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Demon Girls & Boys

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen! ヾ(≧▽≦*)o
Nach der Schelte einer lieben Freundin, ich könne doch nicht nach so einem bedrückenden Kapitel eine Pause machen, überkam mich ein ungeheurer Kreativ-Schub. XD
Daher hier schon einmal das nächste Epilog-Kapitel, als kleiner Teaser und um wieder ein bisschen was Schönes und was zum Lachen zu haben. (´▽`ʃ♡ƪ)
Viel Spaß und alles Liebe! Komplett anzeigen

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Wiederaufbau

Wiederaufbau

 

 

 

Susanne setzte sich auf die Bettkante, ein bedrücktes Seufzen stahl sich unbemerkt über ihre Lippen als sie Annes schlafendes Gesicht betrachtete.

Natürlich war sie noch nicht aufgewacht…

Eigentlich dürfte Susanne nicht überrascht sein, doch die enttäuschte Hoffnung fraß sich dennoch in ihr Herz.

Es war nun ein Tag vergangen, seit sich ihre Gruppe getrennt hatte. Ein Tag, und doch hatte er sich mehr wie eine Woche, wenn nicht gar wie ein ganzer Monat angefühlt.

Diese erdrückende Leere… Irgendetwas fehlte. Susanne konnte es nicht in Worte fassen, doch irgendetwas seit dem Kampf gegen Mars schien nicht mehr da zu sein. Fast so, als habe es der Dämon im Moment seines Verschwindens mit sich gerissen. Ihnen allen weggenommen. Irgendetwas…

Wieder seufzte sie bedrückt, als ein zögerliches Klopfen Susanne aufschrecken ließ.

Jack lehnte an der geöffneten Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hey, ist Lissi nicht bei dir?“

Automatisch stahl sich ein Lächeln von ihren Lippen. „Nein, sie wollte nach einem Bäcker suchen um Frühstück zu holen und… eigentlich müsstest du doch spüren, dass sie nicht hier ist.“, erinnerte sich Susanne verwirrt an seine Tastsinn-Fähigkeiten.

An Jacks leicht schiefem Lächeln erkannte sie jedoch alsbald, dass er die Frage eher formhalber gestellt hatte, um ein Gespräch mit ihr zu beginnen.

Er trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich, ehe er sich mit Händen in den Hosentaschen gegen die Wand lehnte. Mit etwas Abstand zum Bett in dem Anne schlief, aber dennoch nah genug, um in Ruhe mit Susanne reden zu können.

„Ich hab gehört, dass du so ein bisschen die Pflege für die beiden übernimmst.“, meinte er.

Susanne nickte betrübt, griff eher unbewusst nach Annes Hand, während sie einen Blick auf das zweite Bett in diesem Zimmer warf, wo Öznur schlief. „Ich… ich wollte nicht einfach nur warten. Und noch dazu kann das Krankenhaus momentan jede helfende Hand gebrauchen.“

Gedankenverloren nickte Jack. „Zumindest scheint sich die Armee der Allianz gegen die Unterweltler durchgesetzt haben zu können. Waren diese Kaffeekränzchen also doch zu was zu gebrauchen.“

Auch Susanne nickte daraufhin. Tatsächlich war ihre Hilfe beim Kampf gegen den Rest von Mars‘ Armee nicht vonnöten gewesen. Aber dennoch… „Es gibt so viele Verletzte und Tote… Würden sich die Regionen nicht gegenseitig helfen, wären manche der Krankenhäuser maßlos überlastet.“

„Und die Lage erklären zu wollen ist unmöglich, alles wird auf die Unterweltler und Dämonenverbundenen geschoben. Es sind schon Gerüchte im Umlauf, dass sich bereits ein neuer Trupp Dämonenjäger gründet.“

„Aber sie dürfen doch gar nicht-“, entfuhr es Susanne schockiert, ein Schauder der Angst durchfuhr sie. Würde man ihnen selbst jetzt keine Pause gönnen? Würde sich die Geschichte tatsächlich wiederholen?! Nach alldem was sie für die Welt getan und geopfert hatten?!

Jack zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, Aufklärung ist unmöglich gerade. Und selbst wenn, Janine und ich sind nach wie vor Freiwild.“

Betreten versuchte Susanne dieses erdrückende Gefühl herunterzuschlucken. Stimmt… Terra und Mur waren kein Teil der Damonischen Allianz, sie hatten das Gesetz nicht unterzeichnet. Zwar war dadurch das Schweigegelübde von Herr Bôss ihnen gegenüber ungültig, weshalb er ihnen von den schrecklichen Vorkommnissen im FESJ hatte erzählen können, aber dafür auch…

„Und… was habt ihr jetzt vor?“, fragte sie beklommen.

Wieder zuckte Jack mit den Schultern und Susanne wurde den Gedanken nicht los, wie gleichgültig er demgegenüber gestimmt schien. Wie gleichgültig er seinem Leben gegenüber wirkte…

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie interpretierte einfach viel zu viel in all das hinein. Diese triste Stimmung, diese erdrückende Atmosphäre… Natürlich wirkte da alles so grau. So… leblos.

Wieder seufzte sie und betrachtete Anne. Obwohl sie wusste, dass sich nach wie vor nichts geändert hatte. Und trotzdem hatte Susanne irgendwie schon wieder gehofft, dass sie einfach so aufgewacht wäre…

„Lissi hatte das gestern ziemlich mitgenommen…“

Susanne schaute auf. Also hatte Jack tatsächlich wegen ihrer Schwester das Gespräch mit ihr gesucht. Und dem Ausdruck in seinen grünen Augen nach zu urteilen machte er sich mehr Sorgen um sie, als er nach außen hin zeigte.

Bedrückt lächelte sie. „Natürlich. Lissi liebt diese Gruppe. Mitanzusehen wie sich plötzlich alle aufteilen, wie alles auseinanderfällt… Für sie muss es sich angefühlt haben, als hätte Mars uns besiegt und nicht umgekehrt.“

Jack hob eine Augenbraue. „Du weißt wie schlimm das für sie ist und trotzdem hast du sie genau dann im Stich gelassen?“

Bei seinem leicht vorwurfsvollen Ton zog sich Susannes Magen etwas zusammen. Obwohl sie wusste, dass sie eigentlich kein schlechtes Gewissen haben sollte… Beschämt wich sie Jacks Blick aus. „Ich… ich habe sie nicht im Stich gelassen.“

„Deine Schwester war mit ihren Kräften am Ende und statt bei ihr zu bleiben und sich um sie zu kümmern bist du lieber wieder zu Anne gegangen, obwohl du genau wusstest, dass sich nichts an ihrer Lage geändert hatte? Und das in einer Situation, wo jeder andere auch schon gegangen ist? Denkst du nicht, dass Lissi genau in dem Moment ihre Schwester von allen am meisten gebraucht hat?“ Die beißende Kälte in seiner Stimme erinnerte Susanne unwillkürlich an Benni, sodass die Worte sie umso härter trafen.

„I-ich…“, versuchte sie sich zu erklären, schaffte es jedoch kaum klar zu denken. Susanne atmete tief durch, erleichtert, dass Jack ihr zumindest genug Zeit ließ sich rechtfertigen zu können. Als sie sich weitestgehend gefasst hatte blickte sie auf und musste unwillkürlich lächeln, als sie diese aufrichtige Verärgerung, mehr noch Enttäuschung, über ihr Verhalten sah.

Es zeigte ihr nur wie gern Jack Lissi hatte, sodass es ihr plötzlich viel leichter fiel, darauf zu antworten.

„Na ja…“ Sie strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und beschloss, etwas weiter auszuholen. „Lissi liebt es, in Gesellschaft anderer zu sein. Und wie gesagt, sie liebt unsere Gruppe über alles. Aber in manchen Situationen… In diesen Momenten, wenn auf einmal alles zu viel ist und einen alle Kräfte verlassen, also genau dann, wenn man seine Liebsten am dringendsten braucht… Da fängt Lissi dann plötzlich an, sie von sich zu stoßen.“

„Sie wird zum einsamen Wolf.“, stellte Jack fest.

Bei seiner Andeutung musste Susanne lachen. „Ja, im Prinzip genau das.“

„Und deshalb bist du gegangen?“

„Mehr oder weniger… Wenn ich bei ihr geblieben wäre, was hättest du denn dann gemacht?“

„Hä?“ Fragend legte Jack den Kopf schief.

Bedrückt lächelte Susanne ihn an. „Wenn ich mich um sie gekümmert hätte, hättest du dann immer noch den Eindruck gehabt, dass sie dich brauchen würde?“

An seinem Blick konnte sie deutlich erkennen, wie auch Jack langsam verstand, weshalb Susanne nicht bei Lissi geblieben war. Weshalb sie ihrer Schwester das Gefühl gegeben hatte, sogar von ihr ‚im Stich gelassen‘ zu werden. Weshalb sie ihr dieses Gefühl hatte geben müssen

Geräuschvoll atmete Jack aus und ließ sich an der Wand entlang auf den Boden gleiten. Fast so, als realisierte er selbst erst jetzt, was der alternative Verlauf der Geschichte hätte sein können… Der alternative Verlauf seiner Geschichte.

Mitfühlend betrachtete Susanne seinen getrübten Blick. Wartete schweigend, bis er diese Erkenntnis verarbeitet hatte.

Jack fuhr sich durch die längere Seite seiner rotbraunen Haare. „Du hast Lissi also im Glauben lassen, dass sich wirklich jeder von ihr abwendet, damit ich keine andere Wahl habe als mich um sie zu kümmern und dadurch gezwungener Maßen bei euch bleibe.“ Schwach lachte er auf. „Ihr seid wirklich Zwillinge.“

Auch Susanne musste lächeln. „Soll ich das nun als Kompliment auffassen?“

„Bin mir da nicht so sicher.“, erwiderte er leicht spöttisch. „Wenn du selbst Lissi damit hinters Licht geführt hast… macht mir das eher Angst.“

Daraufhin konnten sie beide nicht mehr an sich halten und mussten lauthals loslachen. Susanne war fast schon überwältigt von der angenehmen Wärme, die diese Heiterkeit in ihrem Herzen auslöste. Es wirkte so lange her, dass sie das letzte Mal so ausgelassen hatte lachen können. Es hatte so unerreichbar gewirkt, so unmöglich. Und doch war es da. Und doch schien es nicht verloren.

Die Hoffnung war nach wie vor vorhanden.

Als sie sich wieder so halbwegs beruhigt hatten, betrachtete Susanne Jack belustigt. „Wie geht es dir eigentlich?“

Ihre Frage brachte ihn wohl etwas aus dem Konzept. „Wie meinst du?“

„Ich möchte einfach nur wissen, wie es dir gerade geht. Wie du dich fühlst, nun, nachdem Mars… nachdem alles vorbei ist.“, konkretisierte sie und überlegte, ob diese Frage ihn tatsächlich nur deshalb verwirrte, da er sie einfach nicht gewöhnt war. Da sie all die Zeit irrelevant war, weil er einfach hatte funktionieren müssen. Wie eine Maschine.

Seufzend richtete sich Jack auf und streckte sich, was ein unangenehmes, knacksendes Geräusch bei seinen Schultern auslöste. Eine Antwort bekam Susanne nicht, stattdessen meinte er: „Wow, ich brauche noch nicht mal meinen Tastsinn bei diesen düsteren Wolken um dich herum.“

Noch während seines Kommentares war Lissi ins Zimmer gekommen, die Jack nur kurz bedachte, ehe sie Susanne eine Tüte mit einem belegten Brötchen reichte.

Noch bevor Lissi dazu kam sich wieder abzuwenden, vermutlich mit der Absicht abseits an dem kleinen Tisch zu sitzen, nahm Susanne ihre Hand und zog sie trotz des Widerstandes neben sich auf die Bettkante.

Diesen ungewohnt trüben Blick an Lissi zu sehen tat ihr in der Seele weh und doch wusste Susanne nicht was sie sonst tun könnte. Sie zwang sich zu einem Lächeln, suchte nach irgendwelchen Worten, die ihre Schwester aufheitern könnten. „Lissi, sie werden schon wieder zurückkommen. Jeder muss das halt erst einmal auf seine Art verarbeiten, muss erstmal wieder zu sich selbst finden.“

Lissi reagierte gar nicht darauf, wirkte fast so als habe sie ihre Aussage noch nicht einmal gehört.

Susanne selbst hatte sie bisher nur ein einziges Mal so sehr am Boden zerstört erlebt, so hoffnungslos. Ansonsten hatte sich Lissi immer selbst Mut machen können, hatte die Kraft alles Negative wegzulachen oder ihm mit ihrem Dickkopf kontra zu geben. Entsprechend wusste Susanne nun überhaupt nicht damit umzugehen, war förmlich überfordert von dieser Situation. Und zugleich auch enttäuscht von sich selbst. Schließlich war sie doch Lissis Schwester!

Sie warf einen hilfesuchenden Blick zu Jack, hoffte, dass er besser damit umgehen könnte. Immerhin hatte er sich selbst häufig genug aus solch einer Hoffnungslosigkeit herausziehen müssen.

Jack erwiderte ihren Blick kurz und schaute anschließend auf einen unbekannten Ort hinter den weißen Wänden des Krankenhauses. Sein verschmitztes Lächeln ließ tatsächlich vermuten, dass ihm eine Idee gekommen war.

„So Häuflein Elend, wir gehen jetzt mal etwas spazieren.“

Susanne zwang sich dazu, das Lachen bei seinem Sarkasmus zu verkneifen. Doch auch auf diesen Kommentar reagierte Lissi nicht.

Jack ignorierte das ignoriert werden, kam zu ihnen rüber und nahm Lissi ihre eigene Bäckertüte und den Kaffee aus der Hand, um beides an Susanne zu reichen.

Dieses Mal war es Susanne unmöglich das Lachen zu unterdrücken, während sie beobachtete wie Jack mithilfe seiner Kampfkünstlerstärke Lissi mit Leichtigkeit hochhob und regelrecht über die Schulter warf.

Diese erwiderte darauf nur tonlos: „Lass mich runter.“

„Oh Scheiße. Es steht ja noch schlimmer um dich als befürchtet.“

Obwohl Susanne dieselbe besorgniserregende Erkenntnis überkam, konnte sie sich bei Jacks Kommentar das Lachen schon wieder nicht verkneifen.

Dieser erwiderte auf ihren Lachanfall amüsiert: „Ich will mich natürlich nicht zwischen dich und Anne stellen, aber ich glaube, dir dürfte es auch mal ganz gut tun hier rauszukommen.“

Susanne atmete tief durch, nach wie vor zu erheitert um der Sorge ihren vollen Raum lassen zu können. Sie wandte sich an Anne, drückte noch einmal ihre Hand und meinte: „Ich bin bald wieder da.“

Nach einem weiteren prüfenden Blick auf Öznur, deren Lage sich ebenfalls leider nicht gebessert hatte, stand auch sie auf und folgte Jack nach außen. Schon alleine aus dem Grund, da sie neugierig war, ob er Lissi tatsächlich die ganze Zeit über wie einen Mehlsack mit sich tragen würde, selbst auf offener Straße.

Die Antwort lautete ja.

Einerseits leicht beschämt durch die ganzen verwirrten Blicke der Indigoner, andererseits aber auch durchgängig amüsiert von diesem Anblick, folgte Susanne den beiden und fragte sich, was er nun eigentlich vorhatte.

Besonders, als sie den Ort wiedererkannte.

„Ihr auch hier? Was ein Zufall.“, grüßte Jack ironisch.

„Valentin!!!“, rief die kleine Risa und hob begeistert beide Arme. Auch Kito winkte den Neuankömmlingen zur Begrüßung zu.

Ituha, die ihre Tochter auf einem Arm trug, musterte den Anblick der sich ihr bot mindestens genauso belustigt wie Susanne. „Muss ich mir Sorgen machen?“

„Immer doch.“, antwortete Jack, was bedauerlicherweise mehr der Wahrheit entsprach als Susanne lieb war.

Die muskulöse Indigonerin mit den Rasterlocken schnaubte amüsiert, war sich selbst dessen bewusst wie wahr diese Aussage doch war. „Was wollt ihr hier?“

„Im Prinzip wissen, wie’s nun weiter gehen soll.“

Überrascht stellte Susanne fest, wie gut man das sowohl auf die Lage um Ituhas Bar als auch auf ihre eigene Situation beziehen konnte. Da steckte ganz eindeutig mehr dahinter.

Seufzend betrachtete Ituha die eingestürzten Überreste. Susanne folgte ihrem Blick. Das Haus war völlig in sich zusammengefallen. Das Einzige was intakt schien war die Höhle, die Jack vor zwei Tagen noch erschaffen hatte, um sich und Risa aus den Trümmern zu retten. Das direkte Gebiet im Umkreis der Bar war bis auf den provisorischen Weg der Erd-Energie absolut uneben. Breite Risse taten sich auf, an einigen Stellen traten spitze Erdstacheln hervor, während der Boden an anderen komplett weggebrochen war.

Befangen stellte Susanne fest, wie viel Zerstörung an diesem Ort herrschte. Mars hatte Mutter und Tochter nicht nur das Zuhause, sondern gleichzeitig auch die Quelle ihrer finanziellen Einnahmen genommen. Wie sollten sie nun…

„Hätte der Dämon nur das Haus selbst zerstört, könnten wir es einfach wieder aufbauen. Aber so…“ Ituha zuckte mit den Schultern. „Gestern hatten sich ein paar Leute vom Fach das mal angeschaut. So hinüber wie der Boden ist wird es Monate dauern, bis wir überhaupt an einen Hausbau denken können. Und das Grundstück zu verkaufen wird dadurch wohl auch nicht sonderlich viel einbringen.“

Betreten senkte Susanne den Blick. „Das tut mir leid…“

Dennoch nahm die Indigonerin die Lage in der sie und ihre Tochter sich befanden gelassen. „Ach, das wird schon wieder.“

„Seh‘ ich auch so.“, gab Jack ihr recht und setzte Lissi endlich auf dem Boden ab. Auf ihren ausdruckslosen Blick hin wuschelte er ihr nur amüsiert durch die Haare. „Komm nicht auf die Idee einfach wegzugehen. Außer natürlich, deine Vorliebe für Fesselspiele kehrt zurück.“

Und wieder musste Susanne daraufhin loslachen. Wie Jack einfach mal das Blatt gewendet hatte und Lissis zweideutigen Witze nun gnadenlos gegen sie richtete!

Ituha kannte die Gruppe inzwischen auch gut genug, um sich dem Hintergrund von Jacks Kommentar bewusst zu sein. Während Risa zum Glück noch zu unschuldig war, um die eigentliche Bedeutung dieser Fesselspiele zu verstehen. „Spielt ihr Cowboy und Indigoner?“

„Ähm… genau.“, erwiderte Jack, leicht überfordert.

Nun schien die Kleine etwas zu begeistert. „Darf ich mitspielen?!“

„Ääääh…“

Allmählich bekamen Susanne und Ituha Bauchschmerzen vor Lachen und tatsächlich, dieses Mal erheiterte es auch Lissis trübe Stimmung etwas.

„Was ist Cowboy und Indigoner?“, fragte Kito neugierig, stets fasziniert von nicht-Dryadischen Kulturen. … Susanne war froh, dass sie nicht nach der Bedeutung von Fesselspielen gefragt hatte…

Während Risa ihrer Dryaden-Freundin von dem Spiel erzählte, erkundigte sich Jack: „Apropos, wo steckt eigentlich Quälgeist Nummer Eins?“

„In einem psychologischen Beratungsgespräch.“, antwortete Ituha.

Direkt kam Sorge in Susanne auf und auch auf Jacks Blick zeichnete sich ernsthafte Angst um den kleinen ‚Quälgeist‘ ab.

Ituha winkte ab. „Alles gut, das dient nur zur Vorsorge. Die Mutter von diesem stillen, rothaarigen Jungen aus eurer Gruppe ist wohl Psychotherapeutin und hat sich angeboten ein paar Mal mit den Kindern zu sprechen. Schließlich haben sie einiges erlebt und mitansehen müssen.“

Jack atmete auf. „Echt nett von ihr.“

„Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er irgendwelche Traumata davontragen wird, aber sicher ist sicher. Um Sakura mache ich mir da eher Sorgen, oder natürlich die Herrscherin von Dessert.“

Susanne schluckte schwer. Stimmt, gerade Annes Mutter…

„So viele Sorgenkinder.“, warf Kito ein und schaute dabei auch jeden von ihnen an.

„Das ist wohl dein Lieblingswort geworden, oder Mini-Hulk?“

Daraufhin grinste das Dryaden-Mädchen mit der momentan verzauberten Hautfarbe bloß.

„Was hast du jetzt eigentlich vor, Kito?“, fragte Susanne, „Gehst du bald wieder zu deinem Stamm zurück?“

Doch Kito schüttelte den Kopf und nahm Risas Hand. „Nein, ich möchte hierbleiben und viel über Indigoner und Menschen lernen und noch ausdrucksstarker in Indigonisch und Damisch werden!“

Jack lachte auf. „Ausdrucksstark bist du schon genug.“

Fragend legte Kito den Kopf schief. Doch statt ihr die Bedeutung von ausdrucksstark zu erklären, warf Jack einen weiteren Blick auf das zerstörte Grundstück. „Nun gut, dann mal ran an die Arbeit.“

„Wie meinst du?“, fragte Ituha verwirrt.

Jack grinste. „Manchmal müssen die Kinder eben auch hinter ihren Eltern aufräumen. Und mein ‚Vater‘ hat für echt viel Unordnung gesorgt.“

Irgendwie war es Susanne unangenehm zu hören, wie Jack Mars als Vater bezeichnete. Doch dieser nahm von ihrem Schaudern keine Notiz.

Sie beobachtete, wie er an den Rand zum zerstörten Bereich trat und eine Hand auf die nächste Erdscholle legte. „Mars hatte Erd-Energie verwendet, damit ich mir selbst die Schuld geben konnte. Weil ich es nicht hatte verhindern können und dadurch für Risas Tod verantwortlich gewesen wäre.“

„Das stimmt doch gar nicht, du bist nicht schuld!“, rief die kleine Risa selbst aus.

Jack lachte schwach auf. „Aber einen Vorteil hat die ganze Geschichte. Dadurch hat er keine Zerstörungs-Energie benutzen dürfen. Und Erd-Energie…“

Erschrocken taumelte Susanne zurück, als der plötzlich bebende Boden sie ins Schwanken brachte. Das laute Grollen erinnerte sie an vorgestern, an die erdrückend grauen Mauern, die mit einem Schlag in sich zusammenfielen. Automatisch überkam sie dieselbe Angst und Sorge um Jack wie damals, während die orangene Aura um seinen Körper zu lodern begann.

Und dann sah sie es. Die Risse begannen sich zu schließen. Die Stellen, wo die Erde hervorstach glätteten sich und die Löcher füllten sich auf. Nach und nach passte sich die gesamte Umgebung an, bis alles auf einer einzigen Ebene war. Bis es so war wie früher, fast so als wäre Mars nie gewesen. Nur noch das zerstörte Haus selbst bezeugte die Geschehnisse vor zwei Tagen.

Als das Beben vorüber war entstand ein erstauntes, um nicht zu sagen ehrfurchtsvolles Schweigen. Alle Augen waren auf Jack gerichtet, welcher sich aufrichtete und keuchend den Schweiß von der Stirn wischte. „Sachen kaputt machen ist irgendwie einfacher.“

Er wandte sich zu ihnen um, die Äderchen um seine Augen stachen schwach orange hervor. Jack lächelte leicht belustigt als er die ganzen verwirrten Gesichter sah. „Das Haus selbst ist mir zu kompliziert, aber so könnt ihr zumindest direkt ans Werk.“

Die Indigonerin atmete geräuschvoll aus, ihre Erleichterung war nicht zu überhören. „Danke. Ich schulde dir schon wieder was.“

„Läuft wohl auf nen zweiten Whisky hinaus.“

„Was ist denn passiert?“, fragte das blinde Mädchen irritiert.

„Komm Klammeräffchen, schau’s dir selbst an.“, meinte Jack und kam zu Ituha rüber, um ihr Risa abzunehmen. Diese schlang sofort voller Begeisterung die Arme um seinen Hals.

Es war nicht zu übersehen, wie sehr die Tatsache Jack nach wie vor überforderte, dass das Mädchen was er hielt seine leibliche Schwester war, von deren Existenz er bis vor zwei Tagen noch nicht einmal etwas gewusst hatte. Entsprechend zurückhaltend und unbeholfen reagierte er auf die Zuneigung, die Risa ihm entgegenbrachte. Und doch war er gleichzeitig versucht sie irgendwie zu erwidern.

Jack ging mit Risa einige Schritte auf das Haus zu, bis sie mitten auf dem Gebiet waren, welches vor kurzem noch nicht einmal hatte betreten werden können. Und nun stand er da, problemlos, und kniete sich hin, um das Mädchen vorsichtig auf dem Boden abzusetzen.

„Und? Was sagt die Expertin?“, fragte Jack amüsiert, während Risa den erdigen Boden abtastete als würde sie dessen Qualität überprüfen.

Schließlich grinste sie ihn an. „Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, Herr Baumeister.“

Lachend wuschelte Jack ihr durch die rotbraunen Locken und erleichtert bemerkte Susanne Lissis stummes und doch begeistertes Quietschen.

Auch Jack war diese Reaktion nicht entgangen. Belustigt schaute er zu den Zwillingen rüber. „Selbst das sicherste Haus ist nutzlos, wenn der Boden es nicht tragen kann. Nicht wahr?“ Er zuckte mit den Schultern. „Wenn eine gute Grundlage da ist, lässt sich eigentlich alles wieder aufbauen.“

Wieder kam Susanne der Gedanke, wie gut man diese Aussage nicht nur auf die Bar beziehen konnte. Und ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie bei einem Seitenblick auf Lissi sah, dass diese Botschaft auch sie erreicht hatte und ihre Schwester endlich wieder lachen konnte.

 
 

~*~

 

Seufzend setzte sich Janine an den Rand des Brunnens, betrachtete die weißen Bauten der Coeur-Academy unter dem düsteren, wolkenverhangenen Himmel. Sie waren alle umgeben von Gerüsten und auf den Dächern oder an den Fassaden werkelten die verschiedensten Leute. Die Aufräum- und Reparaturarbeiten waren nach wie vor in vollem Gange.

Janine war hierher zurückgekehrt, um mit ihrer Magie ebenfalls zu helfen. Doch irgendwie…

Es waren nun zwei Tage vergangen, seit sich ihre Gruppe getrennt hatte. Etwas gehört hatte sie seitdem von niemandem. Gemeldet hatte sie sich selbst wiederum auch nicht… Sie wollte. Aber…

Bedrückt versuchte Janine die Erinnerungen zu vertreiben, hoffte irgendwie den Schmerz ignorieren zu können. Erfolglos.

Sie biss sich auf die Unterlippe, konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Obwohl nun schon zwei Tage vergangen waren, obwohl sie schon so häufig deshalb geweint hatte… Es tat weh, ihr Herz tat immer wieder so unsagbar weh. Fast so als wäre da eine Hand und drückte zu. Zerquetschte es. Zerquetschte sie. Immer wieder.

Janine krümmte sich. Ihr war kalt, sie fror am ganzen Körper. Und doch lag es nicht daran, dass sie außen auf dem Brunnenrand saß. Es war nicht der Herbstwind, der sich auf ihren nassen Wangen umso eisiger anfühlte.

Nein, es war-

Kaum drohte der Gedanke in ihrem Kopf erneut Form anzunehmen, wurde Janine von einer weiteren Welle an Schmerzen überschwemmt. Heftiger, schlimmer. Sie verstärkte den Griff um ihre Arme, verlor endgültig die Macht über sich selbst. Über ihre Gefühle.

Janine schluchzte auf.

Sie hatte es nicht geschafft. Sie hatte verloren. Auch, wenn Mars nicht mehr da war… Er hatte sie besiegt.

Sie alle.

„… Janine?“

Erschrocken schaute Janine auf und hielt die Luft an, als sie in Tatjanas himmelblaue Augen sah, in denen ein mitfühlender, besorgter Blick lag.

Hastig wischte sie sich über die Wangen, neben dem Schmerz in ihrem Herzen kam ein unwohles Schamgefühl hinzu. Ein Frust, der immer stärker wurde, je mehr sie realisierte, dass sie die Tränen einfach nicht unter Kontrolle bekam. Eher das Gegenteil war der Fall.

Vorsichtig setzte sich Tatjana neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Ich dachte, ihr seid alle noch in Indigo. Ist was passiert?“

„I-ich­… es…“, stammelte Janine, nicht in der Lage in Worte zu fassen, was ihr Herz mehr und mehr zerfraß.

Tatjanas sanftem Lächeln nach zu urteilen brauchte sie es auch gar nicht. Sie schien es bereits zu verstehen. „Es ist schwer, nicht wahr? Einfach weiter machen zu wollen wie bisher, nachdem… Nach so etwas.“

Befangen nickte Janine, versuchte sich weiterhin irgendwie zusammenzureißen.

„Willst du darüber reden?“, erkundigte sich Tatjana vorsichtig. Es klang nicht drängend, schon gar nicht neugierig. Sie streckte ihr einfach nur die Hand entgegen. Ein Angebot, ihr wieder auf die Beine zu helfen.

„Es…“ Immer noch wusste Janine nicht, wie sie all das in Worte fassen sollte. Es war so viel, viel zu viel. „… Ich habe Angst…“, brachte sie schließlich zitternd hervor. Dieser eine Ausdruck wirkte viel zu unpassend, schien all dem nicht gerecht werden zu können.

„Wovor?“

„D-das… das nun… alles vorbei ist.“ Alleine es aussprechen zu müssen trieb Janine erneut die Tränen in die Augen. „Öznur, Anne und… und Benni und Carsten… Ich habe Angst, dass sie nie wieder aufwachen. Und dass Jack- Na ja… Es… Alles, was passiert ist.“

Fröstelnd rieb sie sich die Oberarme und spürte, wie Tatjana sie sanft in die Arme nahm und etwas mehr an sich zog.

Im ersten Moment war Janine diese Nähe unangenehm. Schließlich kannte sie diese Frau doch gar nicht. Aber als sie begann diese angenehme Wärme zu spüren, die von Tatjanas Körper ausging, schwand die Scham allmählich.

Es war warm… Gemütlich…

Zögernd lehnte sich Janine etwas mehr gegen Tatjana und fragte: „Kennst du das? Wenn man glauben müsste jetzt sollte alles wieder gut werden aber… es nicht glauben kann?“

Sie spürte, wie Tatjana schwach nickte. „Eigentlich sollte man sich befreit fühlen. Erleichtert, dass es endlich vorbei ist. Doch aus irgendeinem Grund kann man es nicht. Fast so, als fehlt etwas. Etwas von einem selbst.“

Janine war überrascht, wie treffend Tatjana ihre Gefühle hatte in Worte fassen können. Obwohl sie sogar zu wissen meinte, warum das so war.

„W-was… was war es bei dir gewesen?“ Janine realisierte nicht, dass sie diese Frage laut ausgesprochen hatte. Erst, als sie Tatjana schwach auflachen hörte, eher traurig statt froh. Zeitgleich verstärkte sie ihren Griff etwas. „Ich glaube, das weißt du schon längst…“

Zitternd atmete Janine ein, mit einem Schlag verspannte sich ihr gesamter Körper. Sie konnte das Durcheinander in ihrem Herzen nicht wirklich beschreiben. Und noch weniger das Chaos in ihrem Kopf. Da war alles. Von der lähmenden Angst und Sorge über Verwirrung und Unglauben bis hin zu… War das Erleichterung? Hoffnung? Irgendein schwaches, angenehmes Gefühl, was Janine nicht wirklich einordnen konnte. Was sich kaum durchzusetzen vermochte, gegen diese negative Übermacht.

„Warum hast du… es mir nicht gesagt?“, fragte sie verunsichert. „Als… Warum…“

Bedrückt seufzte Tatjana und fuhr ihr mit der Hand über den Rücken. „Ich wollte, aber… Es war schwer in Worte zu fassen. Oder nein… Es war schwer es auszusprechen. Einfach so, als wäre nichts gewesen…“

„Aber du hast doch sogar gesagt, dass… dass wir euch gar nicht erst fragen sollen. Dass ihr… nicht darüber reden wollt, wer ihr wart.“ Mit einem Schlag fühlte sich diese Nähe unangenehm an. Janine wand sich aus der Umarmung. Sie wollte diesen Trost gar nicht!

Und direkt kam das erdrückende Gefühl zurück. Direkt drohte wieder ihr Herz zu zersplittern, kamen ihr wieder die Tränen, als sie ihrer großen Schwester in die Augen schaute und verzweifelt schrie: „Warum bist du überhaupt zurückgekommen, wenn du mit deiner Vergangenheit gar nichts mehr zu tun haben willst?!?“

„Weil das nicht der Fall ist.“, widersprach Tatjana ihr bestimmt. „Ich hatte das wegen Amarth gesagt. Er… Es war wirklich schwer für ihn. Er wollte unbedingt helfen, koste es was es wolle.“ Sie merkte, wie Tatjana bei diesen Worten selbst gegen die Tränen kämpfen musste. „Aber… Diese Erinnerungen, dieses… Diese Angst! Er hatte so eine Angst davor, wie ihr reagieren würdet, wenn ihr erfahrt wer er ist. Wie Anne reagieren würde! Und Ria redet auch nicht gerne über sich und ihre Familie. Deswegen… wollte ich den beiden einfach diese unangenehme Situation ersparen.“

Betreten wandte Janine den Blick ab. Sie konnte verstehen, warum Tatjana die beiden in Schutz nehmen wollte. Aber… „Du hättest doch trotzdem…“

„Ich wollte. Aber bisher hatte sich einfach nicht die Gelegenheit dazu ergeben.“ Sie spürte, wie Tatjana ihr sanft mit dem Daumen über die Wange strich. „Bisher hatte ich nicht den Mut dazu aufbringen können.“

„Du kämpfst regelmäßig gegen Monster, die dich mit einem Kratzer töten könnten, und bei sowas fehlt dir der Mut?“, konterte Janine schwach, fast so als wollte sie aus Prinzip kein Verständnis dafür aufbringen.

Bedrückt lachte Tatjana. „Natürlich. Wie diese Monster sich fühlen ist mir egal. Aber wie du reagieren würdest, was du denken und sagen könntest…“

Ein unwohles Gefühl kam in ihr hoch. Unruhig spielte sie mit dem Ärmel ihres Pullis, wurde den Gedanken nicht los, dass sie nun genau so reagierte wie Tatjana insgeheim befürchtet hatte. Mit Abweisung, mit Vorwürfen… Obwohl sie sich doch eigentlich freuen sollte. Obwohl sie erleichtert sein sollte! Dankbar, dass ihre große Schwester am Leben war!

Janine senkte den Blick, wurde mehr und mehr vom schlechten Gewissen übermannt. „… Tut mir leid…“

Sie merkte, wie Tatjana den Kopf schüttelte. „Mir tut es leid, meine Kleine.“ Sanft nahm sie Janine in die Arme, traf nicht auf den kleinsten Hauch einer Gegenwehr. Schwach begann Janine zu schluchzen, vergrub ihr Gesicht in Tatjanas Schulter, klammerte sich an ihrem schwarzen Oberteil fest. Doch obwohl ihre Finger zitterten, war ihr nicht kalt.

Sie spürte, wie Tatjana erneut über ihren Rücken strich und den Kopf gegen Janines lehnte, während sie ihre Worte leise wiederholte. „Mir tut es leid…“

Es verstrich einige Zeit, in welcher es Tatjana gelang Janine weitgehend zu beruhigen.

Bis eine Stimme sie aufblicken ließ.

„Janine?“

Es war eine relativ tiefe Stimme, die sie auch hätte erkennen können, ohne zu sehen wie Herr Bôss gemeinsam mit seiner Frau auf sie zukam.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt und setzte sich neben sie auf die andere Seite des Brunnenrandes.

Wieder fiel es Janine schwer, diese Frage zu beantworten. Wieder breitete sich ein erdrückendes Gefühl in ihrer Brust aus.

Sanft verstärkte Tatjana ihren Griff etwas und nahm die Antwort auf sich. „Es ist gerade einfach alles zu viel.“

„Wohl kaum verwunderlich. An einem einzigen Tag haben sie einer Schlacht beigewohnt, sich allen möglichen Kreaturen in der Unterwelt stellen müssen und obendrein einen Gottesdämon bekämpft.“, kommentierte eine weitere anwesende Person.

Überrascht stellte Janine fest, dass Ria mehrere Meter entfernt mit vor der Brust verschränkten Armen an einem Laternenmast lehnte. Fast schon so, als stünde sie bereits die ganze-

Das Blut schoss in ihren Kopf, als sie realisierte, dass Ria vermutlich nur so weit entfernt stand, um ihr und Tatjana genug Freiraum geben zu können. Irgendwie war es Janine unangenehm, diese Erkenntnis vor den Augen einer so starken Kämpferin geweint zu haben.

Und noch unangenehmer, als Ria ihren Blick erwiderte und die vollen Lippen zu einem sanften Lächeln formte, das jedermanns Herz zu erwärmen vermochte. „Selbst für jemanden mit Kriegserfahrung wäre das kein einfacher Tag. Wie soll es da erst für eine Gruppe Teenager aussehen?“

Tatjana kicherte. „Du bist selbst noch ein Teenager, Schatz.“

Als Ria daraufhin die Augen verdrehte, musste auch Janine schwach lachen.

Ebenso Herr Bôss, welcher ihr schließlich sachte auf ihre Schulter klopfte. „Wie wäre es, wenn wir erst einmal reingehen? Du frierst doch garantiert.“

Zögernd nickte Janine, stand allerdings nur auf, da sie von Tatjana auf die Beine gezogen wurde.

Schweigend betrachtete sie den asphaltierten Boden vor ihren Füßen, während sie den Direktoren folgte, unter einem der Gerüste durch hinein in das Gebäude, wo sich die Büros befanden. Bei dem Blick in den Gang rechts, welcher in den Krankensaal führte, wurde ihr Herz direkt wieder von dieser unsichtbaren Macht zerquetscht. Sie verband diesen Ort einfach viel zu stark mit…

„Wie sieht’s beim Rest aus?“, unterbrach Ria ihre erdrückenden Gedanken.

Herr Bôss seufzte. „Aus dem Krankenhaus gab es bisher leider keine Neuigkeiten. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Ich habe gestern Abend mit Valentin geredet und-“

„Jack ist noch da?!“, rief Janine plötzlich überrascht aus und unterbrach die Erzählung des Direktors dadurch. Kaum hatte sie Jacks früheren Namen auch nur gehört, war mit einem Schlag dieses erdrückende Gefühl von ihr abgefallen, wurde ersetzt von einer ungeahnten Leichtigkeit.

Dann erst bemerkte Janine, dass jeder sie anschaute. Mit geröteten Wangen fiel ihr Blick sofort wieder auf die goldfarbenen Treppenstufen, während Tatjana deutliche Mühe hatte, das Kichern zu unterdrücken.

Auch Herr Bôss‘ Schmunzeln war nicht zu überhören, dennoch klang er auch leicht bedrückt als er meinte: „Ich habe von dem Streit in eurer Gruppe gehört. Aber ja, er ist noch da. Susanne scheint die Pflege für Öznur und Anne übernommen zu haben, um die eigentlichen Ärzte etwas zu entlasten. Valentin hatte sich daraufhin als Pfleger für Benni und Carsten angeboten.“

„Das ist echt lieb von den beiden!“, stellte Tatjana erfreut fest.

Der Direktor lachte auf. „Definitiv. Saya war sogar so begeistert davon, dass sie für die beiden direkt einen Vertrag für einen Minijob aufgesetzt hat, damit ihre Mühen zumindest ein bisschen entlohnt werden.“

„Das ist wirklich zuvorkommend von ihr.“, meinte Frau Bôss.

„Schon, wobei Valentin das wohl auch ziemlich gelegen kam.“

Überrascht schaute Janine ihn an, während sie in das Direktorat trat. „Wie meinen Sie das?“

„Na ja, da er nun gezwungener Maßen nicht mehr für Mars arbeitet, fehlen ihm die Einnahmen.“

Auch Ria schien von dieser Aussage verwirrt. „Einnahmen?“

Seufzend setzte sich Herr Bôss auf den Stuhl seines Schreibtisches und fuhr sich durch die längeren rosaroten Haare. „Im Prinzip war Valentin bei Mars als Auftragskiller angestellt und wurde entsprechend entlohnt, wie als würde er einer ganz gewöhnlichen Arbeit nachgehen.“ Der Direktor lachte auf. „Er hatte sogar ganz normal Steuern gezahlt, wobei die in der Unterwelt wohl generell ziemlich niedrig sind.“

Ria hob eine Augenbraue. „Woher kommt ein Dämon an Geld, dass er damit sogar Angestellte bezahlen kann?“

„Ach, ich kann mir schon vorstellen, dass er sehr viel Einfluss hatte und dadurch auch an sehr viel Geld gekommen ist. Aber das solltest du eher Valentin selbst fragen.“, antwortete er.

Geräuschvoll atmete Ria aus. „Ich will gar nicht erst wissen, was Mars sonst noch so getrieben hat.“

Tatjana kicherte. „Stimmt, vielleicht hat der Dämon ja auch eine gemeinnützige Organisation für ausgesetzte Baby-Alpakas gegründet, wer weiß.“

Rias Blick ließ nur schwer deuten, was sie von dem Witz ihrer Freundin hielt. Herr Bôss‘ Humor schien er jedoch getroffen zu haben. „Damit hat er zumindest ein ernstzunehmendes Nischenthema entdeckt. Wir sollten unbedingt Valentin darauf ansprechen.“

Während sich Janine noch fragte, worauf das hier eigentlich hinauslaufen sollte, beschloss Frau Bôss wohl, dass genug herumgealbert worden ist. „Ich würde vorschlagen, dass wir nun endlich zum eigentlichen Thema kommen sollten.“ Sie holte ein paar Zettel und wandte sich an Janine.

Leicht verunsichert spielte sie mit einer ihrer blonden Strähnen. Bei Frau Bôss‘ neutralem Blick konnte man nie sicher sagen, ob man nun ganz tolle Neuigkeiten zu hören bekam oder in gewaltigen Schwierigkeiten steckte.

Überrascht stellte sie fest, wie sehr sie das eigentlich an Benni erinnerte.

„Janine, wir haben vorhin mit dem Regionsvertreter von Cor gesprochen. Die Situation für die Dämonenverbundenen spitzt sich immer weiter zu und die Allianz versucht nun so behutsam wie möglich der Bevölkerung mitzuteilen, was in Wahrheit vorgefallen ist und dass Dämonenverbundene ab sofort als ganz normale Bewohner Damons angesehen werden und sie zu töten folglich ebenso strafbar ist.“

Janine schluckte schwer. „Sind das nicht gute Neuigkeiten?“

Herr Bôss seufzte. „Doch, eigentlich schon. Nur stellt sich die Frage, was wir mit dir und Valentin anfangen sollen, da Mur und Terra bisher ja unbedingt ihr eigenes Ding durchziehen mussten.“

Das unwohle Gefühl in Janines Brust wurde stärker. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht, aber…

„Aber ihr seid zu einer Lösung gekommen, nicht wahr?“, fragte Tatjana hastig.

Herr Bôss nickte lächelnd. „Deshalb wollten wir ja auch mit dir reden, Janine. Herr Brown, der Regionsvertreter von Cor, hatte von sich aus angeboten euch beiden die corische Staatsangehörigkeit zu geben und dadurch im Prinzip Asyl zu ermöglichen, indem ihr nicht mehr an Terra und Mur gebunden seid, euch aber trotzdem noch frei in Damon bewegen könnt.“

Ungläubig schaute Janine den Direktor an. Diese Nachricht überraschte sie so sehr, dass sie es noch gar nicht schaffte, erleichtert, dankbar oder froh darüber zu sein. Geschweige denn, diese Emotionen zu zeigen.

Tatjana gelang dies dafür umso besser. „Das ist ja wunderbar! Dann hat sich das Problem also schon von selbst in Luft aufgelöst?!?“, rief sie begeistert und fiel Janine um den Hals, die auch darauf nicht wirklich reagieren konnte. „Oooh, das ist so lieb von ihm! So ein Glück!!!“

„Wobei es da noch einen kleinen Haken gibt.“, warf Frau Bôss ein.

Während Tatjana alles andere als begeistert darüber war, wusste Janine nach wie vor nicht, was sie davon denken sollte. Nach all der Zeit würde sie nicht mehr in der Angst leben, einfach so plötzlich getötet zu werden? Es gab tatsächlich einen Regionsvorsteher, der ihr helfen wollte? Von sich aus?

Natürlich musste es dabei einen Haken geben.

So traurig es auch war, gerade was die Obrigkeit in den Regionen betraf, war Janine nun mal vorgeprägt. Sie konnte ihnen nicht einfach so vertrauen. Besonders nicht nachdem sie erfahren hatte, was der Herrscher ihrer Region alles ihr selbst, ihrer eigenen Familie angetan hatte…

„Was ist das für ein Haken?“, fragte sie kühl, viel zu vereinnahmt von diesen Vorurteilen.

Herr Bôss winkte ab. „Eigentlich ist das keine große Sache. Um die corische Staatsangehörigkeit zu bekommen, braucht man logischerweise einen angemeldeten Wohnsitzt in Cor.“

Frau Bôss nickte. „Wir haben beispielsweise auch nur die corische Staatsangehörigkeit bekommen, da wir hier in der Coeur-Academy wohnen. Ursprünglich kommen wir aus Monde.“

„Genau. Für Valentin ist das kein Problem. Er hat zwar gezögert das Angebot anzunehmen, aber letztlich kann er einfach im Anwohnermeldeamt von uns eine Bestätigung vorzeigen und sagen, dass er hier wohnt. Bei dir ist das jedoch etwas komplizierter, da du noch nicht volljährig bist.“

„… Oh…“ Mehr wusste Janine darauf nicht zu sagen.

Das war der Haken? Nur das? Während sie sich nun einerseits dafür schämte, direkt schlecht über Herrn Brown gedacht zu haben, kam andererseits immer mehr die Hoffnung durch, dass sich dieser Traum tatsächlich erfüllen könnte. Nicht mehr in Angst leben zu müssen. Nicht mehr sich unsichtbar machen zu wollen, damit man nicht plötzlich entführt, ausgeraubt, vergewaltigt oder ermordet wurde. Nicht mehr…

Einfach leben zu können!

Da war nur noch dieser eine Haken.

„Aber ihr habt doch schon eine Lösung dafür, oder?“, fragte Tatjana drängend.

„Zumindest einen Vorschlag.“, verbesserte Frau Bôss und reichte Janine die Zettel, die sie bis eben in der Hand gehalten hatte. „Janine, mein Mann und ich hatten uns gestern Abend lange darüber unterhalten. Er hatte die Sorge, dass der Verlust deiner Adoptivmutter für dich noch zu frisch ist, um so einen Neuanfang wagen zu können aber insbesondere aufgrund der Dringlichkeit der Situation haben wir beschlossen, dir trotzdem dieses Angebot zu machen. Insofern es für dich in Ordnung ist, würden wir gerne die Rolle als deine Erziehungsberechtigten übernehmen, um dir hier in Cor ein neues Leben zu ermöglichen.“

Janine blinzelte. Ihre Augen hatten sich schon so sehr mit Tränen gefüllt, dass sie nur noch erahnen konnte, dass es sich bei den Zetteln in ihrer Hand um Adoptionspapiere handelte.

Zitternd hielt sie eine Hand vor den Mund, versuchte das Schluchzen irgendwie zu unterdrücken.

„Ich hoffe, das ist jetzt kein zu großer Überfall für dich.“, warf Herr Bôss ein.

Irgendwie versuchte sie ein Kopfschütteln zustande zu bringen. Versuchte irgendwie zu sagen, wie dankbar sie war, wie sehr sie sich darüber eigentlich freute. Doch statt etwas sagen zu können, wurde das Schluchzen nur noch heftiger, die Gefühle die sie erzittern ließen umso stärker.

Bis Janine weinend auf dem Boden zusammenbrach.

Sie spürte einen Arm um ihre Schultern. „Hey meine Süße, es ist alles gut. Lass das erstmal setzen und dann kannst du in Ruhe darüber nachdenken.“, hörte sie Tatjanas Stimme, die selbst gegen die Tränen anzukämpfen schien. Und doch war ihre Erleichterung nur ein Bruchteil derer, die Janine übermannte.

Ria klang leicht amüsiert. „Ich glaube, darüber nachdenken muss sie gar nicht mehr.“

Wieder versuchte Janine irgendetwas darauf zu erwidern, irgendwie zu reagieren. Und wieder gelang es ihr nicht. Kaum versuchte sie das Wort ‚Danke‘ auch nur zu bilden, dachte gar daran, umso heftiger wurden diese Gefühle, diese unglaubliche Übermacht.

Sie bekam am Rande mit, wie Herr Bôss von seinem Platz aufstand und wie sich Frau Bôss bereits zu ihr auf den Boden gekniet hatte. Und konnte es immer noch nicht glauben.

„Das mit dem ‚du‘ wird vermutlich erst ne ziemliche Umgewöhnung, oder?“, meinte Herr Bôss leicht belustigt und legte eine Hand auf ihre Schulter.

Janine lachte schwach auf, die einzige wirkliche Reaktion die sie zustande bekam.

War das wirklich real? Kein Traum? Diese beiden Menschen, die ihr schon so sehr in ihrer Zeit hier auf der Coeur-Academy geholfen hatten, die ihr diese Zeit hier auf der Coeur-Academy überhaupt erst ermöglicht hatten… Wollten diese beiden ihr wirklich dieses neue Leben schenken? Boten sie ihr wirklich an, zu einer neuen Familie zu werden?!

Danke…

Und wieder bekam Janine dieses Wort nicht über die Lippen. Wieder wurde ihr Schluchzen nur noch stärker. Doch gleichzeitig mischte sich darunter irgendwie auch ein Lachen, eine lange schon vergessen geglaubte Wärme…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Regina_Regenbogen
2021-09-12T13:58:59+00:00 12.09.2021 15:58
Genau Jack! Gib's ihr! Wie kann man Lissi in so einem Moment alleine lassen! Meine süße, verletzliche Lissi!!!!! ToT Die Lissi, die gesagt hat, dass sie alle lieb hat! ToT ToT ToT
Okay, Susanne, ich verbeuge mich vor dir und gebe Jack recht: Sie sind tatsächlich nicht nur äußerlich Geschwister.
Respeeeeeeekt!!!!!!
Ooooooh, ich liebe Jack und Lissi zusammen!!!!!! Das ist so süüüüüß!!!!!!!!
Ooooooh, Jack, du bist ein Genie, wie wundervoll du alles mit Zweideutigkeiten ausgedrückt hast, was Lissi hören musste! *schnief* So schön!

Okay, das wird nur zu einem Problem, wenn sie Jack auch adoptieren wollen. XD
Und wow, die Adoptiv-Schwester ist mit der leiblichen Schwester liiert, auch interessant. :'D Wobei wir immer noch nicht wissen, was Rias Problem mit ihren Eltern ist...

Sorry, da mir Janine null am Herzen liegt, kann ich nicht viel zu ihrem Abschnitt sagen, habe mich aber umso mehr über den Teil mit Susanne, Lissi, Jack und Risa gefreut und natürlich Kito und Ituha. Das war voll schön.

Oh mein Gott, ich bin am momentan letztveröffentlichten Kapitel angekommen! Wie konnte das passieren?! 😱
Das muss ich noch verarbeiten.
Antwort von:  RukaHimenoshi
12.09.2021 18:10
🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣 Ich feier diesen Umschwung! Und ja, absolut!!!! Aaaaaah, ich liebe es, dass Susi dich auch hinters Licht führen konnte. Ja, sie kann halt auch ein kleines, gerissenes Genie sein, hehehehehe 🤭😏💗
Haha, und ich hoffe, du hast dich schön an der Mehlsack-Szene erfreuen können XD
Und ja, ich habe Jack in dem Moment so sehr geliebt!!!! Was ein Improvisationskünstler!!!!! 😍😍😍😍😍😍

Hahahahaha, falls du dich an das Gespräch nach der Offenbarung über das FESJ erinnerst, da hatte Herr Bôss gemeint, dass Jack das vermutlich nicht will - und er möchte auch wirklich nicht adoptiert werden. 😅 (Und muss es auch gar nicht, da er ja schon volljährig ist.) Jack hatte ja selbst zu Mars gesagt, dass er nie ein Glück mit Vaterfiguren hatte. Und da ist sein Vertrauen inzwischen auch leider einfach gestorben. Für ihn ist es am einfachsten, seinen leiblichen Vater als den besoffenen Schläger und seinen "Adoptivvater" als den manipulativen Dämon in Erinnerung zu haben und nun damit auch abzuschließen, statt sich schon wieder einen "richtigen Vater" zu erhoffen. Daher macht Herr Bôss das eigentlich richtig geschickt, denn nun kann er auf JxJ hoffen und dann ein richtig toller Schwiegervater werden. 🤭😘 Und Lissi würde dann auch auf ihre Kosten kommen, da Janine den Namen ihrer Adoptiveltern annehmen wird und Jack (dem so gar nichts an seinem Nachnamen liegt, weil es der seines leiblichen Vaters ist) dann Janines Namen annehmen kann... Und Jack Bôss klingt halt echt stylisch hehehehehehehehehehehehehehehehehehehehehehehehe :3

Hahahaha und ja, es klingt eingentlich durch Rias und Tatjanas Beziehung so falsch... Meine Schwägerin ist gleichzeitig meine Adoptivschwester und dadurch ist meine leibliche Schwester irgendwie auch meine Schwägerin... Klingt schon fast nach RTL-Potenzial 🤣🤣🤣

> Wobei wir immer noch nicht wissen, was Rias Problem mit ihren Eltern ist...
Wird irgendwie irgendwann noch aufgelöst XD

> Oh mein Gott, ich bin am momentan letztveröffentlichten Kapitel angekommen! Wie konnte das passieren?! 😱
Oh nooooooo, der Druck, dass ich mich mit schreiben beeilen sollte steeeeiiiiiigt!!!!! 😭😭😭😅


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