14. Dezember - Eisig-kalt
(Inspieriert durch die zugedachte musikalische Untermalung: Avro Pärt - Spiegel im Spiegel, zu finden hier. Die Begegnung der beiden Cyborgs. Ohne viele Worte. Aber mit viel Musik.)
Der Flügel stand mitten im Raum, vollkommen statisch und so schwarz und leblos und kalt, als hätte der Tod höchstselbst es an Ort und Stelle gebracht und darauf gespielt. Oder eine Maschine. Der schwarze Lack glänzte im Licht, warf einzelne Strahlen zurück, doch mehr auch nicht.
Zeo sah sich suchen um, das schwarze Instrument völlig außer Acht lassend. Sein Geigenlehrer hatte ihn in die Musikschule zitiert, etwas von einem besonderen Musikinstrument gesagt – und natürlich war der Türkishaarige davon ausgegangen, dass es eine Geige gewesen sein sollte.
Dieser eisig kalte Flügel hier mitten im Raum war so riesenhaft und vereinnahmend – und gleichzeitig verschwand er. Es war, als wäre der schwarze Flügel bloß eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana mitten in diesem grünen Land.
Zeo machte einen Schritt auf ihn zu, legte eine Hand an die kühle Oberfläche des Instruments, welches wirkte wie der klare Wasserspiegel, der Narziss verführt hatte, sich zu betrachten, bis er starb. Der junge Mann schloss kurz die dunklen Augen. Nein, nichts.
Er fühlte nichts.
Wie konnte das sein, wo doch in jedem Instrument doch etwas Leben war? Das Klavier schien vollkommen erstarrt, wie in einem Eisblock, irgendwo tief unter dem Meer zu sein – unerreichbar. Doch es war hier, in dem richtig geheizten Raum des Instituts.
Vielleicht war er auch nicht spielbar. Vielleicht fehlte etwas, irgendein wichtiges Teil, um zu spielen, und der schwarze Flügel stand darum so verlassen dar.
Die Tür klickte, und mit einem Ruck wandte Zeo sich um. Er musste aussehen wie ein verschrecktes Reh, welches vor ein Auto gelaufen war und sich gerade im Moment des Zusammenpralls befand. Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, hatte er sich auch im Raum geirrt, und nun war er an einem Ort, an dem er nicht sein sollte.
„Wer bist du?“, der junge Mann mit den auffallend flammend roten Haargen und den ebenso auffallend hellen, traurig-kalten Augen musterte ihn schroff. Zeo bekam eine leichte Gänsehaut. „Ent-entschuldigung“, er geriet ins Stottern, wie immer, wenn er nervös war, „I-ich wurde hier he-herbestellt“
Der andere hob eine Augenbraue in die Höhe, hob einen Geigenkoffer in die Höhe. „Und mir wurde gesagt, ich sollte die Violine an einen gewissen Zeo weiterreichen.“, erwiderte er. Erst nun fiel dem jungen Türkishaarigen das sanfte Lispeln in der Stimme des anderen auf. Oder war es gar ein Akzent?
Er zuckte unter dem Blick des anderen und fühlte sein Herz nervös schlagen. Der Rothaarige machte Eindruck auf ihn – er war hoch gewachsen, wie viele der Ausländer im Orchester, und seine Haut über den harten, kantigen Zügen war so weiß wie Schnee. Zeo senkte den Blick. Es war unhöflich, andere Leute so anzustarren.
Doch er fasste allen Mut zusammen, und ging dem anderen einen Schritt entgegen, um die Violine in Empfang zu nehmen, und sie sogleich auszupacken. Kaum, dass das Instrument in seinen Händen lag und sich in seine Halsbeuge schmiegte, als wäre sie immer dagewesen, vergaß Zeo alles rundum. Das hier musste das Weihnachtsgeschenk seines Vaters aus der fernen Heimat sein.
Zeo lächelte leicht, und er hob den Bogen an die Saiten, strich einmal darüber. Der volle Klang erfüllte seine gesamte nähere Umgebung, zitterte in den feinen Rosshaaren seines Bogens und ließ den gesamten Klangkörper der Geige erzittern.
Da, plötzlich, ertönte der schwarze Flügel, und Zeo warf einen überraschten Blick auf den jungen Pianisten. Tatsächlich – der Rotschopf spielte. Und das Instrument, welches er vorhin noch für tot erklärt hatte, weil es kalt gewesen war, begann urplötzlich, zu atmen und sich zu regen. Es erwachte zum Leben, allein durch die einzelnen, einfachen Töne des anderen.
Die Töne hatten etwas Unwirkliches – doch vielleicht sollte es auch so sein, genauso wie der Flügel, trotz seines imposanten Wesens, quasi im Raum verschwand.
Zeo schloss die Augen, tastete die Umgebung ab und fühlte die feinen Schwingungen, die andere vielleicht als Farben sehen konnten.. oder auch nicht. Für ihn waren diese Schwingungen Melodien, die nur er alleine einfangen konnte. Er war das Medium.
Und wahrscheinlich ging es diesem Rothaarigen mit den kalten, nun geschlossenen hellen Augen genauso. Seine Wimpern glitzerten rostrot im Schein der Lampe, und nun schloss auch Zeo seine Augen und begann, wieder nach dem besonderen, bestimmten Klang der Musik zu suchen, der die Violine zum Schwingen brachte und ihn gleich mit.
Es war, als rauschte eine Welle über sie hinweg, und riss sie mit, ohne Entkommen. Doch die beiden jungen Musiker wollten dies auch nicht. Sie waren sich ähnlich – doch sie wussten nichts davon. Weder der Rothaarige mit den traurig-kalten Augen, welcher dem toten Instrument das Leben einhauchen konnte, das in seinem Verhalten fehlte, noch Zeo, der sein Leben dem Atmen durch die Musik gewidmet hatte.