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XII - El Colgado - Der Gehängte

Ist es ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Ich scheine von Millerna behandelt worden zu sein und Van bleibt stetig bei mir, ohne je von mir zu weichen. Nach dem die Nacht eingebrochen ist, herrscht endlich Ruhe und Van lässt seinen Gedanken freien Lauf. Luca unterdessen hat nach ihrer Todesangst endlich Erleichterung. Doch es kostet einigen Männern das Leben. Nach einigen Stunden wache ich auf und Van ist natürlich an meiner Seite. Ich kann es fast nicht glauben. Einige Tage Später scheinen meine Wunden verheilt und ich bin zum ersten Mal wieder alleine. Nicht lange währt meine erholsame Einsamkeit. Bald kommt mir der Brief Darius nicht mehr aus dem Kopf. Gott sei Dank unterbricht mich meine Zofe Sae dabei. Doch nach dem Abendmahl muss ich ihn durchlesen. Es schockt mich so sehr, dass ich ganz blass ohne meine Umgebung richtig wahrzunehmen nach Draußen gehe. Aris erwartet mich schon. Wenige Minuten kann er mich aufmuntern, doch dann taucht jemand anders auf, der all meine Gedanken in sich aufnimmt. Van taucht auf und wir tauschen wenige Sätze miteinander aus, bis es mir reicht und ich mein Verlangen einfach nicht mehr aufhalten kann. Ich küsse ihn und zum ersten Mal in meinem Leben glaube ich, dass es das schönste ist, was ich je getan habe. Ich genieße den Moment und lasse all meine Sorgen fallen.
 

Van wusste noch sehr genau, wie besorgt er um Hitomi gewesen war - als er sie draußen ganz allein mit ihrem Schimmel entdeckt hatte. Und dieses Gefühl hatte sich nicht gebessert, nach dem er sich ihr gezeigt hatte. Doch plötzlich hatte er etwas in ihren Augen funkeln sehen. In diesem Moment hatte er sich wirklich gefragt, was sie dachte.

Seine überflüssigen Gedanken waren völlig verblasst, als sie ihn jäh zu sich runtergezogen und ihn einfach nur geküsst hatte. Kein Gedanke herrschte in dem Moment in seinem Kopf.

Irgendwie dachte er, dass ihm wohl gar nicht richtig bewusst war, was sie gemacht hatte; zumindest für den ersten Augenblick nicht. Dann hatte er einfach in ihre geschlossenen Augen gesehen und seine ebenso wie ihre geschlossen. Langsam hatte er angefangen, es überhaupt zu realisieren und Van würde schwören, es war das schönste, was er je in seinem jämmerlichen Leben gefühlt hatte. In diesem Moment war es egal, dass er noch nicht einmal wusste, ob sie ihn noch immer liebte oder nicht. Es war egal gewesen und er hatte diesen perfekten Moment einfach nur genossen. Abrupt wurde dieser schöne Augenblick auch gleich wieder zerstört.

Gleichzeitig rissen beide erschrocken die Augen auf und stießen sich von sich. Der unerwartete Knall hatte beide überrascht. Es klang als würde Gestein zerstört, zerbröckelt werden und hart auf den Boden fallen. Und so war es auch.

„Was…“, entfuhr es ihr und beide betrachteten einige Sekunden lang, was vor ihren Augen geschah. Mehrere Guymelef flogen auf Pallas ein und einige griffen schon Häuser an.

Es versetzte Hitomi einen schmerzenden Stich im Herzen, als sie daran dachte, dass wieder einmal sie ganz allein an allem schuld war. Das waren bestimmt Luca und Darius. So wie er es ihr prophezeit hatte. Sie hätte den Brief früher lesen sollen.

Dann hätte sie sich vorbereiten können oder wegrennen, dann wären all ihre Freunde nicht mit reingezogen worden.

Jäh wurde sie am Arm gezogen. Van hielt sie fest und sah ihr stur in die Augen. „Du musst hier weg. Ich weiß zwar nicht, wer die sind, aber ich werde dich beschützen!“
 

Nachher ging alles andere so schnell, dass sie sich jetzt beinahe ein bisschen wunderte. Schnell hatten sich die wichtigsten Personen im Hof versammelt und natürlich herrschte inmitten des ganzen reges Treiben. Bald war es so, als hätte Van sie völlig vergessen, aber Hitomi nahm es ihm nicht übel. Er war eine wichtige Person in Gaia und genau in so einem Fall wie diesen musste er natürlich zur Stelle sein. Während sie mit Millerna und einigen anderen in einer Gruppe zusammenstand, beobachtete Hitomi, wie Merle sich mit Van stritt. Worüber wusste sie nicht.

Es schien heftig zu sein, doch es übertönte die lärmende Menge leider nicht.

Sie selbst ärgerte sich gerade total, dass sie nun in dieser Lag war und nicht helfen konnte. Nun sie könnte schon, aber ihre Freunde würden sie wohl nicht lassen. Insbesondere Van. Er hatte keine Ahnung von allem, naja vielleicht doch und man hatte ihm schon alles erzählt, zumindest den Teil, den sie wussten. Hitomi hatte ihnen noch nichts Weiteres erzählt, das lag einfach nur daran, dass sie noch nicht gefragt hatten. Vielleicht hatten sie wegen ihrer zahlreichen Verletzungen ein wenig Rücksicht genommen. Wie auch immer, dieses Mal musste sie ihnen Recht geben. Sie war wirklich noch ein wenig angeschlagen. Es war in der letzten Woche einiges passiert.

Und doch fragte sie sich insgeheim ob es wirklich Darius und Luca waren, die Pallas angriffen. Auch Van und Merle schienen ihren kleinen Konflikt endlich beendet und sich geeinigt zu haben. Merle kam offensichtlich entnervt ohne Van zu ihnen rüber und Hitomi fragte sich, was mit ihm war. Dabei war die Antwort so plausibel wie einfach.

Er würde sich ohne sie ins Schlachtfeld stürzen und gewinnen, so wie jedes Mal. Hoffte sie.

„Was war los?“ fragte sie an Merle gewandt, versuchte ihre Stimme so leise wie möglich zu halten und doch so laut, dass Merle sie gut verstand. Diese winkte ab und sagte an alle nahestehenden Personen gewandt. „Wir sollten aufbrechen und uns in Sicherheit bringen, direkter Befehl von König Van!“

Perfektes Timing, dachte sie, als siebeobachtete wie einige Kutschen vorangefahren kamen und wie sich Millerna und Dryden gleich hineinsetzten. In dieser Situation konnten sie nichts anderes tun, als die Führung Van zu überlassen, scheinbar hatten sie absolut keine Ahnung, was sie tun sollten und sie waren wohl insgeheim froh über seine Erfahrung.

Für einen Moment drehte Hitomi ihren Kopf und sah, wie Van dasselbe tat und sie wünschte ihm mit ihrem Blick alles Glück der Welt. Sie versuchte ihm mittzuteilen, dass er vorsichtig sein sollte und aus irgendeinem Grund, ahnte sie, dass er sie verstand. Dann wandten sich beide ab, fast wie abgesprochen und erst jetzt sah Hitomi die Rauchfahnen, welche hinten am Horizont, am äußersten Rand der Stadt, aufstiegen.

Sie versuchte Merle dazu überreden mit Aris zu reiten und überraschenderweise fand sie direkt Zugang zu ihr. Scheinbar wollte Merle ebenfalls mit einem Pferd vorausreiten und so die Übersicht behalten.

Gemeinsam gingen sie in den Pferdeschuppen und bereiteten die Tiere so schnell es ging für den kurzen Marsch vor. Die ganze Zeit sprachen sie kein Wort, weder über den Angriff, über den Streit mit Van, noch etwas anderes.

Aufbruchsbereit liefen sie zu den wenigen Kutschen, die alle abfahrtbereit auf sie warteten. Es dauerte nicht lange und beide ritten voraus um die hinteren, wenn nötig mit ihrem Leben zu beschützen. Mit der einen Hand hielt sie die Zügel und die andere lag sachte auf dem Schwertknauf, welcher am Gürtel befestigt war. Das Schwert hatte sie in letzter Sekunde von Merle bekommen. Bevor sie hinaus gerannt waren, hatte das Katzenmädchen es ihr noch zugeworfen und sie war dankbar dafür. So ohne Waffe fühlte sie sich wirklich hilflos, gab sie zu. Es war zwar nicht ihres, aber jetzt war keine Zeit mehr.

Sie ritten so schnell sie konnten. Doch die Straßen waren noch immer so überfüllt, dass es beinahe unmöglich schien zügig die Stadt zu verlassen. Da sie so langsam vorankamen, kam Hitomi nicht umhin ihre mittelbare Umgebung näher zu betrachten. Es war beängstigend, was sie sah.

In praktisch jeder Straßenecke konnte sie die Menschenmenge sehen, die größtenteils verängstigt und verzweifelt durch die Straßen hetzten. Es herrschte so ein Gedränge, dass in ihr die Angst auf kam, dass sie sich so sogar selbst verletzten. Ohne sich wahrscheinlich bewusst zu sein, blockierten sie die Plätze und Straßen.

Hitomi konnte auch die kämpfenden Kampfmaschinen hören. Sie waren nicht in ihrer fassbaren Nähe, aber sie wusste, was sie anrichten konnten.

Je mehr sie den Palast hinter sich ließen, desto trauriger wurde es. Nur noch vereinzelte Leute liefen ihnen über den Weg und die Verwüstung hatte auch am Rand der Stadt ihren Lauf genommen. Nun konnte sie alles ganz genau erkennen.
 

Sie spürte wie es langsam hinauf ging. Als sie Merle gefragt hatte, wohin sie steuerten, meinte sie ein sicherer Platz, welcher ganz sicher von niemandem gefunden werden konnte. Hier sollte anscheinend die Königsfamilie untergebracht werden, mit eingeschlossen die Gäste der Hoheiten.

Die Bewohner waren an einem anderen sicheren Ort evakuiert worden. Hitomi kam es ein bisschen suspekt vor, dass nicht alle am gleichen Ort verfrachtet worden waren. Musste wohl eine Sonderbehandlung für die Adligen sein. Das ärgerte sie, wenn sie ehrlich war. Doch ihren Frust darüber, ließ Hitomi unbeachtet in sich wachsen.

Massive Stadtmauern passierten sie durch ein geheimes, hölzernes Tor, welches nicht viel grösser war als die Kutschen selbst und von ausgedehntem, dichtem Gestrüpp umgrenzt wurde. Hitomi wunderte sich, dass sie nicht stecken blieben.

Sie ritt nach vorne zum Katzenmädchen, nach dem sie artig alle Kutschen vorbei gelassen hatte und den Ausgang wieder verschlossen hatte und den metallischen Riegel vorgelegt hatte.
 

Merle atmete erleichtert aus, als sie daran dachte, dass die erste Hürde geschafft war. Die Stadt hatten sie sicher überquert und kein Feind hatte ihnen Ärger gemacht.

Nun ein wenig gemächlicher lenkten sie die Kutschen über die Felder zum Gebirge hin. Eine Weile ging es auf schlechten Wegen den Wald bergauf. Hitomi zählte nicht die Minuten, aber mehr als eine Stunde konnte nicht vergangen sein. Sie drosselten das Tempo, als vor ihnen ein weites Tal, mit zig Hügeln auftauchte. In etwa der Mitte des Tales auf einem Hügel, stand ein eher kleineres Anwesen.

Zu den Füssen des Hügels wurde er von einem friedlichen Fluss eingerahmt.

Vor diesem mussten sie absteigen. Die Pferde ließen sie frei und verteilten sie an alle Leute. Fast lautlos gingen sie dann über das fließende Gewässer. Die Frauen und Kinder wurden auf die Pferde gesetzt. So war es sicherer für sie.

Auf der anderen Seite angelangt, stiegen sie ab und alle machten sich vorsichtig auf dem Weg nach oben und diesmal hatte auch Hitomi sich auf den Boden gestellt. Sie hielt die Zügel in der Hand und zog Aris hinter sich her.

Wie Merle auch und zusätzlich einige Wachen beobachtete sie aufmerksam ihre Umgebung. Alle ihre Sinne waren aufs Genauste geschärft.

Der Wind pfiff leise, aber kräftig, die Vögel zwitscherten einen melodischen Gesang, die Sonne gab nur noch ein dämmerndes Licht von sich und Hitomi fürchtete die Nacht nahte heran. Sie fröstelte.

Sie fürchtete außerdem eine kalte Nacht vor sich zu haben.

Es war – sie wusste es nicht genau – wahrscheinlich Anfang Frühling. März würde sie schätzen.

Die übrige Schneedecke hatte höchstens noch ein paar Flecken zurück gelassen und doch war es eiskalt, wie sie zitternd bemerkte. Komisch, erst jetzt war ihr das richtig aufgefallen.

Einige Minuten mussten wieder einmal vergangen sein, als sie die Kuppe des Hügels erreichten. Hitomi war auf den ersten Moment wirklich überrascht.

Von weit weg und nicht direkt daneben, hatte sie unterschätzt wie groß dieses Anwesen wirklich war. Sie musste zugeben es war nicht wie der Palast in Pallas, aber manche würde ihn bewundern. Selbst sie tat es.

Für einige unmerkliche Sekunden betrachtete sie das Gebäude staunend - umgeben von alten, prächtigen Bäumen, Büschen und einer Wiese. Wahrscheinlich besaß es zweieinhalb Geschosse, obendrein zu beiden Seiten jeweils einen weiteren zweigeschossigen Flügel. Über dem Eingang befand sich ein Balkon, welcher von Säulen getragen wurde. Wenige Stufen führten ins Haus hinein. Es sah alles wirklich sehr gepflegt aus. Man hatte wohl dafür gesorgt, dass es nicht verkam. Die weiße Fassade draußen sah fast wie neu gestrichen aus.

Hitomi folgte den anderen schweigend ins Foyer, nachdem sie sich endlich gefangen hatte. Sae hatte besorgt auf sie gewartet und sie schämte sich dafür, dass sie das schüchterne Mädchen nicht eher bemerkt hatte und noch mehr dafür, dass sie noch nicht einmal geachtet hatte, ob sie hier war oder eben nicht.

Milde lächelte sie und gemeinsam machten sie sich auf dem Weg ins Warme. Im Salon hatten sich alle schon teilweise bequem gemacht. Besorgte Blicke kamen ihr entgegen und sie selbst hatte gerade keine Ahnung, wie ihr eigener Gesichtsausdruck aussah. Hitomi wollte nicht daran denken. Mit kurzen Sätzen, bat sie Sae sich hinzusetzen. Nach kurzem Zögern, tat sie es und setzte sich an den Tisch für die Angestellten. Hitomi dagegen stellte sich neben Merle, die neben einem Fenster an die Wand angelehnt mit geschlossenen Augen stand.

Hitomi sprach sie nicht an und beobachtete die Leute. Mehr als ein Dutzend konnten es nicht sein und doch sah sie die Verwirrung, die Angst, so als könnte Hitomi sie tatsächlich spüren.

Sie erblickte Millerna, wie sie sich klammernd an Dryden hängte und wie sie flüsternd einige Dinge besprachen. Hitomi wusste nicht genau wieso, aber etwas in diesem Bild schmerzte und gleichzeitig verspürte sie eine Freude, die sie wahrhaft überraschte.

Immerhin griffen fremde Guymelef Pallas an und Hitomi konnte nichts dagegen tun. Sie schlug die Augen zu, verschränkte die Arme und zwang sich nicht abzudriften.
 

Eine abrupte Berührung an ihrem linken Arm ließ sie ihre Iris aufreißen. Millerna ließ ihre Hand wieder sinken und sah ihr entschlossen entgegen. Hitomi konnte sich keinen Reim daraus machen. Was war mit ihr los? Was wollte sie von ihr?

„Könnten wir mit dir reden?“ meinte sie und zeigte dabei auf Dryden der hinter ihr stand. Hitomi bemerkte ihn erstaunlicherweise erst jetzt.

Kurze Zeit später standen die drei Freunde auch schon in einem leeren Zimmer, welches zwar eher spärlich eingerichtet war, dafür aber geeigneter für ein vertrauliches Gespräch war.

„Und?“ unterbrach Hitomi die Stille, nachdem sie sich ans Fenster begab.

Sie hatte das Gefühl als wären die beiden nicht mehr so sicher, ob sie ihr antworten sollten.

Nach einigen Sekunden, könnten aber auch Minuten sein – Hitomi hatte aufgehört zu zählen – stellte sich Millerna ihr gegenüber, während Dryden sich auf einem Sofa gemütlich gemacht hatte. Die Blonde krallte sich mit den Händen in ihr Kleid und sah auf den Parkettboden.

Jäh hob sich ihr Blick. „Ich möchte, dass du deine Fähigkeit dazu benutzt uns mitzuteilen, was da draußen in Pallas gerade passiert!“

„Wie bitte?!“ Hitomi konnte nicht glauben, was sie da hörte und zuallererst hielt sie es auch tatsächlich für einen Witz.

„Ich meine es ernst; ich muss wissen, was da draußen gerade passiert.“ Millerna sah ihr etwas ängstlich entgegen und ihr kam der Verdacht auf, dass sie fürchtete Hitomi könnte einen Wutausbruch erleiden. Lächerlich.

„Und wieso bist du dann hier und versteckst dich, wenn du das so sehr wissen musst?“ Hitomi meinte es nicht wirklich böse, aber es gab den Anschein als glaubte ihr Gegenüber das.

Sie sah wie Millerna einmal tief durchatmete. „Ich kann nicht dort sein. Wenn ich sterbe, wer soll dann für dieses Land sorgen? Es geht nicht!

Dryden ist plötzlich deine Fähigkeit in die Zukunft zu sehen wieder eingefallen. Ich dachte zuerst es wäre eine schlechte Idee dich darum zu bitten, aber er hat mich schließlich zum Gegenteil überzeugt.“ Darauf richtete Hitomi kurz ihren kritischen Blick auf Dryden, welcher kurz zusammen zuckte.

„Das verstehe ich ja auch, aber ehrlich gesagt, möchte ich das wirklich nicht tun.“ Millerna weitete ihre irdisch-blauen Augen und fasste sie an den Schultern. „Wieso, Hitomi? Das ist doch nicht so schwer, wieso möchtest du es nicht tun?!“ Sanft löste die braunhaarige die Hände von ihrem Körper.

„Weil es weh tut. Du weißt nicht, was das für ein Gefühl ist. Du hast keine Ahnung, was ich jedes Mal durchleiden muss und dieses Mal wird es noch schlimmer – denkst du es wird keine Toten geben?! Du wirst es auch ohne mich erfahren, also sei einfach geduldig, Millerna.“ Hitomi war stur und hatte sich schon zwischen ihr durchgeschlängelt. Gerade als sie das Zimmer verlassen wollte und ihre Hand schon an der Klinke war, hielt sie durch eine männlich Stimme inne.

„Du bist nichts weiter als feige. Du wärst uns eine große Hilfe, auch wenn wir draußen keine Hilfe wären, wüssten wir zumindest den Stand der Dinge. So könnten wir wenigstens vorausplanen und wüssten endlich wieso all das passiert. Bist du nicht neugierig, Hitomi? Ich an deiner Stelle wäre es und würde mich schuldig fühlen, einfach still dazusitzen, obwohl ich etwas tun könnte.“ Einige Zeit war es wirklich still, niemand sagte ein Wort und sie dachte über seine Worte nach. Er hatte keine Ahnung, wie sie sich fühlte und eigentlich hatte er kein Recht ihre Entscheidung zu urteilen. Er wusste nicht, was sie letztes Jahr durchgemacht hatte, doch dann spürte sie innerlich ein schmerzliches Gefühl, welches ihr die Luft zum atmen nahm.

Kurz schloss sie die Augen. „Also gut, du hast gewonnen. Aber geduldet euch trotzdem noch. Ich kann das nicht so auf hier und jetzt. Ich muss alleine sein und mich konzentrieren.“ Damit verschwand sie und ging wie in Trance den langen Flur entlang. Sie hielt ihren Arm ausgestreckt und streifte ihre Finger an der Wand.
 

Hitomi wollte es nicht sehen. Wieder einmal verfluchte sie ihre Fähigkeit dafür, dass sie ihr sowas aufzwängten. Keiner hatte eine Ahnung, wie man sich dabei fühlte. Sie dachten es wäre einfach, doch das war es nicht. Es war eines der schmerzhaftesten Dinge, die sie immer wieder durch litt.

Für ein paar Minuten lief sie ziellos durch das ganze Haus und widmete sich unhörbar ihren Gedanken.

Dann als sie in einem relativ unbekannten Raum stehen blieb - sie behauptete hier noch nicht gewesen zu sein – hatte sie ihre Entscheidung getroffen. Sie würde es tun, zumindest würde sie es versuchen. Hitomi wusste nicht, was sie erwartete, aber sie hatte es geschworen und sie hielt ihr versprechen.

Es war bereits Nacht. Das Licht des Mondes und der Erde dahinter, schienen durch die weiten Bogenfenster, welche sich an den hohen Wänden befanden.

Hitomi bewegte sich auf den Balkon zu, der gleich rechts von ihr lag. Sie stand nun draußen, befand sich im zweiten Stock und setzte sich im Schneidersitz etwa auf die Mitte des Balkons. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich so sehr, dass die Stimmen der anderen allmählich verschwanden und dafür die Geräusche der Natur sich verfeinerten.

Das Rascheln und Seufzen der Blätter, vom Winde verweht, fiel ihr als allererstes auf, welches sich mit einem weiteren Laut vermischte – dem rieseln von Wasser, sehr wahrscheinlich vom Fluss, den sie überquert hatten. Es war unmöglich alle weiteren Geräusche aufzuzählen, aber es klang nach einer friedlichen Nacht.

Hitomi verdrängte auch langsam diese erholsamen Geräusche und driftete weg, so unbemerkt, dass selbst sie es nicht bemerkte. Nun vergaß sie alles um sich herum.

Schwärze umhüllte sie schleichend und dann war sie plötzlich dort. Im Kampfgeschehen mitten drin. Sie hatte Angst und sie spürte, selbst wenn sie wollte, konnte sie hier nicht mehr so einfach verschwinden. Sie war in ihrer eigenen Vision gefangen. Wirklich beängstigend, fand sie.

Sie war wieder in Pallas und alles schien so lebendig, als hätte es den vorherigen Marsch gar nicht gegeben. Hitomi kannte diese Gegend nicht und doch war sie sich hundertprozentig sicher noch in Pallas zu sein. Sie stand auf einer relativ verlassenen Straße und Ihre Augen weiteten sich als sie die beiden kämpfenden Guymelefs vor sich erkannte, wohl eher sah, wer sie steuerte. Ihr Mund wurde fürchterlich trocken, als sie nach Van, auch den anderen im Cockpit erkannte. Sie hatte das Gefühl als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren.

…Luca. Es war Luca, die mit Van kämpfte.

Nun hatte sie die volle Gewissheit, dass es allein ihre Schuld war. Kaum vorstellbar, aber ein kleiner Teil ihres Unterbewusstseins hatte wahrhaftig noch an ihre Unschuld geglaubt.

Die Schuld übermannte sie fast wie ein Vulkanausbruch. So unerwartet und schmerzhaft, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Hitomi wollte helfen, so dass Van damit nicht reingezogen wurde, doch das ging nicht. Wenigstens schlug er sich gut, sogar sehr gut.

Er war noch besser geworden.

Sie war nicht schlecht, aber sie hatte Mühe gegen Van anzutreten und es erleichterte Hitomi‘s Gewissen ein wenig. Aber Luca spielte unfair, als sie versuchte ihn zu provozieren. Über seine Kampfkünste – ganz ehrlich, da log sie bis zum abwinken.

Er war perfekt. Keinen Fehler konnte Hitomi an seiner Technik erkennen und genau das fürchtete die rothaarige wohl.

Das wusste auch Van, denn zum Glück ging er nicht darauf ein und dann versuchte sie es mit einer todsicheren Sache, dass wusste Luca. Das erkannte Hitomi aber erst als es geschah. Hitomi hätte nicht gedacht, dass es funktionierte, aber tatsächlich bemerkte sie eine Schwachstelle an Van. Es überraschte sie, als sie sah, wer sein Schwachpunkt war, wahrscheinlich mehr als jede andere.

Hitomi war es. Sie selbst und schlagartig hätte sie weinen können.

„Jämmerlich, was findet sie nur an dir?“ Luca spuckte die Worte geradezu heraus und für einen Moment hielt Van inne. Schlagartig nutzte Luca das aus und Escaflowne fiel zu Boden. Sofort rappelte er sich wieder auf und fragte: „Wen meinst du?“

Sie lachte gehässig. „Ach, wen ich meine, möchtet ihr gerne wissen... das solltet ihr doch am besten wissen, König von Fanelia!“

Van knirschte mit den Zähnen und während er sie wieder angriff, schrie er: „ Was weißt du schon…!“

Wieder erklang ihr Lachen. „Scheinbar mehr als du!“ sagte sie und wich ihm mit Leichtigkeit aus. Voller Wut griff Van an und vernachlässigte seine Deckung, so dass es Luca leicht fiel Escaflowne Wunden zuzufügen. Hitomi wusste, was das bedeutete. Wenn Van sich nicht besser konzentrierte, würde er sterben. „Also wirklich, Hitomi hat etwas Besseres verdient. Sieh doch wie unvorsichtig du bist, außerdem habe ich gehört sie hat sich auf der Erde mit Vergnügen ausgetobt; das heißt wohl, du bedeutest ihr wohl gar nicht so viel.“ Hitomi spürte fast, wie es in Van brodelte. Was erzählte Luca da auch für ein Unsinn!

„Sei Still..!“ Er schrie es und sogar Hitomi machte es Angst. Sein Schwert traf ihren Guymelef hart an der Schulter und sie schrie auf.

Oh Nein, Hitomi hatte das Gefühl, als würde er bald die Kontrolle verlieren.

„Was erlaubst du dir eigentlich! Wer bist du eigentlich?!“

„Ach“, tobte Luca. „Auf einmal möchtest du wissen, wie ich heiße!“

Hitomi wollte wegsehen. Sie ertrug das hier alles einfach nicht.

„Na, gut, ich bin Luca!“ Und dann entglitt alles vor Hitomi’s Augen.
 

Als sie wieder ihre grünen Iris aufschlug, befand sie sich auf dem Balkon, wo sie auch schon immer gewesen war. Sie schlang ihre Arme um sich und zitterte wie Espenlaub.

Blöde Idee, ganz blöde Idee war das gewesen. Wieso hatte sie sich auch überreden lassen. Sie war selbst ein wenig neugierig gewesen, gab sie zu, aber deswegen musste das nicht heißen, dass sie gleich sehen musste, was passierte. Ihre Gedanken drehten sich und einzig ein Gedanke tauchte immer wieder in ihrem Kopf auf. Van durfte nicht sterben. Er musste heil wieder zu ihr zurückkommen. Kein Zeitgefühl herrschte noch in ihr. Stunden, Minuten, Sekunden – Hitomi konnte es nicht sagen, doch irgendwann legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Es könnte genauso gut ein Feind gewesen sein, sie hätte nichts ausrichten können.

Aber als sie den Kopf hob sah sie in das liebliche Gesicht Millerna’s. Sie lächelte Hitomi aufmunternd an. „Was ist denn los, meine Süße?“

Hitomi schüttelte den Kopf. „Nichts.“

„Ach ja?“ Sie strich ihr leicht übers Haar. „Danach siehst du aber leider nicht aus.“

Noch immer schwieg Hitomi.

„Hitomi, ich kann dir nicht helfen, wenn du mir dabei nicht wenigstens ein bisschen entgegen kommst, also bitte..“ Ein leiser Seufzer entglitt ihr. „Ich verspreche dir, ich werde niemandem davon weiter erzählen; du kannst mir vertrauen, Hitomi.“ Das Mädchen vom Mond der Illusionen schloss kurz die Augen, bemerkte wie sie sich nach und nach langsam beruhigte und versuchte ihr dann zu antworten: „I-Ich habe in die Zukunft gesehen oder Gegenwart, wie man es auch nennen mag.“

Hitomi bemerkte wie Millerna ihre Augen leicht aufriss.

„Jedenfalls war ich in Pallas; überall gab es Kämpfe und die Stadt ist nicht unverschont geblieben und irgendwann hab ich Van entdeckt. Er kämpfte mit einer gewissen Luca und sie hat ihn leicht angestachelt. Ich habe einfach Angst…“

„Ihn zu verlieren…“ Unterbach sie die Blondhaarige.

Hitomi nickte einfach nur. Nach einer kurzen Stille regte sich ihre Freundin.

„Also gut“, sagte Millerna, während sie ihr vorsichtig aufhalf. „Gehen wir erst einmal rein. Du wirst uns sonst noch erfrieren und Van wird das nicht gerne sehen.“ Bevor sie reingingen, sagte Millerna mit einem festen Blick in ihren Augen: „Er wird gesund wieder zurück kommen, hast du mich verstanden.“ Zögerlich bejahte Hitomi.

Als sie die Tür hinter sich schloss, meinte Millerna außerdem Hitomi’s Stimme gehört zu haben, aber sie war sich nicht ganz sicher ob sie es sich eingebildet hatte.

„Ja, er wird ganz sicher zurückkommen.“
 

Ein eiskalter Wind wehte Van um die Ohren. Seine Hände froren, trotzdem wollte er nicht wieder zurück ins Haus. Er sah das Geschöpf vor sich, welches still in absoluter Schönheit einfach auf dem kalten Boden saß. Für einen Moment drehten sich seine Gedanken.

Nachdem der Kampf in Pallas geendet hatte und sie langsam begriffen hatten, dass Hitomi nicht dort war, schienen sie sich langsam zurückzuziehen. Sogar diese mysteriöse Luca, die scheinbar eine Menge über Hitomi wusste. Er wusste noch nicht genau, was er davon halten sollte.

Er würde Hitomi später noch fragen, aber das kam später.

Sofort hatte er seinen Guymelef in einen Drachen verwandelt und flog so Richtung Norden, wo er sie vermutete. Es hatte nicht lange gedauert und er machte vor dieser Villa halt. Er beachtete die Regeln nicht und stürzte einfach hinein und rief laut ihren Namen. Keine Antwort kam ihm entgegen. Dafür Merle und Königin Millerna. Er hatte noch nicht mal die Zeit zu fragen, da sagte die blonde auch schon, wo er seine Angebetete finden konnte. Hinter dem Haus im Garten.

Sie hatten ihn soweit begleitet, doch dann als er durch die Terrassentür ging, wusste er nicht mehr ob sie ihm folgten oder beobachteten. Als er sie sah, hatte er die beiden ganz vergessen und nun stand er hier. Einige Meter hinter ihr. Der Kampf vor ein paar Minuten war längst vergessen.

Er kam ihr immer näher, Schritt für Schritt, ging durchs nasse Gras und dann stand er wirklich direkt hinter ihr. Bevor er auch ihren Namen sagen konnte, sagte sie seinen.

Er war überrascht, für den ersten Augenblick, doch dann fing er sich und setzte sich neben sie.

„W-Wie hast du?“ flüsterte er ungewollt. Sie drehte ihren Kopf, lächelte geheimnisvoll und er fand, dass ihre Augen unter dem Mond heute besonders schön glitzerten.

Dann sagte sie: „Hast du meine speziellen Fähigkeiten etwa schon vergessen?“

Seine Augen weiteten sich und er schellte sich dafür, dass er es tatsächlich vergessen hatte.

Hitomi wandte sich wieder ab und sah auf den Mon der Illusionen.

„Wunderschön, findest du nicht?“flüsterte sie und er wusste nicht, ob wirklich er gemeint war. Sie hatte etwas Melancholisches an ihrer Stimme.

Van hatte das Gefühl als änderte sich ihre Stimmung plötzlich um 90 Grad. Sie sah auf ihre Hände, die in ihrem Schoss lagen. „Ich hatte heute angst. Nicht um mich oder um jemanden anderen, “ eine Wolke verdeckte den Mond und die Erde, während sie das sagte und gleichzeitig ihre Stimme brach. „Nur um dich.“

Plötzlich konnte er sich selbst nicht mehr beherrschen und sein Körper handelte von selbst. Seine kalte Hand hob sich und drehte ihr Gesicht zu ihm. Hitomi hatte Tränen in den Augen.

Er spürte, wie sein Herz dagegen appellierte.

Wie von selbst zog er sie in eine stürmische Umarmung. „Red keinen Unsinn! Weißt du was du da sagst; du solltest dich lieber um dich kümmern. Ich kann gut auf mich selbst sorgen und brauche dein Mitleid nicht, aber… ich kann nichts dagegen tun als das ich mich einfach nur gut fühle, bei dem Gedanken, dass du dich um mich sorgst. Ach Verdammt, Hitomi, du weißt nicht wie viel Angst Ich um dich hatte.“ Ihre Tränen rannen und sie fühlte sich einfach nur geborgen in seinen starken Armen. Seine ersten Sätze hatten sie verletzt und doch war sie zutiefst gerührt, als sie seine weiteren Worte vernahm.

Er war der erste, der sie beide voneinander löste, als er merkte, dass ihre Tränen versiegt waren. Ein kleines Lächeln lag auf ihren rosigen Lippen. Ohne auch ihre Zustimmung zu bekommen, senkte er sein Haupt und drückte sanft seine Lippen auf ihre. Das letzte was er sah, bevor er seine Augen schloss, war wie sich ihre leicht weiteten.



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