mordlust entgegen, dem die komischen Schakale von Scharan nur zufällig oder mit viel Glück entgingen, indem sie sich schreiend nach allen Seiten retteten.

„Ihr werdet Thira nicht beschützen, ich werde die Blutschänderin finden und zerfetzen für ihren Verrat!“, schrie Karana, „Ich bringe euch um, geht mir aus dem Weg!“

„W-was, Thira?“, empörte sich Rok irgendwo, „Was soll das heißen, wir haben mit ihr nichts zu-...!“

Angriff!“, brüllte Kanau, und schon brach das Chaos aus – Zoras war ganz hinten und bekam nicht viel mit, außer dass sich plötzlich jeder auf jeden stürzte und Karana um jeden Preis versuchte, weiter nach vorne zu preschen, woran Kanau ihn hinderte. Kyeema war auch da, dieses durchgeknallte Lianermädchen, das Scharan für seinen Vater hielt, und plötzlich fegte ein brennender Vogel über Zoras' Kopf hinweg und sengte ihm die Haarspitzen an, worauf er fluchend herum fuhr und seine Waffe genervt fester packte. Die Seherin war plötzlich verschollen und er fluchte ungehalten – der Feuervogel kehrte zurück und griff ihn an, er schleuderte die Lian mit einem Blitz aus der Hellebarde zurück durch die Luft. Verdammt, er hatte keine Zeit dafür! Keiner von ihnen hatte Zeit dafür, sie waren kurz vor dem Ziel, sie mussten Thira wiederfinden, egal, was immer sie hier getrieben haben mochte, es war jetzt vorbei und allem voran mussten sie irgendwie Karanas Wahnsinn stoppen – dachte Zoras, einen Augenblick später legte einer dieser irren Windzauber den halben Korridor in Fetzen, ohne Rücksicht auf Verluste fegte Karana Kanau und Yatli vor sich weg, um dann mit einem irren Schrei herum zu fahren und dabei das Schwert von Mihn empor zu reißen.

„Ihr... werdet... alle sterben!“, keuchte er und lachte dabei wie ein Geisteskranker, und Zoras konnte ihn nur anstarren, spürte, wie Karanas Blick direkt auf ihm lag, wie er ihn durchbohrte und wie in den grünen Augen eine Aggression und ein so gewaltiger Zorn war, dass Zoras das Bedürfnis verspürte, zurückzutreten oder auf die Knie zu fallen. Es war erdrückend, der Blick spießte ihn regelrecht auf und er konnte die Finsternis in Karanas Geist sehen... wie sie sich fest um seinen Verstand klammerte und nicht losließ, es sei denn, man zwang sie dazu.

Und diesen Schatten in Karanas Herzen in die Knie zu zwingen erforderte eine Gewalt, über die er nicht verfügte... nicht mal als Seelenfänger und Herr der Schattenvögel.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Kampf auf dem Korridor plötzlich ein abruptes Ende fand – und nicht etwa durch Karanas Zerstörer, der alles zerfetzte, sondern durch Simu, der in einem Gefecht mit dem Rankenheini Yatli gegen eine etwas entferntere Tür geschleudert wurde, die darauf aufsprang. Und sämtliche Blicke lagen auf der jetzt offenen Tür, in der Yamuru aufgetaucht war... zusammen mit seiner Cousine, die etwas verblüfft wirkte. Nicht mehr als alle anderen Anwesenden, hieß das, und Zoras keuchte – hatte die Seherin also doch nicht gelogen mit ihren Worten von Blutschande? Yamuru und Thira waren zwar angezogen, machten aber nicht den Eindruck, als hätten sie in der Kammer da bis eben noch versucht sich gegenseitig die Kehle zu zerfetzen... eigentlich wollte er es nicht wissen.

„Ah, Thira... da bist du.“, unterbrach Yarek die Stille, in aller Ruhe, wie er eben Yarek war. Als täte es nichts zur Sache, dass Karana völlig die Kontrolle über jeglichen Menschenverstand zu verlieren drohte und Thira gerade irgendetwas Ominöses mit Yamuru getrieben hatte, was keiner wissen wollte. „Wir haben dich gesucht.“

„Was... geht hier vor?!“, fragte Turo dann, der Heilertyp, und zeigte auf Yamuru, der sich mit Thira aus der Kammer bequemte, während Simu wieder aufsprang und sein Tsukibo defensiv gegen den Zuyyanerkerl richtete, ohne ihm jedoch zu nahe zu kommen. Yamuru lachte.

„Wonach sah es denn aus?“

„Lass die Witze, was treibst du hier mit der Tussi von den Sieben ohne die Zustimmung des Meisters?!“, fuhr Rok auch auf und Thira verengte die Augen zu Schlitzen, Yamuru wurde jetzt plötzlich ernst und zog seine Waffe empor.

„Dein... Meister... hat mir nicht zu befehlen, wie ich meine Freizeit verbringe, Rok. - Was ist denn mit euch los hier? Gibt es was zu feiern?“

„Was... hast du hier verloren, Thira?“, fragte Yarek trocken – doch die Zuyyanerin kam gar nicht zum Antworten, denn augenblicklich hatte sie Karanas Schwert an der Kehle. Zoras fuhr zusammen – Moment, wie war der so schnell zu ihr herüber gekommen, er hatte gar nicht gesehen, dass er sich bewegt hatte... und sein Blick strotzte vor Macht und Wahnsinn auf eine so furchterregende Art, dass selbst Scharans Schakale zurück wichen. Karana fletschte die Zähne wie ein Raubtier, als er Thira anstarrte mit einem Blick voller abgrundtiefer Finsternis – es war der Schattendämon, er war überall in ihm, in jeder Faser seines erhitzten Fleisches, und Zoras keuchte und umklammerte bebend die Hellebarde, weil er dachte, er müsste irgendetwas tun – verdammt, er musste irgendetwas tun, sonst wäre es zu spät!

Beweg dich, Derran. Jetzt, sofort!

Aber seine Beine gehorchten ihm nicht.

„Du... wirst sterben für deinen Verrat, Zuyyanerschlampe!“, brüllte Karana Thira an, „Ich hatte einst einen Traum... in dem du uns mit Yamuru zusammen den Rücken gekehrt hast! Damals habe ich dir davon erzählt und du hast gesagt, du würdest uns nie verraten. Lüge... alles an dir ist doch bloß Lüge! Ich werde dich zerreißen für diese... Blasphemie!“

„Blasphemie?!“, keuchte Yamuru irgendwo und klang amüsiert, „Nun seht euch den an, der redet ja wie der Imperator. Vorsicht mit deinen Worten, Karana Lyra. Noch bist du nicht Herr der Geister, hüte dich vor zu schnellem Handeln.“ Karana blieb auf Thira fixiert und schenkte ihrem Cousin nur ein verächtliches Schnauben.

„Willst du sie jetzt beschützen, Blutschänder, nachdem du sie gefickt hast?!“

„Manhas Einfluss auf dich ist wirklich destruktiv.“, sagte Yamuru trocken, „Wie eine Puppe... was passiert, wenn man die Puppe zu Boden schmeißt? Dann zerbricht sie... zerbrichst du auch, Karana?“

Die Lage würde eskalieren. Zoras wusste es in dem Moment, in dem Karana sich mit einem wutentbrannten Schrei auf Thira stürzte, allen Ernstes bereit, sie zu ermorden mit einem einzigen Hieb seines verdammten Schwertes, gleichzeitig riss Yamuru in bedrohlicher Manier seine Waffe empor und Zoras wusste in dem Augenblick, in dem die ganze Welt des Vater Himmel, durch die sie reisten, den Atem anzuhalten schien, was Ryanne zuvor gemeint hatte damit, dass es vielleicht einen Sinn hatte, dass Karana seinen Verstand verlor.

Noch war er nicht weg... es war noch nicht verloren, den Schattendämon zu bezwingen. Er erinnerte sich plötzlich an die Vision, die er am Tag ihres Aufbruchs von Yinnlhey gehabt hatte – an die schwarze Kondorfeder, die vom Wind getragen wurde, an Ianas Schattenschwert Kadhúrem, das Manhas Finsternis vernichtet hatte. Und er holte Luft und schrie, als die Lage aus allen Rudern zu laufen schien –

Iana!“
 

Um die Macht des Schattens zu bannen, der auf Karana lag, musste er lernen, ihn zu begreifen... das war der einzige Weg, Manhas Fluch zu bezwingen. Und der einzige Grund, warum Karana von ihm den Fluch hatte lernen müssen... Ryanne hatte nicht gelogen.
 

Es wurde finster. Zoras gewann seine Fassung wieder – er konnte im Dunkeln hervorragend sehen und Kadhúrems Finsternis, die das gesamte Szenario eingehüllt hatte, ängstigte ihn nicht – im Gegensatz zu den Schakalen oder Eneela, die vor Panik fiepte und zu Boden stürzte. Simu rief nach ihr, konnte sie aber nicht sehen, und ungesehen von den Idioten rannte Zoras nach vorne zu Karana, der das Schwert von Mihn mit einem blitzenden Zauber purer Zerstörung in die Wand direkt neben Thiras Kopf gerammt hatte. Die Zuyyanerin keuchte und Yamuru zerrte sie mit einem gemurmelten Fluchen irgendwo hin zur Seite, weg von dem Irren, der sein Schwert aus der Wand zerrte und wütend brüllend wie ein Amok laufender Bär herum fuhr, in Zoras' Richtung – und Ianas Richtung, die Kadhúrem erhoben und in Karanas Richtung gestreckt hatte.

„Das wagt ihr nicht!“, schrie Karana, „Komm raus, Wachtel, komm und stell dich mir frontal! Los, komm, wage es nicht, mich so zu hinterge-... argh!“ Zoras hatte seinen Schwager erreicht und packte ihn an den Armen, stieß ihn brutal zu Boden und trat ihm das Schwert aus der Hand. Karana hustete und spuckte Blut, es war egal. Verdammt, der Wahnsinn musste aufhören!

„Sperr ihn ein, los!“, fuhr er Iana an, die zu ihm herüber kam, „Schatten bannt Schatten, du bist die Einzige, die Karanas Verstand jetzt noch zurückholen kann! Und wenn du es jetzt nicht tust, ist dein Mann verloren, du weißt das!“

„Geh zur Seite.“, sagte Iana mit eisiger Stimme zu ihm und Zoras trat gehorsam einen Schritt zurück, um Karana seiner Frau zu überlassen. Der Mann rappelte sich gerade wütend zischend auf und schlug blind in der Dunkelheit nach irgendwas – sein Zerstörer donnerte neben Yarek gegen die Wand und verschonte den Rothaarigen wohl durch puren Zufall. Zoras konnte sich nicht darum scheren, denn sein Blick lag auf Karanas Frau, die vor ihrem wütenden Gatten zum Stillstand kam und ihn nur anstarrte, nichts sagte und nichts tat. In ihrem Gesicht war eine Autorität wie die einer Geisterjägerin – wie sie Saidah gehabt hatte, wie sie Saja Shai hatte, es war die Würde und Macht einer Königin, und Zoras keuchte und fragte sich, warum ihm der Blick der Frau so vertraut vorkam – bekannt, aus einer längst vergangenen Zeit... so wie Neisas manchmal. So wie Karanas Wahnsinn, Manhas kehliges Lachen. Es waren Insignien längst vergangener Zeiten und Personen, die durch sie alle sprachen... vor ihm war nicht Karana, sondern Kelar, der Tyrann. Und Iana war nicht Iana – nicht jetzt. Sie war eine Herrscherin, und obwohl sie nur zur Hälfte die Gene der Schamanen hatte, strahlte sie eine solche Überlegenheit aus, dass Zoras die Luft weg blieb.

Sie war die Königin der Schatten... die Herrin von Kadhúrem.

Die Herrin des Kandaya-Clans... dem Kadhúrem gehörte.

Karana.“, war alles, was sie sagte – und es war nur ein einziges Wort, aber es reichte. Karana hielt mitten in der Bewegung inne und sie konnte ihn am Unterarm packen – an die Stelle, an der sein Fluchmal saß. Er schrie auf, als wären ihre Finger aus Feuer, und stolperte zu Boden, ohne dass seine Frau ihn losließ. Er schrie wie am Spieß und wehrte sich, verfluchte sie und warf Zauber nach ihr, die sie verfehlten, und Iana pinnte seinen linken Unterarm gewaltsam am Boden fest, ehe sie mit der anderen Hand Kadhúrem griff und empor hob.

„Ich werde nicht vor dir knien, Wachtel!“, brüllte Karana und spuckte und schrie und fauchte, „Ich werde nicht... demütig den Kopf hinhalten, damit du mir die Kehle durchschneidest!“

„Karana!“, schrie sie zurück, „Karana, kämpfe! Los, mach die Augen auf, das ist nicht dein Wille! Es ist Manhas, du brauchst ihn nicht, Karana! Kämpfe... los, kämpfe dagegen!“
 

„Tabari! Kämpfe!“
 

Es war ein Kampf. Der Kampf fand in Karanas Innerem statt und Zoras konnte nur zusehen, wie Iana ihrem Mann ihr Schwert in das Fluchmal bohrte, dass es blutete. Karana kämpfte, er kämpfte gegen die Macht des Dämons in ihm, gegen den überwältigenden Schmerz, den das Schattenschwert ihm bescheren musste, und Zoras zitterte, als er seine Hellebarde umklammerte und nichts anderes tun konnte als zusehen.

Das war nicht sein Kampf – das war ein Kampf, den Karana alleine ausfechten musste, niemand der Sterblichen konnte ihm dabei helfen.

Und es war Ryanne, die half – und ihre Seele war nicht sterblich, wenn wahr war, was Yamuru Neisa über die Götter erzählt hatte. Es waren nicht ihre Worte, als sie sprach – es war, als sprächen die Geister durch ihren Mund. Geister, die weit entfernt auf sie alle warteten.
 

„Kämpfe... Sohn. Zwing ihn in die Knie, dann hast du das geschafft, worin ich immer versagt habe.“
 

„V-Vati?!“, schrie Neisa und wimmerte, und Zoras keuchte, denn obwohl es Ryannes Stimme war, waren es Purans Worte – das war unverkennbar gewesen, und was immer in Karanas wahnsinnigem Kopf angekommen war davon, es hatte gewirkt, denn der Kampf war vorbei. Karanas Körper erschlaffte unter Ianas Griffen und als die Frau sich erhob und ihr Schwert zurückzog, war er bewusstlos. Der Schatten verschwand und Zoras taumelte. Die anderen saßen – Yamuru und Thira waren verschollen. Zoras' Aufmerksamkeit kam jetzt zu Neisa, die am Boden unweit von ihm saß und weinte.

„Vati – Vati hat mit uns gesprochen!“, schluchzte sie und lachte und weinte zugleich vor Freude darüber, wie es schien, „Vati passt... auf uns auf, ich kann es spüren! Wenn er mit den Geistern spricht auf Zuyya... sieht er uns vielleicht zu! Ich vermisse ihn...“ Sie wimmerte und Zoras seufzte, als er sich zu ihr herab beugte und ihr durch die blonden Haare strich, um sie zu beruhigen. Er sah zu Ryanne, die ein verpeiltes Gesicht machte und dumm guckte.

„Was ist hier denn los?!“, keifte sie dann in die Stille hinein, „Warum starren alle so herum?!“

„Was... war das?!“, japste Kanau irgendwo erbleichend, „G-glaubt ja nicht, dass uns das abschreckt! Jungs, macht sie fertig! Wir sind hier noch nicht am Ende aller Welten... wenn ihr gedacht habt, ihr kämet ungeschoren hier weg, habt ihr euch geschnitten!“
 

Auf dem Deck am Heck der Tari Randora Zwei war kein Mensch; Thira bebte, als sie sich gegen eine kastenförmige Erhebung auf dem Deck lehnte und Yamuru vor ihr stand und ihr die Sicht auf alles hinter ihm versperrte. Sie wusste nicht, wieso sie bebte... sie wusste an sich überhaupt nichts mehr, sie atmete nur, starrte ihn an und versuchte, die vielen Dinge in ihrem Kopf zu sortieren.

Verblüffenderweise war ihr egal, was die anderen jetzt wohl dachten – ob sie wussten, was sie getan hatte, ob sie wussten, dass ihr Cousin mit ihr Dinge tat, die ihren Kopf so durcheinander brachten, dass sie nicht mal mehr sprechen konnte.

Irgendwo weiter am Bug ertönte Lärm. Sie wunderte sich erst nach einer ganzen Weile darüber, in der sie Yamuru ins Gesicht gestarrt hatte, heftig atmend vom schnellen Rennen hierher und von allem, was davor gewesen war.

„Warum implodieren sie nicht, wenn sie die schützende Hülle des Schiffs verlassen ohne Schwerkraftzauber?“ Yamuru seufzte.

„Meine Schuld. Ich hab die Blase um das ganze Schiff gelegt, als wir eben raus gekommen sind, das ist weniger anstrengend. Davon profitieren natürlich alle, die raus kommen, nicht nur du und ich.“

„Wie bitte, wieso ist es anstrengender, den Zauber nur auf dich anzuwenden, als auf das ganze, verdammte Schiff?“, wollte sie empört wissen und er lachte verlegen – und irgendwie kleinlaut, als er den Kopf senkte und sie sein Lächeln erkannte, obwohl er ihrem Blick auswich.

„Ich bin ein Sohn von Chihnii Mirrhtyi – in mir ist großes Potential zum Zaubern, die Macht ist da – ich bin nur unglaublich unpräzise und das heißt, es fällt mir weniger schwer, etwas so großes zu bezaubern, als den Zauber auf einen genauen Punkt zu konzentrieren... da ist schon etwas lächerlich.“ Sie sagte nichts und er trat einen Schritt vor ihr zurück, worauf sie sich irgendwie unbehaglich fühlte. Moment – seit wann wollte sie seine Nähe so sehr, dass sie ihn vermisste, wenn er zurücktrat? „Meine Familie bestand aus lauter großartigen Magiern.“, lachte er dumpf, „Und ausgerechnet ich, der schlechteste von ihnen, ist jetzt noch als einziger übrig. Ironie nenne ich das.“ Thira schüttelte den Kopf.

„Es war Kataris Wille – er hat uns hierher gebracht. Dich auf Scharans Seite... und mich...“ Sie brach den Satz wissentlich ab, weil ihr Stolz ihr eins reinwürgte – das konnte sie nicht sagen, es zuzugeben wäre der Tod ihrer Würde und sie beide wussten das.

Und, dass sie es nie so weit kommen lassen würde, denn sie war mit Stolz eine Tochter von Okothahp.

Und mich zu dir, Yamuru.

Er hatte ihre Worte auch ohne dass sie gesprochen worden waren verstanden – er schenkte ihr ein amüsiertes, aber höfliches Lächeln, das ihren Stolz zu würdigen versuchte, ehe er ihr Kinn hochzog und sie küsste.

„Sei ganz still...“, murmelte er, als er sich von ihren Lippen löste und den Kopf zu ihrem Hals senkte, den er mit seinen eigenen Lippen zu berühren und liebkosen begann. Thira seufzte und legte zitternd die Arme um seinen Nacken – sie wollte nicht sprechen. „Dann merken die anderen vielleicht nicht, dass wir hier sind.“

Und seine Finger glitten so zielstrebig unter ihren kurzen Rock, dass ihr schwer fiel zu glauben, er wäre unpräzise mit dem, was er tat.
 

Eneelas Kopf dröhnte. Es fühlte sich an wie ein Hammer, der immer wieder gegen ihre Schläfen schlug, als sie sich duckte und Kyeemas Yolei auswich, die sie anzugreifen versuchte. Auf dem Deck von Scharans Schiff tobte ein Krieg. Es war wie Ela-Ri – obwohl viel, viel weniger Kämpfer anwesend waren als bei den Schlachten gegen das Ostreich in Kisara, kam es ihr genauso vor. Brutale Geräusche von aufeinander krachenden Zaubern, Brüllen von Gegnern, das Rauschen von Blut in ihrem Kopf, ihrem ganzen Körper erfüllte ihre Ohren mit Schmerz. Sie war zu abgelenkt von all ihrem Entsetzen, um sich dem Rückschlag von Yolei entgegen zu setzen, die von hinten kam und sie mit einem schmerzhaften Wasserschwall von den Beinen schleuderte. Eneela keuchte, als sie quer über das Deck geschleudert wurde und hart gegen einen Kasten schlug. Die Wasserbestie war jetzt direkt vor ihr und holte zum Schlag aus, hielt aber inne und starrte nur auf Eneela herab, als die junge Frau sich mühsam auf Hände und Knie stützte. Sie bebte... um sie herum war so viel Lärm, so viel Grauen. Sie wusste nicht, wie es den anderen erging... was machte Simu? Was machten Neisa, Zoras, Iana, Yarek, all die anderen? Waren sie verletzt oder ging es ihnen gut? Sie konnte nicht atmen und nur in Yoleis Gesicht starren, das wie alles an ihr aus Wasser bestand. In dem Gesicht von Kyeemas Yolei war Hass... die Lians spiegelten das wider, was ihre Beschwörer spürten. Eneelas allererste Lian, die sie je beschworen hatte, war auch Yolei gewesen... damals, als ihre Mutter gestorben war. Sie hatte sie nur so weit beschworen, dass ihr Element sie geschützt hatte, die richtige Gestalt angenommen hatte sie damals nicht, aber dennoch wusste die Lianerin genau, dass sie bei ihrer Yolei keinen Hass spüren konnte. Sie spürte den Willen, sie, Eneela, zu beschützen, und sie fühlte sich verbunden mit diesem Geschöpf des Wassers, das ihr das Leben gerettet hatte...

Yolei verschwand und Eneela hob zitternd den Kopf, als ihr jetzt die Beschwörerin selbst gegenüber stand. Kyeemas Blick war voller Abscheu, voller Zorn und Hass, und Eneela fühlte sich verletzt durch die Blicke der anderen, ohne zu begreifen warum eigentlich. Und plötzlich dachte sie, dass sie Kyeema hassen müsste. Diese Frau hatte ihre Mutter getötet... indirekt. Diese Wahnsinnige hatte sie umgebracht und wollte auch Eneela töten, diese Irre hielt Scharan, das Monster, den Dämon, für ihren Vater. Sie sollte Kyeema hassen für alles was sie war... aber sie konnte nicht.

Sie konnte nur starren.

„Steh auf, Tochter von Kaiya!“, schnarrte Kyeema und trat einen Schritt zurück, der ganze Körper bebte vor Zorn. „Steh auf, ich lasse mir meine Ehre nicht stehlen von dem Metall auf dem du kriechst! Steh auf, Eneela... kämpfe! Ich werde mich nicht dadurch demütigen lassen, dich zu töten während du armselig gekrochen bist wie ein Mehlwurm!“ Eneela bebte nur und starrte sie an. Sie konnte nicht aufstehen, ihre Beine zitterten zu sehr... Kyeema verfluchte sie und riss die Hand in die Luft, schleuderte mit einem Schrei einen Eishagel auf ihre Kontrahentin, der von der Eislian Sai ausgehen musste. „Los, kämpfe! Soll ich mir sagen lassen ich wäre es nicht wert, die Tochter meines Vaters zu sein, weil du so eine Memme bist?! Steh auf!“

„...warum?“, keuchte Eneela nur wimmernd und Kyeema stierte sie wütend an.

„Warum was?! Warum ich dich hasse?! Das habe ich dir erklärt! Steh auf und kämpfe, jetzt! – Barak!“

Beschwöre eine Lian.

Eneela konnte nicht auf ihr Unterbewusstsein hören, das ihr das riet. Sie wusste genau, dass sie sich verteidigen musste, als Kyeema ihren gefürchteten schwarzen Barak rief und der Drache, die wildeste und fürchterlichste aller Bestien, über ihr erschien mit dem finsteren, markerschütternden Brüllen des Todes. Wenn sie nichts tat, würde Barak sie zerreißen... aber sie konnte nicht, sie konnte nur da sitzen und zittern.

„Warum... k-kann... ich dich nicht angreifen?“, wimmerte sie mehr zu sich selbst als zu Kyeema, die sie im Tosen ihres Rausches aus Macht und Zorn vermutlich nicht mal hören würde. „Warum kann... ich nicht, obwohl ich dich hassen sollte? Du hast meine Mutter getötet... du greifst mich an. Und ich kann dich... nicht... töten.“

„Wenn du nicht von selbst kämpfst, Eneela... werde ich dich zwingen!“, schrie das andere Mädchen sie wie wahnsinnig an, als es Barak wutentbrannt auf sie hetzte, und in dem Moment, in dem Eneelas Blick den von Kyeema traf, fror etwas im Inneren der am Boden kauernden ein. Sie wusste nicht, was es war – aber plötzlich verstummten die Geräusche der Welt, denn da war nur noch das schmerzhafte Dröhnen in ihrem Kopf, das sich zu einem Rauschen und dann einem schrillen Piepen steigerte, und es füllte Eneela ganz und gar aus, als sie Kyeema in die weißlich-blauen Augen starrte und wusste, sie würde durch Barak sterben, wenn sie nichts tat...

Sie konnte nicht. Irgendetwas in ihr zog sich zusammen bei dem bloßen Versuch, daran zu denken, und sie wusste nicht, was es war...

Jemand rief ihren Namen... es waren Kyeemas Worte, aber nicht Kyeemas Stimme, die schrie.

Eneela, steh auf!

Dann wurde es plötzlich finster.
 

Das Gefühl war ungut. Ulan Manha spürte, dass der Schatten schwankte, als er das Innere des Schiffes verließ und das Spektakel vom Oberdeck aus beobachtete. Karana war nicht dabei – er konnte dennoch seine Anwesenheit spüren und nach einigem Suchen fand der Mann seinen Schützling, der reglos an der Wand nahe der Tür lag, die ins Innere des Schiffes führte, bei ihm war Neisa Lyra. Wenn Karana kampfunfähig war, war die Erschütterung stärker als er angenommen hätte, die der Schatten erlitten hatte, denn verdammt, das war Karana. Wenn den jemand hatte ausschalten können, obwohl er von Zorn und Machtgier wie ein Berserker unbesiegbar hätte sein sollen, war das ein schlechtes Omen. Manha verengte die grünen Augen bebend zu Schlitzen, als er die Brüstung des Oberdecks umklammerte, an der er wütend lehnte und zusah, wie Kyeema die absolut wehrlose Eneela Kaniy attackierte und Barak beschwor.

Fürchtest du dich... Kelar?“, wisperten die Geister im Spott und Manha verfluchte sie für ihre Spielchen.

„Wartet nur. Dann ist Karana eben gerade am Ende, macht nichts. Ich werde ihn töten, wenn ich ihn nicht mehr brauche, denn die Welt braucht nur einen König!“

„Fürchten solltest du dich, oh großer König... vor den Schatten der Vergangenheit.“ Und während sie sprachen, zeigten die Geister ihm Bilder – er sah die vom Wind getragene Kondorfeder, überschattet von der Finsternis Kadhúrems, das sich aus dem Abgrund herab direkt in seine Seele bohrte, bis sie splitterte wie ein spröder Knochen...

Kadhúrem!

Er kam nicht dazu, weiter zu denken, denn in dem Moment wurde es plötzlich dunkel; sämtliches Licht, das das Schiff ausstrahlte, verschwand, und Kyeema schrie irgendwo. Er konnte nicht an seine Kampfmaschine denken, denn viel schlimmer als Kyeemas Schreien war das Gefühl dieser absoluten Finsternis, das Gefühl des Abgrunds aller Schatten, das ihm plötzlich wie ein Schlag ins Gesicht entgegen prallte und ihn zusammen fahren ließ – zusammen mit der Stimme der einzigen Person, die er fürchtete, weil er wusste, dass die die Mittel und Wege finden würde, die Vision seines Todes Realität werden zu lassen.

Du...!“, keuchte er nur – dann verschluckte der Schatten seine Stimme genau wie er Kyeemas gewaltigen, monströsen Barak verschluckt hatte, direkt vor seinen, Kyeemas, vor aller Augen.

Barak war einfach weg – plötzlich war er in den Schatten gefallen, der gekommen war aus Kadhúrems Klinge in einer monströsen Bosheit, die selbst Manha erschaudern ließ.

„Komm runter... Ulan Manha, Dämon von Canulo!“, rief sie von unten und ihre Stimme ließ ihn erbleichen und irgendetwas in seinem Inneren beben – er hatte keine Angst vor einer Frau... normalerweise.

Aber diese Frau war nicht irgendeine Frau. Und obwohl es Salihah gewesen war, seine eigene Gemahlin, die ihn, Kelar, ermordet hatte, war es nicht sie, die er am meisten von allen fürchtete... denn Salihah war an ihn gebunden für immer und ewig, das war ihre Schwachstelle. Der Grund, wieso sie ihn nicht noch einmal töten können würde.

Das galt nicht für sie hier... das galt nicht für Iana Lynn, Akada, die Tochter des Mannes, dem Nalani Kandaya Kadhúrem vermacht hatte. Er hatte es lange gewusst... und hatte nichts dagegen getan, weil er zu spät begriffen hatte, dass das sein Ende prophezeien würde.

Sie hatte genau gewusst, was sie getan hatte, als sie Kadhúrem diesem Mann gegeben hatte und nicht ihrem eigenen Sohn oder sonst irgendwem, der der Waffe würdiger gewesen wäre als ein Wilder aus dem Bergvolk von Kadoh. Sie hatte es gewusst... damals schon, lange bevor Ulan Manha sich selbst einen Namen gemacht hatte, lange bevor Karana, Iana, irgendeiner von den hier Anwesenden überhaupt geboren gewesen war. Und es war pure Berechnung gewesen, von Anfang an. Und er war sich sicher, als er jetzt Iana Lynns Blick fing – ihren Blick – dass sie genau wusste, dass es bald enden würde.

„Komm runter!“, verlangte sie und riss ihre Waffe herum, „Komm runter und ich reiße dich... in Stücke, Kelar, für das, was du meiner Familie angetan hast! Du wirst sie... nicht kriegen, und wenn es mich tötet – du wirst meinen Sohn nicht kriegen und du wirst Karana nicht kriegen, denn ich werde es sein, die dich richten wird, Schattengeist! Komm runter!

„Vater, nein!“, kreischte Kyeema außer sich in blinder Panik, als er ihrem Befehl Folge leistete – ganz sicher nicht, weil er sterben wollte. Sie war nicht so dumm, zu glauben, er würde ihr brav die Kehle hinhalten, da war er sicher, sie war eine kluge Frau. Die anderen hatten mit dem Kämpfen aufgehört und starrten geschlossen zu ihnen herüber, als Manha mit gehörigem Abstand Iana gegenüber auf dem Deck stand. Hinter ihr war Eneela Kaniy am Boden, leichenblass und bebend, ein Stück weiter zur Seite war Kyeema... diese Versagerin, die es nicht einmal mit Barak geschafft hatte, diese elende Frau aus dem Weg zu räumen.

Dafür werde ich dich ganz sicher töten... du nutzloses Balg.

„Dann willst du mich... herausfordern... Königin?“, fragte er Iana kalt und die Schwarzhaarige verengte die verdammten blauen Augen zu diabolischen Schlitzen. „Letztlich bist du nur eine... Hülle, die du beherrschen kannst, oder? Während du Ianas Willen lenkst... ist sie dein. Aber darüber hinaus wohl kaum.“ Sie hob wortlos Kadhúrem und schlug mit Schattenmagie nach ihm auf eine bestialisch zielstrebige Art – ohne Gnade, ohne den Hauch eines Willens ihn zu verschonen, und er keuchte und riss die Hände selbst empor, um Karana den Garaus zu machen mit einem einzigen zucken seines kleinen Fingers, würde Iana es wagen... doch es kam alles anders.

Die Frau stürzte sich auf ihn und ehe er sich hätte verteidigen oder sie mit Karanas Leben erpressen können, warf sich unerwartet jemand direkt vor ihn, breitete die Arme aus und schrie die Angreiferin an.

„Du krümmst ihm kein Haar... deine Gegnerin bin ich, Akada!“ Es war Kyeema, die vor ihm stand - und Manha hätte sie fast empört niedergeschlagen für die Demütigung, ihn beschützen zu wollen, aber Iana kam nicht dazu ihn anzugreifen, weil seine kleine Lianerin hier ihr den Feuervogel Lavia entgegen schleuderte mit einer Entschlossenheit und Willenskraft, die Manha verblüffte. Iana hielt an und riss das Schattenschwert herab, stattdessen hob sie die Hand und löschte Lavias Feuer mit einem gigantischen Schwall Wassermagie. Kyeema keuchte und die Schwarzhaarige blieb zwei Schritte von ihr entfernt stehen, die Hand noch ausgestreckt und die Augen argwöhnisch verengt.

Sieh an.“, sagte sie mit der Stimme, die Manha im Inneren vor Grauen schaudern ließ – es war die unsterbliche Geisterstimme der Vergangenheit. „Du stellst dich vor ihn? Das wird dir nichts nützen... Kyeema. Geh aus dem Weg, du bist es nicht, die ich töten muss.

„Das wirst du müssen, wenn du meinem Vater ein Haar krümmen willst!“, schrie das Mädchen und Manha starrte sie an für den Heldenmut, den sie gerade aufwies – was war in sie gefahren?

Iana Lynn lächelte herzlos.

Deinem Vater... dem Mann, der dir das Leben geschenkt hat, wie du es gesagt hast, was?“, fragte sie und das ungute Gefühl, das Manha gerade bekam, schnürte ihm die Kehle zu und verhinderte, dass er irgendetwas tun konnte außer in Kampfposition zu stehen und zu starren, wie so ziemlich alle anderen außer Kyeema auch. „Du weißt wenig über den Mann, den du so verehrst.

„Genug um zu wissen, dass ihm mein Leben gehört!“, zischte Kyeema, „So wie deines vielleicht deinem Mann gehört.“

Vielleicht. Mein Mann hat viel kaputt gemacht... so wie dein Vater, was er dir natürlich nie sagen würde. Der Mann, der deine Mutter ermordete und dich nur zu dem Zweck großzog, dich für ihn schlachten und meucheln zu lassen.

Lüge!“, schrie Kyeema und fasste sich an den Kopf, und Manha starrte auf Ianas Gesicht, als die herrisch den Kopf hob und nicht ihn ansah, sondern Kyeema, die Augen wieder weitend.

Du weißt genau, dass ich recht habe. Bist du etwa etwas anderes als eine Mörderin im Auftrag eines Wahnsinnigen, der dir väterliche Liebe vorgaukelt, die er nicht empfindet? Für ihn bist du Dreck, eine Waffe, die verhätschelt wird, solange sie funktioniert. Und wenn sie es nicht mehr tut, wird sie ausrangiert.

„Du lügst!“, schrie Kyeema, „Mein Vater liebt mich, er sagt es mir oft! Kaiya Kaniy war es, die meine Mutter in den Tod getrieben hat, nicht er!“ Manha sagte nichts, als die Lianerin zu ihm herum fuhr und ihn anstarrte, in seinem Gesicht Wahrheit suchte, Widerspruch gegen die Worte der anderen Frau.

Widerspruch, den er ihr nicht geben würde, weil es nichts nützte.

Kyeemas Leben war an dieser Stelle zu Ende, es war egal, was sie wusste. Er hielt die Königin nicht auf, als sie lieblos auflachte und Kyeema die Worte sagte, die sie zerbrechen lassen würden.

Kaiya Kaniy hat deine Mutter nicht getötet, Kind. Kaiya Kaniy war deine Mutter... und Eneela deine Zwillingsschwester.
 

Eneela glaubte einen Moment, ihr Herz würde aussetzen; und es war nicht, weil sie diese Worte hörte. Es war nicht mal, weil sie überrascht gewesen wäre... sie war selbst verwirrt darüber, dass sie es nicht war. Irgendetwas in ihr hatte es gespürt... von Anfang an. Sie starrte auf Kyeema, die mit den Händen in ihre hellen Haare gekrallt wie versteinert da stand und auf Iana blickte, die sich nicht rührte. Etwas in Eneelas Innerem zitterte beim Anblick ihrer Schwester – ihrer Schwester! Der Gedanke ließ sie benommen straucheln und irgendwer griff nach ihrem Arm. Sie wusste nicht, wer es war, sie konnte gar nicht denken. Sie konnte nur starren... und die Erkenntnis dessen, was diese Worte, die Iana mit dieser fremden Stimme gesprochen hatte, mit dieser Stimme voller Schatten und Macht, noch bedeuteten, ließ sie keuchen.

Wenn Kyeema ihre Schwester war... und sie ihre Mutter getötet hatte... hieß das doch, dass sie ihre eigene Mutter...? Der Gedanke war zu fürchterlich und als sie sich selbst keuchen hörte, fuhr sie unwillkürlich zusammen vor Gram.

„M-...Mutter...!“, stammelte sie und spürte die Hitze der Tränen, die in ihrem Inneren empor stiegen und drohten, ihr aus den Augen zu rinnen, als ihre Knie nachgaben und die Welt finster wurde, „Hast... du das gewusst?! Warum hat mir nie jemand... ein Wort gesagt?“

Es war eine Stimme aus dem Nichts, die ihr antwortete... sie hatte sie noch nie gehört und dennoch war sie irgendwie vertraut, als sie sprach.

Weil es überflüssig gewesen wäre. Du hast es selbst gewusst... in deinem Inneren, Eneela. Du hast es gewusst, als du ihr zum ersten Mal in die Augen gesehen hast... weil in dir die Gene der Götter sind. Weil du eine der Sieben bist.

Das war das Letzte, was sie mitbekam, ehe ihr Körper sie gänzlich im Stich ließ.
 

„W-wie... kann das sein?!“, jammerte Kyeema und hielt sich bebend den Kopf. „Wie kann... Kaiya kann nicht meine Mutter sein! Meine Mutter starb durch Kaiyas Hände, ich weiß es! Vater... Vater, sag doch etwas! Sie lügt, Vater! Sag es ihr! Sag es... m-mir...“

Iana wusste, dass ihr Vater nichts sagen würde, während sie eben dem in das verhärtete Gesicht starrte, Auge in Auge mit der Bestie, die an allem Schuld war. Nein, eigentlich war es nicht Iana, die das wusste, sondern die andere. Die, die von ihr Besitz ergriff, die, die Kadhúrem beherrschte, und Iana sah aus dem Inneren ihres Geistes heraus zu und konnte nichts dagegen tun. Sie war im Schatten gefangen und die andere war da, sie pulsierte in ihrem Inneren wie eine abstruse, dämonische Kraft, fähig, ganze Welten zu zertrümmern, wenn sie nur wollte... und dennoch ließ sie Scharan leben und tat nichts. Iana verstand das nicht. Manha hatte Angst vor ihr, er kroch vor ihr, er hatte Panik – und die andere tat es einfach nicht. Jetzt war doch der perfekte Moment für einen Angriff, genau jetzt!

Nein.

Es war die Stimme der anderen in ihr, die Iana auffahren ließ.

Nicht hier. Der einzige Ort, an dem der Geist dieses Dämons zerschlagen werden kann, liegt noch vor uns.

Iana konnte nicht antworten. Iana konnte nur zusehen, was geschah, als Kyeema schreiend herum wirbelte in Manhas Richtung und die Arme hoch riss.

„Sag es mir, Vater!“

„Es gibt nichts zu sagen.“, schnarrte Ulan Manha mit einer Ruhe, die er nur vortäuschte. Er ließ Iana nicht aus den Augen, während er sprach, und seine Stimme war voller Zorn gemischt mit Furcht. Er versuchte sie zu verbergen. „Als Kaiya die Zwillinge bekam, habe ich beschlossen, eines der Mädchen für mich zu behalten. Das stärkere, ältere, dich. Du warst vielversprechend und ein Naturtalent, genau wie deine störrische Mutter. Wenn du jetzt Schwäche zeigst, Kyeema, war die ganze Arbeit umsonst. Kaiya ist tot, es ist egal. Du warst es doch, die wollte, dass sie stirbt.“

„Da wusste ich nicht, dass sie meine Mutter ist!“, schrie das Lianermädchen panisch, „Das kann nicht sein, du lügst – ihr alle lügt!“

„Wie gesagt.“, machte Manha gedehnt, „Es ist egal. Du bist hier... und deine Mutter nicht. Vielleicht war Kaiyas Tod ein notwendiges Opfer. Denn hättest du nicht den Zorn... und Hass eines Waisenkindes gehabt, wärst du nicht die geworden, die ich haben wollte.“

Eine Kampfmaschine ohne Gewissen, meinte er... Iana verengte die Augen, oder die andere tat es für sie. Was Kyeema angetan worden war, war nicht mal mehr bedauernswert... es war Abschaum.

Manha war Abschaum... weil er die ganze Welt wie welchen behandelte.

Und deshalb... werde ich dich auch ganz sicher töten.

Kyeemas gellender Schrei signalisiere ihr den Moment, in dem das bemitleidenswerte Geschöpf den Verstand verlor. Er fiel hin und zersplitterte irgendwo im Schatten... Iana konnte es spüren, dann zog sich die andere genauso plötzlich von ihrer Machtposition zurück und ließ Iana ihren Körper wieder kontrollieren.
 

Thira sah teilnahmslos von der Brücke herab auf das Geschehen unter ihnen. Sie war ganz ruhig, und sie hörte jedes Wort, das gesprochen wurde. Es überraschte sie nicht wirklich – es war, als hätte eine Eingebung ihr schon vor langer Zeit gesagt, wie es um Kyeema und Eneela stand.

„Du wusstest das die ganze Zeit.“, sagte sie zu ihrem Cousin, der neben ihr stand und mit einem dämonischen, entrückten Lächeln ebenfalls hinab sah. Er war mit den Gedanken wo anders – vermutlich bei dem, was sie bis eben noch hinter dem Kasten getrieben hatten – aber er antwortete, als wäre er völlig bei der Sache.

„Natürlich wusste ich es. Es tut nichts zur Sache, da spricht er wahr.“

„Wenn Kyeema aber Manhas leibliche Tochter ist... ist Eneela das doch nicht etwa auch?“

„Nein.“, erwiderte Yamuru, „Eneelas Vater war Dak Kaniy. Von ihm kommen die Gene, die sie zu einer der Sieben machen. Kyeema hat sie nicht... deswegen ist sie keine der Sieben.“ Thira sagte nichts. Es wunderte sie, dass es offenbar möglich war, dass eine Frau Zwillinge von zwei verschiedenen Männern bekommen konnte, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie sich mit dem Kinderkriegen bisher nie befasst.

„Was würdest du machen, wenn du an Kyeemas Stelle wärst?“, fragte sie ihn dumpf und Yamuru zuckte die Achseln.

„Ich bin zu sentimental für so etwas.“, lachte er, „Wenn mir jemand erzählte, ich hätte meine eigene Mutter ermordet, dann würde ich mich kurz entschlossen selbst umbringen, ganz sicher.“

„Trotz deines Versprechens an Ngnhana, zu überleben?“, staunte sie perplex, und er kicherte und strich ihr zärtlich durch die grünen Haare, ohne zu antworten. Er wartete lange, sie weiter streichelnd, bis er fortfuhr.

„Manchmal liegt diese Entscheidung nicht in unserer Hand.“ Er sah sie lächelnd an und sie zwang sich, keine Miene zu verziehen, obwohl sie beim Anblick seines Gesichtes das Verlangen verspürte, ihn zu küssen. Nein, für heute reichte es, verdammt.

Kyeema schrie und Thira sah, wie Yamuru sein Kinn empor reckte und das linke Reikyu-Auge mit einem bedrohlichen Glimmen aufleuchtete. Sie schauderte, als sie wie durch Telepathie wusste, was er tun würde... sie würde ihn nicht aufhalten.

„Denkst du, dein Plan funktioniert?“

„Vermutlich nicht. Macht aber nichts.“, grinste er und seine Stimme hatte sich verändert. Die Kontrolle, die er Kyeemas zerstörter Seele aufzwang, nahm ihn mit, Thira konnte seine Erschöpfung genau fühlen, als er den Blick genau auf das Mädchen richtete und Kyeema wie eine Wahnsinnige schreiend herum fuhr in Manhas Richtung, die Arme empor reißend. Ihr Verstand war zerschlagen... es gab nichts einfacheres als die Kontrolle über eine zerschlagene Seele, was immer Yamuru sie tun lassen wollte, jetzt würde es keinen Widerstand mehr geben. „Einen Versuch ist es wert und ich habe nur diesen einen.“ Thira zuckte bei diesen Worten mit der Braue. Sie sah ihn nicht an, als sie leicht lachte und sprach:

„Du klingst, als hättest du vor, bald zu sterben.“ Yamuru grinste.

„Würdest du um mich weinen, Thira?“

Sie starrte ihn an und wollte ihm erst eine schnippische Antwort geben, aber dann überlegte sie es sich anders und senkte den Kopf.

„Ich fürchte, ich habe… das Weinen auf Tharr verlernt.“

Yamuru sah sie nicht an, aber seine Hand glitt in ihre Richtung, strich durch ihre Haare in einer Geste purer Zärtlichkeit auf eine Art, die sie schaudern ließ... nicht vor Furcht oder Grauen, sondern vor Wohlgefallen. Und genauso taten es seine Worte.

„Ah… das ist mein Mädchen.“, sagte er leise und lächelte. „Ich liebe dich, Thira.“
 

Er ließ sie Yolei rufen. Yamuru hatte sich lange überlegt, mit welcher Lian er Kyeema am besten Manha angreifen lassen sollte, wenn die eine einzige Gelegenheit käme; er hatte sich hauptsächlich deswegen für die Wasserlian entschieden, weil Manha als einziges Element das Feuer beherrschte, ein wenig, und Wasser das Feuer löschte; abgesehen davon fürchtete Manha die Frau, die Wasser beherrschte, die in Iana Lynn lebte, oder in Kadhúrem, oder vermutlich in beiden, und wenn von Kyeema Wasser käme, brächte es vielleicht zusätzlich den Schreckeffekt.

Der Effekt kam, aber er war zu kurz, Yamuru wusste schon als Manha zurück sprang und fluchend die Arme herum riss, im Angesicht des sicheren Todes durch die verdammte Lianerin, die er aufgezogen und zur Mörderin ausgebildet hatte zum reinen Eigennutz, dass der Plan schiefgehen würde – aber es war ein Versuch gewesen.

„Zu berechnend... Kyeema!“, zischte der Schamane unten und riss die Hände nach vorne, um wirklich Feuer auf sie zu schmeißen trotz Yolei – Yamuru war kein Lianer, er konnte die Bestie nicht auf dieselbe Weise von einer völlig seelen- und willenlosen Frau lenken lassen wie es eine Lianerin bei Sinn und Verstand vermocht hätte. Als Manhas Feuerstrahl das untröstliche Ding durchbohrte wie ein Speer, quer durch die Brust, fühlte er den Riss in der Seelenkontrolle in dem Moment, in dem Kyeema keuchend auf den Boden geschleudert wurde und Yolei wie von selbst sofort verschwand. Die anderen da unten stoben auseinander wie gescheuchte Herdentiere und Iana sprang samt Kadhúrem zurück. Eine lichterloh brennende und verreckende Spielfigur wieder aufzurichten war ein Stück Arbeit, aber Yamuru schaffte es noch zweimal, Kyeemas Körper wieder aufstehen zu lassen, egal, was für abartige Schmerzen sie haben musste – ihr Leben war vorbei, es war egal. Sie würde gleich tot sein, ob sie ihre letzten Momente eines absolut sinnfreien, erbärmlichen Lebens voller Lügen nun in Qual oder Frieden verbrachte machte keinen Unterschied. Es war Thira, die ihn aufhielt, als Manha seine leibliche Tochter zum dritten Mal voller Wut und vermutlich in blinder Panik, weil sie einfach nicht starb, mit einem Feuerzauber niederstreckte, der ihren zerschundenen Körper brennen ließ. Kyeema schrie und wand sich, als Yamuru den Arm seiner Cousine an seinem spürte.

„Hör auf, bitte!“, keuchte sie, „Das ist abartig, d-du quälst sie unnötig mehr als Manha es getan hätte! Das hat sie nicht verdient... die Chance ist vertan, Yamuru!“ Es war weniger die Bitte selbst, die ihn aufhören ließ, als mehr die Tatsache, dass sie von Thira Jamali gekommen war... dem Mädchen, das Chenoa zu einer seelenlosen Schlächterin hatte machen wollen, das gerade bewies, was für eine prächtige, funktionierende Seele es hatte...
 

Menschlichkeit... das, was uns von Steinen unterscheidet.
 

Er senkte den Kopf und ließ Kyeemas Seele gehen, Thira zuliebe, die einen Schritt zur Seite trat und bebte, als er sie ansah. Kyeemas Schreie verstummten mit dem Auflodern der Flammen, die ihre Seele und ihren zierlichen Körper zu den Unorten schickten.

„Unorte.“, feixte er, „Da wollen wir doch alle hin. Vielleicht sehen wir sie ja wieder. Du solltest zu deinen Kameraden gehen, Thira... wenn du nicht willst, dass sie noch argwöhnischer werden.“ Er wartete nicht auf ihre Antwort, denn sie würde zweifelsohne tun, was er sagte, und ging seines Weges hinab und in Richtung der Tür, die ins Innere des Schiffes führte. Für heute war es genug – Manha würde über all das zu erschüttert sein um etwas tun zu wollen und Karana hatte sich auch erledigt. Es blieb nur noch ein kurzer Weg bis zum Abgrund... an dem sich alles entscheiden würde.

Der Abgrund, der über seinen Träumen schwebte wie ein hungriger Schatten, bereit, ihn zu verschlucken, sollte er es wagen, näher zu kommen.
 

Wir warten auf dich... Yamuru Mirrhtyi. Lauf nicht davon... du kannst nicht zurück.
 

__________________________
 

Irgendwie war das Kapitel weird.... irgendwie ist dieser ganze Eneela-Kyeema-Kram weird. Irgendwie hat Fm zu viele Charas die einfach nutzlos und unwichtig sind oô Und lol, Karana kriegt auf die Fresse, das ging aber flott oô' Ich weiß doch nicht mehr was hier so drinsteht alter D= Und kann mal einer zählen wie oft in GANZ Fm die Wörter Schatten, Finsternis und Dunkelheit vorkommen...?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Izumi-
2014-08-12T20:42:07+00:00 12.08.2014 22:42
Boah, also das Kapitel war voll blöd. D=
Ne, der Reihe nach.

>„Ihr... werdet... alle sterben!“, keuchte er und lachte dabei wie ein Geisteskranker, und Zoras konnte ihn nur anstarren, spürte, wie Karanas Blick direkt auf ihm lag, wie er ihn durchbohrte und wie in den grünen Augen eine Aggression und ein so gewaltiger Zorn war, dass Zoras das Bedürfnis verspürte, zurückzutreten oder auf die Knie zu fallen.

Grünes AugE, er hat ja nur noch eines. ='D Und wegen dieses fatalen Fehlers war das ganze Kapitel scheiße und der Kommi endet hier. So.
Ne, war nur Spaß. Zunächst einmal hatte ich ein wahnsinniges Problem, mich in dem Kapitel zeitlich und räumlich zurecht zu finden. Ich meine, am Anfang waren sie alle irgendwo in dem Raumschiff, Thira und Yamuru kommen da gerade aus dem Raum, dann wird der arme Karana fertig gemacht, Thira und Yamuru sind plötzlich irgendwo anders und der Rest ist plötzlich draußen und... wtf, seit wann fliegen die denn bitte wieder? o_O Im ernst, wann sind die abgehoben, ich dachte die sind noch auf dem einen Planeten da, die wollten doch erst am nächsten Tag starten, oder nicht? x__x Verwirrung pur, ich hab es irgendwann aufgegeben und hingenommen.
Daaann... ach ja, worüber ich mich noch geärgert hab. Badass-Karana, ja? Badass-Karana ist mein Lieblingschara. Also jetzt nicht so wie Ram, aber du weißt, was ich meine. Und du machst den schon nach einem Kapitel wieder fertig. Und wtf, was ich mich jetzt nicht nur hier gefragt habe, sondern was ich mich irgendwie grundsätzlich immer frage, warum haben immer alle Leute so 'nen Schiss vor Nalani? Ich erinnere mich dunkel daran, dass sie damals, als sie zu Kaisers Zeiten selbst mal aktuell war, der einzige Fm-Chara überhaupt war, der von sich behaupten konnte, von mir nicht gemocht zu werden. Und ich muss sagen, in den Hauptbüchern hat es sich nicht geändert. Mit Iana an sich hab ich komischerweise kein Problem, vielleicht, weil sie meiner Meinung nach eigentlich keinerlei Gemeinsamkeiten mit Nalani hat, so lange sie sie selbst ist, aber Nalani wird ja jetzt immer präsenter und arrrrrgh, sie regt mich auf. Versteh das nicht falsch, das ist jetzt mehr meine empörte eigene Meinung als Kritik an der Story, also Herz. XD
Aber die Angst, die immer alle vor Nalani haben, hab ich nie richtig kapiert. Ich hab mich damals schon gefragt, warum Kelar ihr nicht einfach den Hals umgedreht hat, weil sie so böse gucken konnte? O_o Gilt auch für Ülan und alle anderen, die immer so entsetzt von ihrer Aura des... ja was ist das eigentlich? Die entsetzt von ihrer Aura der unberechtigen Überlegenheit oder so sind. Ne, ich mag sie nicht. Ich bin sauer, dass sie mir Badass-Karana schon wieder genommen hat.
Herz aber für Zoras, der seine vernünftige Schiene friedlich weiter fährt. Sehr gut, auch seine Reaktionen, irgendwie verlieb ich mich grad wieder ein bisschen in ihn als Charakter (zeitweise war er auch mehr anstrengend, wenn auch recht unterhaltsam dabei XD).
Was gab es denn noch, ein bisschen Yarek und Ryanne. Ich weiß nie, ob ich von denen mehr fordern soll oder nicht... einerseits sind sie mein altes Lieblingspairing. Andererseits kann ich mit Ryanne irgendwie einfach nichts mehr anfangen. Wobei sie wenigstens nicht so destruktiv ist wie Nalani. x__x *schimpft*
Ach ja, und dann kam ja die ganze Geschichte mit Kyeema und Eneela. Ich fand es ehrlich gesagt etwas enttäuschend, dass weder Kyeema, noch Ulan jemals erfahren haben, dass er echt ihr Papa ist. Das hat irgendwie gefehlt, finde ich. Ansonsten gut gemacht... Kyeema ist so arm, ich hab sie lieb. ._. Und Eneela auch. Aww...

Ja... also nicht unbedingt schlecht, das Kapitel, aber ich hab mich beim Lesen ständig geärgert D=


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