Sozio...

Quotenfrau

Manchmal, wenn ich gerade eine Freistunde hab, habe ich nichts besseres zu tun als in meinen Gedanken zu versinken. Wirklich nichts besseres.
 

Andere scheinen es um einiges leichter zu haben, da muss ich mich nur kurz im Klassenzimmer umschauen und ich entdecke eine Vielzahl von Möglichkeiten seine 90 Minuten Freiheit zu genießen.
 

Da wären zum einen die Leute die sich die mit Freunden auf die Reise zum nächsten Supermarkt gemacht hatten und mit allen möglichen Sachen wieder gekommen waren und eine Art kleiner Essensstand im Zimmer errichteten. Dann eine Person die mit einer PSP und ein paar die mit ihren Handys spielten oder ihren Laptops, die sie mitgebracht hatten. Und ob man es jetzt glaubt oder nicht einige machten sogar Hausaufgaben.
 

Meine Hausaufgaben sind allerdings schon lange fertig und meine Mutter achtet wirklich streng darauf, dass ich in der Schule nicht mit Elektronikgeräten rumspiele.
 

Nein, ich dachte nur kurz über meinen Physikkurs nach, dann viel mir jedoch die besonders geringe Anzahl von Mädchen in unserem Kurs wieder ein. Wie ich herausgefunden hab war es im zweiten vier-stündigen Physikkurs genauso. Bei uns waren von 16 Schülern nur vier weiblich. Physikkurse werden ja generell eher nicht gewählt,weshalb es auch so kleine Kurse sind, aber in unserem Doppeljahrgang kamen gleich zwei dieses wenig gewählten Faches zu Stande. Nur halt mit insgesamt sieben Mädchen.
 

Urplötzlich wurde mein Interesse an dieser ganzen geweckt und ich wollte wissen wie es in den anderen Kursen so aussah, also fragte ich die Person in meiner Reihe die gerade mit ihrer PSP zockte.
 

„Hey Rümeysa.“
 

„Hmm?“ Sagte sie dann etwas zu sehr in ihr Spiel vertieft, aber nach ein paar Sekunden drückte sie dann die Pausetaste.
 

„Ja,was?“
 

„Wie viele Leute seid ihr in Chemie und wie viel von denen sind Mädchen?“
 

„Ähm, … 15 Leute und drei Mädchen. Warum?“
 

„Wollt nur die Frauenquote wissen. Wie siehts im anderen Chemiekurs aus?“
 

„So ziemlich genauso.“
 

„Hmm, danke. Kannst weiter spielen.“
 

„Hatte ich auch vor.“
 

Also habe ich in Erfahrung bringen können, dass es bei den Chemie vier-stündig Kursen genauso aussah. Aber es gab ja nun genug andere Kurse zum Befragen, gleich hinter war noch einer.
 

„Hey Max, du bist doch Sport-vierstündig oder?“
 

„Ja bin ich.“
 

„Wie viele seid ihr dort, in männlich und weiblich mein ich.“
 

„Neun Männlein und zwei Weiblein.“
 

„Okay, danke.“
 

Also noch ein Kurs von Kerlen dominiert, was mich mit einer großen Frage offen stehen lässt: Wo waren die ganzen Frauen?
 

Hier kam ich mal wieder an die Grenze meines Wissens über das deutsche Wahlverhalten in der Kursstufe, was, meiner Meinung nach, etwas auch mit der deutschen Kultur zusammen hängt.
 

Ich sollte mal noch die anderen Kurse durchgehen, nur die vier-stündigen, natürlichen, die zwei-stündigen sind für mich gerade ziemlich irrelevant.
 

Also bei uns in Geschichte gibt es … vier Jungs und der Rest sind Mädchen. Na wer sagts denn, ein erster Hinweis auf das soziologische Wahlverhalten von Elftklässlern. Aber wie sieht es im anderen Geschichtskurs aus?
 

„Hey Rümeysa, weißt du wie viele Jungs im zweiten Geschichtskurs sind?“
 

„Nicht wirklich.“ Dieses mal drückte sie die Pausetaste nicht. „Aber ich bin mir ziemlich sicher es mehr sind als bei uns.“
 

„Danke.“
 

Bin ich in meinem Zeitvertreib in der allwöchentlichen Freistunde in einer Sackgasse angekommen?
 

Wahrscheinlich nicht. Noch nicht. Es gab immer noch ein paar der großen Kurse wo ich noch keine Informationen habe, aber eins kann ich jetzt schon mit Sicherheit sagen, ich werde mir wegen so etwas nicht die Mühe machen allen fünf Biokursen hinterherzujagen. Man könnte fast meinen Biologie wäre in der Kursstufe einfacher als Chemie oder Physik, aber alle die das Fach wählen sind nur in ihren anderen Wahlmöglichkeiten so schlecht bedient, dass es fast keinen Ausweg für die mehr gibt. Dabei ist Biologie gar nicht einfacher.
 

Ist aber nicht mein Problem und wie ich über diese Sache gerade so nachdachte und eine gute Antwort auf meine Frage suchte, viel mir ein Gespräch, obwohl Gespräch fast schon das falsche Wort hier ist, über Sexismus ein, welches von der PSP spielenden und Kopftuchtragenden Türkin (mit deutschen Ausweis) und mit der eine Reihe weiter hinten sitzenden Deutschen mit blonden Haaren geführt wurde.
 

Ich hatte während dieses Gespräches nicht wirklich zugehört, weshalb meine Erinnerungen an damals etwas verblassten aber im Grunde fing es mit einer, da bin ich mir ganz sicher, nicht so unschuldigen Frage über das Kopftuch an, das Rümeysa trägt.
 

Irgendwie ging es dann weiter zu der Frau im Islam, nichts besonderes dachte ich mir, ich war ja schon seit der Fünften mit ihr (Rümeysa) in einer Klasse und die Frage wurde nun wirklich nicht selten gestellt, wir waren hier in Baden-Württemberg da sind Ausländer auf dem Gymnasium, glaub ich mal, auch etwas häufiger als in den oberen Bundesländern.
 

„Frauen im Islam haben es leichter in den Himmel zu kommen.“ An den Satz erinnere ich mich noch ziemlich gut, aber was mich damals wirklich angefangen hatte zu stören war die... Ignoranz oder einfach die fehlende Bereitschaft zu verstehen die von Nina ausging. Das hatte mich schon immer gestört, wenn Schüler sich so dermaßen quer stellen und nicht einmal versuchen das zu verstehen was der Lehrer einem sagt und sofort in Verleugnung über gehen wenn ihnen ein Konzept dargestellt wird, welches sie nicht kennen.
 

In dem Gespräch hatte ich eben dieses Gefühl, dass es mal wieder etwas in diese Richtung ging. Aber es wurde ja noch weiter gesprochen, über die fehlenden Rechte von Frauen in islamischen Staaten und desgleichen. Es wäre ja fast ein Kliché gewesen wenn Steinigung aufgekommen wäre, aber dazu kam es nicht, stattdessen hatte Rümeysa wirklich ausführlich die Unterschiede zwischen Islam und Kultur erklärt. (Und das die Türkei ein säkularer Staat ist)
 

Kultur, wie das türkische Alkohol Rakɩ und das islamische Verbot, von jeglichem Alkohol.
 

Ich fand es war wirklich gut erklärt aber als ich dann das Gesicht von Nina sah, fragte ich mich wie groß Unverständnis sein konnte. Die meisten anderen in der Umgebung hatten es doch verstanden. (Ich frage mich bis heute wie das „Gespräch“ verlaufen wird, wenn Nina oder sonst wer wegen den zwei Frauen von Rümeysas Vater nachfragen wird.)
 

Ab da ging es nur runter und ich weiß wirklich nicht mehr wer jetzt als erstes das Wort Sexismus benutzt hatte aber Rümeysa war dann wirklich nicht mehr bereit mit Nina darüber zu sprechen und wenn sie Streitgespräche beenden will, dann neigt sie dazu sehr radikal zu werden mit ihrer Wortwahl.
 

„Weißt du eigentlich wie Sexismus hier in Deutschland anfängt?“ Ahja, die beiden waren gerade bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland angekommen, die wie es aussieht, nicht existiert.
 

„Wenn du für ein Baby einkaufen gehst und automatisch nur PINKE Sachen kaufst, weil das Baby ein Mädchen ist.“
 

War das wirklich der Anfang?
 

Während ich so darüber nachdenke, fällt mir doch tatsächlich etwas ein was uns ein Lehrer mal vor nicht allzu langer Zeit erzählt hatte.
 

„Wenn ein kleines Mädchen mit einem Hammer spielt, dann nimmt man es ihr weg damit sie sich nicht verletzt.“ Dieser Lehrer war einer der älteren gewesen.“ Wenn allerdings ein kleiner Junge mit einem Hammer spielt, dann gibt man ihm gleich noch etwas Holz damit er schön weiter hauen kann.“
 

Ich glaube den Hammer kann ich direkt mit Physik verbinden, warum weiß ich nicht. Obwohl Physik eigentlich auch nur Mathe ist. Irgendwo auf jeden Fall, denn so wie ich es mitgekriegt hab, sind alle guten Mathematiker auch gute Physiker. Andersrum ist das zwar nicht mehr ganz korrekt aber in unserem Kurs gibt es genauso viele gute Mädchen wie Jungs in Mathematik, von wo kommt dann dieser große Unterschied in Physik?
 

Also scheint es wirklich der Hammer zu sein, ergo die Erziehung hier in Deutschland.
 

Ich frage mich wie die Gymnasien in den anderen Bundesländern so aussehen.
 

Und ich schau auf die Uhr und merke, dass es nur noch fünf Minuten bis zur Pause sind und eine Frage wurde immer noch nicht geklärt. Wo waren die ganzen Mädchen die weder Physik, Chemie noch Sport gewählt hatten?
 

Meine leichten Kopfschmerzen sagen mir, dass ich nicht mehr darüber nachdenken soll, also versuche ich einfach mal wieder mit fragen.
 

„Rümeysa, in welche Kurse gehen denn die ganzen Mädchen, wenn sie nicht Physik, Chemie oder Sport wählen? Außer Bio jetzt.“
 

„Ist doch ganz einfach, die gehen in Französisch und BK.“
 

„Ahja.... Danke nochmals.“
 

„Jaja.“
 

Damit wäre wohl alles geklärt.
 

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AN: Wahrheitsgehalt: In meiner Klasse werden in letzter Zeit wirklich kleine Barbecues veranstaltet und es wird gezockt und im Internet via Handy oder Laptop gesurft. Das „Streitgespräch“ entspringt irgendwo zu 65% meiner Fantasie und das Zitat mit dem Hammer ist von meinem ehemaligen Physiklehrer.
 

Ich hoffe es ist niemand zu sehr verwirrt mit den ganzen vier-stündig Kursen, wenn ihr wollte kann ich es ja erklären.
 

Ich hoffe diese kleine fanfiction gefällt einigen da draußen und vielen Dank fürs lesen.