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Der fremde Freund

von

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Rivalz Cardemonde

Die Inszenierung endet mit Musik.
 

Es ist eine Sinfonie aus widerstreitenden Klängen, schrecklich und schön, freudig und herzzerreißend. Jubel und Klage, einander überlappend. Der Tyrann liegt in den Armen der Schwester, schwach und gebrochen, ein Lächeln auf den bleichen Lippen als letzter Nachhall eines entsetzlichen Geheimnisses. Das Leben rinnt der Schwester aus den Armen, und mit dem Leben des Tyrannen verlischt auch der Hass. Nur die Trauer bleibt im Herzen der Hinterbliebenen zurück.
 

Die Augen des Tyrannen fallen zu.

Der Tyrann atmet aus, ein letztes Mal.

Die neue Welt atmet ein, ein erstes Mal.
 

Der Himmel ist strahlend blau.
 

---
 

Lelouch vi Britannia, der Herrscher der Welt, lachte.

Es war ein hartes, grausames Lachen, bar jeder Menschlichkeit und Freude. Rivalz hörte dieses Lachen jeden Tag – im Fernsehen, im Radio, oder persönlich, wenn Lelouch eine seiner öffentlichen Propaganda-Veranstaltungen oder Hinrichtungen abhalten ließ. Und wenn Rivalz die Augen schloss, um all das Chaos, all das Grauen und all den Hass dieser verirrten Welt für einen kurzen Moment auszublenden, dann hörte er es ebenfalls. Das Gelächter hatte sich so tief in sein Bewusstsein eingebrannt, dass Rivalz glaubte, es niemals wieder vergessen zu können.
 

Es gab Zeiten, da war Rivalz überzeugt, dass alles nur ein schrecklicher Albtraum sein konnte.

Dass er bald aufwachen und sich über seine eigene obskure Fantasie wundern würde. Dass dieses Gefühl jedoch nicht lange anhalten würde. Dass er den Albtraum schon nach kurzer Zeit abschütteln würde, so wie er es als Kind auch immer getan hatte, und in seinen normalen Schulalltag zurückkehren würde. Lelouch würde nicht länger der machtgierige Dämonenkönig sein, sondern sein altbekannter bester Freund – unnahbar und verschlossen, doch im Grunde seines Herzens ein guter Mensch. Shirley würde noch am Leben sein. Milly würde Schulfeste organisieren und die Mitglieder des Schulrats genussvoll herumkommandieren. Und seine einzige Sorge würde darin bestehen, wie er all seine Hausaufgaben bewältigen und Milly zu einem Date überreden sollte.

Ja ... Es gab Zeiten, da war Rivalz überzeugt, dass alles nur ein schrecklicher Albtraum sein konnte.
 

Wieder einmal ließ Lelouch eine öffentliche Hinrichtung durchführen. Rivalz stand inmitten der Zuschauer; das Gemurmel der Menschen um ihn herum erinnerte ihn an das gehetzte Brummen eines Bienenstocks, in dessen Nest irgendjemand unverhofft hineingestochen hatte. Die Todgeweihten – Männer, Frauen und Kinder – wurden gewaltsam in einer Reihe aufgestellt. Einige weinten, andere schrien, manche bettelten, doch die meisten von ihnen starrten teilnahmslos zu Boden. Die Gewehrschüsse rissen sie alle gleichsam aus dem Leben. Die Welt tat ihr Missfallen mit einem kurzen Augenblick empörter Stille kund. Rivalz betrachtete die zerfetzten Leiber, ihre bizarr verdrehten Gliedmaßen, das Blut, das in schweren Pfützen das Pflaster benetzte – und dachte an Shirley.

Lelouch lachte.

Und Rivalz wusste, dass dies alles kein Albtraum sein konnte.

Denn seine Fantasie wäre niemals im Stande gewesen, sich ein derartiges Schreckensbild auszumalen.
 

Warum?

Warum hat Lelouch mir nie erzählt, dass er ein britannischer Prinz war?

Warum nutzt er seine Macht jetzt dazu, die Welt zu tyrannisieren?

Warum bringt er unschuldige Menschen um, deren einziges Verbrechen darin bestand, sich kritisch über ihn zu äußern?

Warum musste Shirley sterben?

Wie konnte es nur so weit kommen?

Wie konnte sich der Junge, der jahrelang mit mir befreundet war, zu so einem Monster entwickeln?

Ich habe so viele glückliche Erinnerungen an ihn. Wir haben zusammen gelacht, versnobte Adlige bei Schachspielen gedemütigt, über Milly geschimpft, bei Schularbeiten betrogen. Ich habe immer geahnt, dass es irgendetwas gab, das Lelouch belastete, aber ich hatte geglaubt, dass ihm diese Momente genauso viel bedeuteten wie mir. Dass seine Freunde ihm etwas bedeuteten. Ist das alles von Anfang an nur eine Lüge gewesen?

Hatte dieser Junge, der im Sportunterricht nicht einmal imstande war, einen 5-minütigen Ausdauerlauf zu überstehen, schon vor Jahren geplant, die Welt eines Tages mit seinem Terror ins Chaos zu stürzen?

Und wie konnte ich so blind sein, das nie zu bemerken?

Bin ich tatsächlich ein solcher Vollidiot? Der naive, durchschnittliche Rivalz, zu blöd, seinen besten Freund zu durchschauen?

Lelouch, hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du mir und den anderen mit deinen Taten das Herz gebrochen hast?

Interessiert es dich überhaupt?

Ich muss es herausfinden.
 

Vielleicht war es Wahnsinn, ihn anzurufen, aber welche Rolle spielte das noch, wenn die ganze Welt im Wahnsinn versank? Rivalz wäre lieber zum Palast gegangen, um persönlich mit Lelouch zu sprechen – auch wenn die Vorstellung, dem Dämonenkönig Auge in Auge gegenüberzustehen ungleich furchterregender war als die Vorstellung, nur durch ein Telefon zu ihm zu sprechen, erschien es ihm als angemessener – doch es war angesichts der hohen Sicherheitsmaßnahmen unmöglich zu Lelouch vorzudringen. Also hatte er nach einer anderen Möglichkeit suchen müssen, und etwas besseres als die Nummer von Lelouchs altem Telefon anzuwählen war ihm noch nicht eingefallen. Ohne sich großartige Hoffnungen zu machen, tippte er die Nummer in das ausgeliehene Telefon ein – er wollte nicht, dass Lelouch ihn anhand der Rufnummernanzeige schon im Voraus erkennen konnte und das Gespräch vielleicht deswegen nicht entgegen nahm – und wartete.

Das Telefon klingelte; dreimal, viermal, fünfmal. Allein die Tatsache, dass es überhaupt klingelte, war bemerkenswert. Rivalz hatte befürchtet, dass Lelouch sein altes Telefon weggeworfen oder zumindest ausgeschaltet hatte, aber dem war offensichtlich nicht so.

In den ersten Sekunden wartete er voller Anspannung. Nach dem siebten Klingen stellte sich die Resignation ein.

Er wird natürlich nicht rangehen. Das ist eine schwachsinnige-

„Hier spricht der alleinige Herrscher Lelouch vi Britannia! Wer ist da?“

Der unerwartete Klang der harschen Stimme jagte ihm einen solchen Schreck ein, dass er das Telefon beinahe fallen ließ. Rivalz stand wie erstarrt in seinem Zimmer und glotzte hilflos auf das Telefon. Er ist also doch rangegangen.

Lelouch sprach weiter: „Nun, eigentlich sind die Möglichkeiten sehr begrenzt, wenn man bedenkt, wie wenig Leute diese Telefonnummer kennen. Milly, bist du das?“

Ein leises Lachen.

„Nein, Milly hätte mehr Schneid und wäre direkt zu mir gekommen, statt sich feige hinter einem Telefon zu verkriechen. Kallen und Nunnally kommen auch nicht infrage, es sei denn, sie haben es irgendwie zustande gebracht, ein Telefon in meine Kerker zu schmuggeln. Shirley? Ah, zu Shirley würde es perfekt passen, sie hat in ihrem ganzen Leben niemals den Mumm aufgebracht, ihre Wünsche zu verwirklichen und sich stattdessen mit halbherzigen Kompromissen zufrieden gegeben. Aber das ist das Problem: Leider, leider ist Shirley nicht mehr am Leben und scheidet somit ebenfalls aus. Bleibt also nur noch ... Rivalz. Du bist es, nicht wahr? Wieso sagst du nichts? Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Das hatte es tatsächlich. Rivalz wusste nicht, was schlimmer war: Die Tatsache, dass Lelouch ihn so schnell durchschaut hatte, oder die Art, wie er mit ihm redete ... wie ein Kind, das seinen Spielkameraden beim Versteckspiel viel zu schnell gefunden hatte und ihn nun auf grausame Weise verspottete.

Aber er musste etwas sagen. Er musste.

„Hallo Lelouch.“

„Hallo Rivalz!“ Die Stimme klang lässig, beinahe fröhlich, und doch irgendwie kalt. „Warum verrätst du mir nicht, weshalb du angerufen hast? Es würde das Gespräch beschleunigen. Du musst wissen, meine Zeit ist knapp bemessen.“

Ja, sicher, der „alleinige Herrscher“ Lelouch vi Britannia hat natürlich viel zu tun.

Rivalz atmete einmal tief durch, um seine Nerven zu beruhigen.

„Ich will nur eines wissen“, sagte er, und er war äußert erleichtert darüber, dass er seine Stimme trotz seines inneren Aufruhrs einigermaßen unter Kontrolle halten konnte. „Hat dir unsere Freundschaft jemals etwas bedeutet – oder war sie von Anfang an nur eine Lüge?“

Für ein paar Sekunden – oder waren es Herzschläge? – oder Minuten? – herrschte Stille.

Dann brach Gelächter aus dem Telefon, so freudlos, gehässig und bösartig, wie er es schon von den Hinrichtungen kannte. Rivalz schloss die Augen, sank kraftlos auf seinen Stuhl und hielt das Telefon verkrampft in der Hand, während er stumm abwartete, bis das Gelächter verebbte.

„Rivalz, deine Einfältigkeit amüsiert mich immer wieder aufs Neue“, sagte die Stimme schließlich.

„Beantworte einfach meine Frage. Bitte.“

Ein leises Seufzen. „Die Menschen sind so leicht zu manipulieren ... sie verlassen sich lieber auf ihre Gefühle als auf ihren Verstand. Und sie glauben lieber das, was sie glauben wollen als das, was logisch ist. Rivalz, unsere „Freundschaft“ hat nie existiert. Sie war eine Illusion, aber diese Illusion kam uns beiden sehr gelegen, nicht wahr? Du brauchtest einen Freund, der deine jämmerliche Existenz aufwertete und ich brauchte eine Tarnung, die mich vor meinen Feinden schützte. Ich spielte den Schüler Lelouch Lamperouge, und dafür brauchte ich „Freunde“ wie dich, Milly und Shirley. Ihr wart Werkzeuge für mich, und jetzt, da ich euch nicht mehr brauche, habe ich kein Interesse mehr an euch – wofür du dankbar sein solltest.“

„Du hast Shirley umgebracht, nicht wahr? Suzaku hatte solche Andeutungen gemacht, aber ich wollte es nicht glauben-“

„Shirley“, sagte die Stimme sanft, „wusste zu viel und hat mit ihrer Neugier meine Pläne gefährdet. Ich musste sie aus dem Weg räumen.“

„Und Rolo?“

„Rolo hat sich als ein äußerst nützliches Werkzeug erwiesen, doch leider haben Werkzeuge die Angewohnheit, zu verschleißen, wenn sie zu starken äußeren Einflüssen ausgesetzt sind.“

Das war es also. Die Antwort. Es gab keinen tieferen Sinn hinter Lelouchs Tyrannei, keine Überraschung, die im letzten Moment alles besser machte, keine Hoffnung. Es gab nur Lelouch und die unzähligen Menschen, die er in den Tod gerissen hatte. Es machte ihn krank.

„Ich verstehe.“

„Oh, Rivalz, ich bezweifle, dass du jemals wirklich in der Lage sein wirst zu verstehen.“

„Vielleicht hast du Recht.“ Nun lachte Rivalz selbst; er lachte, obwohl ihm eigentlich nach Weinen zumute war. „Ich habe nie verstanden, was in dir vorgeht, Lelouch. Wenn ich ein guter Freund gewesen wäre, hätte ich besser aufgepasst, aber ich war kein guter Freund. Ich war einfach nur ein Versager, und es gibt nichts, das ich mehr bereue als das. Wenn ich nicht so blind gewesen wäre, hätte ich vielleicht noch etwas ändern können, aber dafür ist es jetzt zu spät, nicht wahr, Lelouch?“

„... Es ist schon lange zu spät.“

„Lebwohl, Lelouch.“ Rivalz brach die Verbindung ab, bevor Lelouch noch etwas erwidern konnte. Er hatte gehofft, dass es ihm ein wenig Genugtuung verschaffen würde, den Spieß ausnahmsweise einmal umzudrehen und das Telefonat unverhofft zu beenden, so wie Lelouch es immer getan hatte. Aber er empfand keine Genugtuung.

Er hatte auch gehofft, dass Lelouchs Antworten ihn ein wenig von seinem Kummer erlösen würden, aber das taten sie nicht. Die Gewissheit, einen Freund verloren zu haben, war nicht angenehmer als die Ungewissheit darüber, das erkannte er nun. Rivalz fühlte sich weder erlöst, noch erleichtert. Er empfand nur Erschöpfung ... und Trauer.

Lebwohl, Lelouch. Ich werde nicht länger um dich trauern ... aber um den Menschen, der du hättest werden können.
 

Und Lelouch vi Britannia, der Herrscher der Welt, lachte nicht. Er begrub das Gesicht in seinen zitternden Händen und seufzte.

Es tut mir leid, Rivalz ... Es tut mir leid. Aber es ist besser so.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yumegatari
2012-01-26T21:29:13+00:00 26.01.2012 22:29
Und da war das letzte Kapitel >-<
Ich fand das Kapitel wirklich sehr traurig. Die Art wie Lelouch mit Rival geredet hat, war furchtbar. Ich konnte mir richtig vorstellen, wie der Arme sich gefühlt haben muss. Nach all dem, was geschehen war sowas zu hören, ist schlimm. Nicht einmal bis zum Schluss wusste Rival nur annähernd über alles bescheid. Hat einen ihm sehr guten Freund verloren. Oder vielleicht auch wirklich nie kennen gelernt. Einer deiner letzten Sätze, dass er quasi nie einen anderen Lelouch kennen lernen konnte, macht mich auch nachdenklich.
Nicht desto trotz ein sehr passender Abschluss! Die Story ist in sich durch und durch stimmig und hat einen interessanten Leitfaden mit Lelouchs Untergang. Auch deine Ausdrucksweise ist sehr fließend lesbar. Ich finde, du hast dich gut mit der Thematik auseinander setzen können. Es wirft einige interessante Fragen auf. Hat Spaß gemacht zu lesen ^^b


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