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Demon Girls & Boys

von

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Versteinertes Herz

Versteinertes Herz
 


 

Immer noch betroffen schaute Janine dem davonfahrenden Krankenwagen hinterher und musterte kurz darauf Benni.

Carsten war schwer verletzt, Jack hatte seinen Großvater ermordet und nun kam auch noch sein Vater ins Krankenhaus… Und dennoch stand er da, einige Meter von ihr entfernt, mit unveränderter, ausdruckslos wirkender Miene und beobachtete seine Mutter, die eindeutig mit den Tränen zu kämpfen hatte.

Nein, Janine musste sich berichtigen. Bennis Miene war nicht ausdruckslos. Sie schien eher wie versteinert. Es wirkte fast so, als würde er seine Emotionen absichtlich abschalten. Als würde er es sich nicht erlauben wollen, durch irgendwelche Gefühle beeinflusst zu werden. Oder als würde er es nicht ertragen können, wenn er es zuließe…

Wortlos machte er kehrt und ging zurück ins Haus. Öznur schaute sie und Lissi fragend an. „Was hat er vor?“

„Ich denke diese Tagebücher holen.“, vermutete Lissi.

„Ja aber…“ Öznur warf einen mitfühlenden Blick auf Samira, als Benni kurz darauf das Haus auch schon wieder verließ, tatsächlich mit zwei großen Taschen in der Hand, in denen sich wahrscheinlich die Bücher befanden. „Wir können sie auch in Karibera durcharbeiten.“, meinte er nur und wandte sich an seine Mutter. „Möchtest… du mitkommen?“, fragte er zögernd.

Diese nickte kraftlos.

Schweigend verließen sie Zukiyonaka wieder, bis sie die Magiebarriere verlassen hatten, damit Janines Teleportzauber seine Wirkung zeigen konnte.

Die ganze Zeit über ging Benni wortlos an der Seite seiner Mutter, doch niemand der Mädchen konnte es ihm verübeln, nichts zu machen. Immerhin kannte er diese Frau gerade mal ein bis zwei Monate…

Janine war dankbar, endlich die Magiebarriere passiert zu haben und teleportierte die Gruppe sofort nach Karibera. Offensichtlich war die Magiebarriere dort noch nicht wiedererrichtet worden, denn sonst hätte sie das beim Aussprechen des Zaubers spüren und ihn abbrechen müssen, da es sonst unschöne Folgen für sie alle hätte.

Doch so konnten sie direkt beim Krankenhaus wieder ankommen, wurden auf dem Weg zum Zimmer von Carsten und Eagle allerdings von Ariane, Susanne, Anne und Laura abgefangen.

„Und? Habt ihr was herausgefunden?!?“, fragte Laura drängend, hielt aber inne, als sie die Gesichter genauer betrachtete. „Was… Was ist denn passiert?“

„Gehen wir erst mal zu den anderen beiden.“, wich Öznur schnell aus. „Wie geht’s ihnen eigentlich?“

Anne zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Es wurde jedenfalls schon wieder die ‚Demonstrativ-alleine-lassen-Taktik‘ angewandt.“

„Das heißt, es könnte sein, dass sich die beiden endlich mal vertragen?“, fragte Öznur hoffnungsvoll.

„Wer weiß.“, meinte Anne, eher am Erlebnis der anderen interessiert.
 

~*~
 

Betrübt starrte Carsten an die weiße Decke, nachdem die Mädchen den Raum verlassen und ihn mit Eagle alleine gelassen hatten.

In seinem linken Bein spürte er dieses ungemütliche Kribbeln, wie wenn ein Körperteil eingeschlafen war, was ihm zeigte, dass nun auch dort langsam die Lähmung begann. Sein linker Arm ließ sich bereits gar nicht mehr bewegen…

Würde er wirklich so sterben? Er hatte es tatsächlich geschafft, die sechs schlimmsten Jahre seines Lebens im FESJ zu überstehen und nun würde er doch sterben?

Eigentlich hatte Carsten seit seiner Kindheit schon immer davon geträumt, alles Mögliche zu erkunden. Erst Damon, dann das zerstörte Gebiet und schließlich den Rest der Welt. Er wollte alles gesehen haben, nicht nur Indigo, Yami und die grauen Mauern des FESJ.

Doch nun konnte er das vergessen. Es gab kein Heilmittel, egal wie angestrengt die anderen gerade danach suchten…

Eine Welle von Angst überkam Carsten. Plötzlich fühlte sich jeder Atemzug unglaublich schwer an als wäre in seiner Brust überhaupt kein Platz für so etwas wie Sauerstoff. Er versuchte ruhig zu bleiben, sich zusammen zu reißen. Warum mussten die Mädchen ihn auch ausgerechnet mit Eagle zurücklassen?! Lieber wäre er alleine seinen Gefühlen ausgesetzt als in Gegenwart von demjenigen zu sein, der ihn von allen am meisten hasste!

„…Brauchst du etwas?“, fragte dieser ihn plötzlich zögernd.

„Ja. Reiß von mir aus deine Sprüche und verschwinde dann.“, antwortete Carsten, so schroff es ihm mit seiner zitternden, erschöpften Stimme möglich war. „Ich will zumindest meine letzten Stunden, die ich lebend verbringe, nicht gedemütigt werden…“

Die Antwort darauf war allerdings bloß eine unangenehme Stille, die Carstens angestrengten, fast schon panischen Atem nur noch mehr betonte.

Seit Carsten aufgewacht war, schien Eagle schon so eigenartig schweigsam. Regelrecht bedrückt.

Vorsichtig drehte Carsten seinen Kopf so weit, bis er seinen Bruder beobachten konnte. Vorhin hatte er sich auch bereits so ungewohnt hilfsbereit gezeigt, was Carsten sehr verwunderte.

Noch überraschter war er, als er Eagle auf der Bettkante sitzen sah, gar nicht so selbstsicher wie sonst. Die Ellenbogen hatte er auf die Knie gestützt und den Kopf gesenkt. Sein Gesicht wurde zum Teil von seinen langen schwarzen Haaren verdeckt, die er zur Ausnahme nicht zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.

Nach einem länger anhaltenden Schweigen brachte Eagle schließlich ein „Es tut mir leid…“ über die Lippen.

Diese Entschuldigung warf Carsten so aus der Bahn, dass er für einen Moment lang sogar seine Lähmung vergaß und Eagle einfach nur vollkommen irritiert anschaute.

„W-was… Wie meinst du das?“, fragte er nach einiger Zeit schließlich.

Eagle schien irgendwie zu einer Erklärung ansetzen zu wollen, sagte allerdings doch nichts, als würde er die richtigen Worte nicht finden können.

Carsten konnte die Zeit nicht einschätzen, in der er seinen großen Bruder einfach nur beobachtete. Er beobachtete, wie Eagle gebeugt auf dem Bett saß, den Blick abgewandt hatte und mit dieser Situation vollkommen überfordert schien.

Dieses bedrückte Schweigen hielt eine ganze Weile an und kam Carsten mit der fortschreitenden Lähmung wie eine Ewigkeit vor.

Folglich war er irgendwie dankbar, als es an der Tür klopfte und Eagle zögernd darauf erwiderte: „Herein…“

Es waren Ariane, Susanne, Anne und Laura, überraschender Weise gefolgt vom Rest der Gruppe, der eigentlich nach Cor wollte und weiterhin noch Samira und Saya.

Eine Sorgenflut überkam Carsten, als er Öznurs, Lissis und Janines entmutigte Gesichter sah und erstrecht, als er bemerkte, wie niedergeschlagen Samira schien.

„Was ist passiert?“, erkundigte er sich mit einer grausigen Vorahnung und schaute fragend seinen besten Freund an. Ein eisiger Schauder überkam ihn, als er Benni sah. Eigentlich schien seine Mimik wie sonst auch ziemlich neutral, Carsten konnte jedoch genau das Leid darin erkennen. Ein großes Leid. „Benni, was ist los?“
 

~*~
 

Laura beobachtete, wie sich die Mädchen auf die paar Stühle und das Bett, in welchem Eagle noch saß, verteilten. Benni gesellte sich wie gewohnt nicht zu ihnen, sondern lehnte sich etwas abseits gegen die Fensterbank. Laura wusste, dass irgendetwas Schreckliches passiert war, auch wenn noch niemand etwas dazu gesagt hatte. Deswegen setzte sie sich gleich neben Benni auf die schmale Fensterbank, in der Hoffnung, irgendwie für ihn da sein zu können.

„…Also? Was ist nun passiert?“, fragte Ariane vorsichtig in die Runde, nachdem niemand von sich aus mit einer Erklärung anfangen wollte.

Es war Öznur, die schließlich das Wort ergriff: „Als wir in Cor ankamen, merkten wir sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Nun ja und dabei handelte es sich… um einen Brand.“

„Etwa dasselbe Feuer, was auch damals bei… bei Eufelia-Sensei war?“, fragte Laura geschockt, auch wenn es ihr schwerfiel, das in Bennis Gegenwart so direkt auszusprechen.

Özi schüttelte den Kopf. „Nein, es ließ sich zum Glück dieses Mal kontrollieren, aber trotzdem… trotzdem ist… hat Herr Weihe…“

„…es nicht überlebt.“, beendete Janines leise Stimme Öznurs Satz.

Laura war, wie als fiele sie aus allen Wolken und schlug qualvoll auf dem Boden auf. Herr Weihe war tot? Nicolaus? Bennis Opa?!?

Der Rest schien ebenso geschockt wie sie selbst, nur Frau Yoru nicht, die ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten konnte und sofort von Saya in den Arm genommen wurde.

Vorsichtig warf Laura einen Seitenblick auf Benni, doch an seiner Mimik hatte sich nichts verändert. Er wirkte äußerlich immer noch kühl, fast so wie eingefroren. Doch an seinen Augen konnte Laura die Trauer deutlich erkennen, als schien ihm die Selbstbeherrschung im Moment tatsächlich schwer zu fallen. Deshalb nahm sie sanft seine Hand und strich mit ihrem Daumen über seinen Handrücken.

Sie wollte ihm zeigen, dass sie es irgendwie versuchte, für ihn da zu sein, ihm irgendwie Trost spenden wollte.

Nach einer Weile meinte Lissi schließlich: „Na ja, und auf einmal hat Benni gemeint, dass Mars anscheinend schon weiß, wer er ist und dann sind wir nach Yami und dort sind wir auf Lukas gestoßen, der Jacob angegriffen hatte.“

„Was?!?“, fragte Laura erschrocken und verstärkte automatisch den Griff um Bennis Hand. „Aber er… Ihm… Ihm ist doch nichts passiert, oder?“

Janine schüttelte den Kopf. „Nichts allzu Schwerwiegendes jedenfalls. Benni ist noch rechtzeitig gekommen.“

Ein ungemütliches, deprimiertes Schweigen breitete sich in dem Raum aus und sie konnten nur hören, wie Samira leise schluchzte. Es musste schrecklich für sie sein. An einem einzigen Tag wurde ihr Mann angegriffen und verwundet und ihr Vater war gestorben.

Bennis Hand, die Laura hielt, spannte sich an als er mit gesenktem Blick sagte: „Es tut mir leid.“

„Das ist doch nicht deine schuld!“, widersprach Laura ihm aufgebracht.

„Genau genommen schon…“, erwiderte Anne trocken.

Vorwurfsvoll funkelten die Mädchen sie an, doch Anne zuckte mit den Schultern. „Was denn? Der Purpurne Phönix ist hinter dem eiskalten Engel her. Die anderen sind alle nur Kollektivschaden und für ihn nur soweit von Wert, als dass sie Benni schaden können. Also würde ich an eurer Stelle vorsichtig sein. Carsten hat’s doch auch schon erwischt, würde mich nicht wundern, wenn auch Samira, Konrad und insbesondere Laura auf seiner Liste stehen.“

„Anne, es reicht!!!“, schrie Laura sie an, als sie merkte, wie sich Benni bei jedem ihrer Worte mehr und mehr verspannte.

Anne zuckte bei ihrem schroffen Tonfall zusammen und wollte etwas darauf erwidern, doch als sie Lauras Blick sah, blieb sie überraschender Weise tatsächlich still. Was vermutlich auch besser für ihre Gesundheit war. Denn obwohl Laura nun die Finsternis-Energie unter Kontrolle hatte, war sie sich im Moment nicht sicher, ob Anne da heil rauskommen würde.

Laura warf Carsten einen hilfesuchenden Blick zu, der ihn allerdings ebenso ratlos erwiderte.

Trotz seiner schweren Verletzung machte er sich im Moment genauso viele Sorgen um Benni, wie sie selbst. Denn es war mehr als offensichtlich, dass es Benni schwerfiel, seine Maske aus Stein nicht zu verlieren.

Besonders, nach dieser absolut taktlosen Aktion von Anne!

Sanft nahm Laura auch Bennis andere Hand. „Möchtest du mit rauskommen?“

Das war das einzige, was ihr im Moment einfiel, um ihm auch nur irgendwie eventuell helfen zu können. Benni brauchte seine Freiheit. In der Natur fühlte er sich am wohlsten. Also hoffte Laura, dass ihm die Natur nun irgendwie Trost spenden könnte, wenn sie selbst schon nicht dazu in der Lage war. Und außerdem wollte sie ihn auch einfach nur weg von den ganzen Leuten hier bringen. Klar, hier waren auch noch Frau Yoru und Carsten. Und Laura war sich ziemlich sicher, dass Benni die beiden ebenfalls brauchte, auch wenn er Frau Yoru noch nicht lange kannte. Und Carsten würde Bennis Gegenwart bei seiner schlimmen Verfassung garantiert auch gut finden…

Aber trotzdem musste Benni hier raus.

Und tatsächlich beantwortete er ihre Frage mit einem schwachen Nicken.

„Wir gehen etwas spazieren.“, meinte Laura nur, an den Rest gewandt und verließ mit Benni das Krankenzimmer.

Es war ein warmer, gemütlicher Tag und in der Luft lag ein herrlicher Duft von Wiesen, Blumen und Bäumen. Die Temperatur war perfekt für ein T-Shirt, aber nicht zu heiß und die Sonne löste ein angenehmes Prickeln auf Lauras Haut aus.

Sie hoffte, dass diese friedliche Gegend ihre Wirkung auf Benni nicht verfehlte und tatsächlich meinte Laura zu spüren, dass er weniger verspannt war. Deswegen nutzte sie die ländliche Umgebung in Indigo aus und steuerte direkt auf den Wald zu, der in der Nähe von Karibera lag.

Dort angekommen schaute Laura Benni verunsichert an. „Möchtest du lieber alleine sein?“ Auch wenn ihr der Gedanke nicht gefiel, musste sie ihm doch diese Frage stellen. Denn wenn sie mit Benni in der Natur unterwegs war, kam sie sich häufig irgendwie überflüssig vor. Sie hatte das Gefühl, als würde er lieber alleine sein. Als wäre sie ihm nur ein Klotz am Bein.

Doch Benni schüttelte den Kopf.

„Wirklich nicht?“, verwundert schaute Laura ihn an.

Anstatt darauf zu antworten, nahm Benni einfach nur wieder Lauras Hand und ging weiter, tiefer in den Wald hinein.

Da Laura im ersten Moment noch total von der Rolle war, stolperte sie die ersten paar Schritte hinterher, ehe sie sich wieder fassen und ihr Schritttempo an Bennis anpassen konnte.

Eine Weile liefen sie bloß nebeneinander den Waldweg entlang.

Laura wollte irgendetwas sagen, etwas wie ‚Es tut mir leid wegen Nicolaus‘, doch sie hielt sich zurück. Irgendwie fühlte es sich falsch an, das Schweigen zu brechen.

Es war keine ungemütliche Stille. Es schien eher, als würden Benni und sie einfach nur die Landschaft und die Gegenwart des jeweils anderen genießen. Insofern man das in der gegenwärtigen Situation so einfach sagen konnte.

Aber selbst wenn es Benni auch nur ein kleines bisschen besser ging, hatte Laura schon mehr erreicht als sie erwartet hatte.

Laura atmete tief durch. Erst jetzt merkte sie, wie verspannt sie selbst eigentlich war. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete den Duft des Waldes ein. Sie glaubte, die angenehme, reine Luft bis in ihre Lungen zu spüren. Sie merkte, wie die Ruhe der Natur auch ihre aufgebrachten Gefühle allmählich beruhigen konnte.

Ein schwaches, wenn auch nach wie vor trauriges Lächeln stahl sich von ihren Lippen und sie verstärkte ihren Griff um Bennis Hand.
 

~*~
 

Vorwurfsvoll funkelte Ariane Anne an. „Was sollte das?!?“

Doch diese hatte offensichtlich nicht kapiert, dass sie etwas total Falsches gesagt hatte, denn Anne erwiderte nur mit ihrem für sie typischen zischenden Ton: „Was denn?“

Ariane biss die Zähne zusammen, um noch halbwegs beherrscht rüber zu kommen. „Na was wohl? Das was du vorhin gesagt hattest war das allerletzte!“

„Es waren einfach nur Beobachtungen, nichts weiter.“, meinte sie trocken.

Ariane stieß in Gedanken einen Fluch aus. Anne hatte wirklich einfach keine Ahnung! Ihr Taktgefühl war sogar noch schlechter als das von Eagle!!!

Zum Glück griff ihr Susi unter die Arme, die doch noch etwas beherrschter war als Ariane. „Mag sein, dass das nur eine neutrale Betrachtung war, aber sie kam definitiv zum falschen Zeitpunkt und am falschen Ort. Du musst es nicht noch schlimmer für Benni machen als es sowieso schon ist. Man sieht es ihm an, wie sehr ihn all das belastet und wir wissen alle, dass das was zu heißen hat.“

„Und außerdem ist Benni sowieso scharfsinnig genug.“, ergänzte Ninie, „Er hat doch schon längst bemerkt, dass andere vermutlich nur leiden müssen, weil Mars es auf ihn abgesehen hat.“

„Dann ist es doch nicht so schlimm.“, meinte Anne nur schulterzuckend, die es anscheinend immer noch nicht gerafft hatte!

„Oh mein Gott und wir hatten immer Benni als gefühllos bezeichnet!“, rief Öznur aus und atmete tief durch. „Hör mal, es ist trotzdem total unnötig gewesen, das auszusprechen. Natürlich hat er sich das schon gedacht, aber man muss es ihm nicht auch noch unter die Nase reiben! Und wenn man es genau betrachtet ist es auch nicht Bennis Schuld, sondern immer noch die von Mars! Immerhin kann Benni ja nix für seine Abstammung, aber Mars kann sehr wohl was dafür, dass er es auf den Erben des Yoru-Clans abgesehen hat.“

„Ja gut, ich hab’s kapiert. Ich bin halt eine unsensible Kuh.“, zischte Anne.

„Schön, dass wir uns darin jedenfalls einig sind.“, murmelte Ariane. Ehrlich, es war schon schlimm genug, dass es Carsten so schlecht ging und dass er vielleicht…

Vorsichtig warf Ariane einen Seitenblick auf ihn.

Natürlich machte er sich im Moment auch riesen Sorgen um Benni, das sah man sofort. Aber man sah halt auch, wie übel zugerichtet er selbst war.

Für einen kurzen Augenblick fragte sich Ariane, was von beidem wohl schlimmer wäre. Mitansehen zu müssen, wie alle möglichen Leute um dich herum wegen dir zu Schaden kommen und leiden müssen, weil irgendein geisteskranker Heini es auf dich abgesehen hat oder selbst zu diesen Leuten zu gehören…

Ariane entschied sich dazu, dass sie sich in keine der beiden Situationen wiederfinden wollte.

Öznur seufzte. „Und jetzt?“

„Keine Ahnung.“, erwiderte Ariane niedergeschlagen. „Habt ihr eigentlich irgendwas rausfinden können?“

„Bennlèy hat ein paar Tagebücher mitgehen lassen.“, meinte Lissi und hob zwei Taschen hoch, die deutlich mehr als Arianes Definition von ‚ein paar‘ waren. „Vielleicht sollten wir damit anfangen.“

„Gute Idee. Gib her, dieses Rumsitzen macht mich noch verrückt.“, forderte Eagle sie auf. Doch Ariane wurde den Gedanken nicht los, dass es weniger das Herumsitzen war, was Eagle so verrückt machte, sondern eher die Tatsache, dass er vermutlich inzwischen genauso dringend ein Heilmittel für Carsten finden wollte wie der Rest von ihnen.

Während Lissi weitere von diesen ‚paar‘ Büchern an die Mädchen austeilte, hörte Ariane Carsten matt fragen: „Ihr glaubt wirklich immer noch, dass es ein Heilmittel gibt?“

„Klar!“, empörte sich Ariane, „Es hat gefälligst eins zu geben und basta!“

Doch aufheitern konnten ihre Worte Carsten nicht wirklich. Er wandte nur hoffnungslos den Blick ab und erwiderte nichts mehr darauf.

Etwa eine Stunde lang lasen sie alle nur in den Tagebüchern von Coeur und Ariane fand es eigentlich sogar ganz interessant und schön geschrieben. Aber sie konnte sich nicht wirklich auf den Inhalt konzentrieren, sondern suchte eigentlich nur nach irgendwelchen Hinweisen über die Dämonenwaffen oder ähnlichem, sodass die Situation im magischen Krieg und ihr Kampf gegen den Herrscher der Zerstörung viel zu sehr in den Hintergrund geriet.

Klar, Ariane fragte sich schon, ob da vielleicht drinnen stand, wie sie eventuell Mars besiegen könnten. Aber just in diesem Moment war das nicht von Bedeutung.

Das wichtigste war Carsten zu retten. Die Welt kann noch warten.

Lissis missmutiges Seufzen unterbrach die Stille. „Ach Manno, wenn Lauch und Bennlèy noch da wären, würde das viel schneller gehen.“

Öznur schnaubte. „Anne konnte ja nicht die Klappe halten.“

„Ach, ist es nun meine Schuld, dass die zwei einen netten kleinen Spaziergang machen.“, zischte Anne zurück.

„Ja, ist es.“, erwiderte Öznur.

„Nicht schon wieder streiten, bitte.“ Susanne schaute die zwei auffordernd an. „Wir haben wirklich andere Sorgen.“

„Ja, genau deshalb sollten uns die zwei auch helfen und nicht auf beleidigte Leberwurst machen.“, maulte Anne weiter.

Janine überhörte ihren mal wieder unnötigen Kommentar. „Benni, das sind ganz schön viele Bücher. Wir brauchen eure Hilfe. Kommt bitte zurück, wenn es dir inzwischen besser geht.“

Irritiert schaute Öznur sie an.

„Was denn?“, fragte Ninie schüchtern. „So weit sind Laura und Benni jetzt sicherlich auch nicht weggegangen, also dürfte er uns eigentlich noch hören, wenn es darauf ankommt.“

Offensichtlich behielt Ninie Recht, denn etwa eine viertel Stunde später kamen Laura und Benni zurück. Wortlos nahmen beide eins der Bücher in die Hand, doch statt auf die Fensterbank setzten sie sich dieses Mal auf den Boden neben Carstens Bett.

Mit halbem Ohr bekam Ariane mit, wie Carsten irgendetwas zu Benni auf Indigonisch sagte und dieser irgendetwas in ebendieser Sprache erwiderte. Natürlich hatte Ariane keine Ahnung, worum es in der Unterhaltung der beiden ging.

Vermutlich wollte er einfach nur wissen, wie es Benni so ging.

Doch da warf auf einmal Eagle irgendetwas mit so schroffem Ton in das Gespräch der beiden, das Ariane unwillkürlich zusammenzuckte, obwohl sie noch nicht einmal wusste, was er da eigentlich gesagt hatte.

Okay, vielleicht wollte Carsten doch nicht einfach nur wissen, wie es Benni ging.

Benni ergänzte noch irgendetwas und daraufhin erwiderte Carsten nichts mehr, sondern wandte einfach nur den Blick ab, wie er schon zuvor auch auf Arianes Kommentar reagiert hatte.

„Was ist denn los?“, erkundigte sich Laura besorgt.

Eagle schnaubte. „Ich hätte nicht erwartet, dass Carsten noch pessimistischer sein kann als du.“

„Wieso? Was ist denn?“

„Wenn es dir zu viel Umstand bereitet, kannst du gerne das Buch weglegen. Das gilt auch für den Rest von euch.“, meinte Benni trocken.

„Was?!? Niemals!“, rief Laura erschrocken auf.

„Spinnst du?!?“, fuhr Ariane ihn an.

„Echt jetzt, du bist sein bester Freund, wie kannst du nur so etwas sagen?!“, empörte sich Öznur.

Benni warf Carsten einen Blick zu, der deutlich genug das sagte, was Benni nicht aussprach. ‚Siehst du?‘

Nun machte es in den Köpfen der Mädchen klick. Das, was Benni gemeint hatte, kam also im Prinzip von Carsten und war vermutlich der Inhalt ihrer Diskussion gewesen.

„Oh, sorry, war nicht so gemeint.“, entschuldigte sich Ariane mit einem verlegenen Lachen bei Benni und fuhr daraufhin Carsten an. „Spinnst du?!?“

Eagle schnaubte. „Ich hab’s doch gesagt, noch pessimistischer als Laura. Wenn Benni meint, dass es Hinweise auf ein Gegenmittel gibt und wir sogar wissen, wo wir suchen müssen, warum sollten wir es dann bleiben lassen?! Gerade jetzt sollten wir die Hoffnung nicht verlieren!“

„Warum interessierst du dich überhaupt dafür?!“, schrie Carsten plötzlich. Durch die Anstrengungen, die sein Körper ohnehin zu ertragen hatte, klang seine Stimme ganz rau und heiser. „Wenn ich mich recht entsinne, war es dir vor ein paar Stunden noch vollkommen gleich, wie es mir geht und ob ich die Sache nun überlebe oder nicht! Ich glaube, es wäre dir sogar sehr willkommen, wenn ich endlich verrecken würde!!!“

„Was?! Nein, ist es nicht!!!“, brüllte Eagle zurück und Ariane bemerkte, wie ein Windstoß durch ihre Haare zauste.

Ehe die Situation eskalieren konnte, ging Laura dazwischen. „Leute bitte, nicht streiten!“
Doch Carsten schien so in Rage, dass er ihre gute Absicht gar nicht erst zur Kenntnis nahm. „Ach komm, du weißt genau, dass es stimmt! Was denkst du, wie es mir geht, wenn Eagle ausgerechnet jetzt mit seiner Ich-bin-so-ein-toller-Bruder-Heuchelei anfängt und über Hoffnung redet?!? DU hast gut reden, immerhin wurdest du damals andauernd bei deinem Rumgeheule getröstet! Obwohl dir Benni sogar gesagt hat, dass du nicht sterben wirst! Und du hattest ihm trotzdem nicht geglaubt! Und mich darf jetzt nicht mal mehr das aufregen?! Ich hab halt nur meine eigene Kraft und nicht die eines übernatürlichen Wesens, ohne das ich nicht lebensfähig wäre!“

Bei seinen Worten zuckte Laura betroffen zusammen.

Entsetzt musterte Ariane Carsten. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Zu Laura?! Seiner besten Freundin, die für ihn wie eine kleine Schwester war?!?

Es war so irritierend, dass so etwas ausgerechnet über Carstens Lippen kam, dass niemand wusste, wie sie darauf nun reagieren sollten. Ariane konnte nur beobachten, wie Laura mit den Tränen zu kämpfen hatte, deutlich bemüht, Carstens Aussage über ihr ‚Rumgeheule‘ nicht auch noch zu bestätigen.

Dieser hatte sich allerdings noch nicht beruhigt. „Jetzt fängst du schon wieder damit an! Und natür-“

„Es reicht.“, schnitt Benni ihm mit ruhigem aber trotzdem scharfem Ton das Wort ab.

Anscheinend brachte diese leicht schroffe Anweisung seines besten Freundes Carsten wieder zur Vernunft, denn seinem Blick nach zu urteilen, schien nun auch er selbst zu realisieren, was er da gesagt hatte.

Vollkommen verzweifelt schaute er Laura an, die er zuvor noch total fertiggemacht hatte. „Laura es- es tut mir so leid, ich- ich weiß nicht… Ich weiß nicht was mit mir los war…“

Ariane bemerkte, wie er zu zittern begann, allerdings weder die linke Schulter noch der Arm, was ihr einen Kälteschauer über den Rücken jagte. Bisher hatte sie es noch gar nicht so sehr wahrgenommen, dass Carsten tatsächlich gelähmt, regelrecht von innen versteinert wurde. Aber diese Muskeln konnten sich schon gar nicht mehr bewegen…

Carsten bereute seine Worte anscheinend so sehr, dass ihm bereits die Tränen kamen und er leise zu schluchzen anfing. „Es tut mir so leid…“

Vorsichtig setzte sich Laura zu ihm auf die Bettkante und nahm ihn in den Arm. „Es ist schon okay.“

Doch Carsten schüttelte den Kopf. „Nein, ist es nicht! Es ist keine Rechtfertigung, dass ich so etwas zu dir sage, nur, weil ich… weil ich Angst habe…“

Carstens Schluchzen wurde stärker und ebenso verstärkte Laura die Umarmung. „Das wird schon, du wirst wieder gesund. Wir werden ein Heilmittel finden…“, sagte sie, während eine kleine Träne über ihre Wange kullerte.

Ganz leise hörte Ariane, wie Carsten schluchzte: „Ich will nicht sterben…“

„Wirst du nicht.“, sagte Benni mit so einer Überzeugung in seiner Stimme, dass Ariane glatt glaubte, er habe das Heilmittel schon gefunden. Benni legte die Hand auf Carstens nicht verwundete Schulter. „Mars hat mir bereits Eufelia und meinen Großvater genommen. Ich lasse nicht zu, dass noch jemand ums Leben kommt.“

Erst jetzt bemerkte Ariane, dass sich auch in ihren Augen Tränen gesammelt hatten. Schnell wischte sie sie weg. Noch war nicht alles verloren, noch gab es mehr als genug Bücher, in denen sie nach weiteren Hinweisen von einem Heilmittel suchen konnten!

Eine weitere Stunde lasen sie noch in den Tagebüchern, doch immer noch ohne Erfolg. Ariane spürte, wie nach und nach ihre Konzentration schwand. Sie hatte einfach viel zu wenig Schlaf gehabt. Genauso wie der Rest von ihnen, wie sie bei einem Blick in die Runde feststellen musste.

Die Erlösung klopfte an die Tür. Es war Saya, die den Raum vor einiger Zeit mit Samira verlassen und ihr vermutlich seelischen Beistand geleistet hatte.

„Ihr könnt in eurer Verfassung doch nicht die ganze Zeit durcharbeiten.“, sagte Eagles und Carstens Stiefmutter fürsorglich. „Kommt etwas Essen. Carsten bringe ich auch gleich was.“

Die Mädchen tauschten einige unsichere Blicke aus.

„Geht nur.“, meinte Eagle. „In eurer Verfassung seid ihr sowieso keine Hilfe.“

„Oh nein Dickkopf, du kommst auch mit.“, wies Saya ihn an, die Eagles Absicht zurückzubleiben und weiter zu suchen, sofort erkannt hatte. „Dämonenbesitzer hin oder her, du bist immer noch verwundet und brauchst erst recht etwas, um wieder auf die Beine zu kommen.“

Widerwillig gab sich Eagle geschlagen.

Ariane fragte sich, ob Carsten immer noch der Meinung war, dass Eagle ihm diese fürsorgliche-großer-Bruder-Nummer nur vorheuchelte. Nach dem vorhin zu urteilen schienen sie sich jedenfalls noch nicht ausgesprochen zu haben. Wobei… Konnte man das nach so kurzer Zeit schon erwarten?
Immerhin hatten die beiden sechzehn Jahre lang Geschwisterkrach! Ein ‚Es tut mir leid‘ wie vorhin bei Laura reichte garantiert noch lange nicht.

Ariane legte das Buch zur Seite und folgte dem Rest der Gruppe zur Tür. Fragend schaute sie Laura und Benni an. „Kommt ihr nicht mit?“

Laura schüttelte den Kopf. „Ihr wart länger an den Büchern als wir.“

„Stimmt, es wäre nur fair, wenn ihr noch mindestens eine Stunde weitersucht, als Ausgleich für euren ‚kleinen‘ Spaziergang.“, meinte Anne und bekam von Öznur einen Schlag auf den Hinterkopf. „Wir sprechen uns noch.“

„Abgesehen davon Banani, wie kannst du dir so sicher sein, dass es tatsächlich ein ‚kleiner Spaziergang‘ war?“, fragte Lissi und konnte die Andeutungen natürlich nicht unterlassen.

„Wir haben nichts gemacht.“, meinte Laura, wurde aus Verlegenheit wegen Lissis eindeutiger Andeutung aber trotzdem rot.

Lissi warf ihr einen Luftkuss zu. „Das sagen sie alle, Lauchi.“

Ariane kicherte und schob Lissi durch die Tür. „Jetzt reicht es aber, lass uns Essen.“
 

~*~
 

Während die Tür in die Angeln fiel verschränkte Laura trotzig die Arme vor der Brust. „Wir haben wirklich nichts gemacht.“

„Es ist Lissi.“, meinte Carsten und Laura glaubte, ein leichtes Schmunzeln um seine Lippen zu sehen. „Eigentlich ist es schön, dass wir jedenfalls noch ein kleines bisschen Normalität haben…“

„Was ist denn an Lissi normal?“ Natürlich war Lauras Frage rhetorisch, aber sie war froh, dass sie dadurch Carsten jedenfalls ein bisschen aufheitern konnten.

Doch dieser Moment hielt nur ganz kurz an.

„Es tut mir wirklich leid…“, meinte Carsten betrübt.

„Immer noch deswegen?“ Laura schüttelte den Kopf. „Es ist nicht so schlimm. Ich kann verstehen, dass du ausgerastet bist. Ich meine… ich kann verstehen wie du dich vermutlich gerade fühlst.“

Carsten seufzte. „Gerade das macht es umso schlimmer… Du bist die einzige, die tatsächlich weiß wie es sich anfühlt, wenn der Tod naht. Ich… bin vermutlich einfach neidisch auf dich.“

Irritiert schaute Laura ihn an.

„Na ja, du hast es hinter dir. Und du hast überlebt. Ich will einfach nur, dass es vorbei ist. Ich ertrage das nicht länger. Aber…“ Ein Zittern überkam Carsten, sein Atem klang angestrengter. „Aber ich habe auch Angst davor. Wenn es vorbei ist, dann…“

„Du wirst nicht sterben!“ Entschlossen sah Laura ihn an, auch wenn sie eigentlich wieder kurz davor war, loszuheulen. Warum musste es auch ausgerechnet Carsten erwischen?!?

Warum nicht Anne??? Auf die könnte sie in letzter Zeit nur zu gut verzichten, besonders nach dieser schrecklichen Aktion vor ein paar Stunden.

Eine Weile lasen Laura und Benni noch in Coeurs Tagebüchern weiter. Zwischendurch kam Saya vorbei und brachte Carsten etwas zu essen und hatte auch für Laura und Benni jedenfalls ein paar belegte Brötchen dabei. Doch Carsten aß kaum was und Laura bekam auch nur ein halbes Brötchen runter. Den Rest konnte sie dadurch immerhin Benni andrehen, sonst hätte er vermutlich gar nichts gegessen.

Irgendwann fiel Laura auf, dass Carsten anscheinend eingeschlafen war.

„Er schläft, oder?“, flüsterte sie fragend zu Benni, der nickte.

Laura seufzte und nagte gedankenverloren an einem Salatblatt herum.

Da legte Benni das Buch aus der Hand und fragte plötzlich: „Ist es wirklich nicht so schlimm?“

Dummerweise wusste Laura sofort, was er meinte. „Na ja, also… Ähm…“ Seufzend gab sie sich geschlagen. „Eigentlich hatte er es ja nur gesagt, weil er in dem Moment so verzweifelt war und nicht wusste, wie er mit diesen ganzen Gefühlen umgehen soll, weil sie so… viel zu stark sind.“ Beschämt lachte Laura auf. „Da sollte ich ihm das wohl am allerwenigsten übelnehmen, nach allem, was ich in solchen Momenten schon gesagt und getan habe. Aber trotzdem… Irgendwie tut es weh.“

Benni nickte. „Es liegt einfach die Vermutung nahe, dass er es bereits des Öfteren gedacht und bloß nie ausgesprochen hat.“

Einen Moment lang war Laura verwundert, dass Benni ihre Gedanken so treffend beschreiben konnte. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass Carsten ihn ja auch einst schwer getroffen hatte, als er ihn als Monster bezeichnet hatte. Damals hatte er seine Worte zwar genauso sehr bereut, aber trotzdem hatte es etwas gedauert, bis Benni wieder warm mit ihm werden konnte.

Aber Benni ging es damals auch viel schlechter, als er das zu hören bekommen hatte. Laura erfreute sich ja endlich mal guter Gesundheit.

Und trotzdem…

Laura seufzte. „Er hat halt Recht. Ich bin eine Heulsuse und ich wette, insgeheim seid ihr alle auch genervt davon. Und ohne den Schwarzen Löwen krieg ich nun mal nichts auf die Reihe. Ich wäre noch nicht mal am Leben!“

Benni erwiderte nichts darauf und Laura war sich ziemlich sicher, dass er einfach nichts sagte, weil er ihr sonst zustimmen müsste.

Es ist halt so. Dachte sie traurig. Ich bin eine Heulsuse, ich kann nichts und bin eigentlich nur ein Hindernis für die anderen. Wenn der Schwarze Löwe und Benni nicht wären… Ich hätte schon so oft eigentlich sterben müssen. Und Benni? Er ist super stark, super schlau, super schön, … Er kann alles! Warum gibt er sich immer noch mit mir ab? Ich meine klar, wir sind zusammen, aber er müsste doch schon längst die Schnauze voll von mir haben. …Ich bin einfach nicht gut genug für ihn…

Betrübt senkte Laura den Kopf. „Ich habe dich einfach nicht verdient.“

Eine Weile lang musterte Benni sie einfach nur, bis er schließlich doch noch etwas darauf erwiderte. „Da hast du Recht.“

Sein Kommentar ließ Laura erschaudern, doch Benni war noch nicht fertig. „Du verdienst mich nicht. Ich kann dir nicht das nötige Ausmaß an Liebe geben das du brauchst, auch wenn ich es gerne täte. Ich schaffe es nicht, richtig darauf zu reagieren, wenn du Kummer hast. Ich bekomme es noch nicht einmal auf die Reihe, dich zum Lachen zu bringen. Ich bringe dich nur zum Weinen.“

Überrascht schaute Laura auf, nur um zu sehen, dass es nun Benni war, der den Blick abgewandt hatte. „A-aber… Das stimmt doch gar nicht!“, verteidigte sie ihn vor seinen eigenen Vorwürfen.

Benni schaute sie aus dem Augenwinkel an. „Doch, es stimmt. Du weißt es genau. Inzwischen wissen es alle. Ich verstehe Emotionen einfach nicht. Also kann ich auch nicht entsprechend darauf reagieren.“

Laura gab sich einen Ruck. Es konnte doch nicht sein, dass Benni, ausgerechnet Benni, solche Selbstzweifel hatte! „Weil du es irgendwie die ganze Zeit geschafft hast, sie auszuschalten, oder?“

„Mag sein…“, erwiderte er, als würde er sich selbst noch nicht einmal verstehen.

Doch auf einmal war es Laura, die sich sicher war, was mit ihm los war. „Du hast einfach Angst davor, wieder so verletzt zu werden! Die Sache mit deinen Eltern damals, dass die anderen Menschen dich so schlecht behandelt haben… Kein Wunder, dass du dich so von allen zurückgezogen hast!“ Sie schluckte einen Kloß im Hals herunter. „Und kaum schaffst du es, dich zu trauen, Gefühle so langsam wieder zuzulassen, passieren solche schlimmen Sachen. Eufelia-Sensei und Herr Weihe sterben… Carsten vielleicht auch…“ Nun musste sie selbst mal wieder mit den Tränen kämpfen. War diese Abwehrhaltung, die Benni als Kind entwickelt hatte, diese Barriere vor den Gefühlen, die er sich aufgebaut hatte, denn so schlecht? Immerhin hatte er sich dadurch vor diesem ganzen Schmerz schützen können.

„Vielleicht hast du Recht, vielleicht sind Gefühle eine Schwäche.“

„Aber sie machen uns menschlich.“, murmelte Benni.

Laura schreckte hoch. „Was?“
„Vor ihrem Tod bat mich Eufelia-Sensei zu lernen, meine Gefühle in den rechten Augenblicken zuzulassen…“

Lauras Herz fühlte sich an wie ein schwerer Stein. Natürlich hatte sich Eufelia-Sensei immer um Benni gesorgt, immerhin hatte sie ihn ja wie ihren eigenen Sohn behandelt. Und sie schienen ja sogar irgendwie entfernt verwandt zu sein! So gruselig Laura sie auch fand, musste sie sich eigestehen, dass Eufelia immer nur Bennis Wohl am Herzen lag, wie einer wahren Mutter. Klar hatte sie ihn streng erzogen, aber so war sie nun mal. Sie wollte einfach, dass er in der Lage war, sich selbst und die, die ihm wichtig sind, verteidigen zu können. Sie wollte vermutlich auch einfach nur, dass er glücklich war. Doch wie kann jemand glücklich sein, der so etwas wie Freude nicht verstand?

Wer weiß, vielleicht hatte Eufelia-Sensei Laura auch nicht sosehr gehasst? Vielleicht hatte sie sich das alles einfach nur eingebildet? Es wäre immerhin nicht das erste Mal.

Laura zitterte am ganzen Körper. Vielleicht hatte Eufelia-Sensei ja auch immer gehofft, dass Laura es eines Tages schaffen würde, Benni glücklich zu machen?

Verunsichert betrachtete sie ihn. Dieses Mal schien Benni derjenige zu sein, der zerbrechlich wirkte. Als könnte er es nicht ertragen, noch jemanden zu verlieren.

Als könnte ihn noch so etwas endgültig zerstören.

Nein! Laura schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Das würde sie nicht zulassen! Niemals!

Sie rückte näher an ihn heran, um ihn in eine Umarmung ziehen zu können.

„Ich bin vielleicht nicht die stärkste, erst recht nicht, wenn es um Charakterstärke geht, aber etwas hab ich definitiv durch die Sache mit meinem Geburtstag und dem Schwarzen Löwen gelernt. Und zwar, dass es sich lohnt das Leid zu ertragen und den Schmerz zuzulassen. Denn es gibt immer wieder wunderschöne Momente, die das Leben lebenswert machen und die einem Hoffnung geben.“ Lauras Wangen färbten sich rötlich. „Wie zum Beispiel, als du mich an meinem Geburtstag geküsst hast.“ Total verlegen, verstärkte Laura ihre Umarmung. „Und schon alleine aus dem Grund, dass ich dich habe, bin ich froh, dass der Schwarze Löwe mich nicht verlassen hat.“

Laura hatte das Gefühl, als würde Benni etwas erwidern wollen, doch er sagte nichts. Stattdessen lehnte er sich tatsächlich gegen sie, als würde sie ihm Halt geben können.



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