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Jenseits der Straße

von

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When the Sun goes down

Es kommt selten so gut wie erhofft,

aber auch selten so schlimm wie befürchtet.“
 

Murtagh und Saphira fühlten sich gleichermaßen unwohl als Eragon begann, die Sachen zusammenzusuchen und sie auf Saphiras Sattel festzuschnallen. Als er den Sattelgurt kontrollierte, sodass er während des Fluges nicht scheuern und Saphira womöglich verletzten würde, peitschte Saphira unruhig mit dem Schwanz auf dem Boden. Zwar hatte Murtagh sie überzeugt, dass er bei den Elfen besser aufgehoben war, aber dennoch würde das bedeuten, dass sie ihn auf ihren Rücken würde lassen müssen.
 

Natürlich hatte Murtagh sein Pferd schon lange in einem Dorf verkauft und es wäre außerdem hinderlich, ständig auf Murtagh zu warten. Schneller würde es gehen, Murtagh zunächst nach Du Weldenvarden zu bringen und dann zu entscheiden, was geschehen sollte. Aber der Gedanke jemand Fremdes so weit auf ihrem Rücken zu tragen, gefiel ihr nicht.
 

Meister Oromis bildete die Ausnahme.
 

Der war ein Drachenreiter, Murtagh hingegen war es nicht. Selbst wenn er Eragon schon mehr als nur einmal das Leben gerettet hatte, Tote kehrten nicht zurück. Doch da Murtagh dies offensichtlich getan hatte, fragte sie sich ob er sich auch geändert haben mochte. Wenn er sich wirklich in den Fängen des Königs befunden hatte, dann konnte man das durchaus annehmen. Aber die zu erwartenden Veränderungen wären gewiss nur Paranoia und Geheimnistuerei.
 

Er muss schon sehr verzweifelt sein, sich ausgerechnet an Elfen zu wenden, dachte sich Saphira, als Eragon Murtagh deutete, er solle zuerst auf ihren Rücken steigen. Die Varden hat er ja schon nicht gemocht.
 

-
 

Murtagh betrachtete Saphira ebenfalls mit Misstrauen. Nicht, dass er Angst vor dem Fliegen hatte, aber es würde kein Zurück mehr geben, wenn er jetzt auf ihren Rücken stieg.
 

Aber ihm blieb keine Wahl.
 

Trotz dessen würde es nicht Thorns Rücken sein, daran musste er denken. Vor allem musste er sicherstellen, dass Saphira keinen Verdacht schöpfte. Eragon wäre sicherlich leichter zu überlisten, warum er keine Flugangst hatte, doch Saphira war viel zu wachsam.
 

Der Unterschied zwischen einem erfahrenen Flieger und einem normalen Menschen war einfach viel zu gewaltig, als das zumindest Saphira es nicht bemerken würde.
 

Also würde er ein wenig schauspielern müssen, so sehr er das auch hasste. Er war nie jemand gewesen, der sich leicht hatte verstellen können. Es war eigentlich immer eher das Gegenteil gewesen. Ein bisschen mehr gespielte Höflichkeit und Respekt hätte ihm Ärger bei Galbatorix erspart. Doch er hatte sich nie zu einem falschen Lächeln oder einer Floskel bewegen können. Egal wie sehr Thorn es sich gewünscht hatte, weil jede untersagte Ehrerbietung Schmerzen für Murtagh bedeutete.
 

Hoffentlich geht es ihm gut, dachte Murtagh.
 

„So, wir können jetzt aufbrechen“, sagte Eragon, der die letzte Schnur kontrolliert hatte. „Kommst du da alleine hinauf?“
 

Murtagh sah kurz Saphira an, deren Rücken weitaus näher am Boden war, als der von Thorn und nickte dann. Vielleicht würde er etwas unbeholfen aussehen, weil Saphira anders gebaut war, dann müsste er kein dummes Gesicht machen. Wenn er Thorn besteigen wollte, dann musste er an seinem Vorderbein hoch klettern und sich an den Schuppen festhalten.
 

Er ist weitaus größer als Saphira. Obwohl er jetzt ungefähr so alt sein müsste wie sie, als ich sie und Eragon zum ersten Mal getroffen habe.
 

Vielleicht lag es am Geschlecht, doch um das genau sagen zu können, wusste Murtagh zu wenig über Drachen.
 

„Soll ich vor oder hinter dir sitzen?“, erkundigte sich Murtagh noch bei Eragon, als er sich neben Saphira stellte.
 

Eragon schien kurz zu überlegen und die Möglichkeiten abzuschätzen.
 

„Hinter mir“, sagte er dann. „Sofern du dich an mir festhältst.“
 

Da drehte sich etwas in Murtaghs Magen um. Menschliche Nähe war ihm noch nie gut bekommen. Erst recht nicht in den letzten Monaten, wo jede Berührung eine Qual gewesen war.
 

„Ist das dir recht?“, fragte Eragon besorgt und stupste Murtagh an, der leicht blass aussah. Noch blasser als davor, wohlgemerkt.
 

Erst jetzt im Tageslicht sah Eragon, wie abgekämpft Murtagh wirklich war.
 

Ihm musste wirklich die halbe Armee gefolgt sein. Der Mantel und die gesamte Kleidung waren in einem schlechten Zustand. Vielleicht sollte er Murtagh direkt so den Elfen zeigen, damit sie ein wenig Mitleid mit ihm hatten. Denn im Grunde rechnete Eragon nicht damit, dass es einfach werden würde. Elfen konnten sehr unberechenbar sein, wenn es um Leute ging von denen sie ausgingen, sie hätten ihre Gastfreundschaft nicht verdient. Die Varden hatten schon Probleme gehabt, als Arya als verschollen galt. Und die hatten einen triftigeren Grund gehabt, Schutz von den Elfen zu erbitten.
 

Ich werde wirklich erst mit Arya und Meister Oromis reden müssen. Ich will Murtagh nicht noch einmal verlieren, erst recht nicht durch die Elfen.
 

Eragon erklomm Saphira Rücken und stellte zufrieden fest, dass der Sattel Platz für sie beide bot. Es würde eine neue Erfahrung sein, weite Strecken zu zweit zu fliegen. Neugierig wie Murtagh sich anstellen würde sah Eragon herunter. Murtagh schien ein wenig zu zögern, griff dann aber nach Saphiras Schulter und ihrem Rücken, ehe er sich hoch stemmte. Es sah ein wenig unbeholfen aus. Doch es war deutlich, dass Murtagh sich Mühe gab, Saphira dadurch nicht zu verletzen.
 

Mit einem Schwung hatte Murtagh bereits sein anderes Bein über Saphiras Rücken gelegt und saß jetzt hinter Eragon im Sattel. Eragon nickte anerkennend. Er hatte damit gerechnet, dass Murtagh zumindest einmal abrutschen würde, aber anscheinend verbarg sein dunkelhaariger Freund mehr Talente, als er angenommen hatte.
 

„Sitzt du richtig?“, fragte Eragon nach hinten. „Lege deine Füße in den Schlaufen ab. Wir werden nicht schnell fliegen, aber das ist besser, als wenn deine Füße gegen Saphiras Bauch schlagen.“
 

Stumm folgte Murtagh den Befehlen und legte dabei erstmalig seine Hand auf Eragons Hüfte, als er sich vorbeugen musste um zu sehen, dass er die richtige Schlaufe erwischt hatte. Denn ihm war durchaus aufgefallen, dass dies ein anderer Sattel als früher war. Wahrscheinlich von den Elfen angefertigt.
 

„Ähm … Murtagh?“, fragte Eragon vor ihm leicht schüchtern. „Könntest du dich bitte richtig festhalten?“
 

Murtagh antwortete darauf nicht sondern rückte mit seinem Körper näher an Eragon heran, sodass zwischen seiner Brust und dem Rücken des blauen Drachenreiters kein Platz mehr war. Mit Leichtigkeit konnte nun Murtagh seine Arme um Eragons Hüfte schlingen. Da er größer war als Eragon, konnte er sogar noch an ihm vorbei sehen.
 

„Ist das gut so?“, fragte Murtagh leise, um Eragon nicht ins Ohr brüllen.
 

„Ja, schon in Ordnung.“
 

Eragon fühlte sich trotz allem etwas unwohl. Murtaghs Körper hinter ihm und diese irritierenden Hände auf seinem Bauch trugen nicht zu seiner Konzentration bei.
 

Saphira?, erkundigte sich Eragon.
 

Schließlich hatte sie die zusätzliche Last zu tragen.
 

Vor dem Beginn des Trainings hätte ich das vermutlich nicht ohne Schwierigkeiten geschafft. Jetzt fühle ich das zusätzliche Gewicht kaum.
 

Mit einem Ruck erhoben sie sich in die Luft. Murtagh entschuldigte sich im Stillen bei Thorn, weil es nicht sein Rücken war. Dennoch wusste Murtagh, er würde das nicht ändern können. Aber immerhin konnte er sich vorstellen es wäre der Rücken seines Drachen, wenn er die Augen schloss. Allerdings bemerkte Murtagh schon nach einiger Zeit den Unterschied zwischen Thorn und Saphiras Flugstil.
 

Saphira glitt auf dem Wind dahin und schien leicht zu segeln. Sie steuerte die Strömungen mit ihren Flügeln und ließ sich tragen. Thorns brauchte mehr Kraft um seinen Körper in die Luft zu halten und bewegte deswegen seine Flügel in einem ständigen Takt, der mit Murtaghs Herzschlag anpasste. Das Gefühl unter ihm war jetzt daher ein ganz anderes.
 

Es fühlt sich seltsam an, dachte er und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen.
 

Unter ihm waren nur Hügel und vereinzelte Waldstücke zu sehen. Weit und breit kein Menschendorf. Nur das Pfeifen des Windes und Eragons warmer Körper, das war alles, was er in seinem Geiste noch wahrnahm.
 

Es schon fast ein bisschen so, als wäre er wieder mit Thorn zusammen.
 

Aber die Stille sprach dagegen. Sie waren selten so still geflogen. Thorn hatte immer seine Späßchen mit Murtagh getrieben und Luftwege genommen, wo ihm trotz aller Übung immer der Magen in die Hose gerutscht war.
 

Er hat immer Jagd auf die Vögel in der Luft gemacht, erinnerte sich Murtagh voller Sehnsucht. Um sie daran zu erinnern, wer der wahre Herr der Lüfte ist.
 

-
 

Kälte umfing ihn, als Murtagh die Augen aufschlug. Seine Schläfen pochten, während es in seinem Kopf wummerte. Stöhnend setzte er sich gerade hin und versuchte zu begreifen, wo er war. Sein Rücken schmerzte, als hätte er den ganzen Tag auf einem Pferd gesessen und aufrecht geschlafen. Doch das vor ihm war nicht der Hals eines Pferdes.
 

Ein menschlicher Körper, erkannte Murtagh träge. Wo...?
 

Doch die bessere Frage wäre wohl ‚wer‘. Murtagh zwang sich, jetzt nicht in Panik zu geraten. Hatte man ihn gefangen und auf einen Pferderücken gesetzt? Probeweise bewegte er seine Hände und stellte fest, dass sie nicht gefesselt waren. Es schien wohl alles in Ordnung zu sein. Murtagh hielt inne, als er seine Beine hatte bewegen wollen. Verwirrt sah er an sich herunter und kniff die Augen zusammen. Seine Füße befanden sich in Bügel, doch warum hatten sich Ranken darum gewunden?
 

„Was?“, fragte er mit rauer Stimme, die im rauschenden Wind kaum zu hören war.
 

Murtagh unterdrückte ein Husten. Seine Kehle tat weh, wie schon so oft in den letzten Wochen. Sie war trocken und seine Zunge klebte an seine Gaumen. Mit Mühe unterdrückte er ein Krächzen, von dem er aus Erfahrung wusste, dass es alles nur noch schlimmer gemacht hätte. Er versuchte sich zu konzentrieren, doch das Dröhnen des Windes in seinen Ohren raubte ihm den Verstand.
 

„Tut mir Leid, ich musste dich fest binden“, erklang es von vorne, wobei Murtagh zunächst einmal kaum die Hälfte verstand.
 

Endlich kam Murtagh wieder soweit zu sich, dass er hinter Eragon auf Saphira saß.
 

Der Himmel hatte sich inzwischen verändert. Sie waren Mittags los geflogen und jetzt verwandelte sich das Blau des Himmels am Horizont bereits in ein dunkles Lila. Es mussten mehrere Stunden vergangen sein!
 

„Hab ich ...“, setzte Murtagh an und stockte, weil seine Kehle das nicht mit machte.
 

Der Wind und die Erklärungen für Eragon waren wohl für seinen angeschlagenen Hals ein wenig zu viel gewesen.
 

„...geschlafen?“, vollendete Eragon den Satz für ihn. „Das hast du. Du hast deine Stirn auf meiner Schulter abgelegt und geschlummert wie ein Baby. Es mich überrascht, dass du das so einfach konntest. Schließlich hätten viele andere besseres zu tun, wenn sie auf einem Drachenrücken säßen.“
 

Er war aber nicht jeder andere, wollte Murtagh schon fast einwenden.
 

Aber er beherrschte sich. So müde und erschöpft wie er gewesen war, würde Eragon oder zumindest Saphira auf den gleichen Gedanken kommen und sich nicht weiter über seine mangelnde Begeisterung für das Fliegen wundern.
 

Je weniger sie verdächtigten, desto besser.
 

Ansonsten würde das seinen Tod bedeuten, das ahnte er. Wenn Eragon nicht voll hinter ihm stand, dann würde keiner der Elfen zögern, ihn auf der Stelle niederzustrecken. Hoffentlich konnte er sie davon überzeugen, dass sie ihn brauchten und zwar ohne, dass sie von Thorns Existenz erfuhren.
 

Es ist ein Risiko, doch so wie die Dinge liegen, bleibt mir keine Wahl.
 

Murtagh blickte in den Himmel hinauf, dem er seit Wochen nicht mehr so nah gewesen war. Sehnsuchtsvoll schloss er die Augen und versuchte seinen schmerzenden Körper zu ignorieren. Er wollte es Eragon nicht noch einmal anzutun hinter ihm einzuschlafen, doch hier wusste er wenigstens, dass er sicher war.
 

„Eragon“, murmelte Murtagh müde.
 

„Ja?“, kam es von vorne zurück.
 

„Sei mir nicht böse, aber ich werde wahrscheinlich gleich wieder einschlafen.“
 

„Was? Schon wieder? Du hast doch schon den ganzen Tag geschlafen.“
 

„Kann dir noch nur recht sein“, meinte Murtagh schläfrig, bevor sein Kopf wieder auf Eragons Schulter fiel. „Dann können die Elfen, dich wenigstens nicht beschuldigen, dass du mich zu ihrem Versteck geführt hättest.“
 

Tatsächlich schaffte es Murtagh gerade noch so die letzten Worte zu murmeln, bevor ihn der Schlaf wieder übermannte. Eragon seufzte nur. Seine Schulter war schon fast taub, doch wenn Murtagh den Schlaf zu brauchen schien, sollte er ihn besser nicht stören. Er konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass sein Freund am Leben war.
 

Saphira, habe ich ihn im Stich gelassen?, fragte er,
 

Sie antwortete nicht sofort und alleine das war eigentlich schon Aussage genug für Eragon. Doch ihre Worte gingen in eine andere Richtung.
 

Vielleicht wird er so fühlen, Kleiner. Da er von Galbatorix gefangen gehalten wurde, wird er sicherlich gehofft haben, dass du und die Varden ihn befreien. Aber das lässt sich jetzt auch nicht mehr ändern.
 

Ich fühle mich trotzdem schuldig, beharrte Eragon. Das werde ich noch mehr, sobald er mir mehr über Galbatorix erzählt.
 

Du magst es Schicksal nennen. Wir werden niemals wissen was gewesen wäre, wenn Murtagh bei uns geblieben wäre. Außerdem denke ich, wird er uns nicht mehr als das Nötigste erzählen. Er gehört nicht zu jenen, die gerne Mitleid schinden.
 

Selbst nach allem, was ihm widerfahren ist?
 

Saphira korrigierte: Besonders nachdem, was ihm widerfahren ist. Er ist daran gewöhnt. Denke nur daran, was die Elfen zu Murtaghs Herkunft sagen werden.
 

Das wollte Eragon nicht, doch er hatte Murtagh unmöglich zurücklassen oder zu den Varden schicken können. Jetzt würde er die Verantwortung übernehmen und wenn er ehrlich war, dann freute er sich darauf, nicht mehr der einzige Mensch unter den Elfen zu sein.
 

-
 

Die Nacht war hereingebrochen, als Saphira mit sanften Flügelschlägen zu Boden glitt. Ihre hinteren Beine setzten zuerst auf, ehe alle Pranken sicheren Grund unter sich hatten.
 

Wie die Nacht zuvor hatten sie auf einer Anhöhe Rast gemacht. Hinter ihnen ging es tief nach unten, da der Felsanhöhe weit aus dem Erdboden ragte, jedoch durch die Wald um sie herum nicht sonderlich auffiel. Es war noch nicht das Gebiet der Elfen, das lag noch eine halbe Tagesreise von hier entfernt. Aber der Wald hatte schon begonnen sich auszustrecken und bald würden unter ihnen nur noch Baumkronen zu sehen sein. Die weiten Wiesen waren nach und nach weniger geworden.
 

Eine Tatsache, die Murtagh ebenso beruhigte, wie auch nervös werden ließ. Sie hatten die Gebiete der Menschen hinter sich gelassen und die Soldaten konnten ihn nicht mehr finden. Jedoch würden ihre Gruppe bald auf Elfen treffen und das war Grund genug, um Murtagh denken zu lassen, ob sein Vorhaben wirklich so eine gute Idee gewesen war.
 

Aber er brauchte nun mal Eragons Hilfe, an einen anderen Menschen konnte er sich nicht wenden. Es gab zu viele, die ihm schon vorher nicht hatten helfen wollen und nun noch viel weniger, wo der König – mal wieder – nach ihm suchte.
 

Inzwischen war er recht geschickt darin geworden seinen Häschern aus dem Weg zu gehen. Dennoch war es diesmal eindeutig sehr viel schwerer gewesen, nicht erkannt zu werden. Dabei hatte er sich die größte Mühe gegeben. Seine Haare waren länger und einen Bart hatte er sich auch wachsen lassen. Je nach Stadt hatte er dann seine Frisuren variiert und seine Rollen geändert. Einmal war er als reicher Adelssohn an den Soldaten vorbei geritten und ein anderes Mal hatten sie ihn nur nicht beachtet, weil ein kranker Bettler am Straßenrand niemanden interessierte.
 

Doch es war auch sehr häufig verdammt knapp gewesen.
 

Jedes Mal hatte er um sein Leben gefürchtet, wenn der Blick der Wachen über ihn hinweg geglitten war oder sie ihn prüfend angesehen hatten. Nach all der Zeit hatte er gelernt, die Schauspielkunst zu perfektionieren. Selbst ein alter Mann war er schon gewesen. Gar nicht mal so schwer, wenn er daran dachte, wie alt und müde er sich fühlte. Vor ein paar Tagen, als er dann endlich den Wald erreicht hatte, hatte er den Bart entfernt. Er mochte das kratzende Gefühl nicht, aber es war ihm bis zu dem Zeitpunkt nichts anderes übrig geblieben.
 

Ein wenig zitternd ließ Murtagh sich von Saphira gleiten. Ihm war kalt und seine Gesundheit miserabel. Im Moment wäre ihm die Wüste lieber gewesen als die Kälte des Waldes. Das Moos unter seinen Füßen war zwar weich, aber auch sehr feucht. Dennoch war es ihm lieber als einer der Steine, aus den sich Eragon gesetzt hatte. Dem schien die Temperaturen überhaupt nichts auszumachen.
 

Er sieht auch anders aus, dachte Murtagh. Fremder und nicht wie ein Mensch.
 

Die Elfen hatten also schon begonnen Eragon nach ihren Wünschen zu formen und zu gestalten. Wenn sie schon keinen Elfen als Drachenreiter bekamen, dann sollte der einzige Drachenreiter immerhin aussehen wie einer. Sicherlich hatten sie ihn auch langsam in all ihre Gewohnheiten und Regeln mit eingebunden.
 

Murtagh grollte.
 

Er mochte die Elfen nicht. Anders als Eragon, der als Bauer aufgewachsen und in den Krieg hineingezogen worden war, kannte er selbst die Geschichte Alagaesia's gut genug, als dass er Sympathien für die Elfen hätte hegen können. Oder für die Varden. Keiner von ihnen war damals für Ehrenhaftigkeit bekannt gewesen. Während Königin Islanzadi immer noch der Richtlinie festhielt ihrem Volk zu verbieten den Wald zu verlassen, waren die Varden erst unter Ajihad zu ein wenig mehr geworden, als Flüchtlinge eines grausamen Regimes.
 

Die Methoden, die sie anwendeten, ähnelten mitunter denen von Morzan.
 

Vielleicht hasste die Welt ihn deshalb so sehr. Gegenüber ihm konnte sie nicht leugnen, dass es ihnen in entscheidenden Moment genauso sehr an Anstand fehlte, wie allen anderen Menschen auch.
 

„Hast du Hunger?“, hörte er jetzt Eragon fragen und der Angesprochene hob den Kopf.
 

Vielleicht nicht wie bei allen Menschen, dachte Murtagh müde und kämpfe dagegen an, einfach nachzugeben. Aber bei den meisten …
 

Er blickte in Eragons fragende Augen, die ihn unter den im Wind peitschenden Strähnen besorgt betrachteten.
 

„Oder soll ich mir deine Verletzungen ansehen?“
 

Murtagh suchte nach einer passenden Antwort, weil er nicht mit Eragons Fürsorge gerechnet hatte. Zumindest hatte sie nicht auf sich selbst bezogen. Menschlicher Kontakt war ihm noch nie leicht gefallen. Leicht fiel es ihm daher zu vergessen, dass Eragon mit einer anderen Erziehung aufgewachsen war. Einer, in der das Wohl einer Kuh im Stall das Überleben der Familie im Winter sichern konnte.
 

Langsam schüttelte er den Kopf.
 

„Nur Hunger, danke“, murmelte Murtagh. „Die Verletzungen muss ich mir selbst ansehen, wenn ich wieder Kleidung zum Wechseln habe. Ich werde es überleben.“
 

Lieber wäre es ihm, wenn Eragon seine Verletzungen gar nicht sehen würde. Für einige davon müsste er eine Erklärung abgeben und das wollte er nicht.
 

Eragon schien seine Absage nicht wirklich zugefallen. Aber er zuckte nachgebend mit den Schultern und ging zu Saphiras Satteltasche, um ein wenig Essbares heraus zu kramen. Anscheinend hatten weder er noch Saphira vor, jagen gehen.
 

Dankbar griff Murtagh nach dem Brot und dem Pökelfleisch, das Eragon ihm reichte.
 

Vorsichtig ließ Murtagh sich den Geschmack auf der Zunge zergehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so etwas Gutes gegessen hatte. In den letzten Wochen konnte er es selten riskieren, ein Feuer anzuzünden, sodass er seine Beute oft roh essen musste. Trotz der Gefahr davon krank zu werden.
 

Thorn wäre stolz auf ihn gewesen.
 

Murtagh schnaubte.
 

Er hatte keine Ahnung, ob Thorn stolz auf ihn wäre, wenn er ihn so sehen könnte. Er war in keiner guten Verfassung. Wahrscheinlich würde der Drache damit drohen ihn auf zu fressen, wenn er nicht bald gesund würde.
 

Thorn..., sandte Murtagh aus, doch das Echo verhallte unbeantwortet in seinem Kopf.
 

Das war zu erwarten gewesen, gab Murtagh zu und ließ gequält den Kopf hängen.
 

Er vermied es Saphira anzusehen, weil alles an ihr ihn an Thorn erinnerte. Doch am Schlimmsten war die Einsamkeit in seinem Kopf. Sie hatten oft lange Gespräche miteinander geführt oder einfach nur Erinnerungen miteinander geteilt. Alles war besser als über die Gefangenschaft nachzudenken, in der sie sich befanden. Zu zweit ertrug sich die Hoffnungslosigkeit leichter.
 

Dafür ist die Trennung jetzt fast unerträglich, erkannte Murtagh. Doch es hilft nichts. Es musste sein, ansonsten hätte uns ein noch sehr viel schlimmeres Schicksal erwartet. Aber das ändert nichts daran, dass ich ihn wahnsinnig vermisse.
 

Murtagh entfernte die restlichen Brotkrümel von seiner Hose, indem er sie wegwischte.
 

Niemals hatte er geglaubt, von einem einzigen Wesen so abhängig sein zu können. Er hatte immer geglaubt, dass es nicht in seiner Natur lag. Dennoch war Thorn in sein Herz geschlichen. So tief hatte der Drache seine Krallen darin vergraben, dass Murtagh alles für ihn getan hätte. Sogar Galbatorix‘ Knechtschaft hätte er in Kauf genommen, wenn er dadurch Thorns Leben hätte retten können. Murtagh biss kräftig in die Frucht, die Eragon ihm gereicht hatte, sodass das Fruchtfleisch nach allen Seiten spritzte, als Murtagh sich hungrig darüber hermachte.
 

Der Hunger blieb von Eragon allerdings nicht unbemerkt. Der Drachenreiter fand, dass Murtagh eher einem ausgehungerten Wolf glich, der sich gierig auf seine Beute stürzte. Zwar hätte er gerne seine Neugierde befriedigt, doch selbst ohne Saphiras Ermahnungen wusste er, dass er Murtagh besser nicht bedrängen sollte. Schon vor ihrer Trennung war Murtagh schweigsam gewesen. Stundenlang konnte er still neben Eragon her reiten und nur selten sprach Murtagh über persönliche Erfahrungen.
 

„Bist du dir sicher, dass ich mir deine Verletzungen nicht ansehen soll?“, fragte Eragon.
 

Er fühlte sich unwohl Murtagh in diesem Zustand zu lassen. Denn er hatte neben dem Verband am Hals, der hin und wieder zu sehen war wenn sich der hohe Kragen des Mantels verschob, noch die linke Hand Murtaghs gesehen, die ebenso dick bandagiert war. Eragon erschauderte kurz, als Murtagh aufsah und ihm einen Blick zu warf, den er nicht einordnen konnte. Er war nicht unfreundlich oder gar feindselig, aber er brachte in gewisser Weise mehr Abstand zwischen sie, als es Worte hätten tun können.
 

Murtagh wollte nicht angefasst werden.
 

„Ja, schon gut“, murmelte Eragon und widmete sich wieder seinem eigenen Essen. „Ich habe dich schon verstanden.“
 

Murtagh hatte nichts gesagt, aber die Botschaft war zum Glück trotzdem angekommen.
 

Leicht wütend, weil er ja eigentlich nur helfen wollte, senkte Eragon den Kopf und vermied es die nächsten Minuten Murtagh anzusehen.
 

„Danke für deine Mühe“, vernahm Eragon nach einer Weile.
 

Er sah auf. Murtagh hatte sich auf die Seite ins Gras gelegt und den Mantel fest um sich gezogen. Die Augen waren geschlossen und das Gesicht ruhte auf dem Arm, den Murtagh sich unter seinen Kopf als Kissen geschoben hatte.
 

Offensichtlich zog er es diese Nacht vor, nicht bei Saphira und ihm zu schlafen.
 

Diese Nähe hat er sich sowieso wahrscheinlich nur wegen der Erschöpfung erlaubt, dachte Eragon.
 

Dass Murtagh so bald wie möglich wieder einen sicheren Abstand zwischen ihnen errichten würde, war zu erwarten gewesen. Trotzdem hatte Eragon die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Seufzend zog Eragon eine Decke aus Saphiras Satteltasche und schlich zu Murtagh hinüber. Es war inzwischen komplett dunkel geworden und sein Freund war durch seine dunkle Kleidung selbst bei dem bisschen Mondlicht und Eragons guten Augen kaum noch auszumachen.
 

„Hier“, sagte Eragon und hielt Murtagh die Decke hin, als er vor ihm niederkniete.
 

Verwunderung lag in Murtaghs Augen, das konnte Eragon selbst in dieser Finsternis sehen. Um es nicht für Murtagh noch schwerer zu machen, der langsam nach der Decke griff, lächelte Eragon nur, ehe er aufstand und sich wieder neben Saphira nieder ließ, die mit geschlossenen Augen ruhig im Gras lag und schlief. Sie hatte heute zwei Personen tragen müssen und das war auf die Dauer selbst für sie anstrengend, auch wenn sie nicht in Hast geflogen war.
 

Sanft strich Eragon über die Schuppen von Saphiras Kopf. Er selbst war noch nicht müde, die seltsame Verwandlung seines Körpers hatte zu einigen nützlichen Vorteilen geführt. Dennoch lehnte er sich an ihre Schulter und beschloss die Zeit zu nutzen, um über Murtagh nachzudenken. Zwar hatte er das schon den ganzen Tag über getan und viel mehr Antworten hatte er jetzt auch nicht. doch vielleicht würde irgendwie zu einer Erkenntnis gelangen, wie er die Aufgabe bewältigen sollte, die Elfen dazu zu bringen, dem verschlossenen Murtagh Asyl zu gewähren.
 

Die Möglichkeit bestand, dass einem Flüchtling zumindest ein gewisser Schutz gewährt werden würde. Sicherlich kam da auch die Erschöpfung zum Tragen, die man Murtagh mehr als nur deutlich ansehen konnte. Aber die Entscheidung hing auch mit der Antwort zusammen, deren Frage sich Eragon immer und immer wieder stellte.
 

Wie hatte Murtagh überleben können?
 

Arya hatte gesagt, sie hätten Murtagh die Klippen hinunter geworfen und dass sein Körper an den Felsen zerschellt wäre. Eragon verbannte das Bild, musste sich aber instinktiv vergewissern, dass Murtagh in seiner Nähe lag und nicht in einer Schlucht in den Bergen verrottete. Hatte man sie getäuscht?
 

Wahrscheinlich, dachte Eragon. Und wir haben es alle geglaubt, glauben wollen. Keiner von uns hat daran gezweifelt, dass Murtagh noch leben könnte.
 

Die Strategie war gut durchdacht gewesen, das musste sich Eragon eingestehen. Adjihad's Tod war ein Erfolg und Ablenkung zugleich gewesen. Was hatte Galbatorix also von Murtagh gewollt, dass er solche Mühen auf sich nahm? Es machte keinen Sinn, fand Eragon. Warum hatte Galbatorix nicht versucht ihn zu entführen oder Ajihad, den Anführer der Varden? Offensichtlich hatte er durch seine Spione die Gelegenheit dazu gehabt.
 

Je mehr Eragon darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich, dass Murtagh ganz gezielt entführt worden war. Ajihads Tod war nur ein angenehmer Nebeneffekt gewesen. Vielleicht gestreut mit der leisen Hoffnung, dass die Varden und die Zwerge sich uneinig leicht gegenseitig zermürben würden.
 

Also warum Murtagh?, fragte sich Eragon erneut. Was war Galbatorix so wichtig, dass er nicht auf ihn verzichten konnte?
 

Eragon versuchte sich an die wenigen Gespräche zu erinnern, die er mit Murtagh über dessen Vergangenheit geführt hatte. Ihm war in Erinnerung geblieben, dass Murtagh geflohen und sein Lehrer von den Ra'zacs getötet worden war. Aus Rache hatte Murtagh sich auf die Suche nach ihnen begeben.
 

Es ergibt keinen Sinn, stellte Eragon fest. Überhaupt keinen. Mir fehlen Perspektive und Informationen.
 

Aber was konnte er schon tun, Murtagh fragen?
 

Eragon schüttelte bei dem Gedanken nur amüsiert den Kopf. Es wäre ein hartes Stück Arbeit Murtagh zwei persönliche zusammenhängende Sätze dem Mund zu entlocken.
 

Schlaf endlich und höre auf dir so viele Gedanken zu machen, brummte Saphira und schlug leicht mit dem Schwanz auf dem Boden, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
 

Eragon seufzte und befolgte ihren Rat. Sie hatte ja Recht. Die anbahnende Katastrophe ließ sich nun nicht mehr abwenden, weil die Elfen seine Rückkehr erwarteten und er Murtagh nicht sich selbst und damit dem wahrlich sicheren Tod überlassen würde. Daher betete Eragon seinen Kopf auf Saphiras Hals und als er die Augen schloss, fühlte er wie ihr Flügel ihn zudeckte.
 

xxx
 

Das Thema „Untergang“ bin ich auf weniger offensichtlichere Weise angegangen, da im Regelwerk des Wettbewerbs stand, dass das Wort offen zu interpretieren sei. Was hier also genau untergeht, ist die Erwartungshaltung der Protagonisten. Für Eragon ist Murtaghs Erscheinen wie ein unvorhergesehener Querschläger, der alle sorgfältig geschmiedeten Pläne und die Illusion von Sicherheit zerstört. Murtagh wird davon abgelenkt, dass er nicht wirklich dem Einfluss von Eragons Fürsorge auf ihn selbst gerechnet hat. Daher spielt auch der Titel darauf an, was einem alles passieren kann, wenn man die alten Wege verlässt. Aber – und das wollte ich auch verdeutlichen - so muss Untergang nicht unbedingt negativ gedeutet werden.
 

Um die offensichtliche Frage gleich vorweg der Fortsetzung wegen zu beantworten: Ja gerne. Immerhin kommt jetzt der eigentlich interessante Teil. Allerdings wird es wahrscheinlich ein paar Monate, wenn nicht sogar ein ganzes Jahr dauern. Ich schreibe sehr langsam und muss erst andere Projekte beenden.


 

Mein größter Dank gilt Inzestprodukt fürs Beta Lesen!


 

mangacrack



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