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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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71. Kapitel

Es brauchte nicht lange, bis alle Frauen dicht zusammen gedrängt die unheimlichen Flure des Kellergewölbes entlang liefen. Sie waren sehr still und hielten sich oftmals gegenseitig fest, was auch gut so war. So konnte wenigstens keine von ihnen verloren gehen.

Paige, die Blonde und Ryon waren an der Spitze der Truppe. Von hinten erwartete niemand mehr einen Angriff, darum bildeten sie die vorderste Verteidigungsfront.

Anfangs war Ryon noch etwas skeptisch gewesen, was die Fähigkeiten ihrer Führerin anging, immerhin vergaß er nicht so schnell, unter wessen Einfluss sie alle hier gestanden hatten, doch dem Gefühl nach kamen sie tatsächlich immer höher, bis sie schließlich die dunklen Gänge hinter sich ließen und in der hellen Empfangshalle ankamen. Sie war nicht einfach nur leer, sondern wie ausgestorben. Als hätten alle das Gebäude fluchtartig verlassen. Bis auf einen.

Ryon fuhr auf dem Absatz herum, als sein scharfes Gehör hastige Schritte im Treppenhaus aufschnappte. Sofort drängte er die Damen auf den Ausgang zu, während er angriffsbereit die Tür zum Treppenhaus im Auge behielt.

Zum Glück musste er nicht einmal etwas sagen, sonder die Blonde meinte knapp: „Ich kümmere mich schon um sie.“ Ehe sie die vielen halbnackten Frauen fort von diesem schrecklichen Ort führte.

Kaum dass die letzte von ihnen, das Foyer verlassen hatte, schwang die Tür zum Treppenhaus auf und Delila kam ganz in Gestaltwandlergeschwindigkeit heraus geschossen.

Beinahe wäre sie in ihn hinein gelaufen, wenn sie nicht noch rechtzeitig vor ihm schlitternd zum Stehen gekommen wäre.

Ihre Augen waren vor panischer Angst geweitet, als sie ihn erblickte, doch im nächsten Moment drückte sie fast schon fauchend das kleine Kind – es war nicht einmal annähernd so alt wie Mia – an ihren zitternden Leib und ihre ausgefahrenen Krallen waren nicht nur reine Deko. Sie drohte ihm, mit allen Waffen die sie hatte.

„Geh mir aus dem Weg!“

Ryon rührte sich keinen Zentimeter.

„Was hast du vor? Wieso bist du nicht schon früher abgehauen? Ich dachte, dank mir, hätte sie dich gehen lassen.“

Delila schnaubte und stampfte auf dem Boden auf, was im krassen Gegensatz zu den leicht schaukelnden Bewegungen des Kindes in ihren Armen stand.

„Glaubst du ernsthaft, diese Frau würde auch nur ein einziges Mal ihr Wort halten? Ich musste warten, bis ihr zwei genug Chaos gestiftet habt, so dass ich dabei unwichtig wurde. Und jetzt lass mich gehen. Das hier geht mich nichts mehr an. Sie ist hinter euch her!“

Nun war Ryon es, der schnauben musste.

„Dann geh und lass deine Gefährten im Stich! Los, bring deinen Sohn in Sicherheit. Ich verstehe das, also hau ab!“

Warum er plötzlich so wütend war, verstand er selbst nicht. Schließlich war ihm klar, dass Delila Prioritäten setzen musste, aber wäre er an ihrer Stelle … könnte er Paige verlassen, selbst wenn die Sicherheit ihres Kindes auf dem Spiel stand?

Darüber nachzudenken, dauerte zu lange und der Schmerz in Delilas Augen machte ohnehin klar, dass sie sich dieser Tatsachen sehr wohl bewusst war. Sie musste retten, was sie retten konnte. Er verstand es durchaus, auch wenn ihm der Gedanke daran selbst weh tat.

Langsam trat er zur Seite, ohne sie noch einmal anzusehen.

„Geh.“

Delila ging langsam an ihm vorbei, als hütete sie sich davor, ihm den Rücken zuzudrehen, doch schließlich blieb sie noch einmal stehen.

„Sie sind im obersten Stockwerk…“

Hastig drehte sie sich um und begann zu laufen.

Ryon sah ihr nicht hinterher, sondern griff nach Paiges Hand und zog sie mit sich. Weg von den Fahrstühlen. Er würde nicht riskieren, dort drin festzuhängen, da nahm er lieber jede einzelne verdammte Treppe in Kauf, die sie nach oben Laufen mussten.
 

Verdammt, wie gern hätte sie auch einmal ihre Antipathie so gezeigt, dass man es mehr wahrnahm, als das Aufstellen ihrer Schuppen. Denn diese klapperten mit der Aggression der Dämonin zusammen im Einklang, als Delila einmal mehr aus dem Nichts auf der Bildfläche erschien.

Wäre das kleine Kind nicht gewesen, Paige hätte sich kaum beherrschen können. Dass Ryon mit der Gestaltwandlerin auch nicht gerade sanft ins Gericht ging, schmeichelte auf unerklärliche Weise Paiges Ego. Sie hätte es weder vor ihm noch sich selbst jemals laut zugegeben, aber die Aussage der Wölfin aus dem 'Faß' machte ihr immer noch etwas zu schaffen. Umso besser, dass Delila so schnell verschwand, wie sie aufgetaucht war und auch noch einen wichtigen Hinweis hinterließ.

Ryon gab ein strenges Tempo vor und sie hetzten die Treppenstufen so schnell hinauf, wie Paige es nicht für möglich gehalten hätte. Doch je höher sie kamen, desto deutlicher beschlich sie ein seltsames Gefühl von Endgültigkeit. Wenn sie das oberste Stockwerk betraten, würden sie unweigerlich Boudicca gegenüber treten. Jemandem, von dem Paige nie gedacht hätte, das es ihn in ihrem Leben geben würde: Einem Todfeind.

Die Gedanken verflogen und ohne zu zögern trat Paige hinter Ryon durch die Feuertür des Treppenhauses, um auf einem Gang zu landen, an den sie sich schemenhaft erinnern konnte. Selbst die Topfpflanzen neben der Holztür machten sie wahnsinnig.

Prüfend schnellte immer wieder ihre dunkle Zunge zwischen ihren Lippen hervor, tastete in der Luft nach jeder Spur, die hier nichts anderes als Unheil bedeuten konnte. Die Dämonin war auf der Hut und so stark an Paiges Oberfläche, wie schon lange nicht mehr.

„Vielleicht hätte ich Dad's Elixier doch nicht vernichten sollen...“, murmelte sie leise, als sie Ryon den Gang hinunter folgte und jedem dabei auch dem kleinsten Geräusch lauschte. Hier war es auch wieder dringend an der Zeit, sich immer wieder umzudrehen. Die beiden Werwölfe waren zwar groß, aber auf leisen Sohlen konnten sie sich bestimmt trotzdem bewegen, wenn sie es darauf anlegten.
 

Seine Nerven lagen vollkommen blank und er musste sich stark zusammen reißen, um sich nicht auf der Stelle zu verwandeln. Gerade in diesen Situationen war er lieber in seinem dicken Pelz, als in dieser dünnen, leichter zu verletzenden Haut. Doch die Jahre als Kopfgeldjäger in denen er sich nie verwandelt hatte, hatten zumindest diesen einen Vorteil gebracht, dass er sich auch auf seine bloßen Hände verlassen konnte, wenn es darauf ankam.

Vielleicht war es die angespannte Situation oder die Aussicht auf ein baldiges Ende, die Ryon zu Paige herumfahren ließ, als er ihre leisen Worte sehr deutlich hatte hören können.

„Paige, ich weiß, dass hier ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas, aber…“ Vielleicht würde es nie wieder einen passenden Zeitpunkt dafür geben. „…egal. Ich will nur, dass du eines weißt und auch wenn das jetzt hart klingt, aber dein Vater war ein mieses Arschloch, das dich als Tochter gar nicht verdient hat. Denk‘ also nicht einmal eine Sekunde daran, dich in etwas verwandeln zu wollen, dass du nie wirklich sein wirst, weil du das nicht bist. Und ich schwöre dir, wenn ich dich noch einmal fast ertränken müsste, würde ich mir eher beide Arme abschneiden, als das noch einmal zu tun. Egal ob Gefährtin oder nicht, was das angeht, würdest du gegen eine Wand reden.“

Abrupt zog er sie an sich und umarmte sie fest.

„Ich liebe dich so wie du bist und du solltest das auch tun.“, hauchte er ihr leise ins Ohr, küsste sie ein letztes Mal zärtlich auf den Hals, ehe er sie wieder los ließ.

Da bis jetzt noch niemand aufgetaucht war, nahm er an, dass man sie bereits erwartete. Er könnte sich ansonsten keinen anderen Grund vorstellen, warum man sie immer noch nicht angegriffen hatte.

Boudicca blieb offenbar in jeder Lage unvorstellbar selbstsicher und von sich eingenommen. Das würde sich schon bald ändern.
 

Etwas in Paiges Innerem schob sich an eine andere Stelle und es machte ganz leise klick. Sie verstand nun etwas, das ihr bis zu diesem Moment in dem Ausmaße nicht bewusst gewesen war. Obwohl sie nicht verstehen konnte, wie ihr das niederschmetternde Detail bis jetzt hatte entgehen können, schob sie es auch dieses Mal zur Seite, um nicht abgelenkt zu werden. Auch wenn sie seinem Wunsch nicht sofort nachkommen konnte, nahm sie sich Ryons Worte zu Herzen.

„Keine Sorge. Mit jedem Moment, den ich dich lieben und glücklich machen darf, komme ich mir selbst ein bisschen näher.“

Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, wurde ihr Blick hart und entschlossen. Hinter dieser Tür wartete man auf sie. Ob nun auf sie beide oder nur auf Ryon und das Amulett war vollkommen nebensächlich. Was wichtig war, blieb die Tatsache, dass sie diejenigen sein würden, die aus dem Zusammentreffen am Ende als Sieger herausgehen würden.

Noch einen tiefen Atemzug erlaubte sie sich, bevor sie neben Ryon vor die Tür trat.

„Na dann los.“
 

Es gab nur diese eine Tür, an die er sich erinnern konnte, als man ihn hier herauf geschleift hatte. Also musste es die richtige sein.

Obwohl Ryon angespannter war, als in der Nähe des toten Mistkerls unten im Keller, trat er die Tür dennoch nicht ein, sondern öffnete sie sogar relativ ruhig. Die Augenblicke, in denen sie sich strampelnd und kämpfend gegen ihr Schicksal gewehrt hatten, waren nun vorüber. Dass sie das hier nun zu Ende bringen würden, ob so oder so, war unausweichlich. Warum also noch dagegen ankämpfen? Sie würden sehen, was die Zukunft brachte und Ryon war unendlich dankbar dafür, dass Paige dabei an seiner Seite war. Natürlich hätte er sie gerne in Sicherheit gewusst, aber das Thema war längst durch. Sie war hier und das war gut so.

Die Tür schwang lautlos auf, als sie den Raum betraten, den er hoffentlich nach diesem Tag nie wieder sehen würde. Boudicca lag in alter Manier auf ihrer Chaiselongue, die Lippen zu einem selbstgefälligen Lächeln verzogen, als hätte sie mit nichts anderem, als ihrem Erscheinen gerechnet, während Dean und James wie schweigende Statuen neben ihr standen, die Blicke ausdruckslos, als wären sie nichts weiter als Marionetten, die auf den Befehl des Puppenspielers warteten.

Vermutlich waren sie im Grunde auch nichts anderes.

„Du hast mich warten lassen, Ryon. Aber da du das Amulett mitgebracht hast, werde ich dir noch einmal verzeihen.“

Ihr sanftmütiges Lächeln war so falsch, dass es einen bitteren Geschmack auf Ryons Zunge hinterließ und er sich am liebsten geschüttelt hätte. Der Frau das Maul zu stopfen, würde ihm wirklich Freude bereiten.

Langsam richtete Boudicca sich auf.

„Wie ich sehe, hast du auch deine Freundin mitgenommen.“ Sie lachte kurz, über Ryons immer weiter verdüsterndes Gesicht.

„Oh ja, ich weiß wer sie ist. Nach der Nummer, die ihr beide in dem Käfig abgezogen habt, stand das für mich eindeutig fest. Sehr erfrischend, mitanzusehen.“

Ryons Fingerknöchel knackten und er biss sich so stark auf die Zähne, dass sie schmerzten.

„Hast du den wirklich geglaubt, ich wüsste nicht, was in den Räumen dieses Luftverpesters vor sich ging? Dass du ihn umgebracht hast, war wirklich ein großer Gefallen für mich. Er wurde mir langsam lästig.“

Ryon trat einen Schritt vor, geballte Aggression lag in der Luft und in seinem Kopf hämmerte förmlich der Wunsch, diese Hexe zu töten. Jeder einzelne seiner Muskeln wollte diesem Hämmern folgen, doch er war nicht dumm. Er wusste, wozu diese kranke Frau fähig war und trotzdem, als sie galant von ihrer Sitzgelegenheit glitt, sich in aller Ruhe die Falten aus ihrem Kleid strich und schließlich mit einem warmen Lächeln die Hand ausstreckte, das ihn frösteln ließ, war es genug.

„Gib mir das Amulett und deine Freundin kann unbeschadet gehen.“

Mehr als genug.

Boudicca seufzte, als sie die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage deutlich in seinem Gesicht ablesen konnte.

„Dann eben auf die harte Tour. Dean… James … ihr könnt seine Freundin haben.“

Was danach kam, ging zu schnell, um noch genau sagen zu können, wie der Ablauf am Ende gewesen war.

Ryon wusste nur noch, dass er sich in der gleichen Sekunde auf Boudicca stürzte, als die beiden Werwölfe von ihrer Seite wichen, um haargenau ihrem Befehl zu befolgen.

Die Hexe hatte sich vermutlich auf seinen natürlichen Beschützerinstinkt seiner Gefährtin gegenüber verlassen und angenommen, er würde sich auf die beiden Zwillinge stürzen, doch er schlüpfte lediglich zwischen den beiden hindurch, um seine Hände direkt, um Boudiccas Hals zu legen.

Natürlich schrie alles in ihm, sofort die Hände von dieser Frau zu nehmen und stattdessen Paige zu Hilfe zu eilen, aber wenn er ihr nicht jetzt vertraute, dann würde er es wohl niemals vollkommen tun. Und das tat er. Er vertraute auf alles was sie war so sehr, dass er nur noch fester zudrückte und dann … ließ er die Hexe unvermittelt los, als sie ihre Hände auf sein Gesicht legte und ihn ein rasender Schmerz durch den ganzen Körper jagte, als hätte er mehrere Hirnschläge hintereinander.

Blut lief ihm aus der Nase und den Ohren, als er mit ihr zusammen zu Boden ging, doch dann ließ der Schmerz plötzlich nach und sein angeschlagener Kopf war erfüllt von der Stimme dieser Hexe. Mit ihren zerzausten Haaren, den langsam aufleuchtenden Blutergüssen um ihren Hals und den wilden Augen, sah sie mehr denn je wie das aus, was in ihrem Inneren wohnte – wahnsinnig.

Ihre Stimme schrie in seinem Kopf so laut, dass er sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte, selbst wenn es nichts nutzen würde, doch seine Hände taten etwas ganz anderes.

Er wehrte sich gegen ihren Geist in seinem Kopf, was man an seinen zittrigen Fingern erkennen konnte, doch je mehr er sich wehrte, umso schlimmer wurde der Schmerz hinter seiner Stirn und Boudicca machte den Eindruck, dass es ihr schließlich egal war, ob sie ihn umbrachte oder nicht. Sie wollte nur noch eines – das Amulett.

Ihre Stimme in seinem Verstand schrie ihm diesen Befehl wie einen einzigen Singsang entgegen. Bis er kaum noch eine Pause zwischen den Worten hören konnte.

Ryon hatte das Gefühl, sie würde sein Gehirn aufbrechen, während er hilflos zusah, wie seine Hände ohne seinen Befehl zu seinem Hals wanderten und langsam begannen, die Kette über seinen Kopf zu streifen.

In seinem Geist brüllte er voller Protest auf, doch es war vergebens.

Er versagte und verlor den stillen Kampf.
 

Die beiden Männer, waren so groß wie Ryon, wirkten aber sogar noch ein Stück breiter, als sie sich im Lauf verwandelten und in ihrer wilden Form auf Paige zugehetzt kamen. Sie schienen für eine Sekunde gelinde gesagt verwirrt darüber, dass die Frau, die sie in Fetzen reißen sollten, einfach so vor ihnen stand und keine Anstalten machte, das zu ändern. Lediglich ihre Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen und ihre Zehen krallten sich ein wenig in den vom Blut dreckigen Fußboden.

Die Brüder waren perfekt auf einander abgestimmt, agierten weniger wie ein Team, als wie eine Einheit, die sich mit aufgerissenen Kiefern und Reißzähnen auf Paige stürzte. Sie ließ sie bis auf einen Meter heran kommen. Paige konnte sogar den Widerschein des Leuchtens in der Iris der beiden sehen, als sie die Arme hochriss und sich selbst auf den Rücken fallen ließ. Die mahlenden Kiefer der Werwölfe verfehlten ihr Ziel und bekamen stattdessen Paiges brennende Handflächen zu spüren, die sie so weit sie es konnte an den Körpern der beiden entlang zog.

Keuchend und nun erst richtig wütend trieben die Werwölfe ihre Krallen in die Tür und den Boden, um sich zu großen Sprüngen davon abzudrücken, während Paige wieder auf ihre eigenen Füße kam. Die arme lodernd vor sich gestreckt, vertraute sie ganz ihrer dämonischen Seite, die sich zu einer sehr vulgären Geste hinreißen ließ.

„Na kommt, Wölfchen...“

Sie folgten dem Zischen auf dem Fuße. Und rannten in den Vorhang aus Feuer, den Paige in weniger als einer Sekunde vor sich hochzog. Ein schmerzerfülltes Jaulen ließ ihre Schuppen klappern und sie warf sich durch ihre selbst erschaffene Mauer, um zu beenden, was sie angefangen hatte. Nicht nur ihr Peiniger würde für seine Taten bezahlen. Für jede Wunde, für jeden Schmerz, den die beiden Brüder Ryon zugefügt hatten, würde Paige ihnen das stinkende Fell über die Ohren ziehen!
 

„NEIN!“

Delila warf sich zwischen ihre Gefährten und Paige, die kurz davor stand, die beiden Werwölfe zu Hotdogs zu verwandeln.

Obwohl die beiden nicht lange brauchen würden, um wieder auf die Beine zu kommen, damit sie erneut angreifen konnten, stellte sich Delila mit verzweifelten Augen und ausgebreiteten Arme vor sie und sah Paige fest an, obwohl die Hitze des Feuers ihr Schweißperlen auf die Haut trieb.

„Hör auf, bitte! Sie können nichts dafür!“

Dean kam als erstes wieder auf die Beine. Kein Wunder, er war der stärkere der Brüder. Sein Maul schnappte nach Delilas ausgestreckten Arm und riss sie zu sich herum, um das Hindernis zu beseitigen, das ihn von seinem Befehl abhielt.

Delila liefen Tränen über die Wangen, doch nicht vor Schmerz oder Angst, sondern aus Verzweiflung. Angst um ihr eigenes Leben hatte sie schon lange keine mehr und der Schmerz war etwas, das ihr inzwischen zu vertraut war.

Obwohl ihre eigenen Gefährten sie zu töten versuchten, sah sie Paige noch einmal fest an.

„Ich kümmere mich um die beiden, also geh! Geh und kümmere dich um deinen eigenen Gefährten. Wenn er Boudicca die Kette gibt, sind wir alle tot!“

Sie nickte nur kurz in die Richtung des anderen Kampfes, der still und ohne großes Gerangel von sich ging, doch nicht weniger heftig war.

Ryon zuckte am ganzen Leib, weil er sich so sehr gegen Boudiccas Einfluss zu wehren versuchte, dass seine Nerven nicht mehr wussten, welchen Befehlen sie nun gehorchen sollten, doch Tatsache war, dass er nicht stark genug war, um zu verhindern, dass er sich die Kette über den Kopf zog.

Delila wandte sich schließlich ab und verpasste ihrem Geliebten einen Schlag auf die Schnauze, die ihn aufjaulen ließ. Sie mochte vielleicht kein Werwolf sein, aber auch Gestaltwandlerfrauen waren nicht harmlos und zum Schutz ihrer Gefährten würde sie es dieses Mal in Kauf nehmen müssen, ihnen weh zu tun. Es ging nicht anders.
 

Paige war rasend vor Wut. Ihre Pupillen hatten sich so stark verengt, dass selbst Stecknadelköpfe dagegen riesig wirken würden und ihre Schuppen schabten aggressiv übereinander. Damit erzeugte sie ein lautes Geräusch, das mit dem einer Klapperschlange vergleichbar war, die kurz vor dem tödlichen Angriff stand. Und von ihrem Ziel abgehalten wurde!

Feuerzungen glitten von ihrer Haut auf den Boden, steckten das Holz in Brand und krochen in immer länger werdenden Armen durch den Raum. Wellenartig breitete sich die Hitze aus und ließ die Luft flimmern. Ein Fingerschnalzen hätte genügt, um den Punkt, an dem Delila und die beiden Werwölfe standen, für immer aus diesem Haus zu radieren.

Sogar die Atmosphäre um sie herum schien zu knistern, als sie einen drohenden Schritt auf die drei zuging.

„Wenn einer von euch uns in den Rücken fällt...“ Paiges Stimme wurde von einem lauten Zischen untermalt, das mit dem Klicken ihrer Schuppen verschmolz, die sich wie eine perfekte Panzerung an ihre Haut anlegten. Sie brauchte gar nicht mehr zu sagen, denn die Wandvertäfelung, die unter aufwallenden Flammen zu Asche zerbröselte, zeigte sehr genau, was sie meinte. Das gleiche Schicksal würde auch die Werwölfe oder Delila treffen, falls sie es wagen sollten.

„Bring sie hier raus. Sofort.“

Damit hoffte sie Delila das letzte Mal gesehen und gesprochen zu haben und zog sich zurück. Allerdings nur, um im nächsten Moment vollkommen die Beherrschung zu verlieren. Für einen Moment schien Ryon noch ihr aller Schicksal in den Händen zu halten, bis – bis er es einfach losließ, um es Boudicca in die Hände gleiten zu lassen. Das leise klimpern der Kette auf dem Metall des Amuletts schien wie ein Glockenschlag durch den Raum zu hallen. Die Zeit schien sich zu dehnen, während Paiges Augen sich ungläubig weiteten und ihr Puls beim Anblick des schrecklichen Bildes – alle Macht in Boudiccas Händen - einfach aussetzte.

„Nein.“

In Flammen gehüllt stob sie auf die Hexe zu. Ryon, der immer noch von Krämpfen geschüttelt zu Boden gegangen war, wurde nicht einmal von einem flammenden Züngelchen getroffen. Sein Körper musste wirken wie von einem unsichtbaren Kokon umhüllt, von dem sich das Feuer auf seltsame Weise fern hielt.

Ganz im Gegensatz zu Boudicca, die nicht von den Flammen allein, sondern zusätzlich von Paiges Körper zur Seite und in die Ecke hinter dem Chaiselongue gerissen wurde. Ein gellender Schrei zerriss die Luft und die Frauen rangen für Momente um die Schmuckstücke.

Bis Paige die Amulette atemlos in ihrer beschuppten Handfläche hielt. Sie pulsierten.

Als würde eine Macht, größer als alles, was Paige in ihrem Leben erfahren hatte, in die Schmuckstücke hinein gezogen, gingen sogar die Flammen zurück. Das Feuer duckte sich, wie ein magisches Tier, das das Unheil in jeder Zelle spüren konnte, bevor es geschah.

„Es ist meins!!“

Mit grabschenden Händen riss Boudicca Paige die verbundenen Amulette aus den Händen. Doch das änderte nichts daran, dass etwas sich darum zusammen zog. Etwas Großes. Paige wusste immer noch nicht, ob sie überhaupt atmete, lebte oder das alles schon Nachwehen ihres Todes waren. Doch sie wusste, dass sie versuchen würde, Ryon zu schützen.

Unter dem spitzen, wahnsinnigen Lachen der Hexe in ihrem Rücken, schnellte sie in die Höhe, überbrückte mit einem Sprung die Distanz zwischen Wand und dem einzigen Möbelstück im Raum und riss es um.

Aus dem Lachen wurde plötzlich ein grauenvoller Schrei.

Sie begrub Ryon und sich selbst so gut es ging unter dem Möbelstück – und wurde plötzlich samt ihm und dem Mobiliar in die Luft gerissen.

Die Explosion traf Paige so hart im Rücken, dass es ihr den Sauerstoff aus den Lungen trieb. Trotzdem versuchte sie zu schreien. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, krallte sich Paige an Ryon fest, bis sie beide gegen irgendeinen Widerstand geschleudert wurden und sie ihn fast verlor. Sie spürte ihr eigenes Blut spritzen, als ihr Trommelfell unter der Druckwelle riss und verlor das Bewusstsein, bevor sie ganz sicher war, ob Ryon nichts geschehen konnte. Ihm galt ihr letzter Gedanke, bevor es dunkel um sie wurde. Für ihn – musste sie wieder aufwachen.

Sie beide mussten es.
 

„Oh mein Gott. War das eine Bombe?!“

Die Fragestellerin musste wegen des dichten Staubs husten, der hier immer noch schwer in der Luft hing und sie war nicht die einzige. Es kratzte ihnen allen unangenehm der Hals, aber das hielt sie nicht davon ab, weiter zu gehen, mögliche Trümmer und Hindernisse aus dem Weg zu räumen und das nicht immer nur mit ihren bloßen Händen.

Faith, alias die Blonde, war ganz vorne mit dabei und packte schließlich die weißhaarige Frau an der Schulter, um sie davon abzubringen, mit ihrem schwer verletzten Arm und den vielen restlichen Blessuren die Trümmer aus dem Weg zu räumen.

Faith hatte sie als Führerin mitgenommen, nicht um den anderen Frauen die Last abzunehmen. Davon trug sie offenbar selbst schon mehr als genug.

„Lass mich!“ Die Frau riss sich los, um den Teil einer zersplitternden Holztür aus dem Weg zu räumen, der den Gang blockierte.

„Du wirst dich noch selbst umbringen, wenn du so weiter machst und ist es das, was du willst, nachdem du das alles hier hinter dir hast?“

Die Verletzte fuhr zu ihr herum, während die anderen Hexen sich schweigend an die Arbeit machten, um derweil weiter die Trümmer zu beseitigen. Die Zeit drängte, wenn sie noch Überlebende finden wollten. Bzw. zwei Überlebende.

„Du kannst das nicht verstehen. Ich…“

Delila presste ihren zerstörten Arm einen Moment lang an ihre Brust, ehe sie die andere Frau mit festem Blick fixierte.

„Ich habe diesen beiden unvorstellbare Dinge angetan und trotzdem hat sie mich und meine … beiden, gehen lassen. Zumindest das, bin ich ihnen schuldig, selbst wenn sie es nicht…“

Sie verstummte. Konnte es nicht aussprechen, woraufhin die blonde Frau ihr noch einmal die Hand auf die Schultern legte, ohne dass sie sich noch einmal davon befreite.

„Glaub mir. Wenn ich danach gehen würde, was ich während des Einflusses hier getan habe, müsste ich direkt zur Hölle fahren. Aber, auch wenn es mir und uns allen hier schwer fällt, wir wissen doch tief in uns drin, dass wir das nicht waren. Nicht wirklich jedenfalls und was die beiden angeht, wir werden sie finden und nach Hause bringen. Wir sind ihnen allen zu Dank verpflichtet. Also komm. Wenn du dich schon nützlich machen willst, dann setz für uns deine Nase ein, sonst finden wir sie nie unter den Trümmern.“



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