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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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26. Kapitel

Wenn sie Ryon ein Talent zusprach, dann war es das, ihr jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen.

Sein Kommentar zu ihren geliebten Fabeltieren ließ sie für einen winzigen Moment, als er wieder auf die Fahrstuhltür sah, eine beleidigte Schnute ziehen. Es überstieg also seinen Horizont?

Na, da wüsste sie noch einige andere Sachen... Und ihre eigene Grenze würde er wahrscheinlich irgendwann höchst persönlich ebenfalls überschreiten.

Da hatte Paige doch wirklich darauf gehofft, dass sie sich verstehen könnten. Vor allem in der Nacht, in der sie ihn aufgeschreckt hatte, war es ihr so vorgekommen, als wäre seine eiskalte Fassade ein wenig ins Bröckeln geraten. Aber nein, wenn man ehrlich war, schimmerte die Eisschicht nun glatter und abweisender als jemals zuvor.

Zum Markt war es nur ein Stück zu laufen, dessen gesamte Dauer Paige schwieg und vor sich hin überlegte. Sie musste den Ryon aus dem Bericht von Tyler und Tennessey mit dem, was er jetzt war, verwechselt haben.

"Reines Wunschdenken.", scholt sie sich leise selbst, obwohl sie gar nicht genau sagen konnte, warum sie das so aggressiv machte.

Wenn man ihre Abmachung bedachte, konnte das doch nur von Vorteil sein. Keine Verpflichtungen, die über das Geschäftliche hinaus gingen. Mal davon abgesehen, dass er ihr nun schon zweimal das Leben gerettet hatte. Vielleicht war es auch nur das, was sie so unglaublich wurmte.
 

Auf dem Basar kam man sich teilweise vor wie in 1001 Nacht. Allerdings mit modernem Touch. Aber was die feilschenden Händler, die laut ihre Waren hinaus posaunten und die Vielfalt an orientalischen Waren anging, traf das doch ziemlich genau zu.

Ryon war noch nie in seinem Leben auf einem Basar gewesen und dementsprechend erschlugen ihn fast die vielen Eindrücke. Es gab so viele Gerüche, die er kaum zuordnen konnte. Die Straßen waren dicht Gedrängt von Touristen und Einheimischen, die Waren hatte man dicht an dicht aneinandergereiht und ließen nur ab und zu Lücken, um seinen Augen eine Verschnaufspause zu gönnen. Auch der Lärmpegel war absolut nicht von schlechten Eltern, was sein empfindliches Gehör etwas strapazierte, aber das vergaß er leicht, während er gar nicht wusste, wo er zuerst hinsehen sollte.

Unbewusst war er schon nach Betreten des Basars dicht an Paige herangetreten, so dass sich ihre Arme fast berührten. Er wollte sie in dem Gedränge nicht verlieren und irgendwie war sie hier ja auch seine einzige Verbündete, die er in diesem fremden Land hatte.

„Ich denke, wäre Tyler hier, der würde vor der riesigen Auswahl an Gewürzen verzweifeln. Gut, dass er mir eine simple Liste mitgegeben hat.“

Obwohl Ryon sich fast schon sicher war, dass sein Freund mit seinem hohen Alter bestimmt schon das ein oder andere Mal im Leben auf so einem Markt gewesen war. Zeit genug hatte er immerhin dafür.

Da Ryon sich selbst nicht ganz entscheiden konnte, welchen Gewürzhändler er nun beglücken sollte, suchte er sich einfach den aus, der am besten Englisch sprach. Denn die Qualität schien bei allen gut zu sein und er musste mit dem Mann feilschen können. Natürlich hätte er auch einfach so den angegebenen Preis bezahlen können, aber soweit er gehört hatte, wäre das für den Händler beleidigend gewesen, weshalb er sich mit dem Feilschen auch größte Mühe gab, bis der kleine braungebräunte Ägypter lachend einwilligte und ihm die heißumkämpften Gewürze überreichte.

Dankend nahm Ryon sich an und stellte fest, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

Feilschen war wirklich anstrengend und bei der Hitze, die sich hier zu sammeln schien, erst recht. Er spürte schon jetzt, wie er langsam matt wurde. Aber davon würde er sich nicht aufhalten lassen. Noch nicht jedenfalls.
 

Da sie so in sich selbst versunken gewesen war, konnte sie die Verlockungen des Marktes erst zu dem Zeitpunkt wahrnehmen, als Ryon mit dem Handeln beschäftigt war.

Er stellte sich für einen Anfänger ganz ordentlich an. Auch wenn Paige ihm für das bisschen Gewürz noch den halben Preis rausgeschlagen hätte. Immerhin kannte sie sich mit dem Feilschen aus. Es war ein wichtiger Teil davon, wie sie schon für lange Zeit ihren Lebensunterhalt bestritt.

Während er also vor sich hin plauderte, versuchte für das Angebot nicht zu viel zu bezahlen, sah Paige sich aufmerksam in der näheren Umgebung um. Ähnlich wie in Paris fiel ihr sofort ein Stand ins Auge, bei dem sie sich das Angebot gern etwas genauer besehen hätte. Diesmal war es allerdings kein Schmuck, sondern wunderschöne, bunte Tücher.

Wenn Paige allerdings genauer darüber nachdachte, brauchte sie so etwas nicht. Es wäre nur ein Erinnerungsstück, das sie wohl in ihrer gewohnten Umgebung zu Hause sowieso nicht tragen würde.

Sobald Ryon die wenig spektakuläre und für die Umgebung vollkommen unpassende Plastiktüte mit den Gewürzen entgegen genommen und sich umgedreht hatte, sah Paige zu ihm auf.

Eine schwarze Haarsträhne klebte ihm schweißnass auf der Stirn. Was sie ihm nicht verdenken konnte, obwohl sie selbst die einigermaßen trockene Hitze noch ganz gut wegsteckte. Besser, als sie selbst vermutet hätte.

"Noch andere Pläne?", fragte sie wenig enthusiastisch.

Eigentlich war sie wegen des Greifen-Kommentars immer noch beleidigt. Aber warum sich aufregen? Das brachte bei Ryon überhaupt nichts. Selbst ein Wutanfall oder eine ausgemachte Szene wäre an seinem Panzer wahrscheinlich ohne die kleinste Wirkung abgeprallt.

Eisschranks Comeback war trotz der heißen Umgebung vollkommen geglückt. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er glücklich darüber war.
 

Ryon blickte vom Inhalt der Plastiktüte hoch, als er Paiges Worte hörte und sah ihr direkt ins Gesicht.

Etwas stimmte nicht.

Das erkannte er deutlich an dem Klang ihrer Worte, allerdings war ihre Miene verschlossen, so dass er nichts Näheres darüber erfahren konnte, weshalb sie so seltsam geklungen hatte.

Einen Moment lang war er versucht, sie zu fragen, was denn los sei, doch er ließ es am Ende doch bleiben.

„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gerne noch etwas weiter umsehen. Tennessey will sicher auch irgendein Mitbringsel haben und … noch ein paar andere, würden sich auch freuen.“

Die gar nicht wussten, dass er in Ägypten war. Aber wenn Ryon sich vornehmen musste, die Waisenkinder in Zukunft nicht mehr zu sehen, bis die ganze Sache hier durchgestanden war, dann wollte er ihnen doch wenigstens noch eine Freude machen, die sie über seine Abwesenheit hinweg ein bisschen aufmuntern konnte.

Ägyptische Souvenirs boten sich dazu regelrecht an. Immerhin, die kleine Mia war ohnehin von ihm als Katze besessen. Wenn er ihr ein kleines Figürchen von der Göttin Bastet oder etwas in der Art mitbrachte, die sie herumtragen und an der sie bedenkenlos nuckeln konnte, wäre das schon einmal ein Anfang. Für die anderen fiel ihm garantiert auch noch etwas ein.

Je mehr Ryon über diese Idee nach dachte, umso entschlossener war er. Das würde sie zwar vermutlich für einige Zeit von dem wesentlichen Grund ihres Hierseins abhalten, aber ihnen lief im Augenblick ohnehin nichts davon und morgen war schließlich auch noch ein Tag. Außerdem wäre es ihm ohnehin lieber, wenn sie in den kühlen Abendstunden erst so richtig tätig wurden. Noch war die Hitze erträglich, aber er fühlte sich körperlich ganz und gar unwohl.

Da sie ohnehin noch nicht den ganzen Basar gesehen hatten, bot sich diese Möglichkeit nun, während sie weiter gingen und Ryon sich speziell nach Dingen umsah, die für ihn in Frage kämen.

Je weiter sie kamen, umso geschickter wurde er mit dem Feilschen und umso mehr kleiner Schätze häufte er in seinen Händen an, bis er auch das letzte Geschenk, ein ägyptisches Heilkundebuch für Tennessey auf Englisch hatte ergattern können.
 

Es war schon seltsam Ryon beim Shoppen zuzusehen. Wie er jedes Mitbringsel sorgsam aussuchte, um den Preis handelte und es dann in einer weiteren Plastiktüte mit sich herum trug.

Mit der Zeit wurde auch sein Feilschen besser. Und Paige wurde ungeduldig.

Sie selbst konnte sich nichts kaufen. Ihre Rücklagen, die sowieso schon klein gewesen waren, schmolzen trotz der großzügigen Unterbringung in Ryons Haus und dessen Versorgung mit allem Lebenswichtigen langsam aber sicher dahin. Das lag vor allem daran, dass sie ihm nicht immer auf der Tasche liegen wollte und manche Kleinigkeiten wie eine Tasse Tee oder Früchte, etwas zu Essen für nebenbei, selbst bezahlte.

Sie brauchte sich also gar nicht groß davon zu überzeugen, dass sie nichts brauchte. Eins dieser überteuerten Mitbringsel war sowieso nicht drin.

Also ging sie stillschweigend hinter Ryon her, bis sie an einer Teestube ankamen, auf deren Terrasse kleine bunte Tische standen. Alles war mit bunten Mosaiken geradezu übersäht und Paige war von den Goldverziehrungen und glitzernden Steinen, die in den Putz eingefügt waren, geradezu fasziniert. Außerdem gab es im Inneren einen grazilen Springbrunnen, der mit der pinken Markise zumindest äußerlich ein wenig Kühlung versprach.

"Wollen wir uns eine Pause gönnen?"

Ob er fertig war mit seinen Besorgungen, konnte sie nicht sagen. Er sprach ja nicht mit ihr. Weder darüber, für wen die Geschenke gedacht waren, noch über etwas Anderes.

Die Gesellschaft in seinem Haus fehlte ihr schon jetzt.

Erst seit sie mit Ryon unterwegs war, fiel ihr auf, wie sehr sie doch auf freundlichen Umgang reagierte. Es brachte sie dazu, sich besser zu fühlen. Wenn man Paige zu lange die Unterhaltung abschnitt, ging sie ein wie eine Primel, die trocken gelegt wurde.

Das konnte sie vielleicht dadurch verhindern, dass sie selbst das Ruder übernahm. Ein gemeinsames Selbstgespräch, wenn man so wollte.

'Na, nun hör aber auf. Er hat dir doch nichts getan.'

Sie setzten sich an einen der Tische, der gerade auf der Grenze zwischen Außen und Innenraum lag und über dem die Markiese Schatten spendete.

Paige bestellte ein Kännchen Tee und versuchte dann ihre Laune selbst wieder etwas zu heben.

"Wirklich wahnsinnig interessant, was hier alles verkauft wird. Es ist sogar mehr, als ich mir vorgestellt hatte."
 

Eine Pause hätte sich nicht verlockender anhören können, wenn sie nicht aus Paiges Mund in Form eines Vorschlags gekommen wäre. Nur zu gerne wollte er dieser Frage nachgeben, immerhin, sein Kopf tat ihm inzwischen wieder weh und er hatte das Gefühl, als könne er sich auf der Stelle in einem Schattenplätzchen zusammen rollen und einschlafen.

Der Rundgang durch den Basar und das viele Feilschen hatten ihn mehr ermüdet, als er sich gedacht hätte.

Also gesellte er sich zu seiner Begleiterin in den Schatten, stellte die Einkäufe zwischen seinen Beinen auf den Boden und bestellte sich ein großes Glas Limonade. Hoffentlich tiefgekühlt, denn ihm war heiß. Dabei hatte er so dünne Klamotten am Leib, dass er sich ohnehin schon fast halb nackt vorgekommen wäre, wenn es ihn nicht trotzdem genügend kleiden würde.

Wie Paige da auch noch einen Tee bestellen konnte, verstand er zwar überhaupt nicht, aber es gab vermutlich nicht umsonst die Geschichten darüber, man solle in der Hitze nichts zu Kaltes trinken, sondern eher das Gegenteil. Aber das würde er wohl nie verstehen können. Er war kein Arzt.

Da Paige ohne Umschweife auf ein Gespräch zusteuerte und dabei dieses Mal kein Missklang in ihrer Stimme mitschwang, hakte Ryon sofort ein. Er sprach vielleicht nicht mit großer Begeisterung und mit vielen Gesten, die seine Worte noch unterstrichen hätten, aber das erwartete sie sicherlich auch nicht von ihm.

„Stimmt. Ich war noch nie auf einem Basar und hatte wirklich keine Ahnung, wie es werden würde. Man weiß anfangs gar nicht genau, wo man hinschauen soll und dann diese Gerüche! Als wären meine Augen nicht schon genug von der bunten Vielfalt abgelenkt.“

Ryon griff in die Tasche, wo er als letztes Tennesseys Mitbringsel verstaut hatte und holte das Buch hervor. Allerdings nicht, um es Paige zu zeigen, sondern sich damit etwas Luft zu zufächeln. Es half nicht sehr viel, aber immerhin etwas. Außerdem konnte er verdammt froh sein, dass es sich hierbei um eine trockene Hitze handelte und es bei dieser für normale Menschen noch halbwegs erträglichen Temperatur nicht auch noch schwül war. Das hätte ihm bestimmt, den letzten Rest gegeben.

Endlich kam ihre Bestellung. Doch als Ryon einen Schluck von seinem Getränk nahm, hätte er beinahe das Gesicht verzogen. Es war kühl, aber nicht kalt. Vielleicht hätte er seiner Bestellung noch das Wort ‚Arktisch‘ hinzufügen sollen. Doch es war auf jeden Fall besser als nichts. Außerdem war er durstig.

Trotzdem zwangen ihn seine anerzogenen Manieren dazu, langsam und gemächlich zu trinken, anstatt das Glas in einem Zug zu leeren. Was er nur liebend gerne getan hätte.

„Und du hast nichts gefunden, das dir zugesagt hätte?“, wollte er schließlich wissen, als er sich gezwungenermaßen das Glas selbst aus der Hand nahm und wieder auf dem Tisch abstellte, um sich erneut Frischluft zu zufächeln.
 

Der geschwungene Stuhl aus dunklem Holz wirkte unter Ryon so, als müsse er jeden Moment auseinander brechen. Nicht etwa, weil ihr Begleiter sich darauf hätte fallen lassen oder seine Leibesfülle zu Bedenken angeregt hätte. Aber er versuchte wohl seine langen Beine so weit wie möglich von sich zu strecken und hängte auch einen Arm über die schmale Stuhllehne.

Paige drängte sich der Spruch 'alle Viere von sich strecken' auf, so wie Ryon auf dem Stuhl hing, wie der sprichwörtliche Schluck Wasser in der Kurve.

Sein dünnes Hemd klebte selbst nach ihrer kurzen Tour schon so stark an seinem Oberkörper, dass Paige fast jede Kontur darunter erkennen konnte.

War ihm denn wirklich so heiß?

Seinen Blicken war wie immer nichts zu entnehmen, aber als er versuchte sich Luft mit dem alten Buch zuzufächeln, das er vor wenigen Minuten erstanden hatte, hob Paige zweifelnd die Augenbraue. Das würde nicht viel helfen und die Schweißperlen auf seiner Stirn hinderte es auch nicht daran, sich zu vermehren. Ryon sah wirklich so aus, als wäre er in dieser Hitze einen Marathon gelaufen oder hätte etwas ähnlich anstrengendes vollbracht.

"Ja, es sind wirklich viele Eindrücke auf einmal. Die Gerüche kamen schon mir an manchen Ständen recht aufdringlich vor. An deiner Stelle hätte ich davon bestimmt Kopfschmerzen bekommen."

Ihre Bestellung war gekommen und Ryon hatte nicht einmal gewartet, bis das Glas mit seinem Getränk richtig auf dem Tisch stand. Während Paige an ihrem Tee nur nippte, sah sie skeptisch zu ihm hinüber.

Wenn ihn so ein bisschen Hitze so fertig machte, würden das ganz schön anstrengende Tage werden. Außerdem sah er ziemlich geschafft aus, schon fast ein bisschen blass um die Nase. Da war wohl heute - zumindest am Nachmittag - nicht mehr viel Aktivität zu erwarten.

Bevor sie noch etwas bezüglich dieses Themas fragen oder kommentieren konnte, stellte Ryon seinerseits eine Frage.

Paige stellte ihre als winzig zu bezeichnende Teetasse neben der wunderschön gearbeiteten, bemalten Kanne ab und ließ ihren Blick über die paar Buden schweifen, die man von der Terrasse des Teehauses aus sehen konnte. Normalerweise war sie für die Wahrheit. Aber bloßstellen wollte sie sich auch nicht. Allerdings wollte sie ihn auch genauso wenig anlügen.

"Ein paar Sachen hätten mir schon gefallen. Aber ich bin nicht sonderlich in Shoppinglaune. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich mich bei sowas zu sehr hinreißen lasse. Zu Hause würden mir die Sachen wahrscheinlich gar nicht mehr gefallen. Oder mir würde klar werden, dass ich einen dieser bunten Schals zu keinem meiner anderen Klamotten tragen könnte."

Das war geschickt um die Wahrheit herum manövriert. Ryon würde es ihr schon abkaufen. Denn gelogen war es nunmal auch nicht. Wobei ihr der Schal in Türkis, der aussah wie fließendes Wasser, schon sehr gut gefallen hätte. Vielleicht hatte sie irgendwann noch die Chance... wenn Ryon nicht dabei war.

Immer noch fächelte er sich mit dem kleinen Buch Luft zu und sah so aus, als müsse er in der nächsten Sekunde schmelzen.

Sollte sie etwas sagen? Aber ihn auf sein auffälliges Schwitzen hinzuweisen, kam Paige nicht besonders höflich vor. Dennoch konnte sie sich in gewissem Sinne nicht zusammen reißen. Er sah wirklich so aus, als wäre ihm ziemlich unwohl.

"Hältst du's aus? Ich kann dir ein bisschen was von meinem Tee abgeben. Zuerst fühlt es sich völlig falsch an, aber es hilft dem Körper, herunter zu kühlen."

Sie schob ihm vorsichtig die Teekanne hin und sah sich nach dem Kellner um, damit sie um eine zweite Tasse bitten konnte.
 

In Gedanken lobte er Paige für ihre umsichtige Vorgehensweise, was Geld anging. Sie hatte immerhin Recht. Nicht alles, was man unbedingt haben wollte, konnte man später auch wirklich brauchen und stand im Endeffekt nur in der Gegend herum, um Staub zu fangen. Vielen Frauen auf der Welt scheint dieser Umstand nicht klar zu sein und auch so einigen Männern, erging es nicht anders.

Ryon hatte heute zwar den Eindruck eines Kaufwütigen gemacht, zumindest was seine Verhältnisse anging, aber letztendlich würde er nichts davon behalten. Andere würden sich darüber freuen. Für sich selbst kaufte er grundsätzlich nur das Notwendigste, aber dafür dann vom Feinsten. Das war seine persönliche Art von Luxus, denn es kam eigentlich so gut wie nie vor, dass er sich etwas für sich selbst kaufte, nur allein, um seine Seele zu erfreuen. Es musste immer einen bestimmten Zweck erfüllen.

Er hätte vielleicht irgendetwas von seinen Gedanken laut aussprechen sollen, um das Gespräch am Laufen zu halten, aber irgendwie wurde ihm sogar Sprechen langsam zu anstrengend. In seinem Kopf hörte er so eine Art Dröhnen, als würde ihm das Blut mit Spitzengeschwindigkeiten an den Ohren vorbei rauschen und was die Kopfschmerzen anging, so hatte er die schon längst, aber sicherlich nicht wegen all der Gerüche.

Wie man sich fühlen musste, wenn man buchstäblich nur so dahin schmolz, konnte Ryon in diesem Augenblick deutlich nachvollziehen. Selbst wenn er sich auch noch die Haut ausgezogen hätte, er wäre nicht sicher gewesen, ob ihm das etwas Linderung verschaffen würde. Vielleicht ein Sprung in einen der Pools des Hotels?

Allerdings müsste er sich dazu auch schon wieder bewegen und im Augenblick erschien ihm das alles andere als verlockend. Denn sein Kopf wurde schwerer, seine Augen brannten und waren Lichtempfindlicher. Dem Rest seines Körpers ging es nicht anders. Er wollte sich einfach nur noch hinlegen.

Da das aber absolut nicht die passende Zeit dafür war, nahm er Paiges Angebot an und ließ sich vom Kellner noch eine Teetasse bringen, ehe er sich etwas davon einschenkte und vorsichtig einen Schluck davon nahm.

Im ersten Augenblick nahm er fast überhaupt keinen Temperaturunterschied zu dem Getränk und sich selbst wahr. Doch als ihm der winzige Schluck schließlich die Kehle hinunter lief und seinen Magen traf, kroch ihm eine regelrechte Hitzewelle den Rücken hoch. Ausgehend von seinem Bauch, breitete sich noch mehr Wärme in ihm aus, bis ihm fast das Buch aus der Hand gefallen wäre. Für einen Moment lang, hatte es vor seinen Augen geflimmert, so wie die Luft über heißen Asphalt flimmerte.

Schließlich stellte er die Tasse wieder ab und schüttelte vorsichtig den Kopf, was sich wie eine 360° Bewegung anfühlte.

„Nein, ich glaube nicht das es hilft.“

Eher das Gegenteil. Ihm wurde langsam schlecht, was ihm auch die Lust auf sein eigenes Getränk verdarb. Immerhin wollte er nichts heraufbeschwören, was ihn in eine noch schlimmere Lage bringen könnte. Also tat er schließlich das Einzige, was ihm noch übrig blieb, um wenigstens noch etwas von seiner misslichen Situation zu retten. Er trat den Rückzug an.

„Paige, es tut mir wirklich leid, aber hättest du etwas dagegen, wenn wir ins Hotel zurück gehen und Abends weiter machen?“

Selbst das Sprechen forderte seine vollste Konzentration.

Offenbar war er wirklich hinüber.

Wie andere Gestaltwandler so eine Hitze aushalten konnten, verstand Ryon nicht, aber vielleicht kam es einfach darauf an, was man gewohnt war und was nicht. Es war auf jeden Fall Kälte, die ihm zusagte. Keine Hitze.

Da Paige ohnehin nichts anderes übrig blieb, als auf seinen Vorschlag einzugehen, da er wohl schon längst wie eine schlappe Pfütze aussah, bezahlte er, nahm seine Sachen und mischte sich mit seiner Begleiterin zusammen wieder unter die Menschenmasse, die inzwischen deutlich an Dichte zugenommen hatte.

Es war unerträglich.

Die Gerüche brannten in seiner trockenen Nase, ebenso sehr wie es der Staub in seinen Augen tat. Fremde Leiber schoben sich an ihm vorbei, schienen mit ihrer Bewegung noch mehr Hitze in ihm zu entfachen, als würde man zwei Stöcke aneinander reiben, um Feuer zu machen.

Die Sonne knallte ihm förmlich auf den Schädel und obwohl Ryon sich in Menschenmengen trotz seiner Größe für gewöhnlich relativ gut bewegen konnte, stieß er nun immer wieder mit Leuten zusammen, die er einfach nicht gesehen hatte.

Seine Wahrnehmung schrumpfte im selben Maße, wie seine Fähigkeit zu klarem Denken abnahm. Weshalb er sich auch nichts dabei dachte, als er wieder einmal als Wellenbrecher herhalten musste, da sich hier offensichtlich jeder darauf verließ, dass er auf den Weg achtete, anstatt es selbst zu tun.

Der abgemagerte Mann in den vielen Stoffhüllen murmelte irgendetwas auf Arabisch. Vermutlich eine Entschuldigung, ehe er sich wie die anderen zuvor an ihm vorbei schob und gerade wieder unwichtig für Ryon geworden war, bis plötzlich sein Kehlkopf regelrecht zusammen gedrückt und sein ganzer Oberkörper nach hinten gerissen wurde.

Einen Moment lang konnte er nicht atmen, bis sein träger Verstand endlich begriff, was genau diesen Zug an seinem Hals hervor gerufen hatte.

Ryon wirbelte herum und konnte gerade noch sehen, wie der Mann, mit dem er eben noch zusammen gestoßen war, erst das Amulett in seiner Hand und schließlich die Kette, an der es immer noch an Ryons Hals hing anstarrte.

Irgendetwas hatte er in seiner anderen Hand. Vielleicht so eine Art kleines Messer mit seltsam gebogener Klinge. Auf jeden Fall nichts, mit dem man ernsthaft jemanden hätte verletzen können, wenn man nicht wusste, welche Körperstellen man damit direkt angreifen musste. Also war es wohl so eine Art Werkzeug.

Der kleine Schnitt an seinem Schlüsselbein, der langsam auf seiner schweißbedeckten Haut zu Brennen begann, machte deutlich um welche Art von Werkzeug es sich hierbei handelte.

Offenbar hatte der Kerl versucht, ihm das Amulett abzunehmen. Das jedoch konnte er nur bewerkstelligen, in dem er unauffällig die Kette durchtrennte, an der es hing. Dass es sich hierbei um eine magische Kette handelte, die man selbst mit roher Gewalt nicht zerstören konnte, konnte der Typ natürlich nicht wissen.

Endlich überwand Ryon seine Überraschung, doch die des Diebs schwand noch schneller. Der Mann ließ das Amulett los, als hätte er sich daran die Finger verbrannt und lief auch schon davon. Einen Moment lang überlegte Ryon es sich ernsthaft, ob er dem Kerl hinterher sollte, da der bloße Gedanke daran, ihm dieses Amulett zu stehlen, normalerweise schon Mordgelüste in ihm auslöste. Aber im Augenblick schien ihm selbst das zu anstrengend und außerdem konnte sich das Schmuckstück offenbar auch ganz gut alleine helfen. Es war also völlig unnötig, sich deswegen aufzuregen.

Als Ryon allerdings nach raschem abchecken seines Besitztums auch seine Brieftasche nicht mehr an ihren richtigen Platz vorfinden konnte, war sein Handeln schneller, als seine Gedanken.

Der Impuls, der sein ohnehin schon äußerst gereiztes Gemüt deutlich überstrapazierte, wurde sofort an seine Muskeln weiter gegeben, woraufhin er, ohne auf Paige und seine fallen gelassenen Einkäufe zu achten, dem Mann hinterher lief.

Seine Sicht war nicht mehr die aller Beste, dennoch hefteten sich seine Augen auf die Kehrseite des Diebs, um ihn in der Menschenmenge nicht zu verlieren.

Dieses Mal war Ryon es, der sich unhöflich einfach so an den Leuten vorbei drängte, jede Lücke zwischen den Menschen ausnutzte, mochte sie noch so klein sein und lief, als würde es um Leben und Tod gehen.

Eigentlich war der Inhalt seiner Brieftasche nicht wichtig. Alles nur gefälschte Ausweise, ebensolche Kreditkarten und etwas Bargeld, aber es war nicht der Inhalt, der Ryon so sehr aufbrachte, sondern einfach die ganze Situation.

Er fühlte sich beschissen, kam fast um vor Hitze, dann rempelte ihn dieser Idiot auch noch so heftig an, dass sein Magen noch mehr protestierte, als ohnehin schon und anschließend wollte er ihm auch noch das Amulett stehlen.

Dinge, die ihn ohnehin schon zu einer Reaktion gezwungen hätten. Da war der Verlust seiner Brieftasche einfach nur noch das Sahnehäubchen auf diesem ganzen Mist, der seine Nerven blank legte. Dazu kam nun auch, dass es ihn stink sauer machte, sich bei den Temperaturen auch noch so verausgaben zu müssen, so dass er schon nach kürzester Zeit keuchte wie ein altes Rennpferd nach seiner letzten Runde.

Einen Moment sah es sogar so aus, als würde er den Kerl tatsächlich verlieren, da die Menschenmenge einfach so dicht war. Doch da begann der Mann den Fehler, sich in eine der verwinkelten Seitengassen zu flüchten. Vermutlich hoffte er dort, ihn endgültig abhängen zu können. Aber genau das war Ryons einzige Chance, ihn doch noch zu erwischen.

Als er endlich dem Strom aus Leibern entkommen war, beschleunigten sich seine Schritte, so dass er merklich aufholte, bis er schließlich sogar deutlich das panische Gesicht des Diebs sehen konnte, als dieser einen kurzen Blick auf ihn zurück geworfen hatte.

Fast wäre der andere dabei gestolpert. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sein Opfer ihm bereits so dicht auf den Fersen war und somit den Spieß umdrehte.

Ein letzter Satz und Ryon packte den Kerl an den unzähligen Kleiderschichten in dessen Nacken, riss ihn einfach von den Füßen und drehte ihn herum, als wäre er nur eine Puppe und kein ausgewachsener Mann. Allerdings ein ziemlich dürrer Mann, wenn man bedachte, wie dünn der Hals war, um den sich seine Hand schlang, damit er dem Dieb eindringlich in die blutunterlaufenen Augen sehen konnte, während sich Ryons Atem immer noch förmlich überschlug.

Er bekam kaum noch Luft, versuchte sich trotzdem mit stoischer Ruhe dazu zu zwingen, gleichmäßig und tief zu atmen, auch wenn das vollkommen gegen jeden Instinkt zu gehen schien.

Ohne auf das flehende Gestammel des Mannes zu hören, durchsuchte Ryon dessen Kleider, bis er schließlich etwas fand, das ihm gehörte. Danach ließ er den Kerl los, der daraufhin ein paar Schritte zurück taumelte. Er fiel auf die Knie, als wolle er ihn anflehen, ihn zu verschonen und einen Moment später tat er es auch. Das merkte man am Tonfall, obwohl Ryon noch immer kein Arabisch sprach, war das offensichtlich.

Entweder fürchtete der Mann sich vor ihm selbst, oder vor der Strafe, die in diesem Land für Diebstahl verhängt wurde.

So oder so. Weder war Ryon in der Stimmung dafür, noch war es seine Absicht, dem Mann zu schaden.

Seit er Paige kannte, war ihm bewusst, dass sich hinter einer tückischen Fassade, ebenso ein kümmervolles Leben verbergen konnte, das lediglich versuchte, am Leben zu bleiben.

Ein Grund, weshalb Ryon seine Brieftasche öffnete, sein gesamtes Bargeld heraus nahm und es dem Mann vor die Füße warf, ehe er sich umdrehte und sich wieder auf den Weg zurück zu seiner eigenen Diebin zu machen.

Er drehte sich nicht um, sondern wischte sich über die vollkommen trockene Stirn, die förmlich brannte und war sich dabei bewusst, dass sich sein Atem immer noch nicht beruhig hatte. Aber jetzt konnten sie hoffentlich ohne weitere Störungen zurück ins Hotel gehen. Immerhin hatte er seit diesem Sprint nicht nur Probleme mit der Atmung, sondern auch immer mehr, mit seinem Sehvermögen.

Stechende Kopfschmerzen machten es schwer, sich noch auf irgendetwas zu konzentrieren und sein Bewusstsein war mehr als nur träge. Als würde er bereits halb schlafen.

Dass er inzwischen auch nicht mehr schwitzte, war ebenfalls kein sehr gutes Zeichen. Er brauchte dringend Kühlung.

Auf dem Weg zurück zu Paige, konzentrierte er sich lediglich nur noch auf ein einziges Ziel – sein Hotelzimmer.

Dieser Gedanke alleine, hielt ihn noch aufrecht, schaffte es sogar, seine Atmung kontrolliert langsam und tief werden zu lassen, obwohl er lieber wie ein Hund gehechelt hätte. Aber er wollte Paige nicht noch mehr Schwächen aufweisen.

Sie hatte auf seine Einkäufe aufgepasst, die er einfach so achtlos fallen gelassen hatte. Man konnte deutlich sehen, dass ihr förmlich ein paar Fragen auf der Zunge brannten, aber Ryon wollte jetzt weder irgendetwas erklären, noch sprechen. Das hätte seine Konzentration eindeutig überfordert, weshalb er einfach nur mit einem Kopfschütteln die Einkäufe nahm und sich zielstrebig in Bewegung setzte. Das Hotel war nicht mehr weit entfernt.
 

Bereits als sie den Fahrstuhl betraten, begann das Zittern. Erst leicht, doch so wie sie immer weiter in die Höhe fuhren, so nahm auch die Kontraktionen seiner Muskeln zu, bis er förmlich am ganzen Körper bebte, als wäre ihm kalt. Seine Zähne klapperten nur deshalb nicht aufeinander, da er sie vor Schmerz fest zusammen biss.

Sein Kopf schmerzte, das Licht der Fahrstuhlbeleuchtung brannte in seinen Augen, seine Haut schien Feuer gefangen zu haben und jeder erzwungen tiefe Atemzug war eine einzige Qual.

Inzwischen war durch die Hitze seines Körpers selbst seine Kleidung wieder getrocknet. So trocken wie die Haut, die ihn überzog.

‚Nur noch ein paar Sekunden‘, ermahnte er sich selbst, während er hoch konzentriert auf die Nummer ihres eigenen Stockwerks starrte. Das Einzige, das ihn noch aufrecht hielt.

Dann würde er seine eiserne Kontrolle endlich fallen lassen können. Was danach passierte, wusste er nicht.

Endlich ertönte das erlösende Klingeln des Fahrstuhls, ehe sich die Türen öffneten und Ryon nach Paige hinaus trat.

Wie auswendig, leierte er die Worte hinunter, die er sich seit Betreten der Lobby immer wieder Gedanklich aufsagte, um sie nicht zu vergessen, da ihm das Denken schon so unglaublich schwer fiel.

„Wir können uns später zusammen rufen. Ich leg mich erst einmal hin. Bis dann.“

Dabei hatte er Paige noch nicht einmal angesehen. Eigentlich sah er nichts mehr wirklich richtig. Denn die Welt um ihn herum verschwamm immer wieder, wurde kurz scharf, ehe sie wieder verschwamm. Trotzdem schaffte er es irgendwie noch halbwegs anständig zu seiner Tür.

Um sie zu öffnen brauchte er nicht länger als einen der tief erzwungenen Atemzüge, ehe er in sein Zimmer trat, ohne sie wieder zu schließen. Die Einkäufe ließ er schon wieder achtlos auf den Boden fallen, wo sie zum Glück von einem dicken Teppich abgefangen wurden.

Er schwankte ins Bad, drehte das Wasser im Waschbecken auf Kalt und wollte sich grade eine Hand voll davon ins Gesicht schütten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, als er die Kontrolle nicht mehr länger aufrecht erhalten konnte.

Seine Knie wurden zu Butter, konnten sein Gewicht nicht länger tragen und der Versuch sich noch rechtzeitig am Waschbecken abzufangen, ging auch daneben. Seine Finger hatten keine Kraft mehr und es verschwamm nun vollends alles vor seinen Augen.

Irgendetwas knallte so hart gegen seine Stirn, dass Sterne in seinem Kopf explodierten, bis er schließlich halb auf dem weichen Badezimmerteppich und halb auf den kalten Fließen zum Erliegen kam.

Wie ein Kältesüchtiger schob er sich von dem Teppich herunter, um noch mehr von den Fließen unter sich spüren zu können.

Der Kontrast tat ihm weh, aber andererseits hatte er noch nie etwas so wundervolles in seinem Leben gespürt, wie diesen glatten, kalten Bodenbelag.

Ryon legte mit einem leisen Stöhnen eine Seite seines brennenden Gesichts darauf ab und verlor nun vollends das Bewusstsein, als die Krämpfe seinen Körper übermannten und ihn dazu zwangen, sich zu einem windenden Ball auf dem Boden zusammen zu rollen, der heftig durchgeschüttelt wurde.



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