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Wenn deine Meinung nicht zählt

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Schritt für Schritt

Schritt für Schritt
 

"Was? Eine Nachtwanderung? Bitte sag mir, dass das tatsächlich die Oberstufe ist und nicht der Kindergarten?", fragte ich Nina leicht genervt, als sie plötzlich von Hinten auftauchte, um Ronin und mich aus unserer Zweisamkeit in die Realität zurückzuholen.

"Entschuldige, ich habe die Planung nicht gemacht. Beschwer dich beim Stufenleiter, Direktor oder sonst irgendwem. Ich wollte euch nur Bescheid geben, bevor es jemand anderes tut. Ihr erscheint mir so in Gedanken zu sein."

Sie lachte leise und reichte mir die Hand, damit sie mir aufhelfen konnte. Langsam ließ ich mich auf die Beine ziehen und mir war doch ein wenig schwindelig, weil ich so lange konzentriert in die Flammen gestarrt hatte. Helle Punkte tanzten vor meinen Augen.
 

"Ich denke mal, sie machen das, weil es unsere Abschlussfahrt ist. Das letzte Jahr als Kinder sozusagen, bevor die Schule uns in die große, böse Welt herausschmeißt und uns aufs Arbeitsleben loslässt."

Ronin klopfte sich den Dreck von der Hose und erhob sich ebenfalls. "Aber Finn, sieh es doch mal positiv. Es ist dunkel und wir können ein bisschen durch den Wald streifen. Ich denke mal nicht, dass man uns groß vermissen wird. Eigentlich kommt uns das doch ganz gelegen."

Über die Tatsache, dass wir nun ungestört in der Dunkelheit herumstreunen konnten, ohne dass uns groß jemand kontrollieren oder beobachten würde, hatte ich noch gar nicht richtig nachgedacht.

"Abgemacht, um ehrlich zu sein, das habe ich gar nicht berücksichtigt."
 

Sachte legte ich meine Hand in seine und er drückte sie kurz, ehe wir uns zu den anderen Schülern begaben, die sich schon kurz vor dem Waldweg versammelt hatten. Anscheinend waren wir nicht das einzige Pärchen, das auf die glorreiche Idee gekommen war, die Zeit ein bisschen für sich zu nutzen.

Ein paar andere hatten sich bereits zusammengeschlossen und an den Händen genommen. Manchmal wünschte ich mir, dass ich Ronins Hand auch mal so unbeschwert halten könnte, ohne über die Folgen nachdenken zu müssen. Einfach nur zu merken, dass er mein fester Freund war, der es nicht scheute, unsere Liebe vor der Stufe oder der ganzen Schule zu zeigen. Und tatsächlich tat er das nicht.

Ich war mir ziemlich sicher, dass es nicht Ronins Schuld war, dass wir nicht hier und jetzt übereinander herfielen. Die Reaktionen der anderen würden ihn kalt lassen, wenn er mich damit nur glücklich machen konnte. Er wollte unsere Beziehung wahrhaftig ausleben, stand mehr zu mir als es jede Freundin wohl jemals getan hätte.

Ich hatte schon viel früher realisiert, dass ich das Problem war. Und dennoch, er akzeptiert es. Er akzeptierte meine Scheu und zwang mich nicht dazu, etwas zu tun, was ich nicht wollte, auch wenn es ihn vielleicht verletzte.

Vielleicht gab ich selbst zu viel auf die Reaktionen meiner Eltern, meiner Klasse, allgemein meines Umfeldes. Manchmal wünschte ich, dass ich auch dazu stehen konnte, dass ich als Junge einen anderen Mann liebte.
 

Von der Seite lächelte ich ihn sanft an und ich konnte erkennen, dass sich auch seine Mundwinkel bei dieser Geste leicht hoben. Kurz darauf bot er mir seine Hand an und ich ergriff sie. Es war dunkel, niemand konnte uns sehen und es fühlte sich sehr gut an. Auch wenn der schale Nachgeschmack blieb, dass dieser Moment wieder vorbei sein würde und das Versteckspiel bald wieder von Neuem begann.
 

Eigentlich wussten wir nicht mal genau, welche Route wir gingen, wahrscheinlich hatten sich die Lehrer auch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht und folgten einfach dem Waldweg.

Allerdings konnte mir das auch egal sein, weil sobald der Zeltplatz hinter uns aus dem Blick geraten und die Gruppe ein paar Meter in der Dunkelheit verschwunden war, zog mich Ronin etwas abseits auf einen Seitenweg.

Langsam lehnte ich mich lachend gegen einen Baumstamm, der in meinem Rücken erstaunlich kalt war. Er stützte sich über mich und küsste mich zärtlich.

"Du bist unmöglich.", sagte Ronin schmunzelnd und stützte sich mit beiden Armen über meinem Kopf ab.

"Wieso das denn?" Ich schüttelte verwirrt den Kopf.

"Weil du viel zu süß für diese Welt bist und ich gar nicht mehr aufhören will, dich zu küssen."

Ich prustete los und musste mir die Hand vor den Mund halten, um nicht lautstark aufzulachen. "Ist das dein Ernst, das ist ja mal voll abgedroschen." Er lächelte weiter. "Na und, ich bin dein Freund und ich darf dir das sooft sagen, wie ich möchte. Und du kannst nichts dagegen tun." - "Wo du recht hast, hast du recht. Aber eigentlich macht es mir auch nichts. Ich habe mich nur total gewundert, sowas aus deinem Mund zu hören."

Ich bemerkte, wie er sogar leicht rot wurde, was er aber zu verbergen versuchte, indem er eine Hand vom Baumstamm löste und sein Gesicht damit bedeckte.

"Da hast du dich wohl in mir getäuscht."
 

Manchmal liebte ich ihn wirklich außerordentlich, alleine für seine Art, mich auf unerwartete und vielleicht schon dumme Weise zum Lachen bringen zu können, für die Momente, in denen er sich gänzlich anders verhielt, als es irgendjemand von ihm erwartet hätte. Inklusive mir selbst.

Manchmal ärgerte ich mich, dass ich anscheinend nicht so ganz auf seine ganze Romantik einging. Aber wahrscheinlich erwartete er das auch gar nicht. Es störte mich auf jeden Fall nicht, es verunsicherte mich nur immer, so viele liebe Komplimente zu bekommen.
 

"So ungern ich das jetzt auch unterbreche, wir sollten vielleicht mal weiter laufen, bevor wir die Gruppe gänzlich aus den Augen verlieren." Ich löste mich aus seinem Griff und er legte mir einen Arm um die Schulter. Wir hätten auch nur Kumpels, einfach beste Freunde, sein können.
 

Langsam schlossen wir auf und verbrachten den Rest der Wanderung schweigend.
 

Es war schon mitten in der Nacht, als wir wieder ankamen und sich alle in ihre Zelte verzogen.

Wir taten es ihnen gleich und ich gähnte. Wahrscheinlich wäre jetzt der richtige Moment gewesen, um aufgeregt zu sein, allerdings war ich relativ entspannt. Ich wunderte mich selbst darüber.

Dieser Moment hatte mir seit Tagen schwer im Magen gelesen, aber jetzt, da er nun so nah bevorstand, verlor ich etwas meiner Furcht.
 

Weil ich vorhin schon ausgepackt hatte, wickelte ich mich einfach in meinem Schlafsack ein und drehte mich zu Ronin, der sich neben mich gelegt hatte und in meine Richtung schaute.

Ehe ich mich versah, hatte er seine Arme von der Seite um mich geschlungen und mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Er rückte noch näher an mich heran und ich konnte ihn nun ganz nah an mir spüren, einen seiner Arme hatte er auf meinen Rücken gelegt und streichelte mich vorsichtig. Ich lächelte und legte meine eigenen Hände auf seine Schultern, um mich an ihm festzuklammern.
 

Wir küssten uns immer wieder, ehe ich bemerkte, dass er eine Hand unter mein Oberteil geschoben hatte. Erschrocken löste ich mich von ihm und sah ihm flehend in die Augen. Es war nicht, als dass ich ihn nicht mögen würde oder seine Hand unangenehm fand, allerdings war ein Zelt auf einer Klassenfahrt für mich etwas einschüchternd. Ich hätte lieber mehr Zweisamkeit gehabt, mehr Zeit, ja, wahrscheinlich sogar mehr Spontanität. Ich wollte keine Planung, ich wollte ihn einfach bei mir haben und seine Anwesenheit genießen. Aber wie immer natürlich, hatte ich es geschafft, das erst im letzten Moment zu merken. Da war ich doch wieder ganz der Alte.

"Du magst nicht?", fragte er ein wenig enttäuscht und zog seine Hand unter meinem Shirt hervor.

Stattdessen fand sie sich an meiner Wange wieder und streichelte sie. Ich liebte ihn.

"Nein, also ja, ich möchte schon, aber nicht hier. Nicht jetzt. Ich will einfach bei dir sein und dich küssen und in meinem Armen halten." Er grinste. "Jetzt bist allerdings du derjenige, der kitschig ist." Ich funkelte ihn gespielt wütend an, konnte aber das Lachen nicht unterdrücken.

"Wo du recht hast..." - "...hast du recht.", nahm er mir die Worte aus dem Mund und grinste. "Scheint mir heute ja ein richtiges Déjà-vu zu sein ."
 

Ich drehte mich auf die andere Seite und wir schliefen schnell ein, während wir uns an den Händen hielten.

Das letzte, was ich noch hörte, war nur ein "...aber du bist sogar noch süßer als vorhin", bevor ich endgültig ins Reich der Träume triftete.
 

Am nächsten Morgen hüpfte mir Nina gut gelaunt entgegen und kicherte verhalten. "Wie war eure Nacht?" Sie war mal wieder viel zu neugierig, aber wie konnte ich es ihr verdenken. Ich erzählte ihr normalerweise fast alles und sie tat das auch mit mir. Manchmal muss man eben in den sauren Apfel beißen. "Schön, also sehr. Zwar nicht wie du denkst, aber wundervoll." - "Freut mich zu hören, Finny. Aber Hauptsache, der Ausflug war ein Erfolg. Dann genieße nochmal die letzten Stunden mit Ronin, bevor der Alltag wieder ruft."

Sie erinnerte mich immer wieder daran, dass ich mich nicht traute, zu mir selbst zu stehen und irgendwie entwertete das viele schöne Erinnerungen. So schien es mir jedenfalls.
 

Im Hintergrund bemerkte ich wie Ronin sich mit dem Zeltabbau abplagte und irgendwie fühlte ich mich schlecht, dass ich nicht daran gedacht hatte, ihm zu helfen.

Er winkte mir nur zu und lachte weiter, anscheinend hatte er nicht mal damit gerechnet.
 

Ich konnte ganz schöne Selbstzweifel bekommen, wenn ich daran dachte, was meine beste Freundin und mein Freund alles für mich taten und auf sich nahmen. Eigentlich war ich ihnen beiden schuldig, dass ich die Wahrheit sagte. Und zwar vor allen. Doch ich war nun einmal ich, Finn, feige und ängstlich und viel zu abhängig von meinen Eltern.

Ich seufzte, mehr über mich selbst als über die Situation, in der ich mich befand.
 

Etwas später schon hatten wir die Rückfahrt angetreten und ich starrte die meiste Zeit einfach aus dem Fenster und betrachtete die Bilder, die schnell an mir vorbeizogen.

Völlig in Gedanken versunken, bemerkte ich nicht einmal, als der Bus hielt und die anderen schwatzend ihre Plätze verließen.

"Finn, kommst du." Nina hielt mir ihre Hand entgegengestreckt und wartete nur, dass ich diese nahm und meine Eltern begrüßen gehen würde, die schon an der Straße standen und auf mich warteten.

"Klar." Ich schob die Gedanken mal ein bisschen zurück, da ich festgestellt hatte, dass wir die letzten waren, die hier vor sich hin trödelten.
 

Mein Vater nickte mir zu, als er Nina und mich erblickte und wollte mich gerade richtig begrüßen, als Ronin kurz zu uns herübergelaufen kam, um sich zu verabschieden.
 

Ich wusste nicht genau, was in mich gefahren war, aber aus einem unterbewussten Reflex heraus ließ ich Ninas Hand los und ging ein paar Schritte auf ihn zu.

Langsam umschlang ich ihn mit meinen Armen, zog ihn an mich und küsste ihn.

Vor meinen Mitschülern, vor meinen Lehrern, vor meinen Eltern.
 

Den Gesichtsausdruck meines Vaters nahm ich gar nicht wahr, wollte es nicht, es war mir schlicht egal geworden.

Hier ging es nicht um meine Eltern, sondern um mich. Und ich hatte Ronin.
 

Als ich aufblickte, sah ich nur noch Nina, wie sie meinen Eltern frech zuwinkte und eine wissende Handbewegung machte.

"Süß die beiden, nicht wahr?", rief sie mit meinem provokanten Lachen in deren Richtung.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin doch tatsächlich fertig und habe mein KreaTief überwunden! Komplett anzeigen

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