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Adventskalender 2011

Eine Kurzgeschichtensammlung
von

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Türchen 8 - Wintermärchen

Sie kam leise um halb neun nach Hause, in die Luxusbude ihres Liebhabers, bei dem sie irgendwann eingezogen war, kurz nachdem sie sich kennen gelernt hatten. Da hatte sie noch nicht geahnt, wer er war oder was er aus ihr machen wollte. Und wozu sie fähig war.

Den roten Wintermantel und den Schal hängte sie auf die Garderobe und kam zu ihm ins Wohnzimmer, wo es nach Zimt und Gebäck duftete und der Tannenbaum aufgestellt war.
 

„Meine Schneeleopardin ist schon wieder zurück?“, begrüßte sie Thorolf auf der roten Ledercouch.

"Es schneit doch noch gar nicht, zum Glück", erwiderte sie.

„Irgendwelche Zwischenfälle?“ Zwei Haarsträhnen hingen ihm im Auge, doch sie widerstand der Versuchung, sie beiseite zu streichen.

„Nein. Ich hab den Austrag sauber ausgeführt.“

„Ich liebe deine flinken Hände, Kittycat… Die Waffe?“

Sie hielt die Sig Sauer bereits in die Hand, und er nahm sie entgegen und verstaute sie im Tresor, der im Sofa versteckt war.

Am Zittern ihrer Hände spürte sie, wie aufgewühlt sie war ohne die Pistole.

Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, und sie fühlte seine zahlreichen kühlen Ringe ihre Wangen hinab gleiten, bevor er sie küsste.

Natürlich, Thorolf hatte eine ganz weiche Seite, die er aber selten zeigte.
 

„Thorolf-…“, begann sie.

„Immer nennst du mich Thorolf. Bedeute ich dir wirklich so wenig, dass du dir nicht mal einen Spitznamen für mich auszudenken willst?“
 

Sie antwortete nicht. Lange hatte sie schon vor, Schluss zu machen. Nichts lag ihr ferner, als seine Machenschaften zu unterstützen. Ihre Beziehung hatte sie vom Regen in die Traufe geführt, obgleich sie so erfüllend schien und auf gegenseitigen, tiefem Vertrauen basierte.

Doch diese Verbindung konnte man nicht so leicht kappen. Thorolf gehörte zu der Sorte Männer, die man sich nur vom Hals halten konnte, wenn man sie für immer aus der Welt schaffte.
 

„Der Kaffeeautomat ist fertig, erledigst du das schnell? Und schneide ein paar Stücke Christstollen ab.“

Sie nickte und stand auf. Als sie in der Küche den Christstollen schnitt, fühlte sie eine merkwürdige Macht von sich Besitz zu ergreifen.
 

„Wo ist der Kaffee?“, fragte Thorolf irritiert, als sie vor ihm stand.
 

Sie wusste nicht, was ihr die Kraft gab, die Messer in seinen Körper zu stoßen, doch jeder einzelne Stoß war eine Befreiung. Blind, taub und in einer Art Rausch gefangen, ließ sie den ganzen Hass, der sich lange ihn ihr aufgestaut hatte, hinaus.
 

Dann, irgendwann, nach einer Ewigkeit, kehrten ihre Sinne allmählich zurück. Sie hätte entsetzt sein müssen, doch sie blieb ganz ruhig. Das Zittern hatte aufgehört, und es war ihr, als hätte man ihr eine schwere Last von den Schultern genommen.
 

Mit leeren Augen lag Thorolf auf dem Tigerfell, das sich von seinem Blut rot färbte, und sah sogar noch im Tod so verboten schön aus, wie er zu dem Tannenbaum aufsah, mit den beiden Messergriffen, die aus seinem Rücken wie Flügel herausragten.
 

„Ruhe in Frieden, mein Engel. Gefällt dir der Spitzname?“
 

Sie bückte sich, tauchte zwei Finger in sein warmes Blut und strich sich über ihre Lippen, dann flüchtete sie mit ihrem Mantel über den Balkon in eine ungewisse Zukunft, in der vielleicht blutrote Lippen, eine schneeweiße Haut und Locken, so schwarz wie ihre Seele, eine Rolle spielen würden…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AikaTadano
2011-12-08T21:25:26+00:00 08.12.2011 22:25
Hehe. Düstere Legenden Teil 2.
Was für ein fetter Storytwist innerhalb der paar Wörter.
So bitterböse hab ich deine Storys noch nicht erlebt.^^
Genial geschrieben - Hut ab.


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