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Wenn deine Meinung nicht zählt

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Lagerfeuer

Lagerfeuer
 

Als ich am nächsten Morgen in meinem weichen Bett erwachte, pochte mein Herz immer noch vor Aufregung.

Heute Abend um sechs Uhr würde der Schulausflug beginnen und eine ganz besondere Nacht für mich anbrechen. Doch bis dahin blieb mir noch genug Zeit, um in meiner Nervosität zu ertrinken und den Teufel aufs Schlimmste an die Wand zu malen. In meinem Kopf spukten die wildesten Gedanken, was ich nur alles falschen machen und wie ich Ronin überall enttäuschen konnte.
 

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, dass ich mich vorher nochmal im Internet über das Thema erkundigen wollte, aber nach den Ereignissen, die sich in den letzten Tagen abgespielt hatten, konnte ich mir das wirklich nicht mehr erlauben. Wenn meine Eltern meinen Rechner nur annähernd genau durchsuchten und auf gewisse Seiten stoßen würden, war ich erstens endgültig geliefert und zweitens konnte ich den heutigen Abend, auf den ich mich nun doch übertrieben freute, komplett vergessen. Und drittens durfte ich das letzte halbe Jahr meines siebzehnten Lebensjahres in einer Klosterschule verbringen, bevor ich endlich ausziehen durfte. Das war nicht wirklich das, was ich mir von meiner Schulzeit erhofft hatte.

Deshalb hatte mir Nina angeboten, dass ich doch zu ihr kommen könne und sie mir bei meinem Styling und dem Lesen diverser Onlineseiten beistehen würde.
 

In den letzten paar Wochen war sie zu meiner einzig wahren Verbündeten im Kampf gegen die Intoleranz meiner Eltern geworden. Ich wusste das sehr zu schätzen.

Immer wieder überlegte ich, wie ich ihr für alles danken konnte, aber leider fiel mir nichts ein, was das wirklich zum Ausdruck bringen konnte.
 

Nachdem ich bis zu ihrem Haus gelaufen war, um ihr den verabredeten Besuch abzustatten, war mein Herz schon tief in meine Hose gerutscht.

Was war ich nur für ein Weichei, dass ich mich selbst vor dem ersten Mal mit meinem eigenen Freund fürchtete?

Ronin schien sich darüber nie Gedanken zu machen. Er wirkte so unbeschwert wie eh und je. Wie konnte er diesen wichtigen Schritt in unserer Beziehung so auf die leichte Schulter nehmen?

Alleine diese Frage hallte ewig in meinem Kopf wider, bis ich erschöpft die Hände gegen die Stirn schlug, um jeglichen Gedanken ein Ende zu bereiten und der Leere Platz zu schaffen.
 

Die 19-Jährige erwartete mich bereits ungeduldig. An ihrer für sie ungewöhnlich aufgekratzten Art war zu erkennen, dass ihr mentaler Zustand ungefähr mit meinem übereinstimmte. Es war wahrhaft schön, wenn man jemanden an seiner Seite wissen konnte, der sich mit den eigenen Gefühlen und Bedenken auseinandersetzte. Nina war so ein Mensch für mich.

Sie fiel mir kurz sanft um den Hals.
 

"Schön, dass du da bist, Finn. Wir vertreiben jetzt mal all deine Sorgen, du wirst sehen.", sagte sie nun wieder. Ganz die Alte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, die sie in roter Farbe angepinselt hatte, und verbreitete gleich gute Laune. Wieso verstand sie sich so verdammt gut darauf, wie man mich aufmuntern konnte?
 

Sie packte mich an der Hand und zog mich in ihr Zimmer. Das Chaos und Zettelwirrwarr, das sich dort auf dem Boden erstreckte, nahm mir kurzzeitig den Atem. Bei genauem Hinsehen stellte ich jedoch fest, dass es sich um allerhand ausgedruckte Zettel zu dem Thema handelte, was mich so beschäftigte.

Unsicher ließ ich den Blick schweifen.
 

"Ach du meine Güte, das ist viel! Wir wollen doch keinen Porno drehen." , rief ich geschockt aus und schlug mir eine Hand vor den Mund.

Kurz darauf steuerte ich ihr Sofa an, wobei ich möglichst versuchte, dass ich keine der herumliegenden Sachen beschädigte.

"Man kann nie genug vorbereitet sein, Kleiner.", entgegnete sie verschmitzt. Scheinbar war ihr nicht entgangen, dass ich wieder rot wurde. Sie fragte mich so viel. Was ich denn alles darüber wüsste, wie zwei Männer miteinander schlafen konnten? Was ich für Erwartungen an den heutigen Abend hatte, wie ich mir das vorstellte und so weiter?

Meine Wangen waren vor Scham schon ganz heiß geworden und ich hatte nur mit größter Mühe eine Flucht unterdrücken können.

Ich hatte mir schon oft gewünscht, weiter aufgeklärt zu sein, aber bisher war mir dies durch die Kontrolle meiner Eltern wirklich nicht möglich gewesen.

Immerhin war ich nun schon siebzehn, ein bisschen peinlich war mir das Ganze ja schon.

Dieses Gebiet war Neuland für mich und sie hatte recht, dass ich dringend mehr darüber in Erfahrung bringen sollte. Trotzdem brachte sie mich mit ihrer Fragerei immer wieder in Verlegenheit.
 

"Sag mal, woher weißt du denn so viel darüber?", rutschte es mir dann aber doch heraus.

"Ich.. ähm...", sie stotterte. "Ich habe mich einfach ein bisschen für dich erkundigt, Finn. Um dir ein bisschen Arbeit abzunehmen. Du hattest doch in letzter Zeit schon genug Stress mit deinen Eltern."

Ich merkte, dass das, was sie sagte, der Wahrheit entsprach, jedoch war da noch etwas in ihren Augen. Es schien so, als wollte sie mich nicht überfordern. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sie irgendetwas, das von der Form einem Buch glich, unter einem der vielen Kissen, die auf ihrer Couch herumlagen, verschwinden ließ.

Ich fragte nicht nach, schaute lediglich ein bisschen verwirrt drein. Nina schien das aber nicht zu bemerken.

Ich rechnete damit, dass es wieder so ein Manga war. Manchmal konnte es ihr echt peinlich sein, dass sie ihr Wissen aus solchen Heft bezog. Ich war ihr umso dankbarer.
 

"Na dann, wie es aussieht, haben wir noch viel vor.", sagte sie und nötigte mich dazu, ihre Infozettel restlos zu lesen, ehe sie begann mit einer Dose Haarspray an meiner Frisur herumzuhantieren.

"Und jetzt solltest du vor allen Dingen hübsch aussehen, aber das ist ja bei deinem Gesicht nicht sonderlich schwer.", ergänzte sie, während sie den letzten Schliff an meinen Haaren vornahm. Das ganze Zimmer hatte sich bereits mit dem stechenden Geruch der Spraydose gefüllt, jedoch schien das Nina nicht zu stören. Sie sprühte munter weiter und schaffte es tatsächlich meine Frisur zu bändigen.

"Perfekt, Kleiner, er wird dich lieben. Aber das tut er ja eh schon.", sagte sie freudig und begann ein paar ihre Kleidungsstücke zusammenzusuchen und in eine schwarze Reisetasche zu packen.

"Ihr seid so niedlich zusammen. Ich wünsche dir heute Abend auf jeden Fall ganz viel Spaß.", redete sie wie ein Wasserfall weiter. Ich merkte, dass ich wieder rot anlief. "Niedlich war eigentlich nicht das Wort, das mir vorschwebte, aber ich danke dir." Ich lächelte unbeholfen.

Wieso konnte sie nicht eine Gelegenheit auslassen, um mich an das Bevorstehende zu erinnern?
 

Als ich wieder daheim war, war ich extrem erleichtert, dass ich meine Tasche für den Ausflug schon gestern Abend gepackt hatte.

Meine Haare waren dank Nina nun schon fertig und umgezogen war ich auch schon. Es blieb einzig und alleine meine Nervosität zurück, die mich total aufwühlte.

Aber es half alles nichts und irgendwie schaffte ich es dann doch noch, dass die Zeit vorbeiging, ohne dass mich die Aufregung wahnsinnig gemacht hatte.

Meine Eltern hatten mich zum Busbahnhof gefahren, von dem der Ausflug starten sollte.
 

Als wir ankamen, waren Nina und Ronin bereits dort. Überall tummelten sich Schüler und redeten aufgeregt miteinander. Hier und dort schärfte eine besorgte Mutter ihrem Kind ein, dass es auf keinen Fall gegen die Regeln verstoßen solle. So auch meine Mutter. Viele von unseren Elternteilen hatten wohl noch nicht verstanden, dass ihre Kinder erwachsen geworden waren.

Mein Vater hingegen warf mir eine Geste zu, die bedeutete, dass ich ruhig meine vermeintliche Freundin begrüßen konnte.

Er hatte wohl meinen Blick bemerkt, der ständig in die Richtung wanderte, in der sich Nina befand. Doch das täuschte. Direkt neben ihr lehnte Ronin an einer Wand und kramte in seinem Rucksack. Ihn hatte ich die ganze Zeit angestarrt.

Seufzend wandte ich meine Augen von ihm ab und schlürfte Nina entgegen, die mir einen mitleidigen Gesichtsausdruck schenkte. Wahrscheinlich hatte sie mitbekommen, wie verlangend ich meinen Freund angestarrt hatte. Jedoch wusste auch sie, dass ich, solange meine Eltern anwesend waren, eine Show abziehen musste.

Ich umarmte sie sanft.
 

Ronin stand auf. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass er meinen Eltern einen wütenden Blick zuwarf. Ich konnte ihn ja auch irgendwo verstehen. Auch ich hätte lieber ihn umarmt. Er seufzte und betrachtete uns, als würde er in diesem Moment nichts lieber tun, als seine Position mit Nina zu tauschen.

Kurz darauf betraten wir den Bus und ich setzte mich notgedrungen neben meine beste Freundin, Ronin ließ sich genau hinter uns nieder. Den Sitzplatz neben sich blockierte er mit seinem Rucksack.

Ich winkte meiner Mutter und wartete, dass der Bus das Sichtfeld meiner Eltern verlassen hatte. Danach lächelte in Ninas Richtung und drehte mich kurz um, damit ich Ronin anschauen konnte.

"Na, geh schon.", grinste meine beste Freundin mich an und deutete mit der Hand auf den freien Platz neben Ronin. Dankend nickte ich ihr zu.
 

Mein fester Freund hatte seinen Arm bereits auf die Lehne des Sitzes gelegt, auf dem ich mich nun niederließ. Seine Haut fühlte sich warm an, als sie meine Schulter streifte. Eine Zeit lang führten wir belanglosen Smalltalk, lachten ein bisschen und alberten herum. Doch der schwarzhaarige Junge neben mir schien zu bemerken, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte. Ich machte mir immer noch Sorgen.

"Alles in Ordnung mit dir, Finn?", fragte er und musterte mich mit durchdringendem Blick.

"Ja, alles gut. Was soll denn sein?", antwortete ich. Ich musste stark bleiben, schließlich wollte ich es doch auch. Ich war lediglich ein wenig schüchtern.

"Du siehst so bedrückt aus." Ronin beugte sich vor und legte eine Hand an mein Kinn. Mein Gesicht brannte bei der Berührung und ich hatte den Drang ihn zu küssen. Natürlich konnte ich das in diesem vollen Bus nicht tun, aber ich genoss seine Berührung ungemein.
 

"Nichts, ich war nur ein wenig in Gedanken. Ich freue mich einfach immer, wenn ich dich sehen kann.", sagte ich und legte eine meiner Hände auf die Finger, die immer noch auf meinem Kinn verweilten.

Etliche Minuten blieben wir so, ehe Ronin meine Nase mit seiner eigenen anstupste und die Berührung löste.

Zum Glück schien uns keiner bemerkt zu haben.

Ohnehin hatte ich in den letzten Tagen oft genug erklären müssen, woher ich Ronin eigentlich kannte. Fast immer endete dies in einer unglaubwürdigen Erzählung, die ich vor mich hin gestottert hatte.

Womöglich hatten manche meiner Mitschüler schon einen vagen Verdacht, der sich möglichst nicht erhärten sollte.
 

Als wir ankamen, brach erstmal Chaos und Hektik aus, da die meisten noch nie im Leben ein Zelt aufgebaut hatten. Aus irgendeinen Grund waren auch die Lehrer hierbei keine große Hilfe.

Bei uns verlief es jedoch reibungslos.

Wir hatten ein schönes, recht weit außerhalb gelegenes Plätzchen gefunden und Ronin hatte es irgendwie geschafft, das Zelt in Windeseile aufzubauen. Er hatte das sicherlich schon einmal gemacht.

Als alle fertig waren, war es bereits dunkel geworden und der einzige Programmpunkt, der für heute noch anstand, war das Abendessen.

Grillen am Lagerfeuer.
 

Das alles hätte so romantisch sein können, wenn wir uns nicht immer nur wie gute Freunde verhalten müssten.

Nichtsdestotrotz ließen wir uns etwas abseits der Gruppe nieder und starrten ins Lagerfeuer.

Ich genoss einfach seine Nähe. Wenn er bei mir war, wollte ich auch gar keine großen Ansprüche mehr stellen. Einfach nur glücklich sein, trotz des Versteckspiels.
 

Nach einiger Zeit registrierte ich, dass er einen Arm um meine Schulter gelegt hatte.

Er schien auch bemerkt zu haben, dass uns keiner mehr beobachtete. Alle waren in ihre eigenen Gespräche vertieft.

Sanft ließ er seine Hand über meinen Rücken gleiten, streichelte ihn immer wieder zärtlich. Mir wurde flau im Magen, aber es war ein positives Gefühl. Wieder überkam mich dieses Verlangen, ihn küssen zu wollen. Zärtlich meine Lippen auf seine zu legen. Aber wenn genau dann jemand herüberschauen würde? Nein, das konnte ich mir nicht leisten.
 

Ich war noch ganz in Gedanken versunken, als ich spürte, dass die Hand tiefer gewandert war und sich nun an meinem Hinterteil befand. Sachte strichen die langen Finger über den Stoff meiner Jeans und ließen, überall wo sie mich berührt hatten, ein Kribbeln zurück.

Es war ein wohliges Gefühl. Ich japste noch Luft und unterdrückte ein zu lautes Aufkeuchen.

Seine Augen hefteten sich auf mein Gesicht. "Tut mir leid.", sagte er.

"Das braucht dir nicht leid zu tun. Es fühlt sich wundervoll an.", entgegnete ich mit glasigen Augen. Das Feuer spiegelte sich in ihnen.

Tatsächlich war mir ganz heiß geworden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die lange Wartezeit tut mir wirklich leid, hasst mich bitte nicht.
Meine Schreibblockaden sind immer eine sehr langwierige Angelegenheit. Komplett anzeigen

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