10. Dezember - Wie Aschenputtel
(Warum diesen Text? Weil ich heut auch mal wieder auf einen Ball gehe ♥)
„Ich“, ein Blick zur Standuhr in der Ecke, „Ich sollte langsam gehen“
Hiromi warf einen Blick in Richtung Tür, und Garland hob eine Augenbraue in die Höhe, während er, galant wie eh und je, zwei Gläser Sekt von einem der Kellner annahm. „Warum denn?“, seine blauen Augen funkelten warmherzig, „Es ist doch noch nicht einmal Mitternacht“
Er drückte der jungen Japanerin ungefragt eines der beiden Gläser in die Hand. Sie zupfte kurz an ihrer roten Stola, ehe sie sich nochmals, leicht nervös, in Richtung der Uhr umsah. „Das nicht.. aber es wird später so kalt. Und ich muss doch eine ziemliche Strecke zurücklegen“
Garland lächelte nur schief, wie ein Fleisch gewordener Märchenprinz – wäre da nicht das lange Haar gewesen, welches ihm einen weibischen Touch verlieh. Hiromi hob nur eine Augenbraue und nippte von ihrem Sekt. „Ich kann dich ein Stück mitnehmen. Du liegst bestimmt auf dem Weg“, erklärte der Inder freundlich. Hiromi hätte sich beinahe an ihrem Sekt verschluckt.
„Du hast doch gar keine Ahnung, wo ich wohne“, erwiderte sie, das Husten unterdrückend. Immerhin wollte sie sich hier nicht vor der feinen Festgesellschaft des Balls blamieren. Es reichte schon, dass Takao vorhin versucht hatte, in Jeans eingelassen zu werden. Hiromi verdrehte in Gedanken die Augen. Das war so etwas von typisch für den Cappy-Träger..
„Du wirst auf meinem Weg liegen“, erwiderte Garland schmeichlerisch, „Immerhin kann ich meine Route selbst bestimmen“
Sein Grinsen sagte gerade äußerst.. viel aus. Wobei Hiromi von solchem Gehabe eher schnell die Nase voll hatte – immerhin erlebte sie davon genug, wenn sie zwei Minuten mit Kai am Tisch saß. Die Brünette lächelte schief, blickte abermals in Richtung der Standuhr. „Dann kannst du ja auch bestimmen, dass du erst viel später abfährst“, winkte sie beiläufig ab, doch anscheinend waren ihre Worte von der träge dahinfließenden Pianomusik verschluckt worden. Der Pianist schien sich äußerst zu langweilen. Und nicht nur er.
Hiromi bemühte sich, die Klette an ihrer Seite zu ignorieren, und beschloss, eine Runde durch den Raum zu lustwandeln. Auch wenn Lustwandeln in solch höllischen High heels wohl alles andere als lustig war. Immerhin konnte sie sich so durch die Schmerzen von ihrem hartnäckigen Verehrer etwas ablenken. Und vielleicht fand sich sogar der eine oder andere, der Lust hatte, sie zu erlösen..
Immerhin machte Garland keine Anstalten, ihr von der Seite zu weichen. Hiromi hob ihren Rocksaum leicht an, um nicht darüber zu stolpern, und trippelte voran, ihr Sektglas umklammernd wie eine Keule, mit der sie sich im Notfall verteidigen konnte.
Wahrscheinlich sah sie dabei weitaus weniger elegant aus als sie es beim Proben vor dem Spiegel ausgesehen hatte.
Eine ihrer dunklen Locken löste sich widerspenstig und fiel ihr ins Gesicht, und die Brünette hielt an, um sie sich hinters Ohr zu streichen. Doch Garland kam ihr zuvor, und er strich ihr die Strähne zurück. Dabei warf er ihr auch gleich einen intensiven Blick zu, der Hiromi beinahe zum Schmunzeln gebracht hätte. Das Aufblitzen eines Funken Spotts in ihren Augen konnte sie sich bei aller Noblesse und Ernsthaftigkeit allerdings doch nicht verkneifen. Doch Garland war gerade so in der Rolle des feinen Kavaliers – bestimmt hatte er das verräterische Blitzen falsch aufgefasst. Er konnte ja nicht wissen, dass sie schwer zu beeindrucken war. Immerhin saß sie Kai Hiwatari in normalen Klamotten oft länger als zwei Minuten gegenüber am Küchentisch.
Hiromi wich einen halben Schritt aus, während sie sich nach einem ihrer näheren Bekannten umsah, um sie zu retten. Bald kam sie sich vor wie Aschenputtel – nur, dass sie nach Mitternacht nicht in Lumpen oder gar nackt dastehen würde. Hiromi schüttelte von ihrem Verehrer unbemerkt den Kopf.
„Ich muss wirklich langsam gehen. Meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen“, ihre Mutter hatte keinen Schimmer von dem Benefitsball der BBA. Schon allein, weil sie seit einem halben Jahr alleine wohnte. Aber das musste der Kampfsportler nun wirklich nicht wissen.
Da nahte auch endlich ihre Rettung: „Darf ich bitten?“, formvollendet, wie sie es für Notfälle geprobt hatten, verneigte sich Max vor ihr, und Hiromi nickte. Dankbarer als in diesem Moment hätte sie dem blonden Amerikaner nicht sein können.
„Aber sicher doch“, die Brünette lächelte ein gönnerhaftes Lächeln in Richtung Garland, während Max sie zur Tanzfläche entführte. Er war auch der einzige, mit dem sie beim Gesellschaftstanz nicht wie ein Trampeltier aussah. Vielleicht war sie darum ja auch an Garland geraten – der junge Profisportler machte nicht den Eindruck, als sei er Tanzbegeistert. Zumindest nicht von Gesellschaftstanz.