Prolog
Die nackten Wände dieses heruntergekommenen kleinen Zimmers sind feucht und von Schimmel befallen. Niemand hat sich darum gekümmert. Genauso wenig, wie um diese alten, von Holzwürmern durchzogenen Stühle, die zusammenkrachen, sobald man sie nur ansieht. Oder um den Fußboden, der nur so mit Dreck überschüttet ist. Oder um die schmierigen Fenster, in dessen Ecken sich dicke Spinnen eingenistet haben. Niemand hat je darüber nachgedacht, einen Besen zur Hand zu nehmen oder einen Lappen und sauber zu machen. Niemand. Aber wer sollte das auch?
Jetzt sitze ich hier in diesem Schmutz, zwischen feuchten und mit Schimmel bedeckten Wänden, alten, zerfressenen Stühlen, Spinnen und Dreck und denke über den ersten Satz nach, mit dem ich die Geschichte beginnen möchte, die ohnehin niemand lesen wird. Ich weiß nicht warum mich plötzlich dieser Drang befällt, meine eigene Lebensgeschichte zu schreiben, doch er packt mich und zwingt mich förmlich dazu. Der Stift liegt fest in meiner zittrigen Hand.
Denk nach.
Ich denke nach, versuche mich zu erinnern, wie alles angefangen hat, versuche herauszufinden, welches das entscheidende Ereignis war. Nervös streiche ich mir die filzigen Haare aus den Augen, die mich schon eine ganze Weile am Denken hindern.
Denk nach.
Denk nach, verdammt!
Tausende von Bildern schießen mir durch den Kopf, doch keines ist das, was ich suche. Also stehe ich auf und laufe ein paar Schritte im Raum umher. Das hilft beim Denken. Bewegung ist gut, also bewege ich mich. Bewegung treibt den Motor des Gehirns an. Jetzt müssen mir die passenden Worte einfallen. Jetzt!
Na los doch!
Doch sie fallen mir nicht ein. Ich sehe zum Fenster herüber, aber ich kann nicht hinausschauen, weil es von Schlieren und Schmutz übersät ist. Kein durchsehen. Inspirierend ist es auch nicht, also starre ich die kleine Schreibtischlampe an, die schon seit einer Ewigkeit nicht mehr funktionsfähig ist. Die kleine Birne ist förmlich explodiert, als ich sie das letzte Mal angeschaltet hatte, wann immer das war. Eine Ewigkeit muss es her sein.
Mein Blick fällt auf die alte Uhr in der linken Zimmerecke. Sie ist stehengeblieben, an irgendeinem Tag, genau um 12:00 Uhr. Zeit. Zeit ist genau das, was ich im Überfluss habe und genau das, was mir fehlt. Genau das, was ich habe, aber nicht haben kann. Was für eine Ironie des Schicksals. Ich könnte mich wahrlich totlachen.
Ich schüttle meine Gedanken ab, denn sie sind nicht jene, die ich momentan denken möchte. Jetzt möchte ich bloß einen verdammten Anfang finden. Einen entscheidenden Satz. Ein Wort. Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich renne zu der Stelle zurück, an der ich bis eben noch hockte und suche verzweifelt nach Papier. Weißes Papier, auf das ich schreiben kann, bevor ich den Anfang wieder vergesse! Hektisch klemme ich mir den Stift zwischen die Zähne und durchwühle den Stapel mit den Zeitungen und Zeitschriften. Ich bin mir sicher, dass ich hier einen Block gesehen habe. Doch auch, als ich den Stapel zum dritten Mal durchgehe finde ich ihn nicht. Kein Papier. Kein Block. Aber er war hier, das weiß ich!
Hier!
Hier, verdammt!
Wütend trete ich gegen die Zeitungen und Zeitschriften, sodass sie quer durch das Zimmer fliegen, als seien sie zum Leben erwacht. Dann ziehe ich den Deckel des Stiftes ab und werfe ihn zur Seite. Ich muss es aufschreiben, jetzt, jetzt sofort! Schreib, schreib endlich! Mir ist bewusst, dass ich es jetzt tun muss, dass ich jetzt schreiben muss, dass ich es muss, muss, muss! Ich lasse mich auf den Boden sinken und suche zwischen den etlichen Dingen, die ihn bedecken nach etwas, auf dem ich schreiben kann. Und als ich eine kleine Stelle um mich herum freigeräumt habe, sticht es mir wie ein Messer ins Auge. Das ist es!
Ich muss…. Ich muss… Ich muss endlich…
Ich hebe den Stift und setze ihn an.
Muss endlich den Anfang schreiben!
Und plötzlich bewegt sich meine Hand wie von selbst und die Worte schreiben sich von allein auf das befleckte Laminat. Es ist nur ein kleiner Satz, doch er ist der richtige. Genau richtig! Perfekt! Denn ich kann auf ihm aufbauen, weiß jetzt, mit welchem Ereignis meines Lebens ich beginnen muss.
Also schreibe ich:
»Dean Jankens sah in den Spiegel und erstarrte, als ihm das rote Blut auffiel, welches dickflüssig aus seiner Nase rann...«