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Das Panopticon

von

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Teil V

Wenn ich sehe/ was alles/ um der guten Sache willen/ getan wird/ dann denke ich/ manchmal/ es wäre/ vielleicht/ eine gute Sache/ wenn es überhaupt/ keine / gute Sache/ mehr gäbe

Erich Fried: Die gute Sache
 

Liebermann parkte seinen Wagen (einen silbernen Mercedes), auf dem asphaltierten Parkplatz von PIT. Zumindest sollte dieses sich hier laut der Beschreibung auf seiner Karte befinden. Er zog die Handbremse an und schaute aus der Frontscheibe nach draußen. Direkt vor ihm stand ein riesiges Gebäude mit verglaster Fassade. Es erinnerte Liebermann entfernt an ein Stadion, oder vielleicht an das Colosseum in Rom, denn es war – soweit er das beurteilen konnte – annähernd rund. Das Erdgeschoss eingerechnet zählte es sechs Stockwerke. An der Gebäudeseite, die sich rechts von ihm befand, sah Liebermann ein monumentales P, das wahrscheinlich der erste Buchstabe des Firmenlogos sein sollte. Dort vermutete Liebermann auch den Eingang.

Nachdem er das Gebäude also eingehend betrachtet hatte, blieb ihm keine weitere Ausrede mehr, sich nicht an die Arbeit zu machen. Er öffnete die Autotür, stieg aus, und ging zum Kofferraum. Er zog dabei seinen Mantel über, den er während der einstündigen Autofahrt neben sich auf den Beifahrersitz gelegt hatte. Im Kofferraum befand sich seine lederne Arbeitstasche, in der zum Schein ein paar Akten steckten. Darunter befanden sich die wichtigeren Dinge: Der Plan des Gebäudes, die Magnetkarte, die ihm als Schlüssel dienen sollte, das Foto der Zielperson und, ganz unten, der Schocker. Ihm war nicht wohl dabei, eine derart gefährliche Waffe mit sich herumzutragen. Er nahm sie noch einmal heraus und wog sie in der Hand, spielte mit dem Gedanken sie dazulassen. Aber das konnte er nicht tun, schließlich hatte er einen Auftrag. Trotzdem stellte er den Wirkungsgrad des Schockers um zwei Punkte nach unten. Danach war ihm etwas wohler.

Er verstaute ihn wieder in der Tasche. Dann holte er die Kopfhörer und das Funkhandy heraus, das ihm die Wächterin gegeben hatte. Es sah aus wie ein gewöhnliches Handy, hatte aber an seiner Oberseite ein Kabel, das in einem Kopfhörer endete. Er fädelte das Kabel unter seiner Kleidung durch und steckte sich den Kopfhörer ins Ohr, bevor das Handy in seine Tasche wanderte. Kurz überlegte er etwas wie „1-2-3 Test“ in den winzigen Lautsprecher am Kabel zu sagen, kam sich dann aber lächerlich vor.

Das Gebäude war größer als er gedacht hatte (was vermutlich auf seine runde Form zurückzuführen war) und Liebermann brauchte fast zwanzig Minuten, um bis zur Eingangstür zu laufen. Diese war verglast wie die Fassade, allerdings nicht verspiegelt, sodass er in einen kurzen Gang hineinsehen konnte, der vor einer weiteren Tür endete. Am rechten Türrahmen befand sich ein Kartenleser, wie er ihn schon bei manchen Banken gesehen hatte. Als er seine Karte einführte, öffnete sich die Tür lautlos. Er trat ein.
 

Ein Klopfgeräusch drang auf verschlungenen Wegen in Rose‘ Unterbewusstsein. Sie drehte sich im Bett um und versuchte es zu ignorieren, da klopfte es ein weiteres Mal. Diesmal ließ sich das störende Geräusch nicht mehr verdrängen und Rose schlug die Augen auf. Schläfrig setzte sie sich auf. Seltsam, sie konnte sich gar nicht daran erinnern eingeschlafen zu sein. Das letzte, was in ihrem Gedächtnis vorhanden war, war die seltsame Durchsage. Alles Weitere verschwamm in einem Nebel aus Gedanken und Emotionen.

Langsam ging sie zur Tür und legte ihre Hand auf die Klinke, doch bevor sie diese betätigen konnte, wurde die Tür bereits von außen geöffnet. Davor stand Carter. Entsetzt sah sie ihn an.

„Was machst du hier?“, flüsterte sie. „Wir dürfen unsere Zimmer doch nicht verlassen.“

Anstelle einer Antwort machte er einen Schritt auf die Tür zu. „Kann ich kurz reinkommen?“

Zögerlich ließ sie ihn ein. Noch nie zuvor war irgendwer in ihrem Zimmer gewesen, daher fühlte es sich irgendwie seltsam an. Trotzt der Umstände war sie nervös, dass ihm etwas nicht gefallen könnte. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb Carter im Raum stehen und sah sich um.

„Wir müssen gehen.“

„Wie bitte?“

Mit unbewegtem Gesichtsausdruck musterte er sie. „Wir müssen jetzt sofort gehen. Es ist zu gefährlich hier.“

„Warum?“

„Sie haben uns in unseren Zimmern eingesperrt!“, rief er, als ob das alles erklären würde.

Rose schüttelte den Kopf. „Sie haben uns nicht eingesperrt! Du konntest die Tür doch öffnen.“

Er holte eine Karte aus seiner Tasche. „Hier. Damit ging sie auf.“

„Was ist das für eine Karte? Und woher hast du die?“

„Das spielt keine Rolle.“ Suchend sah er sich um und fand eine alte Sportjacke, die auf dem Bett lag. Er warf sie ihr zu und ging auf die Tür zu. „Gehen wir.“

Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und blieb stehen. Als er merkte, dass sie ihm nicht folgte, drehte er sich um.

„Was ist?“

„Ich werde ganz bestimmt nirgendwohin mitgehen, bevor du mir nicht erklärt hast, warum.“

Ein Ausdruck des Erkennens schien über sein Gesicht zu huschen, allerdings nur für wenige Sekunden. Ehe sie sich dessen sicher war, war er auch schon wieder verschwunden. „Natürlich. Ich dachte du hättest es dir bereits gedacht. Steve ist der Mörder, du hattest Recht.“ Er sagte das, als sei es die normalste Sache der Welt.

Sie wollte es gerne darauf beruhen lassen, aber ein Teil ihres Verstandes bohrte weiter: „Und woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?“

„Zum einen sind da die Motive, die du und Marley bereits erwähnt hattet. Aber richtig klar wurde mir die Sache erst als mir auffiel, dass er auf demselben Stockwerk arbeitete wie Marley. Und er ist der einzige, der ein Motiv und Zugang zu Marleys Büro hatte.“

„Aber dort wäre er doch von einer Kamera erfasst worden. Die Verwaltung hätte doch ganz einfach Schritte gegen ihn einleiten können.“

„Es hat einige Zeit gedauert, bis ich es rausgefunden habe, aber ich glaube, dass er irgendwie mit der Verwaltung zusammenarbeitet.“

„Mit der Verwaltung?“

„Ja, vielleicht bezahlen sie ihn, ich weiß es nicht genau.“

„Und wozu sperren sie uns hier ein?“

„Vielleicht damit er leichtes Spiel mit uns hat, keine Ahnung.“

„Warum gehen wir dann nicht alle?“

Er beugte sich vor und sah ihr durchdringend in die Augen. „Weil er es auf dich abgesehen hat.“

„Mich?“ Die Flut an Informationen, die auf sie einstürmte, überforderte sie.

„Ja, du und Marley habt ihn entdeckt. Er weiß das. Du bist eine Gefahr für ihn.“

„Aber du weißt es doch auch!“

„Ja. Deshalb verschwinden wir jetzt von hier und berichten den Verantwortlichen draußen alles.“

„Aber -“

Er schüttelte den Kopf mit einem Ausdruck, der keine weitere Widerrede zuließ, fasste sie an der Hand und zog sie hinter sich her aus dem Zimmer.

Die Gänge waren dunkel und verlassen, die Neonlichter waren nicht eingeschaltet. Nur die Kameras leuchteten wie immer still aus der Dunkelheit, der rote Schein der Lämpchen verbreitete ein schwaches Licht. Heute kamen sie Rose besonders beängstigend vor. Jedes Licht schien zu sagen „Ich sehe dich.“ Mit eingezogenem Kopf folgte sie Carter.

Die Stille war fast unerträglich; das einzige Geräusch waren ihre leichten Schritte auf dem Boden, ihre flachen, hastigen Atemzüge und das ferne Rauschen der Belüftungsanlage. Sonst war alles ruhig. Rose wunderte sich, warum man aus den Zimmern nichts hörte. Vermutlich schliefen die meisten oder saßen mit einem ähnlichen Gottvertrauen, das sie eben noch gehabt hatte, in ihren Räumen und warteten auf die Menschen, die für sie verantwortlich waren. Auf einmal taten ihr ihre Kollegen leid und sie wünschte, sie könnte ihnen erklären was gerade vorging.

Sie waren am Ende des Wohntraktes angelangt und Carter stieß die gläserne Tür auf, die in den Zwischenraum mit dem Aufzug und dahinter mehreren Aufenthaltsräumen führte. Anstatt den Aufzug zu nehmen ging er jedoch durch die Räume durch und zog seine Karte durch den Schlitz, der zu den Büroräumen führte. Rose blieb abrupt stehen.

„In diesen Bereich dürfen wir nicht.“

„Glaubst du im Ernst, dass das jetzt noch eine Rolle spielt?“

Erschrocken zuckte sie zurück und ließ seine Hand los. „Natürlich! Nachdem sie Steve geschnappt haben, werden wir hier schließlich weiterarbeiten.“

„Ja und?“, fragte er barsch.

„Wenn die jetzt sehen, dass wir uns nicht an die Vorschriften halten, werden sie ...“

Er fuhr herum und packte sie an den Schultern. In seinen Augen lag ein fanatisches Glitzern. „Da oben im Turm ist niemand!“, fauchte er. „Es gibt da niemanden, der dich beobachten könnte!“

Ohne sich länger damit aufzuhalten packte er sie wieder am Handgelenk und zog sie durch die Tür, die sich inzwischen geöffnet hatte.

„Was meinst du damit?“, fragte sie leise. „Natürlich ist da jemand. Wer gibt uns denn sonst die Aufträge?“

„Still jetzt“, knurrte er. Forschen Schrittes durchquerte er den Gang. „Wenn wir uns nicht beeilen, erwischen sie uns noch.“

„Wo willst du hin?“ Rose spürte, wie Panik in ihr aufstieg und sich wie ein Ring aus Eisen um ihre Brust legte. Wie war sie nur in diese Sache hineingeraten? „Wir könnten doch einfach den Aufzug nehmen, um nach unten zu gelangen.“

„Der Sicherheitsraum ist zu gut bewacht. Es gibt aber noch einen zweiten Weg, denke ich.“

„Wo?“

„Ich muss ihn erst finden.“

Vor ihnen tauchte auf einmal Lichtschein auf. Da der Gang gebogen war, wie das gesamte Gebäude, sahen sie zuerst nur den schwachen Widerschein an den Außenwänden. Instinktiv drückten sie sich beide an die innere Wand.

Steve!, schoss es Rose durch den Kopf. Er hat uns gefunden! Er hat uns gefunden! Er hat uns ...

„Das ist entweder Steve oder einer aus der Verwaltung“, flüsterte Carter ihr ins Ohr. „Lauf zurück zum Aufzug und fahr nach unten, ich hole dich schon wieder ein.“

„Was willst du tun?“

„Ich werde sie irgendwie aufhalten. Wichtig ist, dass einer von uns nach draußen kommt.“

Als er sah, dass sie zögerte, schob er sie zurück in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren.

„Nun mach schon!“

Zitternd gehorchte sie.
 

Liebermann war zuerst die vollkommene Stille aufgefallen, die im gesamten Gebäude herrschte. Dank seiner Karte hatte er ohne Probleme den Sicherheitsraum, der ihn stark an den Security-Check eines Flughafens erinnerte, passieren können. Jetzt war er unterwegs durch die Gänge. Er war sich bewusst, dass es früh am Morgen war - etwas nach halb acht - aber es wunderte ihn schon, dass kein einziger Angestellter zu sehen war. Da es sich um eine Firma handelte, hatte er erwartet, dass er zumindest einige Leute finden würde, die er nach dem Weg fragen konnte.

Zum Glück hatte er den Plan und die Stimme im Ohr, die ihm sagte, was er tun sollte.

Er nahm den Aufzug, der direkt hinter dem Sicherheitsraum lag und fuhr in den zweiten Stock. Diese Anweisung hatte er von der Stimme am anderen Ende der Leitung erhalten.

„In einem der Schränke auf der linken Seite ist eine Taschenlampe“, wurde er angewiesen. „Mit der Karte können Sie die Schlösser öffnen.“

Liebermann gehorchte und fand, im schwachen Licht der kleinen roten Lämpchen, die an der Decke angebracht waren, tatsächlich eine silberne Taschenlampe. Sie war so lang wie ein Kugelschreiber und bis auf den Kegel vorne auch nicht viel dicker. Allerdings gab sie ein beeindruckendes Licht ab, als er sie anschaltete. Erleichtert, sich nicht mehr im Dunkeln zurechtfinden zu müssen, setzte er seinen Weg in der angegebenen Richtung fort.

Er war ein paar Schritte gegangen, als ihm plötzlich ein Geräusch auffiel, das sich von dem Rauschen, das ein ständiger Unterton im Gebäude war, unterschied. Da er ein gutes Gehör hatte, fiel es ihm leicht herauszufinden, um was es sich da handelte: Schritte. Und dann hörte er noch etwas weiteres, eine flüsternde Unterhaltung vielleicht, oder auch nur angestrengtes Atmen. Obwohl ihm eine Begegnung hier, im Dunkel des Ganges, ein wenig unheimlich war, wusste er doch, dass es seine einzige Chance auf Aufklärung war. Zudem war er im Vorteil. Er klemmte sich die Taschenlampe zwischen Kinn und Hals und suchte in seiner Aktentasche nach dem Schocker. Als er ihn gefunden hatte, steckte er ihn in seine Manteltasche und nahm die Taschenlampe wieder in seine rechte Hand. Nicht dass er vorgehabt hätte, die Waffe zu benutzen, das lag ihm fern, aber ihm war ihr Einschüchterungspotenzial durchaus bewusst.

Angespannt setzte er seinen Weg fort. Durch die Biegung des Ganges war es nicht möglich, weiter als ein paar Meter vorauszusehen. Eine Person, die sich an die Innenseite der Wand presste konnte sich sogar noch länger verborgen halten. Liebermann gab sich darum Mühe, den Weg den er vor sich hatte mit dem hellen Lichtkegel der Lampe bestmöglich auszuleuchten, nur für den Fall, dass sich jemand verstecken sollte, um ihn zu überfallen.

Nichts dergleichen war der Fall. Nachdem er dreißig oder fünfunddreißig Schritte gegangen war streifte der Lichtstrahl auf einmal eine Person, die sich breitbeinig und mit verschränkten Armen in der Mitte des Ganges aufgestellt hatte. Während er sich ihr bedächtig näherte, hatte er genügend Zeit ihr Äußeres zu studieren. Es handelte sich um einen durchtrainierten jungen Mann mit einem schwarzen Hemd und Jeanshosen. Seine Arme und Beine wirkten muskulös, seine Haltung vermittelte Selbstsicherheit. Doch es waren nicht so sehr Haltung und Statur, die Liebermann einen plötzlichen kalten Schauer über den Rücken jagten, sondern das Gesicht. Der junge Mann hatte zusammengekniffene Augen, die das Licht der Lampe auf eine seltsame Weise reflektierten und dadurch Ähnlichkeit mit Katzenaugen bekamen. Dunkelblonde Haare fielen ihm in die Stirn und warfen einen dunklen Schatten auf die obere Hälfte seines Gesichts, aus der nur die Augen glühend hervorleuchteten. Er grinste und entblößte dabei seine Zähne.

Liebermann brauchte nur einige Augenblicke, um die Person wiederzuerkennen und zu begreifen, dass das seine Zielperson war. Im selben Moment merkte er, dass er kein leichtes Spiel haben würde.

„Sie sind also der Agent der Behörde“, sagte der Mann und sein abscheuliches Grinsen wurde noch breiter. „Ich habe mich schon gefragt, wann Sie hier auftauchen würden. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben mich gefunden.“

Liebermann schluckte. Seine linke Hand glitt in seine Manteltasche und er fühlte das Metall des Schockers an seinen Fingern.

„Ich fürchte ich muss Sie festnehmen“, brachte er mit einer Stimme heraus, die nur ein kleines bisschen zitterte.

„Sie fürchten? Ich sehe, dass Sie sich fürchten. Aber Sie werden mich nicht kriegen, fürchte ich.“

Liebermann hätte jetzt eine Anweisung aus seinem Kopfhörer begrüßt, aber die Stimme schwieg.

„Wenn Sie nicht freiwillig mit mir kommen, dann werde ich Sie zwingen müssen“, erwiderte er bestimmt und schloss seine Finger fest um die Waffe.

„Ach ja?“ Der junge Mann sprang mit einer unfassbaren Geschwindigkeit auf ihn zu. Liebermann ließ die Taschenlampe fallen, die mit einem Klirren auf den Boden fiel und erlosch. Mit der linken Hand versuchte er, den Schocker aus seiner Tasche zu reißen, aber irgendwie waren seine Finger glitschig vom Schweiß und er wäre ihm fast aus der Hand gerutscht. Dann aber hatte er ihn draußen, gerade in dem Moment, als der Mann ihn packte und gegen die Wand drückte.

Er drückte auf den Knopf, der den Schock aussenden sollte, da wurde sein Handgelenk, sein schwächeres, linkes Handgelenk von einer anderen Hand umfasst und er sah wie der blau zuckende Blitz auf ihn zukam. Er keuchte auf, als der Strom durch seinen Körper schoss, seine Knie knickten ein und er verlor das Bewusstsein.
 

Es dauerte keine zwanzig Minuten bis Carter sie eingeholt hatte. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe kündigte ihn an. Sie stand im ersten Obergeschoss vor einem der Zimmer. Die Tür hatte sie geöffnet und schaute nun mit leerem Blick in den Raum hinein. Das Licht fiel von hinten auf sie und schied alles vor ihr liegende in hell und dunkel.

„Da bist du ja“, meinte er knapp. „Lass uns gehen.“

„Wo ist der Mann von vorhin?“

„Der Beamte? Um den habe ich mich gekümmert.“ Ein winziges Grinsen spielte um seine Mundwinkel, das sie allerdings nicht sehen konnte, da sie noch immer mit dem Rücken zu ihm stand.

„Wie du dich um Alexander gekümmert hast?“ Ihre Stimme war schneidend, aber es lag auch ein Zittern darin.

„Wie bitte?“

Endlich drehte sie sich zu ihm um. Sie war den Tränen nahe. „Du hast damals B1-31 gesucht, dein Zimmer, erinnerst du dich noch?“

„Kann sein, aber...-“

„Das hier ist B1-31. Warum ist es mir nicht früher aufgefallen? Das ist Alexanders Zimmer. Er war noch nicht tot und du hast bereits in seinem Zimmer gewohnt. Du konntest Marley in seinem Büro aufsuchen, da du einen Generalschlüssel hast. Du hast sie alle umgebracht, nicht wahr?“

Sie sagte das ganz ruhig und obwohl sie die Tatsache hatte aussprechen können, hatte ihr Verstand noch nicht realisiert, was sie bedeutete.

„Deshalb haben die Morde auch erst angefangen, als du hier angekommen bist. Bist du nur gekommen, um zu morden?“

Carter wandte sich ab, schien mit sich zu ringen. Er holte zweimal Luft, als ob er etwas sagen wollte, brachte es aber nicht heraus.

„Warum?“ Die Frage stand mit einer unglaublichen Schärfe im Raum. „Warum hast du das getan?“

„Wir sollten jetzt gehen.“

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir irgendwohin folgen werde? Ist das alles nur ein Trick von dir, um mich auch auszuschalten?“

„Ich würde dir niemals schaden.“

„Du hast meine Freunde umgebracht!“

„Sie waren nicht gut genug für dich!“ Er machte einen Schritt auf sie zu und packte sie am Arm. „Und wenn wir jetzt nicht von hier verschwinden, dann haben wir ein Problem.“

„Du kannst machen was du willst, ich werde ganz sicher nicht tun, was du mir sagst!“

Seine Augen begannen wütend zu funkeln. Es war Zorn, vermischt mit Angst und Panik. Er fürchtete sich, aber er verbarg es hinter Aggression.

„Wenn du hier bleibst, dann wirst du wie die anderen verrecken!“

„Was?“

„Was glaubst du, warum die euch in euren Zimmern eingesperrt haben? Zum Spaß? Als Sicherheitsübung? Gerade du solltest es doch besser wissen! Ihr habt das Werk hier beendet. Ihr seid nutzlos geworden. Schlimmer, ihr seid eine Gefahr geworden, denn ihr wisst zu viel. Darum entsorgen sie euch, ganz einfach.“

Rose schaute ihn ungläubig an. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. „So etwas Absurdes würde niemand machen. Niemand könnte einfach so viele Menschen in den Tod schicken! Man würde es merken!“

„Warum spricht hier denn nie jemand über seine Familie? Weil niemand eine hat! Hier werden nur vereinsamte Menschen eingestellt, deren Fehlen niemand bemerkt. Das ist das Prinzip der Behörde.“

„Das glaube ich nicht!“

Seine Finger bohrten sich stahlhart in ihren Arm. „Glaub es oder nicht, aber ich werde nicht zusehen, wie du hier mit den anderen umkommst!“ Brutal zerrte er sie mit sich. Sie sträubte sich und versuchte, sich aus deinem Griff zu befreien. Auf einmal hörte sie ein Summen an ihrem Ohr.

„Was ist das?“

„Ein Elektroschocker. Den hat mir unser guter Freund, den sie uns hinterhergeschickt haben, überlassen. Er ist auf der niedrigsten Stufe, aber glaub mir, er tut trotzdem verdammt weh. Aber Schmerz ist besser als der Tod.“

Mit gnadenloser Strenge stieß er sie voran.
 

Er traute sich erst die Augen zu öffnen, als er bereits einige Minuten bei Bewusstsein war. Sein ganzer Körper schmerzte, aber er lebte. Er lebte.

Auch mit offenen Augen sah er nicht viel, abgesehen von den roten Lichtern. Niemand war da, er war alleine.

Was war passiert? Schemenhaft tauchte vor seinem inneren Auge die Gestalt des jungen Mannes, des Zielsubjektes auf. Wie er dagestanden hatte, wie er – einem wilden Tier gleich – zum Sprung angesetzt hatte. Liebermann war erwischt worden, aber nicht tödlich. Immerhin.

Mit der rechten Hand tastete er den Boden um sich herum ab. Da war nichts, weder der Schocker, noch die Taschenlampe. Natürlich nicht. Es wäre töricht von dem Mann gewesen, die beiden Dinge hierzulassen. Ebenso war auch sein Aktenkoffer verschwunden. Mühsam kämpfte er sich auf die Beine, hielt sich mit einer Hand an einer Türklinke fest und zog sich hoch. Seine Beine fühlten sich weich unter ihm an, als könnten sie das volle Gewicht seines Körpers nicht tragen. Aber sie taten es, wenn auch unter Schmerzen.

Erst jetzt merkte er, dass er keine Kopfhörer mehr im Ohr hatte. Die hatte ihm das Zielsubjekt wohl auch weggenommen. Wie hatte er nochmal geheißen? Obwohl er sein Gesicht klar vor Augen hatte, wollte ihm der Name einfach nicht mehr einfallen. Rogers, Roberts ... irgendwie sowas. Sein Gehirn musste stärker gelitten haben, als er zunächst gedacht hatte.

Schleppend setzte er sich in die Richtung, aus der Roberts (oder wie auch immer er hieß) gekommen war, in Bewegung. Er würde ihn finden und er würde ihn erledigen. Diesmal würde er nicht zögern.

Nachdem er eine halbe Ewigkeit gelaufen war, kam er an eine Tür, die sich glücklicherweise öffnen ließ. Die Karte, die ihm Zugang zu allen Räumen gewährte, hatte sein Kontrahent nämlich ebenfalls mitgenommen. Zu seiner Linken blinkten schwach mehrere Reihen von je zwei Knöpfen, die mit Pfeilen nach oben und unten versehen waren. Er erinnerte sich, auf dem Gebäudeplan Aufzüge gesehen zu haben, darum drückte er auf den nächsten Pfeil nach unten und wartete mit schmerzverzerrtem Gesicht bis der Fahrstuhl kam. Natürlich musste er nach unten gefahren sein, schließlich war unten der Ausgang.

Er fuhr in den ersten Stock.

Links von sich hörte er Stimmen und bewegte sich in deren Richtung den Gang entlang. Eine männliche und eine weibliche Stimme. Es musste sich um Roberts handeln, denn er sah einen schwachen Lichtschein aus dieser Richtung kommen. Er fragte sich, wer bei ihm war. Nachdem er ein paar schwerfällige Schritte weiter gegangen war, merkte er, dass die beiden sich von ihm wegbewegten, denn der Lichtschein wurde schwächer. Da er fühlte, dass seine Kräfte langsam zurückkehrten, begann er schneller zu laufen. Er musste sie einholen. Glücklicherweise sprachen die beiden miteinander und konnten ihn daher nicht hören.

Wie leichtsinnig, dachte er, aber es sollte ihm recht sein.

Je näher er kam, desto deutlicher konnte er hören, dass die Stimmen alles andere als freundlich waren. Der genaue Inhalt war nicht auszumachen, aber der Tonfall in dem gesprochen wurde, sagte genug aus. Er pirschte sich noch näher heran, bis er sich schließlich fast direkt hinter ihnen befand. Am Ende des Ganges konnte er zwei dunkle Silhouetten, vor dem hellen Widerschein der Lampe ausmachen. Sie waren leichte Beute.

„Du wirst damit nicht durchkommen, Carter“, hörte er die Frauenstimme sagen. „So etwas kommt immer raus.“

Der Angesprochene, bei dem es sich zweifelsohne um Roberts handelte, antwortete nicht. Das Mädchen blieb auf einmal stehen und drehte sich zu ihrem Begleiter um. Erschrocken presste Liebermann sich mit dem Rücken gegen die Wand, doch geblendet durch das Licht der Taschenlampe in Roberts‘ Hand konnte sie ihn im Dunkeln nicht ausmachen.

„Was versprichst du dir eigentlich davon, mich mitzunehmen?“

Ihr Gegenüber hielt kurz inne.

Mit angehaltenem Atem tastete Liebermann sich an der Wand entlang. Das war seine Chance. Wenn er sich jetzt auf ihn stürzte und ihn mit dem Schocker überwältigte, dann... Er griff in seine Tasche, aber da war nichts. Natürlich, dachte er bitter. Er hat ihn ja mitgenommen. Infolge des Stromschlags hatte er das völlig vergessen. Aber wie soll ich ihn ohne eine Waffe überwältigen?

Roberts hielt seinen Schocker in der Hand und bedrohte das Mädchen damit offenbar. Liebermanns Gedanken rasten. War er schnell genug, den Schocker zu schnappen und Roberts damit zu erwischen? Selbst im vollen Besitz seiner Kräfte wäre ihm das wohl kaum gelungen. Vorhin hatte er ja am eigenen Leib die Kraft und Schnelligkeit seines Gegners erfahren müssen. Da stieß er mit den Fingerspitzen in der Tasche gegen etwas Metallisches, Hartes. Zuerst glaubte er, es handle sich um einen Stift, aber das war nicht der Fall. Es war der silberne Brieföffner. Er erinnerte sich daran, wie er ihn vor einigen Tagen in seine Tasche gesteckt hatte, als er das Büro verlassen hatte. Seitdem hatte er ihn nicht herausgenommen.

Er schloss seine Finger fest um den Griff und spannte seine Muskeln.

„Du kannst mir nicht antworten?“, sagte das Mädchen. „Bist du etwa so gefühllos, dass du mir nicht mal erklären kannst, was du vorhast?“

In diesem Moment lief Liebermann los.
 

Rose sah den Mann nicht kommen. Das erste was sie wahrnahm war, dass Carter von einer unsichtbaren Kraft nach hinten gerissen wurde. Intuitiv machte sie einen Schritt von ihm weg. Sie hörte die Taschenlampe zu Boden fallen, das Licht flackerte, erlosch aber nicht. Im unheimlichen Schein der Lichtquelle, sah sie zwei Gestalten miteinander ringen. Sie sah wie jemand Carter den Schocker aus der Hand riss, dann blitzte es blau auf und Carter sank zu Boden. Während er fiel, begann ihm ein schier unverlöschlicher Blutstrom aus der Kehle zu laufen.

Sie schrie auf, als sie das Blut sah.

Mit einer Hand fing sich Carter ab, seine Augen waren glasig. Als er den Mund öffnete, um zu sprechen, spuckte er erstmal nur Blut aus. Der Mann der ihn angegriffen hatte stand über ihm und schaute mit einem ähnlich entsetzten Ausdruck auf sein Opfer hinab. Er war groß und dünn, und trug einen dunklen Filzmantel.

„Es tut mir leid, Rose“, krächzte Carter. Ohne nachzudenken ging sie zu ihm und kniete sich neben ihn. „Ich habe das alles nur für dich getan.“

Fassungslos versuchte sie zu begreifen, was er ihr da sagte.

„Du warst immer die einzige, niemand außer mir darf dich besitzen. Niemand.“

„Warum?“

„Du warst anders als die anderen. Niemand ist gut genug für dich. Du verdienst nur das Beste. Du ... aber du wirst bald bei mir sein. Bald können wir ... Marley war ein Idiot. Ich hätte wissen müssen, dass er nicht gut ist. Du musst .. geh!“

Der Rest seiner Ansprache endete in wirrem Gestammel, das Rose nicht mehr verstehen konnte. Sie sah zu, wie er langsam schwächer wurde, und aufhörte zu atmen, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, ihn zu berühren. Seine letzten Atemzüge waren schwer und qualvoll.

Danach schaute sie zu dem Unbekannten auf, der immer noch über ihnen stand. Wie lang war das schon? Sie wusste es nicht.

„Wer sind Sie?“, fragte sie leise. „Gehören Sie zur Verwaltung?“

Durch ihre Stimme aufgerüttelt, wachte er aus der Trance, in der er gefangen gewesen war, auf. „Ich bin Ermittler der Behörde für Innovation und Datenübermittlung“, erklärte er mit matter Stimme. „Sind Sie hier angestellt?“

Ohne auf ihn einzugehen, fuhr sie fort: „Wie haben Sie erfahren, dass er der Mörder war?“

„Was für ein Mörder?“

Erstaunt schaute sie ihn an. „Der Mörder von Alexander und Susan und Marley! Der, wegen dem das alles passiert ist!“

„Er hat auch noch Leute ermordet? Das wundert mich nicht.“ Müde fuhr er sich durch die Haare.

„Weshalb waren Sie sonst hier? Sie haben ihn doch gesucht?“

Er nickte. „Er ist ein ehemaliger Beamter der obersten Führungsebene. Er hat die ganze Firma geleitet, aber dann ist er verschwunden.“

„Verschwunden? Aber er war die ganze Zeit hier!“

„Aber nicht wo er sein sollte.“

„Wo hätte er denn sein sollen?“

„Im Kontrollzentrum, also im Turm.“

„Und niemand hat gemerkt, dass er nicht mehr im Turm, sondern im Firmengebäude war?“

„ Ich denke, wenn der Überwacher fehlt, weiß die Behörde nicht mehr was vor sich geht.“

„Und deshalb haben die Sie geschickt?“

„Richtig.“

Sie dachte einen Moment lang nach. „Sie sagen, er hat hier gearbeitet?“

„Ja.“

In einer plötzlichen Eile sprang sie auf die Beine. „Dann hat er ja Recht mit dem was er gesagt hat?“

„Mit was?“

„Dass man uns alle umbringen will! Er sagte etwas von einer beendeten Arbeit und dass die Arbeiter nicht mehr gebraucht werden und deshalb gefährlich sind ... also weil sie so viel wissen und so! Das stimmt also!“

„Deshalb wollte er fliehen?“

„Ja genau. Wir müssen etwas tun, wir müssen die anderen aufwecken!“ Sie rannte zu einer der Türen und wollte sie aufreißen, aber sie war abgeschlossen. „Sie haben doch bestimmt auch so einen Schlüssel wie Carter, oder? Geben Sie ihn mir!“

Der Mann im schwarzen Mantel legte ihr eine Hand auf die Schulter und zog sie sanft von der Tür weg. „Wenn hier niemand reagiert, dann sind vermutlich schon alle tot.“

Empört riss sie sich von ihm los. „Nein, vielleicht schlafen sie nur! Wir müssen es ausprobieren. Geben Sie mir Ihre Karte!“

Anstatt ihr die Karte zu geben bückte er sich und hob die Taschenlampe auf.

„Ich habe keine Karte. Die hat mir Ihr Freund abgenommen.“

Ohne zu Zögern bückte sie sich neben Carter, um seine Taschen zu durchsuchen. Sie wusste, dass sie eigentlich Ekel oder Abscheu vor dem toten Körper empfinden sollte, aber das konnte sie nicht. In diesem Moment schien er nicht mehr als ein Werkzeug. So schnell sie konnte suchte sie seine Taschen ab, bis sie schließlich fand, was sie gesucht hatte.

Mit der Karte öffnete sie die Tür und trat in den dunklen Raum. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase.

„Leuchten Sie mal hierher“, sagte sie und deutete mit der Hand auf das Bett. Das Zimmer sah genauso aus wie ihres. Auf dem Bett neben der Tür lag eine Person, die sie im flackernden Licht nicht erkennen konnte. Sie beugte sich vor und lauschte.

Ganz leise erklangen die Atemzüge.

„Er lebt noch!“, rief sie aus.

„Kommen Sie da raus!“, sagte der Unbekannte. „Da muss Betäubungsmittel oder sowas eingeschleust worden sein, sonst wäre er längst aufgewacht. Sie kippen auch um, wenn Sie da noch länger drinbleiben.“

Sie gehorchte. „Aber das heißt, dass sie noch leben! Wir können sie noch retten! Wenn wir alle aufwecken...“

„Ich fürchte dafür ist es zu spät“, sagte er nur und wandte sich ab. „Ich habe meine Arbeit hier getan. Mehr steht nicht in meiner Macht. Wenn Sie schlau sind, kommen Sie mit mir.“

„Aber es muss doch einen Weg geben!“, protestierte sie wild. „Das hier sind meine Kollegen, meine Freunde! Ich kann sie doch nicht einfach hierlassen!“

„Wie stellen Sie sich das vor?“ sagte er und drehte sich um. Er schien zwar wütend, aber Rose konnte sehen, dass er ebenso verzweifelt wie sie. „Soll ich ins Kontrollzentrum stürmen und die Computer zerstören?“

Kontrollzentrum ... der Turm. Auf einmal kamen ihr die Dinge, die Carter gesagt hatte, wieder in den Sinn. Ihr habt das Werk hier beendet. Ihr seid nutzlos geworden. Das Werk ist beendet ... beendet...

Sie packte ihn am Ärmel. „Wir müssen sofort in den Turm!“, rief sie. „Vielleicht gibt es doch einen Weg!“
 

Wenn er ehrlich war, wartete Liebermann nur darauf, dass das Mädchen zusammenbrach. Es war offensichtlich, dass sie unter Schock stand und ihre mentale Verfassung durch übertriebene Tatkraft zu verbergen suchte. Sie waren dem Gebäudeplan gefolgt und standen jetzt im Erdgeschoss vor einer eisernen Tür, die vermutlich in den Turm, das Kontrollzentrum der Firma führte. Die Tür sah aus wie die eines Hochsicherheitsgefängnisses und er war sich nicht sicher, ob seine Karte dafür ausreichte.

„Na los doch“, drängte sie.

Nun, einen Versuch war es wert. Er zog die Karte durch den Leser und zu seiner grenzenlosen Verwunderung öffnete sich die Tür rauschend und zischend. Dahinter tat sich ein langer, dunkler Gang auf, der sich einzig durch die Abwesenheit von roten Lämpchen von den anderen Gängen im Gebäude unterschied. Ohne eine Sekunde zu zögern, lief das Mädchen ihm voran in die Dunkelheit. Sie hatte ihm die Taschenlampe abgenommen, da sie wohl glaubte, ihn so zur Eile antreiben zu können. Er wusste nicht was sie vorhatte und wollte eigentlich nichts weiter, als aus der verdammen Firma rauszukommen, aber sein Pflichtgefühl sagte ihm, dass er sie nicht einfach alleine lassen konnte.

Am Ende des Ganges befand sich eine weitere Eisentür, die ebenfalls mit seinem Schlüssel geöffnet werden konnte. Dahinter befand sich ein runder Raum ohne Fenster. Vermutlich das unterste Stockwerk des Turmes. An den Wänden waren unzählige Bildschirme angebracht, die Zeichen, Codes und Nummern zeigten und ein grünliches Licht über den Raum warfen. Er hatte keine Ahnung, um was es sich dabei handelte, doch seine Begleiterin stand mit ernster Miene in der Mitte des Raumes und sah sich um. Schließlich ging sie zu einem besonders großen Bildschirm, auf dem Liebermann - neben diversen anderen Daten - eine Leiste erkannte, die irgendeinen Fortschritt maß. Sie war ganz voll, der Prozess war abgeschlossen.

Das Mädchen schaute sich den Bildschirm einige Sekunden lang an, dann bückte sie sich und entfernte eine metallene Platte unter dem Gerät. Darunter kam eine Tastatur zum Vorschein. Sie kniete sich davor und begann etwas zu tippen.

Liebermann beugte sich zu ihr hinunter. „Was machen Sie da?“, fragte er angespannt.

Den Turm zu besuchen fiel wahrscheinlich nicht in seinen Befugnisbereich, aber das konnte er immer noch mit der Suche nach dem Zielsubjekt begründen. Sich an dem Computersystem der Firma zu schaffen zu machen war hingegen mit großer Sicherheit eine kriminelle Handlung, die nicht ungestraft bleiben konnte.

Ein leises Knacken ertönte zu seiner Linken und einer der kleineren Bildschirme fiel aus. Wenige Sekunden später ein zweiter, dann ein dritter, ein vierter, bis alle Bildschirme, bis auf den großen dunkel waren.

„Was haben Sie getan?“, rief er außer sich.

Sie lächelte, ihr Gesicht grotesk von dem gleißenden Licht des Bildschirms erhellt. Sie sah mehr wie ein Dämon als wie ein Mensch aus.

„Haben Sie es immer noch nicht verstanden? Solange es Arbeit gibt, sind die Leute hier sicher. Wenn ich diese Arbeit zerstöre, hat der Zentralcomputer keinen Grund mehr, die Leute loszuwerden.“

„Und Sie glauben das klappt?“

„So funktionieren Computer“, sagte sie leise. Dann knickten ihr die Beine ein und sie brach zusammen.

Er kniete sich neben sie. „Sie sollten jetzt nach Hause gehen“, sagte er leise, „Sie haben es geschafft.“

Ihr Gesicht war kreidebleich, aber ihre Augen blickten klar zu ihm auf. „Dann müssen Sie dafür sorgen, dass diese Firma geschlossen wird. Sagen Sie den Leuten, was hier vor sich geht.“

„Das werde ich.“

„Versprechen Sie es mir?“

Er nickte langsam.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte er leise.

„Rose. Und Sie?“

„Joseph.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2012-06-17T16:39:49+00:00 17.06.2012 18:39
Großartiges Ende!
Das Ganze könnte tadells für ein Filmdrehbuch herhalten. Das hat so ein richtig schönes, klassisches Filmende. Alle Probleme gelöst und dann Zusammenbruch. Der Heldentod, sozusagen.

Ich muss sagen, Liebermann hat sich super entwickelt. So alles in allem hat er die Sache ja gut gemeistert. Wenn auch halb wider Willen.


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