Zusatzkapitel 3
Der Mann vom Sicherheitspersonal ließ sich die Ausweise aller Anwesenden geben und begann mit der ersten Beweissicherung, in dem er die Videokamera an sich nahm, ehe jemand auf die Idee kam, die Aufnahme zu löschen, während er auf Verstärkung wartete.
Teodoro starrte Robert zornig und verzweifelt zugleich an und nach einem kurzen Zögern nickte er Thomas, einem seiner Anhänger zu, der Robert den Schlüssel mit gesenktem Blick reichte. Zumindest schienen die Vier einzusehen, dass es ihnen mehr brachte, wenn sie sich, jetzt da sie aufgeflogen waren, kooperativ zeigten, als wenn sie alles abstritten. Nicht zuletzt die Videoaufnahme würde sowieso mehr als eindeutig nachweisen, was vorgefallen und dass es sicherlich kein Spaß unter Freunden gewesen war.
Robert nahm den Schlüssel und trat zu Johnny, der ihn ansah, als wäre ihm die ganze Angelegenheit weit mehr als nur unangenehm und peinlich. Er lächelte ihn aufmunternd an, doch Johnny wirkte weiterhin verkrampft und angespannt und sagte auch nichts zu ihm, was in Robert eine gewisse Unruhe auslöste. Für gewöhnlich würde er erwarten, dass Johnny sich bei ihm bedankte, sich für seine Naivität oder sein voriges Verhalten entschuldigte oder aber ihm lautstarke Vorwürfe machte. Dass nichts hiervon seine Umsetzung fand konnte nichts Gutes heißen.
Die Handschellen waren schnell aufgeschlossen und Johnny rieb sich schweigend über die Handgelenke, als er seine Arme endlich wieder nach vorne nehmen konnte. Robert runzelte irritiert die Stirn, ging vor dem Stuhl in die Hocke, um Johnny besser ansehen zu können. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
Ein steifes Nicken war die Antwort, was Robert dazu brachte, den Schotten von dem Stuhl in eine Umarmung zu ziehen, da er es schlichtweg nicht ertrug, Johnny so verletzlich zu sehen. Johnny sträubte sich zu seinem Erstaunen sehr gegen die Berührungen und Robert dachte darüber nach, ob er vielleicht einfach nach wie vor wegen ihrer Auseinandersetzung im Unterricht sauer auf ihn war, als Johnny plötzlich erregt aufkeuchte und sich mit leidender Miene die Hand vor den Mund schlug.
Plötzlich ergab sogar selbst die enorme Hitze, die von Johnny ausging, einen Sinn. Robert drückte ihn etwas fester an sich, damit er merkte, dass ihm das nichts ausmachte, und Johnny krallte sich in sein Hemd, zitterte am ganzen Körper. Er fuhr ihm sanft durch die Haare, ehe er sich wieder an Teodoro wandte. „Was habt ihr ihm gegeben?!“
„Etwas zur Steigerung seiner Begeisterungsfähigkeit“, kommentierte Teodoro trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.
Robert verdrehte genervt die Augen und wandte sich an den Wachmann. „Brauchen Sie mich oder ihn noch? Ich würde ihn gerne zum Arztzimmer bringen und ihn untersuchen lassen.“
Der Mann sah ihn streng und berechnend an, dann nickte er knapp. „Aber Sie beide sollten morgen früh zur Befragung ins Sicherheitsbüro kommen.“
Da das meiste Geschehen sowieso gefilmt worden war, war es vermutlich nicht ganz so dringend, Zeugenaussagen sofort an Ort und Stelle aufzunehmen und Robert war dankbar dafür. Johnny ging es schlecht und er hoffte, dass eine Untersuchung und passende Behandlung dafür sorgen würde, dass es ihm schnell wieder besser ging.
„Kannst du laufen?“, fragte er Johnny leise, doch er erhielt keine Antwort, außer dass sich der Schotte noch ein bisschen fester in sein Hemd krallte. Robert ging davon aus, dass das nicht unbedingt hieß, dass er nicht laufen konnte – sondern dass er es nicht wollte. Mitschüler würden ihn womöglich sehen und bemerken, dass etwas nicht stimmte und Johnny würde die neugieren Blicke als erniedrigend empfinden. Und am nächsten Tag würde die ganze Schule darüber sprechen.
Mit einem leisen Seufzen ging Robert ein wenig in die Knie und schob seine Hände unter Johnnys Hintern. In Gedanken ging er derweil die möglichen Wege durch, die er einschlagen konnte, denn er traute sich einiges zu, aber Johnny durch die Gänge der Schule zu tragen würde einiges an Kraft kosten.
Als er den Boden unter den Füßen verlor, legten sich Johnnys Arme fast panisch um Roberts Hals und er klammerte sich hastig mit seinen Beinen an ihn, nicht ohne leise aufzustöhnen. Robert konnte förmlich spüren, wie sich jeder einzelne Muskel des Schotten verkrampfte und er gab ihm einen sanften Kuss auf die Schläfe, als sich dessen Gesicht tief in sein Hemd grub.
Er nickte zum Abschied dem Mann vom Sicherheitspersonal knapp zu und trat dann aus dem Zimmer hinaus in den Gang. Mit etwas Glück würde ihm kein Mitschüler über den Weg laufen, sofern er einen kleinen Umweg an den Unterrichtsräumen vorbei nahm. Nachdem er ein paar Schritte gelaufen war, kam auch schon die Verstärkung des Sicherheitspersonals. Einer der Männer blieb neben ihm stehen und befragte ihn kurz, was er tat und ob er ihm helfen könnte. Robert hätte das Angebot gerne angenommen, denn der Mann war gut durchtrainiert, weshalb ihm Johnnys Gewicht wohl weit weniger ausgemacht hätte, als ihm. Auf der anderen Seite, wusste er, dass Johnny in seinem aktuellen Zustand wohl kaum davon angetan wäre, wenn ihn jemand anderes als er selbst berührte. Und nachdem er im Moment bereits so sehr litt, wollte er ihn nicht noch unnötig mit unangenehmen Erfahrungen belasten.
Dankend lehnte Robert ab und machte sich dann daran seinen Weg fortzusetzen. Es kam ihm wie eine gefühlte Ewigkeit vor, bis er endlich am Krankenzimmer ankam und jedes Mal wenn Robert nachgriff, um Johnny besser halten zu können, ächzte dieser gequält auf. Irgendwann kam es ihm so vor, als hörte er ein unterdrücktes Schluchzen und er begann damit, leise und beruhigend auf Johnny einzureden, in der Hoffnung, dass dieser sich ein wenig beruhigte.
Zu seiner Erleichterung lief ihnen tatsächlich niemand über den Weg. Vor der Tür des Behandlungszimmers setzte Robert Johnny ab, auch wenn dieser sich nach wie vor zu weigern schien, auch nur daran zu denken, ihn loszulassen. Er fuhr ihm sanft durch die Haare, ehe er an die Tür klopfte, eintrat und Johnny mit sanfter Bestimmtheit vor sich her schob.
Abgesehen von einer Ärztin, die nächtliche Bereitschaft hatte, war niemand im Raum (was nicht verwunderlich war, hatten die Patienten, die längere Zeit unter ärztlicher Aufsicht stehen mussten, eigene Krankenzimmer) und sie blickte die beiden Neuankömmlinge skeptisch an, ehe sie „Guten Abend“ meinte und Robert andeutete, Johnny zu einer der Liegen zu bringen. Johnny sträubte sich spürbar, doch Robert blieb stur, sodass der Schotte letzten Endes mit erschöpfter Miene, geröteten Augen und zitternd vor ihm auf der Liege saß. Er lächelte ihm aufmunternd zu, dann wandte er sich der Ärztin zu, die nun neben ihnen stand. Auf ihrem Namensschildchen stand in großen Lettern der Name ‚Dr. Charleston‘.
„Was haben wir denn für ein Problem?“, erkundigte sie sich und beäugte Johnny, der darum bemüht schien ihrem Blick auszuweichen.
„Ich nehme an, das Sicherheitspersonal hat sie bereits informiert?“, erkundigte sich Robert und Johnnys Griff um seine rechte Hand wurde fast schmerzhaft. Dr. Charleston nickte und fügte hinzu: „Allerdings waren die Informationen ein wenig knapp bemessen, ich würde mich freuen, wenn Sie mir vielleicht mitteilen könnten, was Sie wissen.“
„Ihm wurde wohl ein starkes Aphrodisiakum oder etwas ähnliches verabreicht“, erklärte Robert und ihm war klar, dass er selbst nicht allzu viel wusste. „Das war im Getränk, glaube ich“, murmelte Johnny mit zittriger Stimme ohne den Blick zu heben. „In Ordnung“, fuhr die Ärztin fort, schob ihre Hand unter Johnnys Kinn und hob seinen Blick an, sodass er sie ansehen musste und sie mit einem kleinen Licht die Pupillenreflexe messen konnte. „Was haben Sie heute gegessen?“
„Ein paar Cookies“, gab Johnny zu und Dr. Charleston hob eine Augenbraue. „Waren Sie nicht beim Essen?“
„Wir hatten uns... gestritten“, nahm Robert Johnny die Antwort ab und beobachtete, wie Johnny widerwillig seinen Mund öffnete und zuließ, dass die Ärztin, nachdem sie seinen Hals abgetastet hatte, einen Blick auf seinen Rachenraum warf. Er war nach wie vor sichtbar verspannt und sein Blick wirkte unruhig.
„Also haben Sie das Mittel auf nüchternen Magen verabreicht bekommen“, während sie das feststellte, krempelte sie vorsichtig Johnnys Ärmel ein Stückchen nach oben und legte ihm das Blutdruckmessgerät um den Arm. Auch hiervon wirkte Johnny wenig angetan und Robert rang sich ein Lächeln ab, wenn auch nur um seinen Freund aufzumuntern, weniger, weil er sich guter Dinge fühlte. Um ehrlich zu sein, war er in Gedanken viel zu sehr damit beschäftigt, sich auszumalen, was passiert wäre, wenn er sich nicht auf die Suche nach Johnny gemacht hätte. Das, was Teodoro geplant gehabt hatte, war nichts anderes als eine eiskalte Vergewaltigung vor laufender Kamera gewesen. Robert fragte sich, wie ein Mensch einem anderen nur auf diese Art und Weise Schaden zufügen konnte. Was zum Teufel war in diesen Teodoro nur hinein gefahren? Zudem hätte er doch wissen müssen, dass das Ganze niemals ohne Konsequenzen geblieben wäre...
Robert war sich in diesem Augenblick nicht sicher, ob er nun an seinem eigenen Verstand oder dem seiner Mitmenschen zweifeln sollte.