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62. Erinnerungen an damals

Langsam beuge ich mich vor und hebe das Bild auf, welches auf dem Boden vor mir liegt. Es ist ein Bild von mir und meinem Vater damals als wir auf Rügen waren, als ich elf Jahre alt war und wir im Strandkorb gefaulenzt und wie wild Mau-Mau gespielt haben. Meine Schwester und mein Bruder haben ab und zu auch mitgespielt, aber oft waren sie damit beschäftigt im Wasser zu toben und unsere Mutter in den Wahnsinn zu treiben.

Ich kann fast immer noch ihre Stimme hören wie sie ruft, dass wir nicht so weit heraus schwimmen sollen, weil sie keine Lust habe ins Wasser zu rennen und uns zu retten.

Fast vierzig Jahre ist das jetzt her und wenn ich dieses Bild so anschaue kommen so viele gute Erinnerungen an meine Kindheit hoch, damals als das Leben noch einfach und unbeschwert war.

Jetzt bin ich verheiratet, habe selbst Kinder. Meine Älteste hat ihre Koffer gepackt und ist zum Studium nach England gegangen. Jetzt hören wir einmal die Woche etwas von ihr, wenn wir zusammen vor Skype sitzen und sie davon berichtet, was sie alles so erlebt hat. Unsere Erlebnisse sind meistens weniger spektakulär, arbeiten, Kollegen, Schule, Klassenkameraden, all das ist bei weitem nicht so spannend wie das, was sie erlebt.

Ich schaue etwas wehmütig auf das Foto in meiner Hand. Die Unterseite ist leicht angesengt vom Feuer und vorsichtig puste ich die Asche, die drauf liegt, weg.

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und als ich den Kopf wende, sehe ich in das Gesicht meines älteren Bruders.

„Schon enorm, was so ein Feuer anrichten kann.“

Ich nicke nur und schaue dann wieder nach vorne ebenso wie er.

Etwas verloren stehen wir vor dem Ascheberg und den ausgebrannten Gemäuern, die einmal unser zu Hause waren.

Das Feuer hat unser Elternhaus in Asche verwandelt und alles, was es auf seinem Weg gefunden hat gleich mit.

Als ich meine Mutter mit leerem Blick, gesenktem Kopf und gebeugten Schultern einige Meter von uns stehen sehe, fällt erst wirklich auf, dass sie schon fast achtzig Jahre alt ist.

Vorher war mir das gar nicht so recht bewusst. Natürlich habe ich bemerkt, dass die Zeit nicht spurlos an ihr vorüber gegangen sind, dass sie Falten bekommen hat, die Haare langsam grau wurden, sie nicht mehr so recht hören und sehen konnte und für alles etwas länger brauchte, aber nie sah sie so alt und verzweifelt aus.

Nicht einmal, als unser Vater vor einigen Jahren gestorben ist.

Sie habe all die schönen Erinnerungen an die vielen Jahre mit ihm, das helfe, hat sie immer gesagt.

Aber nun, da sie vor der Asche ihrer Existenz steht und all die Erinnerungsstücke verschwunden sind, scheint es schwer, diesen Optimismus und diese Positive aufrecht zu erhalten. Wehmut und Trauer hat uns alle auf eine merkwürdige Art und Weise erfasst, als wir in der Ruine unserer Vergangenheit stehen.

„Schau mal.“ Mein Bruder beugt sich nach vorne und zieht einen der wenigen nicht komplett zerstörten Gegenstände aus dem Schutt hervor. „Erinnerst du dich noch?“

„Ja… natürlich…“ Vorsichtig, als ob es das Zerbrechliste auf der Welt ist, nehme ich den Gegenstand in die Hand.

„Du hast dieses blöde Tröte damals geliebt und ständig einen Lärm damit gemacht und uns alle in den Wahnsinn getrieben!“ Mein Bruder lacht leise bei der Erinnerung daran.

„Oh ja…“ Ich grinse für mich hin. Dann stehen wir wieder einen Moment schweigend da. „Wir kriegen das hin, oder?“

„Natürlich“, sagt mein Bruder und drückt meine Schulter leicht. „Die Versicherung wird wahrscheinlich alles bezahlen und für die Erinnerungen von damals haben wir doch uns und unser fotographisches Gedächtnis.“ Und als ich sein Augenzwinkern sehe, weiß ich, dass alles gut werden wird und dass wir es schaffen werden unsere Mutter aus der Lethargie zu holen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Shizana
2013-07-01T16:19:50+00:00 01.07.2013 18:19
Tadah! Besser spät als nie, habe ich mich auch endlich wieder zu deinen Splittern gefunden. Und wie du es dir gewünscht hast, nehme ich mir dieses Juwel heraus.
Zum einen muss ich sagen, dass ich es sehr faszinierend finde, wie du kleine, alltägliche Momente im ganz normalen Leben auffängst und in einer Kurzgeschichte wiedergibst. Zum anderen führt aber auch genau das dazu, dass ich bei dieser Geschichte schwer schlucken musste. Ab dem Moment, als die angesengte Hinterseite des Fotos erwähnt wurde, wusste ich nicht, ob ich wirklich weiterlesen oder lieber aufhören sollte. Eigene Erinnerungen und so... Aber ich habe es getan und bin froh, dass die Geschichte mit ein paar aufbauenden Worten endet. Es vermittelt einen gewissen Schub.
Allerdings, irgendwie... fehlt dieser Geschichte etwas. Ich meine, Gefühl ist zwar da und es läuft viel auf Erinnerungen hinaus... aber mir fehlt die Tiefe. Man weiß nichts zu dem Feuer. Man weiß auch nicht, ob das Haus noch bewohnt war. Und irgendwie wird der Brand zu einfach aufgefasst. Immerhin ist dort eine Existenz zugrunde gegangen, viele Dinge mit individuellem Wert sind vernichtet, die Mutter ist jetzt vielleicht obdachlos. - So etwas nimmt man nicht so gefasst auf. Mir fehlt hier etwas. Mir fehlt, was das in den Personen auslöst, die Erschütterung. Es ist zu... unvoreingenommen, irgendwie.

Uhm, ja. Tut mir leid, aber mir geht diese Geschichte wirklich sehr nahe, auch wenn man es vielleicht nicht herausliest.
Ich glaube mich zu erinnern, dass du einmal erwähnt hattest, dass du Fehlersuche weniger magst? Ich bin mir jetzt nicht mehr sicher, deswegen gib mir dazu bitte noch einmal Bescheid, damit ich es künftig berücksichtigen kann. Für heute gebe ich mal noch meine fünf Fehlerchen mit, die mir aufgefallen sind und wo eine Korrektur für das Baby erfreulich wäre:

- […] dass wir nicht so weit heraus schwimmen sollen […] -> hinausschwimmen, denn hin = weg, her = kommend. ;)

- […] die drauf liegt […] -> "darauf" bitte, um Umgangssprache zu vermeiden.

- […] die Zeit nicht spurlos an ihr vorüber gegangen sind […] -> Numerusfehler, siehst du bestimmt selbst. :)

- […] und diese Positive […] & […] dieses blöde Tröte […] -> Genusfehler, siehst du ebenfalls selbst.


Liebe Grüße
Shizana
Re-✖✐✖
Antwort von:  w-shine
02.07.2013 00:34
Hallöchen! Vielen lieben Dank für deinen Kommentar =)
Ich habe noch mal drüber gelesen und du hast Recht, es bleibt vieles ungesagt in der Geschichte, wo ich noch mehr ins Detail hätte gehen können, um es klarer zu machen und mehr Tiefe zu vermitteln. Stimme ich dir zu.
Du musst bei mir nicht akribisch jeden Fehler aufzählen, aber wenn du welche findest, dann sag mir gerne Bescheid, ich finde die bei mir selbst nämlich immer nicht, sondern nur bei anderen...^^" Die Fehler werden demnächst verbesser.
Danke dir noch mal =)
Von:  DemonhounD
2012-07-15T11:05:49+00:00 15.07.2012 13:05
Eine total schöne Kurzgeschichte, fast wie aus dem Leben gegriffen, obwohl es sich ja hier schon um eine ziemliche Katastrophe handelt.
Irgendwie hätte ich es schön gefunden etwas mehr über die Umstände des Feuers zu erfahren. Des Weiteren fand ich diese Szene etwas unlogisch:

Unsere Erlebnisse sind meistens weniger spektakulär, arbeiten, Kollegen, Schule, Klassenkameraden, all das ist bei weitem nicht so spannend wie das, was sie erlebt.

Ich meine, die sind doch alle erwachsen... da gibt es keine Schule und Klassenkameraden mehr. ^^
Ansonsten aber eine echt schöne Stelle. ^^
Toll finde ich auch die positive Wendung am Ende. Der Bruder als Optimist ist mir wirlklich sehr sympathisch. ^^




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