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Phantasma

von

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Story Of A Man

„Shawcross!“

Die Stimme meines Vorgesetzten donnerte über den Flur des Großraumbüros, in das sie uns gesperrt hatten. Wir leben in einer Zeit der Wandlung. Das heißt im Umkehrschluss, dass viele um ihren Job fürchten, aber keiner ihn mehr richtig macht.
 

So bin auch ich zu Wesson & Dime geraten. Die Firma schien eine gute Finanzanlage zu sein, dachte ich bei meiner Bewerbung, vergass aber den Umstand, dass das Leben dir selten einen guten Vorgesetzten schenkt. So auch meiner. Mr. Wesson war Urinvestor und Gründervater der Firma und ein unausstehlicher Drecksack, wenn ich das mal anmerken darf. Wenn Sie glauben, Sie haben schlimme Chefs, dann setzen Sie sich mal mit Mr. John-boy Wesson zu einem Geschäftsdinner und ich schwöre Ihnen, sie werden schreiend in die Arme ihres Bosses fliehen. Daher war die Reaktion meinerseits auch eher verhalten, als er mich in sein Büro zitierte – freilich in seiner überaus liebevollen Art.
 

Als ich diesen Winkel der Hölle betrat bemerkte ich zunächst den Geruch nach Salbei und Zigarettenrauch. Im Grunde herrschte im gesamten Haus Rauchverbot, aber das kümmerte den Meister der Zigarren und den Herrn des Firmennamens nicht. Wieso auch?! Wenn irgendjemand meckerte, würde ihm schlichtweg gekündigt.

„Shawcross, ich weiß nicht mehr, was ich mit Ihnen machen soll…“

Wie wär’s mit einer Gehaltserhöhung, einem feuchten Händedruck und einem unterlassenen Arschtritt?, dachte ich.

„Sir?“, sagte ich.

Mit einem selbstgefälligen Grunzen warf er mir eine schwarze Mappe vor die Nase, die ich unschwer als meine eigene Projektmappe erkannte.

„Mist, Shawcross. Mist, Mist, Mist. Das hätte mein verdammter Sohn besser auf die Reihe gekriegt und der krepiert jämmerlich.“
 

Ich fand es immer wieder reizend, wie liebevoll Wesson von seinem Sohn Leonard sprach. Dieser war bereits früh an einem seltenen Stadium von Multiple Sklerose erkrankt und fristete ein jämmerliches Dasein im Rollstuhl und einem Haus, das nicht behindertengerecht umgebaut war. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Wesson sich einen feuchten Hundehaufen darum scherte.
 

„Sir, ich fand es eigentlich…“

„Was Sie finden, ist mir vollkommen egal! Sie hatten einen Vertrag zu entwerfen und das haben Sie in einer absolut miesen Art und Weise erledigt.“ Er beugte sich über den Tisch, sodass mich der Glanz seiner Schweißperlen in dem kurzen, grauen Haar blendete und sein Zigarrenatem mir Übelkeit verursachte. „Dieser Vertrag“ – zärtliches Hämmern mit dem Briefbeschwerer auf genannte Mappe – „ist das Filetstück einer Vereinbarung zweier Firmen, die Sie versaubeutelt haben. Also kriegen Sie Ihren verdammten Kopf aus dem Arsch und erarbeiten Sie einen Vertrag, den man unterzeichnen kann, sonst werde ich auf Ihren verdammten, faltigen Eiern so lange Polka tanzen, bis Ihnen die Augen aus dem Kopf schießen! Haben wir uns verstanden???“
 

Beschissener Tag…, dachte ich. Aber ich war es gewohnt. Ich hatte mein Elternhaus verlassen, um Schriftsteller zu werden. Voller Begeisterung zog ich nach London und mietete mir eine kleine Wohnung in der Südstadt, nahe Croydon. Verdammt verlassenes Fleckchen, aber ich mochte es. Als ich bei Wesson anfing, dachte ich noch an eine Übergangslösung. Noch immer schrieb ich nachts an eigenen Geschichten, aber es wurde weniger. Ich gab es nicht gern zu, aber mich frustrierte dieser Umstand. Ich hatte kaum Freunde, keine Freundin, kein anständiges Hobby. Nur den Job, von dem ich einigermaßen überzeugt war. Bis vor ein paar Tagen, als die Meckereien meines Chefs losgingen.
 

Jetzt stand ich in der Herrentoilette vor dem großen Spiegel und sah mich an. Was war ich geworden? Was wollte ich eigentlich sein? Ich blickte in ein fahles, kränkliches, unrasiertes Gesicht. Meine Haare waren zwar kurz geschnitten, aber dennoch fettig. Es sah aus, als hätte ich mich tagelang nicht gewaschen. Ich war nicht stolz drauf.

Du bist doch wirklich zum Jammern.“, sagte eine Stimme hinter mir.

Ich verdrehte die Augen und wollte beinahe lachen. Jetzt redest du schon mit dir selbst. Spitze, Johnny.

Ich wusch mir das Gesicht mit Wasser, und blickte diesmal in mein feuchtes Antlitz, ehe ich ein Papierhandtuch nahm und darüber nachsann, wie man seinem Leben damit am schnellsten ein Ende machen könnte. Der Tag war überaus beschissen.
 

Als ich nach sieben Stunden Arbeit in mein Appartement in Croydon fuhr, dachte ich über die Stimme nach, die mich im Badezimmer ereilt hatte. Sie hatte tief geklungen, beinahe tönend. Das Vibrato der Stimme verursachte mir Gänsehaut, selbst die bloße Erinnerung daran. Wenn ich mich nicht vollkommen täuschte, meinte ich auch einen Schatten gesehen zu haben. Oder war dies wirklich nur Fantasiedenken?

Ich parkte mein Auto vor der Tür des Mehrfamilienhauses und seufzte beim Anblick des Altbaus. Ich mochte den Anblick von Lichtern und Leben hinter kahlen Häuserwänden. Doch irgendwie machte mir dieser Anblick am heutigen Tag zu schaffen. Ich wollte mich herum drehen und fortlaufen, so beklemmend war dieses Gefühl. Als ich die eiserne Klaue von meinem Herzen losgerissen hatte, betrat ich schließlich meine Wohnung.
 

Es heißt, in England leben wir alle auf einem Fleck. Wenn man sich die Verteilung der Häuser und das Leben darin anschaut, könnte man dieser Vermutung beinahe zustimmen. Meine Wohnung war, wie die übrigen dieses Hauses, recht klein gehalten. Ich besaß zwei Zimmer, Küche und Bad. Eine Diele gab es nicht. Nicht, dass ich sie vermisste.

Ich schmiss meine Tasche und meinen Mantel in die Ecke und ließ mich auf die Couch fallen, die ich - Gott sei gepriesen - in schwarzem Leder gehalten hatte. Das Leder fing mich seicht und weich auf, ehe ich in einen gefährlichen Halbschlummer driftete. Wohl wissend, dass ich noch immer nicht wusste, woher diese Stimme kam.

Seufzend versenkte ich meinen Kopf in den Händen und wollte verschwinden. Nie war der Drang so groß gewesen, mich einfach in Luft aufzulösen. Vielleicht gab ich auch zu schnell auf, das gebe ich zu. Meine Exfreundin Nancy hatte mich am Ende unserer Beziehung einen Schlappschwanz und einen Feigling geheißen. Im Grunde hatte sie Recht damit, auch wenn ich das ungern zugab.

"Dann sei anders."
 

Ich schrak zusammen. Beinahe wäre Tibbles, der wohlgenährte Hauskater meiner Vermieterin, hinter meinem Parterrefenster zusammengebrochen, konnte sich aber noch aus dem Sturz retten.

Ich selbst purzelte jedoch hemmungslos hintüber. Tja, geneigter Leser. Sie werden sich jetzt vermutlich fragen: Warum hat er das Sofa nicht an die Wand gesetzt? Gute Frage. Verdammt gute Frage. Sagen wir, ich bin in manchen Dingen recht unterbelichtet, in vielen jedoch vollkommen beschattet.

Nun, ich fiel. Kaum zu glauben, aber die Schwerkraft leistete auch bei einem schmächtigen Hänfling wie mir seinen Tribut. Rote Blitze explodierten vor meinem Gesichtsfeld, als ich mit dem Hinterkopf aufschlug und ein entsetztes Keuchen von mir gab.
 

Im Grunde wollte ich sogar schreien. Es hätte nicht mehr viel gefehlt. Denn in diesem Moment erschien in der Spiegelung meines Lampenschirms ein Gesicht, dass mir nicht nur einen Schrecken, sondern wahrhaftig die Angst meines Lebens einjagte:

Ein langes, breites und durchweg gut rasiertes Gesicht blickte mich aus dem Spiegellicht an. Die Augen des Fremden waren in einem leuchtenden Gold gehalten, dass mir das trügerische Gefühl von Sicherheit gab, während es sich wie ein glühender Stab durch mein Bewusstsein bohrte. Der Kopf war umrahmt von schönen, dunkelbraunen Locken, die aber durch einen eleganten wie zeitlosen Zylinder zum Teil verdeckt, zum Teil im Zaum gehalten wurden. Jetzt grinste dieser Zylindermann schief und wiederholte seine Worte.

"Wer zum Teufel..."

"Andere Baustelle, mein Freund.", sagte er und lachte aus voller Kehle.

Und bei Gott, dieses LAchen war angenehm. Ich hatte niemanden mehr so frei und jungenhaft lachen sehen. Nicht, seit mich Nancy vor drei Monaten verlassen hatte. Es entfachte in mir eine ungeahnte Sehnsucht, die ich mit Nähe stillen wollte. Und wenn es die Nähe zu einem Spiegelbild war.
 

An dieser Stelle ein kleines Intermezzo:

Hätte ich an dieser Stelle gewusst, was mich an diesem verrückten Tag und an den folgenden erwartete, hätte ich mir vermutlich einen Strick und einen wackeligen Stuhl zu Weihnachten gewünscht. Aber das Schicksal ist manchmal wie eine launische Wirtin. Mal schenkt es dir voll ein und mal verarscht es dich nach Strich und Faden...

Ich sollte dankbar sein, aber das, was nun folgt, mein geneigter Leser, wird Sie vermutlich an den Rand Ihres Toleranzdenkens treiben. Ich hoffe dennoch, dass Sie mir gewogen bleiben. Auch wenn es schwer fallen sollte.

Vergessen Sie nie:

Wir sind alle Teil eines Großen Rades. Und einige von uns sind die Triebfedern...
 


 

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