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Heartbeat

Kyman, Stenny, Creek, Tyde u. a. (KAPITEL 12 IST DA!!!)
von

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Wenn die Masken fallen

Hallo, liebe Leser! Ja, es ist unglaublich, aber ich bin zurück! Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber das echte Leben hatte Vorrang. Ende letzten Jahres ist meine Großmutter gestorben und mein Großvater ist vor ein paar Wochen schwer gestürzt. Ich war oft krank und hatte keinen rechten Antrieb, irgendetwas zu schreiben, auch keine wirkliche Inspiration. Dieses Kapitel ist leider auch nur Filler (im Sinne von: es geht nicht um die Mainpairings), aber ich hoffe, dass es Euch trotzdem gefällt. Ich widme es allen, die diese FF favorisiert haben und ich werde mich anstrengen, das nächste Kapitel früher zu bringen. Leider habe ich dafür noch keine konkreten Ideen, aber ich weiß zumindest, dass Craig und Tweek drin vorkommen werden, das ist wenigstens etwas! Und nun viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 11: Wenn die Masken fallen
 

Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug. Problematisch sind nur die Lenker, die Fahrgäste und die Straße. - Franz Kafka
 

Während der dramatischen Rettung Eric Cartmans ging es in der Park High hoch her. Die Halloweenparty war sehr beliebt, da sie eine jener Veranstaltungen der Schule war, an der sämtliche Klassenstufen ohne Einschränkung teilnehmen durften. Für die Jüngeren gab es Spiele wie Apfelschnappen oder Wahrsagen und ein eigenes Buffet, die Älteren machten die Tanzfläche unsicher, tranken Bowle und flirteten mit Begeisterung, oft ohne einander zu erkennen. Die Prämierung des besten Kostüms fand immer um Mitternacht statt, also zu dem Zeitpunkt, an dem man sich auch offiziell demaskierte. Patty Nelson hatte sich als Lara Croft verkleidet und war mit ihrer Freundin Tammy Warner gekommen, die sich für Disneys Dornröschen im blauen Kleid entschieden hatte (die blonde Perücke störte sie allerdings). Sie saßen an einem Tisch etwas abseits vom Trubel und Tammy, die junge Kosmetikschülerin, beschrieb gerade eine aufwendige Steckfrisur, die sie neulich in einem Magazin gesehen hatte.

„Es macht dir wirklich Spaß, die Beauty School zu besuchen, was?"

„Worauf du deine Großmutter verwetten kannst. Ich bin nur froh, dass meine Eltern kein Problem damit haben, dass ich nicht studieren will. Was ist eigentlich mit dir? Was hast du vor, wenn du nächstes Jahr abgehst?"

„Keine Ahnung. Ich spüre keine bestimmte Berufung, so wie du, und obwohl ich mich für viele verschiedene Dinge interessiere, mag ich doch keines davon so sehr, dass ich es studieren möchte. Ich würde am College gern weiter Cheerleading machen, aber was soll ich lernen? Warum erwartet man überhaupt von mir, mit siebzehn oder achtzehn schon zu wissen, was ich in meinem späteren Leben anfangen will? Ich bin sportlich, schön. Was hilft mir das? Schließlich muss ich mit irgendwas Geld verdienen. Und vor diesem ‚irgendwas‘ habe ich Angst. Ich meine, ich will eigentlich nicht in einem normalen Nine-to-Five-Job hängen bleiben, den ich nur wegen des Geldes angenommen habe! Ich will, bei allem Stress und sonstigen Schwierigkeiten, Spaß an meiner Arbeit haben! Und ich weiß einfach nicht, wofür ich mich entscheiden soll!"

Tammy gab ihr einen tröstenden Kuss auf die Wange. „Du hast recht, es ist ziemlich krass, dass die Gesellschaft von den Seniors erwartet, einen perfekten Lebensplan im Kopf zu haben. Ich hatte ja auch keinen, ich liebe es nur, mich mit Styling und Kosmetik und Frisuren zu beschäftigen, also bin ich zur Beauty School gegangen. Und du magst Sport, das ist doch schon was. Warum wirst du nicht Sportlehrerin? Ich könnte mir das bei dir echt gut vorstellen."

„Meinst du das im Ernst?"

„Sicher. Du bist energisch, durchsetzungsfähig, hilfsbereit, humorvoll und eine prima Zuhörerin, der man sein Herz ausschütten kann. All das braucht ein guter Lehrer, finde ich."

„...Das ist echt süß von dir, Tammy. Und eine super Idee. Danke."

Patty küsste sie auf die Lippen und wollte sie spontan auf die Tanzfläche ziehen, als ein Schrei die beiden jungen Frauen veranlasste, sich umzudrehen. In einiger Entfernung hatte sich ein Pulk Schülerinnen versammelt, von dem die eine Hälfte, die sich um eine auffallend hübsche Blondine geschart hatte, laut vor sich hin schimpfte, während die andere hilflos und schweigend dabeistand. Patty erkannte die meisten als Mitglieder des Cheerleading-Teams und ihre Alarmglocken begannen zu schrillen. Sie wandte sich an Tammy.

„Geh los und such‘ Bebe. Ich habe das Gefühl, da drüben entwickelt sich was Übles."
 

Und richtig: Kaum hatte sie die Gruppe erreicht, begriff sie, was hier vorging. Die Blondine war Jessie Clark, die Bebe ihre Stellung als Kapitän neidete und prinzipiell alle Mädchen nicht mochte, denen sie Freundschaft oder Zuneigung entgegenbrachte (besonders Wendy, da es sich nach Jessies Meinung nicht gehörte, als Kapitän der Cheerleader mit einer Streberin wie Testaburger Kontakt zu haben). Eines ihrer „Lieblingsopfer", an denen sie regelmäßig ihren Frust ausließ und die Harmonie in der Mannschaft störte, war Rebecca Cotswolds, Kyles Ex-Freundin aus der Grundschulzeit, die wegen ihrer häufig wechselnden Liebhaber den schmeichelhaften Ruf der „Schulnutte" inne hatte. Im Moment hagelte es Beleidigungen aus Jessies Mund, tatkräftig unterstützt von ihrem Sprechchor. Rebecca hockte wie ein Häuflein Elend am Boden und schluchzte. Diejenigen, die sich nicht an der Sache beteiligten, standen betreten herum und wussten nichts mit sich anzufangen.

„Du bist ein verdammtes Miststück, Rebecca! Du hast mir meinen Freund ausgespannt, du miese kleine Hure! Ich möchte mal wissen, was Dave nur an dir findet! Du bist dumm, hässlich und wertlos! Eine Schlampe! Eine dreckige, verlogene Schlampe, die nur glücklich ist, wenn ihr jemand einen Schwanz reinschiebt...!"

„Schluss damit!!"

Patty baute sich zwischen Rebecca und ihrer Peinigerin auf und verschränkte die Arme. „Hör zu, Jessie, ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber lass sie endlich in Ruhe! Sie hat dir nichts getan! Wie zum Teufel soll sie dir Dave ausgespannt haben, wenn du zwei Wochen vorher mit ihm Schluss gemacht hast!? Ihr wart nicht mehr zusammen! Du hast schon eine Verwarnung von Bebe kassiert wegen deinem beschissenen Verhalten und lernst trotzdem nichts dazu!"

„Oho, die Kampflesbe ist sauer! Ich habe solche Angst!", deklamierte Jessie übertrieben und ihre Gefolgschaft kicherte unterwürfig.

„Patty, lass es", würgte Rebecca mit tränenerstickter Stimme hervor. Ihr Make-up war verlaufen und jemand hatte die Flügel ihres Feenkostüms ausgerissen. Sie erhob sich schwankend und zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist ja nichts neues, dass ich mich rechtfertigen muss, nur weil ich ein reges Sexleben habe, obwohl ich ein Mädchen bin. Ich bin daran gewöhnt, beschimpft zu werden. Es ist okay. Wirklich."

„Nein! Es ist nicht okay! Du hast eine Entschuldigung verdient, jetzt sofort! Los, entschuldigt euch! Ihr alle! Ja, auch die, die nichts getan oder gesagt haben, um das hier zu unterbinden! Eure Kameradin wird gemobbt und das einzige, was euch einfällt, ist, regungslos herumzustehen!? Seid ihr alle ohne Rückgrat geboren worden, oder was?! Ach ja, und Jessie? Danke für das Kompliment! Ich bin nämlich in der Tat eine Kampflesbe - soll ich dir mal zeigen, wie sehr mir das Kickboxen gefällt!?"

„Genug!"

Bebe war eingetroffen, neben ihr Wendy und Tammy, und die ganze Gruppe verstummte schlagartig (ihre Verkleidung als Maleficent trug sicherlich einiges dazu bei). So oberflächlich sie auch in manchen Belangen sein mochte, es steckten Tiefe, Ernsthaftigkeit und Mut in Bebe; Eigenschaften, die ihr bei ihren Freunden Respekt verschafft und ihre Feinde das Fürchten gelehrt hatten. Wortlos strich die Kapitänin dem verschreckten Mädchen ein paar Strähnen aus der Stirn, betupfte das ruinierte Make-up mit einem Taschentuch und gab ihr das Flügelpaar zurück, das sie zu ihren Füßen entdeckt hatte. Dann legte sie den Arm um sie und bannte ihre Kontrahentin mit einem Blick, den sie nur bei wichtigen Spielen oder offiziellen Wettbewerben zu tragen pflegte.

„Jessica. Wenn du etwas an meinem Führungsstil auszusetzen hast, besprich das bitte gleich mit mir, anstatt deinen Ärger an anderen abzureagieren. Dein Benehmen ist nicht akzeptabel. Es vergiftet nicht nur die Atmosphäre innerhalb des Teams, das sich plötzlich in Fronten aufspaltet, es vergiftet vor allem Rebeccas Leben! Das muss aufhören!"

„Warum nimmst du diese Hure in Schutz!? Du hättest sie schon längst aus der Mannschaft werfen sollen! Sie schadet unserem guten Ruf!"

Einige wenige wagten zustimmende Bemerkungen, krochen aber sofort in sich zusammen, als sie Bebes eisige Miene gewahrten. „Natürlich", erwiderte sie verächtlich, „wenn ein Mädchen mit mehreren Jungs schläft, ist sie eine Schlampe. Aber wenn ein Junge mit mehreren Mädchen schläft, ist er ein toller Hecht oder ein ‚Playboy‘, was immer noch positiv besetzt ist. Die unberührte Unschuld und die böse Verführerin, das sind die Rollen der Frau und dazwischen gibt es nichts. Ist ein Mädchen nicht sexuell genug, gilt sie als prüde und unnormal. Geht ein Mädchen offen mit seiner Sexualität um, wird sie als Nutte verschrien. Egal, was wir tun, es ist falsch! Das ist ein verdammter doppelter Standard, der seit Jahrhunderten existiert und mir zum Hals raushängt! Es interessiert mich nicht, mit wem Rebecca Sex hat oder nicht, oder wann und wie oft. Das ist ihre Privatangelegenheit. Solange sie die Verantwortung dafür übernimmt, ordnungsgemäß verhütet und jeden Kerl zum Mond schießt, der auf ein Kondom verzichten will, spielt es keine Rolle. Für mich zählt nur, dass sie ein netter Mensch ist. Sie hilft immer, wenn wir sie um etwas bitten, sie ist eine klasse Cheerleaderin und hat noch nie ein Training verpasst. Das kann ich von dir nicht behaupten. Weißt du was? Leute wie du sind es, die unserem guten Ruf schaden. Das ist deine zweite Verwarnung. Bei der dritten fliegst du."

„Das... das kannst du nicht machen!"

„Doch. Ich muss nur mit dem Coach reden und ihr meine Gründe erklären."

„Dieses grässliche Flittchen, das für jeden die Beine breitmacht, darf also in der Mannschaft bleiben, während ich, die ich die besten Sprünge draufhabe, einen Rauswurf riskiere!? Willst du mich verarschen, du Schickse!?!"

„Sprich nicht in diesem Ton mit mir, Jessica. Ich bin dein Kapitän. Und als dein Kapitän sage ich dir, dass deine genialen Sprünge deinen schlechten Charakter nicht ausgleichen. Du hast eine deiner Kameradinnen tätlich angegriffen, sie beleidigt und gedemütigt. Ich erwarte, dass du dich bei ihr entschuldigst."

„Und wenn ich nicht will!?"

„...Wie alt bist du? Fünf? Im Ernst, das ist deine Reaktion? Das stärkt deine Position nicht besonders. Du beneidest mich um meine Stellung und hast doch nichts, um sie auszufüllen. Dein Trotz, dein Widerspruchsgeist, deine Arroganz, das Fehlen jeglicher Wertschätzung für jemand anderen als dich selbst... Du eignest dich nicht zum Kapitän. Dein Verhalten kommt dir vielleicht cool und großartig vor. Das ist es aber nicht. Entschuldige dich. Jetzt."
 

Jessie wollte weiter protestieren, doch als sie sah, wie Bebe die Arme verschränkte und herausfordernd das Kinn reckte, überlegte sie es sich anders. Stotternd und stammelnd brachte sie eine wenig überzeugende Entschuldigung hervor, die Rebecca nach kurzem Zögern annahm. Jessie betrachtete sie mit unverhohlener Abscheu, warf ihr Haar in einer reichlich affektierten Geste nach hinten und stöckelte auf ihren High Heels von dannen.

„Es... ist noch nicht vorbei, nicht wahr?"

„Mach dir keine Sorgen, Becca", sagte Patty und strich ihr tröstend über den Kopf, „die kann dir gar nichts, ich werde ab heute auf sie aufpassen wie ein Bluthund. Es tut mir leid, dass ich nicht schon früher gemerkt habe, wie sie dich behandelt."

„Sie war bisher immer subtil... oder jedenfalls subtiler als vorhin. Ich glaube, dass ich mit Dave zusammengekommen bin, hat ihr den Rest gegeben. Sie ist wohl einfach... ausgeflippt."

„Das ist keine Rechtfertigung für ihr Verhalten", entgegnete Bebe, immer noch jeder Zoll eine Anführerin. „Wenn sie das unter ‚Teamwork‘ versteht... und hat sie tatsächlich einen Hairflip benutzt? Die einzige Person, bei der das nicht lächerlich aussieht, ist Butters. Glaubt sie, sie spielt hier eine Rolle in einem Film oder was soll dieser Blödsinn?"

„Sie hält sich offensichtlich für die Queen Bee der Schule", meinte Wendy achselzuckend. „Wenn du mich fragst, ist sie eher die Alpha Bitch aus einem mittelmäßigen Hollywood-High-School-Movie. Denk nicht mehr an sie!"

„Becca", wandte sich die Kapitänin an das Mädchen, „sie hat keine Kontrolle über dich, hörst du? Sie kann nicht einmal sich selbst überwinden... und deshalb bist du die Stärkere von euch beiden. Lass dir von niemandem etwas anderes erzählen. Du bist, wer du bist... und du bist super, so wie du bist. Die Mannschaft braucht dich. Die Schule braucht dich. Dein Freund braucht dich. Und vor allem braucht dich deine Familie. Du hast Menschen, die dich lieben. Vergiss das nicht. Und nun lass dir von Tammy dein Make-up auffrischen, sie ist eine absolute Expertin. Sie zaubert wieder eine wunderhübsche Fee aus dir, wetten?"

Rebecca, in einer Hand das Flügelpaar, das Gesicht verquollen vom Weinen, mit laufender Nase und Mascarastreifen auf den Wangen, schlang ihre Arme um Bebe und schluchzte leise vor sich hin. Die Kapitänin tätschelte ihr den Rücken.

„Ist ja gut, Süße... es ist nicht deine Schuld."

Sie winkte Tammy heran, die ihr Schminktäschchen bereits gezückt hatte, löste sich behutsam aus der Umarmung und beobachtete mit Erleichterung, wie Rebecca, der zukünftigen Stylistin folgend, in Richtung Toilette verschwand, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen. Vom Rest ihres versammelten Teams, das Jessie ungehindert hatte agieren lassen, verabschiedete sie sich mit einem „Wir sprechen uns noch"; ein Satz, dessen Tonfall in Verbindung mit Bebes schaurig-schönem Kostüm für eine wirkungsvolle Drohung sorgte. Zusammen mit Wendy (alias Hermine Granger) kehrte sie an ihren Tisch zurück. Patty begleitete sie.
 

Als die drei Mädchen sich setzten, sagte sie: „Du warst fantastisch, Captain! Soll ich dir ein Glas Bowle bringen, um den Mist runterzuspülen?"

„Nein danke, ich habe noch." Die Blondine nahm Maleficents schwarze Hörnerhaube vom Kopf und versuchte, sich zu kratzen, scheiterte jedoch an den unzähligen Klammern, mit denen ihre Mutter ihrer Löwenmähne gebändigt hatte, um sie kostümtauglich zu machen. Geschickt entfernte sie alle Spangen und Nadeln und schüttelte schließlich zufrieden ihre Haarpracht.

„Du weißt schon, dass du dich eigentlich erst um Mitternacht demaskieren darfst?"

„Hast du eine Ahnung, wie warm es in diesem Ding ist, Wendy? Ich werde nicht warten, bis ich um Mitternacht ein einziger Schweißfleck bin! Und Jessica hat meine Temperatur zusätzlich hochgekurbelt! Ich hatte gedacht, nach meiner ersten Verwarnung würde sie sich wenigstens bemühen, etwas netter zu sein, aber nein...! Bei ihr ist Freundlichkeit wohl out!"

„Ärgere dich nicht mehr, die ist es echt nicht wert. Sprich nächste Woche mit Coach Taylor, sie wird wissen, was zu tun ist."

„Du hast recht."

„He, Ladys... was ist das da?"

„Was meinst du?"

Patty deutete auf einen zusammengefalteten Zettel unter dem Kürbisteelicht, das als Dekoration diente. Bebe holte ihn hervor und begann zu lesen.

„Oh!"

„Oh? Was ist denn?"

„Das ist eine Nachricht von meinem geheimnisvollen Verehrer! ‚Liebe Barbara‘, schreibt er, ‚ich hoffe, dass meine Gedichte dein Gefallen gefunden haben. Ich habe lange überlegt, ob ich dir meine Identität offenbaren soll und bin zu dem Schluss gekommen, dass du verdienst zu erfahren, wer ich wirklich bin. Ich habe nur Angst, die Lösung hinter dem Rätsel könnte dich enttäuschen. Wenn du bereit bist, dieses Risiko einzugehen, dann komm bitte nach Erhalt dieser Botschaft in den Musiksaal. Ich werde dort auf dich warten. Gezeichnet: Er.‘ Oh mein Gott, ich kann es nicht glauben...!"

„Kinder, ist das aufregend! Hast du immer noch keinen Verdacht?"

„Nein, nicht den geringsten! Er hat Angst, dass ich enttäuscht sein könnte... es muss also ein Junge sein, den ich bisher nicht beachtet habe. Vermutlich ist er nicht mein Typ. Andererseits platze ich fast vor Neugier! Was schlagt ihr vor?"

Wendy zuckte die Achseln. „Nichts. Soll heißen: Das ist deine Entscheidung. Und vergiss nicht, du hast uns versprochen, ihn mit Respekt zu behandeln, selbst wenn er sich als Frosch herausstellen sollte. Er ist ganz klar verliebt in dich, sonst würde er sich nicht so anstrengen. Sei nett zu ihm, auch wenn du ihm einen Korb gibst, okay?"

„Logisch! Erstens habe ich es euch versprochen und zweitens wäre alles andere ihm gegenüber unfair. Bis gleich!"

Sie eilte in den Flur und schloss mit der Tür zur Aula auch die bunten Lichter und die laute Musik aus. Der Korridor lag dunkel und still vor ihr. Natürlich hatte man auch hier fleißig geschmückt; aber sie ahnte die Skelette, Mumien und Gespenster mehr, als dass sie sie sah. Sie freute sich über die Ruhe, die sie umgab... ihr normales Leben war immer so hektisch und aufreibend, dass sie sich Momente wie diese oft erkämpfen musste. Sie liebte es, Cheerleaderin zu sein und zu den angesagtesten Mädchen der Park High zu gehören, doch immer im Mittelpunkt zu stehen war eine kräftezehrende Angelegenheit. Als Kapitän musste sie ihr Team nicht nur bei Wettbewerben zum Sieg führen oder die Sportmannschaften unterstützen, jüngere Schülerinnen betrachteten sie als Vorbild und imitierten gern ihre Art, sich zu kleiden und zu frisieren. So schmeichelhaft das auch sein mochte, es verstärkte den enormen Erfolgsdruck, den ihr Umfeld auf sie ausübte.
 

Da war ihre Mutter Bridget, stolze Boutiquebesitzerin und überzeugte Verfechterin all dessen, was sich mit Geld kaufen ließ, die von ihrer Tochter erwartete, jeden Tag als Trendsetterin aufzutreten. Nun war Bebe generell modebewusst, aber dass sie kaum je aus dem Haus gehen konnte, ohne sich von ihrer Mutter einen Rundumcheck gefallen lassen zu müssen...! Konnte sie die rote Bluse nicht einfach tragen, weil es ihre Lieblingsbluse war, unabhängig davon, ob Blau gerade die Fashionfarbe des Monats war?

Dann gab es ihren Vater Frederick, der einzig für seine Aktiengesellschaft in der „City" (also Denver) zu existieren schien und dessen familiären Kontakt man als minimal bezeichnen musste. Siebzig Stunden Arbeit in der Woche sind nicht zu viel, um die Karriere voranzutreiben und in den Vorstand zu kommen. Welche Tochter? Er erinnerte sich meistens erst an sie, wenn sie ihm eine glänzende Note unter die Nase hielt, was ihr leider nicht in allen Fächern gelang. In diesem Fall hagelte es Vorwürfe. Sie war eine Stevens; nur Zweitbeste oder gar noch schlechter zu sein, das passierte nicht. Und wenn es doch passierte, war das Cheerleading schuld. Oder ihre „komischen Freundinnen". Oder irgendein Junge. Weshalb Sport, Freundinnen und Rendezvous verboten werden sollten.

Schließlich ihr Team, von ihr liebevoll die „Pom-Pom-Truppe" genannt. Es machte unglaublich viel Spaß, mit ihnen zu trainieren, sich Choreographien auszudenken und das Publikum mit gewagten Stunts zu verblüffen. Weit weniger Spaß machten der ständige Zickenkrieg seitens Jessie und Konsorten, verlorene Turniere oder Spiele, und die Tatsache, dass sie in ihrer Funktion als Kapitän die Anlaufstelle für so ziemlich alle Probleme war, die die Mädchen umtrieben. Immer musste sie einen guten Rat, aufmunternde Worte, ein offenes Ohr oder ihre besten Mode- und Schminktipps parat haben. Die einzigen, bei denen das auch andersherum klappte, weil sie ihnen vollkommen vertraute, waren Patty und Rebecca (und natürlich Wendy, aber die war ja leider keine Cheerleaderin). Die meiste Zeit mochte sie ihre Mädels, doch das Lästern und die großen und kleinen Eifersüchteleien kosteten sie manchmal ihren letzten Nerv. Es gab Momente, in denen sie sich danach sehnte, einfach alles hinzuschmeißen...

Kein anstrengendes Training mehr.

Keine Sticheleien.

Keine Vorwürfe.

Keine Entscheidungen.

Keine Verantwortung.

Keine Erwartungen.

Bebe straffte die Schultern. Was waren das für Gedanken?! Klar, es war nicht leicht, aber hatte sie nicht alles, was sie sich immer für ihre High-School-Zeit erträumt hatte? Und hatte sie nicht hart dafür gearbeitet? Sie würde bald aufs College gehen und dadurch Abstand zu ihren Eltern gewinnen können. Es konnte nur besser werden, nicht wahr?

Sie erreichte den Musiksaal und trat ein. Es handelte sich um einen der ältesten Räume der Schule, wie die unmoderne Kreidetafel und das wacklige Pult verrieten. Neben dem Pult stand das Klavier, das schon Generationen von Schülern beim Singen begleitet hatte. Ein Junge, der als Werwolf verkleidet war, saß davor. Die Maskierung war ziemlich gut, sodass sie ihn nicht erkennen konnte. Auf einem Tisch etwa in der Mitte des Saales lag eine rote Rose, was sie sichtlich entzückte. Sie nahm an der so markierten Stelle Platz und wollte fragen, wer er sei, als die Klänge des Klaviers ertönten.
 

„It‘s her hair and her eyes today

That just simply take me away

And the feeling that I‘m falling further in love

Makes me shiver, but in a good way.
 

All the times I have sat and stared

As she thoughtfully thumbs through her hair

And she purses her lips, bats her eyes

And she plays with me sitting there,

Slack-jawed and nothing to say!
 

Cause I love her with all that I am

And my voice shakes along with my hands

Cause she‘s all that I see and she‘s all that I need

And I‘m out of my league once again."
 

Die Stimme wirkte vertraut auf sie, doch sie wusste nicht recht, weshalb. Sie weckte eine vage Erinnerung in ihr, nicht mehr. Es war seltsam... sie hatte etliche Verehrer gehabt, doch keiner von ihnen hatte sie auf dieselbe Art fasziniert wie ihr unbekannter Briefeschreiber. Wie er mit Worten umzugehen verstand... und nun konnte er auch noch singen und Klavier spielen? „I‘m out of my league" - warum glaubte er das? Was war der Grund für seine Zweifel? Warum sollte sie ihn nicht in Betracht ziehen?
 

„It‘s a masterful melody

When she calls out my name to me

As the world spins around her

She laughs, rolls her eyes

And I feel like I‘m falling but it‘s no surprise!
 

Cause I love her with all that I am

And my voice shakes along with my hands

Cause it‘s frightening to be swimming in this strange sea

But I‘d rather be here than on land.
 

Yes, she‘s all that I see and she‘s all that I need

And I‘m out of my league once again."
 

Bebe wusste, dass es mit ihr nicht immer einfach war. Zum Beispiel war ihr Tagesablauf sehr durchgeplant. Selbst an den Wochenenden mangelte es ihr an Freizeit, denn ihre Mutter spannte sie oft für die Boutique ein. Sie liebte es zwar, schicke Klamotten und Accessoires zu verkaufen, aber das machte Verabredungen gerade mit dem anderen Geschlecht umso schwieriger. Einen Jungen konnte sie schlecht für einen Nachmittag ins „Trés chic" einladen (Ausnahmen wie Butters zählten nicht)! Von den übersteigerten Ansprüchen ihrer Mutter gar nicht erst zu reden! Nach ihrer Meinung durfte sich Bebe nur mit zukünftigen Harvard/Yale/Stanford/Princeton-Absolventen (beliebige prestigeträchtige Uni einfügen) einlassen, die einen GPA von 4.0 und ein dickes Bankkonto vorzuweisen hatten. Was allerhöchstens auf Kyle, Token, Pip und Gregory zutraf, die wiederum dadurch disqualifiziert wurden, jüdisch, schwarz und britisch zu sein...! Wer fragt schon nach dem Charakter!? Sie seufzte. Ihre Finger spielten nachdenklich mit den Blütenblättern der Rose. Sie war manchmal genauso oberflächlich, doch ihre langjährige Freundschaft mit Wendy hatte das ziemlich gemildert. Zumindest hoffte sie das.
 

„It‘s her hair and her eyes today

That just simply take me away

And the feeling that I‘m falling further in love

Makes me shiver, but in a good way.
 

All the times I have sat and stared

As she thoughtfully thumbs through her hair

And she purses her lips, bats her eyes

And she plays with me sitting there,

Slack-jawed and nothing to say!
 

Cause I love her with all that I am

And my voice shakes along with my hands

Cause it‘s frightening to be swimming in this strange sea

But I‘d rather be here than on land.
 

Yes, she‘s all that I see and she‘s all that I need

And I‘m out of my league once again."
 

Ein weiteres Problem war ihr eigenes Misstrauen. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass es Kerle gab, die glaubten, sie schulde ihnen Sex, nur weil sie ein Mädchen war. Als ob sie allein diesem Zweck diente! Die Tatsache, dass es etlichen Jungs (und etliche erwachsene Männer, wenn man den Medienberichten so zuhörte) für selbstverständlich hielten, dass eine Frau in erster Linie zu ihrem Vergnügen existierte, erschreckte und erzürnte sie. War sie ein Spielzeug!?

„Hey Schätzchen, geile Titten!"

„Hallo, Süße! Bist echt sexy! Lass mich mal anfassen!"

„Na, Baby? Willste einen, der‘s richtig bringt?"

Wie sie es hasste. Sie war blond und hatte einen großen Busen. Na und? Deshalb war sie nicht automatisch leicht zu haben! Warum dachten das so viele von diesen Grenzdebilen!? Einer hatte ihr bei einem Date ins Gesicht gesagt, dass er überrascht gewesen sei, wie intelligent sie sich zu unterhalten wisse. Er habe sie nur für eine „blöde Cheerleader-Tussi" gehalten, die er ohne Probleme ins Bett kriegen könne. Bebe hatte ihm eine Ohrfeige verpasst und hinterher war sie bei seinen Kumpeln wochenlang als die „schlimmste Bitch der Schule" verschrien. Es war ja so erbaulich, im Korridor angepöbelt zu werden, nur weil sie das fragile Ego irgendeines Machos angekratzt hatte! Sie war dankbar für all die tollen Jungs in ihrem näheren Umfeld, denn sonst hätte sie Männer als solches wohl längst abgeschrieben. Token, höflich und vornehm. Kyle, ritterlich und respektvoll. Stan, romantisch und sensibel. Butters, aufgeschlossen und tolerant. Clyde, süß und freundlich. Tweek, schüchtern und liebenswert. Pip, taktvoll und zurückhaltend. Gregory, elegant und diszipliniert. Selbst Cartman, der ein guter Freund sein konnte, wenn man sich einmal seine Achtung erkämpft hatte (ja, Eric Cartmans Achtung musste erkämpft werden)! Sie hätte gern auch Kenny zu ihrer Liste hinzugefügt, selbstlos und tapfer... aber die verletzende Art, mit der er seine Eroberungen behandelte, wenn sie es wagten, Gefühle für ihn zu entwickeln, stieß sie ab. In diesem speziellen Bereich benahm er sich meist wie ein reinrassiges Arschloch. Und Craig? Es steckte eine Menge Gutes in ihm, doch leider legte er keinen Wert darauf. Er brauchte niemanden. Oder genauer: Er wollte niemanden brauchen. Schade.
 

Die Melodie verklang. Bebe, etwas überrumpelt von der plötzlichen Stille, klatschte begeistert, um ihre Verlegenheit zu kaschieren. Niemand hatte ihr je ein Ständchen dargeboten! Was sollte sie jetzt tun?

„Das... das war sehr schön. Vielen Dank. Ich... ich weiß gar nicht..."

„...was du sagen sollst?", fragte er leise. „Ja. Es ist oft schwer, die richtigen Worte zu finden..."

Er sprach langsam und bedacht, als müsse er sich auf jede Silbe einzeln konzentrieren. Auch das erinnerte sie an irgend jemanden, aber wieder konnte sie es nicht zuordnen.

„Wer bist du?"

Er zögerte. „Willst du es wirklich wissen?"

„Sonst wäre ich nicht hier!"

„...Du wirst enttäuscht sein."

„Das wird sich zeigen."

„Also gut. Komm bitte herüber zu mir."

Sie strich sich ein paar Strähnen aus der Stirn, zupfte an ihrem Kostüm herum und verfluchte sich innerlich für ihre Nervosität. Die Rose vorsichtig in der Hand haltend, näherte sie sich ihm und stieg wie in Zeitlupe die drei Stufen zum Klavierpodium hinauf. Sie konnte sich nicht erklären, warum es ihr plötzlich den Magen umdrehte. Weil das hier endgültig war? Weil sie nicht mehr in ihre angenehme Ahnungslosigkeit flüchten konnte, wenn er ihr jetzt seine Identität offenbarte? Weil sie dann wissen würde, wen sie (vielleicht) zurückwies?

„Du brauchst keine Angst zu haben. Wie auch immer deine Antwort ausfallen wird... ich werde sie akzeptieren und dich in Ruhe lassen. Gefühle kann man nicht erzwingen."

Sie starrte ihn an. Trotz der wilden Perücke und der Schminke, die seine Züge stark veränderten, hätte sie diese warmen braunen Augen überall erkannt. Das einzige, bei dem keine Maskierung der Welt hätte Abhilfe schaffen können, waren seine Beine.

„...Jimmy..."

„Nun, Barbara?" Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wie enttäuscht bist du, auf einer Skala von Eins bis Zehn?"

„...James!! Das ist nicht der Zeitpunkt für dumme Witze! Du... du kannst nicht mein Briefeschreiber sein! Du bist zu... zu... Ich glaube es einfach nicht!"

„Warum nicht? Ich habe in den letzten Jahren hart an meinem Stottern gearbeitet. Es gibt Kurse dafür. Und es ist ganz weg, wenn ich langsam genug spreche. Ich war so lange ein Gefangener meiner eingeschränkten Sprache, dass ich mich heute schriftlich besser ausdrücken kann als viele meiner Freunde. Ich bin ein guter Schüler und sehr beliebt, also sollte man meinen, ich habe alles, was ich will. Trotzdem würdest du nie mit mir ausgehen, nicht wahr? Haben... haben dir meine Gedichte wenigstens gefallen?"

Sie wurde rot. „...Ja. Noch kein Junge hat so etwas für mich gemacht. Wie bist du nur auf diese Idee gekommen? All die Mühe, die du dir gegeben hast..."

Jimmy betrachtete sie eindringlich.

»Ihre Reaktion ist wie erwartet... und gleichzeitig auch unerwartet. Ich hatte Angst, sie würde weglaufen oder mich auslachen. Schließlich hat Bebe einen hinterhältigen Zug, das darf man nicht vergessen. Sie könnte genauso boshaft, ignorant und egoistisch sein wie Jessie... genausoleer. Aber sie ist es nicht. Sie ist klug, gerecht und entschieden. Ja, sicher... manchmal benimmt sie sich sehr oberflächlich und ja, sie ist eitel und ziemlich verwöhnt... Dennoch. Wer sie einmal bei einem Wettbewerb erlebt hat, wer sie für den Sieg hat kämpfen sehen, wer weiß, wie stolz sie darauf ist, eine Athletin zu sein... der muss doch erkennen, dass sie nicht nur ein ‚hirnloses Modepüppchen‘ ist! Ich schwöre, wenn Boyett sie noch einmal so nennt, ramme ich ihm meine Krücken in die Eier, nicht nur gegen das Schienbein! Und wenn ich an die miesen Gerüchte denke, die unter den Jungs der Park High über sie kursieren, nur weil sie von Mutter Natur mit grandiosen Kurven ausgestattet wurde, möchte ich mich am liebsten übergeben. Klar, sie hat garantiert mit jedem Kerl in der Footballmannschaft geschlafen, denn das ist genau das, was Cheerleader ‚normalerweise‘ tun, nicht wahr!? Ich bin wirklich froh, dass meine Clique so viel vernünftiger ist als diese Vollpfosten...!«
 

Er griff nach den Krücken, die er unter den Stuhl geschoben hatte und stand auf. Ihr verzagter Blick folgte ihm. Mit einer gewissen Freude und Genugtuung stellte er fest, dass sie seine Augen fixierte und nichts sonst. Sie wartete auf eine Erklärung.

„...Wie ich auf diese Idee gekommen bin? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht mehr genau. Du warst das erste Mädchen, für das ich ernsthaft geschwärmt habe. Du bist sehr talentiert und clever... und ein Arbeitstier, genau wie ich. Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, ziehst du es durch. Du hast Durchhaltevermögen. Das ist echt sexy."

„Das findest du sexy?"

„Na klar. Ich meine, ich finde dein Aussehen schon auch umwerfend, das habe ich ja in meinen Gedichten beschrieben. Aber das ist mir nicht so wichtig. Jessie zum Beispiel ist auch sehr hübsch, doch es ist nichts dahinter. Und ehrlich, die Hälfte der Menschheit läuft mit einem Busen herum; es gibt also eigentlich keinen Grund, sich besonders was darauf einzubilden. Du bist eine Kämpferin und eine gute Freundin. Das bedeutet viel mehr."

„...Eine Kämpferin? Obwohl ich ein absolutes Girly Girl bin?"

„Das eine schließt das andere nicht aus. Du kannst Glitzernägel lieben und trotzdem einen starken Willen haben. Hast du es nicht satt, immer in Schubladen gesteckt zu werden?"

Sie biss sich auf die Lippen. Natürlich hatte sie es satt. Aber sie war zu sehr daran gewöhnt, sich den Erwartungen anderer anzupassen. Auch jetzt hatte sie seiner Aussage, dass sie eine Kämpferin sei, nicht einfach vollen Herzens zugestimmt, sondern ihre geradezu stereotype Weiblichkeit als Einwand vorgeschoben. Warum eigentlich? Es spielte schließlich keine Rolle, ob sie Mode und Cheerleading liebte und Make-up und tolle Schuhe. Klischee hin oder her, sie war trotzdem eine vollwertige Persönlichkeit, komplett mit den üblichen Widersprüchen und Macken, die so eine Persönlichkeit eben mit sich brachte. Dennoch verwirrte es sie, mit einem Jungen zu sprechen, der ihrem Inneren einen höheren Wert beimaß (ohne dabei das Äußere zu ignorieren, das ihm gefiel und auf das sie stolz war). Sie spürte, dass er sie ernst nahm, was ihn weitaus attraktiver machte als viele ihrer früheren Verehrer.

Da sie stumm blieb, wandte sich Jimmy zum Gehen. „Barbara...ich verlange nichts von dir. Wenn du keine Annäherungsversuche von meiner Seite mehr möchtest, ist das in Ordnung. Im Grunde habe ich damit gerechnet. Es tut weh, aber ich kann nicht behaupten, überrascht zu sein. Danke, dass du gekommen bist und mir zugehört hast."

„...James?"

„Ja?" Er drehte sich um, ein hoffnungsvolles Lächeln auf den Lippen.

„...Ich ...ich bin unsicher. Weißt du, ich könnte mir vorstellen, einmal mit dir auszugehen. Aber ich habe Angst, dass du das vielleicht als mitleidige Geste auffassen könntest. Und ich will dich auf keinen Fall beleidigen oder verärgern!"

„Tue ich dir denn leid?"

„Eh? Na ja, nein... ich glaube nicht..."

„Was fällt dir als erstes ein, wenn du an mich denkst?"

Sie schloss die Augen. „Hm... Jimmy Valmer... schlechte Witze, guter Sportler, groß, braune Augen, Timmys bester Freund, bekommt niedliche Grübchen, wenn er lacht..."

„...Ich bekomme niedliche Grübchen?"

Bebe blinzelte ihn verschmitzt an. „...Ja. Sie sind leicht zu bemerken. Du lachst oft."

Er trat an sie heran, ergriff eine Strähne ihres langen blonden Haares und drückte einen Kuss darauf. Ihr Herz vollführte einen unfreiwilligen Sprung.

„Wärst du wirklich bereit, einmal mit mir auszugehen? Mit Jimmy Valmer, der schlechte Witze reißt und gut im Sport ist? Mit Timmys großem besten Freund, der braune Augen und niedliche Grübchen hat? Mit dem Jungen, bei dem dir nicht als erstes ‚Krüppel‘ einfällt?"

Sie zögerte. Ihre Mutter würde mit Entsetzen reagieren. Für sie wäre Jimmy wie das Kleid aus dem Second-Hand-Shop; eine Ungeheuerlichkeit, mit der sie nicht in Verbindung gebracht zu werden wünschte. Ihrem Vater wäre es vermutlich egal, solange ihre guten Noten nicht nachließen. Und ihre Pom-Pom-Truppe? Von den meisten hatte sie nichts zu befürchten, aber Jessie und ihre Mitläufer würden, sollte sie mit Jimmy ausgehen, nicht bloß über sie spotten, sondern vor allem über ihn. Sie würden unnötig grausam und verletzend sein, nur um zu demonstrieren, dass man als Cheerleader keine Dates mit einem Behinderten hatte.

»Ah, verdammt noch mal! Seit wann gebe ich einen Scheißdreck auf das, was Jessie und Co. von mir denken!? Es ist allein meine Sache, ob ich es mit ihm versuchen will oder nicht!«

Sie umfasste seine Hände und drückte sie fest. „Jimmy... es wird nicht einfach sein..."

„Das weiß ich. Deinen Eltern wird es nicht gefallen, nicht wahr? Und einigen Mädchen in deinem Team auch nicht. Aber das war mir von vornherein klar. Ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Lassen wir es auf den Versuch ankommen?"

Bebe lächelte. „...Ja. Lassen wir es auf den Versuch ankommen."
 

Die Party war in der Zwischenzeit ihrem normalen Gang gefolgt. Patty, Tammy und Rebecca tanzten zu dritt irgendeinen erfundenen Tanz, während Wendy an ihrem Tisch verblieben war und ihre Nase in ein Buch steckte. Ab und zu hob sie den Kopf, um das fröhliche Gewimmel zu beobachten oder einen Schluck Bowle zu trinken. Sie klinkte sich des öfteren auf diese Art aus. Nicht etwa, weil ihr das Fest keinen Spaß machte oder sie kein Interesse daran hatte, sondern weil sie einfach das stille Vergnügen bevorzugte. Lesen war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen und sie konnte es immer und überall tun, manchmal zum völligen Unverständnis ihrer Freunde. Aber für sie war ihr persönliches Kopfkino durch nichts zu überbieten.

„Guten Abend, Wendy."

Sie ignorierte die Stimme, gefesselt von ihrer Lektüre. „Guten Abend, Wendy", wiederholte die Stimme, diesmal mit mehr Nachdruck und nicht ganz frei von Gereiztheit. Sie senkte ihr Buch und schenkte dem Jungen, der sie angesprochen hatte, einen irritierten Seufzer.

„Was willst du, Gregory? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?"

Gregory von Yardale, der sich als Phantom der Oper verkleidet hatte und schon den gesamten Abend über von einer Riege anhimmelnder Fangirls umschwärmt worden war, verbeugte sich lächelnd und zog es vor, auf ihre offensichtliche Ablehnung nicht einzugehen.

Ein Minuspunkt.

„Nun, in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Damenwelt bei meiner Aufmerksamkeit geschmeichelt zu fühlen pflegt, wirst du mir sicher verzeihen."

Und noch ein Minuspunkt.

„Wenn sich einige Mädchen von deiner Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlen, ist das ihre Sache und geht mich nichts an. Aber sei so freundlich und schere uns nicht alle über einen Kamm. Es gibt auch weibliche Wesen, die sich nicht geschmeichelt, sondern gestört fühlen. Ich zum Beispiel. Ich habe gelesen. Ist das neuerdings das Signal für ‚Bitte beachte mich!‘, oder warum hältst du es für nötig, mich einfach so aus der Geschichte herauszureißen? Ich war gerade an einer sehr spannenden Stelle!"

Er schürzte die Lippen. „Willst du mir erzählen, dein Buch sei interessanter als ein Gespräch mit mir? Ich hatte auch daran gedacht, dich zu einem Tanz aufzufordern..."

„Das ist nett von dir, Gregory, aber habe ich dir irgendwie zu verstehen gegeben, dass ich das möchte? Hat meine Mimik angedeutet, dass ich reden oder tanzen will?"

„Na ja... nein."

„Ach? Und warum kommst du dann her?"

Sein hübsches Gesicht, zur Hälfte von der Maske des Phantoms verdeckt, färbte sich blassrosa. Er befingerte seine Manschetten, verhedderte sich in seinem Cape und stieß schließlich hervor: „Was ist los mit dir, Wendy!? Kannst du nicht einmal eine normale Reaktion zeigen!? Warum behandelst du mich so geringschätzig!? Ist dir nicht klar, wer ich bin?! Im Grunde brauche ich mich mit jemandem wie dir überhaupt nicht abzugeben, die meisten Mädchen liegen mir ohnehin zu Füßen! Aber du... du hast mich, den Erben des Hauses Yardale, fallengelassen und dich nicht mehr um mich gekümmert! Keine andere hätte je...!"

Wendy schlug das Buch zu und warf es mit Schwung auf den Tisch. „Was soll denn das jetzt?! Das ist Jahre her! Es ist nicht zu glauben, dass du dermaßen nachtragend und kleinlich bist! Natürlich habe ich dich fallengelassen - du hast dich als mieser kleiner Snob entpuppt! Du bist ein gutaussehender und charmanter Typ, Gregory, aber du hältst dich leider für etwas Besseres und lässt auch jeden, der nicht in deine Weltsicht passt, sehr deutlich spüren, wie unterlegen sie dir sind! Ich weiß nicht, woher du diese Einstellung hast, doch beeindrucken kannst du mich damit nicht! Und es ist eine Unverschämtheit, dass du dich darüber aufregst, wie geringschätzig ich dich behandle, obwohl du mit mir genau das gleiche tust! Du hast selbst gesagt, dass du dich mit jemandem wie mir nicht abzugeben bräuchtest! Ist das nicht geringschätzig!? Und diese Idee, dass keine andere außer mir dich jemals abserviert hätte... was ist das für ein Unsinn?! Denkst du allen Ernstes, dass in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren keine Frau genug von deinem hochtrabenden Getue haben könnte!?"

„Widerworte, immer nur Widerworte! Ist das alles, was du kannst?! Warum ist es für dich so unmöglich, einfach nett und damenhaft zu sein?!"

„Das fragt mich ein Kerl, der den Begriff ‚elitäres Arschloch‘ neu definiert?! Außerdem, was du unter ‚nett‘ und ‚damenhaft‘ verstehst, würde ich unter ‚kriecherisch‘ und ‚rückgratlos‘ einordnen! Wenn du jemanden willst, der dich über den grünen Klee lobt und ohne dich keine fünf Schritte alleine machen kann, dann bitte sehr, aber halt mich da raus!"

„Ich will lediglich eine Freundin, die meine hohe Stellung unterstreicht und mich nicht der Lächerlichkeit preisgibt! Deshalb ist es so wichtig, dass sie sich zu benehmen weiß und mir in allen Belangen Folge leistet!"

„Oh bitte!" Wendys braune Augen, deren Härte er fürchtete, blitzten kampflustig. „Du willst keine Freundin, Gregory! Du willst ein Accessoire, das an deinem Arm hängt und hübsch aussieht - du willst eine Handtasche ohne Inhalt! Da wirst du nur leider Pech haben, denn die meisten Handtaschen, die ich kenne, verfügen über eine Menge Inhalt! Woher hast du überhaupt diese spießigen Vorstellungen?! Haben dir das deine Eltern eingeimpft? Musst du deinen kostbaren Familiennamen schützen, oder was!?"

Die Auseinandersetzung der beiden, die nach und nach lauter geworden war, hatte begonnen, einige Schaulustige anzuziehen, deren Anwesenheit dem jungen Engländer jetzt erst auffiel. Das ungenierte Anstarren, Flüstern und Kichern war äußerst unhöflich und beschämte ihn, denn er wurde sich klar darüber, dass er im Moment eine reichlich unvorteilhafte Figur abgab. Auch das war Wendys Schuld! Natürlich musste sie ihm entgegentreten! Natürlich musste sie ihre spitze Zunge an ihm wetzen! Natürlich musste sie ihn ständig an seine Herablassung erinnern! Wie sie da vor ihm stand, die Arme in die Hüften gestemmt, die funkelnden Augen unverwandt auf ihn gerichtet, den Kopf stolz erhoben, ihre zarte Gestalt von der schwarzen Robe ihres Kostüms umhüllt, hatte er das Gefühl, von dieser Kraft, die sie ausstrahlte, wie ein Stück Bimsstein zerdrückt zu werden. Er kam auf sie zu und nahm die Maske ab. Ihr schöner, stählerner Blick hielt den seinen gefangen wie eine Jagdschlinge das Kaninchen.

„...Wie bist du zu zähmen, Wendy Testaburger? Was muss ein Mann tun, wie muss er sein, um deinen Respekt und deine Zuneigung zu gewinnen?"

Sie musterte ihn argwöhnisch, von dem plötzlichen Themawechsel verwirrt. „Zunächst einmal sollte er sich nicht einbilden, man könne mich ‚zähmen‘. Ich bin kein Beutetier, sondern ein menschliches Wesen, danke sehr. Und ansonsten? Um Respekt und Zuneigung zu erhalten, muss man sie einfach nur selbst gewähren. Das ist die ganze Kunst."

Er starrte sie an. Diese unerwartet simple und zugleich entschiedene Antwort führte ihm wieder einmal all das vor Augen, was ihn an ihr so reizte: Ihre Widerborstigkeit, ihre Besserwisserei, ihre Dreistigkeit, ihr Sturkopf, ja, und auch ihre Intelligenz, ihr Kampfgeist, ihre Art, die Dinge beim Namen zu nennen und sich nicht zugunsten irgendeiner Person zu verbiegen.

Einfach... sie. Einfach sie!

Einfach...

...sie...?
 

Er trat einen Schritt zurück. Dann noch einen und einen weiteren. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt, sein Körper begann zu zittern. Wendy sagte seinen Namen. Er hörte Besorgnis in ihrer Stimme oder zumindest Betroffenheit über seine heftige Reaktion. Er sah ihre klaren Augen, die er verabscheute, weil sie durch ihn hindurchgingen wie ein Messer, sah fast wie in Trance die elegante Bewegung, mit der sie ihre Hand nach ihm ausstreckte... und ergriff die Flucht. Es war ihm plötzlich egal, wie erbärmlich das wirken musste, er wollte nur weg von dieser neugierigen Menge, weg von ihr. Er rannte durch den Korridor nach draußen, überquerte den Schulhof wie von Furien gehetzt und hielt erst an, als ihm die Seiten wehtaten. Schwer nach Atem ringend, lehnte er sich gegen einen Baum und erkannte, dass er den Garten der Natur-und Botanik-AG erreicht hatte, wo die Clubmitglieder Blumen, Obst und Gemüse anpflanzen durften. Unter dem Apfelbaum schräg gegenüber war eine Bank aufgestellt worden, auf die Gregory jetzt zusteuerte und sich setzte. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, während sein Herz schmerzhaft pochte.

»Verdammt... verdammt! Warum...? Warum bloß? All die Mädchen, die ich haben könnte... und ich will nur sie! Wann ist das passiert...? Wieso? Ich verstehe überhaupt nichts mehr...!«

„Du hast es also endlich kapiert? Wurde auch langsam Zeit."

Er schrak hoch und beruhigte sich nur unwesentlich, als er seinen besten Freund entdeckte. In seiner Verkleidung als Kopfloser Reiter war er überraschend unheimlich, obwohl ihm sein Kopf durchaus nicht fehlte. Um trotzdem seiner Rolle gerecht zu werden, trug er ein hässliches Haupt aus Pappmache mit sich herum. Zusammen mit der Dunkelheit und Stille des Abends konnte einem Pip schon einen Schauer über den Rücken jagen.

„Was tust du hier, Philip?"

„Nun, als dein engster Freund ist es eindeutig meine Aufgabe, dir hinterherzulaufen, wenn du dich zum Affen gemacht hast. Solltest du es allerdings vorziehen, einsam und verlassen in deinem Gefühlschaos zu baden, kann ich natürlich wieder gehen..."

„Setz dich neben mich und halt den Mund."

„Wie Seine Majestät befehlen."

Etwa fünf Minuten lang schwiegen die beiden, Gregory düster vor sich hin brütend, Pip mit einem geduldigen Lächeln auf den Lippen. Schließlich überwand sich der zukünftige Lord Yardale und flüsterte: „Du... du wusstest, dass ich in sie verliebt bin? Bevor ich es wusste? Wie ist das möglich? Ich... ich war mir so sicher, dass ich sie hasse... so sicher..."

„Du bist ein Idiot, Greg."

„He! Ich dachte, du bist gekommen, um mir zu helfen! Warum beleidigst du mich?!"

„Weil - du - ein - Idiot - bist", skandierte Pip im sachlichen Ton eines unerschütterlichen britischen Gentlemans. „Du hast mir so oft die vielen verschiedenen Dinge aufgezählt, die du an Wendy nicht leiden kannst und dennoch habe ich dich ebenso oft dabei ertappt, wie du über ihre Klugheit, ihre Schönheit, ihre Entschlossenheit oder ihre Willenskraft philosophiert hast! Und du hast es wirklich nicht bemerkt, das war das schlimmste! Statt dessen hast du dich in diese... diese grundlose Verachtung hineingesteigert!"

„Grundlos!? Du hast doch erlebt, wie sie mich behandelt!"

„Ja, aber meistens verdienst du es nicht anders. Wendy geht dir unter die Haut, was bei deinem Panzer, der aus Arroganz und höflicher Gleichgültigkeit besteht, ziemlich beeindruckend ist - und genau deshalb hast du solche Angst vor ihr. Ihr mögen vielleicht dein Charme und deine exzellente Bildung gefallen, doch das genügt nicht, um sie zu gewinnen. Da es dich über zwei Jahre gekostet hat, die wahre Natur deiner Gefühle zu begreifen, hast du nur noch bis zum Sommer die Gelegenheit, etwas mit deiner Erkenntnis anzufangen."

„Das... das ist wahr! Und nicht gerade aufbauend... was ist das mit dir und deiner zweifelhaften Art, Leute zu trösten!? Ich fühle mich noch keinen Deut besser!"

„Ich tröste dich ja auch gar nicht. Ich versuche lediglich, einen Ausbruch von Selbstmitleid zu verhindern und dich davon abzuhalten, wie üblich Wendy die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn dir deine guten Manieren abhanden kommen. Sie ist nicht deine Feindin, sie ist das Mädchen, das dir den Kopf verdreht hat! Was genauso wenig ihre Schuld ist - sie ist nicht dafür verantwortlich, dass du sie anziehend findest, verdammt! Sie ist einfach, wer sie ist!"
 

Gregory zuckte zusammen. Ah, Philip und seine verbalen Pfeile! Was täte er nur ohne sie? Sich an seiner eingebildeten Perfektion ergötzen, vermutlich, tatkräftig unterstützt von seinem Vater George, für den weniger als Perfektion nicht in Frage kam. Das Geschlecht der Lords of Yardale war nicht immer wohlhabend gewesen, dafür aber alt, ehrwürdig und traditionsbewusst. Alle paar Generationen pflegte sie einen aufmüpfigen Spross hervorzubringen, der mit den gängigen Konventionen brach und damit die Familiengeschichte aufpolierte. Da war zum Beispiel sein Urgroßvater John, der durch Fehlinvestitionen fast sein ganzes Vermögen in den Sand gesetzt hatte und kurzerhand entschied, nach Kanada auszuwandern. Das Geld dafür beschaffte er sich durch den Verkauf von Yardale Manor (womit er so ziemlich jede vorhandene Tradition mit Füßen trat); dann packte er Kind und Kegel ein und zog nach Ottawa, wo er sich seiner großen Leidenschaft widmete, dem Malen. Und tatsächlich hatte er mit seinen Bildern enormen Erfolg. So enormen Erfolg, dass er sich einen Sommersitz irgendwo in der kanadischen Wildnis leisten konnte, wo er als zweites Standbein eine Pferdezucht mit englischen Vollblütern aufzog. Von seinen insgesamt vier Erben übernahm der Älteste, George, das Gestüt, während Margaret und Andrew nach England zurückkehrten, um dort zu studieren. Sie blieben beide; er brachte es zum bekannten Journalisten und Kunstkritiker, sie wurde eine hervorragende Anwältin. Der jüngste Sohn schließlich, Arthur, absolvierte sein Literaturstudium in den USA/Colorado, lernte seine zukünftige Frau dort kennen und unterstützte später George bei seiner Arbeit. Als Letztgeborener hatte er nie irgendwelche Erwartungen, was den Titel betraf, doch dann kam alles ganz anders. George erkrankte an Krebs, sodass nach und nach Arthur die Geschäfte komplett übernehmen musste. Sein ältester Bruder war, obgleich verheiratet, kinderlos geblieben und Andrew wollte das Leben, das er sich in England aufgebaut hatte, nicht aufgeben und verzichtete deshalb auf seine Ansprüche. So stand Arthur von Yardale mit einem Mal vor jener Herausforderung, von der er geglaubt hatte, sich ihr nie stellen zu müssen. Drei Jahre nach Georges Tod wurde Arthurs Sohn geboren, den er in Erinnerung an seinen geliebten Bruder auf denselben Namen taufen ließ. Das war Gregorys Vater.
 

»Was genau ist damals wohl passiert? Dad spricht nicht oft über seine Kindheit. Ich meine, ich weiß, dass es zwischen ihm und Grandpa irgendein Zerwürfnis gegeben hat, aber das ist alles. Jedenfalls ist Dad nach England abgewandert, meiner Mutter begegnet und hatte nie die Absicht, zurückzukehren. Das sagt Mum zumindest. Ich bin in London geboren und aufgewachsen, bevor wir plötzlich wieder nach Kanada gezogen sind. Und später nach Amerika. Nicht, dass Dad sich großartig erklärt hätte; was er anordnet, wird gemacht, aber ständig so entwurzelt zu werden... Kein Wunder, dass ich fast nie dauerhafte Freunde hatte, bis ich Pip traf. Gut, ich bin stolz darauf, ein Yardale zu sein, und wie Dad bin ich überzeugt davon, dass man nach Perfektion streben sollte, aber manchmal... manchmal...«

Manchmal wünschte er, seine strenge Erziehung hätte ihm nicht so nachhaltig eingebläut, dass er als Adliger automatisch besser war als jemand aus den unteren Schichten der Gesellschaft. Sein Großvater war in dieser Hinsicht ganz anders - vielleicht war das einer der Gründe für den Bruch? Er war auch stets höflich, doch nie überheblich, nie kalt. Nicht so wie sein Vater, bei dem unter all der vornehmen Höflichkeit immer eine Spur Herablassung zu spüren war.

»Dad wollte mich auf irgendeine sündteure Privatschule schicken, damit ich die ‚richtigen‘ Kontakte knüpfe, die ‚richtigen‘ Leute kennenlerne und auf die ‚richtige‘ Universität komme, was heißen soll: unter Harvard in den USA oder Oxford in England läuft gar nichts. Es war Grandpas Idee, dass ich auf eine normale High School vor Ort gehen sollte, damit ich meinen Horizont erweitere und mit Menschen aus anderen Verhältnissen zusammentreffe, um ein Gefühl für die Welt außerhalb meines gut situierten Kokons zu entwickeln. Ich scheine nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein... mein bester Freund stammt aus derselben Sphäre wie ich, ich beschäftige mich in meiner Freizeit mit Sportarten wie Reiten oder Fechten, die hier neben Football und Baseball überhaupt keine Rolle spielen, und ansonsten bleibe ich auf Distanz und bin... und bin ein ‚elitäres Arschloch‘, um Wendy zu zitieren. Oder wenigstens ein Snob. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich eines Tages so sein wie Dad...«

Er warf einen Seitenblick auf Pip, der ihn nach wie vor mit diesen durchdringenden Augen musterte und korrigierte sich beschämt: »Oder... bin ich... schon wie er geworden...?«

„Greg, hör zu: Wenn du sie liebst, musst du bereit sein, dich zu ändern. Wendy war nie dafür bekannt, wahllos herumzuflirten oder mit einem x-beliebigen Jungen auszugehen. Sie ist nicht flatterhaft oder wankelmütig. Wenn sie es ernst meint, meint sie es ernst. Ihr erster fester Freund war Stanley, und das fing in der dritten Klasse an und dauerte - mit einigen Unterbrechungen - bis in die achte. Auch jetzt noch ist er einer ihrer besten Freunde. Danach war sie mit Bridon Gueermo liiert, dem Vize-Kapitän des Basketballteams. Das hielt etwa bis zur elften Klasse, was bei der Kurzlebigkeit der meisten Teenagerromanzen ziemlich beachtlich ist. Sie würde sich nie mit jemandem einlassen, den sie nicht wirklich sehr gern hat - was bedeutet, dass du ein hartes Stück Arbeit vor dir hast."

„...Macht es dir eigentlich Spaß, mich zu quälen?"

Pip grinste. „Ein bisschen."

Gregory erwiderte das Grinsen, schwieg eine Weile (wobei sein Grinsen langsam in ein sanftes, leicht melancholisches Lächeln überging) und sagte dann: „...Danke. Danke, dass du mein Freund bist. Und danke für deinen Rat."

„Ich danke auch."

„Eh? Wofür?"

„Fürs Beherzigen."
 

In der Aula hatte sich die Aufregung nach dem Abgang des Blonden rasch gelegt. Einige, allen voran Gregorys enttäuschte Fangirls, diskutierten noch über die Szene, aber die meisten tanzten schon wieder, schlugen sich den Bauch mit den Süßigkeiten voll, die zu vorgerückter Stunde das Buffet ergänzten oder begannen das große Rätselraten darüber, wer diesmal den Kostümwettbewerb gewinnen würde. Jeder durfte eine Stimme abgeben und in einen Kasten neben dem Getränketisch werfen; später würde ausgezählt und der König oder die Königin von Halloween gekürt werden. Patty hatte Wendy einen Zettel unter die Nase gehalten, auf der sie ihre Wahl notieren sollte und sie kannte ihren Kandidaten bereits, doch statt den Namen aufzuschreiben, kaute sie auf dem Bleistift herum und starrte ins Leere.

„Süße, bist du irgendwie in Trance? Du ziehst dieses Gesicht, seit Yardale hinausgestürmt ist!"

„Ach, ich weiß auch nicht, Patty. Er sah so... furchtbar erschrocken aus. War das, was ich gesagt habe, dermaßen schlimm oder ungewöhnlich?"

„Nein. Außerdem hat er gefragt. Hätte er deine Antwort nicht hören wollen, hätte er dich nicht fragen dürfen, so einfach ist das. Keine Ahnung, was mit ihm los ist... Was genau hast du getan, dass er dich so auf dem Kieker hat? Bist du zum falschen Zeitpunkt an ihm vorbeigegangen und hast sein inneres Feng Shui durcheinandergebracht, oder was?"

Wendy konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Etwas in der Art. Erinnerst du dich an die Kanadasache? Urheber Mrs. Broflovski? Gregory und ich waren damals kurz zusammen. Als ich merkte, was er für ein eingebildeter Mistkerl ist, habe ich ihm den Laufpass gegeben. Ich habe ihn schwer gekränkt und scheine seither eine persona non grata für ihn zu sein. Jedenfalls solange, bis Seine Majestät von sich aus das Wort an mich zu richten geruht, wie vorhin. Und nein, ich verstehe nicht, was sein Problem ist!"

Pattys verächtliche Miene verriet, dass Mr. Yardale in ihren Augen offiziell in der Schublade mit der Aufschrift „Douchebag" gelandet war. Es wäre allerdings untypisch für sie gewesen, es dabei zu belassen. „...Aber er interessiert dich?"

„...Nein! ...Ja! Nein...! Ich meine..."

„Du meinst?"

„...Er hat Charme, wenn er will. Und er ist sehr belesen, strebsam, ehrgeizig. Ich habe nun mal eine Schwäche dafür. Ich suche immer nach jemandem, der mir intellektuell ebenbürtig ist oder zumindest ein paar kluge, tiefsinnige Gedanken vorzuweisen hat. Auf der anderen Seite regt mich seine Einstellung enorm auf und er ist maßlos nachtragend. Er besitzt diese aristokratische Ausstrahlung, diese vollendeten Manieren, den guten Geschmack, die feinen Gesten... aber wenn du nur ein bisschen von diesem Zuckerguss wieder abkratzt, siehst du die ganze unschöne Bescherung darunter. Verdammt... er ist so... frustrierend!"

„Ich glaube, frustrierend ist jeder mal irgendwann. Leider macht er einen Dauerzustand daraus. Was wirst du jetzt tun?"

„Wenn ich das wüsste...!"
 

Im Hell‘s Pass hatte man Kyles Blut abgezapft. Nun saß er mit einem Pflaster auf dem Unterarm im Wartesaal und erzählte seinem Vater, was sich zugetragen hatte (den Teil mit Kennys Verwandlung in einen Engel ließ er wohlweislich aus). Gerald hörte ernsthaft zu und stieß am Ende der Geschichte einen langen Seufzer aus.

„Großer Gott, Junge... ich weiß nicht, ob ich dich schimpfen oder dankbar dafür sein soll, dass du da wieder lebend herausgekommen bist! Und ihr beide auch! Was für ein Wahnsinn, es mit einem geistesgestörten Mörder aufnehmen zu wollen! Unsere hiesige Polizei ist vielleicht inkompetent, aber sie ist wenigstens bewaffnet! Ich muss das alles deiner Mutter beichten, das ist dir doch klar? Du wirst Hausarrest bekommen, soviel ist sicher!"

„Aber wir haben Cartman gerettet!"

„Ja, natürlich. Trotzdem habt ihr euch auf höchst unverantwortliche Weise in Gefahr begeben, eure Eltern über euren Aufenthaltsort belogen und eure Informationen nicht an die Polizei weitergeleitet. Ich wünschte, ich könnte euch zu eurem Mut in dieser Sache mehr gratulieren, aber ihr seid ein enormes Risiko eingegangen! Ihr hattet Glück, dass euch der Kerl nicht einfach über den Haufen geschossen hat! So sehr ich Erics Befreiung begrüße, ich kann mich nicht vor euch aufbauen und sagen: Das wird keine Konsequenzen haben, macht euch keine Sorgen. Nur weil wir daran gewöhnt sind, dass ihr verrückte Dinge anstellt, heißt das nicht, dass ihr einen Freibrief für diese verrückten Dinge habt. Randy und Sharon werden vermutlich in Ohnmacht fallen..." Mr. Broflovskis vorwurfsvoller Blick ließ Stan den Kopf senken. „...und was Stuart und Carol betrifft..." Er linste zu Kenny, der nicht besonders schuldbewusst wirkte. „...Na ja, die beiden dürfte es nicht so sehr kümmern...dafür deine Geschwister."

Der Blondschopf biss sich auf die Lippen, verblüfft, dass Mr. Broflovski im Bilde darüber war, welche Mitglieder seiner Familie ihm wirklich etwas bedeuteten. Kyle war ebenfalls ein wenig überrascht. Er vergaß gern, dass sein Vater, mochte er auch unter der Knute seiner Frau stehen, ein fähiger Anwalt mit viel Erfahrung und Menschenkenntnis war.

„...Genug der Ermahnungen. Ich bringe euch jetzt nach Hause."

„Warte, Dad! Was ist mit Cartman?"

Gerald runzelte die Stirn und betrachtete das unglückliche Gesicht seines Sohnes. „Kyle. Wir können im Moment nichts für ihn tun. Du hast Blut gespendet; das muss genügen. Eric wird wahrscheinlich gerade operiert, der Arzt ist also bei ihm. Später, wenn es ihm wieder besser geht, kannst du ihn bestimmt besuchen."

„Aber... aber...!"

Stan legte den Arm um seinen besten Freund. „Beruhige dich, Kumpel. Dein Dad hat recht. Wir können Cartman jetzt nicht helfen. Wir haben ihn gerettet, das ist schon viel wert. Hey, er ist ein zäher Brocken... er lässt sich von sowas nicht unterkriegen. Außerdem schuldest du ihm eine Entschuldigung. Allein dafür wird er gesund werden. Und dann ist da noch seine Mutter... glaubst du nicht, dass sie wissen möchte, was mit ihm passiert ist?"

„Schwester Morris hat versucht, sie anzurufen, nachdem sie Dad benachrichtigt hatte, aber Mrs. Cartman ist nicht ans Telefon gegangen. Vielleicht ist sie beim... beim Arbeiten."

„Ich werde bei Liane vorbeischauen, sobald ich jeden von euch daheim abgeliefert habe. Los jetzt, ab ins Auto. Es bringt absolut nichts, nutzlos hier herumzusitzen!"

„Ins Auto...? Ah, ja! Äh, Dad...?"

„Was denn noch?"

„Wir haben mein Auto benutzt, als wir zum Versteck des Killers gefahren sind und ich habe es ein paar Straßen von dort entfernt geparkt. Dann hat uns der Krankenwagen mit hierher gebracht und deshalb... steht mein Auto jetzt noch genau da, wo ich es abgestellt habe..."

Gerald seufzte erneut und die Falte auf seiner Nasenwurzel vertiefte sich.

„Du bist manchmal sehr anstrengend, Sohnemann."

Sie erreichten die Broflovski-Familienkutsche. Der Sohnemann, verlegen und wortlos, stieg auf der Beifahrerseite ein, während Stan hinten Platz nahm. Kenny, der gerade die Tür öffnete, hielt plötzlich mitten in seiner Bewegung inne, drehte sich um und starrte in die Dunkelheit.

...Nichts.

Was... was hatte er da gespürt? Es hatte sich irgendwie vertraut angefühlt... Konnte das dieselbe unheimliche Präsenz gewesen sein wie damals auf Butters‘ Geburtstagsparty...? Sie war nicht dämonisch, aber etwas an ihr verstörte den Engelwächter.

„...Steig endlich ein, Junge!", weckte ihn Mr. Broflovskis Stimme aus seiner Versunkenheit. Er kletterte hastig zu Stanley auf den Rücksitz und schnallte sich an. Die seltsame Aura schwächte sich langsam ab, dennoch empfand er die Bösartigkeit in ihr sehr viel klarer als jemals zuvor.

„Ist... ist alles in Ordnung, Ken?"

„...Ich... ich weiß es nicht..."

Der Motor wurde angelassen und der Wagen fuhr davon. Keiner der Insassen bemerkte die schwarzgekleidete Gestalt, die aus dem Schatten eines Hauses hervortrat und ihnen mit dem Blick folgte, ein grausames Lächeln auf den Lippen.

»Es wird nicht mehr lange dauern, Auserwählte. Ich warte voller Ungeduld auf unsere erste Konfrontation. Die Tage eurer Welt sind gezählt.«
 


 


 

*duckt sich vor den Tomaten*

Ja, ich bin gemein. Tja, also das war Kapitel 11, der Song darin stammt von Stephen Speaks. Ich würde vorschlagen, ihn beim Lesen anzuhören - und ich bin neugierig, was Ihr von der Enthüllung bezüglich der Identität von Bebes Verehrer haltet. Wart Ihr überrascht? Das ist ein echtes Crack-Pairing, aber die Kombination ist so interessant. Ich habe das noch nirgendwo gesehen, ganz ehrlich! Und ich bin fast verzweifelt mit Gregorys Familiengeschichte, weil man in Canon absolut nichts über seinen Hintergrund erfährt. Für diejenigen, die sich nicht mehr an die unheimliche Präsenz vom Schluss erinnern, möchte ich empfehlen, noch einmal das Ende von Kapitel 4 und den Anfang von Kapitel 7 zu lesen. Soviel also für diesmal. Ich hoffe wirklich, dass das nächste Kapitel nicht so furchtbar lange braucht. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! *verbeugt sich*



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Klein_Ryu
2015-11-03T21:11:27+00:00 03.11.2015 22:11
bitt bitte ganz schnell weiter <3
ich liebe diese story einfach *-*
Von:  Schizo_Squalo
2015-08-05T18:59:16+00:00 05.08.2015 20:59
....YAY Erste ist.

Geiles Kapi ich liebe es wie bebe abgeht.
Nur so aus neugierde...war es beabsichtigt das man sich beim letzten Absatz umdreht weil man TOTAL das Gruselfealing hatte?

Weil ich hab grade echt ne Gänsehat und aus vorsicht alle Lichter im Zimmer angemacht.



Und genau deshalb is das Kapi echt geil. kann kaum erwarten das es weitergeht.


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