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Abhandlung über Schlagen

von

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Im Flugzeug

Das Schlimmste was passieren konnte war passiert. Jahrelang hatte sein Vater ihm gesagt, dass es eines Tages dazu kommen würde. Er hatte ihn regelrecht angefleht den Job aufzugeben oder wenigstens eine andere Route zu fliegen. Aber für Robert wäre das einer Flucht gleich gekommen. Für ihn war es kein Grund die Route über den tropischen Regenwald nicht mehr zu fliegen, nur weil seine Mutter an einem Schlangenbiss gestorben war. Und es war auch kein Grund, dass ihn seitdem eine paralysierende, allumfassende Schlangenphobie heimsuchte. Es stellte sich jedoch als ernsthaftes Problem heraus. Jetzt, da er in seinem Flieger hockte, gestrandet in den tiefsten Tiefen des Dschungels. Und ohne Kontakt nach draußen.

Er starrte hinaus in die finsteren Windungen des Waldes, dorthin wo irgendwo der Schrecken lauerte. Zwei Meter hinter der Schneise, die sein Flugzeug in das Blätterdach gerissen hatte, fing die Schwärze an. Dort drin konnte alles lauern. Würgeschlangen, Giftschlangen, Springschlangen. Schlangen in allen Formen und Größen. Ein Meter, zwei Meter, zehn Meter, Schlangen, die ganze Elefanten verschlingen konnten. Oder die kleinen bunten, deren Gift dein Zentralnervensystem in Sekunden lähmen kann, so dass man jämmerlich erstickt. Ein Dumpfer Schlag hämmerte auf das Dach des Flugzeuges. Das war eine! Das war mit Sicherheit eine Schlange. Runtergerissen von den Bäumen als das Flugzeug hinein stürzte. Sie würde hinein kommen, durch das Loch, das im Heck klaffte. Er musste es abdichten. Der Fallschirm sprang ihm ins Auge. Der war groß genug für das Loch. Er friemelte ihn heraus, presste ihn gegen die Öffnung, als ein Scharren und Kratzen vom Dach ertönte. Die Schlange! Sie kam! Er konnte schon ihr Züngeln im Lärm der Urwaldgeräusche ausmachen. Das Loch war noch immer offen. Fallschirm, Loch, es fehlte an Befestigungsmöglichkeiten. Der silbrige Glanz der Taperolle war die Rettung. Die Leinwand des Fallschirmes mit ausgebreiteten Armen an die Flugzeugwand gepresst angelte er mit dem Fuß nach dem Klebeband. Sein Fuß rutschte an der Rundung herab. Wieder angelte er nach der Rolle, versuchte die Spitze seines Schuhs durch die Öffnung zu haken. Er erwischte sie, ruckte und die Taperolle kippte um. Von ihm weg. Er fluchte. Auf dem Dach des Flugzeuges war es verdächtig still geworden. Lauerte die Schlange? Machte sie sich schon bereit um auf ihn zuzuschnellen? Es presste sich etwas gegen sein Bein und Robert schrie auf. Sein Blick schoss hinunter zu seinem Knöchel. Er rechnete fest damit das rot-schwarze oder grün-gelbe Muster seines tödlichen Feindes zu erblicken. Gleich würde er zubeißen, seine Muskeln verkrampften sich. Blau schmiegte sich die Leinwand des Falschirmes um seinen Knöchel. Zitternd atmete er auf. Aber halt, da war eine Öffnung entstanden. Robert presste sein Bein gegen die Wand, klemmte die Falschirmleinwand fest. Er brauchte das Tape! Wieder streckte er sein Bein aus und stocherte nach dem Klebeband. Er drehte den Fuß, verrenkte sich fast das Bein und hakte den großen Zehn in die Rolle. Vorsichtig, ganz vorsichtig winkelte er das Bein an und zog das Tape über den Flugzeugboden. Geschafft. Schnell hob er sie auf, während kurz eine Ecke der Leinwand von der Öffnung herabfiel und einen Strahl blattgünen Sonnenlichtes das Innere des Flugzeuges erhellte. Hastig richtete er sich auf und schob die Ecke zurück vor das Loch. Mit den Zähnen löste er einen Streifen Band von der Rolle und pappte ihn quer über die Ecke, klebte den Fallschirm gegen die Flugzeugwand. Er löste seine Hand, pappte einen Streifen in die nächste Ecke, löste seine andere Hand. Dann ging alles schnell. Streifen um Streifen riss er von der Rolle und klebte sie über Fallschirm und Wand, ringsherum um das Loch, bis es von einem Rahmen aus silbrigen Tape umgeben war. Schweißnass von der Aufregung ließ er sich auf seinen Sitz fallen und warf das Tape in eine Ecke. Die Gefahr war gebannt, nun musste er einen Weg heraus finden. Er wandte sich dem Funkgerät zu. Beim Sturz hatte es einiges abbekommen, aber vielleicht konnte er es wieder hinkriegen. Er machte sich an die Arbeit.

Stunden später saß er vor einem Wust aus Drähten, Kabeln und Elektronik, war aber keinen Schritt weiter gekommen. Da hingen sie nun in rot und gelb und grün die Kabel, verschlungen wie Lianen im Dschungel und hielten ihn genau so unerbittlich fest wie ihre Brüder dort draußen. Er ließ den Schraubenzieher aus seiner Hand gleiten und sank in seinem Sitz zusammen. Seine Augen versanken in den undurchdringlichen Strukturen des Waldes und er versuchte den Druck auf seine Blase zu ignorieren. So viele Bäume dort draußen um sich zu erleichtern und doch waren sie in unerreichbarer Ferne. Die Schlange hatte sich nicht noch einmal bemerkbar gemacht, aber er wusste, dass sie dort draußen lauerte. Irgendwo. Das war es was diese hinterlistigen Biester taten. Sie tarnten sich in all diesen Lianen und Ästen und Blättern, versteckten sich um ihre Beute in Sicherheit zu wiegen, so lange, bis sie unvorsichtig wurde und sich hinaus wagte. Oh nein, das würde er ganz sicher nicht tun. Er würde ihr nicht in die Karten spielen, er hatte nicht vergessen, dass sie dort draußen auf ihn lauerte. Seine Finger trommelten auf das Amaturenbrett und er presste die Beine zusammen. Jetzt schwach zu werden konnte seinen Untergang bedeuten. Seine Finger trommelten weiter, Untermalung zu all den Dschungelgeräuschen. Trap-trap-trap, trap-trap-trap. Das Geräusch wurde lauter, er hielt in der Bewegung inne. Seine Finger ruhten in der Luft, halb gekrümmt um wieder aufzusetzen und es trappelte noch immer. Er zuckte zurück als etwas auf der Scheibe auftraf. Nervös benetzte er seine Lippen und beugte sich vor, musterte die Scheibe und dann brauste es los. Tropfen um Tropfen schlug auf der Scheibe auf, lief hinunter und vereinigte sich mit weiteren Tropfen zu regelrechten Sturzbächen. Ein Tosen und Rauschen erfüllte die Luft. Es hämmerte auf die Flugzeugdecke und auf die Blätter des Waldes ringsumher. Er sprang von seinem Sitz auf, die Hände gegen seinen Schritt gepresst, hüpfte von einem Bein auf das andere. Er stürmte auf die Flugzeugtür zu, griff nach dem Hebel und erstarrte. Da draußen lauerte der Tod. Es ging nicht, er konnte nicht hinaus. Er konnte das Flugzeug nicht verlassen. Sie wartete da draußen. Die Schlange. Es musste einen anderen Weg geben. Hektisch drehte Robert sich um, den Rücken gegen die Flugzeugtür gepresst und seine Hände zwischen die Beine. Seine Augen schossen von einer Ecke in die Andere. Irgendetwas, irgendetwas, ein Behälter, ein Nachttopf, etwas vage vergleichbares. Wasser! Nein, eine Wasserflasche. Er hatte sie in seiner Proviantkiste. So schnell er konnte stakste er nach hinten und wühlte in der Kiste. Müsliriegel, Butterbrote, Nüsse, Flasche, Kekse. Flasche! Er zog sie heraus während über ihm der Regen rauschte. Es wurde höchste Eisenbahn, viel länger konnte er sich nicht beherrschen. Er schraubte den Deckel ab, entfernte seine eigenen Hindernisse und ließ den erlösenden Strahl hinausschießen. Das Plätschern des Urins fügte sich in das Plätschern des Regens. Ein weiterer nasser Ton in einem Konzert von nassen Tönen. Befreit atmete er auf. Unheil abgewendet. Er verkorkte die Falsche und schob sie in eine dunkle Ecke des Flugzeuges. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel würde er sie vielleicht noch einmal brauchen.

Der Regen hörte auf als die Nacht herreinbrach. Von einem Moment auf den Anderen war sie da. Keine Dämmerung, kein Übergang, eben noch hellster Tag und nun finsterste Nacht. Mit schwinden des Lichtes erreichte das Konzert des Dschungels einen ganz neuen Lautstärkepegel. An Schlaf war bei diesem Höllenlärm nicht zu denken. Den Kopf auf die Faust gestützt, die Beine aufs Amaturenbrett gelegt lehnte Robert in seinem Sessel und ließ die unvermeidliche Nacht an sich vorrüber gehen. Bei Licht und Tag würde sich vielleicht ein neuer Ausweg offenbaren und langsam ergriff die Erschöpfung von ihm Besitz. Vielleicht war es ja doch möglich bei diesem Radau in Schlaf zu versinken. Er schloss die Augen und sein Herzschlag verlangsamte sich. All die Aufregung, all die Anspannung wegen der Schlange, vielleicht war es das gar nicht wert. Vielleicht hatte sie aufgegeben und sich in ihren eigenen Unterschlupf zurück gezogen. Immerhin hatte sie sich seit langem nicht mehr bemerkbar gemacht. An ihrer Stelle hätte er sich auch aufs Ohr gehauen. Es raschelte im hinteren Teil des Flugzeuges. Was nützte es auch stundenlang um ein Flugzeug herumzuschlängeln in das man doch keinen Weg hinein fand. Es raschelt. Vielleicht konnte er sich morgen aus dem Flugzeug hinaus wagen, mit genügend Vorsichtsmaßnahmen, dass keine Schlangen in der Nähe waren. Es raschelte. Wie von einer Schlange gebissen fuhr Robert in seinem Sitz hoch. Er sprang auf, stieß sich den Kopf an der Decke und sank, die Hände über den Kopf geschlagen auf den Boden des Flugzeuges. Es hatte geraschelt. Schmerzenstränen aus den Augen blinzelnd suchte er den Boden ab. Er hatte eine Taschenlampe hier. Irgendwo. Er erinnerte sich daran sie vor dem Flug hier verstaut zu haben. Man konnte nie wissen, wann man eine Taschenlampe gebrauchen konnte. Seine Finger glitten über den Boden, tasteten die Seitenwände ab. Er hielt abrupt inne. Hatte es nicht gerade wieder geraschelt? Er horchte auf. Nichts. Stille. Angestrengt spähte er in die Finsternis und spitzte die Ohren. Schlangen waren nachtaktiv. Warum war ihm das nicht schon früher eingefallen? Hatte sie doch einen Weg hinein gefunden? Hatte sich der Fallschirm von der Flugzeugwand gelöst? Das Klebeband aufgeweicht vom Regen versagt? Sie war hier. Oh Gott, die Schlange war hier drin. Er tastete wieder wie gehetzt nach der Taschenlampe. Er musste etwas sehen. Garantiert schob sie sich gerade über den Flugzeugboden auf ihn zu. Jeden Moment konnte sie ihn erreichen. So lange er nichts sah, war er ihr hilflos ausgeliefert. Er konnte schon spüren wie ihre Zunge an seinen Fingern leckte. Gleich würde sie zubeißen. Gleich, jeden Moment. Das Gift würde sich durch seine Adern verteilen, angetrieben von seinem rasenden Herz. Es würde dazu beitragen, dass er noch schneller starb. Er würde nicht mehr atmen können und jämmerlich ersticken. Er spürte schon, wie sich die Klauen des Giftes um seinen Brustkorb schnürten und ihm den Atem raubten. Irgendwann würde man vielleicht seine Leiche finden. Vielleicht aber auch nicht. Wer würde sich schon hier in die Tiefen des Regenwaldes verirren? Der Wald würde das Wrack seines Flugzeuges überwuchern. Die Wurzeln würden die Hülle durchstoßen. Moos und Flechten die Decke in Beschlag nehmen. Vielleicht würde sich eine Bande Affen in dieser Wind und Regen geschützten Höhle ansiedeln. Direkt neben seinem Skelett, vielleicht seinen Schädel als Spielball benutzen. Vielleicht aber würde es auch das Territorium der Schlange bleiben. Sie würde sich ein Nest in seinen bleichen Gebeinen einrichten. Er konnte es vor sich sehen, wie sich ihr schmaler schlanker Körper durch eine leere Augenhöhle wand. Seine Finger stießen gegen rundes Plastik. Er griff zu, wirbelte herum. Hielt die Taschenlampe wie eine Pistole vor sich. Schaltete sie ein. Gleißendes, elektrisches Licht durchschnitt die Dunkelheit. Er senkte den Strahl auf den Flugzeugboden. Staub wirbelte durch den Lichtschein, driftete hinein und hinaus. Ein ovaler Fleck gelben Lichts zeichnete sich auf den geriffelten Matten ab, die den Flugzeugboden bedeckten. Er ließ den Kreis wandern, nach links bis zur Wand und dann wieder nach rechts bis zur Wand. Staub, Dreck, Gummimatten, ein einsames verlassenes Müsliriegelpapier. Langsam richtete Robert sich auf, nahm die Taschenlampe in eine Hand und tastete sich vor. Der Strahl glitt über das Innere des Flugzeuges. Über verschlossene Kisten und Pakete, die er dieses Mal als Fracht transportiert hatte. Robert bahnte sich seinen Weg hindurch, ließ den Strahl der Lampe in jeden Winkel scheinen. Er erreichte das Loch in der Flugzeugwand. Sein Herz setzte für einen Moment aus als er den Strahl der Lampe darauf richtete, dann schlug es weiter. Es war alles in Ordnung. Noch immer war der Fallschirm darüber geklebt und das Tape hielt fest. Vorsichtshalber fuhr er mit seiner Hand die Ränder entlang. Es gab keine Öffnung. Erschöpft und erleichtert versagten ihm seine Beine den Dienst, als das Adrenalin aus seinem Körper wich. Er kippte gegen eine der Kisten und schloss die Augen. Nie, nie wieder würde er die Route über den tropischen Regenwald fliegen. Nie wieder.
 

Es hämmerte gegen die Flugzeugtür und Robert fuhr aus dem Schlaf hoch. Sein Nacken protestierte, ebenso wie seine Beine, das linke war eingeschlafen. Es hämmerte wieder gegen die Flugzeugtür.

"Robert, Robert!", rief jemand. "Mach auf wenn du noch lebst."

Träumte er noch? Er rappelte sich auf und sein Bein fing höllisch an zu kribbeln. Er schnappte nach Luft und krampfte seine Hände darum. Wieder trommelte es gegen die Tür.

"Bist du tot oder was?"

"Ich Lebe!", rief Robert zurück und startete einen neuen Versuch aufzustehen, es gelang. Er tastete sich vor, eine Hand an die Flugzeugwand gestützt und erreichte die Tür. Er öffnete sie

"Halleluja", begrüßte ihn sein Kollege Mario.

"Wie kommst du denn hier her?", fragte Robert verdutzt.

"Du hast die Ware nicht abgeliefert, also haben wir dein Handy geortet."

"Mein", Robert griff in seine Tasche und zog sein Handy heraus, es zeigte einen Balken Empfang an. "Oh."

"Komm wir fahren. Mit dem Absturz gibt es genug Papierkram auszufüllen, wir müssen hier nicht auch noch unnötig herumtrödeln." Er drehte sich um und ging zu einem Jeep, der in der Schneise der Zerstörung parkte.

Robert steckte einen Kopf heraus und spähte sich nach der Schlange um. Das wäre die Gelegenheit um zuzuschlagen.

"Kommst du? Wir müssen auch den Abtransport der Waren regeln, es gibt keine Zeit zum Trödeln."

"Ich kann nicht", rief Robert zurück. "Hier lauert irgendwo eine Schlange."

Mario wandte sich um und kam zurück zum Flugzeug gestapfte. Robert starrte auf seine Füße. Jeden Moment könnte die Schlange hervorschnellen.

"Robert. Wir sind 200 Meter von der nächsten Ölpalmenplantage entfernt. In diesem Teil des Dschungels gibt es keine einzige Schlange, die einem Menschen gefährlich werden könnte."

"Oh, ist das so?"

Mario versah ihn mit einem dieser berühmten bedeutsamen Blicken und kehrte zum Jeep zurück. Vorsichtig wagte Robert sich aus dem Flugzeug. Er hielt inne und warf einen Blick in die Runde. Zerbrochene Äste, herabgerissene Blätter, und anderer Unrat lagen herum. Von einer Schlange fehlte jede Spur. Er folgte Mario zum Jeep und nahm auf dem Beifahrersitz platz.

"Das einzige", sagte Mario während er den Motor anließ und den Wagen wendete. "Das einzige worüber du dir hier Sorgen machen musst, sind die Ameisen."

Robert erstarrte. Mario hatte den Wagen gewendet und nahm Fahrt auf, hinaus aus dem Dschungel.

Robert konnte fühlte wie etwas sein Bein emporkrabbelte.



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