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Alles wird sich ändern ...

[Blumen vom Mond]
von

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Wärme und Kälte, alles ist verbunden

Sie traute sich nicht, aufzublicken. Sie wusste nicht, was das Gesicht ihres Vaters für einen Ausdruck trug; sie hatte ihn noch nie eine Gefühlsregung zeigen sehen. Gerade das machte ihr Angst. Sie hörte nur undeutlich, wie Petronilla sprach.

"... Dann dachte ich, Eure Majestät sollte davon in Kenntnis gesetzt werden."

Eine Weile herrschte Schweigen und Merit hob vorsichtig den Kopf. Ihr Vater schien nachzudenken. Dann plötzlich umspielte ein Lächeln seine Lippen.

"Und nur deshalb seid ihr zu mir gekommen?", fragte er gleichgültig.

"Aber -" Petronilla stockte. "Verzeiht, Majestät. Ich wollte euch nicht belästigen."

Taren machte eine wegwerfende Handbewegung. "Quält euch nicht deswegen, Petronilla. Aber bitte, belästigt mich nicht weiter damit. Ich habe zu tun."

Damit war das Gespräch beendet. Merit fröstelte. Petronilla fasste sie an der Schulter und zog sie zurück. Merit folgte beinahe willenlos.

Sie zuckte zusammen, als die schwere Tür des Thronsaales hinter ihr zuschlug. Sie blickte zu Petronillas Gesicht auf, die starr geradeaus blickte, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Merit lief schneller, um mit ihr Schritt zu halten. Sie war traurig. Sie müsste froh sein ... Sie hatte eine schreckliche Strafe erwartet.

Doch so war es besser. Sie hatte das Gefühl, dass alles besser gewesen wäre, als diese Gleichgültigkeit und dieses kalte Lächeln. Wenn ihr Vater sie wenigstens hassen würde. Doch sie wollte ihm nicht egal sein.

"Dame Petronilla?"

"Ja?", fragte Petronilla, ohne anzuhalten.

"Warum bedeute ich meinem Vater nichts?"

Petronilla blickte zu ihr herunter. "Wer sagt das?"

Merit zuckte mit den Schultern. "Wer war meine Mutter?", fragte sie stattdessen.

"Weshalb willst du das wissen?"

Sie hatten Merits Gemächer erreicht. Petronilla stiess die Tür auf und zog Merit hinein.

"Und woher kennt mein Vater den Kaufmann?"

"Wieso?"

Merit biss sich auf die Lippen. "Warum?", rief sie wütend, "Warum darf ich nichts wissen? Warum hält man alles vor mir geheim?"

Petronilla setzte sich in einen Sessel und seufzte erleichtert auf. "Wenn du älter bist, erfährst du es schon noch."

Merit wandte den Kopf ab. "Weshalb sollte ich das glauben?"

"Weil ich es sage!"

Merit traute sich nicht, noch etwas zu erwidern. "Und woher kam meine Mutter?"

"Ich weiss es nicht."

"Ihr wisst es nicht?"

"Nein."

"Weshalb nicht?"

"Niemand weiss es."

"Auch mein Vater nicht?"

"Das weiss ich nicht. Er hat es jedenfalls niemandem gesagt."

Eine Weile schwieg Merit. Dann hob sie den Kopf. "Haben sie ... Aus Liebe geheiratet?"

Petronilla lächelte nachsichtig. "Ich weiss nicht, was für dich als Liebe gilt. Doch ich denke es schon. Aber nur dein Vater könnte es dir sagen."

Merit wollte noch etwas erwidern, doch Petronilla erhob sich. "Du hast zu tun. Und wenn du diesmal deine Arbeit noch einmal nicht erledigst, werde ich dich bestrafen, ob mit oder ohne die Einwilligung deines Vaters."

Sie stand auf und verliess schnell den Raum. Wollte sie nicht weiter reden? Weshalb? Was war das für ein Geheimnis? Merit wollte es wissen, doch wie konnte sie es herausfinden?

Lustlos nahm sie ihre Stickarbeit wieder zu Hand.
 

Es klopfte und sogleich öffnete sich die Tür und Aurore trat herein. Langsam schloss sie die Tür hinter sich und lächelte zögernd.

Merit erhob sich rasch und stiess dabei das kleine, dreibeinige Holztischchen um, das vor dem Sessel stand. Verlegen stellte sie es wieder auf. Aurore bewegte sich nicht und faltete die Hände.

"Hallo", sagte Merit leise.

"Hallo", antwortete Aurore. "Ich wollte mich entschuldigen dafür, dass ich so einfach weggegangen bin."

"O nein, ich muss mich entschuldigen!"

Aurore blickte sie verdutzt an. "Aber wofür denn?"

Merit hob die Schultern. "Nur so ..."

Aurore lachte. "Du bist mir nicht böse?"

"Nein, natürlich nicht!"

Aurore setzte sich auf Merits Bett. "Kann ich ein bisschen bleiben?"

"Sicher."

Eine Weile sagte niemand etwas. Merit schielte zu ihrer Stickarbeit, doch sie rührte sie nicht an.

"Weisst du ...", begann dann Aurore plötzlich, doch sie brach ab.

"Was denn?", fragte Merit.

Aurore blickte zur Decke. "Ich mag es nicht, wenn man schlecht über meine Familie redet. Es ist ziemlich oft so. Kaufleute sind überall fremd ... Und über die Fremden redet der Pöbel."

"Aber doch nicht alle!", widersprach Merit, doch Aurore lächelte nur nachsichtig.

"Wirklich nicht? Ich bin sicher, dein kleiner Freund ist kein schlechter Mensch. Aber wenn einer etwas behauptet, dann sagen es alle."

Merit biss auf ihren Lippen herum. Irgendwie stimmte es ja. "Aber du weisst ja gar nicht, was sie sagen!", machte sie einen letzten Versuch.

"Ich kann es mir vorstellen", erwiderte Aurore düster. "Dass wir aus Asturia kommen. Und vor Asturia fürchten sie sich alle. Heute", fügte sie hinzu.

Merit horchte auf. "Wie war es denn früher?"

"Früher?", fragte Aurore langsam. "Weisst du es denn nicht?"

Fast, ohne es zu merken, setzte Merit sich neben Aurore auf die Bettkante. "Nein. Es ist überhaupt seltsam. Mir sagt man beinahe nichts."

Aurore grinste. "Du bist eine Prinzessin. Prinzessinnen sagt man nie etwas."

Von dieser Seite hatte es Merit noch nie betrachtet. Vielleicht war sie ja gar nicht so besonders? Vielleicht gab es viele, die nicht wussten, was auf der Welt vorging?

"Vor einigen Jahren", riss Aurore Merit aus ihren Gedanken. "Da waren Fanelia und Asturia Verbündete. Es gab einen grossen Bund, der nach dem schrecklichen Weltkrieg gegründet waren. Nachdem Zaibach gefallen war."

Merit nickte. "Das weiss ich. Aber ... Dann ..."

"Es gab Streit. Genau weiss ich es nicht. Doch es gab Streit zwischen einem Königreich und Fanelia. Er war nicht politischer Natur, sagt mein Vater, doch er herrschte zwischen den Leuten, die die Macht besassen ... Die Häuser kriegten sich in die Haare und alle mächtigen Reiche, auch Asturia, wurden da hineingezogen ..."

"... Und Fanelia erklärte die Verträge für nichtig ...", flüsterte Merit.

"... Und all das Chaos und der Krieg begannen von neuem. Heute ist dein Vater der Herrscher über viele Länder. Fanelia war ein kleiner Stadtstaat, der von vielen belächelt wurde, doch dein Vater hat ihm Ruhm eingebracht. Wenn auch keine Ehre."

Aurores Stimme war hart. Doch Merit konnte ihren Worten nichts entgegensetzen. Sie waren wahr. Wenn sich hier im Palast noch niemand getraut hatte, so offen zu sprechen. Ihr Vater war wahnsinnig, so sanft und gleichgültig sein Lächeln auch war. Beinahe musste sie mit den Tränen kämpfen. Sie blinzelte zweimal. "Und was ist mit ... euch?"

"Uns?", fragte Aurore verständnislos.

"Deiner Familie."

"Ach ..." Aurore verschränkte die Arme hinter dem Kopf und liess sich auf den Rücken fallen. "Meinem Vater haben die Streitereien nicht gepasst. Die Verbindungen zum Hof von Asturia sind heute sehr ... formal. Kaufleute haben Anspruch auf Neutralität."

Sie schwieg eine Weile und sagte dann: "Ich kann mich nicht mehr an meine Heimat erinnern. Ich war noch zu klein, als ... alles kaputt ging. Aber es muss ein schönes Land sein."

Merit blickte zu Aurore hinunter, die mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Es war seltsam. Wenn ein Asturianer nach Fanelia kam, ging es ihm schlecht. Doch Kaufleute bekamen überall Einlass. Merit spürte, wie sie von so einem Leben zu träumen begann.

"Was denkst du?", fragte da Aurore.

"Ich denke ...", antwortete Merit wahrheitsgemäss. "Ich denke, wie wunderbar es wäre, ein Leben wie du zu führen."

Aurore öffnete die Augen und blickte sie schräg an. "Wirklich? Es ist nicht wirklich beneidenswert ... Du weisst nie, wohin du jetzt gehörst. Das ist manchmal nicht sehr angenehm."

"Ich gehöre lieber nirgendwohin, als hierhin." Merit blickte sich im Zimmer um. "Alles ist so eng. Ich werde nie etwas von der Welt sehen. Ich bin schon vierzehn Jahre alt. Ich werde sehr bald mit irgend einem Provinzgrafen oder sonst wem verheiratet werden. Dann werde ich von diesen Mauern hinter andere kommen und den Rest meines Lebens Kinder gebären, bis ich daran sterbe. Und ich werde nie ... Ich werde nie wissen, wie es ist, selbst über sein Leben zu bestimmen."

Es herrschte Schweigen. Dann lächelte Merit scheu. "Du geniesst sicher mehr Freiheiten, oder?"

Aurore schien zu überlegen. "Vielleicht", sagte sie irgendwann zögernd. "In gewisser Hinsicht. Aber so, wie die Welt nun einmal ist, ist eine Frau eine Frau und hat den Pflichten einer Frau nachzugehen. Es macht nicht wirklich einen Unterschied, ob ich in einem Schloss oder einem Luftschiff lebe."

"Schade."

"Was denn?"

"Ich habe mir irgendwie gewünscht, dass es anders wäre ... Dann hätte ich von einem Leben, wie du es führst träumen können. Aber es gibt wohl nirgends einen Ort, wo es anders ist."

Aurore setzte sich jetzt auf. "Doch, natürlich gibt es den."

"Du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen!"

Aurore lächelte. "Das tue ich nicht. Es gibt solche Orte. Überall. Aber dort ist es nicht besser, glaube mir. Man kann sich den vorherrschenden Gesetzen entgegenstellen, aber dann darf man nicht erwarten, dass man noch im Einklang mit diesen Gesetzen leben kann. Solche Orte können nicht zum Gaia gehören, dass wir kennen. Sie sind von der Welt abgeschnitten."

Traurig senkte Merit den Kopf. "Vielleicht ist es besser, nicht immer zu bekommen, was man will, damit man nicht enttäuscht wird?"

Sie sprach es als Frage. Und Aurore antwortete: "Sicher. Ich glaube es jedenfalls."

"Warst du schon einmal an einem solchen Ort?"

Aurore grinste. "Vielleicht ...? Wahrscheinlich würden wir Menschen es gar nicht merken, wenn sich etwas ändert. Wir sind viel zu schwerfällig."

Merit lachte leise, obwohl sie den Witz nicht wirklich verstehen konnte.

"Oder", sagte Aurore, "Oder man hält es nicht aus. Weisst du, wenn man immer in Enge gelebt hat, muss man sich ziemlich verloren fühlen, wenn man plötzlich in die Weite der Welt gerät."

"Vielleicht hast du Recht."

"Ich habe sicher Recht."

Dazu sagte Merit nichts. Stattdessen fragte sie: "Willst du eigentlich so leben? So, wie du jetzt lebst."

Aurore seufzte. "Du bist seltsam, Merit! Und deine Fragen auch. Ich weiss es nicht und ich mache mir auch keine Gedanken darüber. Ich lebe nun einmal, wie ich lebe und es gibt keinen Grund, sich selbst zu bemitleiden. Damit ändert man nichts."

"Und wenn man sonst auch keine Möglichkeit hat, etwas zu ändern?"

"Man hat immer die Möglichkeit, etwas zu ändern", antwortete Aurore stur.

War das so? Konnte Merit etwas ändern an dem Leben, das sie hatte?

"Vielleicht siehst du im Moment auch keine Möglichkeit, etwas zu ändern", fuhr Aurore fort, als hätte sie Merits Gedanken gelesen. "Aber dann hilft es genauso wenig, wenn du nur daran denkst, wie schlecht es dir doch geht, nicht?"

Sie sagten wieder eine Weile nichts. Jemand lief draussen auf dem Gang vorbei. Irgendwo draussen war ein Tier zu hören und Kinderstimmen riefen einander in weiter Ferne zu.

Irgendwann erhob sich Aurore. "Ich sollte wieder gehen."

Sie lächelte Merit noch einmal zu und ging zur Tür.

Nachdem sie gegangen war, starrte Merit noch lange auf die Tür. Gab es wirklich Orte, wo alles anders war als hier?



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