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Bora - Stein der Winde

von

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Fort von Zuhause

Justin schob den Brief in einen Umschlag und legte ihn auf sein Bett. Er öffnete das Fenster und schaute hinab. Im Wohnzimmer brannte kein Licht mehr, das war ein gutes Zeichen. Es hieß, dass seine Mutter ins Bett gegangen war.

Er nahm seinen Rucksack und kletterte auf das Dach. Das tat er oft. Immer wenn er Zeit zum Nachdenken brauchte und niemanden sehen wollte. Schon als kleines Kind hatte er das getan. Seine Mutter und auch sein Vater, als er noch da gewesen war, hatten es ihm unzählige Male verboten, doch wann immer er niemand anderen hören und sehen wollte, kletterte er hier hinauf.

Er war dabei geschickt wie eine Katze und auch Dunkelheit oder Regen beeinträchtigten ihn kaum. Das Dach war auch nicht so steil wie viele andere Satteldächer, ein falscher Tritt konnte dennoch einen schweren Sturz zur Folge haben.

Deswegen balancierte er langsam zum Rand und ging langsam in die Knie, obwohl er das Bedürfnis hatte, sich zu beeilen. Er drehte sich um und setzte blind seinen ersten Fuß in das Gitter, das an der Wand des Hauses befestigt war. Hier sollten eigentlich nur die Rosen hinauf wachsen, doch Justin hatte es schon oft verwendet, um unbemerkt das Haus zu verlassen. Er wusste, dass das Gitter sein Gewicht tragen würde.

Und so kletterte er geschickt hinab, sprang den letzten Meter ins Gras. Er kletterte über den Zaun, der den Garten vom Feld dahinter trennte, und trabte davon. Er musste ungesehen bis zur Bushaltestelle kommen, dann hatte er den wichtigsten Part schon geschafft.

So lief er über die Felder, bis er zu einem kleinen Weg kam, der zurück zur Straße führte. Dem folgte er bis zur Hauptstraße, um dann dieser weiterzufolgen, bis er an der Bushaltestelle stand. Er musste nicht lange warten, der Bus, der ihn in die nächste große Stadt bringen würde, kam nur wenige Augenblicke später.

Er bezahlte und setzte sich dann ganz nach hinten. Er fuhr etwa eine Stunde, in der Zeit betrachtete er eingehend die Karte, die er mitgenommen hatte. Als Erstes wollte er so weit weg wie möglich. Wie es dann weiterging, wusste er nicht. Er hatte keine Ahnung, wie man in eine fremde Welt kam, doch er vertraute darauf, dass Bora ihn den Weg weisen würde. Und er vertraute auf sein Bauchgefühl und das sagte ihm, dass er in den Süden fahren sollte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er an seinem Ziel an. Der Hauptbahnhof der Stadt, der größte Bahnhof in der Gegend. Von hier aus standen ihm alle Wege offen und es würde schwierig sein, ihn zu finden.

Er kaufte eine Fahrkarte in den Süden. Der junge Mann wurde nicht einmal stutzig, obgleich Justin eigentlich zu jung war, um alleine um zwei Uhr morgens eine Fahrkarte zu einem Ort zu kaufen, der fünfhundert Kilometer entfernt war.

Doch das kam Justin gerade sehr gelegen. Er wartete die zwanzig Minuten auf dem Bahnsteig, immer darauf bedacht, keinem Ordner oder Polizisten ins Auge zu fallen, dann stieg er in den Zug. Um diese Uhrzeit hatte er keine Schwierigkeiten, einen Sitzplatz zu finden. Und weil er einige Stunden unterwegs sein würde, machte er es sich bequem und war in wenigen Augenblicken eingeschlafen.

»Die Fahrkarte bitte, junger Mann.« Ein Kontrolleur weckte ihn.

»Was?«, fragte er schlaftrunken und schaute hoch.

»Deine Fahrkarte bitte«, wiederholte der Mann, aber nicht unfreundlich.

»Ja, ja, einen Augenblick«, antwortete Justin und wühlte in seiner Tasche herum.

»Bist du alleine unterwegs?«, erkundigte sich der Kontrolleur ganz unvermittelt.

»Wieso?« Sofort war Justin hellwach und auf der Hut.

»Nun, heute ist Montag. Normalerweise ist man deinem Alter dann doch in der Schule, oder nicht?«

Justin wusste, dass eine falsche Antwort ihm große Schwierigkeiten bringen konnte, doch er wurde von unerwarteter Seite gerettet.

»Ach hier steckst du, kleiner Bruder«, bemerkte eine Stimme und ein Gesicht, das Justin durchaus kannte, grinste ihn mit blitzenden Augen an. »Entschuldige, du kennst Max ja, der hält einen immer ewig auf. Gibt es Probleme?«

»Nur, dass Schüler für gewöhnlich nicht alleine um diese Uhrzeit Zug fahren«, bemerkte der Kontrolleur, während er Justins Fahrkarte abstempelte.

»Ach so. Justin hat eine Sondergenehmigung von der Schule, unser Onkel heiratet nämlich und er ist unser letzter lebender Verwandte. Deswegen haben die das auch genehmigt, bei letzten lebenden Verwandten stellen die sich nicht so an«, log der junge Mann dreist weiter, doch dem Kontrolleur schien es einleuchtend. Er nickte, warf den beiden noch einen letzten, prüfenden Blick zu, dann ging er weiter.

»Wissen Ginny und Helen, das du hier bist?« Kaum war der Kontrolleur außer Hörweite, wandte sich der junge Mann zu Justin um und wirkte gar nicht mehr gut gelaunt und erfreut.

»Hey Falko.« Justin wusste, dass er jetzt ärger bekommen und er spätestens abends wieder zu Hause sitzen würde. Falko studierte gemeinsam mit Helen, die beiden waren gute Freunde und so war Falko öfter bei ihnen zu Hause. Er würde nicht zulassen, dass Justin unbehelligt von dannen zog.

»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Weiß Ginny das du hier bist?«

»Nein«, murmelte Justin. Leugnen hatte keinen Zweck, ein Anruf bei ihm zu Hause und Falko wusste sowieso bescheid.

»Warum bist du dann hier?

»Nicht grundlos, aber die Geschichte würdest du mir sowieso nicht glauben«, antwortete der Rotschopf und drehte gedankenverloren den Stein in seinen Händen. Im ersten Licht des Morgens, das golden durch die Fenster floss, schien er ihm noch lebendiger.

»Ich würde behaupten, es kommt auf einen Versuch an«, befand Falko und setzte sich ihm gegenüber. Justin betrachtete den Studenten misstrauisch, damit hatte er nicht gerechnet.

Doch er sah, das Falko gar nicht ihn, sondern ebenfalls den Stein anblickte und dabei war etwas in seinen Augen, das Justin erst nicht deuten konnte, weil er sich weigerte, es zu glauben. Doch schließlich war er sich sicher. Es waren Ehrfurcht und Erkennen. Falko wusste, was das für ein Stein war und während er so da saß und das Morgenlicht sein ebenfalls rotes Haar in goldenes Feuer verwandelte, musste Justin abermals an den Reiter aus seiner ersten Vision denken. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher, dass es der Mann auf dem schwarzen Hengst gewesen ist, wenngleich er glaubte, dass dessen dunkles Haar nur gefärbt war und er eigentlich ebenfalls rote Haare hatte.

Rote Haare schienen in dieser Sache eine Art Garant zu sein, um eine Rolle zu spielen, so schien es ihm und er griff unbewusst in sein eigenes Feuerhaar, das im Morgenlicht wohl ebenso leuchten musste, wie das seines Gegenübers.

»Gut, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Es begann vor ein paar Tagen. Ich war in der Mittagspause zu Hause.« Justin erzählte alles. Er erzählte, wie er zu spät in die Stunde gekommen war, wie er mit seinen Freunden nach Hause lief und schließlich wütend und traurig von dannen zog. Er erzählte vom Wald, vom See und was in der Eisdiele vor sich ging. Wie er die einzelnen Visionen bekam und was ihm Melody und der fremde Mann erzählten und wie er sich dazu entschloss, dass es an der Zeit war, jetzt zu gehen.

Falko hörte aufmerksam zu, unterbrach ihn kein einziges Mal. Als Justin geendet hatte, nickte er langsam. Er wirkte nachdenklich, während der Zugführer ansagte, an welchem Bahnhof sie als Nächstes halten würden.

»Ich gebe dir jetzt ein paar Informationen, Justin. Nutze sie, frag mich aber nicht nach mehr, denn alles, was ich dir erzähle, dürfte ich dir nicht erzählen und ich neige dazu, Fragen zu beantworten. Frag also nicht nach, hör nur zu.« Falko rutschte unruhig auf seinem Sitz herum, schaute erst nach draußen, scheinbar um allen Mut zusammenzunehmen, dann begann er.

»Läivia ist nicht irgendeine Welt. In Läivia wurde das Bündnis mit den Elementen geschlossen. Alles hat dort seinen Ursprung und deswegen muss es dort zu Ende gehen. Dieselbe Seele, die den Anfang machte, wird es auch beenden, so sagt die Prophezeiung und das wird ein Mensch mit Flammenhaar sein«, begann er langsam und zögernd.

»Aber ich bin doch nicht die Einzige mit … Flammenhaar«, warf Justin ein, doch Falko unterbrach ihn mit einer barschen Bewegung.

»Sei ruhig. Ich hab gesagt, du sollst mich nicht unterbrechen. Ich habe nebenbei bemerkt auch nicht behauptet, dass du es bist, sondern nur, was die Prophezeiung besagt. Wenn sie es sagen, nimm es einfach hin, diskutieren wird da nichts bringen. Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass diese Welt hier ebenfalls an dem Pakt beteiligt war. Wir waren die Wächter des Feuerschwertes, wir haben es aber vor Jahrhunderten verloren. Die Wächter gibt es noch immer und sie wissen auch noch um ihre Bestimmung, sollte das Schwert also seinen Weg zurückfinden, wird es hier Leute geben, die es beschützen werden. Das kannst du Anura, oder Melody wie sie ja jetzt heißt, gerne ausrichten.«

»Woher der neue Name?«, erkundigte sich Justin und biss sich sogleich auf die Lippen.

»Bei Elben ist es üblich, das sie einen neuen Namen bekommen, wenn sie im Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden. Was deinen Weg in die andere Welt betrifft, da musst du durch ein Weltentor gehen. Du wirst es erkennen, wenn du es siehst, sie sind nicht gerade unauffällig. Sie sind überall verteilt. Wenn du sie finden willst, dann geh an einen Ort, wo selten Menschen zu finden sind, schließe deine Augen und lauf einfach geradeaus. Wenn du das Gefühl hast, angekommen zu sein, dann öffne sie wieder, im Idealfall wirst du es dann finden. Sie rufen die Menschen von sich aus, das macht sie gefährlich.«

»Woher weißt du das?« Justin blinzelte erstaunt.

»Ruhe jetzt, ich bin noch nicht fertig«, fauchte Falko. Justin hatte ihm angesehen, dass er einen Augenblick lang kurz davor war zu antworten, deswegen kam die Reaktion nicht unerwartet.

»Wenn du durch das Tor gegangen bist, wirst du zwei Wege haben. Geh um nichts in der Welt den falschen Weg, du könntest sonst wo landen! Egal was du siehst, folge dem Weg, den der Stein dir weist. Verstehst du? Egal was das für ein Land ist, folge dem Stein. Das ist überlebenswichtig für dich«, erklärte Falko.

»Ja, ich verstehe«, antwortete Justin etwas irritiert. Er war gespannt, was ihn wohl erwarten würde, wenn es Falko so wichtig war.

»Gut. In Läivia musst du dir selbst helfen. Sobald du dort bist, musst du versuchen, dich alleine zu Melody durchzuschlagen. Vertrau niemandem, nur ihr. Du hast viele Feinde dort und die würden dich lieber heute als morgen tot sehen. Wenn Ginny jemals erfährt, das ich an deinem Tod schuld sein sollte, dann wird sie mich vermutlich auf die qualvollste aller Möglichkeiten langsam ermorden und da bin ich nicht scharf drauf. Oder um es ganz einfach zu machen: Komm lebend wieder.«

»Ich werde mein bestes geben«, grinste Justin.

»Gut. Ich muss gleich raus. Wenn du wieder hier bist und Hilfe brauchst, aber nicht zu Ginny und Helen kannst, dann komm hierher, in diese Stadt und frag nach mir. Man kennt mich, und auch wenn ich nicht hier bin, wird es hier Menschen geben, die dir helfen können und werden«, erklärte Falko weiter.

»Gut. Aber beantwortest du mir noch eine letzte Frage?«

Falko zögerte, doch während er aufstand, nickte er.

»Aber nur eine.«

»Die reicht mir. Woher weißt du das alles?«

Da lächelte der Student, doch es war kein freudiges Lächeln.

»Meine Familie gehört zu den Wächtern, die das Schwert beschützen sollten. Ich bin der aktuelle Erbe von Phönixfeuer.«

Justin konnte dazu nichts mehr sagen, denn Falko hatte schon das Abteil verlassen, während der Zug zum Stehen kam, doch ihm hätten wohl sowieso die Worte gefehlt, denn damit hatte er nicht gerechnet. Doch es erklärte ihm einiges. So beschloss er, Falko zu vertrauen und das Tor auf jene Weise zu suchen, die er vorgeschlagen hatte.

Doch vorher wollte er sich noch etwas ausruhen. Er beschloss, dass er bis in den Süden fahren würde, wie er ursprünglich geplant hatte. Doch die Fahrt musste er nicht wach verbringen, so machte er es sich bequem und war bald wieder eingeschlafen.



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