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Wolfsmonat

Monatsgeschichte Januar für den Jahreskalender 2012 des Zirkels Feder und Stift
von

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Wenn wir einsam sind... Dann blicken wir hinauf zum Mond. Wir sehen dieses Leuchten in der Nacht und dann wissen wir, dass wir nicht allein sind. Wir alle sind Teil eines Rudels, unsere Familie und wenn wir unsere Stimmen erheben, dann weil wir wissen, wir werden gehört und sind getröstet.

So ist es normalerweise, so soll es sein. Und man sagt, ein Wolf, der der Einsamkeit verfällt, der wird seinen Verstand verlieren. Er wird zu einer Bestie und ehe er schließlich stirbt wird er in seinem Wahnsinn töten. Solche verlorenen Seelen waren es, die die Menschen fürchteten, denn wir halten uns von ihnen fern. Niemand aber weiß, was geschieht, wenn ein Wolf nicht etwa der Verbannung unterliegt, der schlimmsten Strafe, die wir kennen, sondern wenn er dem Rudel aus eigenem Willen den Rücken kehrt. So etwas ist unmöglich, das gab es nie... Warum also stehe ich dann hier? Ich weiß keine Antwort. Wenn ich jetzt zum Mond schaue, dann fühle ich mich nicht mehr getröstet. Ich fühle Schuld und Schmerz, ich fühle Sehnsucht und eine Einsamkeit, die mich langsam auffrisst. Ich wiedersetze mich meiner Natur, sicherlich nicht ohne Grund, und doch... Was kann jemals Grund genug sein? Nicht mehr und nicht weniger, als das Leben meiner Familie, die ich verlassen habe, um sie zu retten. Sie, die Welt, in der Wir leben und vielleicht sogar den Mond, dem wir unsere Lieder singen.
 

Sie waren seltsame Wesen, diese Zweibeiner. Janar brauchte nicht lange, um das zu erkennen, doch war es eine Erkenntnis, die jedes lebende, denkende Wesen in wenigen Augenblicken des Beobachtens erlangen konnte.

Es gab eine Zeit, und auch wenn er sie nur aus den Liedern Legenden kannte, so hatte er doch keinen Zweifel daran, dass jedes Wort der Wahrheit entsprach, da waren sie vor Furcht erzittert, wenn sie ihre Lieder vernahmen, die Schatten seiner Ahnen die Nacht durchstreiften. Zeiten, die lange vorbei waren. Heute waren es die Wölfe, die sich fürchten mussten, fliehen und bangen, wenn sie die Witterung der blassen, langgliedrigen Wesen aufnahmen.

Doch als er sie nun betrachtete, näher, als er sich je zuvor herangewagt hatte, schienen sie ihm nicht bedrohlich, nur merkwürdig und im Gegenteil sogar beinahe bedauernswert.

Sie hatten kein Fell, dass sie vor Kälte und Nässe schützen konnte und so stahlen sie es von anderen. Ihre Krallen und Zähne waren stumpf und taugten nichts, so hatten sie welche aus Stahl und Stein, die sie benutzten. Und Janar wusste, dass auch ihre Sinne stumpf waren. Beinahe taub und nicht in der Lage eine Witterung aufzunehmen. Nicht fähig, den Wind zu schmecken, den Boden unter ihren Füßen zu erspüren. Und selbst ihre Augen waren blind für so vieles.

So lang und unproportioniert waren sie, schienen ihre Gliedmaßen kaum unter Kontrolle zu haben. Sie liefen auf zwei Beinen, doch kamen sie nicht weit damit und auch nicht schnell voran, so stahlen sie auch das von anderen. Wie konnte es nur sein, dass ein solch benachteiligtes Wesen eine solch große Bedrohung war?

Es gab viele davon, sehr viele, auch wenn sie selten mehr als einen Welpen warfen, doch auch Wölfe hatte es einst viele gegeben, vor Beginn der Jagd, der Feindschaft, die die Menschen ihnen geschworen hatten, und deren Gründe niemand kannte. Sie hatten die Menschen nie gejagt und es gab Legenden, so alt, dass sie selbst für die Ältesten im Rudel nur Lieder vergangener Zeiten waren, da hatten Menschen Seite an Seite gelebt und gejagt. Nun jagten die Menschen sie und niemand erinnerte sich mehr.

Der junge Wolf lag ganz still, um sich nicht zu verraten. Er hielt sich im schneebestäubten Gebüsch verborgen, verschmolz auf diese Weise mit der Umgebung, doch er wollte kein Risiko eingehen, während er beobachtete, das tat er seit den frühen Morgenstunden.

Es gab noch andere Lieder, solche, an die die Wölfe nicht mehr glaubten, die keine Legenden waren, sondern nur Geschichten, aber Geschichten voller Hoffnung. Sie erzählten von Menschen, die anders waren, Menschen, in deren Adern das alte Blut lebte und sang. Sie hatten Augen, die den ihren glichen, Sinne, die wacher waren, Herzen, in denen rein das Licht der Wildnis klang. Einen solchen Menschen zu finden, das war der Grund, warum er hierher gekommen war. Ein solcher Mensch, der der Schlüssel war, zu der Magie alter Zeit, der Schlüssel zur Rettung der Seinen.

Es war ein weiter Weg, den Janar gegangen war. Er wusste nicht, wie lange er gelaufen war, wieviele Wechsel von Tag und Nacht an ihm vorbeigezogen waren, während ihn seine Pfoten im ewig gleichen Takt über schneebedeckten Untergrund trugen. Der Winter hatte die Welt im Griff, so lange schon, hielt die Natur in eisigem Schlaf gefangen und das Rudel litt. Mussten nicht auch die Menschen leiden? Sie hatten die heißen Flammen, deren Geruch in seiner Nase biss, und die selbst noch viel beißender waren, doch konnten sie kaum mehr Nahrung haben als das Rudel. Sie waren ungeschickte Jäger und es gab keine Beute, keine Nahrung für Beute, gab nichts, selbst das Wasser war erstarrt.

Er war mager, wie sie alle es waren, hatte während seines Laufes noch weniger zu Essen gehabt als schon zuvor, doch Kraft aus seiner Hoffnung geschöpft. Hoffnung, die verzweifelt war, Hoffnung, die er in einen Menschen setzen musste, eine andere Geschichte.

Die Gedanken an die seinen, ihr Leid, hatten ihn weiter getragen, wenn seine Pfoten schmerzten, wenn Müdigkeit ihn übermannen wollte, an seine Geschwister, die kleinen, flaumigen Welpen, die hungrig nach der wenigen Milch fiepten, die seine Mutter bei der kargen Kost hervorbringen konnte, die bald mehr brauchen würden, Fleisch brauchen würden um zu wachsen und zu überleben. Sie alle würden mehr brauchen, viele der Alten waren schon hinter den Nebeln verschwunden, die Jungen durften ihnen nicht folgen.

Doch würde es geschehen. Die Wölfe würden das Tal nicht verlassen, konnten es nicht verlassen. Es gab nicht mehr viele Orte fern der Zweibeiner, sicher Orte, wie das Tal es immer gewesen war... Bis der Winter kam und blieb, so lange, dass Janar selbst nicht mehr wusste, dass es je einen Frühling gegeben hatte. Das wussten nur die Älteren.

Nun war er hier, wo der Wind so voll war vom fremdartigen Geruch der Menschen, dass er fast Niesen musste davon. ihre Höhlen waren aus Stein wie die der seinen, doch auch aus Holz und nicht natürlichen Uhrsprungs. Sie hatten große und kleine dunkle Schlünde, die sich öffnen und schließen ließen, und durch die der dunkle Qualm der heißen Flammen quoll. So sahen all die Siedlungen aus, die er schon gefunden hatte.

Er beobachtete sie, die Kleinen, die Großen, die zwischen diesen Häusern umherliefen, und Dinge taten, die Janar nicht verstand. Niemand entdeckte ihn, doch auch er fand nicht, was er suchte und das Herz wurde ihm schwer.

Bald schon würde die Zeit beginnen, die einmal den Namen "Wolfsmonat" gehabt hatte, die Zeit des Wechsels, wenn die grenzen der Zeit verschwammen und durchlässig wurden, die Zeit, in der es möglich war, die andere Seite zu erreichen, doch nicht allein.

Den Ort, auf dem all seine Verzweifelte Hoffnung ruhte.
 

Irgendwann musste die Müdigkeit seinen Willen besiegt haben. Er wusste noch, dass er das seltsame Verhalten der Menschen beobachtet hatte, jeden von ihnen betrachtet in der Hoffnung in einem davon das zu sehen, was er suchte, wenngleich Janar gar nicht wusste, wie er es erkennen konnte.

Danach schlug er irgendwann die Augen auf und die Sonne war längst versunken, der Mond verbarg sich hinter einem Schleier aus Wolken, als könnte er das Leid nicht mehr ertragen, das der Winter der Welt bescherte. Janar hob den Kopf und betrachtete die vagen Umrisse der silbernen Scheibe, doch statt Trost fühlte er Sehnsucht, fühlte Furcht und die Last, die auf seinen Schultern ruhte. Wenn ihm nicht gelang, was niemand für möglich hielt, dann war nicht nur er, dann war das Rudel zum sterben verdammt.

Er schüttelte sich und funkelnde Eiskristalle lösten sich aus seinem Fell, bestäubten die Luft und glitzerten wie Wassertropfen im Sonnenlicht. Er fühlte sich steif und unbeweglich, als er sein Versteck verließ, doch nach wenigen Metern schon, nachdem er in Trab gefallen war, erwärmten sich seine Muskeln, wurden die Bewegungen fließend und Kraftvoll.

Stille hatte sich über die Siedlung gelegt, sich über die ganze Welt gelegt und er vernahm nur das Knirschen des Schnees unter seinen Pfoten, sah nur die hellen Wolken seines Atems in der Nacht.

Vorsichtig, ganz Vorsichtig schlich er sich näher an die Siedlung heran, so als gäbe es dort etwas, das ihm am Tage verborgen geblieben war.

Zwischen den Höhlen lagen viele der seltsamen Menschendinge herum, aber auch Vertrautes. Felle, von Kaninchen, von Wild, doch er roch, dass sie alt waren. Wann hatten die Menschen zu letzt solche Beute gemacht?

Während er sich umsah, entdeckte Janar etwas, das seien Aufmerksamkeit weckte. Er spitzte die Ohren und reckte den Kopf. Da war ein Lichtschein. Nicht das natürliche Leuchten, dass Sonne, Mond und Sterne ihnen gewährten, sondern das flackernde, grelle Glühen der heißen Flammen, das Licht der Menschen.

Das seltsame war nur, dass es nicht aus den Höhlen in der Siedlung stammte, es kam aus der Ferne, aus dem Wald. Janars Ohren zuckten nervös. Was sollte das bedeuten?

Er hatte gehört, es habe einmal einen großen Brand gegeben, als die Menschen nicht auf ihre Flammen achteten. Feuer war unersättlich in seiner Gier und so war es der Kontrolle seiner langgliedrigen Herren entflohen und hatte ganze Wälder zerfressen mit allem Leben darin. Hatte alles erstickt und nur Staub zurückgelassen. Feuer bedeutete Schrecken und Schmerz, doch Feuer bedeutete auch Menschen und Janar nahm all seinen Mut zusammen und trabte auf die andere Seite des Waldes zu.

Es war viel ferner, als er zunächst geglaubt hatte und wieder wusste er kaum noch, wie lange sein Lauf währte, wie weit er die Menschenhöhlen bereits hinter sich gelassen hatte, als ihm das Beißen in die Nase stieg. Jetzt war er endlich nahe und wurde langsamer, schlich durch den Wald, als pirschte er sich an eine aufmerksame Beute heran.

Diese Flammen waren klein. Sie brannten nicht im Inneren einer Höhle, sondern nur von ein paar Steinen umgeben unter Bäumen. Es schien nur ein Mensch dort zu sein, einer der nicht mehr klein, aber auch noch nicht ganz groß war. So in Felle gehüllt, dass Janar nicht gleich erkannte, ob es ein Männchen oder ein Weibchen war. Das ließ sich nur durch die spärlichen Reste dessen sagen, was vielleicht einmal ein Fell hätte sein sollen.

Menschen trugen es nur auf dem Kopf und oft hingen Schmutz und andere Dinge darin. Bei den Männchen wuchs es oben und unten, bei den Weibchen nur oben am Kopf, meistens jedenfalls. Aber erst, wenn ihre Welpenzeit vorbei war.

Der Mensch saß so nahe am Feuer, dass es ihn fast biss und starrte scheinbar in die lodernden Flammen, dass ihm die Augen schrecklich schmerzen mussten. Janar zog sich lautlos zurück und zog einen weiten Kreis um die Stelle, um alles genau zu beäugen. Was mochte das bedeuten, dieser Mensch hier allein? Wenn sie auch mit Wölfen sonst nicht viel gemeinsam hatten, nicht mehr, waren Menschen doch ebenso Rudeltiere und sie mieden die Nacht und die Wildnis, wenn sie es konnten, gerade dann, wenn sie allein waren und schwach.

Das verstand Janar nicht, aber vielleicht hatte es etwas zu bedeuten. Wenn dieser Mensch sein Rudel so verlassen hatte wie er seines, dann war das vielleicht, was er suchte?

An einer anderen Stelle schlich er sichvorsichtig wieder näher heran. Der Mensch war ganz zusammengesunken, vielleicht schlief er? Wusste er nicht, dass es gefährlich war, so allein und ohne Schutz? In den Wäldern lauerte gefährlicheres als Wölfe und war nicht weniger hungrig. Aber wenn er schlief, dann konnte Janar ihn vielleicht etwas genauer betrachten. Wenn das hier war, was er suchte, musste es doch irgendetwas geben, woran er das erkennen konnte.

Ganz behutsam setzte er eine Pfote vor die andere, damit kein Laut ihn verriet. Das Feuer flackerte, schien ihm drohen, ihn vertreiben zu wollen und er legte die Ohren an, ging jedoch stur weiter. Der Mensch regte sich nicht und Janar spürte, wie sein Herz klopfte. Das Feuer stank, so konnte er nicht viel riechen, es knisterte, knackte und zischte wie eine wütende Wildkatze, so konnte er auch nicht gut hören. War der Mensch vielleicht tot? Trotz der Flammen in der Kälte erfroren? Verhungert? Jetzt war er so nahe, dass er den Menschen fast mit der Schnauze anstupsen konnte. Die Ohren angelegt, den Kopf vorgereckt und ein Bild gespannter Aufmerksamkeit.

Dennoch zuckte er nicht zurück und floh nicht, als der Mensch sich plötzlich doch bewegte, er wollte, wollte ganz sicher, weil Menschen gefährlich waren und es das Klügste, einzig Richtige gewesen wäre, aber er konnte nicht, so als wären seine Pfoten plötzlich am Boden festgefroren, in jenem Augenblick, als die Augen des Menschen auf die des Wolfes trafen.

Sie sahen nicht aus wie Wolfsaugen. Sie sahen aus, wie Menschenaugen. Sie waren schmal und Mandelförmig, es war viel weiß darin und die Pupille dunkel und klein. Aber er verstand trotzdem, was gemeint war. Es war nicht die Form, es war das glühen, das in ihnen Lag. Und es war die Farbe, die er gesehen hätte, wäre er in der Lage gewesen, sie zu erkennen. Der Ring rund um die Pupille war golden beinahe schon gelb, so wie die Augen vieler Wölfe es waren. Wenn auch nicht Janars, den seine waren hellblau.

Der Mensch, es war ein Weibchen mit zotteligem dunklem Fell schien ähnlich gebannt. Und da war etwas, das Janar nicht zu deuten wusste, ein ganz merkwürdiges Gefühl irgendwo in seinem Inneren.

Man konnte nicht sagen, dass es sich schlecht anfühlte, aber es verwirrte ihn und er winselte. Das Gefühl erinnerte ihn an die Mondnächte, in denen er mit dem Rudel gesungen hatte, gejagt hatte, mit ihnen gelaufen war. Im empfinden des Wolfes schien seither eine Ewigkeit vergangen. Doch was hatte es mit ihr zu tun? Sie war ein Mensch, sie hatte mit dem Rudel nichts zu tun.

Seitdem das Weibchen den Kopf gehoben hatte, hatte es sich nicht mehr geregt. Als hätte Janars Winseln einen Zauberbann gebrochen blinzelte sie jetzt, tat aber weiter nichts und schien den Wolf nicht weniger verwirrt zu betrachten, als er sie. Ein langbeiniges Tier, noch jung und mager, wie es zu dieser Zeit zu erwarten war. Ein Teil seines Felles war hell, vielleicht weiß, doch nicht so weiß, wie der leuchtende Schnee. Hauptsächlich der Bauch, ein Teil der Pfoten und die Schnauze. Der Rest wirkte rötlich war dunkler. Seine hellen Augen glühten wie Sterne in der Nacht. Er war... Schön.

Eanáir hatte noch nie einen Wolf gesehen und sie hatte eine reißende Bestie erwartet. Riesig, mit scharfen Zähnen und geifertropfendem Maul. Eine Bestie mit tödlichen Klauen und glühenden Augen zwar, doch nicht solchen. Da Leuchtete nicht Mordgier, keine Wut oder ähnliches. In diesen Augen lag dieselbe Furcht, die auch sie spürte, die selbe verwunderte Frage, als nähme der Wolf das selbe wahr wie sie.

Tat er es vielleicht? War er deshalt zu ihr gekommen? Oder sie zu ihm? Eanáir schluckte. Was sollte sie tun? Sie wollte ihn nicht vertreiben. Sie war gen Norden gezogen um einen Wolf zu finden, obwohl es nur noch so wenige gab, und nun stand einer vor ihr, viel früher, als sie je gehofft hatte. Und sie stellte fest, dass sie in ihren Plänen nie auch nur bis zu diesem Moment gekommen war, geschweige denn darüber hinaus. Einen Wolf finden, aber was dann?

Den Winter beenden, doch wie? Die junge Frau versank in den Augen des Tieres. Ein stolzes Wesen. Sie mussten stark sein zu überleben, wo sie so gehasst und verfolgt wurden. Waren sie nicht im Grunde wie die Menschen, die gleichsam ums Überleben kämpften? Um die Jagd, die Nahrung.

Sie dachte an die Geschichten ihrer Großmutter, wünschte zum hundertsten mal, sie hätte besser zugehört, damals, vor so vielen Jahren, doch sie hatte die Erzählungen nie für etwas anderes gehalten, als einen versuch des Trostes. Nicht, ehe die Verzweiflung so groß geworden war, dass Eanáir alles geglaubt hätte, nur um etwas tun zu können.

Menschen mit Augen wie die ihren vermochten mit den Wölfen zu laufen, ihre Lieder zu teilen. Vor unendlich langer Zeit waren die Wölfe ihrem Volk heilig gewesen, waren die Führer zur anderen Seite. Es hieß, dass das Heulen eines Wolfes die bösen Geister vertreiben konnte und auch den ewigen Winter, der ihre Welt zum Siechtum verdammte.

Ein Wolf kannte den Weg, doch allein konnte er ihn nicht gehen.

"Ich... Habe dich gesucht", sagte sie leise, ganz leise. Der Wolf bewegte die Ohren, verharrte unsicher, doch wenigstens lief er nicht fort. Er lauschte der Stimme des Weibchens, die ein ungewohnter Klang in seinen Ohren war. Janar konnte sie mit nichts vergleichen, das er kannte, aber er wusste, dass es die Art der Menschen war, sich mitzuteilen.

Sie versuchte nicht, ihn anzugreifen oder zu vertreiben, sie versuchte mit ihm zu sprechen... Der junge Wolf schöpfte Hoffnung. Bedeutete das...?

Hätte er nur gewusst, was sie ihm sagen wollte... Suchend blickte er in die Augen, die nicht Mensch, nicht Wolf und doch beides zugleich waren, als läge dort die Antwort.

"Jedenfalls... Glaube ich das. Vielleicht hast du ja auch mich gesucht..." Er wusste mit den Lauten nichts anzufangen, sie ergaben keinen Sinn, aber der Ton verriet ihm etwas. Sie war unsicher, nervös, vielleicht ebenso ängstlich wie er. War auch sie auf der Suche? jagte den Legenden hinterher?

"ich... Die Sache ist die, weißt du, es gibt da so eine Geschichte. und naja wahrscheinlich ist es verrückt, sich Hoffnungen zu machen, noch verrückter, als hier zu sitzen und mit einem Wolf zu reden... Aber du siehst nicht so aus, als ob du mir gleich die Kehle würdest durchbeißen wollen... oder? Wie auch immer... Wenn dieser Winter nicht endet, werden wir alle verhungern. Und auch wenn du vermutlich kein Wort verstehst... Du musst mich führen. Bitte führe mich zur anderen Seite, damit der Frühling erwachen kann."

Das Tier schien verzweifelt bemüht, sie zu verstehen. Wunschdenken, da war Eanáir sich Recht sicher. Aber was sollte sie tun? Das alles war sowieso verrückt. Einen Wolf finden, auf die andere Seite gehen. Das alles, weil es in einer Geschichte hieß, dass jene, die aus eigener Kraft die andere Seite fanden einen Wunsch freihatten.

Verrückt, völlig verrückt. Aber alles, was sie hatte. und sie hatte jetzt einen Wolf. Sollte das denn Zufall sein? Oder ein Zeichen... Für ihre Großmutter wäre es ein Zeichen gewesen.
 

Er hätte nicht sagen können, wieso und warum. Es ergab keinen Sinn, nichts ergab in diesem Augenblick Sinn. Nicht, dass er blieb, statt zu fliehen, nicht, dass er lauschte, als ob er verstehen könnte. Und im Grunde auch nicht, dass er sich von diesem fremdartigen Wesen irgendeine Art von Hilfe erhoffte. Sie redete viel, so schien es ihm zumindest, aber vielleicht war sie einsam. Er war es.

Ihre letzten Worte jedoch, da war etwas in ihm, dass sich regte. Ein Wissen, ein Instinkt. Immer dort verborgen, ihm jedoch nie bewusst, nicht bis zu jenem Augenblick. Führe mich... Führen... Wohin? Führe mich zur anderen Seite... Janar hätte nicht sagen können, dass er verstand. Da war Etwas in ihm, das verstand. Aber wusste nun, was zu tun war, er wusste nun, dass sie es war, der Mensch, den er gesucht hatte. Egal ob die Legenden wahr waren, ob es Hoffnung gab, hier begann der Weg.

Es kam Leben in den Wolf, er stieß einen kläffenden Laut aus und begann unruhig umherzulaufen, doch er entfernte sich nicht weit, ehe er umkehrte, zu ihr lief, kläfte, und das ganze wiederholte.

Eanáir sah das ganze ungläubig. Hatte... Er sie verstanden? Ob sie wohl träumte? Ob es die Kälte war, die tückisch herangekrochen war und ihren Geist verwirrte, während sie das Leben aus ihren Knochen sog? Im ersten Augenblick konnte sie sich nicht rühren, weil ihr Verstand nicht in der Lage war, zu begreifen. Oh ja, sie war auf die Jagd nach dieser Legende gegangen, sie hatte gehofft, aber sie hatte nicht geglaubt nicht wirklich. Doch das hier...

Schließlich kam sie auf die Beine. Noch immer ganz benommen löschte sie das Feuer, nahm das wenige, das sie besaß udn musste sich beeilen, um den Wolf einzuholen, der plötzlich voller Leben schien. Das alles war zu seltsam, um dem mit Worten gerecht zu werden.
 

Der Weg führte zurück. Doch nicht dorthin, wo das Tal lag, nicht zum Rudel, nein weiter, viel weiter nach Norden, dorthin, wo die Kälte so tödlich war, dass es kein Leben mehr gab, kein Wachstum, nur die ewige Stille. Dorthin, wo die Lichter am Himmel sangen.

Zeit verlor die Bedeutung und trieb sie doch. Irgendwann wurde es nciht mehr Tag, blieb ewige Nacht und doch brachte jede Stunde sie dem Wolfsmonat näher, jener Zeit, in der sie die Grenze passieren konnten, um ein weiteres Jahr der Kälte zu verhindern.

Sie liefen, kletterten, rannten, jagten. Sie teilen das Wenige, was sie an Wasser und Nahrung fanden, teilten die Wärme in der Nacht, kämpften füreinander, wenn es nötig wurde. Im Menschen schien der Wolf, im Wolf der Mensch zu erwachen. Etwas geschah, etwas, das Worte nicht fassen, nicht beschreiben konnten. Da war etwas, etwas zwischen ihnen, das wuchs und stärker wurde, stark genug, um den Weg in den Norden zu meistern.

Ein Weg über glatte, steile Pfade, durch tiefsten Schnee und eisige Wasser, die sich nicht trinken ließen, sondern salzige und verdorben, aber tückische Ströme waren.

Es wurde kälter, je weiter sie gingen, wurde karger, irgendwann gab es keine Nahrung mehr. Sie gingen weiter, auch wenn Eanáir sich bang fragte, ob sie je zurückkehren würden, oder aber hier draußen sterben. Janar kannte solche Gedanken nicht. Sein Geist war wie besessen, von dem Weg, den er gehen musste, den sie nur gemeinsam zu gehen vermochten.

Es war die Nacht zwischen den Jahren, die Nacht des Wechsels in der der Wolfsmonat begann, in der sie ihr Ziel erreichten.

Jenseits eisiger Klippen erstreckten sich dunkle Wogen so weit, dass kein Auge, so scharf es auch sei, das Ende hätte erblicken können.

Eine sternenklare Nacht spannte sich mit samtschwarzem Himmel über ihnen und dort oben leuchtete ein Meer aus Farben, schlängelte sich in prachtvollen Bändern über das Firnament. Blau und Grün, Rot, Golden, alle Farben des Regenbogens und noch mehr wie es schien.

Am Fuße des hanges lag eine dunkle Gestalt.

Schwach und fiebrig vor Hunger und Erschöpfung hatten Eanáirs Beine nachgegeben. So kurz vor dem Ziel hatte sie ihre Grenzen erreicht, lag dort zusammengerollt im Schnee und spürte die lähmende Kälte Besitz von ihrem Körper ergreifen.

Janar stand neben ihr, stupste sie an, winselte, knurrte, zerrte mit den Zähnen an ihren Kleidern, um sie auf die Beine zu bringen, während die eigenen ihn selbst nur zitternd trugen. Eanáir streckte die Hand aus, es kostete unendlich viel Kraft denn Kopf des Wolfes zu berühren, in die hellen Augen zu blicken, die das Licht des Himmels spiegelten.

"ich kann nicht weiter", flüsterte sie, so leise, sie konnte sich selbst kaum verstehen, "geh du für mich, für uns beide, geh und bitte hol den Frühling zurück."

Janar verharrte. Hatte der Wolf sie nicht verstanden? Noch immer nicht? Jetzt legte er sich nieder, als wollte er sie wärmen und Eanáir hätte weinen mögen. War es umsonst? Oder hatte es nie ein Ziel gegeben? Ein seltsamer Laut drang an ihre Ohren und sie erstarrte. Es klang so unwirklich... Und sie war so müde, konnte nicht denken... Doch irgendwann, die Grenzen der Zeit waren völlig verschwommen, begriff sie, dass es das Heulen des Wolfes neben ihr war. Nein, nicht das Heulen. Er heulte nicht, er sang. Und dieser Gesang hallte in ihrer eigenen Seele wieder.

Eanáir begann sich leichter zu fühlen, freier. Sie öffnete die Augen wieder, die ihr zugefallen waren udn der Himmel schien näher. Etwas schien sich zu spiegeln, dort oben hinter dem Schleier aus Farben. Vielleicht gab es da wirklich eine andere Welt?

Wenn sie nur die hand ausstrecken könnte, vielleicht würde sie sie erreichen.

Dann schwebte sie, ganz leicht und frei. Aus Kälte war Wärme geworden, die Erschöpfung war fort. Da waren die Farben, überall, hüllten sie ein, und da war der Wolf, hatte die Erschöpfung verloren, die Kraftlosigkeit. Er sprang von irher Seite voraus, wie ganz zu beginn, kläffend, hechelnd udn in Eanáir stieg ein Lachen auf, als sie ihm folgte.

Um sie herum tönte noch immer der Gesang.
 

Der Wolfsmonat war einige Wochen vergangen, als der Griff des Winters sich allmählich von den Landen zu lösen begann. Neue Kraft schien die Sonne zu erfüllen und zum ersten Mal seit Jahren befreite sie den Boden gänzlich von der Last des Schnees, nahm die erdrückende weiße Decke hinfort. Junges, helles Grün wagte sich aus der braunen Erde heraus und nach und nach, ganz behutsam kehrte das Leben zurück.

Unter Wölfen und unter Menschen begann man sich eine Geschichte zu erzählen und niemand wusste, woher sie gekommen war. Die Geschichte eines Wolfes und eines Menschen, die ausgezogen waren, um im Wolfsmonat den langen Winter zu beenden.

Es heißt, seit jener Zeit sei ein neues Sternbild am Himmel zu erspähen, das Bild eines Wolfes, der zwischen den funkelnden Gestirnen läufte, das Bild eines Menschen, der ihm folgt. Ein Bild, das nicht alle Menschen zu sehen vermögen, vielleicht nicht alle Wölfe. Doch die, die es können vernehmen ihn stillen Mondnächten das Lied der Wölfe und sie spüren, wie das Lied auch in ihrer Seele singt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Chimi-mimi
2013-12-03T14:30:41+00:00 03.12.2013 15:30
Du hast den Wolfsmonat wirklich sehr, sehr schön umgesetzt. Der Name Janar gefällt mir wirklich gut, das fügt sich so perfekt ein und klingt auch irgendwie wölfisch.
Wundervolle Geschichte, die ich schon gelesen hatte o.o
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