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Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels

Drittes Buch
von

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Die Seele des Dämons

Karana rannte. Die Tari Randora Zwei war eigentlich genauso aufgebaut wie die Tari Randora, logischerweise, aber er wusste trotzdem nicht im entferntesten, wo in diesem verdammten Schiff er war, noch wusste er, in welche Richtung er rannte. Richtung Bug, vermutete er, aber er konnte sich auch irren – alles, was er tat, war seinen Instinkten folgen, der Eingebung, dass die Geister ihn in diese eine Richtung zogen, dass sie wollten, dass er hier war und rannte. Sie zischten in seinem Kopf und es schmerzte, weil sie zu viel auf einmal sagten, was er nicht verstand.

„Lauf, Karana, lauf und falle in den Schatten... wie es dein Schicksal ist, Urenkel von Kelar, dem Tyrannen.“

„Kehr um, Karana, es ist zu früh. Du wirst scheitern, wenn du zu früh läufst. Der Schatten ist mächtig... er ist zu groß, selbst für dich.“

„Ach, jetzt haltet die Klappe!“, fuhr Karana die Geister an, „Einigt euch oder seid still!“ Er blieb an einer Weggabelung stehen. Ein Korridor führte nach rechts und einer nach links, und er stand einen Moment unschlüssig da und versuchte sich zu erinnern, wo er hin musste. Seine Instinkte waren so aufgewühlt, sein Puls raste und sein Herz drohte jeden Moment auszusetzen aus einer Furcht heraus, die er tief im Inneren verspürte.

Der Furcht vor der Konfrontation mit Ulan Manha, dem Dämon, die ihm unmittelbar bevorstand. Er konnte ihn spüren... den Geist seines Urgroßvaters, den Geist des Dämons, der so mächtig und gefährlich war. Er war überall und es fühlte sich übel an, wie eine todbringende Seuche, die jeden befiel und zu Tode ätzte, wenn sie einen erwischte.

„Hör auf dein Herz.“, sagten die Geister und Karana stutzte, weil er die Stimme kannte. Sie war ihm so entfernt vertraut und doch ein so eingefleischter Teil von ihm selbst, dass es ihm töricht vorkam, sie nicht anzuhören... irgendwie. „Hör auf dein Herz und tu das Richtige, Karana. Du darfst die Furcht dich nicht einnehmen lassen... du musst sie verjagen, du bist stark genug dafür. Schließ die Augen... der Windgeist wird dir die Richtung zeigen, die dein Herz zu finden hofft... irgendwie tut er das immer.“

Karana gehorchte und schloss die Augen, und für einen Moment war es absolut still. Kein Mensch war ihm im ganzen Schiff begegnet; es war, als wären er und Scharan die einzigen Menschen auf diesem Schiff, was natürlich ein Irrtum war. Aber es war nur seine Präsenz, die er fühlen konnte... und sie kam von links. Karana öffnete die Augen wieder und wandte sich also dem linken Korridor zu, um weiter zu rennen. Die Geister waren verstummt in seinem Kopf – stattdessen hörte er das laute, beständige Pochen seines eigenen Geistes, das Rumoren des Schattens tief in seiner Seele. Es war so laut, als schlüge er mit einem Vorschlaghammer gegen die Metallwände, und es bereitete ihm wahnsinnige Kopfschmerzen, die er vehement zu ignorieren versuchte, als er das Ende des Korridors erreichte, an dem eine Tür war. Keuchend blieb er davor stehen und starrte sie an – es war in dem Moment, dass er den Schatten deutlicher und grauenhafter fühlen konnte als jemals zuvor. Der Moment, bevor er die Stimme hörte, nach der er gesucht hatte... und vor der er gleichzeitig panische Angst hatte.

„Ich habe gewusst, du würdest kommen... Karana. Und es ist gut, dass die Fäden... des Bannmals dich hergezogen haben, so, wie ich es wollte. Die Fäden, die mir die Macht geben... dein Schicksal zu bestimmen, Sohn von Puran Lyra, Herr der Geister und König... des Reiches Kisara.“ Karana fuhr herum, als aus dem Schatten des toten Winkels der Mann trat, den er erwartet hatte. Der Jüngere ballte unmerklich die Fäuste und griff mit einer Hand unwillkürlich nach dem Schwert von Mihn.

„Ulan Manha... oder sollte ich sagen... Tag auch, Urgroßvater?“
 

Es war etwas her, seit er Ulan Manha zum letzten Mal gesehen hatte. Seit sie aufgebrochen waren mit der Tari Randora, hatte er immer nur seine Schergen geschickt... Karana war es, als wäre seit der letzten, fatalen Begegnung mit diesem Mann Jahrhunderte vergangen, und dennoch hatte sich keiner von ihnen beiden ernsthaft verändert. Einen Moment standen sie einander nur gegenüber und sahen sich an, und Karana spürte die Spannung in seinem Inneren plötzlich so rapide und bedrohlich ansteigen, dass ihm die Luft wegblieb. Das war der Mann, der Schuld war an all ihrer Unbill. Der Mann, der so viele Geisterjäger ermordet hatte; Kohdars, Soras Vater, selbst Nalani, die Geisterjägerkönigin. Der Mann, der Schuld daran war, dass Karana und sein Vater jetzt dieses scheußliche Mal trugen, diesen Fluch, den sie zeitlebens nicht los würden... es sei denn, Scharan starb.

Dieser Mann, den Karana um jeden Preis vernichten musste, damit der Schatten seines Urgroßvaters für immer verblasste.

„Ich habe gewusst, du würdest kommen.“, wiederholte Manha seine Worte erneut und grinste ihn wissend an. Karana bebte vor innerer Unruhe, rührte sich aber nicht vom Fleck, auch dann nicht, als der Ältere einen Schritt auf ihn zu tat. Er konnte ihn spüren, den Schatten... deutlicher als je zuvor, und die Präsenz dieser finsteren Macht brachte ihn fast zum Würgen. „Und du bist nicht gekommen, nur um deine Schwester zu retten... was, Karana? Du bist nicht zu ihr... sondern zu mir gekommen.“

Der jüngere Mann riss sich aus seiner Starre und zog sein Schwert in einer einzigen, heftigen Bewegung, es seinem Kontrahenten ohne weitere Umschweife entgegen streckend. Er spürte die Macht, die es barg, er spürte die Macht, die sein eigener Geist auf es hatte, wie seine Seele eins war mit dem Schwert, diesem so alten, wichtigen Familienerbstück, das seit über dreihundert Jahren darauf gewartet hatte, dass er, Karana, es einmal führen würde. Und die Klinge glimmte im kalten Dämmerlicht des Korridors, als Karana sich auf die Magie konzentrierte.

„Ah... du willst kämpfen?“, feixte Manha ihm gegenüber und zog den Kopf vor dem zitternden Schwert etwas zurück, „Tapfer von dir... Karana.“

„Ich werde nicht kämpfen.“, schnarrte der Jüngere, „Ich werde dich töten. So sicher, wie die Sonne jeden Tag aufgeht... Dämon!“

Er stürzte sich vorwärts auf den Gegner und war davon überzeugt, es zu tun. Er würde ihn töten, er würde hier und jetzt alles beenden und dann wäre es gut. Er war davon überzeugt... bis zu dem Moment, in dem die Geister wieder flüsterten.

„Du wirst fallen... wie es dein Schicksal ist, Karana Lyra. Es ist zu früh.“

Er zögerte nur den Bruchteil eines winzigen Augenblicks – kaum so lange, wie man zum Blinzeln brauchte... aber es war genug. Er erreichte seinen Gegner nicht und schlug ins Leere, spürte die donnernde, grausame Macht des Windwirbels in seinem Inneren brodeln, als er durch einen Schlag purer geistiger Energie zurück geschleudert wurde und gegen die harte Wand prallte. Keuchend fuhr er hoch und packte seine Waffe, dann war Manha auch schon direkt vor ihm, so nah, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührt hätten, und grinste ihm auf diese diabolische, wahnsinnige Art ins Gesicht, dass Karana das Blut in den Adern zu gefrieren schien.

„Schade, dass es... hier keine Sonne gibt, die aufgehen kann, was?“

Er ließ augenblicklich die Waffe fallen, als ein fürchterlicher Schmerz durch das Fluchmal stach und sich rasant über Karanas ganzen Körper ausbreitete, ihn schreiend in die Knie und ganz zu Boden gehen ließ, wo er keuchend nach seinem Unterarm fasste. Scharan stand über ihm und sah auf ihn herunter, in seinen Augen dieses Übermächtige, die ganze, geballte Macht des Schattendämons, der seine Seele besaß... der Schatten von Kelar Lyra, dem Tyrannen. Der Schmerz in Karanas Arm wurde so grauenhaft, dass er vorne über zu Boden kippte und schreiend seine Hand an den Unterarm krallte, als könnte er es so aufhalten, stattdessen wurde es immer mächtiger. Es drückte ihn zu Boden, es zerquetschte ihn unter seiner berauschenden Macht, dass er kaum noch klar denken konnte, als er wie am Spieß schreiend und fast blind vor Schmerzen am Boden lag und sich wand wie ein Fisch auf dem Trockenen, der dem qualvollen Tod ohne Wasser ausgesetzt war. Irgendwo sah er sein Schwert und er versuchte mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, daran zu kommen... es war zu weit weg. Der Schmerz war zu mächtig, und Karana schrie, als er die Hand von seinem brutal schmerzenden Arm löste und keuchend nach seiner Waffe zu angeln versuchte. In seinem Kopf rauschte das Blut, gepaart mit den Todesqualen des Fluchmals und dem Drang seines Geistes, zu überleben – er konnte nicht sterben! Er durfte nicht sterben, er wollte nicht sterben... seine ganze Seele wehrte sich dagegen, dass das Fluchmal ihn zerfetzte, obwohl sein Körper merklich rapide die Macht verlor, dagegen anzukämpfen...

Über sich in allem Schatten hörte er Manha lachen.

„Du willst dein Schwert? Hol es dir, strecke mich nieder, Karana. Ich habe keine Waffe... es ist keiner da, der mich retten wird. Nie wirst du es leichter haben als jetzt... oder?“ Der Schmerz ebbte ab. Karana keuchte und drehte sich am ganzen Leibe bebend auf den Rücken, um fassungslos hinauf zu starren in das hämische Gesicht seines Gegners.

„Tu es. Ich habe keine Waffe. Nie wird es eine bessere Chance geben als jetzt.“

Er rollte sich stöhnend herum und angelte verzweifelt unter den immer noch nicht ganz verblassten Schmerzen nach seinem Schwert. Er musste dagegen kämpfen – er musste den Schmerz ignorieren, nur so konnte er die Macht des Fluchmals unterdrücken – und er musste sie unterdrücken, wenn er Scharan töten wollte...

„Tu es.“, sagte der Mann über ihm und sah auf ihn herab, Karana spürte die stechenden, wahnsinnigen Blicke ganz deutlich, als er jetzt auf dem Bauch lag und stöhnend nach dem Schwert griff. Er berührte den Griff mit der Fingerspitze. „Spüre deinen... Hass auf mich, Karana. Spüre den... unbändigen Zorn, der in dir haust, du hast es schon einmal getan. Hasse mich, Karana... der ich dich so grauenhaft leiden lasse. Oder deinen Vater... nicht wahr?“

„Du... wirst... verrecken...!“, keuchte Karana und streckte sich trotz der Schmerzen mit aller Macht, um endlich seine Waffe zu packen, herumzufahren und sich mühsam strauchelnd auf die Beine zu rappeln. Der Schmerz pochte in seinem Unterarm wie eine züngelnde Flamme aus purer Bosheit; einer Bosheit, die aber nicht aus dem Arm stammte, sondern aus Karanas tiefstem Inneren, wie er keuchend feststellte, als er stand und mit beiden Händen das Schwert von Mihn umklammerte. Es bebte in seinem Griff und er spürte, wie die Macht in seinem Geist aufflammte wie ein gewaltiges Feuer...

Ein Feuer mit schwarzen Flammen aus purer Finsternis.

Der Schattengeist in deinem Inneren... er ist nicht verschwunden. Er ist noch da... der Dämon.

Ulan Manha vor ihm schenkte ihm einen herrischen, durchdringenden Blick und hob seinerseits die Hände, bereits zum Gefecht; er hatte keine Waffe, aber er war Schamane, als Magier brauchte man nicht zwingend eine.

„Ja... ich spüre deinen Zorn, Karana.“, sagte er gehässig, „Ich spüre diese... finstere Wut... weil ich es bin, der dir diese Bürde aufhalst... weil ich es bin, der dich auf Trab hält... der dich und deine Familie bedroht... hasse mich, lass ihn raus, deinen Zorn!“

„Ich werde dich töten!“, brüllte Karana ihn an und schwang das Schwert keuchend nach vorne, wobei es laut krachte, als sich der Windwirbel von der Klinge löste und auf den Mann zu fegte. Scharan riss seine Arme zur Seite und schleuderte dem Wirbel eine gigantische Flammenwand entgegen, gegen die Karanas Zauber prallte und mit einem ohrenbetäubenden Krachen samt dem Feuer zerbarst. Als Karana nach vorne starrte, war Manha verschwunden – genau in dem Moment war er wie aus dem Nichts plötzlich hinter ihm und Karana wirbelte herum, als der Mann ihn an der Kehle packte und rückwärts gegen die Wand stieß, so brutal, dass Karana irgendetwas in seinem Rücken laut knacken hörte und aufschrie, als ein weiterer, bestialischer Schmerz durch seinen Körper fuhr. Das Schwert fiel zum zweiten Mal aus seiner Hand und Karana schnappte hustend nach Luft, während Manha seine Kehle fest zudrückte und ihn gegen die kalte Wand presste, sein Gesicht so dicht vor seines beugend, dass Karana ihm direkt in die grünen Augen starrte, die vor seinen waren.

„Fürchtest du dich...?“, raunte der Ältere. „Bin ich es wirklich, der an allem Schuld ist... Karana? Bin ich es, der deinen Zorn verdient... der Schuld an deiner Last ist? Wer war es denn, der dir auftrug, mich umzubringen... der dir diese Bürde aufhalste? War ich das?“ Karana stöhnte und versuchte gelähmt von seinen Schmerzen irgendwie, sich zu befreien. Manha drückte nur fester zu und dem Jüngeren blieb die Luft weg. „War das nicht eher dein Vater, der das getan hat?“, fuhr der Sklavenkönig mit lauernder Stimme fort und Karana erstarrte, als sich ihre Blicke erneut trafen. Er spürte Manhas Atem in seinem Gesicht, er spürte das Pochen seines Pulses, die Macht des Schattengeistes, die ihn mehr lähmte als der Schmerz an sich – er spürte diese abgrundtiefe Bosheit, die dieser Mann ausstrahlte, diese Bestie, die es nicht wert war, am Leben zu bleiben.

„W-was soll das?!“, keuchte er stimmlos, „Was redest du jetzt über meinen Vater?!“

„Ich versuche nur, die Dinge ins richtige Licht zu rücken... war er es nicht, der dir die Bürde aufhalste? Die Bürde, die dir den Schlaf... und den Verstand raubt, seit ihr aufgebrochen seid? Diese Ungewissheit, ob du fähig sein wirst, die Aufgabe zu bewältigen...? Und was, wenn nicht? Wird Vati dann böse sein? Enttäuscht? So, wie er es immer ist, heißt das...?“ Karana weitete heftig atmend die Augen, als der Mann seine Kehle etwas lockerer ließ, ohne jedoch von ihm abzurücken oder ihn loszulassen. „Hat er nicht immer... zu viel erwartet von seinem Sohn? Hat er dich jemals gelobt oder war stolz auf dich? Hat er dich nicht immer nur getadelt... und dir klar gemacht, wie böse... du für ihn bist? Soll ich dir sagen, wieso? Es gibt einen Grund, aus dem dein eigener Vater... dich immer gehasst hat, Karana. Einen Grund für... alles. Einen Grund für den Moment, in dem wir hier stehen. Willst du ihn hören?“

„Du lügst!“, keuchte Karana und versuchte jetzt energischer, sich loszureißen, blieb aber erfolglos, weil der Mann vor ihm ihn wieder fester packte. Er spürte die Finsternis in seinem eigenen Geist empor schießen, die Panik, die ihn ergriff wie der Rausch eines zu mächtigen Zaubers, die seine Knie nachgeben und ihn fast zu Boden stürzen ließ, hätte Manha ihn nicht festgehalten und wieder brutal gegen die Wand gestoßen.

„Der Grund ist deine Seele!“, sagte Manha zu ihm, „Der Grund ist... dass wir beide, du und ich, uns nicht unähnlich sind... hör auf dein Innerstes. Du weißt, dass ich recht habe. Wir haben die gleichen, spitzen Zähne. Wir haben dieselben Vorfahren, wir sind vom selben Blut... wir sind vom Schicksal... zusammen geschweißt, Karana, weil wir eins sind. Weil wir uns... dieselbe Seele teilen, den Geist von Kelar Lyra, dem Tyrannen. Du bist ein Teil von mir, Karana... so wie ich einer von dir. Und der Schatten deiner Seele wird dich niemals... loslassen, egal, wie sehr du ihn niederzwingen magst!“

„Nein!“, brüllte Karana und schlug nach dem Mann, Scharan packte sein Handgelenk und stieß es so hart gegen die Wand, dass Karana spüren konnte, wie im Handgelenk irgendetwas brach. Er schrie gellend und Manha ließ ihn los, worauf er augenblicklich zu Boden stürzte. Der Schmerz flammte wieder durch das Fluchmal und er spürte den Schatten in seinem Inneren wachsen. „Du lügst, ich kann... das beherrschen! Ich habe es in der Geisterjägerprüfung auch gekonnt! Du hast keine Macht über mich, Kelar!“

„Doch, die habe ich... törichter Junge!“, hörte er die schnarrende Stimme des Dämons in seinem Kopf, und er schrie erneut und wand sich, als die Schmerzen ihn fast umzubringen schienen. „Weil du nach mir kommst, Sohn von Puran... weil du es willst. Die Macht... nicht wahr?“

Karana keuchte und hielt inne, während er am Boden lag und die Augen weit aufriss, so sehr, dass sie tränten. Der Schmerz war überall... aber das Schiff war verschwunden. Stattdessen war er in einem Loch aus Schatten, und vor ihm tanzte eine kleine Knochenspirale in der Dunkelheit.

Die Macht...?

„Du willst sie...“, raunte der Dämon und Karana spürte das Pochen des Schmerzes in der Finsternis versickern. „Die Macht, es zu bezwingen. Die Macht, mit der sie alle knien... selbst Zoras Chimalis. Selbst Neisa, deine illoyale Hure von Schwester. Selbst Simu, der immer klüger und braver war als du...“
 

„Selbst dein Vater, der dich dein Leben lang gehasst hat... für den Geist, den du trägst. Dein Vater, dem du nie gut genug warst... Missgeburt!“
 

„Lügner!“, brüllte der junge Mann und wand sich panisch schreiend in der Finsternis, die nach ihm griff und ihn zu ersticken drohte, „Mein Vater hasst mich nicht! M-mein Vater ist ein guter Mann!“

„Dein Vater wollte nicht, dass du jemals geboren wirst... weil er von Anfang an gewusst hat, dass du... die Wiedergeburt von Kelar sein würdest. Genau wie Manha... hör auf dein Herz. Du weißt es, Karana. Du hast es immer gewusst... warst du es nicht, der als Kind seinen Vater Hurensohn genannt hat?“

Die Worte waren ein brutaler Schlag ins Gesicht. Genau wie die Erinnerung an seinen Vater, dumpf, irgendwo in den Tiefen seines Geistes. Um ihn herum tanzten jetzt tausende von Spiralen, als er sich aufrappelte und den Zorn in sich empor kochen spürte, gemeinsam mit einer grauenhaften Abscheu, gemeinsam mit einer bitteren, unbändigen Wut über die Erkenntnis, dass die Geister niemals logen.

Er hatte seinen Vater einen Hurensohn genannt... er hatte so oft diese Dinge getan, die nicht er selbst gedacht und gewollt hatte. Es war Kelar gewesen... es war eine Verkörperung all seines Hasses, all seiner Wut, und er spürte, wie sie sich in seinem linken Unterarm manifestierte und so greifbar und gewaltig wurde, dass er das Gefühl hatte, sie wäre allgegenwärtig. Er spürte den Zorn... er spürte die Macht seines Vaters, die er immer hatte erreichen wollen. Er hatte immer so sein wollen wie er. Und sein Vater hatte ihm nie Stolz entgegen gebracht. Er hatte ihn immer getadelt... er hatte ihn skeptisch angesehen. Er hatte ihn gefürchtet... er hatte ihn gehasst, Karana wusste es.

Die Geister lachten in seinem Kopf.

„Töte!“, zischten sie, „Spüre den Zorn, lass ihn raus! Du kannst es... du bist wie ich, mein Urenkel! Du hast dieselbe Macht... die einzige Macht, die du deinem Vater voraus hast... du hast den Fluch, du hast die Kontrolle, wenn du es nur willst! Töte... beherrsche sie, spüre... die Macht!“

„Ich hasse... dich, Vater!“, brüllte Karana, „Ich hasse dich!“ Und das war der Moment, in dem er alle Macht von sich stieß, den gewaltigsten Zauber, den er jemals fabriziert hatte, so glaubte er, und er schleuderte die geballte, geistige Macht auf die Finsternis, auf die Knochenspiralen, weg von sich. Er hörte Schreie, er sah Fetzen von Bildern, die sich als blutiger Schwall voller Tod und Bosheit über ihn ergossen, gleichzeitig spürte er den grauenhaftesten Schmerz in seinem Unterarm und in dem Fluchmal, den er jemals erlebt hatte, sodass er schreiend wieder zu Boden stürzte... in dem Moment verschwanden die Knochenspiralen und der Schatten mit einem Mal, und Karana fand sich auf dem Boden der Tari Randora Zwei sitzend, an derselben Stelle wie zuvor, und vor ihm stand Scharan, der auf ihn herunter starrte und diabolisch grinste. Karana griff stöhnend nach dem brennenden Mal und kratzte an den verbänden, an der Haut, als könnte er es so los werden, und versuchte panisch schreiend rückwärts zu robben, als Scharan sich vor ihn hockte und mit ihm auf Augenhöhe kam.

„Schmerzt es...?“, raunte er, „Das Fluchmal ist die Quelle allen Übels, Karana. Es ist mein Fluch, meine Macht, die ich von meinem Großvater Kelar geerbt habe... die Macht, die auch du trägst. Du hast die Zähne... du bist fähig, dieselbe Macht zu erlernen, die andere... vor dir knien lässt, Karana. Wie ich sagte, wir... sind eins.“

„G-geh mir vom Leib!“, keuchte Karana und presste wimmernd die Hand auf den blutigen, schmerzenden Unterarm mit dem Mal, „D-du kannst das nicht! Komm nicht näher, ich werde dich töten!“

„Das denkst du, und doch bin ich es, der Macht über dich hat... hm?“, grinste sein Gegenüber und Karana keuchte und weitete in panischem Entsetzen die Augen. „Alles, was du tust, tust du durch meinen Einfluss, hast du... das noch nicht bemerkt? Du bist nicht hergekommen, weil die Geister es wollten. Du bist gekommen, weil ich dich gelenkt habe... weil ich Einfluss auf dich habe durch das Mal. Du hast Schmerzen, wenn ich es will, du wirst sterben... wenn ich es will. Und der einzige Grund, wieso du noch lebst, ist... dass du zu wertvoll bist, wo du doch... mir so ähnelst.“ Karana keuchte atemlos und spürte, wie er zitterte – wie der Schatten in seiner Seele tobte und ihn anschrie, er sollte aufstehen und ihn vernichten, er sollte sie alle vernichten, bis die ganze Welt ihm zu Füßen lag und niemand mehr da war, der ihn bezwingen könnte... die Gedanken machten ihm Panik und er versuchte halb bewusstlos vor Hysterie und Schmerzen, den Schattendämon seines Geistes irgendwie zurück in seine Fesseln zu zwängen, wie er es in der Geisterjägerprüfung getan hatte. Der Schatten war zu mächtig... es war wie im Lager von Ela-Ri. Er spürte, wie die Macht des Dämons wuchs mit jedem Wort, das Scharan sprach, mit jedem Schmerz, den er spürte, mit jedem Atemzug, den Karana tat, und im gleichen Moment wurde der Teil seines Selbst schwächer, der den Schatten zurückdrängen konnte.

„Gib nicht auf!“, versuchte er es in Karanas Inneren, „Kämpfe, verdammt! Hör nicht auf ihn, er lügt dich an! Er will dich nur benutzen, Karana, hör nicht hin!“

Scharan lächelte zufrieden.

„Du bist meiner Macht und meinem Erbarmen ausgeliefert, genau wie... jeder deiner Gefährten. Deiner Gefährten, die du in den Tod reiten wirst... wenn du weitergehst. Weil du unter meinem Einfluss stehst... werden sie alle sterben, das ist deine Schuld. Deine Schwester... deine Frau... und das ungeborene Baby in ihrem Bauch. Du wirst fallen, Karana, weil du... mit mir verbunden bist. Und wir dasselbe Schicksal teilen müssen... so ist der Wille der Mächte der Schöpfung.“

Der Jüngere erstarrte.

Ungeborenes... Baby? Iana...?!

„Er lügt, kämpfe, tu das nicht!“, rief die Geisterstimme in seinem Kopf und Karana schüttelte sie vehement ab, als er vorwärts auf die Knie fiel und bebend zu Scharan empor blickte, der grinsend auf ihn herab sah.

„D-du kannst das nicht!“, keuchte er und Manha lachte.

„Und ob ich kann. Ich beherrsche dein Fluchmal. Ich kann dich alles tun lassen... ich kann dich Iana töten lassen. Und Neisa. Alle. Ich kann es tun und du hast keine Chance, dich dagegen zu wehren... bis auf eine.“

„I-ich werde nicht zulassen, dass sie sterben! Du irrst dich, Dämon!“, brüllte Karana und spürte, dass der Widerstand seiner eigenen Seele schwand – und wie der Schatten in seinem Inneren die Kontrolle gewann. „Ich werde dich töten... Manha...!“, japste der junge Mann und drohte unter seinem eigenen Gewicht zusammenzubrechen – oder unter der Macht des Schattengeistes, die ihn zerquetschen würde, wenn er sich nicht wehrte.

„Ich kann sie dir beibringen... die Kontrolle des Fluchmals.“, grinste Manha, „Du hast gesehen, wozu es fähig ist... es kontrolliert nicht nur deine Schmerzen. Es kontrolliert dein Bewusstsein, deine Gedanken und deine Gefühle, wie ich es will, ich kann dich nach Lust und Laune manipulieren, Karana... wie eben gerade, als ich den Hass auf deinen Vater beschworen habe. Den Hass, mit dem ich dich... deine eigenen Eltern auf Zuyya habe ermorden lassen. Ist das nicht lustig, was ich alles kann?“
 

Der Junge erbrach sich vor seine Füße. Manha trat einen Schritt zurück, er hatte befürchtet, dass es so kommen würde, die Technik war grausam. Er genoss die Macht, die er über Karana hatte... Purans Sohn, in dem er den Geist des Tyrannen Kelar weckte, diese Quelle purer Bosheit, purer, bestialischer Zerstörungskraft und diesen Willen, zu töten. Diesen Willen, zu unterwerfen... das, worin sie beiden einander ähnelten. Karana schrie sich die Lunge aus dem Leib, er fuhr auf und versuchte absolut amotorisch, aufzustehen, er versuchte gleichzeitig nach seinem Schwert zu greifen und ihn, Scharan, irgendwie mit einer Katura zu erwischen, während er vor Wahnsinn fast verreckte bei den bloßen Gedanken, was er gerade eben mit Hilfe des Fluchmals angerichtet hatte. Manha betörte die Macht... Karana lag ihm zu Füßen, es bedurfte nur einer Handbewegung und eines Gedankens an das Mal, um den Jungen wieder auf den Boden zu zwingen, wo er sich noch mal erbrach und dann weiter schrie.

„Du lügst!“, brüllte er, „Das habe ich nicht, das ist nicht wahr!“

„Du musst nur auf dein Innerstes hören, Karana.“, sagte Manha und bemühte sich um die ehrlichste, tröstendste Stimme, die er aufbringen konnte, „Dann wirst du wissen, dass es wahr ist... nicht wahr? Seien wir ehrlich, sie haben es verdient... diese Scharlatane. Sie haben dich verschmäht... sie haben dich gehasst und gefürchtet, du brauchst sie nicht. Ich kann dich auch Iana töten lassen... und alle anderen...“

„Nein, bitte!“, schrie Karana heulend vor blinder Panik und riss den Kopf hoch; er war so kalkweiß, dass Scharan kurz glaubte, er würde gleich ohnmächtig umfallen, aber er hielt sich wacker. Der Mann grinste.

„Ich bringe sie dir bei... die Technik. Das ist der einzige Weg, deine Frau und dein Baby vor dem Tod zu bewahren... indem du selbst die Kontrolle erlangst. Dann habe nicht mehr ich die Macht über dich... dann hast du sie selbst. Wir sind ein Ganzes, Karana... wir sollten uns zusammentun, bevor es zu spät ist.“ Karana hustete und weitete in blankem Entsetzen die Augen; Scharan konnte ihn spüren, den Schatten in ihm. Er war wieder aufgewacht... es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Weil es Karana war... und nicht Puran. Mit Puran hätte das niemals funktioniert, weil er nicht mehr zweifelte. Aber Karana bestand nur aus Zweifeln... Karana war unsicher. Es war einfach, das Gemüt eines unsicheren Menschen zu kippen. Ulan Manha war kein Geisterjäger und auch kein ernsthaft begabter Magier, der einzige Zauber, den er wirklich beherrschte, war das Fluchmal... das, was er noch besser beherrschte als das, war eigentlich die Gabe, Leute zu überzeugen. Es war nicht schwer, Karana zu seinen Füßen zu zwingen, wenn er wusste, was er sagen musste – auf welchen wunden Punkten er herum hacken musste. Das Fluchmal war definitiv nicht fähig, andere zu töten, er konnte Karana nie im Leben seine Eltern ermorden lassen. Aber er konnte ihm einbläuen, er könnte es... das war die Macht, die das Fluchmal barg. Die Gedanken an seine eigene Genialität ließen ihn fast schallend auflachen in seiner Euphorie.

Ja, binde dich an mich, Karana, lerne von mir und denke, du würdest es nutzen können! Der Schatten ist mächtig in dir... und er wächst, mit jedem Moment, in dem du atmest, mit jedem Moment, in dem du zulässt, dass er dich beherrscht. Und wenn wir den Abgrund der Schatten erreichen, wird er so mächtig sein, dass du statt mich alle anderen töten wirst... alle, gegen die ich dich aufhetze. Wie leicht es doch ist, mir selbst die Mühe zu ersparen... töte du Zoras Chimalis für mich. Töte Neisa, töte die Seherin, töte alle... der Sieben. Und wenn du vor Gram darüber, was du getan hast, am Boden liegst, töte ich dich... am Abgrund der Schatten werden die Götter nicht an euch heran kommen, um euch zu beschützen.

Er fuhr herum, als er plötzlich eine Macht hinter sich wahrnahm, die ihn erschreckte, doch zu spät bemerkte er die magische Flutwelle, die auf ihn zu jagte und ihn so heftig von den Beinen riss und durch den Korridor schleuderte, dass er unsanft gegen die Wand prallte. Er hörte Karana husten und wirbelte keuchend und jetzt nass herum in die Richtung, aus der der Wasserzauber gekommen war, und was er sah, ließ ihn erstarren – mehr noch Karanas Worte, die dieser von sich gab, ehe er vermutlich bewusstlos zu Boden kippte und liegen blieb:

„I-Ianachen... meine... Königin...“
 

Sie spürte einen wallenden, unglaublichen Zorn auf diesen Mann, der sich gerade wieder aufrappelte, der Schuld am Zustand ihres Mannes war. Sie sah nur flüchtig auf Karana, ihm konnte sie gerade nicht helfen, das müsste bis später warten. Scharan seinerseits hob herrisch den Kopf und trat entgegen seiner Kopfhaltung erbleichend rückwärts, sobald er sie sah. Irgendetwas war komisch an seinem Gesicht – war das Panik in seinen Augen?

„Du...!“, keuchte er und Iana spürte den Zorn mächtiger werden, während sie Kadhúrem umklammerte und die Macht des Kurzschwertes ganz deutlich fühlen konnte. So mächtig war es noch nie gewesen, jede Faser ihres Körpers bebte vor Anspannung und in der Ekstase, die in ihrem Körper wuchs – der Ekstase der Magie, die von Kadhúrem ausging. Das Schwert ihres Vaters, das ihr so heilig war... das Puran Lyras Mutter gehört hatte. Jetzt gehörte es ihr, sie spürte, wie die ganze Waffe mit Leib und Seele ihr gehörte, wie sie eins waren, wie sie bereit war, mit Kadhúrem zu töten. Sie spürte den Schatten, der sie umgab, der den Korridor ausfüllte, und sah Scharan zurück taumeln.

„Lass deine Finger von ihm, Manha. Deine Zeit ist abgelaufen... und du weißt es. Ich habe dafür gesorgt, dass du mir nicht entkommen wirst, und wenn du glaubst, du wärst mich losgeworden, irrst du... Koch aus Holia.“

„D-das kann nicht sein, du kannst nicht so sprechen!“, schrie der Mann und strauchelte zu Boden, sichtlich erbleichend, „Ich habe... ich habe dich umgebracht, du kannst das nicht!“

„Du hast dich mit Mächten angelegt, die zu groß für dich sind.“, sagte Iana – und wunderte sich im selben Moment über ihre eigenen Worte. Was sagte sie da? Das hatte sie niemals sagen wollen, oder gar denken – diese Worte waren noch nie in ihrem Kopf gewesen. Irgendetwas in ihr trieb sie aber dazu, so zu sprechen – irgendetwas in ihr, das auch den Wasserzauber gerufen hatte. Es war mächtig... ihr Blick fiel fassungslos auf das Kurzschwert in ihrer Hand.

Kadhúrem...?! Bist du das, das... mich besitzt?!

„Zu groß...?! Das werden wir ja sehen... du bist tot, Närrin! Ich werde nicht vor einer Toten kriechen... du kannst mir keine Angst einjagen!“ Das gesagt schleuderte er ihr einen Feuerzauber entgegen. Iana sprang keuchend zur Seite, riss Kadhúrem hoch und gleichzeitig die freie Hand, mit der sie dem Feuer abermals Wasser entgegen schmetterte. Krachend stießen die elementaren Zauber aufeinander und explodierten mit einem lauten Knallen im Korridor, der das ganze Schiff beben ließ. Den Moment der Apokalypse nutzte Iana, um nach vorne zu hechten und zu Manha zu gelangen, ihn zu packen und mit einem einzigen Schwung ihres Armes gegen die Wand zu schleudern, ehe sie ihm das Kurzschwert ihres Vaters an die Kehle hielt. Genauso plötzlich, wie ihre kleine Auseinandersetzung begonnen hatte, war sie vorüber, und der Mann starrte sie an, bleich vor Entsetzen, während sie die blauen Augen verengte und den Schatten spüren konnte... es war ein Gefühl wie von Tod.

Tod und Schatten... mit der Klinge des Schattenschwertes.

„Das... ist nicht möglich.“, keuchte Manha in ihrem Griff und sie spürte, dass er Angst hatte – Angst vor ihr? Keuchend fuhr sie zurück, ohne das Kurzschwert von seiner Kehle zu nehmen, und weitete die Augen wieder.

„Du wirst fallen... in den Schatten, in den du gehörst... Kelar.“, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihre war. Mit Worten, die nicht ihre waren, und sie fragte sich, ob es das Schwert war, das sprach...

„Du siehst ihr ähnlich... Akada. Pass auf es auf, es... ist wertvoll.“

„Das Kadhúrem des Kandaya-Clans ist... ein Gegner, gegen den du nichts ausrichten kannst. Du erkennst es wieder... nicht wahr?“

Manha bebte vor Zorn und Panik, als sie ihn losließ und er sich aufrappelte, um sofort Anstalten zu machen, davon zu laufen.

„Ich werde dich vernichten!“, schwor er verbiestert, „Dich und... deine Schattenklinge! Und wenn du kniest... werde ich lachen, bevor ich dir den Kopf abschlage... für immer!“

Dann verschwand er. Iana stand einen Moment wie angewurzelt einfach nur da, dann fiel ihr die Waffe klirrend aus der Hand und zu Boden. Keuchend sah sie auf ihre Hände, während sie sich fragte, was gerade geschehen war. Was war plötzlich mit ihr gewesen? Das war nicht ihre Stimme gewesen, es waren nicht ihre Worte gewesen, nicht einmal ihre Gedanken – nicht ihr eigener Geist. Und genauso plötzlich wie es gekommen war, war es vorbei, jetzt fehlte jede Spur von dem fremdartigen Geist, der sie besessen hatte. Sie sah auf Kadhúrem, das Schattenschwert, das sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte. Irgendwie wagte sie plötzlich nicht mehr, es anzurühren – was, wenn es wieder geschah? Sie fürchtete sich davor, die Kontrolle über ihre eigene Seele zu verlieren, wenn jemand anderes einfach so davon Besitz ergreifen konnte... so, wie es bei Karana immerzu war.

„Karana!“, keuchte sie, als ihr ihr Ehemann wieder einfiel, der noch am Boden lag. Sie hechtete zu ihm hin und rüttelte an ihm, doch er zitterte nur in seiner Bewusstlosigkeit auf eine Weise, die sie ernsthaft besorgte. Sein Arm mit dem Schmerzmal sah übel aus... was immer Scharan mit ihm angestellt hatte, es musste fürchterlich gewesen sein.

„Verdammt, wir müssen hier weg!“, stammelte sie und griff jetzt doch wieder nach Kadhúrem; in der Annahme, der komische Geist würde sie sofort wieder ergreifen, war sie fast überrascht, als das ausblieb. „Himmel Arsch, steh auf, Karana! - Wir müssen hier weg, d-die anderen sind doch schon auf dem Weg, soll Ryanne die ohne uns hinüber-... Karana, bitte!“ Sie schlug ihm gegen den Kopf, manchmal half das; heute nicht, er fuhr zwar zusammen, machte aber keinerlei Anstalten, aufzuwachen. Wütend steckte sie die Waffe an ihren Gürtel und warf sich ihn mit etwas Mühe über die Schultern, um ihn zu tragen wie eine tote Raubkatze. Zum Glück war er für seine Größe echt leicht, weil er so dünn war... aber lange würde sie das nicht mitmachen. Wenn sie die anderen nicht bald fand oder der Herr sich bequemte, selbst zu gehen, würde es nicht gut ausgehen...

Helft mir, Himmelsgeister... bitte! Ich denke, wir sind die Sieben... w-wir sind auserwählt! Dann schützt uns... irgendwie...

Sie war verblüfft, als sie eine Antwort bekam.

„Was glaubst du, was ich eben gerade gemacht habe mit dir, Iana Lynn... 'Akada'?“
 

Sie hätte sich nicht sorgen müssen, ob sie die anderen wiederfände; ihre Instinkte, die sie mit den anderen der Sieben verbanden, führten sie automatisch in die richtige Richtung, so, wie sie vorhin auch schon sie alle zu Neisa geführt hatten. Abgesehen davon waren sie schon aus meilenweiter Entfernung zu hören und das grelle Blitzen irgendwelcher todbringender Zauber zu sehen. Was immer die Anderen da machten, es war gewaltig. Als Iana keuchend mit dem immer noch bewusstlosen Karana auf den Schultern zu ihren Kameraden stieß, platzte sie mitten in das nächste Weltenende. Sie hatten nur zwei Gegner, aber einer davon war Kyeema, das überaus talentierte Lianermädchen, das eben seine Feuerbestie durch die Meute jagte und eine Schneise in die Kameraden schlug. Als der Feuervogel dann direkt auf Iana zukam, die mit beiden Händen damit beschäftigt war, Karana festzuhalten, blieb ihr nichts anderes als schreiend zur Seite zu springen, wodurch Lavia sie verfehlte.

„Iana, du bist zurück!“, begrüßte Neisa sie und blinzelte, „Himmel, was hast du mit ihm angestellt?“

„Wollen wir nicht erst verschwinden und danach Fragerunde machen?!“

„Würden wir gerne, aber Ryanne hat mal wieder vergessen, dass sie teleportieren kann...“ Iana stöhnte, legte ihren Mann etwas unsanft wie einen Sack Kartoffeln auf den Boden und packte ihn am Fußgelenk, um ihn hinter sich her zu schleifen, während sie zu Ryanne blickte – die Seherin hockte in irgendeiner Ecke, kratzte sich am Kopf, redete mit sich selbst und malte mit dem Finger sinnlose Strichmännchen auf den Boden. Das konnte doch alles nicht wahr sein, diese verdammte Frau, konnte die nicht einmal ihr verfluchtes Gedächtnis behalten? Iana glaubte inzwischen, sie machte das absichtlich, um sie alle zu ärgern... zutrauen würde sie es der intriganten Irren jedenfalls...

Sie kam nicht weiter zum Nachdenken, weil der Feuervogel zurück kam und sie und Neisa beinahe zu Asche gemacht hätte. Die Schwarzhaarige fuhr herum und riss reflexartig die Hände empor, um Lavia einen Schwall Wasser entgegen zu schleudern. Im nächsten Moment hörte sie hinter sich ein lautes, gellendes Schreien, dann wurde es plötzlich auf einen Schlag stockdunkel. Iana keuchte, als sie ein ohrenbetäubendes, dunkles Grollen aus dem Nichts vernahm, das ihren ganzen Körper beben ließ, und sie fuhr japsend herum; sowohl Lavia als auch das Wasser und sämtliches Licht des Korridors waren plötzlich wie weggewischt und sie fand sich in kompletter Schwärze wieder. In ihrem Kopf rauschte es und sie spürte, wie ein gewaltiger Druck aus purer, bestialischer Bosheit sich über sie legte und versuchte, sie zu Boden zu drücken.

„Aufhören!“, hörte sie irgendwo einen schrillen Schrei und sie vermutete, dass es Kyeema war, die schrie, denn die Stimme gehörte keinem ihrer Kameraden. „A-aufhören, bitte!“

„Dein 'Vater', wie du das Ungeheuer nennst, wird dir nicht helfen, du Ratte!“ Das war unverkennbar Zoras Derran, der irgendwo in dieser abgrundtiefen, boshaften Dunkelheit sprach. Iana wirbelte herum und versuchte, im Dunkeln nach irgendetwas zu tasten, dabei fest Karanas Fußgelenk umklammernd. „Und ich zeige keine Gnade mit denen, die es wagen, meiner Frau auch nur ein einziges Haar zu krümmen... nur eine einzige Wimper. Und da du es wiederholt versuchst, wirst du... jetzt verrecken.“

„Leg sie um.“, hörte Iana Neisa direkt vor sich, und sie ergriff den Arm der Heilerin, als sie ihn in den Schatten fand. Der Druck der Dunkelheit wurde so mächtig, dass ihr beinahe die Knie nachgaben, und sie schnappte keuchend nach Luft. Ihr ganzer Körper bebte vor Anspannung und einer wachsenden, immer mächtiger werdenden Panik, als mit dem steigenden Druck die Luft zum Atmen auch noch wegzufallen schien.

„W-was machst du, Zoras, verdammt noch mal?!“, japste sie hysterisch, „D-du bringst uns alle um damit!“

„Leg sie um!“, schrie Neisa neben ihr und in dem Moment, in dem Karana sich irgendwo am Boden zu bewegen begann (sie merkte es daran, dass sein Bein, das sie festhielt, plötzlich zuckte), sprachen die Geister.

„Wenn du in den Schatten fällst... such dir ein Licht, an das du dich klammerst, Iana... wenn alle anderen Lichter verblassen.“

Es war ein merkwürdiges, berauschendes Gefühl, das sie dann verspürte, das sie die Augen aufschlagen ließ; sie konnte sehen. Der Schatten war noch immer da, aber sie konnte durch ihn hindurch sehen, sie konnte die anderen ganz deutlich erkennen, aber die Welt war hinter einem Vorhang aus Schwärze, der sich wie boshafter Schatten auf die anderen und die ganze Tari Randora Zwei legte. Kyeema lag am Boden und schrie jetzt, sie hielt sich den Kopf und schien von der Dunkelheit noch viel mehr betroffen zu sein als alle anderen; nicht so Yatli, der zweite Schakal, der seine Arme irgendwie herumzureißen schaffte und seine Pflanzenranken durch die Schwärze blindlings auf irgendetwas zu werfen schien. Iana keuchte.

„Simu, hinter dir, duck dich!“ Der Angesprochene fuhr in ihre Richtung herum, wirkte etwas planlos, gehorchte ihrem Befehl aber umgehend und ließ sich zur Seite kippen, wodurch die Ranke ihn verfehlte und gegen die stählerne Wand krachte. Der Blonde riss seine eigene Waffe herum und durchtrennte damit Yatlis Rankenzauber mit einem einzigen, schwungvollen Hieb; vermutlich mehr zufällig in der richtigen Richtung, denn wie Iana an den orientierungslosen Blicken der Kameraden sehen konnte, sahen sie alle nichts; abgesehen von Zoras vermutlich, der für alles verantwortlich war und jetzt zu ihnen herum fuhr.

„Wirst du uns jetzt verdammt noch mal teleportieren, Ryanne?!“, brüllte er, „Ich kann diesen Scheiß nicht ewig aufrecht halten!“

Scheiß, sagte er, dachte Iana sich pikiert, und das zu diesem bestialischen Schattenzauber, der ein Gefühl purer Bosheit und Abartigkeit vermittelte, das das Lianermädchen am Boden schier in den Wahnsinn zu treiben schien.

„Mh... sag Bitte.“, forderte die Seherin, die sich aufrappelte, als hätte sie nichts weiter als eine verdiente Kaffeepause gemacht, und sich den Staub vom Rock putzte; zu Ianas Erstaunen schien sie ebenfalls sehen zu können und das für selbstverständlich zu halten. Nun, sie war auch die Seherin...

Leck mich, du Hure!“, brüllte Zoras wutentbrannt und Ryanne gluckste.

„Gut, das lässt sich einrichten.“ Sie hob die Arme und Iana hastete nach vorne, um die anderen zu erwischen und festzuhalten, in dem Moment erwachte Yatli plötzlich wieder zum Leben und schleuderte seine nächste blinde Attacke quer durch den Korridor. Dieses Mal traf er Zoras – das hieß, beinahe, denn der Zauber explodierte mit ohrenbetäubendem Krachen und einer Wolke aus Finsternis, die noch dunkler als der Rest des Schauplatzes war, und Iana fuhr keuchend zurück, während sie Karana am Boden japsen hörte.

„V-verdammt, was ist hier los?!“

„Halt die Backen, du Vollidiot, und rühr dich nicht.“, sagte Iana zu ihm und er japste erneut.

„I-Iana?! W-was ist mit meinem Fuß...?!“ Da gab es ein Grollen und die Dunkelheit verschwand. Zoras keuchte und riss seine Hellebarde wütend herum, um einen Blitz nach Yatli zu schleudern.

„Du elender Hurensohn gehst mir auf die Nerven!“, brüllte er laut und Iana riss Karana und Neisa zur Seite, die beinahe mit gegrillt worden wären; Yatli sprang in die Luft und setzte zum nächsten Angriff an, da war es Simu, der sich dazwischen warf und mit einem sauberen Schlag seines Tsukibos den Kerl wieder zu Boden riss. Irgendwo spritzte Blut und Yatli schrie wie am Spieß, als er am Boden aufkam und sich wand und krümmte. Den Moment seiner Wehrlosigkeit nutzte Iana, um zu den anderen zu gelangen, und Yarek packte sie, Eneela und auch Zoras bereits entnervt am Kragen, um sie alle festzuhalten, ehe sich auch Simu und Ryanne zu ihnen gesellten und die Seherin sie tatsächlich alle ohne weitere Beschwerden oder Probleme davon teleportierte.
 


 


 

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Öh ja.... Hm, was kam hier vor? Ach Scharans Gehirnwäsche und so?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Izumi-
2014-05-11T20:13:57+00:00 11.05.2014 22:13
Ach ja, Kapitel ♥
Ich fand die erste Szene sehr cool. Sie hatte sowas gehetztes und aufregendes, irgendwie. ^^
Ich mag es total, wie Ülan ihn fröhlich vor sich hin manipuliert... ich meine... ja, armer Karana. XD Ülan hat es eben drauf, ich weiß schon, weswegen ich ihn (meistens) mag. ^____^
Das war auch schön dargestellt, ich meine, der arme Karana musste viel leiden... dabei maaaaag ich diese böse Seite an ihm doch total. ♥
Auch schön, wenn wir mal Szenen aus Ülans Sicht bekommen. Ich meine, er ist toll... wenn auch mitunter im Nachhinein betrachtet etwas mehr Klischeebösewicht als ich gern hab, aber hey. Wie gesagt, ich steh voll auf seine Manipulationen XD
Dementsprechend angepisst war ich dann auch als Iana mal alles zerstört hat... Mann, Kelar, du bist ein Waschlappen. Ich hab nie so ganz verstanden, warum sein Geist vor Nalani oder gar Iana selbst so kuscht, ich meine, lass doch die blöden Weiber, die können dir gar nichts. XD
Ich bin irgendwie immer auf der Seite der Bösen, die eh krepieren. Na ja.
Die End-Szene fand ich dann wieder cool, Zoras dreht mal wieder auf und alle sind durch, haha. Hat mich etwas an Chion erinnert da mit dem alles wird dunkel und alle sterben dabei friedlich, oder so. XD Neisa wird mir erstaunlicherweise immer sympathischer, komisch.
Liebt Kapitel. ♥ Ich versuch morgen den Kommi für das andere zu schreiben. ^^


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