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Digimon Pandaemonium

Zwischen Schatten und Licht
von

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Folge 6: Déjà-vu

Russland, St. Petersburg, 7. Juli, Samstag, 9:30 Ortszeit, UTC +4
 

Sie schreckte hoch, wollte mit einer Hand nach der Handlehne greifen und sich mit der andern am Sitz abstützen. Doch da war keine Lehne und ihre Hand griff ins Leere. Da war kein Sitz, in dem sie zusammengesunken war. Nein, sie lag in einem Bett, umgeben von flauschigen Kissen und unter einer leichten Decke, die das Motiv einer fetten Katze zierte. Hektisches Ticken drang an ihr Ohr. Ticken von unzähligen Uhren, von denen keine genau gleich tickte wie die anderen in diesem Raum. Es war unmöglich zu sagen wie lange eine Sekunde wirklich dauerte, wenn man sich nicht auf den Zeiger einer der Uhren konzentrierte.

Doch das waren zu viele Gedanken für diesen Morgen. Ein leichter Druck an ihren Schläfen sagte ihr, dass sie erst wach werden sollte, bevor sie sich mit derartigen Dingen beschäftigte. Sie schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Leicht unsicher auf den Beinen schleppte sie sich zum Fenster und öffnete es. Heute war einer von den zehn Regentagen, die dieser Monat jedes Jahr durchschnittlich haben sollte. Seltsam, ihr schien es, als würde es viel mehr davon geben. Ein Blick auf das Thermometer sagte ihr, dass die Temperaturen auch schon einmal besser gewesen waren. Nun gut, auch das war nichts Neues.

Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Bett zu, zog ihre Reisetasche darunter hervor. Das Ding war gerade klein genug, um noch als Handgepäck durchzugehen. Mehr hatte sie auch nicht gebraucht, sie hatte keinen aufwändigen Urlaub, sondern nur ein Wochenende bei ihren Großeltern geplant gehabt. Und es war Zeit, um wieder nach Novosibirsk zurückzukehren. Sie hatte davon geträumt.

Sie hatte geträumt im Flugzeug zu sitzen und total verschlafen zu haben.

In der Wohnung war es noch still. Ihre Großeltern waren keine Frühaufsteher, daher hatte sie alle Zeit der Welt, um sich im Badezimmer fertig zu machen, obwohl sie nicht länger als eine halbe Stunde benötigte. Nur noch ein wenig Make-up… Mit dem Ellbogen stieß sie an das Glas, das auf der Ablage stand, stieß es um und das Wasser, in dem die Zähne ihrer Großmutter genächtigt hatten, ergoss sich über Wattebäusche und Medikamentenschachteln.

Déjà-vu.
 

13:30 Ortszeit
 

Das laute Klackern ihrer Absätze begleitete sie, während sie die Treppe nach unten eilte. Zum Glück lag die Wohnung ihrer Großeltern dicht an der Metrostation. Sie stieß die Haustüre mit einem Ruck auf und Schritt die einzelne Stufe hinab, blieb einen Augenblick stehen, um einen Blick über die altertümlichen Fassaden der gegenüberliegenden Häuser gleiten zu lassen. Sie liebte diese Stadt um ihres Prunkes Willen und fühlte sich hier wohl. Doch dafür blieb nun keine Zeit. Mit schnellen Schritten, aber nicht so hastig, als dass es ausgesehen hätte, als wäre sie übermäßig in Eile, machte sie sich auf den Weg die Furshtatskaya Ulitsa entlang, bog an der nächsten Ecke nach links ab und sah schon den Eingang zum St. Petersburger Untergrund vor sich.

Obwohl der Regen nachgelassen hatte, fühlte sich die Kleidung auf ihrer Haut feucht an, als sie das Gebäude betrat und sich sofort in einem unmöglichen Gedränge wiederfand. Das laute Geräusch ihrer Schuhe auf dem gräulich gefliesten Boden fiel kaum auf, wurde von den Geräuschen der Menschen um sie herum übertönt. Geschickt angelte sie eine Hand voll Münzen aus ihrer kleinen Handtasche und drängte sich an einigen missmutig dreinblickenden Männern vorbei. Der Geruch von Schweiß und Alkohol lag in der Luft und unwillkürlich verzog sie das Gesicht vor Ekel, während sie der Frau hinter der Glasscheibe das Geld entgegen schob. Im Austausch dafür erhielt sie eine Münze, auf der ein großes M prangte. Sie unterließ es sich zu bedanken – die Frau hätte es ohnehin nicht zu schätzen gewusst – und wandte sich ab, schritt auf eines der Drehkreuze zu, die sie von der Untergrundbahn trennten.

Während ihre Finger mit der Münze spielten und sie darauf wartete, dass die Menschen vor ihr endlich durch das Kreuz waren, waren ihre Gedanken bereits in den überfüllten Zügen, die tief unter der Erde von einem Ende der Stadt zum anderen brausten. Peinlichst darauf bemüht das Gerät nicht zu berühren, warf sie ihre Fahrmünze in den vorgesehen Schlitz und schritt durch das Drehkreuz. Alleine von der Menge der Menschen, die sich auch auf dieser Seite befanden, wurde sie auf die scheinbar endlos in die Tiefe führende Rolltreppe geschoben.

Die St. Petersburger Metro war die tiefste in ganz Europa. Endlos lange schien sich die Rolltreppe nach unten zu winden, endlos viele Menschen zu transportieren und einen Augenblick fragte sie sich, wie jeder von ihnen in diese Züge hineinpassen sollte? Es schien ihr unmöglich.

Ewigkeiten später fand sie sich in der Halle unter der Erde wieder. Die Station war einfach, stilvoll, frei von dem Prunk, der so manch anderen Ort in dieser Stadt kennzeichnete. Kaum hatte sie die Halle betreten, konnte sie das Rattern eines einfahrenden Zuges hinter den geschlossenen Türen hören, die ihr den Blick auf die Schienen verwehrten. Sie hatte Glück, es war der Zug in ihre Richtung. Gemeinsam mit unzähligen anderen Menschen drängte sie sich durch die Türen, kaum dass diese sich geöffnet und den Blick auf den bereits überfüllten Zug freigegeben hatten. Sie zwängte sich zwischen den Menschen hindurch, versuchte einen Platz zu finden, an dem sie dem Gedränge entkam – zwecklos. Nun, immerhin umfallen konnte sie nicht mehr.

Erst als es Zeit wurde, um sich aus dem Zug zu drängen, bereute sie es nicht in der Nähe des Einganges geblieben zu sein. Sie fluchte stumm vor sich hin und stolperte schließlich in die Stationshalle. Für den Marmor an den Wänden und die aufwändige Dekoration der Station hatte sie wenig übrig, stattdessen blieb ihr Blick an der digitalen Uhranzeige hängen, die ihr verriet, dass sie noch ganze zwei Minuten auf den nächsten Zug warten musste. Nun, immerhin musste sie die Halle nicht wechseln, sondern lediglich auf den anderen Bahnsteig zustolzieren.

Auch das Gedränge in diesem Zug war in Worten unbeschreiblich. Leise seufzend drehte sie sich um, um den Zug zu verlassen, als ein älterer Mann sie anrempelte und zur Seite stieß. Beinahe wäre sie umgeworfen worden, doch es gelang ihr sich zu halten, allerdings fand sie sich in den Armen eines weiteren Fremden wieder. Verdutzt sah sie in die braunen Augen des Fremden. Woher kannte sie ihn? Mit einer gemurmelten Entschuldigung auf den Lippen riss sie sich los und stürzte an der nächsten Station aus dem Zug und lehnte sich an die kühle, graue Wand der Moskovskaya. Sie musste erst einmal tief durchatmen, ihre Gedanken beruhigen. Was war nur los mit ihr?

Déjà-vu.
 

15:30, Ortszeit
 

Die Fahrt zum Flughafen war ereignislos verlaufen, hatte ihr geholfen ihre strapazierten Nerven wieder zu beruhigen. Als sie am Pulkovo Flughafen angekommen war, hatte sich das schlagartig geändert. Es war, als hätte sie all dies schon einmal gesehen, schon einmal erlebt. Als wäre heute nicht heute, sondern bereits die Vergangenheit.

Nun blieb ihr allerdings nur wenig Zeit, um darüber nachzudenken, denn es wurde Zeit, um sich auf den Weg zum Gate zu machen.

Sie hatte mit keinen Problemen gerechnet und tatsächlich sollte es auch keine geben. Zum Glück. Erst als sie den Bus betrat, der sie zum Flugzeug bringen sollte, machte sich eine ungute Vorahnung in ihrem Inneren breit, die sie aber nicht wirklich greifen konnte. Ihre Kopfschmerzen kehrten zurück, während sie sich an ein Fenster lehnte und den Blick über die Maschinen gleiten ließ. Das dort hinten war ihre. Sie konnte nicht sagen woher sie das wusste, doch sie war sich dessen sicher. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass immer noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Abflug war. Leise seufzte sie. Sie liebte die Besuche bei ihren Großeltern, doch der Rückweg war zu lange, sie verlor zu viel Zeit durch die Zeitverschiebung. In Novosibirsk wäre es schon nach drei Uhr morgens, wenn sie ankam. Dann hatte sie nur wenige Stunden, um zu schlafen und rechtzeitig zum Mittagessen bei Kostja vor der Türe zu stehen.

Der Gedanke an ihn zauberte ihr unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen. Aber erst standen ihr ein Flug nach Moskau und von dort in ihre Heimatstadt bevor. Und drei Stunden Zeitverschiebung, die mit schlafen so viel besser genutzt wäre.
 

Südafrika, Kapstadt, 7. Juli, Samstag, 12:15 Ortszeit, UTC +2
 

Nachdenklich malte er Achterschlaufen auf ein Blatt Papier, während sein Blick an der großen Fensterfront hing und scheinbar auf den weißen Segeljachten zu liegen schien. Doch eigentlich nahm er sie gar nicht wahr, viel mehr ging sein Blick durch sie hindurch, schien sich irgendwo in unendlicher Ferne in die Erde zu bohren, als hoffe er dort auf das zu stoßen, das er suchte. Klarheit.

Doch genau diese Klarheit schien es im Augenblick nicht zu geben. Er hob den Blick, als seine Mutter den Raum betrat. Nein, vielmehr schwebte sie in das Zimmer, ihre leichten Schritte verursachten auf dem Parkett nicht den geringsten Laut. Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln, bevor sie nach einem Buch griff und den Raum genauso leise und anmutig wieder verließ. Zurück blieb nur ein sanfter Geruch nach Mandeln, der einzige Hinweis, dass sie mehr als eine übernatürliche Erscheinung gewesen war. Sein Blick fiel auf das schnurlose Telefon, das in seiner Halterung stand. Beinahe wollte er beginnen die Sekunden zu zählen, die es noch brauchte, um zu läuten, doch das erübrigte sich, als das Gerät vor sich hinzudüdeln begann. Es wunderte ihn nicht, dass sein Vater die Türe aufriss und nach dem Telefon griff, ihm bedeutete sich gefälligst aus dem Raum zu verziehen.

Er nahm sein Blatt Papier mit sich und schlurfte in sein Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ sich leise seufzend auf das Bett fallen. Er schloss die Augen, als könnte das die Realität von ihm fern halten, doch es half nichts. Erbarmungslos stürmte sie auf ihn ein, als leises Klopfen aus der Richtung seiner Tür zu hören war. Seine Mutter. Er wusste, dass sie es war. Er wusste, dass sie ihn bitten würde ihr mit dem Essen zu helfen.

Déjà-vu.
 

18:20 Ortszeit
 

Er saß vor dem Computer und überlegte gerade ein neues Spiel zu starten, doch was erhoffte er sich eigentlich? Etwas war nicht in Ordnung, es schien, als wäre etwas an der Zeit durcheinander geraten. Jedes Gespräch, das er geführt hatte, jede Handlung. Als wäre es schon einmal da gewesen. Ganz verstand er es nicht, aber er wusste sich nicht zu helfen. Mit einem Seufzen klickte er seinen Charakter erneut an. Ihm war langweilig. Also doch spielen. Er wartete darauf in die Runde gelassen zu werden.

Invalid.

Kurz starrte er den Schriftzug an. Warum? Daran konnte er sich nicht erinnern. Vielleicht war dieser Tag doch anders als der letzte?

Obwohl ihm das Spiel offensichtlich den Zugang verweigerte, erhaschte er einen Blick auf die Spielerliste. Er kannte nur einen einzigen der Namen, die sich dort fanden. ThunderFrog. Er stutzte kurz. Ihm schien es, als wäre auch hier etwas nicht in Ordnung. Noch einmal blickte er auf die Spielerliste. Ja. Etwas war anders.

Er zählte. Es war ein Spieler zu wenig. Und er musste sich nur kurz das Gehirn zermartern, um zu erkennen wer fehlte. Er hatte gestern nur ein Spiel mit ThunderFrog gespielt, obwohl er mit dem anderen ansonsten gerne spielte. Ansonsten hatte er in dieser Runde nur FireDragon gekannt. Doch wo war dieser hingekommen?

Von seinem Namen fehlte jede Spur und auch eine Suche in der Mitgliederliste blieb erfolglos.

Er lehnte sich zurück, verschränkte die Hände vor der Brust. Was war nur passiert?
 

Kanada, Whitehorse, 7. Juli, Samstag, 14:20 Ortszeit, UTC -7
 

Mit den Fingern trommelte er auf der Tischplatte herum und starrte auf den Bildschirm seines Computers, versuchte herauszufinden was daran nicht stimmte. Vor sich sah er seine Freundesliste. Ganze einhundertsiebenundzwanzig Einträge umfasste sie und dennoch glaubte er, dass etwas fehlte. Es war das gefühlt hundertste Mal, dass er durch die Liste scrollte, ohne erkennen zu können was anders war als sonst. Schließlich blieben seine Augen an einem Namen hängen. RainDrop stand da in grauenhaft eckiger Schrift, die ihn immer wieder daran erinnerte, dass die Macher des Spieles zwar geniale Grafiker und Denker waren, ihnen hin und wieder aber der Sinn für Ästhetik fehlte. Dies war einer der Fälle.

Aus einer Laune heraus öffnete er das Profil der jungen Gamerin, doch abgesehen von dem kleinen Bildchen eines Regentropfens und einigen spärlichen Informationen, die in mindestens drei Sprachen verfasst sein mussten – Englisch, Russisch und noch etwas, das er nicht definieren konnte und wozu ihm noch kein Übersetzer etwas Passendes geliefert hätte – fand er hier nichts. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass gerade hier der Schlüssel seines Problems lag. Er überlegte kurz ihr eine Nachricht zu schicken, wusste aber, dass es sinnlos war. Sie hatte angekündigt einige Tage nicht da zu sein und er wusste nicht wann sie zurückkehren würde. Vor allem, da Zeit auch nicht mehr das zu sein schien, das sie einmal war.

So ließ er die Augen wieder über den kurzen Text gleiten, den das Mädchen geschrieben hatte. Und schließlich blieben sie an einer Reihe seltsamer Symbole hängen. Er überflog den Satz und stellte fest, dass er sogar Englisch war und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Nun wusste er was er gesucht hatte.

Er klickte ihr Profil und seine Freundesliste weg, zog weiter zur Mitgliedersuche.

IceWolf

Eine Zeit lang geschah nichts, während er darauf wartete, dass eine Information ausgespuckt wurde.

User with this name was not found.

Augenblicke lang starrte er den Schriftzug an und fragte sich, ob er träumte oder nicht. Aber eigentlich war es nicht die Zeit, um zu träumen. Was war passiert? Wo war der Kerl hingekommen? Er würde das Spiel doch nicht aufgegeben haben? Das konnte er sich nicht vorstellen, nicht IceWolf. Der war doch schon beinahe süchtig danach, anders konnte er es sich nicht erklären, dass der junge Russe zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten online war.

Nachdenklich lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und warf einen Blick auf den Wecker, der noch immer in dem Papierchaos lag. Vor allem passte es nicht. Dieser Tag schien zu verlaufen wie der vorherige. Selbst wenn IceWolf beschlossen haben sollte das Spiel zu lassen, er hatte es nicht gestern getan. Oder heute.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ich komme gleich!“

Er machte aber keine Anstalten sich zu bewegen. Aus irgendeinem Grund hing sein Blick wie gebannt auf dem Wecker, wurde beinahe magisch davon angezogen.

Er bückte sich hinab und hob das Ding hoch, betrachtete nachdenklich die Zeiger, die sich immer weiter bewegten. Irgendetwas sagte ihm, dass sich alles ändern würde, wenn der Minutenzeiger die dreißig erreicht hatte. Was ihm das sagte? Er wusste es nicht. Konnte es nicht definieren. Es war einfach so.

Es war als würde sein Leben davon abhängen. Eine seltsame Unruhe hatte von ihm Besitz ergriffen. Wenn er den Zeiger aufhalten könnte, er hätte es getan. Doch warum wusste er in jenem Moment noch nicht.

Der Minutenzeiger sprang um, erreichte die magische dreißig. Und nichts geschah. Beinahe enttäuscht ließ er den Wecker auf seine Knie sinken und wollte sich nach unten aufmachen, um zum Essen zu kommen. Gerade als er sich erhoben hatte, klopfte es an der Türe und seine Mutter steckte den Kopf herein.

„Dein Vater hat gerade angerufen. Du sollst ihm am Abend mit den Hunden helfen.“

Er hatte keine Zeit, um etwas zu erwidern. Sie war so schnell weg, wie sie gekommen war. Obwohl er hinunter gehen wollte, ließ er sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Gestern. Nein, eigentlich vorgestern.

Er drehte sich wieder zu seinem Computer um, ließ den Mauszeiger über die Uhrzeit gleiten.

14:35 Uhr, Freitag 6. Juli.

Ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinab. Nein.
 

Russland, Novosibirsk, 8. Juli, Sonntag, 03:20 Ortszeit UTC +7
 

Der Mann in dem schlichten grauen Anzug stand dort, wartete. Eigentlich hatte er seine Tochter nicht abholen wollen, es war nicht die richtige Uhrzeit dafür. Es hatte sich zufällig ergeben, doch nun musste er feststellen, dass ihr Flug sich wohl verspätet hatte. Zumindest fehlte von dem Mädchen jede Spur. Vielleicht brauchte sie nur etwas länger, um vom Gate hierher zu gelangen? Er wusste es nicht, aber ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er zu müde war, um lange darüber zu philosophieren.

Ewigkeiten schienen zu vergehen und immer noch fehlte von ihr jede Spur. Sein Blick fiel wieder auf die Uhr. 4 Uhr morgens. Missmutig trat er an einen dieser gelangweilt herumlungernden Typen mit der nicht gerade schicken Uniform des Flughafens heran.

Wo denn der Flug von Moskau bleibe. Erst erhielt er keine Antwort, einzig einen gelangweilten, vielleicht leicht genervten Blick. Schließlich ließ sich der Bursche doch dazu herab einige Worte in sein Funkgerät zu knurren, doch die Antwort ließ einige Zeit auf sich warten. Und als sie endlich kam, verstand er, der Mann im Anzug, der auf seine Tochter wartete, kein Wort davon. Es musste sich um irgendeinen Code handeln, schloss er, denn das Gesicht des Burschen spiegelte alle möglichen Emotionen wieder, doch keine Unverständnis.
 

Südafrika, Kapstadt, 7. Juli, Samstag, 22:25 Ortszeit
 

Ein nachdenklicher Zug hatte sich auf sein Gesicht gelegt, während er vor dem Computer saß. Er rieb sich die Augen, doch ihm fiel nichts ein, das er noch nicht versucht hätte, um auch nur ansatzweise Logik in diese Sache zu bringen. Sein Kopf schmerzte und er wurde den Gedanken nicht los, dass es noch schlimmer kommen würde. Er wusste nur noch nicht wie.

Wahllos klickte er durch die Profile seiner Freunde und blieb schließlich bei ThunderFrog hängen. Kurz überflog er den Text, der dort stand und ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Doch dann, ganz plötzlich, verschwand der Text. Als wäre er plötzlich ausgelöscht worden.

This user does not exist.

Was sollte dass denn nun wieder?
 

„Verflucht…“

Das konnte Drag laut sogen. Kostja packte den anderen am Arm und zog ihn hinter sich her in den kleinen Wald hinein, der sich hier befand und diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient hatte. Viel mehr war es eine Ansammlung von knorrigen Dingen, die vielleicht in ihren früheren Leben Bäume gewesen waren.

Aber es erfüllte seinen Zweck, sie waren außer Sicht. Sein Blick fiel kurz auf den Körper des kleinen Digimons in Pierres Armen. Smemon war nach dem heftigen Angriff wieder zurück digitiert und Kostja nahm an, dass es so schnell nicht mehr einsatzfähig wäre. Was sie nun machen sollten, war ihm allerdings ein Rätsel.

„Dort hinten ist eine kleine Höhle“, teilte ihnen Vukmon mit.

Der kleine Wolf hatte die Gegend ein wenig ausgekundschaftet und kehrte nun zu ihnen zurück. Aus einem Grund, den weder Pierre, noch Kostja verstanden, hatte das Digimon den letzten Kampf so gut wie unbeschadet überstanden. Doch das tat nun wenig zur Sache.

So leise es ihnen möglich war folgten sie dem kleinen Wolf zu der Höhle und krochen hintereinander hinein. Es war stockdunkel, Kostja sah noch nicht einmal seine Hand, wenn er damit vor seinem Gesicht herumwedelte. Na toll…

„Mach mal Licht.“

„Wie denn?“

„Mit dem Digivice, du Idiot“, zischte Pierre.

Der Russe erwiderte nichts, sondern sorgte erst einmal für Licht. Er nahm an, dass es die Sorge um seinen Partner war, die den anderen aggressiv machte. Es würde ihm selbst wohl kaum anders ergehen, wenn er in dieser Situation wäre, daher schwieg er.
 

Ewigkeiten schienen zu vergehen, während sie in der Dunkelheit saßen.

„Hört ihr das?“

Kostja hob den Kopf, doch er konnte weder sehen noch hören was Vukmon gehört hatte.

„Nein“, antwortete Pierre an seiner statt.

Kostja konnte die Bewegungen des kleinen Wolfes an seiner Seite mehr erahnen, denn sehen. Unruhig scharrte es mit den Pfoten.

„Vielleicht sollten wir uns einmal ein wenig umsehen“, schlug Kostja vor. Er war lange genug mit dem anderen auf engstem Raum zusammengepfercht gewesen. Das sah auch Vukmon so und es sprang begeistert auf den Ausgang zu und war verschwunden bevor noch jemand ein weiteres Wort sagen konnte.

„Wir sind bald zurück.“

Wie sehr er sich doch täuschen sollte.
 

Angespannt lauschend schlichen die beiden durch die Dunkelheit, immer darauf bedacht kein verräterisches Geräusch zu verursachen. Selbst das Wolfsdigimon war erstaunlich ruhig, ja beinahe beängstigend ruhig. Die letzten Bäume wichen zur Seite und vor ihnen ragte eine steile Wand aus Fels in die Höhe.

„Sackgasse, wie es aussieht.“

Kaum hatten diese Worte seine Lippen verlassen, ging ein leichtes Beben durch die Erde, kaum wahrnehmbare Erschütterungen. Kostja blieben sie erst verborgen, doch Vukmon wich instinktiv einige Schritte zurück.

„Was ist los?“

„Hier ist… etwas.“

Kostja blieb keine Zeit, um genauer nachzufragen, denn in jenem Moment tat sich unter seinen Füßen eine Kluft auf, wuchs, als wolle sie ihn verschlingen. Ein Schrei verließ seine Lippen, als er in die scheinbar unendliche Schwärze hinab gerissen wurde. Und er fiel in die Unendlichkeit.
 

Zu seiner Erleichterung stellte Pierre fest, dass die Heilkräuter, die Gabumon ihnen mit auf den Weg gegeben hatte, wahre Wunder wirkten. Blacemon sah besser aus, als zu jenem Zeitpunkt, an dem sie die Höhle aufgesucht hatten. Erleichtert lehnte er sich zurück, doch er sollte die Ruhe nicht lange genießen können. Leise Stimmen drangen zu ihm durch. Er kannte sie nicht und sie klangen nicht unbedingt freundlich in seinen Ohren.

„…müssen wir sie finden und zum Schatten bringen.“

„Wozu? Früher oder später kommen sie von selbst. Wir haben das Mädchen.“

„Aber…“

„Diese dummen Menschen. Freundschaft. Als ob es so etwas geben könnte.“

Schweigen.

Pierre hielt den Atem an und kroch näher an den Ausgang der Höhle heran, doch immer noch konnte er keinen Blick auf die beiden Digimon erhaschen, die da sprachen.

„Aber wenn der Schatten wütend wird, bist du Schuld“, meinte die erste Stimme leicht trotzig.

Ein Lachen folgte dem und die Antwort konnte Pierre nicht verstehen. Flügelschlagen verriet ihm, dass sich die beiden Digimon wohl in die Luft geschwungen hatten, um zu ihrem Meister zurückzukehren. Oder zu tun was auch immer sie zu tun gedachten.
 

Wie in Trance saß sie da, unfähig sich zu bewegen, unfähig den Blick abzuwenden, unfähig einen einzigen ihrer Gedanken zu fassen, die durch ihren Kopf zu wirbeln schienen. Wenn man sie gefragt hätte, wer sie war, hätte sie nicht geantwortet. Hätte die Antwort darauf nicht gewusst. Und selbst wenn, sie hätte es nicht in Worte fassen können. Es war, als würde sich ihre Existenz nur um das drehen, das da vor ihr geschah. Um jenes seltsame Geschehen vor ihren Augen.

Gefangen in schattenhaftem Licht war sie, sie und ihre Gedanken. Vor ihr, in ebensolchen Schatten, ruhte ein Ei von seltsam dunkler, blauer Farbe. Es schien zu pulsieren, zu leben, obwohl es noch nicht geschlüpft war. Doch kleine Risse in der Schale zeigten, dass dies bald geschehen sollte. Da. Noch ein Sprung. Ein kleines, dunkelrotes Wesen kullerte daraus hervor. Sein Körper schien aus nichts weiter, denn Gummi zu bestehen, einzig die weißen Augen mit der glühend roten Pupille waren daran noch zu erkennen. Doch so sollte es nicht lange bleiben. Nur kurze Zeit, nachdem es geschlüpft war, wurde sein Körper größer, veränderte sich in dem dunklen Licht, aus dem er entstanden war. Kleine Ärmchen, ein Maul. Nur wenige neue Details, die doch ein ganz neues, einzigartiges Wesen daraus machten.

Doch wieder blieb es nur kurze Zeit wie es war. Der kleine Körper wand sich in Qualen, während es sich erneut veränderte. Ein harter Käferpanzer, aus dem sechs Beine hervorbrachen, glänzende Flügel, die die Dunkelheit spiegelten. Grausame, rote Augen, in denen die Mordlust lauerte.

Augenblicke vergingen und ein gequälter Laut verließ die Kehle des Wesens, getroffen von einem schwarzen Blitz wand es sich einige Momente, verging. Und zurück blieb nichts, als ein dunkles, blaues Ei, das in dem dunklen Licht leicht pulsierte, als würde es bald schlüpfen wollen.

Und eine einzelne Träne lief über das Gesicht des Mädchens, während sie dem schaute.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Alaiya
2012-07-31T14:19:05+00:00 31.07.2012 16:19
Und dann bin ich auch mit dem geschriebenem durch! :)

Generell muss ich sagen, dass ich die Geschichte bisher ziemlich gut fand und es auch sehr schade finde, dass sie bisher nicht weitergegangen ist und das seit... Naja, bald ist es schon ein Jahr.

Wäre gespannt wer die neuen Charaktere sind.
Übrigens interessant, dass die Digimon hier ihre Energie wohl weniger gut halten können, dass sie einfach auf Baby II zurückdigitieren.

Allgemein hab ich den Eindruck, dass du das Konzept sehr gut durchdacht hast. Auch die Digiwelt wirkte als solche sehr lebendig und interessant, so dass es mich sehr interessieren würde, was da denn noch kommt. :)

Kritikpunkte sind die beiden selben wie vorher: Wenig Charakterbeschreibungen und Absätze (gerade im letzten Kapitel war es wirr, weil ich bei den ganzen "ers" dann nicht wusste ob "er" nun ein neuer Charakter war oder nicht).

Aber ansonsten: Schöne Geschichte soweit.
Von:  PenAmour
2011-11-08T14:12:20+00:00 08.11.2011 15:12
Ach wie schön ein neues Kapitel.^^
Ich fand es zwar durchaus herausfordernd - durch die Perspektivwechsel innerhalb des Kapitels, aber passend "Wirr" - wenn man es so sagen möchte. Die neuen Charaktere bleiben für den Moment noch im Halbverborgen - gerade die Tatsache, dass du sie erst mal nur mit Online-Avataren nennst und sie an anderer Stelle in ihrer Umgebung zeigst, empfand ich als sehr reizvoll. Die Beschreibungen der Metrostation und das Drumherum waren sehr anschaulich.
Am anschaulichsten empfand ich aber das Ende - das Schlüpfen. Die Wortwahl hat mir gut gefallen und war bild- und klanghaft.
Einzig dem letzten Satz schein ein Wort zu fehlen, wenn ich mich nicht täusche?
Und eine einzelne Träne lief über das Gesicht des Mädchens, während sie dem schaute.[/i|
Hier und da waren einige Wortdopplungen, die man ausbessern könnte, aber im großen und ganzen nichts dramatisches. Meine Neugier ist geweckt, ich hoffe und warte auf das nächste Kapitel.
Bis dahin
PenAmour



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