Und wenn ich nur ein ganz bisschen flüchte?
„Ey“, krächze ich verschlafen. Stimmen kurz nach dem Aufwachen klingen echt immer bescheiden schön. Hindert Shay jedoch nicht daran, wieder so leicht über meinen Nasenrücken zu streicheln, dass es zu kribbeln anfängt und ich sie automatisch rümpfe. Aber wie schön zu hören, dass es ihn freut. Süßes Lachen…
„Shay! Hör auf damit!“
„Aber sonst pennst du noch ewig weiter.“
„Wie spät is’n das?“
„Kurz nach 8.“
„Boah.“ Decke her und ab damit übern Kopp. Geht jawohl nicht an, mich um diese Zeit schon zu wecken. „Warum schläfst du denn nicht mehr?“
Sanft wird die Decke wieder von meinem Gesicht gezogen und er lächelt mich lieb an. Oh man, ich könnt ihn knuddeln. Und dann die Strubbelhaare. Einfach zum Schmachten. Hab ich schon diesen muskulösen, leicht gebräunten Oberkörper erwähnt? Eigentlich bin ich neidisch, aber noch eigentlicher schadenfroh, dass dieser Anblick nur für mich bestimmt ist.
„Ich bin so aufgeregt.“
„Wovor??“
„Davor, dass du den ersten Morgen neben mir aufwachst. Ich konnte nicht mehr so lange warten.“ Ich glaub’s nicht! Wer ist denn hier wohl der verliebte Trottel? Ah, komm her, mein kleiner Schmusebär! (Sollte ich sowas je laut sagen, dürfen gern alle schreiend davon rennen.)
„Naty? Was wird das?“
„Kuscheln.“
„Nein.“
„Was?“
„Das geht nicht.“
„Wieso?“
„Denk doch mal nach!“ Und schwupps springt er auf, schnappt sich irgendein Shirt, das er vor – Oh, verdammt! Schneller Check, aber nein – bei mir ist alles locker. Man, ist das peinlich. Und ich wunderte mich schon, warum er so kompliziert auf dem Bauch liegt. Ob er – Oh mein Gott! Er hat geträumt, oder? So von uns? Und dann hat er sich bestimmt schon alles durchdacht, wie das mal laufen wird und jetzt muss es perfekt sein und ich kann doch nichts und dann werd ich – ich mach Frühstück! Was ganz Banales. Eier kochen, Würstchen braten und – nix da, heute gibt’s Toast!
Da kommt mein Freund, fertig angezogen und anscheinend sehr entspannt. Was hat denn dieses Grinsen zu bedeuten? Einfach ignorieren! Wenn er nur hinter mir steht, klappt das auch ganz gut.
„Hör auf damit!“
„Womit denn jetzt schon wieder?
„Mir in den Nacken zu amten. Das kitzelt.“
„Wie? So?“
„Shay!“ Lachend duckt er den Kopf, um sich vor dem Topflappen zu schützen. Ich hab doch Eier gemacht… Und bin nun schon wieder umschlungen, nur fieser, weil er meine Arme festhält. Oller Affe!
„Ist das etwa eine erogene Zone?“, spricht er leise gegen meinen Hals. Oh man, ich dreh gleich durch! Ich kann ja jetzt schlecht anfangen, blöde zu kichern. Aber genau das wird passieren, wenn er mich weiter quält. Oder ich quietsche. Oder fang zu heulen an. Ist alles schon mal vorgekommen.
„Im Moment gerade nicht, du Kloß! Hör auf, zu ärgern.“
„Das ist liebevolles Necken.“ Doch nach einem kurzen Kuss auf den Hals gibt er mich frei und ich vermöbel ihn mit dem Topflappen.
Ich will irgendwie ungern wissen, wie es wird, wenn er „ernst“ macht, denn ich glaube, dass er echt fies sein kann. So richtig fies. So Nate-fies!
Ganz ruhig! Ich kann ja jetzt noch nicht in Panik ausbrechen, wo doch prinzipiell noch gar nichts passiert ist. Wäre ja voll daneben… Aber mir wäre schon so ein wenig danach, jetzt einfach spontan die Flucht zu ergreifen. Nur eben doof, dass ich genau weiß, dass es so nicht beim „noch nichts geschehen“ bleiben wird. Immerhin musste ich Idiot ja nachfragen, wie schwer es ihm fällt, sich noch zurück zu halten. Ich mein, ich mach ihm an sich keinen Vorwurf. Ist ja auch nur ein Mann, der liebe Shay. Und wenn ich so an meine Geduld denke, hätte ich mich mit Sicherheit schon ins Bett gezerrt. Oder auf die Couch. Oder auf den Küchentisch. Der Fußboden hätte auch gereicht… Okay, gut jetzt. Das trägt nicht gerade zur Besserung meiner mentalen Verfassung bei. Ich ignorier das einfach alles wie bisher und stell mich dumm. So kann ich die großen Ereignisse gewiss noch eine Weile aufschieben und erst mal in Ruhe das Wochenende genießen.
