Zum Inhalt der Seite

Das Leben danach

Worst-Case-Szenario
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Arbeitsloser Mafioso, I.

MAXIMUM: 12 SHEETS, stand auf dem Aktenvernichter, der nicht nur aussah wie ein hungriges Monster, sondern auch noch so klang. Gähnend zählte er die nächsten zwölf Blätter ab und schob sie in den wartenden Schlitz, sah dann dabei zu, wie die Dokumente hinter der Kunststoffscheibe zu nutzlosen, langen Streifen verarbeitet wurden.

Während er erneut zwölf Blätter von dem großen Stapel abzählte, hatte Squalo den Kopf auf seine linke Hand gestützt und gähnte schon wieder. Das hier war wahrscheinlich die langweiligste Arbeit, die er jemals für die Varia erledigt hatte. War ja ein ganz wundervoller Abschluss für seine Karriere.

Es war der letzte Auftrag seines ehemaligen Bosses. Squalo hatte gar keine Ahnung, wieso er den überhaupt noch ausführte. Einerseits war er nicht mehr verpflichtet, auf Xanxus zu hören, und andererseits hatte er auch überhaupt keine Lust mehr, auf den Trottel zu hören. Squalo hatte sich seinen verfluchten Arsch aufgerissen, um diese Varia am Leben zu halten, und es hatte ihn verdammte Überwindung gekostet, Xanxus damals den Posten des Bosses zu übergeben, und was machte das Arschloch? Stürzte sie in den Ruin.

Und während Squalo kurz nach der Verhandlung noch voller Kampfgeist gewesen war, das nicht auf sich sitzen zu lassen und doch irgendeine Möglichkeit zu finden, weiterzumachen, hatte Xanxus einfach die Schultern gezuckt und gesagt, sie sollten es einfach akzeptieren.

Idiot. Verdammter Idiot.

Diese Reaktion war wahrscheinlich auch nur eine Ausgeburt von Xanxus‘ Depressionen gewesen und eigentlich war der Kerl zu bemitleiden. Aber Squalo war schon immer besser im Aufregen gewesen, als im Bemitleiden. Außerdem wollte Xanxus ja gar nicht bemitleidet werden.

Wohin der Trottel sich verzogen hatte, wusste Squalo. Was er nicht wusste, war, wohin die ganzen anderen Trottel sich verzogen hatten. Mittlerweile waren alle weg, die Zimmer und Suiten waren leergeräumt, auch das allerletzte Mitglied war aus dem ehemaligen Varia-Hauptquartier ausgezogen. Es war ein seltsames Gefühl, der einzige Mensch in diesem riesigen Gebäude zu sein.

Aber lang war er ja auch nicht mehr hier. Er würde nur noch diesen Stapel an den laut ratternden Aktenvernichter verfüttern und dann würde sich auch Squalo verziehen. Nachdem er acht Jahre lang hier gelebt hatte. Schöne Scheiße auch.

Ja, er war wütend auf Xanxus, wütender, als er es je auf den Kerl gewesen war. Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass er überhaupt wirklich wütend auf Xanxus war. Vorher hatte er ihm immer alles verziehen, eben einfach, weil es Xanxus gewesen war. Aber diesmal ging das nicht so einfach. Ihm war die Lebensgrundlage unter den Füßen weggezogen worden – nicht nur Squalo, sie alle hatten ihre Arbeit, ihren Wohnsitz und ihr Leben verloren. Und das, weil Xanxus ein fauler Arsch war, ein schlechter Verlierer, ein therapieresistenter Säufer, der sich und seine Psyche nicht im Griff hatte. Nur deshalb.

Squalo schnaubte leise, schob wieder zwölf Blätter in das laute Monster vor ihm und hielt das dritte Gähnen zurück. Oh, er hatte sich bereits aufgeregt. Während die anderen Mitglieder ihre Zimmer leergeräumt hatten, hatte Squalo seines zerstört. Und zwar bis auf den letzten Rest. Dort war gar nichts mehr heil. Er hatte es sogar geschafft, seine Klamotten irgendwie zu zerfetzen. Die letzte Varia-Uniform, die er besaß, war die, die er gerade trug. Er hatte sich auch schon vorher aufgeregt. Nach den Verhandlungen mit Nono hatte er erst einmal so stark gegen ein Straßenschild getreten, dass das nun schief war, und dann hatte er mindestens zwanzig Minuten damit verbracht, Xanxus anzubrüllen und zu beleidigen, wofür er sich am Ende einfach nur einen kräftigen Schlag ins Gesicht eingefangen hatte. Da die Verhandlungen ein paar Tage her waren, war die blaue Nase glücklicherweise kaum noch sichtbar.

Jetzt war er einfach nur noch müde. Und er freute sich sogar irgendwie, aus diesem leeren Anwesen herauszukommen. Auch, wenn er danach einfach nur ins nächste leere Anwesen ziehen würde, aber dort würden wenigstens nicht so viele Erinnerungen an die Varia hängen. Andere Erinnerungen eben.

Die letzten zwölf Blätter verschwanden in der Shredder-Hölle und Squalo betrachtete den Haufen Papier hinter der Scheibe stumm. Das waren alle wichtigen Dokumente gewesen, die die Varia besessen hatte. Zugegebenermaßen hatten sie als Haufen Auftragskiller recht wenig Papierkram zu tun gehabt, aber es hatte durchaus etwas gegeben. Schriftliche Aufträge, Anweisungen, vor allem aber Lagepläne, Angriffsstrategien und wichtige Taktiken.

Es war sozusagen Xanxus‘ letzter Wille als Boss gewesen, das alles verschwinden zu lassen. Squalo hätte es ja sogar fast für einen relativ stilvollen Abgang gehalten, wenn er nicht den Grund dafür wüsste. Den wiederum fand er nämlich eher kindisch.

Vongola Nono war nicht dumm. Er wusste sehr gut, dass die Varia eigentlich immer, seit es sie gab, ein wichtiger Bestandteil der Vongola gewesen war. In Krisenzeiten waren sie zuverlässiger Rückhalt gewesen, sie hatten Gegnern die Fressen poliert und die Ärsche aufgerissen, sie waren immer da gewesen, wenn der normale Durchschnittsmafioso nicht mehr weiter gewusst hatte. Sie waren die Elite der Mörder gewesen, sie hatten jeden aus dem Weg geräumt, den die Vongola allein nicht gepackt hatte. Sie waren eine nicht zu unterschätzende militärische Kraft gewesen, ohne die die Vongola so manche Konflikte kläglich verloren hätte.

Trotzdem hatte er die Varia aufgelöst – weil das Risiko zu hoch war, dass es zu keiner Zusammenarbeit zwischen ihnen und der zehnten Generation kommen würde. Im Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es noch weitere Revolten geben würde, dass Xanxus nicht aufgeben würde, dass irgendwelche anderen Idioten in der Varia nicht aufgeben würden. Dass der innere Konflikt niemals enden würde. Timoteo hatte da sehr begründete Verdachte gehabt. Es hätte tatsächlich gut sein können, dass die Varia die zehnte Generation nicht gestärkt, sondern eher geschwächt hätte. Und deshalb hatte er sie aufgelöst. Sie alle entlassen und weggeschickt.

Na ja, im Endeffekt, dachte Squalo, konnten sie froh sein, dass man nicht nach alter Mafia-Manier versucht hatte, sie hinzurichten. Wäre sowieso nach hinten losgegangen.

Jedenfalls war Timoteo sich der Tatsache bewusst, dass eine frische, recht unerfahrene zehnte Vongola-Generation ohne Unterstützung von Profis wie der Varia tendenziell ziemlich aufgeschmissen sein konnte. Deshalb hatte er deutlich werden lassen, dass er Sawada bei der Aufgabe unterstützen würde, sich eine neue solche Truppe zusammenzustellen.

Xanxus und Squalo hatten darüber nur hohl lachen können. Als ob der Junge für so etwas die Eier in der Hose hätte.

Aber da Timoteo angekündigt hatte, Sawada dabei so viel Beistand wie möglich zu leisten, war es wohl nicht ganz unwahrscheinlich, dass das wirklich irgendwann passierte. Und deshalb hatte Xanxus gewollt, dass ihre Unterlagen restlos vernichtet wurden. Damit sie dieser »neuen Einheit« in keinster Weise helfen würden und niemand auf die Idee kam, in den alten Archiven der Varia nach Inspiration zu suchen.

Squalo blieb noch ein paar Minuten lang sitzen, weil er gerade in Xanxus‘ Bürosessel saß. Das hatte er noch nie gemacht. Das Arschgesicht hatte es hier wirklich verflucht bequem gehabt. Kein Wunder, dass er nie aufgestanden war.

Letztendlich jedoch hielt er die Stille nicht mehr aus, stand ruckartig auf, klemmte sich den vollen Aktenvernichter unter den Arm und stapfte aus dem Büro.

Er sah nicht zurück. Er verlor kein Wort, keinen einzigen Laut, in diesem leeren Haus. Als sei es ein ganz normaler Tag, als käme er bald wieder, verließ er die Varia-Residenz durch die große, vordere Flügeltür, ging mit großen Schritten durch den Garten und die Einfahrt, schwang sich in sein Auto und packte den Shredder auf den Beifahrersitz. Er fuhr zu der Mülldeponie, die die Vongola gelegentlich nutzte und sorgte dort dafür, dass gleich der ganze Shredder mit all den sowieso schon zerstörten Dokumenten eliminiert wurde.

Dann fuhr er nach Mondello.

Eigentlich war Mondello schon seit Jahrhunderten kein kleines Fischerörtchen mehr, aber auf Squalo würde es wohl auf ewig so wirken. Es war ein Vorort von Palermo – er war hier aufgewachsen. Es lag nah am Strand, nördlich vom Monte Pellegrino, die Leute dort waren Idioten, und wenn man erst einmal ein paar Jahre in Palermo verbracht hatte, dann war das hier ein Witz.

Dennoch war es das erste, was ihm in den Sinn gekommen war, und vielleicht war es ja gar nicht so schlecht, wenn er mal wieder ein bisschen Freizeit am Meer verbrachte.

Na ja – wahrscheinlich war es durchaus ziemlich schlecht.

Squalo ließ sein Auto mitten in der Einfahrt stehen, schloss die Tür auf und betrat die kühle Eingangshalle. Seit seine Eltern tot waren, gehörte die gesamte Villa ihm. Eine Weile lang hatte er hier allein mit dem Dienstpersonal gelebt, aber nicht lang. Danach war ziemlich bald die Sache mit der Varia gekommen.

Back to the roots, schätze ich, dachte Squalo grimmig und ließ die Tür hinter ihm ins Schloss fallen.

Und dann stand er da. In der großen Halle, in der es nur Marmorboden, eine gigantische Treppe und gefühlte hundert Türen gab. Seit Squalo nicht mehr hier lebte, arbeitete hier logischerweise auch niemand mehr. Er hatte ja nicht gedacht, dass er die Varia jemals wieder verlassen würde.

Jetzt war er wieder da, und wusste nichts mit sich anzufangen.

Er konnte ja nichts anderes.

Er war nach Mafioso-Regeln aufgezogen worden. Er war auf eine Schule gegangen, auf der es fast nur Mafioso-Kinder gegeben hatte. Für ihn war von Anfang an klar gewesen, was aus ihm werden würde. Er hatte nichts gelernt. Gottverdammt, er hatte ja nicht einmal einen Schulabschluss, weil er mit vierzehn erst einmal den Schwertkaiser aus dem Weg geräumt und sich in der Varia dann nicht mehr wirklich um Schule gekümmert hatte.

Es gab nichts, was Squalo konnte, außer, mit seinem Schwert der Mafia zu dienen.

Er war ein arbeitsloser Mafioso.

Seufzend ging Squalo ein paar Schritte, ließ sich auf der mit dunkelblauem Samt überzogenen Treppe nieder und zog sein Handy. Er würde erst einmal etwas Leben in diese alte Villa bringen.

Etwas anderes hatte er ja nicht zu tun.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück