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Meeresflüstern

Die Hungerspiele der Annie Cresta
von

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Fleischbeschau

Das Vorbereitungsgebäude ist ein riesiger Glaskomplex, in dem jeder Distrikt seinen eigenen Bereich hat. Von den anderen Tributen sehen wir nichts. Pon und ich werden getrennt in kleine geflieste Kabinen zur ‚Einstellung auf Beauty Zero‘ gebracht. Was immer das heißen mag.

Eine blecherne Stimme aus einem Lautsprecher in der Ecke verkündet mir, dass ich mich nun ausziehen müsse, um geduscht zu werden. Nur widerstrebend komme ich der Bitte nach. Das Gefühl vieler unsichtbarer Kameras auf mir schickt Gänsehaut über meinen entblößten Körper. Einzig die neue Kette und die Muschelspange von Mama behalte ich an.

Eine Klappe in der Wand öffnet sich und mir wird befohlen, alle Sachen hineinzulegen. Kaum habe ich das getan, schnappt sie zu. Dafür erschrecken mich nun eiskaltes Wasser und Seife, die von der Decke herabrieseln.

Nachdem ich den Duschgang überstanden habe, meine Haare von einem automatischen Haartrockner geföhnt und geglättet wurden und ich nach Blumen dufte, öffnet sich ein Durchgang in ein größeres Zimmer.

Wände und Boden sind auch hier vollständig gekachelt. Das komplett metallene Interieur erinnert an die Fabriken, in denen der fangfrische Fisch ausgenommen wird. Verloren liegt ein zarter Seidenmantel auf einem Hocker mitten im Raum. Nach einem Moment des Überlegens schlüpfe ich hinein und setze mich. Zwischen all dem blanken Stahl ist es kalt. Mir läuft ein neuerlicher Schauer über den Rücken. Ich muss daran denken, wie viele Tribute vor mir hier wohl hergerichtet wurden, nur um anschließend ihr Leben in der Arena auszuhauchen. Schön bis in den Tod.

Endlich gleitet eine verborgene Tür am Ende des Raumes auf und drei glitzernde Personen betreten ihn. »Oh schaut nur! Was für eine Schönheit! Aus dir können wir viel rausholen, Roan wird begeistert sein«, zwitschert die Kleinste von ihnen, die aussieht wie ein menschlicher Kolibri, ganz in schillernde Blau- und Grüntone gekleidet. Sie kommt bemerkenswert geschwind auf ihren hohen Schuhen herangelaufen und umfasst meine Wangen mit ihren schmalen Händen. »Wunderbar klare Poren, Liebes! Und was für eine entzückende Haarspange! Keine Sorge, diese Sommersprossen kriegen wir bestimmt versteckt.«

Ich spüre ihren Atem auf der Haut, während sie mich gründlich mustert. Sämtliche Widerworte bleiben mir im Hals stecken und ich ertrage es, dass sie ungeniert Gesicht und Haare befingert, obwohl ich ihr am liebsten sagen würde, dass meine Sommersprossen genauso zu mir gehören wie die blau-grünen Augen.

Die anderen beiden erklären, dass sie das Vorbereitungsteam sind. Roan, der hauptverantwortliche Stylist, fehlt noch. Bevor ich ihm vorgeführt werde, werden die drei mich komplett ‚überholen‘. Was das bedeutet, soll ich in den nächsten Stunden deutlich zu spüren bekommen.

Die Kolibrifrau, die sich als Rosetta vorstellt, nimmt mir den dünnen Mantel ab und setzt ihre Begutachtung am Rest meines gänsehautüberzogenen Körpers fort. Beschämt versuche ich, mich mit den Händen zu bedecken, doch sie zieht mein Handgelenk mit sanftem Druck zurück. »Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte. Keine Sorge, wir haben rein professionelle Interessen!«

Sie klemmt sich eine kleine Lupe an ihr linkes Auge, an der sie immer wieder hin und her dreht. Langsam gleitet ihr Blick über jeden Zentimeter unbedeckter Haut, begleitet von leisem Gemurmel, dessen Sinn sich mir nicht erschließt. Ihre beiden Kollegen nicken hingegen verständnisvoll und machen eifrig Notizen auf einer Art gläserne Scheibe.

Ich bekomme einen Eindruck davon, wie sich Schlachtvieh fühlen muss, kurz bevor es dem Ende entgegensieht. Nach eingehender Musterung übergibt die Frau mich den anderen, mit der knappen Anweisung, eine gründliche Enthaarung vorzunehmen. Daheim sind solche Sachen nebensächlich, doch hier wird anscheinend großer Wert auf eine glatte, makellose Haut gelegt. Ich verstehe nicht, warum die Härchen so störend sind, da ich mit der Tatsache aufgewachsen bin, dass der Mensch Haare am Körper hat. Aber ich stelle keine Fragen, sondern ergebe mich lieber meinem Schicksal.

Es dauert nicht lange und ich bereue es, nichts gesagt zu haben. Den Rücken auf einem kalten Metalltisch, liege ich da wie ein Fisch auf dem Trockenen, während das Vorbereitungsteam mit großen Wachstreifen jeden Zentimeter von mir bearbeitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie nicht nur Härchen, sondern auch den Rest meiner Haut entfernen, so sehr brennt die Prozedur.

Ab und zu kommt die Kolibrifrau zu mir, um mich zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Ihr wildes Geplapper springt von einem Thema zum nächsten, ganz wie ein Kolibri von Blume zu Blume schwirrt. Es hat fast schon hypnotische Wirkung, dem melodischen Auf und Ab ihrer Stimme zu lauschen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass sie ein Vogel ist.

Endlich sind die drei zufrieden mit meiner neuen Haarlosigkeit. Ich falle beinahe um, als ich gebeten werde, aufzustehen, so sehr schmerzen sämtliche Gliedmaßen. Das anstehende Bad erscheint mir jetzt besonders verlockend. Aber schnell stellt sich heraus, dass der grünliche Schaum wenig angenehm ist, sondern erst recht brennt. Mit zusammengepressten Lippen lasse ich auch das über mich ergehen, ebenso wie die darauffolgende zweite Musterung. Erneut werde ich mit Pinzetten bearbeitet, abgeduscht und eingecremt, ehe mir der Seidenmantel wieder übergestreift wird.

Inzwischen habe ich kein Gefühl mehr in Armen und Beinen, abgesehen von einem dumpfen Kribbeln. Mein Zeitgefühl ist ebenso abhandengekommen. Auf jeden Fall bin ich schon eine Ewigkeit hier drinnen.

Zur Abwechslung wird nun das Gesicht bearbeitet. Die kleine Kolibrifrau umschwirrt mich, während sie meine Augenbrauen zupfen, und redet unablässig davon, wie hübsch ich bin und was für eine Schande es sei, dass so eine Schönheit wie ich in einem Distrikt geboren wurde.

Mitunter frage ich mich zwar schon, wie es wäre, ein sorgloses Leben im Kapitol zu genießen. Aber wenn ich mir diese schrill gekleideten, affektierten Leute so angucke, dann bin ich doch froh, bloß aus Distrikt vier zu sein. Obwohl mein Vorbereitungsteam auf seine Weise irgendwie drollig ist. In ihrer ungebremsten Begeisterung erscheinen sie mir wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal am Riff tauchen darf und all die bunten Fische und Korallen sieht.

Der Frieden hält jedoch nicht lange. Die Stimmen meiner Crew werden immer lauter und schaukeln sich gegenseitig hoch, bis ich vorsichtig ein Lid hebe. Die Hände in die Hüften gestemmt, stehen sie voreinander und streiten sich darüber, wie sie meine Haare färben sollen.

Kolibrichen, deren richtigen Namen ich vergessen habe, scheint der Meinung zu sein, dass mir grüne Highlights hervorragend stehen würden. Die beiden anderen, Vivette und Alexis, sind hingegen überzeugt davon, dass Gold viel besser zu meinem Kostüm passen wird. »Süße, du willst doch sicher keine grünen Strähnchen haben, oder?«, versucht Vivette verzweifelt, mich auf ihre Seite zu ziehen.

»Eh … ich bevorzuge es natürlich«, antworte ich, überrascht, dass überhaupt nach meiner Meinung gefragt wird.

»Siehst du, Rosetta? Grüne Strähnchen sind ja so was von OUT!«

»Ach ja? Gold ist ja wohl seit fünf Jahren out!« Kolibrichen funkelt ihre Kollegin unter ihren mit Glitzersteinen besetzten Wimpern heraus an.

Angesichts ihres inbrünstigen Streits über Haarfarben muss ich ein Grinsen unterdrücken. Ich kann ihnen nur schwer sauer sein, wenn sie so unbedarft wie Kinder miteinander zanken.

»Es ist die Farbe der Sieger. Und das ist derzeit sowas von im Trend«, mischt Alexis sich ebenfalls ein.

Interessant, was gerade im Kapitol angesagt ist und hauptsächlicher Lebensinhalt dieser drei Gestalten zu sein scheint. Gold ist sicherlich nicht hässlich, aber ich kann mir nur schwer Haare in dieser Farbe vorstellen. Grün ist allerdings keine bessere Wahl. Ich stelle es mir vor wie schleimige Algen.

»Ich bitte dich, Meerjungfrauen leben im Meer! Und grün ist eine Meeresfarbe!«, giftet Kolibri Alexis wiederum an.

»Meerjungfrauen, ihr majestätisches Haupt, bedeckt von rotem Goldhaar …«, summe ich leise vor mich hin, denn bei Kolibrichens Worten fällt mir gleich dieses alte Lied aus Distrikt vier ein. Jedes kleine Kind daheim weiß, dass Meerjungfrauen in den Legenden rote Haare haben. Ihre Strähnen sind so wertvoll wie pures Gold, darum wird es manchmal auch Goldhaar genannt.

Plötzlich packt Vivette mich an der Schulter. »Rot, welch ausgezeichnete Idee! Hörst du Rosetta? Hast du gehört, was sie gesungen hat?«

Kolibrichen rollt mit den Augen. »Ist ja gut, ich hab es doch gehört. Und ja, rot ist in der Tat eine ausgezeichnete Idee. Ich erzähle gleich Roan davon!«

Begeistert begutachten mich die drei. »Es wird dir ausgezeichnet stehen, vertrau uns!«, rufen sie alle gleichzeitig »Das wird Blicke auf sich ziehen!«.

Ich nicke stumm, bis Kolibri die beiden anderen wegscheucht und sie anweist, nicht so aufdringlich zu sein. Sie zwinkert mir verschwörerisch zu und verschwindet dann, um Roan zu holen. Ich freue mich nicht darauf, schon wieder nackt begutachtet zu werden.

 

Ich weiß nicht, was ich von Roan halten soll. Er muss bestimmt schon 50 Jahre alt sein, aber er sieht aus wie ein grotesker, altersloser Hybrid. Ich habe ihn ein paar Mal im Fernsehen gesehen, doch die Wirklichkeit ist weitaus ungnädiger. Ich erkenne die Falten, die auch seine vielen Schönheitsoperationen nicht glätten konnten, genauso wie die unzähligen Schichten von Make-up, die ihn nur aus der Ferne besser aussehen lassen, solange die Kameras nicht zu nah dran sind.

Seine Haare sind knallblau gefärbt und vor einiger Zeit hat er sich sogar für ein Paar Kiemen unters Messer gelegt. Jeder Zentimeter seiner Erscheinung strotzt nur so vor Klischee über Distrikt vier. Nach all den Jahren, die er unser Stylist ist, scheint er eine gewisse Obsession für das Meer entwickelt zu haben.

Zuletzt erregte er Aufsehen, als er die Tribute in hautenge Netze, besetzt mit echten Fischschuppen, zwängte. Vor allem der Geruch sorgte tagelang für Gesprächsstoff im Kapitol.

Wir sitzen uns im Nebenraum meines Erneuerungsstudios gegenüber, er voll bekleidet in einem geschuppten Anzug, ich in dem dürftigen Seidenmantel. Noch hat er kein Wort gesagt und lässt seinen Blick ebenso prüfend über mich gleiten, wie ich ihn gerade mustere. Schlussendlich zieht er einen Mundwinkel hoch und winkt Kolibrichen näher zu sich heran. »Rot ist gut. Es wird sie … wilder machen. Sonst ist sie doch recht langweilig. Hübsch, aber trist.«

Er dehnt die Worte beim Sprechen in die Länge, sodass man ungeduldig an seinen Lippen hängt und darauf wartet, dass er endlich fertig ist. Die ganze Zeit über ruht sein Blick unveränderlich emotionslos auf mir. Mich beschleicht das Gefühl, dass er versucht, die Gedanken von mir abzulesen. »Aber wenn sie erst mal eine Meerjungfrau ist …«, er schnalzt mit der Zunge. »Steh auf!«

Ich komme mir nur umso mehr wie Schlachtvieh vor, als Vivette daraufhin den Seidenmantel wieder von meinen Schultern zieht und ihm stolz ihre Arbeit präsentiert. Roan schreitet einmal um mich. Sein Blick brennt auf mir wie die sengende Berührung einer Qualle. Ich merke, wie seine Augen über meine Brüste gleiten und seine aufgespritzten Lippen zucken. Er lässt ein kleines Seufzen hören. »Da müssen wir polstern«, murmelt er. »Sonst sieht man nachher nichts.«

Zum Schluss greift er nach einer Haarsträhne und reibt sie zwischen den Fingern. Ich muss dem Drang widerstehen, seine Hand wegzuschlagen. »Schneidet den Spliss und bringt sie zum Glänzen, dann könnt ihr Färben«, weist er das Vorbereitungsteam an. »Keine Strähnchen, alles. Und lasst die Spange.«

Kaum, dass er losgelassen hat, ziehe ich mir hastig den Mantel wieder an. Das gierige Flackern in seinen Augen ist mir nicht entgangen, obwohl er sich so enttäuscht gibt. Nach seiner Begutachtung fühle ich mich wertlos und beschmutzt.

Vermutlich bin ich das für ihn auch, nicht mehr als ein Stück Fleisch, das er der hungrigen Zuschauermeute schmackhaft präsentieren will. Jeder weiß, dass er ein guter Freund von Präsident Snow ist und somit einer der größten Befürworter der Hungerspiele. Dieser ganze Zirkus ist sein Lebensinhalt.

Mein Vorbereitungsteam geleitet mich zurück in das Erneuerungsstudio, wo Alexis das Haarfärbemittel vorbereitet. In der Zwischenzeit bekomme ich die Gelegenheit etwas zu essen, was nach dem langen Tag auch nötig ist. »Keine Sorge, die Farbe hält nur für den heutigen Tag«, teilt mir Kolibrichen mit, während ich einen Hähnchenschenkel verspeise.

Das erleichtert mich zumindest ein wenig. Dann kann meine Familie wenigstens ihre langweilige Annie in der Arena wiedererkennen.

Ich habe großen Hunger und würde am liebsten noch mehr probieren, doch Alexis rückt mit dem Färbemittel an und Vivette zückt ein Fläschchen Nagellack, sodass ich wehmütig den halben Schenkel zurücklege.

Während sie mich in stinkende Gerüche hüllen, versuche ich, die Gedanken treiben zu lassen. Vor meinem inneren Auge beschwöre ich die Salzwiesen daheim herauf, das wogende Meer. Lange währt diese Entspannung allerdings nicht, denn das Fluchen von Vivette, die eine Nagellackflasche fallen gelassen hat, holt mich in die Gegenwart zurück.

Mit grün schimmernden Fingernägel und neuer Haarpracht – die ich in Ermanglung eines Spiegels nicht sehe – bringt das Team mich anschließend wieder in das Nebenzimmer, wo Roan bereits mit meinem Kleid wartet. Oder besser gesagt mit den Stoffstücken, die eins darstellen sollen. Ich erkenne nicht, wie sie zusammenhängen, aber es ist offensichtlich, dass ich dem Kapitol einen großzügigen Blick auf meinen Körper geben werde.

»Du wirst stark aussehen«, flüstert mir Kolibrichen ins Ohr, als sie sich an dem Kleid zu schaffen macht.

Ich glaube ihr nicht, doch sobald ich in den Spiegel sehen darf, zeigt sich mir ein ganz anderer Mensch. Meine hüftlangen Haare sind jetzt dunkelrot und heben sich deutlich von dem bauchfreien grünen Oberteil und dem Rock, die mit ein paar dekorativen Schnüren verbunden sind, ab. Passend dazu pinselt Vivette mir ein schuppiges Muster auf die Beine. Zusammen mit den Schuhen sehen sie aus wie eine Flosse. Als Clou binden sie mir noch ein silbernes Fischernetz um die Hüfte.

Ich mag zwar eine sehr kitschige Meerjungfraueninterpretation sein, aber der Aufzug lässt mich wie eine von den typischen Karrieretributen wirken, die selten ihre Reize verbergen. Unter all dem Make-up, das Kolibrichen mir ins Gesicht gezaubert hat, erkennt man meine Durchschnittlichkeit nicht mehr, genauso wenig wie die Sommersprossen. Im Gegenteil, mit dem tiefen Ausschnitt und dem kurzen Rock scheint es, als wolle ich dem gesamten Kapitol den Kopf verdrehen. Auf eine verquere Art und Weise sehe ich tatsächlich stark anstatt schüchtern aus.

Angesichts meines Aufzugs bin ich gespannt, wie wohl der kleine Pon aussieht, den ich gleich unten, in den ‚Ställen‘ treffen werde, wie man mir sagt. Mitsamt dem Vorbereitungsteam fahre ich in das Erdgeschoss herunter, von dem aus die Wagenparade starten wird. Uns empfängt ein würziger Duft nach Stroh.

Überall stehen Pferde, die vor die kleinen Streitwagen gespannt werden auf denen sie uns durch die Straßen des Kapitols ziehen werden. Aber viel aufregender ist der Anblick dahinter – zum ersten Mal sehe ich die anderen Tribute. Es macht mir Angst, dass sie plötzlich zum Greifen nahe sind. Wieder werden die Hungerspiele ein Stück realer. Ich merke, dass die Bauchschmerzen zurückkehren.

Wir sind Distrikt vier, was bedeutet, dass unser Streitwagen einer der Ersten ist, die das Studio verlassen. Ich werde keine Zeit haben, mich auf die Situation einzustellen.

Pon und sein eigenes Vorbereitungsteam sind bereits am Wagen, gemeinsam mit Amber und Cece. Schon von weitem erkenne ich das breite Strahlen unserer Betreuerin. Überschwänglich winkt sie das Team heran. Bei ihr angekommen, nimmt sie mein Gesicht in die Hände und brüllt mir über den Lärm von knapp vierundzwanzig anderen Grüppchen »Schön siehst du aus« entgegen.

Aber ich habe nur Augen für Pon, den sie augenscheinlich passend zu mir als Nix darstellen wollen. Auch er hat rote Haare bekommen und trägt eine Hose, die ähnlich wie mein Rock in Silber und Grün schimmert. Sein schmächtiger Oberkörper ist frei bis auf ein silbernes Fischernetz, das sie zu einer Weste verarbeitet haben.

Am schlimmsten ist jedoch der klägliche Versuch, Pon mit Make-up Bauchmuskeln aufzumalen. Man erkennt es nur von Nahem, aber ich frage mich, ob die Leute im Kapitol wirklich glauben werden, dass ein Zwölfjähriger solche Muskeln hat. Angesichts der beiden Vorbereitungsteams, die aufgeregt schnatternd zusammen stehen und wieder einmal den Eindruck von Zootieren vermitteln, bin ich mir da nicht sicher.

Pon lächelt mir zu und schlüpft zwischen den Erwachsenen an meine Seite. »Du hast eindeutig das bessere Outfit von uns beiden erwischt.« Er deutet auf seine eigenartige Weste und schneidet eine Grimasse.

Seufzend zupfe ich an dem kurzen Rock herum, was mir einen kritischen Blick vom Kolibri einbringt. »Findest du? Es kommt mir ein bisschen sehr gewagt vor.«

Er grinst. »Wir sind alle albern. Guck dich mal um.«

Und er hat recht, die meisten Tribute hat es nicht besser erwischt. Distrikt drei, der Technologiedistrikt, ist in metallisch wirkende Ganzkörperanzüge gehüllt und die armen Kinder aus Zwölf sind augenscheinlich nackt und nur von einer dunklen Schicht Kohlestaub bedeckt. In Anbetracht dessen schätze ich mich doch glücklich in meinem Outfit.

Eine knackende Stimme aus einem Lautsprecher verkündet, dass wir noch zwei Minuten haben. Aufregung macht sich breit. Hektisches Summen wie im Bienenstock wird laut und die Stylisten nehmen den letzten Feinschliff an ihren Tributen vor. Pon und ich werden von Kopf bis Fuß überprüft, ein paar Falten zurechtgezupft und schlussendlich eine große Menge Haarspray auf unsere Frisuren gesprüht, damit sie ja nicht im Fahrtwind zerstört werden.

Hustend und mit tränenden Augen steigen wir auf den Streitwagen. Noch eine Minute. Ich kämpfe darum, nicht an der Haarspraywolke zu ersticken, da drückt Roan uns beiden jeweils einen großen, goldenen Dreizack in die Hand. Es ist keine echte Waffe, dafür ist er zu leicht und die Spitzen enden in harmlosen Rundungen. Mit einer erhobenen Augenbraue versichert Amber uns grinsend, dass wir zumindest etwas gefährlich aussehen. Damit ist unser Aufzug komplett. Jetzt heißt es warten.

Ich schaue mich ein letztes Mal in der großen Halle um. Am Wagen aus Distrikt sechs erspähe ich Odair, der sich – wie sollte es anders sein – mit einer Frau aus dem Kapitol unterhält. Die übrigen Mentoren sehe ich nirgends. Die Lautsprecherstimme verkündet, dass es noch dreißig Sekunden bis zur Eröffnung sind. Gemächlich küsst Odair die Dame auf die Wange und macht sich dann auf den Weg zu uns.

Bei uns angekommen, schnappt er sich eine Handvoll Zuckerwürfel aus einem Spender und füttert damit beiläufig die dunkelbraunen Pferde, während er uns mustert. Im Gegensatz zu Roan verharren seine Augen an anständigen Stellen. Sein übliches Grinsen bleibt ebenfalls fort. »Wohin ist denn Annie verschwunden?«, fragt er neckisch.

Diesmal werde ich nicht rot, dafür ist seine Frage zu offensichtlich. »Sie wurde in eine kitschige Meerjungfrau verwandelt«, informiere ich ihn und wedle mit einer Strähne meines gefärbten Haares. »Wenigstens ohne Algen auf dem Kopf.«

Er lächelt. Nicht hämisch, als wolle er mich auslachen. Es erweckt mehr den Anschein von ... Mitleid? Aber wer weiß schon, was in Finnick Odair vorgeht. »Gut so.« Dann lehnt er sich vor und ergreift meine und Pons freie Hände. »Fühlt euch so, als ob ihr bereits die Sieger wärt. Stellt euch vor, das wären alles Leute aus Distrikt vier. Zeigt Freude, selbst wenn ihr keine fühlt«, weist er uns beide an. »Lacht und winkt, Hauptsache ihr steht nicht steif da. Ab heute Abend seid ihr nicht mehr euer altes Selbst.«

»Zehn Sekunden«, unterbricht ihn eine Ansage.

Zum Abschluss drückt er noch einmal meine Hand und nickt uns Tributen zu. »Schön und stark«, wispert er, dann erklingt das Signal, dass die Wagenparade eröffnet und er tritt zurück.

Mit einem Ächzen schieben sich die großen Torflügel auseinander und lassen den Jubel der Menge herein. Laute Rufe und Pfeifen branden über uns hinweg wie eine Springflut. Alle Gedanken an Odairs rätselhaftes Benehmen werden von der Welle fortgerissen. Ein Rucken geht durch den Wagen und wir setzen uns in Bewegung.

Ich muss mich dem Kapitol beweisen.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  LilaRain
2012-11-03T15:47:54+00:00 03.11.2012 16:47
Ist echt super! Du schreibst super und bringst mich an einigen Stellen echt zu lachen. >Aber wer weiß schon was in Finnick Odair vorgeht<. Das ist einfach köstlich!
Weiter so!
Von: abgemeldet
2012-04-25T20:30:19+00:00 25.04.2012 22:30
Meerjungfrau :D
Die arme hat ja einen ganz schön dämlichen Stylisten...niemand kann Cinna wohl das Wasser reichen...naja...Das Kapitel war gut und die Szene gut beschrieben :)
Pon tut mir so Leid das es mir fast das Herz bricht das er da mitmachen muss :/
Aber am besten finde ich die Sache mit Distrikt 12 und dem Kohlestaub. xD
ich erinnere mich an ein Zitat aus dem ersten Buch von Katniss als Cinna ihr etwas über ihr Kostüm erzählt :D
echt klasse das ganze.
Schreib fleißig weiter ;)
Jade


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