Zum Inhalt der Seite

Wenn deine Meinung nicht zählt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Wenn deine Meinung nicht zählt

Wenn deine Meinung nicht zählt
 

Seufzend betrachtete ich mich im Spiegel, der vom Dampf der Dusche noch ganz angeschlagen war, und versuchte etwas "cooles" mit meinen Haaren anzustellen. Doch diese legten sich mir mit ihrem hellen Blondton immer wieder ungeschickt über die Augen, die in einem graugrün schimmerten.

Langsam gähnte ich und warf einen verschlafenen Blick Richtung Uhr, die mir schon halb sieben anzeigte.

Wie immer sollte ich auch heute besonders spät dran sein, denn mein Bus fuhr schon um viertel vor, und das, obwohl ich gerade erst einmal im Bad stand.

Schnell eilte ich in mein Zimmer und riss den Schrank auf, der, wie auch nicht anders zu erwarten war, hauptsächlich schwarze Kleidungsstücke beinhaltete. Eigentlich war ich nämlich ein Goth oder wie meine Mutter sagen würde: "Ein dämlicher Satansanbeter!" Die hatte wieder sowas von gar keine Ahnung.

Aber seit mein Vater und ich ein sehr unangenehmes Gespräch über den Dresscode in der Schule geführt hatten, wusste ich, dass ein "Aus-der-Reihe-fallen" wohl nicht mehr gestattet war. Also griff ich nach einem grünen T-Shirt mit Print und einer hellen Jeans, die meine Mutter wohlweißlich direkt vor meiner Nase platziert hatte und schlüpfte hinein. Gähnend warf ich mir noch den Rucksack, der durch die ganzen Bücher wieder einmal viel zu schwer war, über meine Schulter und durfte mir noch eine Standpauke meiner Erziehungsberechtigten anhören, wieso ich denn nicht zum Frühstück gekommen war und, dass das äußerst schlecht für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit sei.

Doch das interessierte mich jetzt gerade nicht im Geringsten und so biss ich noch in eine Birne, natürlich nahm ich keinen Apfel, ich hasse dieses Zeug und es war eben auch nur dazu gut gewesen die Menschen aus dem Paradies zu vertreiben, und öffnete auch schon die Haustür, die mit einem knarrenden Ton aufsprang.

Ich spürte, wie der Rucksack mit jedem Schritt auf meinem Rücken hin und her holperte und, dass das sicherlich wieder blaue Flecken geben würde. In letzter Zeit war ich so sensibel, das gehörte sich einfach nicht für einen Mann und deshalb kaute ich auch kräftig auf meiner Lippe herum, um nicht ganz so gebrechlich zu wirken.

In der Ferne entdeckte ich bereits den violetten Kapuzenpulli meines besten Freundes Eli, der schon auf mich wartete.

Wie jeden Morgen eben.
 

"Heute gibt's Zeugnisse.", rief er mir schon ganz aufgeregt entgegen und schaute mich mit seinen großen braunen Augen von oben herab an. Wieder so einer meiner Komplexe. Ich fühlte mich viel zu klein, denn ich war mit meinen 1,65 der kleinste Junge aus unsere Klasse und dazu auch noch der Älteste. Peinlicher ging es ja schon nicht mehr.

"Hmm.. ich hasse Leistungsnachweise. Meine Mutter reißt mir sowieso wieder nur den Kopf ab. Ach nein, ich habe vergessen, dass sie nicht mehr wütend auf mich sein will, sie ist jetzt nur noch schrecklich enttäuscht.", entgegnete ich mit missmutiger Stimme, während ich neben Eli auf meine Fahrgelegenheit wartete.

Quietschend hielt der Bus vor uns und wäre beinahe schon losgefahren, bevor ich eingestiegen war.
 

"Finn, was ist denn heute mit dir los? Erst reagierst du total flaumig und jetzt hättest du auch noch beinahe in die Schule laufen dürfen.", sprach der braunhaarige Junge neben mir weiter auf mich ein, ehe er endlich auf den Punkt kam.

"Ähm... Finny, weißt du...ich bräuchte Geld für den Klassenausflug. Ich hab's vergessen. Es sind ja nur zehn Euro, da dachte ich...", bevor er seinen Satz zu Ende äußern konnte, fiel ich ihm bereits ins Wort.

"Da dachtest du, dass ich dir einfach was leihen könnte, so wie beim letzten und dem vorletzten Ausflug auch. Ich mach's doch eh. Hier nimm!", sagte ich leise und reichte meinem besten Freund den rötlichen Geldschein, den ich noch während ich gesprochen hatte, aus meiner Hosentasche kramte.
 

Als wir dann endlich im Klassenraum saßen und den Ausflug bezahlt hatten, standen nur noch die Zeugnisse aus. Nervös klammerte ich mich an der Tischkante fest, bis der Lehrer meinen Namen aus der Klassenliste vorlas, um mir das verhasste Stück Papier in die Hand zu drücken.

"Finn, das sieht doch sehr schön aus. Da hast du heute einen Grund zu feiern.", eröffnete er mir mit überschwänglichem Gestikulieren.

Ich lächelte ihn höflich an und entnahm den Zettel seiner Hand. Wie in Zeitlupe steuerte ich meinen Platz an und ließ die Augen über die sieben Einer schweben, die vor mir auf dem Blatt prangten. Nur eine Drei. Mathe. War das nicht akzeptabel?

"Finny, was hast du denn für einen Schnitt?", ertönte Elis Stimme vom Platz neben mir.

Kurz darauf kramte ich auch schon in meinem Ranzen, um den bläulichen Taschenrechner aus seinem Kasten zu ziehen und meinen Notendurchschnitt zu berechnen.

"1,35", sagte ich schließlich knapp und seufzte laut.

"Ich war besser. 1,3.", erklärte Eli freudestrahlend.

Wieder nur Zweiter.

"Schaut euch doch mal bitte Elias Wise an. Dieser Junge ist wieder Jahrgangsbester. Vor allem deine Leistungen in Mathe sind sehr erwähnenswert.", sagte unser Tutor mit stolzer Stimme, während er mich, übrigens Zweitbester unserer Altersklasse, keines Blickes würdigte.

Ich begann zu lächeln, auch wenn mein bester Freund genau wusste, wie ich mich fühlte, so genoss er diesen Moment umso mehr.

Langsam ließ ich meinen Blick in den Reihen meiner Klassenkameraden umherschweifen und musste feststellen, dass Annabelle, ein Mädchen aus meiner Klasse, welche ich schon seit einiger Zeit anhimmele, Eli schwärmerische Blicke zuwarf.

Konnte es denn noch schlimmer kommen, fragte ich mich.

Doch, das konnte es anscheinend.
 

Nach dem Unterricht hatte ich mich bereiterklärt, das Klassenbuch ins Sekretariat zu bringen, bevor ich nach Hause gehen und dort für meine schlechten Matheleistungen getadelt werden würde.

Aber als ich dann zurücklief, um meine restlichen Materialien abzuholen, lief mir ein breit grinsender Eli entgegen, der total aus dem Häuschen war. Wie immer war ich nicht auf den Schock vorbereitet gewesen, der mich gleich wie einen Schlag treffen sollte.
 

"Du, Finn, ich hab ein Date. Nun ja...Annabelle, das Mädchen, das du doch auch so höflich und hübsch fandest, wollte mal mit mir ausgehen. Ich bin riesig froh darüber. Dir als meinem besten Freund wollte ich das gleich erzählen.", fiel er sofort mit der Tür ins Haus und musterte meine Gefühlsregungen mit aufmerksamen Augen.

"Was sagst du dazu?", musste er natürlich auch noch draufsetzten.

Ich hatte Mühe nicht auf der Stelle umzukippen und einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder ähnliches zu bekommen, doch ich riss mich zusammen und setzte wieder dieses künstliche Grinsen auf, welches ich auch schon eben bei der Zeugnisausgabe im Gesicht getragen hatte. Irgendwo freute ich mich sogar für ihn.

Wieso musste er sich immer nur das nehmen, dass mir gefiel oder für mich bestimmt zu sein schien. Das Schicksal meinte es eben nie gut mit mir.
 

"Ich freue mich ehrlich für dich. Aber ich muss jetzt leider gehen. Zeugnis zu Hause präsentieren und dergleichen. Kennst du ja. Wir sehen uns morgen.", beendete ich unsere Konversation so schnell wie möglich, da mir eine leise Träne über die Wange kullerte.

Verdammt, diese Ungerechtigkeit.

Eli sollte schließlich nicht sehen, wie verweichlicht und kindisch ich wirklich war, deshalb lief ich nun auch mit schnellem Schritt in die andere Richtung und merkte erst nach ein paar Metern, dass sich eine große Gestalt vor mir aufbaute.
 

"Hey, ich bin Ronin und du bist dieser kleine Lateincrack, der die letzten vier Jahre nur Topnoten in dem Fach geschafft hat und den Unterricht quasi alleine schmeißt. Hab ich recht oder hab ich recht?", sagte eine tiefe Stimme mit einem freundlichen Unterton, die deutlich an mich gerichtet war.
 

Wieso fielen die Leute neuerdings alle mit der Tür ins Haus und schienen dabei kaum Luftholen zu müssen?

"Ähmm... ich bin Finn.", entgegnete ich verunsichert und wischte dabei den Salztropfen ab, der an meiner linken Wange hängengeblieben war.
 

"Sag ich doch. Pass mal auf. Ich bin im Abiturjahrgang und Latein ist wahrlich nicht mein Freund, da dachte ich, dass du mir vielleicht Nachhilfe geben könntest. Also wenn du willst. Und sonst natürlich auch.", entgegnete er lachend und schien mich dabei ganz schön zu ignorieren.

"Ich denke nicht, dass ich jetzt schon gut genug für den Abiturstoff bin. Ich bin schließlich einen Jahrgang unter dir." Ich klang dabei wohl nicht sehr überzeugt und da hatte er schon recht, wenn ich mich ein bisschen einarbeiten würde, konnte ich ihm das sicherlich erklären.

Aber wieso zur Hölle sollte ich das tun?
 

Erst jetzt, wo ich so in Gedanken versunken war, realisierte ich, dass da der beliebteste Junge der Schule vor mir stand und tatsächlich mit mir, einem jüngeren Schüler, sprach.

Wie er da so lässig die Hände in den Hosentaschen versenkte, konnte ich schon verstehen, wieso er so viele Freunde hatte und die Mädchen ihm in kreischenden Scharen hinterherrannten. Er war groß, an die 1,90 wohl. Hatte pechschwarze Haare, die perfekt frisiert waren und wunderbar bernsteinfarbene Augen, in denen man sich verlieren konnte.

Stopp, was ich denke ich da nur.
 

Aber bevor ich mir den Kopf weiter über mein ungeniertes Verhalten zerbrechen konnte, begann er wieder irgendwelche Worte von sich zu geben.

"Gut, dann heute bei dir. Drei Uhr, vergiss es nicht!", rief er mir noch nach, während er sich bereits zum Gehen gewandt hatte.

"Willst du denn gar nicht fragen, wo ich wohne?". Ich schaute ihn mit großen Augen an und musste unwillkürlich wieder über meine durchdachte Art lächeln.

"Doch, das hatte ich eigentlich vor. Wo wohnst du denn?", äußerte er nun die Frage, die ich eben noch vermisst hatte. Schnell wollte ich ihm antworten, als mir einfiel, dass ich heute den Nachmittag bei meiner Oma verbringen würde, da meine Eltern beide länger arbeiten mussten. Natürlich konnten sie ihren kleinen Jungen da nicht alleine lassen. Wie ich es hasste, dass meine Mutter sich immer solche Sorgen machen musste. Aber war es nicht eigentlich egal, wo ich ihm beim Lernen unter die Arme griff.

"Holunderweg 10. Ich stell mich drauf ein. Bis dann.", antwortete ich ihm schnell und knapp. Das war ich von mir eigentlich gar nicht gewohnt, dass ich jemandem sofort eine Zusage ablieferte, schon gar nicht für Nachhilfestunden und zu Leuten, die ich kaum kannte. Aber das Unmögliche konnte eben geschehen.
 

Auf dem Heimweg dachte ich viel nach: Über die Zeugnisse, Eli, Annabelle, die bald mit meinem besten Freund zusammen sein würde und die ich noch immer unwiderstehlich süß fand. So gemein war das Leben eben.
 

Meine Großmutter hatte bereits den Tisch gedeckt, als ich endlich bei ihr ankam und mich zu ihr setzte, um die erste schreckliche Fragerunde dieses Tages über mich ergehen zu lassen. Ich war dann aber doch erstaunt, wie schnell es doch ging, als ich fünf Minuten später nur noch ein "Also die Drei in Mathe musst du aber noch ändern. " zu hören bekam.
 

Meine Oma war dann aber doch recht enttäuscht, dass ich den Tag nicht wie üblich mit einer Runde Mau-Mau, auf die sie sich vor jedem meiner Besuche freute, sondern mit dem Treffen eines Freundes verbringen würde, doch sie half mir ihr Wohnzimmer aufs Schönste herzurichten, damit mein Besuch sich auch ja gut aufs Lernen einlassen konnte.
 

Als es klingelte, war ich dann so geladen und nervös, dass ich kurz vor einer Explosion in winzig kleine Teilchen stand und nur noch schwer den metallenen Türgriff nach unten drücken konnte.
 

Die Nachhilfe hatte ich mir dann aber doch anders vorgestellt, denn Ronin war ein sehr aufmerksamer Schüler, der sich während dem Unterricht strikt an meine Anweisungen hielt und seine Aufgaben, entgegen meiner Erwartungen, ziemlich gut lösen konnte.

Nachdem die große, braune Standuhr fünf geschlagen hatte, sagte er, dass er jetzt gehen müsse, da man ihn zu Hause erwarte.

"Bevor ich es noch vergesse. Ich habe zwar mein Geld zuhause liegen lassen, aber als Entschädigung bekommst du das hier.", flüstert er mir noch leise ins Ohr und drückte mir etwas kleines buchförmiges in die Hand, das ich sofort mit meinen Fingern umschloss, ehe ich einen Blick darauf geworfen hatte.

"Danke", entgegnete ich trotzdem.
 

Später erfuhr ich, dass ich sogar bei meiner Großmutter übernachten sollte, die mir ihr Gästezimmer zur Verfügung stellte, in das ich mich nach etlichen Runden Mau-Mau auch erleichtert hineinkuschelte.

Als ich dann aber wach auf den Kissen lag und die Uhr erst neun zeigte, kam ich nicht hinweg, Ronins Geschenk näher zu betrachten.

Als ich endlich realisierte, was ich da in meinen Händen hielt, klappte mir nur noch die Kinnlade hinunter.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte diese kleine Geschichte hier nur ein One-Shot werden, aber sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yumiko_Youku
2012-05-19T18:24:38+00:00 19.05.2012 20:24
Hahaha dämlicher Satansanbeter :D
Oh man die Menschheit :D
Von:  TakikoGokudera
2012-04-30T19:24:11+00:00 30.04.2012 21:24
Was ist es?? Was ist es?? Was ist es??
Schreib weiter der Typ ist mir sympathisch und die Geschichte ist auch klasse.


Zurück