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Die Spur in der Asche

von

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Lachen

Was ist Moral?

Er entsicherte seine Waffe.

Warum handeln wir so, wie wir handeln? Werfen unsere Fehler dem Staat vor, dem Lehrer, den Eltern?

Er zielte auf ihren Kopf.

Merken wir nicht, dass die einzigen, denen wir uns zu verantworten haben, wir selbst sind?

Er drückte ab.

Vor Wollust geifernde Flammen fraßen die nächtliche Welt vor ihm, die nur aus Silhouetten und Nachtmahren bestand mit hungrigen Zähnen, griffen mit schwarzen, bluttriefenden Klauen nach den in einem stummen Hilfeschrei gefangenen Leichen, die auf ihre Art grotesk, ordentlich aufgereiht da lagen und darauf warteten, ebenfalls verschlungen zu werden. Staub zu Staub, Asche zu Asche.

Der einzige, vor dem wir uns rechtfertigen müssen, sind wir selbst.

Er lachte.
 

Der Wind strich mit der Sanftheit einer nichtssagenden Eleganz über meine Wangen, tanzte auf- und abwärts, spielte vergnügt mit meinen Haaren und verlor sich in der anonymen Weite der Großstadt, die jeden Zentimeter vor dem Gebäude fraß, wie ein hungriges Monster.

„Wie geht es dir?“

Jodie Starling, eine Kollegin, aber vor allem eine gute Freundin, sah mich mitfühlend an. In den Händen hielt sie zwei Tassen Kaffee. „Ich dachte, das kannst du jetzt vielleicht gebrauchen.“ Sie lächelte schief und reichte mir eine der von Rissen durchzogenen Keramiktassen, die mit kitschigen Motiven verziert waren.

Ich erwiderte er Lächeln und ließ mir das angenehm warme Getränk reichen. „Danke. Ja, sagen wir, es geht so.“

Ihre Hand streifte für einen kurzen Augenblick meine blaue Lederjacke, die schon bessere Tage gesehen hatte. Sie lehnte sich neben mir über das Geländer und blickte mit deutlich ebenso gemischten Gefühlen hinaus auf die dunkle, von Lichtpunkten, wie von einem Spinnennetz, durchwobene Stadt zu unseren Füßen.

„Es waren zwei, oder?“

Ich zuckte unmerklich zusammen, sammelte mich aber sofort wieder und konzentrierte mich auf ein fernes Leuchten, vielleicht ein Fenster oder eine der zahlreichen Straßenlaternen. „Ja, zwei Familien, die dieser Mistkerl ausgelöscht hat und wir tappen immer noch im Dunkeln.“

Beziehungsweise ich tappe im Dunkeln.

Es war kein Geheimnis, dass mir aufgetragen worden war, mich mit diesem Fall zu befassen, nachdem man mir nachgesagt hatte, ich hätte ein gewisses Näschen für diese Dinge, wobei ich das vermutlich selbst wenn es um mein Leben gegangen wäre, bestritten hätte. Ich war nicht gut darin, zuzugeben, dass andere in etwas gut waren oder gar besser, zumindest nicht, wenn ich ehrlich war, aber noch viel schlechter war ich darin mir klarzumachen, dass ich in etwas gut war. Manchmal war es mir immer noch ein Rätsel, wie ich es zur FBI-Agentin gebracht hatte, vielleicht war es wirklich meine Rettung gewesen, dass Jodie mich immer mitgezogen hatte. Jodie, die mir Mut zusprach, wenn ich verzweifelt war, Jodie, die an mich glaubte, auch wenn es nicht leicht war, sich das einzugestehen, ohne Jodie wäre ich niemals so weit gekommen.

Bis hierhin und nicht weiter.

Ich versuchte die Stimme in meinem Inneren, die sich sogleich spöttisch zu Wort meldete, zu ignorieren, doch es war zwecklos. Natürlich hatte sie nicht ganz Unrecht. Ich hatte in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, das stand außer Zweifel, auch wenn ich sie stets mit einem selbstironischen Lächeln unter den Tisch kehrte, um ja nicht unangenehm durch Arroganz oder übertriebene Selbstüberzeugung aufzufallen. Leider hatte ich bei diesem Fall nicht wirklich das Problem, etwas Derartiges zu unterdrücken. Es gab einfach nichts, mit dem ich mich brüsten konnte. Bislang waren meine Ideen zu diesem Fall nicht gerade glorreich, ja nicht einmal nützlich gewesen. Wir hatten den Täter weder eingrenzen noch identifizieren können, im Gegenteil, er mordete munter weiter, während sich die Schlinge um meinen Hals langsam enger zog und ich merkte, wie mir die Luft zum Atmen ausging, wie dem sprichwörtlichen Fisch auf dem Trockenen.

„Du packst das schon. Black hätte dir den Fall nicht übertragen, wenn er nicht vollstes Vertrauen in dich hätte.“ Sie trank einen Schluck aus ihrer Tasse und zwinkerte mir zu. Dann verzerrte ihr Gesicht sich plötzlich zu der Maske eines unglücklichen Harlekins und sie hustete aus vollem Leib. „Wah, ist das heiß.“

Obwohl ich eher melancholisch gestimmt war, wie oft in letzter Zeit, konnte ich nicht anders, als zu kichern, wofür ich mir sofort einen Boxschlag in die Seite einfing.

„Sei nicht so kindisch, über sowas lacht man nicht.“

Ich streckte ihr die Zunge raus und grinste sie herausfordernd an. „Ach, man lacht also nicht über knapp 30-Jährige, die immer noch nicht dazu in der Lage sind, ihren Kaffee zu trinken? Ich sollte mit Black darüber sprechen, dich zu degradieren.“

Unser Lachen schallte noch lange laut und fröhlich durch die matte Teilfinsternis, wurde vom Wind mit nebulösen Armen getragen und an die Ohren eines Mannes geweht, der seit Stunden unbeweglich wie eine Statue in seinem Versteck ausharrte und uns verborgenen, fremden Melodien lauschte.
 

Stille. Lachen. Stille. Leises Lachen. Ein Vogel, der aufschreckt. Eine Laterne, die flackert. Ein Insekt, das in ihrem Innern stirbt. Ein Herz schlägt. Eins. Zwei. Stille. Drei. Ein Auto fährt los. Das Geräusch trotz der Ferne deutlich hörbar.

Seufzend setzte er sich ein wenig auf. Seine Beine waren eingeschlafen und hatten das lange Sitzen anstrengender gemacht, als es hätte sein müssen. Vielleicht lag es auf einfach daran, dass Bäume nicht gemacht waren, um lange auf ihnen zu sitzen. Letztendlich war es ja nicht wichtig. Natürlich konnte auch die Zeit einen entscheidenden Faktor ausmachen, immerhin hockte er schon eine ganze Weile hier und lauschte. Mehr tat er nicht. Er horchte, hörte zu und merkte sich das, was er hörte. Unzählige Geräusche waren in den Stunden bereits an seine Ohren gedrungen. Doch das, das am schärfsten in sein Gedächtnis eingebrannt war, war dieses glockenhafte Lachen der beiden Frauen, die nicht weit von seinem Versteck am Balkon gelehnt und sich unterhalten hatten. Er war zu weit weg gewesen, um alles zu verstehen, aber das machte nichts. Im Gegenteil, es interessierte ihn nicht einmal sonderlich. Er hatte nur das Lachen hören wollen. Das Lachen, das lebendig machte. Etwas, das so wundervoll war, dass er es niemals vergessen wollte. Lachen. Der einzige Moment, der Dankbarkeit in ihm. Dankbarkeit für seine bloße Existenz, die ihn vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen und tief drinnen, dort in dem Nichts, das die Menschen Seele nannten, erfüllte und Glück, ja beinahe Freude, Freude darüber der zu sein, der er war. Wieder dieses Lachen. Der Klang von Morgentau, der von den sommerfeuchten Blätter auf die kalten Kiesel am Wegesrand tropft, der Klang von Vögeln, die sich liebestoll hinterherjagen, verstrickt in einem wundersamen Spiel, das gleichwohl fasziniert und ängstigt. Dann war es fort. Weniger deutlich konnte er noch das Klicken hören, mit dem das Schloss der Glastür einrastete, dann war es still. Die Frauen waren in die Wohnung gegangen, hüllten ihre Stimmen in Gewänder aus schwarzer Seide und legten schwere, schattenhafte Tücher über sie, um ihn, den ungewollten Zuhörer, auszuschließen. Obwohl er wusste, dass sie seine Existenz unmöglich erahnen konnte, kam ihm dieser Gedanke plötzlich. Er musste ungewollt lachen. So waren die Menschen nun einmal. Sie neigten dazu ihre Welt zu verklären und zu poetisieren, den Stalker zum ehrenhaften Liebhaber, den Mörder zum tollkühnen Ritter zu machen. Dumme, dumme Welt. Es gab nicht für alles eine Erklärung, einen logischen Grund. Nicht alle Menschen handeln, weil sie es müssen oder weil man es nicht anders erwartet, wenn man ihr Leben, ihre Vergangenheit wie ein verstaubtes Buch öffnet, zärtlich über das nach Druckerschwärze duftende Papier fährt und daraus vorliest. Manche Menschen handeln einfach, weil sie es so wollen. Ein Wagen verließ die Tiefgarage des Wohnblocks und er zog sich hastig tiefer in die Schatten zurück. Es wurde Zeit zu gehen.

Der Mörder, der mit Asche malt

„Morgen, Anna, wie geht’s dir heute?“

George Solomon reichte mir einen Kaffee und sah mich mit dem treuherzigen Blick eines Welpen an, der es gerade zum ersten Mal geschafft hatte, einen Ball zu apportieren. Ich seufzte.

„Wie soll es mir schon gehen? Zwei Morde, keine Spur vom Killer und Black macht mir gewaltigen Druck. Er war sowieso schon unsicher, ob der Fall nicht eine Nummer zu groß für mich war, aber weil Jodie sich für mich eingesetzt hat und ich diesen Irren, der in New York reihenweise Kinder abgeschlachtet hat, fassen konnte, hat er mir eine Chance gegeben.“ Die ich bisher nicht genutzt habe. Mit einem weiteren resignierten Seufzer lehnte ich mich gegen den Schreibtisch und trank einen großen Schluck des viel zu starken braunen Gebräus. Mir kam es gerade recht.

„Du meinst Pantomime?“

Beim Klang des Namens, mit dem ich so viel Schrecken und Schmerz verband, zuckte ich unwillkürlich zusammen. The Pantomime. So hatten die Zeitungen ihn genannt, nachdem das Gerücht umging, er würde sich als Pantomime schminken, um auf diese Weise Kinder anzulocken, sie dann entführen und ihnen mit bloßer Hand das Genick brechen, wieder und wieder. Ich erschauderte ob der Erinnerung. Als wir ihn gefasst hatten, hatte er sich gerade darauf vorbereitet, seine nächste Tat zu begehen, dem nächsten Kind den Kragen umzudrehen, weil es unartig war, wie er es ausdrückte. Und unartigen Kindern bricht man das Genick. Auch für diese perverse Tat hatte er sich damals geschminkt und ich, die mit ihrer Waffe auf ihn gezielt hatte, während meine Kollegen ihn festgenommen hatten, würde niemals dieses kranke Lächeln unter der ausdruckslosen weißen Schminke vergessen, diese perfide Überzeugung von seinen Idealen, von seinem Plan, als wäre er erleuchtet worden und wir würden im Dunkeln tappen. Ich tue nur Gutes, ich bestrafe böse Kinder. Ich hatte wirklich gehofft nie wieder über Pantomime nachdenken zu müssen, aber wie es aussah, war tatsächlich etwas Wahres daran, dass einen die Vergangenheit immer einholte, solange man nicht mir ihr abschließen und seinen Frieden finden konnte.

„Danke für den Kaffee.“

Einen Moment lang trafen sich Georges und mein Blick und ich hatte beinahe Angst, er würde was Pantomime anging nachhaken, eine Antwort verlangen – doch in diesem Augenblick betrat Black zusammen mit Jodie den Raum. Sie schenkte mir ein offenes Lächeln, schwieg aber, da Black mir bedeutete, ihnen zu folgen.

„Der Friede sei mit dir!“

Bevor ich zusammen mit den beiden verschwand, drehte ich mich noch einmal um und versuchte hastig meine Irritation unter einem freundlichen Lächeln zu verbergen.

„George, du musst endlich aufhören, dir dauernd Star Trek anzusehen!“

„Äh, aber da heißt es „lebe lang und in Frieden“, Anna.“

Die Tür fiel mit einem leisen Klicken hinter uns ins Schloss, bevor ich etwas erwidern konnte.
 

„Es gibt einige Erkenntnisse zum neusten Fall.“

Ich hob die Augenbrauen. „Tatsächlich? Warum bin ich nicht sofort informiert worden?“ Es ärgerte mich ein bisschen, dass ich trotz meiner hohen Position, was diesen Sachverhalt anging, dennoch nicht alle Fäden in der Hand zu halten schien. Da ich gerade mal Mitte Zwanzig war, war ich noch nicht sehr lange beim FBI und es gab immer viele Neider, die sich nur zu gerne in den Vordergrund drängten. Selbst James Black, einem Mann, der sonst solche Machtspielchen verabscheute, da sie die Ermittlungen behinderten, wäre es diesmal lieber gewesen, ich wäre einfach abgetreten. Aber diesen Erfolg wollte ich niemanden hier gönnen. Ich wollte beweisen, dass ich es drauf hatte, dass der Fall mit Pantomime kein Anfängerglück gewesen war, ich, Annabell Myers, wollte ihnen endlich beweisen wozu ich fähig war.
 

„Hören Sie zu?“

Ich blinzelte. „Verzeihen Sie, ich…“ Okay, Anna, bevor wir uns ins Geschehen stürzen, wäre zuhören doch keine schlechte Option, oder? Oh mein Gott, hör auf, dich lächerlich zu machen!

Black räusperte sich missbilligend. „Ich sagte, sie haben etwas gefunden, was vom Täter stammen könnte. Anscheinend ist es bislang nicht aufgefallen, aber ganz dem Klischee nach, scheint der Täter es irgendwie geschafft zu haben zum Tatort zurückzukehren und eine Spur zu hinterlassen.“

Jodie und ich wechselten einen überraschten Blick. „Wie das?“

„Nun, die Leute von der Spurensicherung haben vor kurzem etwas entdeckt, was noch nicht da war, als die Leichen, oder viel mehr ihre verkohlten Überreste geborgen wurde. Anscheinend hat der Täter ein asiatisches Zeichen mithilfe der Asche der verbrannten Leichenteile und der Bereiche des Hauses, die vollständig ausgebrannt sind, am Boden aufgemalt.“

„Und… was bedeutet es?“ In meinem Kopf ratterte es. War er womöglich Asiate? Was trieb ihn dazu diese Morde zu begehen? Irgendeine Sekte? Aber es sah mehr wie die Tat eines Einzelnen aus, zumal es zu dieser Zeit auch keine vergleichbaren Fälle oder Aufzeichnungen darüber gab. Wurde von irgendeiner Gruppe im asiatischen Raum das Feuer verehrt?

Zu viele Fragen und keine Antworten. So war es leider meistens mit neuen Informationen…

Black machte eine wirkungsvolle Pause.

„Bei dem Zeichen handelt es sich um ein Kanji, dessen Bedeutung Salamander lautet.Während wir uns damit näher befassen sollten, sind gerade ein paar Leute vor Ort und befragen potenzielle Zeugen. Immerhin hat der Täter es trotz der Sicherheitsvorkehrungen irgendwie an den Tatort geschafft.“

Salamander. Noch mehr Fragen.

„Sind Sie sich sicher? Immerhin haben diese Zeichen doch mehrere Bedeutungen?“ Ich war mir hier nicht ganz sicher, aber ich meinte mich zu erinnern, Jodie, die oft in Japan war, da ihr Fachgebiet Auslandseinsätze waren, sofern sie benötigt wurden, hätte mir einmal davon erzählt.

Sie war es nun auch, die sich einmischte. „In der Tat, allerdings habe ich es bereits überprüft. Die anderen Bedeutungen lauten „weiblicher Wal“, „kleiner Fisch“, oder „alte Zähne“.“

„Was ist dann die richtige Bedeutung?“

Ich rümpfte die Nase. „Naja, ein Killer würde sich wohl kaum „weiblicher Wal“ oder „alte Zähne“ nennen, es muss fast Salamander sein!“

„Niemand sagt, dass das Zeichen für den Mörder stehen muss.“, erwiderte Black kopfschüttelnd und fuhr sich durch das bereits ergraute Haar.

„Oder dass nur eine Bedeutung vorliegt und keine Doppeldeutigkeit.“ Jodie rückte ihre Brille zurecht und blickte mich entschuldigend an.

“Hmm, da haben Sie natürlich Recht, aber ich glaube mit Salamander sind wir auf der richtigen Spur.“ Ich wusste selbst nicht warum, aber der Begriff des Salamanders zog mich nahezu magisch an, aus irgendeinem Grund waren alle anderen Möglichkeiten mit einem Schlag vom Tisch für mich, es war fast, als könnte ich den Killer irgendwie spüren, als hätte ich seinen heißen Atem im Nacken und seine eiskalte Stimme, die flüsterte Salamander…

„Na schön, dann beginnen Sie damit. Ich schlage Folgendes vor.“ Black unterdrückte ein resigniertes Seufzen und blätterte kurz in einer der Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen und alle wichtigen Daten zu der aktuellen Mordserie enthielten. „Durch das Zeichen ist es sehr wahrscheinlich, dass wir einen Asiaten, also einen Japaner oder einen Chinesen suchen, da Kanji ursprünglich chinesische Zeichen sind, aber in Japan mit anderen Lesungen verwendet werden. Des Weiteren sollten wir uns umgehen mit allen Arten von Salamandern befassen, jeder Hinweis auf eine Legende, besonders im asiatischen Raum oder sonst irgendwelche Verbindungen zu den Taten könnten nützlich sein.“ Black rückte seine Brille zurecht und schob mir einen Stapel Akten zu. „Ich möchte, dass Sie sich das ansehen, immerhin sind Sie die leitende Ermittlerin. Sobald sie Ergebnisse vorzuweisen haben, berufen sie bitte eine Versammlung mit allen wichtigen, mit diesem Fall betrauten Leuten ein.“
 

Wir verabschiedeten uns. Während Black zu seinem Büro ging, machten Jodie und ich uns auf den Weg zu meinem, das lediglich durch eine leicht milchige Glaswand von den Arbeitsplätzen der anderen abgetrennt war. Ärgerlich stellte ich fest, dass mein Kaffee mittlerweile kalt war, aber immerhin war George so nett gewesen, ihn extra in mein Büro zu bringen, nachdem ich ihn an seinem Tisch vergessen hatte.

„Er mag dich, oder?“

Ich sah sie überrascht an und blinzelte. „Wer?“

Sie lachte und boxte mich in die Seite, wodurch der kalte Kaffee ein wenig überschwappte, aber wir ignorierten es beide.

„Na George. Merkst du nicht, wie er dich immer ansieht? Ihr solltet wirklich mal Essen gehen.“

„Ich halte nichts von Beziehungen am Arbeitsplatz.“ Eilig fummelte ich ein Taschentuch aus meiner Handtasche und begann damit, den Kaffee sorgfältig aufzuwischen, um nicht weiter mit dem Thema konfrontiert zu werden. In meinem Liebesleben sah es ähnlich wie in der aktuellen Mordserie aus – verworren und düster mit pessimistischen Aussichten auf die Zukunft.

„Ach komm schon, er ist doch ganz süß, oder?“ Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Ein bisschen tollpatschig vielleicht und er hat eine ziemlich lange Leitung, aber ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen.“

Ich sah sie stirnrunzelnd an und warf das Taschentuch in den Mülleimer, der dringend mal wieder ausgeleert werden sollte. „Ach ja und was sagt dein Loverboy dazu?“

Diesmal klang ihr Lachen etwas verlegen und gekünstelt. Ich grinste.

„Ach der.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir sind nur Kollegen.“

„Genau wie George und ich.“

„Pff, na gut.“ Gespielt schnippisch ging Jodie zur Tür. Diese Schlacht hatte ich schon einmal gewonnen. Bevor sie den winzigen, leicht unaufgeräumten Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um. „Ich mache uns zwei neue Kaffee und dann fangen wir an, ja? Ich bin sicher, du schaffst das, Anna, dieser Salamander oder wie auch immer er heißen mag, kann sich warm anziehen, wenn er dich als Gegnerin hat.“

Dann war sie verschwunden und ließ mich fürs erste allein mit all den tausend Fragen, die mir dieser Fall auferlegt hatte.

Was für ein leichtes Spiel. Zufrieden lehnte er sich zurück und betrachtete die Wolken, die in harmonischem Gleichklang mit dem Blau des Himmels vorbeizogen. Was für ein wundervoller Tag. Es fiel ihm leicht, sich seine Gegner wie kleine Tauben vorzustellen, schmutzig-weiß gefiederte Ratten, die ziellos umherschwirren und nicht ahnen, dass der scharfäugige Habicht sie beobachtet. Ratten der Lüfte. Arme, kleine, blinde Vögel. Am liebsten hätte er laut gelacht, doch er verkniff es sich und blickte stattdessen weiter nach draußen. Er mochte die Natur. Im Vergleich zum regen, gehetzten Treiben in der Stadt oder in Gebäuden, entspannte ihn das. Ruhe und Frieden konnten so eine Wohltat sein, zumindest, bis es wieder brannte. Er nannte diese Zeit gerne die Ruhe vor dem Sturm und liebte sie, nicht so sehr wie den großen Knall, der folgen sollte, aber er genoss sie. Er mochte sie, weil sie zum Spiel gehörte und das Spiel so makellos war, es einen friedlichen, in sich harmonischen Kreislauf darstellte. Yin und Yang, Wasser und Feuer. Zufrieden lächelnd blickte er auf ein schlichtes Zeichen, das vor ihm auf einem in schmuckloser Eleganz auf einem Blatt Papier geschrieben stand. Salamander. Bald schon würde es erneut brennen.

Neue Herausforderungen

„Na, schon was gefunden?“

Immer noch etwas verschlafen, hob ich den Kopf, als Jodie mein Büro betrat und mühte mir ein Lächeln ab. Ich hatte die beinahe die ganze Nacht vorm PC verbracht, alles zum Zeichen des Killers und der ominösen Bezeichnung „Salamander“ recherchiert, nur, um danach ähnlich schlau wie vorher dazustehen. Nicht gerade das, was man sonst in all den Krimiserien sah. Manchmal wünschte ich mir wirklich, der Job hätte ein bisschen davon, wenn ich so mein Büro betrachtete, hätten ihm ein bisschen Glanz und Glamour zweifellos nicht geschadet.

„Nicht wirklich. Ich habe geschaut, ob irgendwer in unserer Datenbank eine Verbindung zu asiatischen Ländern und speziell diesem Zeichen hat, aber nichts gefunden, nicht mal tätowiert hat sich das Teil jemand, obwohl sich die Leute sonst doch ständig irgendwelche Schriftzeichen auf den Körper klatschen.“ Selbst mein eigenes Lachen klang irgendwie gekünstelt, ich war wirklich nicht in Bestform, was Scherze anging.

„Mach dir keinen Kopf, du hast erst gestern mit der Recherche begonnen. Wer weiß, vielleicht sieht es heute oder morgen schon ganz anders aus.“ Sie zwinkerte mir zu und reichte mir einen Kaffee, schwarz und mit viel Zucker, so, wie ich ihn am liebsten trank.

„Danke. Hast du schon mit Black gesprochen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Bislang nicht. Aber ich habe George gesagt, er soll uns sofort informieren, wenn es was Neues gibt. Er erledigt ja den ganzen Papierkram zu dem Fall, was ich übrigens nicht machen wollen würde.“

Ich nickte. George war zwar ein schräger Vogel, aber eigentlich war auf ihn Verlass und er war wirklich ein netter Kerl, wie Jodie gesagt hatte. Bei ihm konnte ich mir zumindest sein, dass er niemand von denen war, die mich für ein einfältiges Ding hielten, das einmal Glück gehabt hatte und mich am liebsten weit weg vom FBI hinter einer Herdplatte sehen wollten.

Ein aufgeregtes Quietschen von Jodie schreckte mich aus meinen Gedanken. Überrascht sah ich sie an.

„Neuigkeiten?“

„Nicht wirklich, entschuldige.“ Sie rückte ihre Brille zurecht. „Ich habe nur eine SMS von einem Freund bekommen, der Graphologe ist.“

Ich hob die Augenbrauen.

„Na gut, er ist Hobby-Graphologe, aber wirklich nur ein Freund, falls du darauf anspielst.“ Schelmisch grinsend streckte sie mir die Zunge raus. „Er hat mir ein Gutachten erstellt.“

„Wozu? Deinen Charakter solltest du doch schon kennen, oder?“

„Naja…“

„Raus mit der Sprache!“

Sie errötete leicht und kam mit dem Gesicht ein bisschen näher an meines, was aufgrund der dünnen Bürowände wahrscheinlich gar nicht mal so lächerlich war, wie es anmuten musste.

„Er hat mir ein Gutachten erstellt, das mir aufzeigt, wie sehr ich mit einer bestimmten Person zusammenpasse.“

Okay, nicht gerade die Lösung zum Mordfall, aber immer noch interessant. Ich schnaubte gespielt empört, weil sie mir dieses prekäre Detail bislang verschwiegen hatte.

„Wer ist es? Und keine faulen Ausreden, Ms. Starling!“

„Also…“ Sie kam noch näher an mein Ohr und verfiel in ein durch ihre Aufregung bemüht wirkendes Flüstern. „Ich weiß, ich habe gesagt, wir sind nur Freunde, aber…“

Jetzt war es an mir zu quietschen, wie ein pubertärer Teenager. „Shuichi Akai? Na endlich! Wurde auch Zeit, dass bei euch mal was vorangeht, wenn auch nur durch eine Studie, die ungefähr die Glaubwürdigkeit eines Horoskops in einem dieser Käseblätter hat. Passt ihr wenigstens zusammen?“

Sie setzte ein beleidigtes Gesicht auf, entspannte sich aber schnell wieder und seufzte. „Ich weiß ja, aber Ausprobieren kann ja nicht groß schaden, oder? Und ja, wir passen zusammen.“

Ich grinste. „Wenn das bedeutet, dass ihr es endlich schafft ein Paar zu werden, dann freue ich mich, obwohl du scheinbar zur Esoterikerin mutiert bist.“ Für diesen Kommentar fing ich mir prompt einen Boxschlag in meine Seite ein, der fast meinen Kaffee zum Überschwappen brachte, als mir plötzlich auffiel, dass jemand in der Bürotür stand und uns mit einem amüsierten Lächeln beobachtete.

„Hey, ihr Klatschweiber, Black will euch sprechen!“

Jodie lief so rot an, dass jede Tomate vor Neid erblasst wäre. „Shuichi…Wie lang stehst du denn schon in der Tür?“

„Nicht lange, du weißt, ich bin vielbeschäftigt. Gilt übrigens auch für euch, also solltet ihr jetzt lieber in die Gänge kommen.“ Er zwinkerte freundlich und verschwand aus dem Türrahmen.

„Meinst du, er hat gehört, was ich gesagt habe?“

„Quatsch, du hast geflüstert, komm jetzt!“ Ich konnte es gar nicht erwarten, endlich etwas Neues über den Killer, über Salamander zu erfahren. Vielleicht hatte ich bei meiner Suche schon etwas gestreift und bekam jetzt ein eindeutigeres Indiz? Eine neue Chance? Womöglich konnte ich das Blatt noch wenden und den Typen einkreisen, bevor er ein erneutes Verbrechen begehen konnte? „Und wenn, dann ist es doch nur umso besser, so wird das mit euch noch schneller was!“

„Pah!“
 

„Da seid ihr ja.“

Black saß der Tür gegenüber an seinem Schreibtisch und hatte die Finger ineinander verschränkt, wie er es gerne tat, wenn er gestresst oder nachdenklich war. Neben dem großen Eichentisch stand ein junger Mann, den ich hier noch nie gesehen hatte. Er konnte nicht älter als Ende Zwanzig Anfang Dreißig sein, hatte mit Gel nach hinten gekämmte schwarze Haare und intelligente eisblaue Augen, die mich prüfend musterten.

„Wer ist das?“, platze es aus mir heraus, bevor ich darüber nachdenken konnte, dass es vermutlich unhöflich war, einfach so mit der Tür ins Haus zu fallen, ohne Black zu fragen, was er überhaupt wollte. Dieser lächelte allerdings nur milde und wirkte nicht sonderlich irritiert, während Gelkopf nur eine Augenbraue hob und mich mit einem schiefen Lächeln ansah.

„Das ist…“

„Ich bin Agent Geck aus England, aber nennen Sie mich Bruce.“, schnitt er ihm das Wort ab und reichte mich, immer noch mit einem leicht überheblichen Lächeln seine Hand. Seine Hand fühlte sich leicht verschwitzt an, aber immerhin war der Händedruck fest. Black räusperte sich etwas ärgerlich.

„Mr. Geck ist vom englischen Geheimdienst, war aber einer glücklichen Fügung zu Dank gerade in den Staaten. Er ist ein Experte, was Verschlüsselungen aller Art angeht.“

„In diesem Gebiet bin ich weltbekannt. Ein Wunder, dass sie noch nichts von mir gehört haben.“ Er befeuchtete seine Lippen in einer raschen Bewegung mit seiner Zunge. Offensichtlich machte ihm die starke Klimatisierung im Raum zu schaffen. Ich schüttelte den Kopf und blickte ihm dabei absichtlich fest in die Augen.

Wow, ganz Klischee, ein arroganter Schnösel aus England eilt zur Hilfe. Wir sind gerettet!

„Wozu brauchen wir überhaupt einen Kryptologen?“, meldete sich Jodie mit der Frage zu Wort, die ich mir auch schon gestellt hatte.

„Genau darüber wollte ich mit euch sprechen. Heute Morgen kam das hier mit der Post.“

Er holte seinen Ordner zum Salamander-Fall heraus und löste sorgsam ein Blatt Papier aus einer Folie.

„Der Killer hat uns einen Brief geschrieben.“
 

AMLRLJKWAERXWSRLLFEMA

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Einen Moment starrten wir alle mit Gesichtsausdrücken, die zwischen Fassungslosigkeit und vollkommener Verwirrtheit schwankten, auf den Zettel, die James Black jedem von uns in die Hand gedrückt hatte. Darauf war ein kompliziert wirkender Buchstabensalat zu lesen, der meine Wut auf den Killer nur noch zu steigern vermochte. Jodie schien es ähnlich zu gehen.

„Was fällt dem Typen eigentlich ein, dem FBI einen solchen Brief zu schreiben? Macht der sich über uns lustig?“

„Vielleicht, oder er gibt uns Hinweise auf seine Identität.“

Sie runzelte die Stirn und warf Geck einen zweifelnden Blick zu. „Und warum sollte er das tun? Er wäre schön blöd, wenn er sich selbst entlarven würde.“

„Schon mal was von einem Kick gehört, den manche Leute von diesen Spielchen kriegen?“

Bevor sie antworten konnte, würgte Black das Gespräch mit einer Handbewegung ab.

„Wie auch immer, ich möchte, dass ihr euch mit dem Code – was es mit ziemlicher Sicherheit ist - auseinandersetzt. Ob ihr es zusammen oder für euch allein tut und euch dann besprecht, ist mir egal, entscheidend ist nur, dass ich sobald wie möglich Ergebnisse sehe. Die Sitzung ist hiermit beendet.“
 

„Was zur Hölle soll das heißen?“ Wütend knallte ich den Zettel – so gut das mit einem federleichten Blatt Papier möglich war – auf den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich dem Ding giftige Blicke zuwarf. Natürlich verhielt ich mich albern, schon die Tatsache, dass ich lautstark meinem Büro vor mich her schimpfte, war albern, wenn man bedachte, dass ich vollkommen allein war, aber ich konnte einfach nicht anders, als meinem Ärger Luft zu machen, nachdem ich nun seit beinahe zwei Stunden über dem verqueren Text brütete. Ich hatte das Gefühl, der Killer wollte uns herausfordern, uns verspotten uns aus einem wegfahrenden Zug zuwinken und sagen „Ätsch, ihr habt mich nicht gekriegt, ihr tollen Polizisten...!“ und ich war mir sicher, dass die anderen, die über demselben Brief grübelten, ähnlich dachten. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, zusammen daran zu arbeiten, aber ich hatte erst einmal darauf bestanden, es allein zu versuchen, da ich mich nach eigener Erfahrung besser konzentrieren konnte, wenn ich mich in meine Gedanken zurückzog und niemanden mehr um mich hatte, der mich stören konnte.

Klappt ja wunderbar.
 

„Und, schon was rausgefunden, Kleine?“

Patsch.

Mit offenem Mund drehte ich mich um und starrte den Mann fassungslos an, der mir gerade ganz ungeniert einen Klaps auf den Hintern gegeben hatte und mich nun breit angrinste.

Da soll mal einer sagen, auf meine Menschenkenntnis wäre kein Verlass. Obwohl ich ihm am liebsten eine gescheuert hätte, schluckte ich meinen Ärger runter und beherrschte mich, was wirklich eine Leistung war, wenn man diese selbstverliebte Fratze vor sich sah, die er mit ziemlicher Sicherheit jeden Tag vor dem Spiegel geübt haben musste, um sie so künstlich und harlekinhaft aussehen zu lassen.

„Was wollen Sie, Geck?“

„Zunächst einmal will ich, dass sie mich Bruce nennen, Anna.“ Sein Lächeln wurde, sofern das überhaupt möglich war, noch etwas breiter. „Ich versuche alle meine Mitarbeiter so gut wie möglich kennen zu lernen und ein enges Verhältnis aufzubauen. Sie müssen wissen, in England leite ich viel Personal und…“

„Schön für Sie, aber ich muss wirklich arbeiten. Wenn sie keine neuen Erkenntnisse bringen, würde ich Sie bitten, zu gehen.“ Meine Stimme klang nicht halb so selbstbewusst, wie ich es mir wünschte, eher wie die gespielt eingeschnappte Stimme eines pubertären Teenagers, der seinen Eltern eine pampige Antwort gab und sich dann wie der größte Rebell auf Erden fühlte.

Das wird ihn sicher überzeugen. Gequält lächelnd wandte ich mich wieder dem Code zu.

„Sie sind doch Experte für sowas, oder?“

Er beugte sich neben mir über das Blatt, sodass ich beinahe seinen heißen Atem auf meiner Wange spüren konnte, hastig rückte ich weg und verfluchte, dass ich nicht das Selbstbewusstsein aufbringen konnte, ihm zu sagen, dass er ein schleimiger Widerling war. Stattdessen wurde ich rot und sah hastig weg, was natürlich nicht im Geringsten der Ablehnung gerecht wurde, die ich ihm entgegenbrachte.

„So kann man es sagen, ja.“ Er holte eine modische Brille aus seiner Hemdtasche und setze sie sich auf die Nase, die bei näherem Hinsehen einen beachtlichen Haken bildete. „Ich bin der Leiter der Kryptologie-Abteilung beim englischen Geheimdienst, hierbei handelt es sich vermutlich um eine Verschlüsselung, bei der Buchstaben durch andere ausgetauscht wurden. Wie genau das von Statten gegangen ist, kann ich allerdings noch nicht genau sagen. Am besten, wir schauen erst einmal, welcher Buchstabe am meisten vorkommt, oder was meinst du, Süße?“

Er sprach mit mir ein bisschen wie mit einem kleinen Mädchen, dem er einen komplizierten Sachverhalt so einfach wie möglich erklären wollte, was mich noch mehr gegen ihn aufbrachte.

„Das weiß ich.“, blaffte ich, diesmal schon lauter und deutlich unfreundlicher.

Er lächelte nur wieder. „Oh wow, du hast ja ganz schön Feuer, das mag ich bei Frauen.“

„Würden Sie sich bitte auf das Rätsel konzentrieren?“ Ärgerlich knirschte ich mit den Zähnen. „Sonst muss ich Black über Ihr Verhalten in Kenntnis setzen.“

„Ach was, ich mach doch nur Spaß. Habt ihr hier in den USA etwas keinen Humor?“

Nicht den gleichen, wie ihr in England, scheint es mir.
 

„Nun, auffallend häufig kommt das „L“ vor, dicht gefolgt von „A“, „W“ und „D“, wenn mich meine Augen auf den ersten Blick nicht täuschen. In der englischen Sprache sind „I“, „E“ und „A“ am häufigsten, es wäre also logisch, wenn hier ein Zusammenhang bestünde“

Ich nickte nur abwesend, während der Experte seine Ausführungen fortsetze. Natürlich musste ich ihm zuhören, denn auch ich wollte den Killer so schnell wie möglich fassen, aber dennoch wollte ich ihm zumindest durch mein gespieltes Desinteresse ein bisschen ärgern, wenn ich es schon nicht zustande brachte, ihn für sein ungebührliches Verhalten zurechtzuweisen.

„Hmm… „Ama“, „Ame“, „Ami“? Klingt für mich alles erst einmal ungewohnt, vielleicht der Beginn eines Namens?“

Plötzlich durchzuckte es mich.

„Am I! Der Anfang bedeutet „Am I“, dann würde „L“ für „I“ stehen!“ Verblüfft über diesen schnellen Erfolg, starrte ich das Blatt Papier vor mir an. Konnte ich das Rätsel vielleicht bereits lösen? „Außerdem steht in der nächsten Zeile ein Fragezeichen, es wäre nur natürlich, wenn „Am I“ eine Frage einleitet.“ Nun konnte ich mich richtig mitreißen lassen, es war wirklich ein tolles Gefühl, nach all den fruchtlosen Stunden etwas herausgefunden zu haben, dass sich nach einer richtigen Spur anfühlte. In solchen Momenten machte die Arbeit dann wieder Spaß.

Gecks Mundwinkel kräuselten sich. „Bravo! Gar nicht so schlecht, für eine Anfängerin. Sehen wir mal, ob sie Recht behalten.“
 

„Die erste Zeile wäre dann: AMIRIJKWAERXWSRIIFEMA? Macht nicht wirklich einen Sinn.“, frustriert ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl sinken, von dem ich eben noch so euphorisch aufgesprungen war.

„Das ist seltsam. Zwei „I“ nebeneinander sind eher ungewöhnlich. Entweder, wir haben es hier mit einem ausländischen Eigennamen oder etwas in dieser Richtung zu tun, oder der Killer hat noch eine zusätzliche Verschlüsselung angewendet.“

„Sie meinen also, er hat den Text doppelt verschlüsselt?“ Dann kann ich mich ja darauf einstellen, hier bis Weihnachten mit ihm zu sitzen. Merry Christmas!
 

Auch nachdem wir alle „L“ durch „I“ ersetzt hatten, gab die Botschaft für uns nicht mehr Sinn, sodass wir zu dem Schluss kamen, dass „AM I“ nur ein Zufall gewesen war und der Killer wohl eine komplizierte Verschlüsselungsmethode angewandt hatte. Selbst als wir die anderen Buchstaben durch „E“ und „A“ ersetzten, bekamen wir nur eine bedeutungslose Buchstabensuppe und keine nennenswerten Ergebnisse, die wir Black vorzeigen konnten. Immer noch sichtlich frustriert und müde, fuhr ich schließlich gegen Mitternacht nach Hause, während Geck überraschenderweise versprach im Büro zu bleiben und den Code noch einmal genau zu untersuchen. Entweder war er regelrecht besessen von diesem Rätsel und wollte alles tun, um den Killer zu schnappen, oder aber – was sichtlich wahrscheinlicher war – wollte den ganzen Ruhm für sich allein einstreichen, falls er es schaffte, und seinem Namen alle Ehre machen. Zwar wollte ich ihm diesen Erfolg nicht wirklich gönnen, doch so sehr es mir auch widerstrebte, mein einziges Ziel war der Mörder und um ihn zu fassen, ihn, der zwei Familien gemeuchelt und ihre Häuser auf die Grundmauern niedergebrannt hatte, hätte ich wohl in jeden sauren Apfel gebissen, den man mir reichte.
 

Seufzend legte ich meinen Mantel ab und ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Ich würde wohl ohnehin nicht schlafen können, da konnte ich genauso gut bei einer warmen Tasse und den Spätnachrichten noch einmal den Code durchgehen. Soll der arme, kleine Bruce wenigstens nicht alleine leiden, dachte ich spöttisch. Normalerweise hasste ich es, wenn mir meine Arbeit nach Hause folgte und genoss eine strikte Trennung zwischen dem Leben, das ich beim FBI führte und dem, das ich außerhalb meines Arbeitsplatzes führte. Ich glaubte, der Grund, warum so viele Menschen in diesem Beruf durchdrehten oder sich überarbeiteten war, dass sie einfach nicht loslassen konnten. Sie nahmen jeden Augenblick, jeden Gedanken, mit nach Hause und grübelten, solange, bis sie das hungrige Monster, das ihr Leben fraß, nicht mehr loswerden konnten und sie ihm langsam, aber sicher vollständig zum Opfer fielen.

„Keine Sorge, das ist nur eine Ausnahme, du kennst meine Prinzipien, Peppermouse.“

Lächelnd kraulte ich meine Katze, die sich lautlos auf ihren Samtpfötchen herangeschlichen hatte, hinter den Ohren. „Und du weißt, dass ich sonst immer hinter ihnen stehe, oder?“
 

Als das Telefon klingelte, hatte ich schon ungefähr zwei Stunden geschlafen. Mein Tee war mittlerweile kalt und statt den Nachrichten lief irgendein Horror-Splatter. Hastig würgte ich die schreiende Frau im Fernsehen ab und griff noch etwas tapsig nach dem Hörer.

„Ja bitte?“

„Hey Babe! Ich dachte nur, es würde dich vielleicht interessieren, dass ich das nette Briefchen unseres kleinen Freundes geknackt habe. Ich weiß, was der Code bedeutet.“

Spinnennetz

Erst als ich aus dem Auto stieg, bemühte ich mich hastig, das von meiner Frisur zu retten, was noch zu retten war und schloss den obersten Knopf meiner Bluse, der sich gelöst hatte. Wäre ich nicht so angespannt gewesen, hätte sich vermutlich ein Lächeln auf meine Lippen geschlichen, als mir der Gedanke kam, das die Begründung für meinen Auftritt „Ich bin auf meinem Schreibtisch eingeschlafen und bekam einen wichtigen Anruf“, vermutlich für jeden normalen Menschen wie eine billige Ausrede klingen musste. Naja was soll’s.

„Da sind Sie ja endlich.“ Obwohl er genau wusste, warum ich so aussah, kräuselten sich seine Lippen etwas. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Sie wollen mir also weismachen, Sie hätten den Code geknackt?“

Mit verschränkten Armen baute ich mich vor ihm auf und hoffte insgeheim, er würde es gleich als einen Scherz entlarven und mich einfach stehen lassen. Vielleicht, weil ich die Lösung fürchtete, die Nachricht dieses brutalen Mörders oder aber, weil ich ihm nicht eingestehen wollte, dass er schneller gewesen war, dass er besser gearbeitet hatte, als ich. Leider schien ihn meine Gedankenwelt nicht sonderlich zu interessieren, denn er griff nach einer matschig-brauen Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag und reichte sie mir. Vorsichtig nahm ich sie entgegen.

„Lesen Sie das. Falls sie fragen haben, können Sie sich einfach an mich wenden.“

Ich nickte und machte mich daran, das, was er in Eile handschriftlich verfasst hatte, zu entziffern. Wäre ich ruhiger gewesen, hätte ich mir vermutlich Zeit genommen, darüber zu spotten, dass der Code wesentlich einfach zu lesen gewesen war, doch stattdessen ich las hochkonzentriert weiter.

„Eine einfache Cäsar-Verschlüsselung? Ist das Ihr Ernst?“ Da sogar ich schon davon gehört hatte, konnte dieser Typ der Verschlüsselung nun wirklich nicht allzu geheim und spektakulär sein.

„Zweifellos.“, er lehnte sich entspannt zurück. Ich blicke neugierig auf. Seltsamerweise kam er mir etwas verändert vor, obwohl sein Lächeln die übliche Arroganz versprühte, wirkten seine Augen abwesend, fast so, als wären auch seine Gedanken weit weg von diesem Ort und ich würde mit einer seelenlosen Puppe sprechen. Er blinzelte und das seltsame Gefühl, das mich beschlichen hatte, verschwand.

„Eigentlich ist es ganz einfach. Sie wissen ja noch, dass er Buchstaben vertauscht haben muss, oder?“

Ich nickte wieder und erinnerte mich an all die hoffnungslosen Versuche, mit denen wir uns den Nachmittag totgeschlagen hatten. Was hatte er diesmal anders gemacht?

„Nun, anscheinend hat er die Buchstaben immer um drei Stellen verschoben, also eine recht einfache Verschlüsselung verwendet. Aus B wurde E, aus G ein J, aus M ein P, ganz einfach also. Ich muss zugeben, so etwas Ähnliches kam mir auch schon früher in den Sinn, allerdings gab es etwas, das mich irritiert hat.“

Mein Blick fiel auf die Akte. „Nicht alle Buchstaben wurden nach diesem Muster vertauscht, nicht wahr?“

Er zwinkerte mir amüsiert zu. „Chapeau Madame, sehr scharfsinnig.“

„Das steht in der Akte.“, erwiderte ich trocken. Sollte er sich seine Schmeicheleien doch in den Hintern stecken. Ich war müde und hatte keine Lust auf lange Spielchen, abhängig von dem, was der Killer schrieb, hatten wir womöglich auch gar keine Zeit mehr dafür.

„Deshalb war es ja auch Sarkasmus, meine Teuerste.“

Wäre ich vor Gericht gerechtfertigt, wenn ich ihn jetzt und hier mit seiner Krawatte erdrossele?

„Also?“

„Er hat exakt acht Buchstaben ausgelassen und sie vollkommen unbehandelt im Text behalten.“

Ich fröstelte unwillkürlich. „Welche waren es? Ich wagte es nicht, selbst auf das Blatt vor mir zu blicken.“

Was willst du uns mitteilen?

„Salamander“ Unsere Blicke trafen sich. „Er hat uns seinen Namen verraten.“
 

[font='Comic Sans MS, sans-serif']AM I RIGHT ABOUT POLICEMA

N? I THINK THEY ARE AN AN

NOYING LOT WHO DISTURB PERSON

AND THAT THEY ARE HA

ITED THOUGH THERE IS ONE I

LIKE BUT SHE WILL

OBJECT TO MY FEELING HELLO

VILE GIRL IGNORE ME AND ITS OV

ER PLEASE DO NOT IGNORE

U UNDERSTAND, DO YOU?[/font]
 

[font='Comic Sans MS, sans-serif']„Liege ich richtig bei den Polizisten? Ich denke, sie sind eine nervige Gruppe, verwirren die Leute und sind verhasst. Dennoch ist da eine, die ich mag, aber sie wird wohl Einwände gegen meine Gefühle haben. Wenn du mich ignorierst, ist es vorbei, also bitte ignorier mich nicht. Du verstehst das, oder?“[/font]
 

Mit zitternden Händen legte ich das Blatt zurück in die Akte und schloss sie langsam. Er hatte es tatsächlich geschafft, er hatte den Code geknackt. Doch meine Freude darüber sollte nicht lange andauern.

„Mehr hat er nicht geschrieben?“

Geck schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die dunklen Haare. Das Gel schien mittlerweile in seiner Wirkung nachzulassen, sodass einige Locken sich lösten und ihm ein heruntergekommenes, aber auch irgendwie verwegenes Aussehen verliehen.

„Leider nicht. Wir haben nur diese paar Zeilen, keine Ankündigung, keinen wahren Namen, nur seinen Hohn und einen Codenamen, der uns zumindest ansatzweise bereits vorher schon bekannt war.“ Nun war die Enttäuschung in seinem Gesicht unverkennbar.

War es etwa das, was ich vorhin durchschimmern sah?

„Das ist doch besser als nichts. Ich meine, das ist toll, du hast den Code gelöst! Wir haben uns alle vorher die Zähne an ihm ausgebissen…“ Nun tat er mir fast leid, wie er vor mir saß mit seinen müden Augen und den verstrubbelten Haaren. Ich lächelte schwach. „Immerhin ist der Name „Salamander“ nun sozusagen offiziell.“

Mein Gefühl hat mich also doch nicht in die Irre geführt.

Obwohl es nur eine Kleinigkeit war, zumal die anderen Namen wesentlich weniger plausibel gewesen waren, verschaffte mir dieser kleine Erfolg eine gewisse Genugtuung. Vielleicht brauchte ich das einfach, nachdem ich den Code schon nicht hatte knacken können.

„Was haben die Schreibfehler zu bedeuten? Lässt sich dort nicht ein Hinweis ableiten?“

Er seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Sein Husten verriet, dass er wohl nur ein Gelegenheitsraucher war und das Nikotin vermutlich nur dann brauchte, wenn es galt, Stress abzubauen. „Auch eine?“

Ich lehnte dankend ab.

„Bei den Fehlern ist leider kein Muster zu erkennen, weshalb es fraglich ist, ob er sie überhaupt gezielt eingebaut hat. Womöglich leidet er unter einer Rechtschreibschwäche. Diese könnet sich nur äußern, wenn er aufgeregt ist, oder er hat allgemein Schwierigkeiten damit.“

„Aber er ist doch sehr intelligent, oder nicht?“ Ich musste daran denken, wie akribisch er seine Spuren beseitigt hatte und wie er es geschafft hatte, unbemerkt ein Zeichen am Tatort zu hinterlassen.

Nachdem die Spurensicherung dagewesen war und das Haus abgesperrt hatte.

Ich schluckte.

„Zweifelsohne. Deshalb bleibt auch die Möglichkeit bestehen, dass er etwas versteckt hat. Allerdings könnte es auch sein, dass er sich einfach über uns lustig macht und uns ein bisschen Knobeln lassen will. Alternativ könnte er natürlich auch versucht haben, uns das Entschlüsseln schwieriger zu machen, es kommt oft vor, dass jemand Schreibfehler einbaut, um den Lösungsschlüssel nicht so leicht erkennbar zu machen.“

Das klang leider ziemlich logisch. Logischer als eine geheime Botschaft, als einen zweiten Namen, einen Ort, eine eindeutige Botschaft. Obwohl wir gerade einen riesigen Erfolg erzielt hatten, fühlten wir uns nach anfänglicher Euphorie bereits ernüchtert. Ich hatte sogar das Gefühl, Agent Geck wäre noch weitaus geknickter als ich es war, zumindest sparte er sich während wir noch etwas über die Fakten des Falles sprachen, jegliche arrogante oder anzügliche Kommentare und wirkte wieder abwesend und in sich zurückgezogen.

Schließlich stand ich auf.

„Ich werde die Akte zu George bringen, damit er die Ergebnisse ins Reine schreibt und sie Black übergibt. So sind bei der nächsten Besprechung alle auf dem Laufenden. Ist das okay?“

„Natürlich, gehen Sie nur.“ Seine Mundwinkel zuckten leicht, dann zog er wieder an seiner Zigarette und blickte die Wand neben mir an. Erst jetzt fiel mir auf, dass er das die ganze Zeit getan hatte. Er hatte mich nicht einmal angesehen.
 

Auf dem Weg zu George hatte ich erst einmal das Gefühl, tief durchatmen zu müssen. Beinahe so, als wäre der Raum luftdicht abgeriegelt gewesen und hätte mit jedem Atemzug an Schwere und Ungenießbarkeit gewonnen.

Als wären wir erstickt, wenn wir das Rätsel weiter untersucht hätten…

Von diesem Gedanken gleichsam fasziniert und erschreckt, stieß ich mit Jodie zusammen.

„Nanu? Du bist immer noch hier?“

„Das Gleiche könnte ich dich auch fragen.“ Ich lächelte. „Du hast schon eine ganze Weile Dienstschluss.“

„Naja, der ganze Büro-Kram…“

Unter normalen Umständen, hätte ich jetzt wohl mit einem siegesgewissen Grinsen ihren Loverboy ins Spiel gebracht und nach allen möglichen Details verlangt, doch stattdessen schenkte ich ihr nur einen skeptischen Blick und ein leicht ironisches Lächeln.

„Ja ja, die Arbeit.“

Offenbar erleichtert schickte sie sich an, eilig das Thema zu wechseln. „Was hast du denn da?“ Sie deutete auf die Akte in meiner Hand.

„Das muss zu George, die aktuellen Ergebnisse der Code-Analyse.“

„Tut mir leid, der hat schon Feierabend gemacht.“

Wieso hatte ich nur schon geahnt, dass heute nicht unbedingt mein Glückstag werden sollte?

„Wirklich?“ mit einem letzten Hoffnungsschimmer in den Augen ah ich sie an. „Vielleicht ist er sich nur ne Pizza holen gegangen, er bleibt doch sonst auch immer ewig.“

„Keine Ahnung, vielleicht hat er heute Abend was vor? Jedenfalls ist er schon länger weg und es sah auch nicht so aus, als würde er heute nochmal ins Büro kommen. Soll ich ihn anfordern?“

Ich schüttelte resigniert den Kopf. „Nein, schon gut. Er muss als Bürokraft ja nicht ständig in Bereitschaft sein und eigentlich hat es auch noch bis morgen Zeit. Die Ergebnisse haben ohnehin nicht viel Aufschluss gebracht.“

„Nicht?“ Sie musterte mich überrascht. „Habt ihr den Code doch nicht entschlüsseln können? Geck meinte etwas in der Richtung, nachdem er dich angerufen hat.“

„Doch, doch. Allerdings konnten wir nicht mehr als seinen Decknamen herausfinden. Er nennt sich tatsächlich „Salamander“.“

„Ach, dann hast du immerhin richtig gelegen, nun freu dich doch mal.“ Sie lächelte. „Das zeigt doch, dass du dem Fall durchaus gewachsen bist, du hast zumindest den richtigen Riecher, was diesen Typen angeht. Darauf kommt es eh am meisten an. Das Bauchgefühl zählt im entscheidenden Moment oft mehr, als jede Theorie.“

Da hatte sie natürlich nicht ganz Unrecht. Dennoch brachte uns dieser Punkt leider nicht wirklich weiter. Zwar kannten wir jetzt ein paar Zeilen des Täters und konnten über psychologische Gutachten vielleicht sogar etwas über ihn selbst herausfinden, aber wer sagte uns, dass er sich nicht verstellte? Dass er uns nicht an der Nase herumführte und mit gackerndem Lachen zusah, wie wir uns in seinem Labyrinth verirrten?

Pantomime war auch so gewesen…

Ich tue nur Gutes, ich bestrafe böse Kinder… oder etwa doch nicht?

Das Schlimmste an der Verbrecherjagd waren schon immer die Zweifel gewesen, man konnte nie sagen, was diese Menschen ernst meinten und wann sie logen. Vielleicht wussten sie es nicht einmal selbst. Sie waren wie riesige Spinnen, die in Netzen aus tragenden und nicht tragenden Fäden saßen, einen beobachteten und darauf warteten, dass man sich darin verfing.

Trägt dich dieser Faden oder wirst du festkleben? Ist es dein sicherer Tod oder die Chance, die Spinne, die fett und satt im Zentrum sitzt, zu erreichen? Was glaubst du?

„Was wirst du jetzt tun?“

„Ich denke, ich werde das Ganze noch einmal durchgehen. Bislang haben wir uns nur über mögliche weitere Verschlüsselungen unterhalten, vielleicht finden wir ja etwas auf der psychologischen Ebene.“

Jodie nickte erregt. „Das ist doch mal ein Vorschlag. Womöglich können wir den Tag doch noch retten!“

„Eher die Nacht.“ Ich gähnte übertrieben.

„Wie auch immer. Ich brauch noch schnell einen Kaffee. Treffen wir uns in einer halben Stunde in meinem Büro, okay? Dann gehen wir alles nochmal durch.“

Da an Schlafen wohl kaum zu denken war, stimmte ich zu. Es konnte ja nicht schaden, sich noch einmal gemeinsam damit zu befassen.

„Ich muss sowieso nochmal schnell zurück zu Geck, ich glaube, ich habe meinen Füller bei der Besprechung liegen lassen.“
 

Das künstliche Licht der Neonleuchten verlieh den Gängen eine unheimlich blaue Färbung. Sonst fiel einem das nicht mal auf, aber wenn man allein war, bekam diese Art von Licht oft etwas Surreales, das leichte blaue ließ einen an die erdrückenden Tiefen des Ozeans denken und das künstliche Surren und Flackern an eine vielleicht nicht allzu ferne, aber dafür viel zu fremde Zukunft. Jemand weinte.

Wie angewurzelt blieb ich stehen und lauschte. Wie bitte?

Das konnte doch nicht sein. Ich befand mich hier ein einem Trakt des FBI-Hauptquartiers, dazu fernab von Zeugen und Angehörigen, Menschen, die unter Umständen vielleicht geweint hätten, um all dem Schmerz und der Fassungslosigkeit Luft zu machen.

„Ist da jemand?“

Keine Antwort.

Unsicher ging ich zur nächsten Tür und lauschte, doch auch hier schlug mir nur gespenstische Stille entgegen. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter. Abgeschlossen. Natürlich. Es war bereits weit nach Mitternacht und alle Beamten waren längst nach Hause gegangen. Weiterhin angespannt setzte ich meinen Weg fort, doch bei jeder weiteren Tür erwartete mich das gleiche Ergebnis. Erst, als ich das Besprechungszimmer, in dem wir uns befunden hatten, hörte ich das Weinen erneut. Das Geräusch war auf einmal so klar und nah, so furchtbar real, dass es mich wie ein Blitz durchzuckte. Drinnen brannte noch Licht, womöglich konnte mir Geck also dabei helfen, den Ursprung des unheimlichen Wimmerns ausfindig zu machen.

Was für ein lächerlicher Gedanke.

Ich drückte die Klinke herunter, zog die Tür lautlos auf und blieb stehen, ohne den Raum zu betreten. Das war gar nicht nötig. Natürlich hatte ich es irgendwo geahnt, aber mein Gehirn hatte den Gedanken in den letzten Winkel seiner Windungen verdrängt, weil es einfach viel zu absurd war. Bruce Geck, seines Zeichens englischer Spezialagent, Kryptologe und Macho-Arschloch, weinte. Er saß zusammengekauert an dem großen Schreibtisch, an dem wir uns vor gar nicht allzu langer Zeit beraten hatten. Den Kopf kraftlos zwischen die Arme gesunken, gab er leise Schluchz-Geräusche von sich, während vor ihm Aschenbecher voller Kippen traurig vor sich hin rauchte. Eigentlich wollte ich einfach wieder gehen, doch ein weiterer Schritt war zu viel gewesen, ein leises Knarzen des Bodenbelags verriet mich. Geck hob den Kopf.

„Ach Scheiße...“

„Mr. Geck, ich…“

„Schon gut, du willst nur deinen dämlichen Füller, oder?“ Er wischte sich immer noch schniefend die letzten Tränen aus den Augen. „Hätte wissen müssen, du kommst zurück.“

Eigentlich hätte ich jetzt anmerken müssen, dass wir sicher nicht per Du waren, doch ich brachte kein Wort heraus. Stattdessen starrte ich ihn entgeistert an, was sicher ebenso viel an Taktgefühl zu wünschen übrig ließ. Schließlich brachte ich doch einen halbwegs geraden Satz hervor. „Brauchen Sie Hilfe?“

Er lachte bitter. „Nein, schon gut…“, und schob sich an mir vorbei. Ehe ich mich versah, war er den Gang runter und verschwunden.

Was in aller Welt ist denn hier los?
 

Diese Frage hatte mich auch dann noch nicht losgelassen, als ich wenig später mit Jodie zusammensaß. Müde beugte ich mich über den Text, der jedoch immer wieder vor meinen Augen verschwamm, wenn meine Gedanken zu Geck und seinem Gefühlsausbruch wanderten.

„Alles in Ordnung?“

Brauchen Sie Hilfe?

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, schon okay. Also… Was würdest du zum Brief des Killers… äh… zu… Salamanders Brief sagen?“

Sie rückte ihre Brille zurecht und las die Nachricht noch einmal flüchtig, ich konnte sehen, wie ihre Pupillen von einem Satz zum nächsten hüpften und wieder zurück. Dann legte sie die Nachricht weg.

„Ich denke, dass er eine gewisse Abneigung gegen Polizisten verspürt, ja sie verabscheut. Womöglich ist er einmal von einem Beamten schlecht behandelt worden oder er war in einer schlimmen Situation und hatte das Gefühl, die Polizei hätte ihn ihm Stich gelassen.“

„Glaubst du, dass das ein Antrieb für seine Taten sein könnte? Dass es ihm vielleicht nur darum geht, die Polizei herauszufordern und bloßzustellen?“

Jodie lächelte. „Ich wusste du hast es drauf. Ich glaube, du hast einfach den richtigen Riecher, was den Typen angeht.“

Ich seufzte. Jodies Lob tat zwar gut, aber ich wusste, dass sie mich nur aufheitern wollte. Ziemlich sicher hatte sie sich exakt dasselbe gedacht.

„Dann glaubst du also wirklich, er will die Polizei herausfordern?“

„Ich halte es für sehr wahrscheinlich.“

„Und was ist mit dem zweiten Teil?“

Sie zog die Augenbrauen zusammen und schien einen Moment lang nachzudenken. Das Schweigen steigerte das eigenartige Gefühl, das mich schon das letzte Mal überkommen hatte, als wir Salamanders Brief gelesen hatten, fast bis ins Unerträgliche. Ich räusperte mich hastig, um mich von dem Kloß in meinem Hals zu befreien.

„Was sagst du denn dazu?“

Die Frage musste ja kommen, wo ich mich bislang so bedeckt gehalten hatte.

„Er scheint irgendeine Beziehung zu einer Polizistin zu haben. Vielleicht hat er sie oft beobachtet oder sie kennen sich von früher. Womöglich eine Ex-Freundin oder Ex-Frau, jemand, den er bewundert und schätzt, der aber unnahbar für ihn ist.“

„Du meinst, er hat eine Art Obsession?“ Jodie sah mich gebannt an. Ich spürte, wie mein Kloß schmerzhaft und fest wie eine Eisenkugel zurückkehrte.

„Vielleicht, aber zweifelsohne sehnt er sich danach, Kontakt mit ihr aufzunehmen.“

Einen Moment lang war es wieder erdrückend still im Raum.

„Und er hasst es mehr als alles andere, ignoriert zu werden.“
 

„Na Peppermouse, hast du mich vermisst?“ Immer noch etwas benommen, aber sichtlich erleichtert, betrat ich meine Wohnung und zwinkerte der Katze zu, die mich mit großen Augen ansah. „Ja, ich mach dir gleich Futter, Moment.“

Ich ging in die Küche und kramte nach dem Dosenöffner. „Dabei solltest du um die Uhrzeit eigentlich schlafen! Es dämmert ja schon fast.“

Nachdem ich mein vor Dankbarkeit schnurrendes Kätzchen versorgt hatte, ging ich ins Wohnzimmer und warf mich auf die gemütliche Couch, auf der Peppermouse, obwohl ich es ihr strengstens verboten hatte, nur allzu gerne ihre Haare hinterließ. Vermutlich wäre es klüger gewesen, schlafen zu gehen, aber alles, was heute passiert war, spukte mir viel zu sehr im Kopf rum, als dass etwas in dieser Richtung möglich gewesen wäre. Warum hatte Geck geweint? Was wollte Salamander wirklich? Welche Verbindung bestand zwischen ihm und der rätselhaften Polizistin?

Gerade, als mir über dem ganzen Grübeln doch die Augen zufallen wollten, klingelte das Telefon.

Werde ich jetzt immer so geweckt?

Grimmig griff ich nach dem Hörer und hielt ihn mir ans Ohr. „Ja?“

„Du musst sofort zurückkommen!“

„Bitte was? Das soll wohl ein Scherz sein!“ Am liebsten hätte ich Jodie weggedrückt, doch irgendwas sagte mir, dass das womöglich keine so gute Idee war. Vielleicht würde ich ja endlich Antworten bekommen.

„Es gab eine Geiselnahme!“

„WAS?“ Auf einmal war ich hellwach. „Aber warum werde ich da angefordert? Sind für den Notfall nicht Mitarbeiter im Büro?“

„Schon…“

Stille.

„Aber anscheinend ist Salamander verwickelt.“

Na kleine Fliege, willst du testen, welche Fäden klebrig sind?



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