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Baby, it's cold outside

Ein Adventskalender
von

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24. Dezember - Jolotschka

Yuriy sitzt auf dem Boden, ein dickes Buch auf dem Schoß. Seine hellen Augen sind auf die eng beschriebenen Seiten gerichtet, die von vielem sprechen können - mal von Krieg und von Frieden, mal von Liebe, von Hass, von dramatischem Tod. Er ließt alles, was ihm unter die Augen kommt und nur ansatzweise mit Weltliteratur zu tun hat. Von Philosophie über Medizin über Fantasy bis hin zu den kleinsten Kinderbüchern.

Boris kneift seine Augen leicht zusammen, versucht, sich zu erinnern, was der Wälzer des Rotschopfs aktuell beinhaltet. Er muss immer bestimmte Kritikpunkte erfüllen, ob nun bloß einen davon oder mehrere sei nun dahingestellt.

Irgendetwas Ausländisches, meistens Deutsches.

Irgendetwas, das schon länger existiert, und dessen Sprache eher einem Sonett gleichen als normaler Sprache, und bei dem man jedes Wort einzeln erklären muss.

Der Autor eigentlich ein Dichter. Ziemlich berühmt.

Bestimmt erfüllt das Buch gerade jeden einzelnen Punkt, so vertieft, wie Yuriy ist, doch Boris fällt der Name gerade trotzdem nicht ein. Der Rotschopf versinkt zu sehr in dieser anderen Welt, die ihm die Bücher auftun, um viel mitzubekommen.
 

Eigentlich hat Boris keine Lust, sich Sorgen zu machen oder nachzudenken. Heute nicht mehr - er hat genug. Der Tag war anstrengend; die Psychologin wollte ihn einfach nicht gehenlassen. Und dann noch die blinkenden Lichter der Weihnachtsbeleuchtung, die von den Läden heraus auf die Straßen scheint. Boris spürt den dumpfen Schmerz der sich ankündigenden Migräne bereits hinter den Schläfen, außerdem sind die seltsamen, hellen Lichtflecken wieder in seinem Gesichtsfeld aufgetaucht.

Weihnachten, denkt der Silberblonde und reibt sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel, als könne er damit die Kopfschmerzen beseitigen, Weihnachten, WeihnachtenWeihnachten. Weihnachten.

Das Zauberwort gegen Kopfschmerz hat er so noch nicht gefunden.
 

"Oh, du bist ja schon da!", Ljudmilla hat sein grußloses in-die-Wohnung-Schleichen wohl doch bemerkt und strahlt ihn vom Türrahmen der Küche her an, "Das trifft sich gut, du kannst Sergej gleich helfen, die Jolotschka ins Wohnzimmer zu bringen!"

Eine Schürze umspannt ihren rundlichen Leib, und Boris kommt nicht umhin, sich zu fragen, was sie denn fabrizieren mag. Irgendeine Süßigkeit, weil sie glaubt, sie seien allesamt von hinterm Mond?

Doch er weiß, sich zu widersetzen wird fruchtlos sein; die Sozialarbeiterin, die für sie zuständig ist, ist unerbittlich - sowohl in ihrem Frohsinn als auch darin, ihren Willen durchzusetzen. Und sie hat es sich in den Kopf gesetzt, sie alle zu guten, braven Bürgern zu machen.

Normal.

Boris schmunzelt schief, und stumm steigt er in seine Stiefel vor der Haustür. Er trampelt die vielen Stufen hinunter zum Hauseingang. Tatsächlich steht dort Sergej, mit einer kleinen Tanne auf dem Schlitten - eine Leihgabe eines der vielen nörgelnden Nachbarn, die er um den Finger gewickelt hat. Sergej kann das gut, er hat es sogar schon mit Ljudmilla geschafft. Sie ist begeistert von dem blonden Hünen, das sieht man.

Sergej grinst bloß. "Befehl von oben?", erkundigt er sich, doch die Frage ist rhetorisch gemeint. Es ist klar, dass Ljudmilla gerade oben am Küchenfenster steht - ein Blick hinauf zum vierten Stock, in dem ihre Wohnung liegt, reicht, um dies zu bestätigen. Wortlos packt der Silberblonde sich ein Ende des fest geschnürten Nadelbaums. Sergej hätte den locker auch ohne Hilfe hinaufschaffen können. Aber Ljudmilla besteht ständig darauf, dass sie einander unter die Arme greifen. Warum auch immer.

Kaum ist die Tür zum Treppenhaus hinter ihnen zugefallen, überlässt Boris seinem ehemaligen Teamkollegen den Baum. "Ljudmilla wird das aber nicht freuen", bemerkt Sergej lakonisch, und Boris grinst bloß schief, zuckt mit den Schultern. Die Sozialarbeiterin kann ihn so oder so nciht ausstehen. Und Yuriy verrammelt sich hinter seinen Büchern - vielleicht vergammelt er dort auch irgendwann unbemerkt.. ein schiefes Schmunzeln blitzt über sein Gesicht, aber nur kurz. Das ist nicht witzig; Yuriy verkriecht sich zu sehr. Aber er, Boris, muss zur Psychologin.
 

Als sie den Baum im Wohnzimmer aufstellen, nimmt er doch beinahe die Hälfte des Raumes für sich ein. Woher auch immer das plötzliche Volumen kommt. Und Yuriy sieht noch nicht einmal auf, seine halb geschlossenen Augen bleiben auf die Seiten gerichtet. Er hat schon immer viel gelesen, doch seit einiger Zeit lässt er überhaupt nicht mehr von den BÜchern. Er verschlingt sie, das Wissen und Nicht-Wissen darin, saugt sie auf wie ein schwarzes Loch im All.

"Komm, Borja, setz' dich zu uns! Ich habe Tee gemacht und die Piroggen musst du kosten!", strahlend unterbricht Ljudmilla seinen Gedankengang, mit einem Blick auf Yuriy schiebt sie ihn resolut am Ellbogen in die Küche. Yuriy lässt sie zufrieden; Sie hat für einen jeden von ihnen eine besondere Therapie erdacht.

Sergej nickt ihm grinsend zu, plaudert mit Ljudmilla über die verschiedenen Rezepte. Er lernt Koch, seit etwa einem Monat. Boris hat noch keine Entscheidung getroffen, wie sein Leben weitergehen soll - er hat keine Lust darauf. Er angelt sich stumm eine Pirogge, während die Worte an ihm vorüberziehen, und blickt hinüber zu Yuriy, der sich nicht gerührt hat.

Sie wohnen irgendwo am Rande Moskaus, weit weg von der aufgelösten Balkov-Abtei. Ivan ist in St. Petersburg, bei irgendeiner Großtante, die das Sorgerecht für ihn eingeklagt hat. Er hat die kleinwüchsige Pest seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.

Es ist weniger lustig ohne das kleine Großmaul, das sich immer hinter Yuriys Kraft versteckt hat. Wobei.. die beiden haben sich ziemlich oft gestritten. Zu unterschiedliche Charaktere. Und Ivan kennt einfach keinen Respekt.
 

"Borja, mein Goldjunge", spricht ihn Ljudmilla wieder an, reißt ihn aus den Gedanken. Was für ein Spitzname, denkt er abfällig, und dieser Gedanke spiegelt sich deutlich auf seinem Gesicht wieder. Sie lässt sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen und fährt ungerührt mit ihrer Bitte fort: "Du könntest doch gemeinsam mit Serja die Jolotschka schmücken."

"Wir haben keinen Schmuck", Yuriy taucht so plötzlich in der Küche auf, dass Boris zusammenzuckt. Sergej blickt ihn nur überrascht an. Wie hat der Rotschopf es geschafft, zu erscheinen, ohne, dass jemand ihn gehört hat? Mit einem Teleporter? Oder ist er geschwebt?

"Dafür habe ich schon gesorgt, Yura, mein Junge", erwidert Ljudmilla mütterlich lächelntund hält ihm eine Pirogge entgegen. Der Rotschopf blickt aus dem Fenster, statt ihren Blick zu erwidern. Schwere Schneeflocken fallen vom Himmel, und Boris jubiliert innerlich.

Schnee bedeutet, die nervtötende Sozialarbeiterin sitzt nicht mehr so lange wie sonst bei ihnen - immerhin hat sie auch ein Kind Zuhause, und eine Mutter. Zumindest so viel hat er aus den kleinen Pläuschen mit Sergej, denen er beiwohnen muss, entnommen.

Yuriy zuckt bloß mit den Schultern, wie um das Problem von ihnen zu schütteln. Es geht ihn nichts an. Nichts scheint ihn mehr anzugehen.

Der Rotschopf fasst nach der angebotenen Pirogge und schreitet geschmeidig zurück zu seinem Buch. Wahrscheinlich ist es nur die Eingewöhnungsphase, denkt Boris. Die Psychologin meinte neulich auch zu ihm, dass er Geduld haben soll mit sich. Die Welt ist groß und bunt, und er ist eine solche Reizüberflutung nicht gewohnt. Oder so ähnlich.
 

Später ist der Baum noch immer nicht geschmückt, Ljudmilla ist weg, bei ihrem Kind und ihrer Mutter, und der kleine Zeiger der tickenden Uhr nähert sich langsam immer weiter an zehn Uhr an.. Yuriy sitzt wieder in seiner Ecke, den Wälzer auf dem Schoß. Das Licht des Fernsehers erhellt als einziges das Wohnzimmer. Sergej ist irgendwohin verschwunden - vielleicht schläft er schon. Morgen muss er wieder zur Ausbildungsstelle antreten, soweit Boris informiert ist.

Boris blickt zu Yuriy. Der kalte Schein des künstlichen Lichtes lässt sie beide bleich wirken, wie kraftlose, zombie-ähnliche Abklatsche ihrer selbst. Vollkommen kaputt.

Die rostroten Wimpern des anderen werfen lange Schatten auf sein Gesicht, und bestimmt sieht er keinen Buchstaben mehr. Die Seiten des Wälzers liegen im Schatten. Wahrscheinlich spinnt er die Geschichte in seinem Kopf weiter, so weit, dass er das Buch noch nicht einmal mehr braucht.

"Weißt du noch", seine Stimme klingt kratzig, weil er sie so lange nicht mehr benutzt hat, "Du hast in den großen Schlafsälen immer die Kerzen beschützt"

Yuriy blickt auf, endlich fixieren seine hellen Augen den Silberblonden tatsächlich. Boris betätigt den Ausschalt-Knopf der Fernbedienung, und alles Licht erlischt. Nur der eine oder andere, vereinzelte Schein dringt durch die Fenster in den Raum. Yuriys Augen verschwinden in der Dunkelheit, doch Boris hat das Gefühl, er könnte sie noch immer sehen. "Ivan hat mir dabei geholfen", erklingt die raue, dunkle Stimme der Rotschopfs, und Boris hört das traurige Lächeln, das sich dabei über sein Gesicht ziehen muss, förmlich heraus. Sie kennen sich einfach zu gut. Kein Wunder, nach all der langen Zeit.

"Ihm geht's bestimmt gut", erwidert Boris, streicht über seine rechte Hand, die voller kleiner, oberflächlicher Narben ist. Nicht wenige von ihnen hat er dem Kleinwüchsigen zu verdanken, wenn sie wieder gerauft hatten.

"Sicher", Yuriys Stimme verhallt seltsam im Raum, und Boris beschleicht das klamme Gefühl der Angst, dass der Rotschopf einfach verschwinden könnte, hineingelesen in eines seiner Bücher. Weg, wie von einem schwarzen Loch verschluckt. Und er tastet sich nach vorne, weil er sich einfach überzeugen muss, dass sein Freund noch da ist in der Dunkelheit ringsum.

Er findet ihn, und grob, kantig stoßen ihre Leiber aufeinander, weil sie verlernt haben, anderen Trost zu spenden. Yuriy hat noch immer das Buch auf dem Schoß, und Boris fühlt eine der spitzen, harten Ecken an seiner Leber. Das wird morgen ein blauer Fleck, schießt ihm durch den Kopf. Die Arme des anderen schlingen sich um ihn, irgendwie, und verkrampfen sich kurz um ihn herum.
 

"Was denn, Gruppensex und ich bin nicht dazu eingeladen?", eine schelmische Stimme erklingt, und das Licht um die beiden herum wird so schnell eingeschaltet, dass sie nicht mehr reagieren können. Boris liegt halb auf Yuriy, und - Verdammt, ihre seltsame Version einer Umarmung sieht tatsächlich stark nach etwas Anderem aus.

Der Silberblonde schießt zurück, flüchtet sich förmlich auf die Couch, ehe ihm bewusst wird, dass er den Sprecher länger nicht mehr gesehen hat. Yuriy wischt sich unterdessen einmal übers Gesicht, legt das Buch zur Seite und erhebt sich. "Was denn, du wartest auf eine Einladung, Krümel?", erwidert er leise. Anscheinend ist er gefasster als Boris. Und doch bietet sich Boris ein seltener Anblick: Yuriy, der um die Fassung ringt. Seine hellen Augen sprühen Funken wie schon lange nicht mehr.

Er scheint völlig überfordert mit der Situation zu sein, und lächelt einfach nur.

"Mir ist zu Ohren gekommen, eure Jolotschka könnte noch ein bisschen Schmuck gebrauchen", erklärt Ivan breit grinsend und hebt wie zur Bekräftigung einen Karton in die Höhe, hinter dem er beinahe verschwindet, "Also habe ich Jelena und Igor einfach ein wenig von ihrem Schmuck abgeschwatzt. Die haben sowieso so viel, dass sie es leicht entbehren können!"

Yuriy blickt ihn einen Moment nur an, und wahrscheinlich liegt es an den vielen Büchern, die er seit Ivans Abreise verschlungen hat, dass er nun einfach auf den Kleinen zugeht und ihn umarmt, wie sie es früher manchmal getan haben, wenn ihnen kalt und kein Aufseher zu sehen war.

"Yay", erklingt es vom Jüngsten des ehemaligen Teams, "Eine Runde Gruppensex für alle!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  chaoticgirl
2012-10-30T19:16:47+00:00 30.10.2012 20:16
Das finale Kapitel... bin schon sehr gespannt!

Yuriy, die Leseratte? Man lernt doch nie aus, der Kerl ist echt vielseitig. Musikalisch, literarisch interessiert und auch noch anspruchsvoll, was die Literatur angeht...
Und dann auch noch ausländisch? Deutsch? Ich komm aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus! Der perfekte Schwiegersohn... für meine Mutter ;3

Armer Boris *pattpatt*
Ich empfehle einen dunklen, ruhigen Raum...
Oh ja: und weit, weit weg von Ludmilla!

Ach übrigens: wer zum Teufel ist Borja? Was ist so schwer an dem Namen Boris?
Ach, kuck mal: noch ein Neuer: Serja! Da sind ja verdammt viele Leute in der kleinen Wohnung :D
Oi, noch einer: Yura! Irgendwo muss ein Nest sein *sich suchend umblick*

Die Welt ist groß, soweit stimme ich zu. Aber bunt?! Das ist eine glatte Lüge!

Yay! Mit Ivan konnte ich nie viel anfangen, aber jetzt gerade, find ich ihn zum anbeißen süß >_<
Erst dachte ich: was für ein trauriges Weihnachtsfest...
Aber jetzt find ichs geil: Gruppensex für alle!!
*verteilt heimlich Kondome und macht "Machs mit"-Werbezettelchen in der Wohnung*
X3

Weihnachten ist gerettet, dabei ist noch nicht mal November!
Vielen Dank dafür!
Deine

chao

(P.S.: Verprechen eingelöööst! *sing*)
Von:  kylara_hiku_Lamore
2012-01-03T18:01:46+00:00 03.01.2012 19:01
irgendwei past das kommentar gruppensex nicht auch wen es irgend wie wiede rleben in die story bringt.

es ist so net wei sei sich obwohl sie so kalt sind doch noch umeinander sorgen.

frohe weihnachten ^^ wenn auch etwas spät

PS: wehe du machst näachstes jahr nicht wieder einen!!
Von:  det
2011-12-25T12:36:51+00:00 25.12.2011 13:36
xD Gruppensex für alle
das war echt gut^^
tschuldige, dass ich dir gestern keinen kommi mehr da gelassen habe, aber ich war abends nicht mehr on
ich find's süß, dass die Jungs so sentimental sind und sich umeinander kümmern. Anscheindend hat der grummelige Rotschopf den Kleinsten echt vermisst. Total niedlich. Auch das mit der misglückten Umarmung passt total gut zu den Jungs.
Ein sehr gelungener Abschluss, wie ich finde^^

Frohe Weihnachten, viele Geschenke und liebe Grüße
det




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