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Von Via zu Tod

Nicht dem Leben mehr Tage hinzufügen, sondern den Tagen mehr Leben geben.
von

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Memento Mori

»Er hat es geschafft dich dazu zu bringen ihn zu verschonen. Du hattest ihn gern.«
 

Der kleine, blonde Junge lag reglos am Boden. Sein Kopf stand in einem unnatürlichen Winkel ab und er hatte eine große Platzwunde auf seiner Stirn. Er war tot. Tod blickte kühl zu dem Kind runter, das gerade sein Leben verloren hatte. Für den Kleinen wich nun jede Farbe aus der Welt und alles Lebende würde für seine Augen verblassen. Langsam verließ der blonde Junge seinen Körper, bereit alles Irdische hinter sich zu lassen. Zumindest sollte das so im Optimalfall laufen. Doch der Junge schien das anders zu sehen. Sein Blick raste wild umher auf der Suche nach jemanden, den er nicht entdecken konnte. Während sich seine großen blauen Augen langsam mit Tränen füllten, stolperte er fast über seine Füße.

»Mama…« Natürlich antwortete niemand.

»Mama! Wo bist du?« Der Kleine drehte sich im Kreis, doch niemand war da. Abgesehen von dieser einen Gestalt. Umgeben von einer nahezu grauen und tristen Aura stand er reglos da, sein dunkles Antlitz ihm zugewandt. Kenny überlegte nicht lange. So schnell ihn seine kleinen Füße tragen konnten, stürmte er in die Richtung des Mannes und schlang seine dünnen Arme um den Teil seines Körpers, der eigentlich hätte Bein sein müssen. Doch Tod, in seinem Kapuzenmantel hatte unter dem Stoff nichts, was für einen Lebenden greifbar gewesen wäre. Keine Beine, keinen Körper. Doch der kleine Junge war tot. Wie sollte er also nicht den Tod persönlich berühren können – für gewöhnlich tat das allerdings keiner. Der Körper des kleinen Jungen wurde von wilden Schluchzern geschüttelt und aus seinem Mund drang kein einziges verständliches Wort. Tod neigte seinen Kopf leicht in die Richtung des Kindes und beugte sich allmählich herunter. Der Junge weinte immer noch bitterlich.

»I-ich bin gefallen…! «, wimmerte er leise und presste sein Gesicht gegen Tods Mantel. Dieser verzog merklich das Gesicht. Er war es nicht gewohnt angefallen zu werden. Diese großen unschuldigen Augen, musterten ihn so ohne Vorwürfe, mit einer so banalen Empfindung von Schmerz, dass Tod einen Moment brauchte um zu erkennen, dass der Kleine offensichtlich nicht verstanden hatte, dass er gerade gestorben war.

»Junge.«Tod kam gar nicht dazu weiter zu reden, denn der Blondschopf schien seine eigene Sprache wieder gefunden zu haben. Schniefend rieb er sich einmal über die Augen und musterte den Fremden kurz.

»Es tut weh.« Tod zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Der Junge war tot. Er konnte sich lediglich einbilden noch so etwas wie Schmerzempfinden zu haben. Er öffnete gerade den Mund, als ihm klar wurde, dass er nicht den geringsten Schimmer hatte, was er darauf antworten sollte. Das Kind starrte ihn vollkommen überzeugt an, ohne auch nur ein bisschen Angst vor ihm zu haben. Offensichtlich sah der Kleine ihn als irgendeinen Passanten, der gerade vorbeigekommen war. Die Finger des Blonden bohrten sich fest in den Mantel des Fremden, während sich ein erwartungsvoller Ausdruck in dessen Augen legte.
 

»Kannst du nicht pusten? Wenn Mama das macht, tut es nicht mehr so doll weh.« Der Blonde schaute traurig zu seinen Füßen, wobei sein gebrochenes Genick ein hässliches Geräusch von sich gab. Auf Tods Lippen kräuselte sich langsam ein Lächeln. Er konnte selber nicht sagen woher es so plötzlich kam, doch etwas an dieser einfachen Frage hatte ihn berührt. In all den Jahren hatte ihn noch nie jemand gefragt, ob er mal pusten konnte. Noch nie hatte man ihn derart unschuldig und ohne Vorurteile gebeten zu helfen. Ohne wirklich darüber nachzudenken schloss er seine Arme um das Kind und hob ihn auf seine Arme. Ein rasselnder Atem verließ seine Kehle und ließ die Wunde schlagartig verschwinden.

»Ist es jetzt besser?«, in Tods Stimme zeichnete sich das erste Mal seit tausenden von Jahren so etwas wie Mitgefühl ab. Der Kleine nickte vorsichtig und wischte sich die letzten Tränen vom Gesicht. Schließlich war er ein angehender Mann. Und Männer weinten nicht.

»Danke… Aber erzähl meiner Mama bitte nichts, die sagt ich soll nicht mit Fremden sprechen.«
 

»Hey!« Kenny schaute auf. Der Mann war verschwunden, stattdessen stand nicht weit entfernt ein kleines Mädchen, die die Augen erschrocken aufgerissen hatte.

»Ist alles okay?«, in Windeseile war das brünette Mädchen zu ihm hingestürmt und beugte sich zu ihm runter.

»Mh… Was soll sein, a-also ich hab nicht geweint, wenn du das meinst.«, der Blonde hatte plötzlich das Gefühl sich vor dem gleichaltrigen Mädchen rechtfertigen zu müssen, doch diese achtete gar nicht auf seine Worte.

»Bi-bist du da gerade aus dem Fenster gefallen?« Etwas zittrig reichte ihm das Mädchen die Hand.

»Ähm, ist nicht passiert. Hat auch gar nicht wehgetan. « Der Blonde biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Die Brünette schien nicht mitbekommen zu haben, was der Typ hier gerade gemacht hatte und das war auch gut so. Das wäre ja peinlich!

»Ich bin Kenny.« Die Kleine griff nach seiner Hand und lächelte immer noch ein wenig zweifelnd.

»Kaylee.«
 

Tod erinnerte sich. Kopfschüttelnd drehte er sich zu seiner Schwester und begann sich die Schläfen zu massieren.

»Das ist der Grund?« Leben nickte überzeugt und griff nach Tods Hand. Im Gegensatz zu ihm war ihre Haut warm und lebendig.

»Ich habe dich beobachtet und eigentlich hatte ich gedacht, dass…«

»Dass ich mich geändert hätte.«, komplimentierte Tod den Satz seiner Schwester und schüttelte den Kopf.

»Aber das hattest du nicht.«, fügte sie nun trocken hinzu und schloss die Augen,

»Ich habe erkannt, dass wenn ich dich ändern will…« Leben sprach es nicht aus. Es war klar was sie sagen wollte. Damals als sie Hoffnung geschöpft hatte, dass Tod doch etwas für die Lebenden übrig haben könnte, hatte er diese erbarmungslos zerschmettert indem er wieder in seinen alten Trott verfallen war. Doch ab diesen Zeitpunkt hatte Leben gewusst, dass Tod die Menschen zumindest nicht gleichgültig sein konnten, aber um etwas in dem festgefahrenen Gemüt ihres Bruders zu verändern, bedurfte es einfach härterer Maßnahmen, als ein sterbendes Kind. Das was er gebraucht hatte, war eine Irrfahrt in die Welt der Menschen. Doch um ein Wesen wie ihn in die Menschenwelt zu locken, musste man schon ziemlich drastisch vorgehen. Deswegen hatte sie es zugelassen, dass Kenny sich immer und immer wieder in den Tod stürzte und doch nicht starb. Im Nachhinein tat es ihr um den Menschenjungen furchtbar leid. Sie hatte sein Schicksal besiegelt, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hatte darauf einzuwirken. Tod bedeckte seine Augen mit einer Hand und lächelte resignierend.

»Ich verstehe.«
 

»Hey Damien! Da bist du ja wieder. Ich dachte schon du bist einfach abgehauen, ohne dich zu verabschieden, Alter.« Kenny kippelte auf seinem Stuhl hin und her und hielt sich mit einer Hand am Küchentisch fest. Tod erwiderte einen Moment nichts. Stattdessen setzte er sich ruhig auf dem gegenüberliegen Platz und faltete in alter Manier die Hände ineinander.

»Ich werde dich mitnehmen, Kenny.« Die Worte waren wie von selbst über seine Lippen gekommen. Warum auch immer jetzt, aber dies war der Zeitpunkt. Es war der richtige Zeitpunkt, um den Jungen, Kenny, mit in sein Reich zu nehmen.

»Du… du bist hier um mich mitzunehmen? Wie… wie meinst du das? Wohin willst du mich denn mitnehmen?«

»Ich bin der Tod.« Der Blonde zögerte einen Moment und starrte den Mann einen Moment lang so an, als wäre er verrückt geworden. Kenny lachte freudlos auf. Sein Mund war trocken geworden. Das war doch Unsinn! Kaylee hatte recht gehabt, dieser Mann hatte sie nicht mehr alle beisammen und er hatte diesen Irren auch noch in sein Haus gelassen. Mit einem Mal kamen dem Blonden wieder die Erinnerungen an den Tag, an dem er vom Dach gefallen war und geglaubt hatte jemanden zu sehen. Es schien alles zu passen. Die Gestalt, dieses Gesicht, die Aura…
 

»Du lügst!« Kenny schlug den Arm des Mannes beiseite und musterte ihn mit großen Augen. Er wusste, dass er nicht log. Er wusste es einfach. Da war diese banale Endgültigkeit in seinen Worten, die jeden Zweifel aus Kennys Gedanken löschte. Aber dennoch verschloss sich der Blonde vor der Wahrheit. Wie oft war er gestorben? Zu oft und immer war er aufgewacht. Und jetzt? Jetzt sollte sein Leben einfach so zu Ende sein? Tod seufzte schwer und reichte dem Blonden vorsichtig die Hand.

»Komm mit mir. Es ist an der Zeit.«, er sparte es sich zu sagen, dass es schon längst an der Zeit gewesen wäre. Schon zu oft war er davon gekommen. Er richtete sich langsam auf und musterte Kenny mit seinen undurchdringlichen grauen Augen. Doch Kenny zögerte. Langsam schüttelte er den Kopf und stand ebenfalls auf. Zittrig wich er einige Schritte zurück und wäre dabei fast gegen einen Schrank gelaufen.

»Nein… Du… Du musst dich irren
 

»Ich irre mich nicht.« Tods menschliche Hülle schien wie Papier von ihm abzublättern. Alles an ihm wirkte plötzlich anders. Unstimmig zu der Welt der Lebenden. Wie eine groteske Gestalt aus einem schlechten Horrorfilm wandte er sich langsam Kenny zu und glitt auf eine unnachahmliche Weise auf den Blonden zu.

»Es tut mir leid, Kenny, aber es gilt eine Ordnung einzuhalten.«

»A-aber, ich bin doch gerade mal neunzehn!«, Kennys Stimme überschlug sich fast. Sein Körper zitterte.

»Ich… Ich muss doch noch so viel machen! « Kenny dachte an Kaylee, die einen anderen Freund hatte, an seine Zukunft, die er nicht in einem Labor verbringen wollte, an all die Sachen die er doch noch nicht getan hatte, an all die Orte die er noch nicht sehen konnte. Tod schüttelte bedächtig den Kopf. Es war das erste Mal, dass ihm diese Entscheidung nicht leicht viel. Es war allerdings die einzig Richtige und auch Kenny wusste das.

»I-ich will noch nicht sterben, verstehst du?«, Kenny hatte die Augen geschlossen und musste gegen den Drang ankämpfen nicht einfach loszuschreien. Seine Hände verkrampften während sein Blick den von Tod nervös erwiderte.

»Komm mit mir, Kenny.« Der Dunkelhaarige streckte dem blonden Jungen abermals die Hand entgegen. Wie inständig er doch hoffte, dass der Junge es ihm nicht noch schwerer machen würde, als es ohnehin schon war. Kenny schaute Tod mit einem ausdruckslosen Blick an. In seinem Kopf schwirrten tausend, abertausende Gedanken, die sich in keine Ordnung bringen lassen wollten und doch unwiderruflich auf einen finalen Punkt zusteuerten. Er würde sterben. Sterben. Die Erkenntnis traf ihn mit so einer Wucht, dass er seine Schultern schlagartig hängen ließ und seinen Blick unverwandt zu Boden richtete. Völlig resigniert griff er nach Tods Hand, ohne auch nur ein Geräusch von sich zu geben.

»Mein Leben war verschwendet.«

»Sag so etwas nicht, Kenny. Eine gute Freundin von mir würde das gar nicht gerne hören.« Tod beugte sich ein Stück runter, um in die Augen des Blonden schauen zu können und tatsächlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen.

»Du hast mehr bewegt, als du dir vielleicht vorstellen kannst.« Vermutlich konnte sich der Mensch nicht im Geringsten einen Reim darauf machen was er vollbracht hatte. Doch Tod würde es nicht vergessen. Er würde zu schätzen wissen, was Kenny wohl nie verstehen würde. Tod hatte sich verändert und gelernt diese Welt mit anderen Augen zu sehen.

»Und dafür, Kenneth Hawker, danke ich dir.« Kenny schwieg und nickte leicht. Er hatte wirklich keinen blassen Schimmer was genau er gemacht hatte, aber er nahm es still hin. Es war einfach nicht der Moment für Fragen, dessen Antwort er sowieso nicht verstehen konnte. Das alles war so viel größer als er selbst und viel weiter, als er sich es hätte je erträumen können.
 

»Was…Was kommt jetzt?« Tod schaute den Jungen einen Moment verständnislos an.

»Also… Jetzt wo ich tot bin.«, die Worte waren nur schwer über ihn gekommen. Tot. War er wirklich tot? Wie albern das doch klang. Eigentlich fühlte er sich mehr denn je wie in einem unerklärlichen Traum, aus dem er einfach nicht mehr aufwachen konnte.

»Ach, Kenny. Wenn ich dir das jetzt sagen würde, wäre es doch keine Überraschung mehr, oder?«

»Glaubst du sie sind traurig?« Kenny warf einen Blick zu Decke, die vor seinen Augen immer mehr zu verschwimmen begann. Würde es seinen Eltern überhaupt auffallen?

»Das weiß ich nicht.«
 

»Jetzt wo ich tot bin… Hätte ich gerne noch Mal mit meinen Eltern geredet.«

»Mh…?«

»Um sie zu fragen, wo sie waren, als ich noch gelebt habe. Vielleicht hätte es nie soweit kommen müssen.«

»Vielleicht.«, bestätigte Tod knapp und musterte die Jungen einen Moment. Erstaunlich wie ihn dieses kleine Abenteuer verändert hatte. War es das was Leben gewollt hatte? War das der Bezug von dem sie immer und überall sprach?

»Wird es wehtun?«, wie oft hörte man den Satz in irgendwelchen Filmen. Doch jetzt wo es für ihn soweit war, brannte ihm diese eine Frage im Kopf, von der er das Gefühl hatte sie stellen zu müssen. Tod lächelte fast ein bisschen nachsichtig und warf Kenny einen vielsagenden Blick zu.

»Nein.«

Kenny lächelte beruhigt und musterte den Dunkelhaarigen einen kurzen Moment.
 

»Dafür, dass du der Tod bist, bist du in Ordnung.« Der Blonde atmete noch einmal tief ein, bevor sich ein freches Lächeln auf seinen Lippen stahl.

»Schätze ich.« Tod erwiderte sein Lächeln und schloss einen kurzen Moment die Augen.
 

»Für einen toten, neunzehnjährigen Bengel bist du auch ganz okay.«



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