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Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society

von

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Erinnerungen

In dem kleinen Zimmer aus Backstein war es dunkel und kalt. Es gab keine Kerze, Lampe oder andere Lichtquelle. Nur durch einen schmalen Spalt, der als Fenster ganz oben an der Wand diente, fiel etwas Licht. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Selbst wenn man es schaffte zu dem Spalt zu gelangen, waren Gitterstäbe davor.

Der kleine Raum war wie eine Gefängniszelle.

Die Tür bestand aus schwerem Eisen und es gab nur eine kleine Klappe, durch die ein Tablett mit ein wenig Essen geschoben wurde. Es gab noch eine Sichtluke an der Tür.

An den Wänden waren Kratzspuren und Blutflecke zu sehen.

Spinnweben hingen in den Ecken und Ritzen des Raumes. In jedem Netz gab es mindestens eine Spinne und die meisten von ihnen waren nicht besonders klein.

Mehrere Fliegen surrten herum und der Geruch von Urin und anderen Fäkalien lag in der Luft.

Altes Stroh, was als Schlafunterlage dienen sollte, stapelte sich in den Ecken und stank vor sich hin.

Es gab weder einen Stuhl, Tisch noch eine Pritsche.

In einer der Ecken kauerte ein kleiner Junge von etwa acht Jahren.

Seine Haut war schmutzig und er stank nach Schweiß, Dreck und Fäkalien. Die Haare waren kurz und schief geschnitten, als hätte sie ihm jemand mit Gewalt abgetrennt. Seine Augen waren Blut unterlaufen und dicke Augenringe waren zu sehen. Sein Blick war voller Angst.

Die Kleidung, die er trug waren Stofffetzen und waren nicht mehr als wirkliche Kleidung zu identifizieren.

Vor ihm stand ein Tablett mit ein paar Brotresten, die zu Schimmeln anfingen und abgestandenem Wasser.

Er wusste nicht, wie lange diese Ration reichen musste. Es gab nicht täglich etwas zu Essen.

Nur wenn sein Herr und Meister es für nötig hielt, würde er etwas bekommen.

Die Fußfessel aus rostigem Stahl scheuerte an seinem Gelenk und ließ die Wundkruste immer wieder neu aufgehen.

Sein Knöchel juckte und brannte gleichzeitig. Aber beschweren durfte er sich nicht.

Um seinen Handrücken hatte er sich alte Stoffreste umgewickelt, um die aufgekratzte Haut zu schützen. Aber es hatte nicht verhindert, dass die Wunde eitrig wurde.

Sein Rücken schmerzte von der gebeugten, kauernden Haltung, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass er so am schnellsten den Peitschenhieben seines Herren ausweichen konnte.

Denn von einem entspannten Leben konnte er nur träumen.

Seit man ihn gefangen genommen hatte vor einigen Jahren, kannte er kein anderes Leben mehr.

Es war in einem Wald gewesen.

Er hatte an einem Fluss gegessen und sich ausgeruht. Die Sonne war auf sein Gesicht geschienen und hatte ihn gewärmt mit den warmen Strahlen.

Genüsslich hatte er die Beine ausgestreckt gehabt und vor sich hin gedöst, während der kleine Bach vor sich hin geplätschert hatte.

In den Bäumen waren ein paar Vögel laut am Zwitschern und Zanken.

Das Blattwerk hatte nur geraschelt, wenn der Wind an den Zweigen gerüttelt oder sich ein Vogel daraus erhoben hatte.

Ein Schmetterling war ganz nahe an ihm vorbei getanzt und hatte seine bunten Farben in der Sonne spielen lassen.

Er hatte seinen jetzigen Herren nicht kommen hören. Ganz leise war er an ihn heran geschlichen und hatte ihn mitgenommen.

Alles was ihm von diesem Tag geblieben war, waren die Überreste der Kleidung, die er getragen hatte und nun wie Lumpen an ihm herunter hingen.

Von dem Jungen, der er damals gewesen war, war nichts mehr übrig.

Langsam kaute er ein Stück Brot bis es in seinem Mund süßer schmeckte. Seine Zähne taten weh dabei. Denn auch diese hatten unter der Knechtschaft gelitten.

Das Quieken einer Ratte war zu hören, die sich durch das Stroh schlich und damit raschelte.

Der Junge hatte sich inzwischen an ihre Gesellschaft gewöhnt, aber er musste dennoch aufpassten, dass sie ihm nicht wie vor ein einiger Zeit in der Nacht das Brot stahlen.

„Hau bloß ab…“, krächzte er und schluckte den Bissen hinunter.

Wütend kratzte er sich am Kopf.

Die Läuse und Flöhe machten ihn wahnsinnig und er hatte das Gefühl, er müsste sich die Kopfhaut vom Kopf kratzen.

Auch wenn seine hellblonden Haare kurz geschnitten waren, konnte er spüren, wie sie vor Dreck verklebt waren und es hinderte die Läuse nicht darin, sich dort breit zu machen.

Wütend zog er an der Kette, die mit der Wand verankert war.

Er wusste genau, dass es wenig Sinn hatte. Die Wand war zu Robust und er zu schwach.

Aber er wollte nicht täglich tatenlos zusehen und sein Leben in diesem Rattenloch dahin scheiden lassen, wo sich nicht nur diese tummelten, sondern auch Spinnen, Kakerlaken und anderes Getier.

Allein bei der Vorstellung überkam ihn ein ekelhafter Schauder und er konnte seine Narbe auf dem Rücken spüren.

Die Brandnarbe hatte er von seinen Herren gleich am ersten Tag seiner Gefangenschaft bekommen.

Mit einem glühenden Eisen hatte er es ihm in die Haut gebrannt.

Conrad konnte noch immer den Geruch seines eigenen verbrannten Fleisches riechen und den Schmerz spüren.

Aus den Augenwinkeln hatte das Eisen sehen können. Es war ein Blätterkranz gewesen, der mit einem Kreis verbunden war. In diesem Kreis hatte sich zusätzlich noch ein Dreieck befunden.

Er würde dieses Zeichen niemals vergessen.

Allein der Gedanke bereitete ihn schmerzen und ihm stießen Tränen in die Augen.

Aber das war nichts im Vergleich zu dem gewesen, was er schon hatte alles ertragen müssen.

Die Wunde auf seinem Handrücken stammte daher, dass er immer den Wetzriemen für das Messer straff halten musste.

Sein Herr zog das Messer immer über den Riemen und fuhr mit der Klinge über seine Knöchel.

Am Anfang hatte er noch laute Schmerzensschreie von sich gegeben. Inzwischen war er daran gewöhnt und ihm entfuhr nur noch ein leises Wimmern. Er konnte dennoch nicht verhindern, dass seine Hand am Anfang immer zitterte, wenn er es in die Hand nahm.

Ein paar Bisswunden waren auch auf seinem Körper zu sehen, ebenso blaue Flecke und Narben.

Ein wenig Sonne fiel durch den Spalt und erhellte den Raum ein wenig.

Damit war ein weiterer Tag vergangen, der sein Leben verkürzte.

Immer wenn er die eisige Kälte spüren konnte, so dass selbst der Raum gefror und Schnee vom Wind mit herein getragen wurde, wusste er, dass ein weiterer Winter gekommen war und ein weiteres Jahr vorbei.

Er fragte sich manchmal, wie sich die Welt verändert hatte und wie sie aussah.

Zu lange schon lebte er in Isolation und hatte keine anderen Kinder mehr gesehen oder Menschen, mit denen er reden konnte.

Die einzigen Lebewesen, die er sah, waren sein Meister und seine Gäste und diese behandelten ihn wie ein Stück Dreck, dass es nicht wert war auch nur unter ihren Schuhen zu sein.

Der Kontakt war auch nicht anders.

Sie schnitten ihm seine blonden Haare ab, ritzen seine Haut auf, um sein Blut in einer Schale aufzufangen. Einmal hatten sie ihn an einen Stuhl gebunden und mit einer Zange einen Nagel aus seinem Finger gerissen.

Sein Schmerzensschrei war laut gewesen und hatte den Anwesenden nur Gelächter entlockt.

Manchmal ließen ihn auf einem kalten Stein liegen, während jemand aus einem Buch in einer Sprache vorlas, die er nicht kannte und dessen Bedeutung ihm fremd war.

Er konnte nur jedes Mal spüren, wie es kalt im Raum wurde und sich in seiner Brust eine Angst breit machte.

Sein Herz schlug jedes Mal laut und kräftig. Sein Atem glich einem Keuchen und er spürte wie etwas über seine Haut strich, obwohl niemand da war.

Alle Anwesenden waren weit genug entfernt und niemand konnte ihn berührt haben.

Oft schon hatte er ein Raunen und Röcheln gehört.

Es dauerte meist nie lange bis etwas ihn biss oder kratzte.

Anscheinend gefiel es den Gästen seines Herren, denn sie jubelten und frohlockten immer.

Er seufzte schwer und setzt sich auf den kalten Stein.

Inzwischen war er auch daran gewöhnt, dass die Zeit so langsam und qualvoll verstrich.

Was machte wohl seine Familie? Hatten sie je nach ihm gesucht? Oder war er ihnen egal?

Die Erinnerung an sie wurde von Tag zu Tag blasser, aber er wusste, sie waren nicht reich gewesen, aber nagten auch nicht am Hungertod, so wie er es jetzt tat.

Er war aus einer einfachen Unterschicht gekommen.

Leise murmelte er seinen Namen vor sich hin, nur um ihn nicht zu vergessen.

Es war das Einzige, was ihm nach all der Zeit geblieben war.

Wenn er seinen Namen auch noch vergessen würde, würde er den Rest Menschlichkeit auch verlieren. So bewahrte es ihn vor dem Wahnsinn.

„Mein Name ist Conrad Winter und meine Lieblingsfarbe ist rot…“, murmelte er wieder und wieder.

Sein Blick fuhr zu der Wand, wo seine Kratzspuren zu sehen waren.

Am Anfang seiner Gefangenschaft hatte er versucht zu fliehen. Er hatte sich die Nägel blutig gekratzt und laut um Hilfe geschrien.

Seitdem war das Rot die einzige Farbe gewesen, die er je wieder gesehen hatte und er hatte angefangen sie zu lieben.

Mit einem lauten Quietschen ging die Tür auf und er sah seinen Herren auf sich zu kommen.

Schnell hockte er sich wieder hin. Bereit sofort auszuweichen, sollte er ihn wieder schlagen wollen.

Aus den Augenwinkeln sah er zu ihm hoch.

Sein Haar hatte graue Strähnen bekommen und um seine Augen hatten sich tiefe Falten gebildet.

Er war alt geworden. Viel zu alt für die paar Jahre, denen er bei ihm gewesen war.

Conrad wusste, sein Herr machte geheime Experimente und nahm verschiedene Pillen zu sich. Dennoch verwunderte es ihn, wie er von einem Mann mittleren Alters in den wenigen Jahren zu einem Mann im hohen Alter werden konnte.

Er verstand es einfach nicht.

Was er jedoch genau verstand, war, dass man ihn trotz dieser gebrechlichen Statur nicht unterschätzen sollte.

Seine Kraft hatte in all der Zeit nicht nachgelassen und er war grausamer geworden.

Sein Herr kam auf ihn zu und löste die Fußfessel.

„Beweg dich!“, fuhr er ihn an und stieß ihn mit seinem Gehstock nach vorne.

Conrad stolperte und schlug sich das Knie auf. Schnell richtete er sich auf und ging durch die Tür.

„Los, schneller, du kleine Ratte!“, fuhr sein Herr ihn an.

„Mein Name ist Conrand…“, murmelte er. So viel Angst er auch vor dem Herren hatte, er hatte sich nie abgewöhnen können, ihn mit seinem Namen zu korrigieren.

„Schnauze!“, fuhr er ihn an und verpasste ihn einen Tritt, „Lauf weiter oder ich nehme mir deine Augen!“

Conrad brummte. Eine Androhung, die er schon oft genug gehört hatte.

Es lag lediglich an seiner eigenartigen Augenfarbe, dass er ihm das androhte. Seine Augen waren stechend grün.

Etwas, was seinen Meister die ganze Zeit fasziniert hatte.

Aber Conrad wusste selbst nicht genau, warum seine Augen so aussagen und diese Farbe besaßen.

Aber er war auch froh darüber, wenn sein Herr ihn deswegen in Ruhe ließ.

Am Anfang hatte er versucht heraus zu finden, ob er die Farbe ausblassen oder verändern konnte. Er hatte ihm Tropfen in die Augen getröpfelt und Salben auf sein Augenlid geschmiert.

Alles Dinge, die gebrannt und Schmerzen verursacht hatten.

Es hatte keinen Spiegel gegeben für ihn, um es zu überprüfen, aber eines Tages hatte sein Meister gesagt, seine Augen hätten einen gelbstich mit angenommen und sie würden aussehen, als würden sie phosphoreszieren.

Conrad wusste nicht, was es bedeutete, aber seinem Meister schien es zu gefallen.

Er wurde von seinem Herren durch die dunklen Flure geführt und hinunter in den Keller.

Heute war irgendetwas anders als sonst. Das konnte er deutlich spüren.

Der übliche Geruch von Pflanzen, Erde, Staub und Kerzenruß wurde von einem anderen überlagert.

Vorsichtig schnupperte er.

Es roch süßlich wie eine von den vielen Lilien, die sein Herr für seine Kräutermischungen benutzte. Gleichzeitig war es wie der Geruch von welkem, nassem Laub.

So etwas hatte er noch nie gerochen, aber vermutlich stammte es von einem der Experimente, die sein Herr immer durchführte.

„Setz dich!“, blaffte der Mann ihn an und gehorsam ließ er sich auf einen alten Hocker nieder.

Was würde er heute von ihm nehmen? Würde er ihm wieder die Haare abschneiden? Oder brauchte er wieder sein Blut? Oder riss er ihm wieder einen Nagel aus?

Conrad beobachtete seinen Herren, wie er durch den Raum ging und verschiedene Flaschen aus einem Schrank nahm

Er stellte sie sorgsam auf den Tisch, der überlagert war von den Überresten irgendwelcher Tiere, Pflanzen und Dingen, wo er nicht wissen wollte, was sie einmal gewesen waren.

Das Licht von den Kerzen spiegelte sich auf dem Dolch und nicht zum ersten Mal spielte Conrad mit dem Gedanken, ihn zu nehmen und damit auf den alten Mann zuzustürmen.

Aber er wusste, er würde keine Chance haben.

Der alte Mann war zu stark für ihn.

Er ließ den Kopf hängen und wartete darauf, was heute auf ihn warten würde.

Der Mann ging noch immer geschäftig umher und bereitete mehrere Sachen vor.

Zwischen seinen Fingern zerrieb er ein paar Kräuter und goss aus einer der Flaschen etwas hinzu.

Aus einer anderen Flasche nahm er einen kräftigen Schluck und hustete kräftig.

Aus einem Krug holte der Mann ein paar kleine Knochen heraus und zerrieb sie zu einem feinen Pulver.

Conrad schüttelte sich. Er wollte nicht wissen, was er da tat und wofür es gedacht war.

Er hörte, wie sein Herr ein weiteres Mal kräftig hustete.

Ein missbilligendes Geräusch war zu hören und ein Fluch, den er leise ausstieß.

Was war nur los?

„Wer sind Sie?“, fuhr sein Meister plötzlich jemanden an.

Conrad zuckte zusammen und machte sich schon auf Schläge gefasst. Als er nichts spürte, registrierte sein Gehirn, dass dieser Anschrei gar nicht ihm gegolten hatte.

In der Eingangstür zum Keller stand eine Frau.

Ihre Kleidung wirkte sauber und ordentlich, aber gleichzeitig auch sehr männlich. Es kam ihm sehr fremd vor, was sie trug. Seit wann trugen Frauen knielange Röcke?

Verwirrt sah er die Dame an.

Ihre langen Haare waren weiß, lediglich eine schwarze Haarsträhne fiel ihr jeweils an der Seite herunter.

„Wer sind Sie und was tun Sie hier unten?“, fragte sein Herr erneut und Conrad rechnete schon damit, dass diese Frau es gleich bedauern würde ihn verärgert zu haben.

„Mein Name ist Alyssa Campell“, antwortete sie mit kräftiger Stimme und schob ihre Brille hoch.

„Was suchen Sie hier? Sie haben hier nichts verloren!“, schrie er.

„Ich bin hier um Sie abzuholen“, antwortete sie und Conrad konnte die Luft kurz Surren hören.

Er blickte auf und sah in ihrer Hand eine weiße Sense.

Sein Meister wich zurück und schluckte schwer. Er griff sich an den Hals und hustete kräftig.

„Nehmen Sie diese kleine Ratte…Aber verschonen Sie mich…“, krächzte er und Conrad sah zu, wie er zu Boden ging.

Die Frau warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Ihre Augen leuchteten grün-gelb und er zuckte zusammen. Schnell machte er sich ganz klein auf dem Stuhl.

Ihre Augen hatten sich für einen Moment verengt.

„Er steht nicht auf meiner Liste“, war ihre knappe Antwort und es jagte ihm einen Schauder über den Rücken, wie kalt diese Worte waren.

Vorsichtig kroch er von dem Stuhl und verzog sich in eine dunkle Ecke. Schnell winkelte er die Knie an und beobachtete seinen Herren und die Frau aufmerksam.

In ihrer anderen Hand trug sie einen dicken Ordner.

War darin ihre Liste?

Ihre Erscheinung schien seinem Herren Angst einzujagen, denn er streckte seine verrunzelte Hand nach ihr aus und sah sie flehentlich an.

Er bettelte darum, dass sie ihn verschonen möge.

War diese Frau dabei ihn umzubringen?

Fasziniert schaute Conrad zu und seine Augen weiteten sich vor Spannung.

Sein Meister hustete kräftiger und stärker. Er hörte, wie er nach Luft schnappte und dann am Boden liegen blieb.

Die Frau hob die Sense an und schlug mit der Klinge in den Rücken des Mannes.

Mehrere Stränge erhoben sich in die Luft und Conrad konnte sehen, dass es Bilder aus dem Leben seines Herren waren.

„Alchemist James Brown, Geboren am achten Juli Sechzehnhundertneunzig, gestorben am zwanzigsten Mai Siebzehnhundertfünfundzwanzig“, leierte sie aus ihrem Buch herunter und setzte einen Stempel hinein, „Besondere Anmerkungen keine.“

„Alyssa, hast du endlich den Auftrag erledigt?“, fragte eine andere Stimme plötzlich.

Conrad zuckte zusammen.

„Ja, habe ich. Es hat nur etwas gedauert bis der Alte den Löffel abgegeben hat. Ich war zu früh dran.“

„Besser zu früh als zu spät. Du kennst ja die Leute aus der Verwaltung.“ Ein Mann mit langem, weißem Haar, das er zu einem Zopf gebunden hatte, kam durch die Tür und ging auf die Frau zu. Er trug eine ähnliche dunkle Kleidung wie die Frau und auf seiner Nase saß ebenfalls eine Brille.

Es war offensichtlich, dass sie beiden sich nahe standen.

„Interessant“, sagte er mit ruhiger Stimme und betrachtete den toten Mann am Boden. „Er hatte alles getan, um uns aus dem Weg zu gehen und los zu werden. Am Ende ist er durch seine Experimente so gealtert, dass er nach oben gerückt ist auf der Liste.“

„Selbst Schuld“, sagte Alyssa, „Er hat doch auch versucht Dämonen herbei zu rufen, nur um uns von sich fern zu halten.“

Der Mann nickte. „Wie wahr…Wollen wir gehen?“

Sie nickte und sah zu Conrad herüber.

Der kalte Ausdruck in ihren Augen war verschwunden und sie lächelte ihm freundlich zu.

Langsam kam sie ihm näher und er drückte sich an die Wand.

„Es ist alles gut“, flüsterte sie und hockte sich zu ihm auf den Boden.

„Lyss, ich glaube wir sollten gehen. Du weißt, wir dürfen uns nicht in die Angelegenheiten von Menschen einmischen.“

„Das weiß ich, aber wir können ihn doch nicht einfach so hier lassen!“, bittend sah sie ihn an. „Adrian…“

Ängstlich rutschte er ein Stückchen weg.

„Hey…bleib hier…ich tu dir nicht weh…du bist frei…du kannst gehen“, flüsterte sie und ihr liebevolles Lächeln erinnerte ihn an das Gesicht eines Engels, das er vor langer Zeit in einer Kirche gesehen hatte.

Sie wirkte so friedlich und voller Liebe.

Alyssa griff in ihre Tasche und zog ein weißes Tuch hervor.

Conrad zuckte zusammen als sie ihn damit berührte und über sein schmutziges Gesicht wischte.

Es war eine sanfte Geste, wie er sie in all den Jahren nicht erlebt hatte und er brach in Tränen aus. Ein kräftiges Schluchzen verließ ihn und ihm wurde die Bedeutung ihrer Worte nur langsam bewusst.

Er war frei. All die Qualen und Leiden hatten ein Ende. Seine Gebete waren erhört worden.

Schon im nächsten Moment schossen ihm die nächsten Gedanken in den Sinn.

Wo sollte er hin? Wie sollte er überleben? Würde er alleine in der Welt draußen klar kommen.

„Da siehst du, was du anstellst, wenn du dich in die Sachen der Menschen einmischst.“

„Aber er ist kein Mensch, Adrian. Er ist einer von uns.“

„Was?“

„Ich hab es gesehen. Seine Augen sind dieselben wie unsere.“ Ihre Stimme klang eindringlich. Sie stand also auf seiner Seite. „Wir können ihn nicht hier lassen. Er gehört nicht in diese Welt. Er gehört in unsere Welt!“

Der Mann seufzte ergeben. „Na gut. Aber du erklärst das der Verwaltung.“

„Ja, natürlich!“ Sie verdrehte die Augen hinter der Brille und zog die Jacke aus.

Vorsichtig legte sie ihm den Stoff um.

Es schien ihr nichts auszumachen, dass er so schmutzig war und ihre Kleidung ruinierte.

Weitere Tränen bahnten sich über Conrads Gesicht. So etwas hatte er noch nie erlebt gehabt.

Diese Nettigkeit war ihm fremd und sein Herz schlug kräftig vor Traurigkeit und Freude in seiner Brust.

„Das hätte dir echt nicht passieren dürfen…“, flüsterte sie und wischte ihm ein paar Tränen von der Wange.

Er konnte es sich nicht anders erklären.

Sie musste ein Fleisch gewordener Engel sein.

Ihre Hand war warm und zärtlich, als sie ihm weiter über das schmutzige Gesicht wischte.

„Alles ist gut…“, murmelte sie und es schien sie nicht zu stören, dass das weiße Tuch schon ganz schmutzig war, genauso wie ihre Hand.

Conrad schloss die Augen und schmiegte sein Gesicht in ihre Handfläche. Er konnte nicht aufhören zu weinen.

Sie legte ihre Arme um seinen schmalen, abgemagerten Körper und drückte ihn an sich.

Ihr Körper war genauso warm wie ihre Hand und ihre Brust war weich.

Er hörte ihr Herz in einem gleichmäßigen Rhythmus schlagen. Der Brustkorb hob und senkte sich passend zum Herzschlag auf und ab.

Diese Wärme hatte er noch nie gefühlt, die sich in seinem Körper ausbreitete und er drückte sich enger an sie.

Ganz langsam strich sie ihm über seinen Kopf und den Rücken. Ihre Jacke wärmte zusätzlich seinen Körper.

Was tat er nur? Er sollte aufhören zu weinen. Ihre weiße Kleidung wurde seinetwegen ganz schmutzig!

Conrad wollte sich von ihr lösen, doch sie hielt ihn weiter fest an sich gedrückt.

Warum tat sie das nur?

Was waren das für Gefühle, die er spürte?

War das der Friede, den ein Engel bringen konnte?

Wenn ja, wollte er für immer bei diesem Engel mit dem Namen Alyssa bleiben. Er wollte für immer in ihrem warmen Armen sein und sich nicht mehr davon lösen. Ewigkeiten würde er so verbringen wollen und ihren Geruch tief einatmen können.

Das war es, was er vorhin auf dem Flur gerochen hatte.

Dieser süße Geruch von Blumen und der Mischung aus verwelktem Laub war ihrer gewesen.

Sein Gesicht schmiegte sich an ihre Schulter und er konnte ihre Hand auf seinem Rücken spüren, wie sie sanft auf und ab strich. Ihre Wärme konnte er durch den Stoff der Jacke spüren.

So viel Liebe hatte er in den letzten Jahren nicht gespürt und er würde diesen Engel nie vergessen. Das schwor Conrad sich.
 

Verschlafen blinzelte er sich den Schlafsand aus den Augen und brummte.

„Was für ein Traum…“, murmelte er und strich sich die langen Haare, die ihm ins Gesicht fielen, mit den Fingern schnell nach hinten.

Müde fuhr er sich über die Augen und richtete sich etwas auf.

Seine Muskeln fühlten sich angespannt an und jede Bewegung schmerzte.

Ein lang gezogenes Gähnen entfuhr ihm und er streckte sich ausgiebig.

Es war lange her, dass er an seine Vergangenheit gedacht hatte und noch viel länger her, dass er an seine Gefangenschaft gedacht hatte.

Erfolgreich hatte er es seit dem verdrängt, wo ihn Alyssa mit in die Welt der Shinigami genommen.

Seinen Namen von früher hatte er fast vergessen. Durch diesen Traum war er ihm wieder ins Gedächtnis gebrannt und auch die Qualen, die er erlitten hatte, hatte er wieder deutlich in Erinnerung.

Seitdem er die Menschenwelt verlassen hatte, hatte er alles dafür getan, um seinem Engel irgendwann danke zu sagen.

Aber er hatte es nie geschafft. Sie war gestorben, als er gerade seine Ausbildung zum Shinigami gemacht hatte.

Wozu hatte er sich solche Mühe gegeben? Wozu hatte er sich all die Jahre angestrengt, wenn er ihr doch nie hatte danken können?

Dabei hatte er nie mehr gewollt, als dass sie stolz auf den kleinen, schmutzigen und nichtsnutzigen Jungen war, den sie damals gerettet hatte.

Sein ganzes Leben hatte er versucht dieses Gefühl los zu werden.

Alle Entscheidungen hatte er nur getroffen, um sie eines Tages wieder sehen zu können.

Sein Aussehen und seine Haltung hatte er nur Verändert, um sich von dem schwachen Jungen von früher zu distanzieren.

Vorsichtig, als würde die Berührung immer noch schmerzen, berührte er seine linke Schulter.

Dort war eine der vielen Narben zu sehen, die ihn noch an früher erinnerten. Ganz blass und wie ein Regenwurm zog sie sich über seine Schulter, das Schulterblatt und verband sich auf dem Rücken mit den unzähligen anderen.

Sein Körper war eine Schande und er schämte sich in Grund und Boden, wenn er nur an seinen Rücken dachte.

Übelkeit stieg in ihm bei der Erinnerung an früher auf und er legte eine Hand auf seinen Bauch.

Er roch wieder den Gestank von Urin und Schweiß und hörte wieder das Rascheln von den Ratten im Stroh.

Wieso konnte es nicht aufhören? Wieso musste ihn das verfolgen?

Er presste eine Hand schnell auf den Mund und unterdrückte den Würgereiz. Kalter Schweiß brach ihm auf Rücken und Stirn aus, währen der das Gefühl hatte, seine Haut würde brennen.

Dieses Leben war lange her und er würde sich nicht wieder davon runter ziehen lassen.

Er war ein Shinigami der Dispatch Society und in der Abteilung Seelensammlung.

Der Mann, der ihn misshandelt hatte, war tot.

Alyssa Campell hatte ihn getötet und er hatte seine Lebensaufzeichnungen gesehen.

„Niemand kann mir ein schlechtes Gefühl vermitteln ohne meine Einwilligung…“, murmelte er gegen seine Hand, die noch immer auf seinem Mund gepresst war. Ein Satz, den ihn Alyssa bei seinem Abschied gesagt hatte.

Oft genug hatte er es sich gesagt, wenn er nachts nicht hatte schlafen können und an früher dachte. Es hatte lange gebraucht bis dieser Satz seine Wirkung gezeigt hatte.

Aber wozu?

Wozu hatte er sich verändert, wenn alles zu spät war? Er hatte ihr weder helfen können, noch hatte er es verhindern können?

Viel zu spät hatte er die Ausbildung angefangen, andernfalls hätte er mit ihr den Auftrag ausführen können.

Er schloss die Augen und atmete langsam tief ein und aus.

Das Gefühl der Übelkeit verschwand langsam.

Vorsichtig nahm er die Hand vom Mund und blieb reglos im Bett sitzen

Tränen stiegen ihm in die Augen und liefen schnell sein Gesicht hinab.

Er wurde das Gefühl nicht los, dass er ein Nichts, ein Niemand war und Versagt hatte.

Ein lautes Schluchzen entfuhr ihm und er zog seine Beine eng an seinen Körper heran.

Er wünschte sich, Alyssa wäre hier bei ihm und würde ihn in den Arm nehmen, wie bei ihrer ersten Begegnung.

Niemals würde er das Gefühl dieser Art von Liebe vergessen, nach der er sich jetzt schmerzlich sehnte.

Seine Nägel gruben sich in seine Haut bis es schmerzte.

Er durfte nicht schwach sein und er durfte sich von dieser Vergangenheit nicht unter kriegen lassen.

Seine Zieheltern hatten ihn groß gezogen und waren immer für ihn da gewesen. Sie hatten immer Verständnis für ihn gehabt und hatten ihn geliebt.

Sein Traum war nur ein dunkler Fleck in seinem Leben.

Er wischte sich über die Wange und schluchzte erneut laut.

Sein Gesicht verzog sich missmutig und er fuhr sich erschöpft über die Augen.

Ein Shinigami, wie er weinte nicht und ließ sich davon nicht unter kriegen. Es gab auch wichtigere Dinge, die es zu tun gab.

Ein lautes Geräusch riss ihn aus den Gedanken und er hörte im nächsten Moment etwas Poltern.

Schnell tastete er nach seiner Brille und stand aus dem Bett auf.

Auf nackten Füßen tapste er zu seiner Zimmertür und öffnete sie einen kleinen Spalt.

Der Flur war dunkel und alles schien ruhig zu sein.

Angestrengt lauschte er und wartete auf das nächste Geräusch.

„Lass mich los!“, hörte er plötzlich eine Stimme durch den Flur schreien.

Verwirrt öffnete er die Tür noch einen Spalt mehr und sah den ganzen Gang entlang.

Es war nichts zu sehen.

Aber so sehr geirrt haben, konnte er sich nicht.

Sein Gehör war ausgezeichnet.

Er hörte wieder ein poltern, gefolgt von einem lauten Fluchen und Fauchen.

Verwirrt runzelte er die Stirn.

Wie konnte jemand nur so laut sein in einer der anderen Etagen?

„Carry, sei still. Du weckst die Damen und Herren im ganzen Haus auf!“, sagte jemand und er konnte die Stimme als Erics identifizieren.

Seine Neugierde war geweckt.

Hatte Ronald es geschafft und Carry überführt?

Er hoffte es stark für seinen Kollegen, denn er hatte wahrlich genug Probleme. Wenn Carry jetzt fort war, konnte er sich in Ruhe auf die Suche nach seiner Liebsten machen.

Bei dem Gedanken konnte er sich ein Kichern nicht verkneifen und er schloss schnell die Tür.

Die Vorstellung, dass sein jüngerer Kollege mit seiner Schülerin ein Paar werden würde, ließ ihn grinsen.

Er konnte sich noch immer nicht an die Vorstellung gewöhnen, dass der kleine Frauenheld jetzt verliebt war und sich an jemanden binden wollte.

Aber dazu galt es erst mal sie zu finden.

Ein Grummeln entfuhr ihm, als er an den Kampf gegen den grauhaarigen Shinigami zurück dachte.

Dieser hatte ihn doch tatsächlich ins Gesicht geschlagen und getreten.

Noch immer hatte er blaue Flecke am Körper, die nur langsam verheilten.

Er seufzte und ging müde durch sein Zimmer.

Im Bad spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht und untersuchte seine Augenringe.

Keiner seiner Kollegen sollte sehen, dass er geweint hatte.

Alles war jedoch nur halb so schlimm und es war nichts zu sehen.

Nachdem er im Bad fertig war, zog er sich eine frische Uniform an.

Kaum hatte er den letzten Knopf geschlossen, klopfte es an seiner Tür.

Fragend warf er einen Blick auf die Uhr.

Es war noch nicht mal nach sieben.

Zu spät konnte er nicht sein.

Es klopfte wieder und genervt seufzte er auf.

„Wer ist das denn schon so früh?“, grummelte er und öffnete die Tür.

Verwirrt sah er seine Kollegen Eric, Alan und Ronald an.

„Was macht ihr hier?“, fragte er verwirrt.

„Wir müssen reden“, sagte Alan mit ernstem Gesicht.

Es schien wirklich wichtig zu sein, denn er hatte es noch nie erlebt, dass er nicht grüßte.

„Kannst du uns reinlassen, Grelle?“, fragte Ronald.

Grelle trat einen Schritt zur Seite und wies seine Kollegen an herein zu kommen.

Kurz sah er auf den Flur, ob dort noch jemand war, aber es war noch immer alles friedlich.

Er warf sich seine roten Haare zurück und schloss die Tür.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

Kommentar schreiben
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Von:  AkaiOkami
2013-09-04T14:27:18+00:00 04.09.2013 16:27
hmmm ja ziemlich gut geschrieben aber ich muss ganz ehrlich sagen das das irgendwie.....na ja die Vergangenheit passt nicht zu grell....aber sonst gut ^^
Antwort von:  Noisa-Grellchen1992
04.09.2013 21:07
Wieso passt das nicht zu Grell? ^^
Von:  Akai_Hana
2013-09-03T19:27:41+00:00 03.09.2013 21:27
Ich muss MissTsuniko zustimmen mit dem RESPEKT! ^w^~
Einfach klasse dieses Kapitel!
Vorallem musste ich erstmal überlegen, ob das Grell sein könnte
Wegen dem Rot
Doch dann war ich mir sicher, als dann stand er habe grüne-hell gelbe Augen ^w^~
Was aber Alan, Eric und Ronald von ihm möchten bin ich gespannt 0w0
Da sie ja irgendwie wütend wirken ^^"
Von:  fahnm
2013-09-03T19:26:04+00:00 03.09.2013 21:26
Spitzen Kapi^^
Von:  Tubbytaku
2013-09-03T19:04:47+00:00 03.09.2013 21:04
Ich. Liebe. GRELLE!!!!! xDD

Sooo cool!! *___* Ich bin leider nicht informiert ob diese Vergangenheit im Manga oder so aufgelöst wird, aber wenn du dir die ausgedacht hast, dann RESPEKT! 0.0
Antwort von:  Frigg
03.09.2013 21:05
Grelles Vergangenheit ist ausgedacht, kam so also nicht im Manga oder ANime vor
Antwort von:  Noisa-Grellchen1992
04.09.2013 12:28
Wär ja einfallslos wenn man etwas übernehmen würde selbst wenn da etwas vorgekommen wäre ;D
Antwort von:  Tubbytaku
04.09.2013 15:56
Stimmt .... >.<"


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