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Laterna Magica

von

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Prolog

Ich war nie der Meinung, dass es für alles im Leben einen Grund geben muss. Klar, manchmal ist es leichter zu glauben, zu hoffen. Wenn du deinen eigenen Vater ermordet auffindest, dann beginnst du dich vollkommen unbewusst nach etwas zu sehnen, das rechtfertigt oder erklärt, so albern das klingen mag. Als ob das überhaupt möglich wäre! Aber nichts ist unerträglicher als etwas, für das es keinen Grund gibt, keine Erklärung, für etwas, das einfach so ist, weil es eben so ist. Menschen hassen das. Die Ungewissheit, die fehlende Wissenschaftlichkeit. Wie soll man in einer Welt, in der alles erklärbar ist noch glauben? Wie soll man ertragen, dass man etwas nicht wissen kann? Vermutlich sollte mir das als Kind leichter erschienen sein, aber eigentlich glaube ich nicht, dass das stimmt. Als Kind mag es einfacher sein, Mysterien zu akzeptieren und zu begreifen, dass es nicht für alles einen Grund geben muss, auch nicht für den Vater, dessen Gesicht in einer Flammenhölle schmilzt, das freundliche Lächeln faulig und schwarz. Das Schlimme ist, selbst, wenn du dich darauf einlässt, das Unbegreifliche als gegeben hinzunehmen, der Schmerz bleibt trotzdem. Es ist ein Irrglauben, das jegliche Akzeptanz den Schmerz versiegen lässt, manchmal macht sie ihn noch viel stechender, tödlicher, als würde man eine Wunde mit einem Dolch verschließen und nicht mit Nähten oder einem Pflaster. Das klaffende Loch ist nicht mehr da, aber ein fremder, eiskalter Teil bleibt und lässt einen nicht wieder los. Ich sage nicht, dass ich niemals wieder fröhlich sein kann, das stimmt nicht. Ich bin fröhlich und ich lache, ich glaube an die Zukunft und ich würde mein Leben um keinen Preis missen wollen, aber der Dolch ist immer noch da.

Mitten in meinem Herzen.
 

Seufzend legte sie den Brief zur Seite, wohlwissend, dass sie ihn später verbrennen würde. Er hatte sie nie danach gefragt, was damals passiert war, hatte nie angenommen, dass sie darüber reden wollte. Also warum es erzwingen? Warum ihm eine Wahrheit aufzwingen, die er überhaupt nicht hören wollte? Es waren doch nur Worte, Worte aus Staub, substanzlos wie Schall und Rauch. Obwohl er sie nie dazu gedrängt hatte, ihr nie das Gefühl gegeben hatte, dass diese Leere ihn störte, dieser unaussprechliche Zorn, die weiße, kalte Wut, die ihr manchmal mit eisigen Fingern über den Rücken zu streichen schien, so glaubte sie doch, dass er es wissen wollte. Eine Beziehung sollte nicht auf Geheimnissen beruhen. Natürlich war es albern, davon auszugehen, dass ihre Beziehung wirklich konkret mit den damaligen Ereignissen zusammenhing, denn das tat sie nicht, aber sie glaubte, dass wahre Liebe so etwas nicht kennen durfte. Ganz gleich, wie bedeutungslos es für die Gegenwart, für sie beide erschien, irgendwann würde es sie einholen, würde seine Eisfinger ausstrecken und sie mit dem flammenzerfressenen, zahnlosen Grinsen ihres toten Vaters anstarren.

Wie ein Dolch mitten im Herzen.

Kann ein verwundetes Herz wirklich etwas empfinden?

Kann ein totes Herz…?

Vermutlich war es auch verfrüht von wahrer Liebe zu sprechen. Man ließ sich nur zu gerne von einer funktionierenden Beziehung dazu verleiten, die Dinge durch die sprichwörtliche rosarote Brille zu betrachten. Man sah sich allzu schnell in einem weißen Kleid oder alt und glücklich auf einer hölzernen Veranda sitzen, bereit, in seinen Tagträumen sämtliche Klischees abzudecken. Aber obwohl sie selbst es albern fand und es vermutlich niemals zugeben würde, sie hatte dieses Gefühl. Vielleicht sah ihre Zukunft weniger friedlich, weniger normal aus, vielleicht würde sich nicht einer dieser spießigen Gedankengänge erfüllen und sie würden nicht von der Veranda aus ihren Enkeln beim Spielen zusehen. Aber das machte nichts, denn sie würden zusammen sein. Das wusste sie tief in ihrem Herzen.

Kann es denn lieben?
 

Natürlich schickte sie ihn nicht ab. Etwas unglücklich beobachtete sie, wie die schmutzig-weißen Ecken Feuer fingen und sich tiefschwarz verfärbten. Krampfhaft versuchte sie, ihre Gedanken nicht zu jener Nacht wandern zu lassen, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Manchmal machte ihr das Feuer immer noch Angst.

Musste sie ihm überhaupt alles sofort erzählen? Wäre es nicht besser, es ihm persönlich zu sagen? Würde es ihr möglich sein, diese Worte zu finden, wenn die sie ihm gegenüberstand und seine grünen Augen in ihre blauen blickten? Wohl kaum. Wie sollte man auch so etwas aussprechen? Niemand konnte sich vorstellen, wie sie empfand. Selbstverständlich bemitleideten die meisten Leute einen, die es erfuhren, aber doch auch nur, um den gesellschaftlichen Konvektionen nicht zu widersprechen. Niemand konnte es wirklich nachempfinden, konnte es wirklich begreifen. Ob er es könnte? Wenn sie so darüber nachdachte, wusste sie überhaupt nichts über seine Vergangenheit. Er war immer ein verschwiegener Typ gewesen, zwar hatte er seine offenen, ja lustigen Momente, diese Augenblicke, für die sie ihn liebte, aber woher er gekommen war, konnte sie immer noch nicht sagen. Das kam ihr auf einmal merkwürdig vor, so, als hätte sie sich in eine Maske verliebt und nicht in einen Mann, in einen Schauspieler, einen Clown, der grinsend das faulige Zahnfleisch und die blutverkrusteten Zähne hinter dem falschen Lächeln entblößte. Eilig versuchte sie dieses Gefühl abzuschütteln. Das war doch albern! Shuichi war nichts dergleichen. Er war immer ehrlich zu ihr, aufrichtig und er würde sie niemals hintergehen, dessen war sie sich sicher.

Sie griff erneut in die Schublade vor ihr und holte einen Bogen unbefleckten Briefpapiers heraus. Sie würde einen neuen Brief schreiben, einen vollkommen anderen.

Und der Dolch…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Varlet
2016-01-04T10:16:23+00:00 04.01.2016 11:16
Whut? Kaum Kommentare? Das kann ich gar nicht verstehen. Ich wollt gestern abend nur die ersten paar Kapitel anlesen um heute ggf.w eiter zu machen. Das Ende vom Lied war, dass ich bis halb 2 nachts gelesen hab und zum Ende kam.

Mir gefällt der Auftakt der Geschichte. Da ich , die Geschichte um Jodie auch ausm Manga/Anime kenn, war es für mich nicht schwer gewesen, mir sie vorzustellen, wie sie den Brief schreibt udn wie sie ihn anschließend anschaut, wohl mit dem Wissen, dass sie ihn sowieso verbrennt. Deinen Schreibstil find ich auch sehr fesselnd.
Ich finds außerdem gut, dass es mal eine Geschichte gibt, die eher aus Jodies Sicher geschrieben wird und die ihre inneren Gedanken zeigt. Gerade die zwischenzeitlich kursiven Sätze stehen in einem sehr guten Kontext zur Geschichte, vor allem, weil sie, für mich, bereits Spannung aufbauen udn zeigen "gleich kommt was"
Von:  Kazu-chanX
2014-04-06T08:23:16+00:00 06.04.2014 10:23
Du hast wirklich einen tollen, fesselnden Schreibstil, das merkt man schon im Prolog.:) Ich lese nur so ungern am Bildschirm. Aber der Anfang ist vielversprechend.:>
Antwort von:  Night_Baroness
16.04.2014 01:41
Ja, das kenn ich nur zu gut. Vielen Dank! :D


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