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Der Antagonist

von

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Die Tunnel von Xephirot

Seit dem Tag, an welchem sie dem Monster begegnet waren und Zaphir sich der Gruppe angeschlossen hatte, waren sechs weitere Tage vergangen. Fuchs verstand gar nicht wie schnell die Zeit hatte vorbei gehen können, wo sie doch von Tag zu Tag unruhiger wurde, paranoider wurde. Es verging inzwischen keine Minute mehr, in der sie ihre Sinne nicht schärfte, indem sie nicht über ihre Schulter sah, in der ihr Herz nicht bei jedem kleinen Geräusch zu schreien begann. Eigentlich war Fuchs kein Angsthase gewesen. Sie hatte sieben Jahre lang an der Küste überlebt und das nicht mit Betteln oder dem Verkauf ihres Körpers. Sie hatte mit der Angst zu leben gelernt, hatte sie als ständige Begleiterin gehabt. Und doch war dies hier eine andere Hand, die sich um ihren Hals schlang. Etwas viel tieferes, etwas viel bedrohlicheres. Nein, diese Angst war wie eine Vorahnung, wie die Angst vor der Dunkelheit, vor dem Aufprall, wenn man fiel. Sie hatte so viele Geschichten gehört und jetzt, als sie den Schattenländern näher kamen, glaubte sie zum ersten Mal an diese Mythen.

Hier starb niemand, hier war niemand tot. Hier gab es nur ewiges Leiden, nur ewiges Sterben aber kein Ende. Sie hatte einige Menschen getroffen, die aus dem innersten Kreis an die Küste geflohen waren. Falls man sie noch Menschen hätte nennen dürfen. Es war als wäre ihnen die Seele ausgesaugt worden, als wandle der Körper nur noch aus Reflex. Diese Menschen waren nicht gefährlich gewesen, sie waren einfach nur da gewesen. Zerstörte Gesichter, Augen aus denen alles Leben geschnitten war, ein stetiges Lallen im Mund, ein Flüstern, ein Schreien. Zusammengekrümmt wie unter Schmerzen, zitternd vor Furcht, weinend und wimmernd. Aber das waren nicht die schlimmsten gewesen. Nein, am meisten hatte sich Fuchs vor denjenigen gefürchtet, die nichts gesagt hatten. Die einfach nur an einem Fleck standen und sie angesehen haben, durch sie hindurch gesehen haben, als würden sie bis tief in ihr Innerstes schauen. Als würde sich ihre menschliche Haut abpellen und die Schlange, die ihre Häutung vollzogen hatte, sich durch ihren Mund in ihre Kehle schlängeln und sie von oben bis unten mit Tod füllen. Ohne, dass sie jemals hätte sterben können. Fuchs hatte es gefühlt, als wäre sie es selbst gewesen, die jenes Schicksal getroffen hätte. Und es waren die wenigen Augenblicke in Fuchs Leben gewesen, in denen sie erleichtert gewesen war, dass jemand getötet wurde. Denn keiner dieser "Menschen" erreichte wirklich das Wasser des Meeres - die Bewohner erschlugen sie noch auf der Stelle. Zu groß war die Furcht, dass der Antagonist sie als Spione gebrauchte, dass sie kamen um zu morden und den Einfluss seiner Schatten noch weiter auszudehnen.

Doch selbst die Angst, die sie damals an der Küste vor diesen "Menschen" gehabt hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt befiel. Sie wusste nicht genau woher sie kam, aber sie war ständig hinter ihr, war zu ihrem Schatten geworden und ließ sie nachts nicht mehr schlafen, flüsterte immer wieder dieselben unverständlichen Worte in ihr Ohr, die sie frösteln ließen. Sie wusste, dass etwas vor ihnen lag, das sie zerstören würde, dass sie in die Tiefen der menschlichen Seele hinab steigen würden, vielleicht um niemals wieder das Tageslicht zu sehen. Und wenn doch, dann niemals mehr mit den gleichen Augen wie zuvor.
 

Die Landschaft machte das Ganze nicht besser. Je weiter sie sich auf den äußersten Ring zubewegten, desto öder wurde es, desto grauer wurde das Grün der Bäume und der Wiesen, desto fahler und trüber das Wasser in den Seen und desto kälter das Wetter. Einige der Bäume waren nur noch karge Zweige im Wind und knarrten bei jeder Böe wie die Dielen auf einem Schiff im Sturm. Nebel füllte in den Morgenstunden die Luft und versperrte die Sicht, Wolken verdunkelten am Tag den Himmel und ließen keinen einzigen Sonnenstrahl hinab auf die vertrocknete Erde.

In all den sechs Tagen ihrer Reise hatten sie zumindest das Glück gehabt keinem Wesen des Antagonisten mehr zu begegnen. In der Tat trafen sie nichts und niemanden. Keine Vögel oder Schlangen, keine Mäuse oder Hasen, nicht einmal Spuren im Staub konnten sie erkennen. Das einzige, das sie ab und zu sahen, war ein Schwarm schwarzer Vögel über ihren Köpfen, die nach ihnen krächzten.

Der Proviant wurde langsam knapp, aber es war nicht so, dass Fuchs Hunger nicht gewöhnt war. Sie begnügte sich mit einem kleinen Stück Brot und etwas getrocknetem Fleisch am Tag - sie konnte sowieso kaum etwas herunter bringen. Nicht wenn sie dem äußeren Kreis so schnell näher kamen.

Zwischen Zaphir und dem Rest der Gruppe herrschte noch immer eisige Kälte. Zwar hatte Sajid Verona mit Müh und Not überzeugen können, dass der Schwarzmagier ihnen lebend mehr brachte als tot, aber das ließ die Anführerin nicht freundlicher ihm gegenüber werden. Die meiste Zeit über versuchte sie ihn zu ignorieren, doch wenn sie ihn ansah, dann nur mit einer noch schlimmeren Verachtung in den Augen, als sie es sonst hatte.

Jede Nacht, wenn sie das Lager aufschlugen, machte Verona unmissverständlich klar, dass er gehörigen Abstand halten solle, wenn ihm sein Leben lieb sei. Fuchs war das nur allzu recht, da auch sie ihm in den letzten Tagen nicht mehr Vertrauen entgegen hatte bringen können. Nein, vielleicht war es wirklich eher die Angst die sie hinderte sich ihm neutral zu nähern. Auch wenn Sajid ihr erklärt hatte, dass er kein böser Mensch sein musste, nur weil er schwarze Magie beherrschte, konnte sie diese Gedanken nicht abschütteln. Etwas war dort in seinem Herzen, das die Magie hervor brachte, etwas das sie frösteln ließ. Andererseits musste sie oft an sich selbst denken. Sie sollte offensive Magie beherrschen, aber sie war alles andere als der offensive Typ. Davon ausgehend konnte es tatsächlich sein, dass Zaphir eine gute Seite hatte. Und wenn er sich gegen den Antagonisten auflehnen wollte, war das nicht schon Grund genug ihm zu vertrauen? Zumindest so weit, dass sie keine Angst davor haben musste nachts im Schlaf ermordet zu werden?

Sie wollte nicht länger darüber nachdenken. Mit jedem Tag waren die Schattenländer näher gekommen und das was dort verborgen lag war viel Schlimmer als alles, was Zaphir vollbringen konnte. Niemand besaß eine Macht wie der Antagonist. Seine Fähigkeiten waren einzigartig. Die meisten Schwarzmagier konnten Feuer und Blitz beherrschen, doch dort endete meist ihre Macht. Antagonist hingegen hatte alle Grenzen gesprengt und eine Magie produziert, die schwärzer war als die Nacht. Oft unterschieden sich die Kräfte von Schwarzmagiern nicht so stark von den Menschen, die offensive Magie beherrschen konnten. Die Macht des Antagonisten jedoch hatte etwas hervor gebracht, was niemand sonst jemals gesehen hatte. Tiefschwarze, brodelnde Lava, Krankheiten, lebende Tote, Monster und Orte, an denen man den Verstand verlor. Niemand wusste genau woher diese Magie kam und ob dieser eine Magier wirklich so stark war das ganze riesige Gebiet seiner Magie beeinflussen zu können, aber eines stand fest: es existierte und es war sein Werk allein.

Der Gedanke daran ließ Fuchs frösteln. Sie hob den Kopf an und bemerkte mit einem harten Schlucken, dass das Gebirge, auf das sie die letzten Wochen zugehalten hatte, näher gekommen war. Sie waren fast da. Auf dieser Seite des Kontinents markierte das Gebirge den äußersten Ring und wenn man es durchquerte, kam man bis zu innersten Ring, wo der Antagonist lebte. Sie hatten keine Wahl gehabt, dies war der einzige Weg zu ihrem Ziel. Doch allein der Anblick ließ das rothaarige Mädchen ein weiteres Mal frösteln. Vor ihnen, nur wenige Kilometer entfernt, lag der "Eingang" zum Berg. Ein großes in den Stein gehauenes Portal, dessen linker Rahmen abgestürzt war und dessen Trümmer den Boden säumten. Es führte in das Innerste des Berges, durch Tunnel in eine der ältesten Städte des Kontinents. De lira die unterirdische Stadt in Bauche des Bergs Xephirot.
 

Niemand wusste, ob es die Stadt überhaupt noch gab, ob die Tunnel funktionierten und was in seinem Innersten lag. Niemand hatte seit sieben Jahren einen Fuß hinein gesetzt, denn sein Eingang war gleichzeitig der Eingang zu den Schattenländern. Der Pfad, den sie nun dorthin nahmen, war eine enge Schlucht, an dessen obersten Hängen karge Bäume sich im Wind drehten und ächzten, an deren Ästen Geier saßen und auf sie hinab blickten und an dessen Seiten Steinbrocken hinab bröselten. Es war totenstill auf ihrem Weg und der Eingang kam immer näher.

Immer wieder sah Fuchs aus dem Augenwinkel zu den anderen. Sajid wirkte vollkommen unberührt, er hatte schon seit Tagen diesen apathischen Blick auf seinem Gesicht, den sie einfach nicht zu deuten wagte. Er hielt alles zurück, was die anderen beunruhigen könnte, das wusste sie. Und obwohl Fuchs sich Sorgen machte und es ihre Angst nicht auch nur ein Stück minderte, schöpfte sie doch aus seiner Kraft ihre eigene. Sie hatte ein wenig geübt, doch ihre Fähigkeit wollte noch immer nicht das tun, was sie wollte. Erschöpft blickte sie weiter, zu Verona, deren Blick so kalt und eisig war wie an jedem anderen Tag. Sie blickte nur nach vorn, reagierte nicht auf Worte, nicht einmal auf ihren Namen. Alles was sie sah, war der Eingang, der sie ihrer Rache ein Stück näher brachte.

Monada sah ihrem Weg direkt entgegen, der Ausdruck ruhig, ein bisschen ängstlich, aber zuversichtlich. Sie war nicht so weit gekommen, um jetzt umzukehren. Und ganz ähnlich wirkte Berry. Seine Hände zitterten fast vor Tatendrang. Die Angst, die unterschwellig in ihm pochte, wurde gänzlich ignoriert. Er zertrümmerte wirklich alles, was ihm im Weg war. Und wenn es seine eigenen Unzulänglichkeiten waren. Völlig unberührt hingegen war Zaphir. Er kam ihr so vor, als unternehme er einen Sonntagsspaziergang.
 

Es dauerte nur noch etwa eine halbe Stunde, ehe die Gruppe endlich vor dem Portal zum Stehen kam. Von Nahem was es noch viel kolossaler als aus der Ferne. Die Bögen des Portals schienen an die zehn Meter hoch, obwohl wenn man hinein sah sogleich klar war, dass der Tunnel in den Berg kleiner gebaut worden war. Das Tor zur antiken Stadt sollte imposant sein und von der Stärke seiner Bewohner zeugen. Als die Magier die Köpfe allerdings in den Nacken legten um sich den Stolz eines untergegangenen Volkes anzusehen, spürten sie kaum etwas von dem antiken Glanz einer längst vergangenen Zeit. Die Gänge, die hinter dem Tor im Dunkeln lauerten, waren so undurchdringlich, dass sie nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen würden. Und aus dem Innersten des Berges trat ein kühler Lufthauch, der sie zu sich ziehen versuchte. Man konnte beinahe etwas hören, wie ein Tropfen, wie Schritte und ein leichtes Bröseln von Sand.

Zaphirs höhnisches Grinsen schnitt sich tief zwischen seine Zähne, als er der Gruppe einen scharfen Blick zuwarf. »Also schön. Wer noch mal aufs Klo muss, sollte jetzt gehen. Die Gefahr, dass ihr euch in die Hosen macht, ist ja deutlich hoch.« Als er zufrieden feststellte, dass der braungebrannte Mann – sein Lieblingsopfer – bereits zu kochen begann, richtete er den Blick zum unscheinbarsten Mitglied der Partie. »Und die, die sich nicht sicher sind, sollten besser wieder nach Hause laufen.«

»Pfff, du kannst dir deine lockeren Sprüche sparen. Halt doch einfach ganz den Mund.«

»Er hat Recht. Wir sollten uns wirklich sicher sein. Ich glaube nicht, dass wir dann noch einmal umkehren können.« Die Stimme der Vernunft oder besser das Mädchen mit Pfeil und Bogen schaffte es wie immer die Wut des Speerkämpfers zu mindern.

Dieser verschränkte daraufhin angespannt die Arme. »Ja, ja. Wir sind uns sicher. Ich für meinen Teil wäre sonst gar nicht hier.«

Fuchs hingegen, die den Blick des Schwarzmagiers nur zu sehr spürte, ließ sich mit Absicht die Haare ins Gesicht fallen und starrte die ganze Zeit über zu Boden. Sie versuchte mit aller Macht seine Worte zu ignorieren, sich nicht über ihre Bedeutung im Klaren zu werden. Es war sowieso zu spät wegzulaufen. Wo sollte sie auch hin? Es gab keinen Ort für sie mehr.

»Hmpf.« Ohne noch einmal auf die anderen zu reagieren, drehte sich Zaphir um und blickte dem Tunnel entgegen.

»Oi! So ein aufgeblasener...« Doch ehe Berry weiter knurren konnte, hielt Monada seinen Arm fest und versuchte sich an einem Lächeln, selbst wenn ihr die Knie schlotterten.

»Lasst uns gehen. Ich will nicht länger darüber nachdenken. Das führt zu nichts, außer Zweifeln.«

Stumm nickte der Riese ihr zu, sah dann zu Verona. Sie war noch immer die Anführerin und er nahm solche Bindungen ernst. Veronas Blick war so eisig wie die Kälte, die aus dem Innersten des Berges drang. Sie starrte den schwarzhaarigen Mann an, die Stimme von Hass getränkt.

»Hey... mach dich nützlich und leuchte uns den Weg, Schwarzmagier.«

»Aber sicher doch Prinzessin.« Eben noch grinste er ihr spöttisch entgegen, im nächsten Moment stand er in Flammen. Das Feuer breitete sich langsam von seinem Brustkorb über seine Arme aus, kroch über sein Gesicht bis in seine Haare. Noch immer grinste er, funkelten seine Augen noch gefährlicher als zuvor. Er gab ein wirklich groteskes Bild ab, aber es bereitete ihm keinen Schmerz, versengte nicht einmal seine Kleidung, geschweige denn seine Haut oder sein Haar. Überheblich streckte er die Arme etwas aus, so dass die Flammen noch etwas höher schlugen. »Wie hättest du es denn gerne? Zimmertemperatur oder magst du es eher heiß, Schätzchen?«
 

»Tsss...« Ohne ihn weiter zu beachten, wandte sie sich von ihm ab und lief ohne auch nur ein weiteres Wort in das Dunkel hinein - viel schneller als Fuchs es wahrhaben wollte.

Beinahe kicherte Zaphir ihr hinterher. Sein Blick glitt erneut über den Rest der Gruppe, ließ Fuchs diesmal aus. »Also dann, auf in die Dunkelheit. Es sei denn ihr habt Angst vor ein bisschen Finsternis.«

»Grr, kannst du nicht einfach das Maul halten?« Berry kam ein bisschen näher, aber Zaphir lachte ihn nur wieder aus, trat schließlich hinter Verona nach, erleuchtete seine unmittelbare Umgebung. »Ich dachte nur, ein paar von euch wären vielleicht nicht so erpicht darauf, sich in ihr Unglück zu stürzen.«

»Wir können auf uns aufpassen.« meinte Monada etwas kühler als sonst. Zaphirs Verhalten kümmerte sie nicht, Veronas hingegen schon. Es gefiel ihr gar nicht, dass ihre Schwester sich so kopflos ins Nichts stürzte. Es war beinahe so, als wäre ihr Hass schon viel höher gewachsen, als ihr Verstand und ihre Vorsicht. Wollte sie ihre Rache so sehr, dass ihr alles andere egal geworden war. Wer musste hier nun wen beschützen? Sie kam ihm nach und versuchte ihre große Schwester nicht aus den Augen zu lassen.

Zurück blieben nur Fuchs und Sajid. Er hatte sich in Bewegung gesetzt, ehe er erneut stehen geblieben war um sich nach ihr umzudrehen. Das rothaarige Mädchen stand wie angewurzelt da und starrte zu Boden. Sie spürte sie wieder, die Angst die sie so lange begleitet hatte, fühlte sie wie sie ihr den Rücken hinauf schlich und sich durch ihre Ohren in ihr Innerstes schlängelte. Ihr wurde eisig zumute.

Als sie den Blick des Weißmagiers auf sich spürte schüttelte sie den Kopf. »Ich komme... keine Angst... ich komme ja schon.«

Der blonde Mann bewegte sich einen langen Moment lang nicht, ehe er leise seufzte und auf sie zukam. »Fuchs...«

»Nein.« Ihr Kopf schüttelte sich heftiger. »...Ich... es ist nur... ich... ich beherrsche meine Magie nicht... Ich bin euch keine Hilfe... wenn ich dort hinein gehe... dann... dann...«

»Fuchs.« Dieses Mal hatte seine Stimme mehr Nachdruck und sie spürte seine warmen Handflächen auf ihrer Schulter. »Ich glaube an dich. Ich habe etwas in dir gespürt, ein großes Potential. Und ich beschütze dich... solange bis du selbst kämpfen kannst. Vertrau mir. Und vertrau dir... du schaffst das. Das weiß ich.«

Bei diesen Worten kam sie den Tränen sehr nahe. Hilflos drückte sich ihr Kopf nach oben, suchten ihre Augen nach seinem Blick, der ihr stets so viel Halt geben konnte. Und auch dieses Mal war es nicht anders. Sie fand in seinen Augen Ruhe und Stärke und die leise Hoffnung an sich selbst glauben zu können. Mit zusammengebissenen Zähnen nickte sie und er schenkte ihr darauf dieses warme Lächeln, das ihre Angst in den Hintergrund verscheuchte.

»Gut.« Noch einmal klopfte er ihr auf die Schultern und drehte sich dann um. »Komm, sonst verlieren wir die anderen.«
 

Es dauerte noch einen langen Moment, ehe Fuchs ihre Beine wirklich in Gang bringen konnte und den anderen nach eilte. Als sie durch das große Steinportal ging und von der Finsternis des Berges verschlungen wurde, glitt ihr sogleich ein eisiger und fauliger Gestank in die Nase, der sie für einen Moment taub machte. Es roch nach altem Wasser, nach abgestandener Luft und nach Tod.

So schnell wie es ihr vergönnt war, holte das rothaarige Mädchen mit den anderen auf und konnte erst wieder aufatmen als sie den Feuerschein ihres ungebetenen Gastes sah, der an dem harten Stein des Tunnels widerhallte wie ein Echo. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich ihre Augen an das Licht gewöhnen konnten und selbst als sie es taten war es noch immer so schwarz, dass man ohne das Feuer nichts sehen konnte.

Niemand sprach mehr seit sie im Dunkeln herum wateten, die Kälte hatte sich schweigend auf sie gelegt und hielt sie am Boden, machte sie aufmerksam für jedes Geräusch und jede Bewegung. Doch noch war der Gang eng und klein und führte unerlässlich in eine einzige Richtung.

Fuchs verlor das Gefühl für Orientierung und für die Zeit. Sie konnte längst nicht mehr einschätzen wo sie waren, wie weit und wie lange sie gegangen waren, als sich vor ihnen das Licht zu verändern begann.

Als sie das Ende des Tunnels erreichten, standen sie in einer großen Halle, die Ihresgleichen suchte. Eine breite, runde Glaskuppel hing an Scharnieren an der Decke fest und ließ etwas des trüben Sonnenlichtes hinein, das sich draußen hinter den Wolken versteckte. Es war so hell, dass man auch ohne Feuer etwas erkennen konnte, selbst wenn es auch dann nur Schemen und Schatten waren.

Die Gruppe befand sich in einem kreisrunden Raum, an dessen Rändern Arkaden aus massiven Säulen die Fläche zierten und hinter ihren Fingern auf breiten Steinbänken zum Rasten einluden. An den Köpfen der Arkaden konnte man Efeu erahnen, doch alles was von ihm übrig geblieben war, war das knöchrige Gerippe und das zerkleinerte Laub auf dem Boden. Dieser Ort schien ein Marktplatz gewesen zu sein, denn hinter den Arkaden säumten sich kleine Räume, deren Innerstes nun zerfallen oder zerstört war. Das Licht war einst durch einen großen Tunnel an der Decke gekommen und auf die Glaskuppel geschienen, doch nun war ein großer Teil davon mit Asche und Erde bedeckt. Zu ihren Füßen lag noch etwas des zerbrochenen Glases und einige Knochen.

Was Fuchs jedoch noch mehr irritierte war die Atmosphäre im Raum. Es war nicht so schlimm wie sie es sich vorgestellt hatte. Es fühlte sich nicht so an, als würde sie noch im selben Moment attackiert werden. Sie schmeckte keine Gefahr in der Luft, alles was hier war, war stumme Geschichte, staubige Zerstörung und eine fast andächtige Ruhe. Verwirrt blickte sie sich um und musste zugestehen, dass es fast friedlich wirkte. Wie auf einem Friedhof an einem trüben Sonntagmorgen. Es war beinahe beruhigend.
 

»Gemütlich. Ein bisschen wie zu Hause.« kam es kalt vom feuerspeienden Magier.

»Ja, kann mir vorstellen, dass es bei dir genauso staubig ist.« Berry ging einfach unbeeindruckt weiter. Das hier war nicht einmal halb so übel, wie das, was er sich heimlich ausgemalt hatte. »Und dreckig. Gibt sicher vieles, was man unter den Teppich kehren muss, wenn man schwarze Magie verwendet. So ein paar Leichen im Keller sorgen da auch für den passenden Geruch, was?« fügte er hart hinzu. Dieser Magier ging ihm schon jetzt gehörig auf die Ketten und dabei war er noch gar nicht lang bei ihnen. Vor allem das dumme Gerede zehrte an seinen Nerven. Nerven, die er sich für den Antagonisten aufheben hatte wollen.

»Du hast ja keine Ahnung.« lachte Zaphir ihm nach, ehe sein Blick sich erneut verdüsterte. »Gar keine Ahnung.«

»Sajid.« Rief ihn Verona mit harter Stimme und drehte sich nur halb zu ihm um. »Spürst du etwas?«

Nur ein Kopfschütteln seinerseits. »Hier ist nichts.«

»Gut, dann gehen wir weiter.« Sie verschränkte die Arme und musterte Zaphir einen langen Moment. »...Du gehst vor.«

Diesmal zuckte sein Mund nur kurz, als wollte er schmunzeln, überlegte es sich aber noch einmal. »Jawohl Boss.« Ohne weitere Worte setzte er seinen Weg voran.
 

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Zaphir einen Ausgang aus dem Raum fand. Einige der Tunnel, die von hier heraus führten, waren verschüttet, andere wirkten so instabil, dass er es lieber sein ließ. Den Tunnel, für den er sich schließlich entschied, war enger als derjenige, durch den sie hinein gekommen waren. An seinem Rand erzählten ihm unbekannte Zeichen und Runen von dem Ziel, an das sie kommen würden, doch Zaphir schenkte ihnen nicht allzu viel Beachtung. Nur wenige Sekunden nachdem er in den Gang getreten war, folgten die anderen.

Er konnte kaum zwei Meter nach vorne blicken, so verschlingend war die Dunkelheit hier. Und selbst wenn er sein Feuer schürte und die Flammen höher lodern ließ, konnte er kaum etwas ausmachen. Alles was ihm also blieb war sich auf seinen magischen Instinkt zu verlassen. Und dieser schwieg noch immer, als gäbe es hier unten nichts außer Stein und Trümmer.

Hinter sich hörte er das Schallen der Schritte, die ewig in der Länge des Tunnel nachschallten. Konnte den Atem der anderen hören, ein Tropfen in der Ferne und spürte wie sich der Blick der Anführerin eisig in seinen Rücken bohrte, jeden Moment bereit zuzuschlagen. Der Boden unter ihm war eigenartig fest und doch knirschte er wie Sand unter seinen Schuhen. Für eine halbe Ewigkeit veränderte sich daran nichts. Der Tunnel schien nur immer und immer weiter zu gehen und sein Ende nicht zu enthüllen.

Dann jedoch, als sie die wohl hundertste Biegung genommen hatten, spürte er etwas. Er spürte es, als schäle es sich unter seine Haut, als sickere es tief in ihn hinein. Und doch konnte er nicht ausmachen, was es war. Sobald er es bemerkt hatte, verschwand es wieder und alles war so wie zuvor.

Zaphir ließ sich nicht beirren und blieb nicht stehen. Er hatte keine Angst vor dem Antagonisten. Alles, was er mit seinem Schwert und seiner Magie zerstören konnte, konnte ihm keine Angst machen. Nach einer Weile jedoch, als er noch ein ganzes Stück gelaufen war, spürte er es wieder. Es drückte sich auf ihn, stach ihn wie eine Nadel und versuchte ihn niederzuringen. Und doch war es nichts physisches, war es nichts Körperliches. Nein, es war wie etwas ganz anderes. Er fühlte sich beobachtet und es waren nicht die Blicke der anderen, die er spürte. Im gleichen Moment hörte er etwas. Etwas von sehr weit weg, leise und dumpf. Definitiv etwas menschliches. Wie ein Lachen, wie ein Scharren, wie ein Klatschen. Doch es war zu weit weg, um es klar auszumachen.

»Hm.« gab er kompromisslos von sich und ging weiter. Es brachte ihm kaum etwas jetzt hier stehen zu bleiben. Rückkehr kam für ihn nicht in Frage und je schneller er sich bewegte, desto schneller würde er herausfinden, was hier vor sich ging. Ganz gleich wie heftig sein Instinkt ihm davon abriet.
 

Je schneller er ging, desto schlimmer wurde das Gefühl beobachtet zu werden, desto heftiger wurde der Druck auf seiner Haut, desto lauter die verzerrten Geräusche aus der Ferne. Und dann, als er von weiten das Ende des Tunnels erahnen konnte, hörte er plötzlich eine Stimme, die ihn anhalten ließ. Es war eine zärtliche, liebevolle weibliche Stimme, die seinen Namen rief. Sie sagte ihn auf solch eine vertraute Weise, dass er tatsächlich ins Stocken geriet.

Zaphir... Zaphir...
 

So langsam machte ihn das wütend. Lieber hätte er auf einen sichtbaren Gegner eingeschlagen, als diese Psychospielchen zu spielen. Er fragte sich, ob auch Blondie und das Mädchen etwas spüren, hören konnten. Allerdings war er nicht dazu bereit einen neugierigen Blick hinter sich zu werfen. In jedem Fall hätte er bloß das erboste Gesicht der Anführerin gesehen und fragen wollte er auch nicht. Ganz egal, man nach ihm rief. All das war eine List, ein Spiel. Realität, aber was spielte es schon für eine Rolle, wenn eine körperlose Stimme zu ihm sprach? Zumindest versuchte er sich so weiter voran zu treiben. Geister waren keine Gegner für ihn.

Was ist? meinte die warme Frauenstimme kichernd. Willst du nicht zu mir kommen?
 

Als würde er jetzt auch noch darauf eingehen. Das letzte Mal, als er eine solche Stimme gehört hatte, zumindest annähernd so einladend, war schon zwei oder drei Jahre her. Und diese hatte genauso falsch geklungen, wie diese hier. Stumm, nur etwas mit den Zähnen knirschend ging er weiter.

In dem Moment, als er durch das Ende des Tunnels trat, fand er sich in einer weiteren Halle wider. Dies war längst nicht De lira die unterirdische Stadt. Dies waren nur die Ränder, einige "Dörfer" inmitten des Berges. Und er befand sich inmitten eines dieser. Vor ihm breitete sich eine kleine Höhle aus, an dessen Decke eine ähnliche Konstruktion wie im vorherigen Raum angebracht war. Hier jedoch war die Glaskuppel vollkommen eingestürzt und dicke Steinklumpen bedeckten den Schacht aus dem einst Sonnenlicht geströmt war. Neben ihm und vor ihm erstreckten sich kleine Häuser, die meisten mit eingefallen Türen und Fenster und von herabgefallenen Steinen zertrümmerten Dächern. Das Gefühl beobachtet zu werden war hier noch stärker und er hörte das Lachen aus einem der Häuser.

Zaphir bemühte sich tief ein und aus zu atmen. Die Zeiten, in denen der hitzköpfig durch Wände hatte gehen wollen, waren längst vergangen. Er versuchte es zu ignorieren, behielt das Gebäude aber im Blick.

»Stimmt etwas nicht, Zaphir?« kam es etwas schüchterner als zuvor hinter ihm. Modana trat etwas näher.

»Nichts.« meinte er nur kurz, eisig. »Die Stimme der Toten, nichts weiter.«

»Der Toten? Drehst du jetzt schon am Rad? Wer macht sich jetzt in die Hosen, huh?«

Mit einem Satz war Zaphir bei ihm, das Feuer sprang Berry nun fast ins Gesicht. »Willst du es herausfinden?«

»Keh, komm doch her, Streichholzmännchen!«

»Hört doch auf zu streiten!« Wieder war es Monada, die Berry am Arm zurück zog. »Das bringt überhaupt nichts.«

»Wenn er es nicht lassen kann?!«

»Ihr verhaltet euch beide wie Kinder.« meinte sie kühl, ein bisschen wie Berrys alte Oma, an die er sich noch aus Tagen erinnerte, in denen er kaum laufen konnte.

Zaphir schien den beiden gar nicht zuzuhören, wandte den Kopf nur wieder um und ging weiter.

»Monada hat Recht. Jetzt ist nicht die Zeit zum Streiten... etwas ist hier.« Der Weißmagier blickte sie nicht an als er mit ihnen sprach. Seine Miene wirkte ernster als sonst.

Nur einen kurzen Moment blickte Verona ihn an, ehe sie Monada zu sich winkte. »Wir erkunden die Gegend. Falls ihr wichtige Dinge findet, sagt Bescheid. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Also schön.« Berry wurde langsam ungeduldig. Es juckte regelrecht unter seiner Haut.
 

Nur widerwillig sah Fuchs dabei zu wie sich auch die anderen von ihr entfernten, dass nur noch sie allein vor dem riesigen Trümmerhaufen stand, der wohl einst der Marktplatz gewesen sein musste. Ein kalter Schauer lähmte sie und machte sie unfähig sich zu bewegen.

Aus der Ferne hörte sie wie sich etwas entzündete - Verona hatte aus herumliegenden Ästen, Tüchern und Öl aus einer Laterne Fackeln gemacht und händigte sie Berry und Monada aus. Dann entfernten sich die Schritte weiter von ihr.

Mit rasselndem Atem blickte sie sich um und spürte ihre Angst näher als je zuvor. Etwas war hier, das spürte auch sie. Nichts jedoch dessen sie sich gewappnet fühlte. Es war wie eine schlimme Vorahnung, wie ein saurer Nachgeschmack, der so bitter wurde, dass ihr die Galle hochkam. Sie wurde beobachtet. Ja genauso fühlte es sich an. Als würden hunderte Blicke auf ihr lasten und sie mustern. Sie fühlte sich klein und schwach, als wäre sie ein Kind, das etwas falsch gemacht hatte und dessen Eltern es anschrien.

Panisch setzte sie sich in Bewegung und entfernte sich von dem tiefschwarzen Tunnel, aus dem sie gekommen waren. Sie suchte nach den anderen, aber es kam ihr so vor als wären sie verschwunden. Alles, was sie hörte war ein leises Scharren, ein Kratzen und ein dunkles Kichern, das aus einem der Häuser zu kommen schien.

Ihr Herz begann zu stottern allein bei dem Gedanken sich diesem Geräusch zu nähern. Noch immer sah sie kaum etwas in der schwieligen Dunkelheit, die sich kalt und nass auf ihre Haut legte und sich bis in ihr Innerstes fraß. Sie wollte nach ihnen rufen, doch stattdessen drehte sie um und lief davon, in der Hoffnung einen Feuerschein zu sehen.



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