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Fullmetal Alchemist - Was danach geschah

Was hätte passieren können...
von

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REUNION IN XING

REUNION IN XING

Hauptstadt des Reiches: Xing – Anderthalb Wochen später
 

Xings Hauptstadt, die denselben Namen trug wie das Land selbst, vibrierte vor Farben und Fröhlichkeit. Der Geruch von Gewürzen hing in der Luft und die Sonne brannte auf die Reisegruppe aus Amestris hinab, als sie durch die verwinkelten Gassen ging.

„Ich hätte schon früher einmal herkommen sollen!“, verkündete Breda. „Seht euch doch nur mal das ganze Essen hier an! Das ist doch wie im Schlaraffenland!“

Olivier, die sich zu ihrem eigenen Leid im selben Zug wie Mustang und Co. wiedergefunden hatte, verdrehte die Augen, während sie sich bei Miles unterhakte, um nicht von den entgegenkommenden Menschenmassen von der Gruppe getrennt zu werden. Sie fühlte sich besser, auch wenn sie den Eindruck hatte, dass ihre Knie aus Watte bestanden. „Ich habe auch Hunger“, sagte sie ruhig und dennoch war klar, dass sie soeben den Befehl erteilt hatte, ein Restaurant aufzusuchen.

„Ling hat mir zu einem hübschen Restaurant geraten“, sagte Mustang, dem es in Xing gut gefiel. „Er sagt, dass er früher oft mit Lan Fan und Fu – Gott sei ihm gnädig – dort gewesen sei. Offenbar muss es dort die besten Glückskekse von ganz Xing geben.“

„Sag mir bitte nicht, dass du an so etwas glaubst!“, lachte Rebecca. „Das ist lächerlich! Der große Flame Alchemist glaubt an … Glückskekse?!“

Mustang schnaubte nur. „Ich glaube nicht daran, aber manchmal finde ich sie ganz lustig. Irgendwann waren wir nach der Arbeit mal alle zusammen essen und weil der Inhaber des Restaurants aus Xing kam, gab es natürlich auch Glückskekse. Die Form ist zwar ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber sie schmecken ziemlich gut, wie ich finde…“

„Wir sollten uns beeilen“, unterbrach Olivier die Unterhaltung. „Sonst ist Alex vor uns da und auch wenn man es ihm und seinen Leuten nicht unbedingt zutrauen würde, essen die ganz schön viel. Und ich habe aktuell auch eine Menge Hunger. Deswegen wäre es mir jetzt ganz recht, wenn ihr euch ein bisschen beeilt!“

Hawkeye, die einen halben Schritt hinter Mustang ging, um seinen Rücken im Auge zu behalten, nickte nur und legte einen Schritt zu, wodurch sie eine Kettenreaktion in Gang setzen wollte, weil sie eigentlich davon ausgegangen war, dass ihr Vorgesetzter auch ein wenig schneller gehen würde, damit er den kleinen Vorsprung auf sie halten konnte, aber der Generalmajor tat nichts desgleichen. Er behielt seine Schrittgeschwindigkeit bei und als Hawkeye ihn ansah, grinste er nur. „Was ist los?“, fragte er mit Unschuldsmiene. „Du siehst mich doch sonst nicht so böse an, Elizabeth. Hast du ein Problem?“

„Bisher noch nicht“, sagte sie, „aber wenn wir uns nicht beeilen, haben wir gleich alle ein kleines Problem, weil wir einen Schneesturm im Nacken haben, wenn du mich verstehst. Wir sollten wirklich einen Schritt schneller gehen…“

„Komm schon, Elizabeth, ich will mir die Stadt anschauen“, sagte er und hielt sie am Arm fest. „Wir hetzen uns jeden Tag immer ab. Jetzt haben wir Urlaub und sollten uns ein bisschen entspannen. Wenn du jetzt zulässt, dass ich trödle, erledige ich meinen Papierkram nach unserer Rückkehr immer fristgerecht und ohne dass du mich irgendwie hetzen musst. Na? Wie klingt das für dich?“

„Das ist der Todesstoß, Madam“, sagte Falman an Olivier gewandt. „Seitdem ich für ihn arbeite, muss sie ihn immer mit Todesdrohungen zur Arbeit zwingen.“

„Normalerweise würde ich ein solches Angebot ja annehmen“, sagte Hawkeye, „aber ich denke nicht, dass du willst, dass deine Assistentin verhungert.“

„Oh!“ Mustang legte plötzlich doch einen Schritt zu und zerrte sie hinter sich her. „Das hättest du doch gleich sagen können!“

„Manchmal sind die beiden schlimmer als ein altes Ehepaar!“, grummelte Havoc.

„Riza, hast du das gehört?!“ Mustang lachte und schien den Spaß seines Lebens zu haben. „Havoc hat gesagt, wir wären verheiratet!“

„Ich habe das nicht gehört“, erwiderte sie trocken, während er sie mit großen Schritten auf das Restaurant zuzerrte und sie dann hereinschleppte. Es war ein einfaches Restaurant, aber in seiner Jugend hatte Ling kein allzu privilegiertes Leben geführt. Und aus diesem Grund war das Restaurant nicht allzu vornehm. Trotzdem wusste Mustang, dass der Kaiser sich hin und wieder aus dem Palast verabschiedete, um hier in Verkleidung zu speisen. Natürlich nahm er seine ehemalige Leibwächterin immer mit, wenn er essen ging. Immerhin handelte es sich bei dieser Frau auch um seine Verlobte!

Das kleine Restaurant war fast leer. Es war sehr simpel eingerichtet und dennoch hatte es einen Charme, dem man sich kaum entziehen konnte. Alles sah so … perfekt aus, dass es an die Kulisse eines Theaterstückes erinnerte. Als die Besucher aus Amestris eintraten, kam ihnen die einzige andere Kundin entgegen. Wie die meisten Bewohner Xings hatte sie von Natur aus sehr dunkles Haar und auch sie trug es zusammengebunden, so dass es sie nicht behindern konnte. Sie hatte sehr dunkle Augen, die fast schwarz waren, aber als das Licht anders auf sie fiel, erkannte man, dass es ein sehr dunkles Blau war. Auch der Mantel, den sie über ihren Arm geworfen hatte, war aus einem blauschwarzen Seidenstoff gearbeitet, der das Sonnenlicht auf einzigartige Weise einfing und geheimnisvoll schimmerte. Ihr Teint war sehr blass und erinnerte an Mondstein, während ihre Lippen so rot waren, dass sie vermutlich einen teuren Lippenstift benutzte. Neben dem blauschwarzen Mantel trug sie ein elegantes Kleid aus smaragdgrüner Seide und an ihrer Hüfte hing ein Schwert, das kunstvoll gearbeitet war, während an ihren Fingern etliche kostbare Ringe glitzerten. Außer ihrem Schwert hatte sie noch mehrere Dolche an ihrem Ledergürtel und in der freien Hand hielt sie eine Maske.

Man könnte sagen, dass diese Frau auf den ersten Blick eine Vorzeigebürgerin des Landes war, aber als sie die Haarsträhne zurückstrich, die ihre linke Gesichtshälfte bedeckt hatte, sah man eine hässliche Brandnarbe, die die Form einer Flamme hatte. Offensichtlich war sie einmal in einen Unfall verwickelt gewesen.

„Auf Wiedersehen“, sagte sie, während sie sich kurz verbeugte, dann war sie weg.

Der Restaurantbesitzer wandte sich den Leuten aus Amestris zu und lächelte freundlich. „Sie sind Freunde des Kaisers, nicht wahr?“, fragte er so ruhig, dass es den Anschein hatte, dass es ganz alltäglich wäre, dass sich eine Horde wildfremder Offiziere aus einem weit entfernten Land in sein kleines Restaurant verirrte.

Bevor Olivier die Chance hatte, irgendetwas zu sagen, was den Groll des Mannes erregt hätte, trat Hawkeye ihr ‚versehentlich’ auf den Fuß und setzte ihr schönstes Lächeln auf. „In der Tat“, sagte sie ruhig. „Er hat uns geraten, herzukommen und etwas zu essen. Ich hoffe, wir machen Ihnen trotz unserer großen Anzahl keine Schwierigkeiten.“

„Nein, nein!“ Der Mann hob abwehrend die Hände. „Ich habe schon einmal für eine viel, viel größere Gruppe gekocht. Nehmen Sie Platz und sagen Sie mir, was Sie essen wollen, Madam. In Amestris heißt es ‚Madam’, nicht wahr? Hier heißt es junge Dame, aber so sagt man nur zu einer unverheirateten Frau. Deswegen wären Sie eigentlich junge Herrin, aber Sie sind nicht Teil der Armee unseres Landes. Verwirrend, verwirrend.“

„Ich will Ihnen wirklich keine Umstände machen“, sagte Olivier gedehnt, „aber Sie müssen sich um unsere Riza hier keine Sorgen machen. Sie ist unverheiratet.“

„Riza?“ Der Mann sah Hawkeye mit neuem Interesse an. „Wie in Riza Hawkeye?“

„Dein Ruf eilt dir wohl voraus, Riza“, sagte Rebecca, während sie sich auf einen Stuhl fallen ließ. „Tja, ich habe ja immer gewusst, dass es Nachteile hat, berühmt zu sein.“

„Der Kaiser und seine Verlobte waren gestern Abend mit Freunden hier“, erklärte der Mann, während er Speisekarten holte. „Und er hat mich darum gebeten, nach einer Reisegruppe Ausschau zu halten, die von einer auffallend strengen Persönlichkeit angeführt wird, die sich in Begleitung eines schwarzhaarigen Mannes befindet. Der kleine Blonde mit den goldenen Augen, der dabei war, hat dabei nur gekichert und wäre fast an seinem Essen erstickt, aber die kleine Prinzessin hat ihm so stark auf den Rücken geschlagen, dass er es noch mal überlebt hat. Trotzdem … ich nehme an, dass es sich bei Ihnen um die Reisegruppe handelt, für die ich einfach alles kochen soll, damit Sie alles probieren können. Deswegen müssen Sie sich nur noch Ihre Getränke aussuchen und ich gehe solange in die Küche und sage meinen Leuten, dass sie anfangen sollen.“

„Hervorragend“, sagte Olivier, während sie sich die Getränkekarte schnappte, nach der Mustang bereits gegriffen hatte, und sich auf einen der Stühle sinken ließ. „Was trinke ich heute? Ich habe viel von den Getränken hier gehört…“ Sie studierte die Karte mit einem Blick, der normalerweise für wichtige Dokumente reserviert war. „Reiswein…?“

Miles griff nach ihrer Getränkekarte und schloss sie mit einer einzigen Handbewegung. „Sie haben mir den Befehl gegeben, Sie vor solchen Dummheiten zu bewahren, Madam“, sagte er mit fester Stimme. „Für Sie wird es heute keinen Alkohol geben. Ich habe mir sagen lassen, dass die Fruchtsäfte hier wirklich lecker sein sollen.“

„Ich will aber nicht als einzige nur einen Saft trinken, während alle anderen Wein trinken dürfen!“, sagte sie aufbrausend. „Ich käme mir wie ein Kind vor!“

„Falls es Sie tröstet, trinke ich eben auch nur Saft“, sagte ihr Adjutant. „Ich soll ohnehin hier alle regionalen Spezialitäten ausprobieren, weil wir überlegen, ein paar ausländische Restaurants nach Ishbal zu holen. Ich stelle es mir irgendwie interessant vor. Die Heimat meines Großvaters als kultureller Schmelztiegel, in dem alles zusammenkommt. Und natürlich würde das sich positiv auf den Tourismus auswirken…“

„Und Generalmajor Mustang wird auch nur Fruchtsaft trinken“, entschied Hawkeye. „Es war an meinem Geburtstag schon schlimm genug. Ich kann auf eine Wiederholung gut verzichten. Ich trinke auch keinen Alkohol. Deswegen werden wir vier uns benehmen und können im Zweifelsfall diejenigen, denen der Wein nicht bekommt, nach Hause bringen, ohne dass sie sich irgendwie verletzen können.“

„Du bist so gut zu uns allen!“, verkündete Mustang und funkelte Olivier wütend an, als er sah, dass sie einen ironischen Kommentar auf den Lippen hatte. „Wirklich, Riza, du bist das Herz unserer Einheit. Du machst es immer wieder zu einem Fest, dass wir alle zusammen sind und alles irgendwie überlebt haben. Und deswegen bin ich auch so froh, dass Grumman deine Bitte um die Zurückversetzung unterschrieben hat. Ich habe nicht mehr mit einer vollkommen neuen Einheit zusammengearbeitet, seitdem ich euch kenne und inzwischen sind wir doch ein eingespieltes Team, nicht wahr?“

„Wirklich, Mustang“, sagte Olivier zynisch. „Wenn du nicht so ein Idiot wärst, hätte ich diese Aussage ja süß gefunden, aber leider bist du eben ein Idiot…“

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dir jemals die Erlaubnis gegeben zu haben, mich als ‚Idioten’ zu bezeichnen“, schnappte er, während er neben seiner Adjutantin Platz nahm und sich der Getränkekarte zuwandte, obwohl er wusste, dass Hawkeye vermutlich für ihn bestellen würde, weil sie das immer tat.

„Was kann ich Ihnen für Getränke bringen?“, fragte eine junge Frau.

„Viermal den Orangensaft … und was trinkt ihr?“, fragte Miles, der offenbar entschieden hatte, die Kontrolle zu übernehmen. Olivier war immerhin theoretisch diejenige, die am meisten zu sagen hatte, weil sie nicht nur über militärische, sondern auch über finanzielle Macht verfügte und als ihr Adjutant stand er deswegen über den meisten anderen. Nur Mustang und Hawkeye standen höher als er, obwohl Hawkeye einen Rang unter ihm zu finden war. Jedoch hatten sie ihre Ränge alle zuhause gelassen. Für Olivier war die Reise offiziell eine Kurmaßnahme und für die anderen eine diplomatische Mission. Anders hatte Grumman es nicht rechtfertigen können, so viele hochrangige Offiziere auf einmal aus dem Land zu lassen.

„Ich würde den Reiswein gerne probieren“, sagte Havoc und sah seine Verlobte an. „Was ist mit dir, Becca? Trinkst du mit mir das Nationalgetränk oder willst du etwas anderes? Ich bin mir sicher, dass es hier auch noch etwas anderes gibt, was dir schmeckt.“

Sie lächelte und legte ihre Hand auf seine. „Ich trinke Reiswein“, sagte sie ruhig.

„Das ist ja widerlich!“, murmelte Olivier und sah Mustang an. „Wie erträgst du das nur, Mustang? Ich bekomme ja jetzt schon Zahnschmerzen, so zuckersüß ist das!“

„Oh, kann da jemand sich nicht für andere freuen?“, fragte Mustang scharfzüngig. „Oder vernehme ich da den bitteren Klang der Eifersucht…?“

Oliviers Blick war leicht zu deuten: „Willst du, dass ich mir hier in Xing ein neues Schwert kaufe und es gleich an dir ausprobiere, Mustang?“

Schnell sorgte Fuery in einem für ihn typisch freundlichen Tonfall dafür, dass die unangenehme Stille, die sich über die Szene gelegt hatte, gebrochen wurde, indem er mit der Bestellung fortfuhr. Sobald die Kellnerin alles wusste, was sie wissen musste, ergriff sie die Flucht – ein Verhalten, das ihr keiner übelnahm, denn Olivier war so gefährlich wie immer. Keiner sollte sich in ihrer Nähe aufhalten, wenn sie so gereizt war.

„Viele Reisende kommen in mein Restaurant“, sagte der Mann, während er das Essen auftrug. „Eine meiner besten Kundinnen kommt seit vielen Jahren nur, weil sie sagt, dass es hier die besten Glückskekse überhaupt gäbe. Sie ist eine Reisende und sucht nach Weisheit. Eine bemerkenswerte Frau.“

Mustang tauschte einen Blick mit Hawkeye. Weisheit … Wahrheit … War das nicht irgendwo dasselbe? Die beiden wussten, was mit einem Alchemisten passierte, wenn er sich zu sehr auf seine Suche nach der Wahrheit konzentrierte. Er wurde weniger, bis er am Ende nicht mehr vollständig vorhanden war. Eine Person, die nur noch für ihre Forschungen lebte, wurde zu einer unausgeglichenen Gleichung, zu einem zerbrochenen Kreis. Die beiden hatten jemanden gekannt, der so geendet war. Master Hawkeye war zu seinem Ende hin nur noch ein Schatten gewesen. Sobald er die Feueralchemie perfektioniert hatte, hatte er keinen Lebensgrund mehr gehabt. Nicht einmal für seine Tochter hatte er weiterleben wollen.

„Wollen Sie einen Glückskeks, Oberstleutnant Hawkeye?“, fragte Fuery und hielt ihr die Schale mit den Keksen hin, während er freundlich lächelte.

„Danke, Kain“, erwiderte sie ruhig und nahm einen der Kekse heraus, bevor sie ihn aufbrach und den Spruch kurz las. „Hmh … könnte stimmen…“

Die anderen rissen sich förmlich darum, ihren Zettel lesen zu dürfen, deswegen las sie es einfach laut vor: „Deine Stärke entspricht deiner Ausdauer.“

Olivier lachte schrill auf, nachdem sie ihren eigenen Keks geöffnet hatte. „Wer sich selbst liebt, kann Liebe mit anderen teilen!“, verkündete sie amüsiert.

Havoc starrte seinen Keks so an, als ob er eine Giftschlange wäre, dann fasste er sich ein Herz und öffnete ihn. „Deine Suche hat ein Ende. Genieße, was du erreicht hast“, las er vor und man sah regelrecht, wie ihm ein Stein vom Herzen viel.

„Wollen Sie Ihren Keks nicht öffnen, Generalmajor?“, fragte Rebecca, nachdem sie ihren Zettel („Möge deine Seele leuchten wie Sonnenlicht“) vorgelesen hatte.

Mustang nahm den Keks, den Hawkeye ihm reichte und brach ihn auf. „Habe Respekt gegenüber dir selbst und anderen“, murmelte er. „Nun, dass ist eine Weisheit, die man eher einem anderen Generalmajor mit auf den Weg geben sollte“, meinte er, wobei er Olivier demonstrativ anschaute.

Fuerys Glückskeks passte wie die Faust aufs Auge: „Mitgefühl hat keine Grenzen. Freundlichkeit hat keine Feinde.“ Das passte so gut, weil der junge Leutnant derjenige gewesen war, der sowohl Black Hayate als auch Schneewittchen gefunden und einfach mitgenommen hatte. Er war ein freundlicher Mensch, der schon deswegen während der gesamten Reise immer wieder von Olivier aufs Korn genommen worden war, weil sie entschieden hatte, dass er zu weich für das Militär war. Olivier hatte aber sehr schnell wieder den Mund gehalten, als sie gesehen hatte, dass Mustangs Hand gefährlich nahe an der Jackentasche gewesen war, in der sich seine Handschuhe befanden, und dass die andere Blondine der Reisegruppe nicht die einzige gewesen war, deren Hand sich ihrer Schusswaffe genähert hatte. Mustangs Einheit hielt zusammen. Sie waren alle wie eine große Familie – und auf ihre Familie ließen sie nichts kommen. Auch wenn Havoc in der Vergangenheit oft wütend gewesen war, weil Mustang ihm seine Freundinnen ausgespannt hatte, würde er nicht zögern, wenn jemand schlecht über seinen Chef sprach, und den Betreffenden in einem fairen Boxkampf verdreschen. Sie waren alle loyal Mustang gegenüber, aber wenn jemals irgendwer so dumm sein würde, irgendetwas gegen Riza Hawkeye zu sagen, während einer aus der Einheit in der Nähe war, würde es danach mehr als nur eine blutige Nase geben – besonders, wenn ein gewisser schwarzhaariger Generalmajor derjenige war, der es hören würde. Elizabeth war unantastbar. Punkt.

Sheska, die natürlich ebenfalls mit von der Partie war, weil sie fließend Xing sprach, öffnete ihren Glückskeks. Sie glaubte nicht an solchen Hokuspokus, aber wenn selbst der weibliche Generalmajor mitmachte, konnte sie sich nicht versperren. „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“, las sie vor.

Auch wenn Mustang und Olivier sich während des Essens mit Blicken zu ermorden versuchten, gab es keinen überraschenden Todesfalls, was vielleicht Miles ruhiger Art und seinem ständigen Bestreben, Olivier zu beruhigen, geschuldet war. Während jedoch alle anderen keine Probleme damit hatten, das Essen mit den Stäbchen in ihren Mund zu befördern, hatte Mustang durchaus Schwierigkeiten damit.

Das kann doch nicht wahr sein!, dachte er verzweifelt. Ich bin der nächste Generalfeldmarschall und schaffe es nicht, mit diesen verdammten Stäbchen zu essen? Oje, das ist jetzt wirklich eine Demütigung. Fast so peinlich wie damals, als ich Riza den Apfelkuchen ins Gesicht geschmiert habe. Was soll ich jetzt nur machen? Soll ich die Stäbchen zu einer Gabel transmutieren? Kann ich das überhaupt?!

In diesem Moment fiel sein Blick auf Hawkeye, die gerade mit verwirrter Miene auf seinen noch vollen (und von zerstörtem Essen übersäten) Teller geschaut hatte und jetzt ihre Stäbchen mit seinem Essen belud.

Sie wird doch wohl nicht etwa … Mustangs Gedanken waren kaum noch zusammenhängend, als sich plötzlich ein mit Essen beladenes Stäbchenpaar seinem Mund näherte. Oh doch. Sie tut es. Danke, danke. Riza, du bist wirklich die Größte!

Keiner der anderen wagte es, einen Kommentar dazu zu verfassen, dass Generalmajor Mustang plötzlich von seiner Untergebenen gefüttert wurde, weil jeder der Anwesenden (außer Miles, Olivier und Sheska, die aber davon gehört hatten) schon einmal auf den Genuss von Hawkeyes tödlichen Blicken gekommen waren.

„Ich nehme an, deine Hände machen dir Schwierigkeiten dabei“, sagte Hawkeye in einem besorgten Tonfall, während sie neues Essen auf die Stäbchen lud. „Und es wäre eine Schande, wenn du all diese Delikatessen nicht auch kosten könntest. Sag mir am besten, was du essen willst, ich reiche es dir dann an.“

Entgegen der landläufigen Meinung war Roy Mustang kein Dummkopf, er wusste, dass es in East City für eine Menge Spekulationen sorgen würde, wenn jemals bekannt werden würde, dass er sich hin und wieder von seiner Adjutantin füttern lassen musste, weil er nicht mit den Essstäbchen zurechtkam. Jedoch waren ihm solche Sorgen im Moment mehr als nur egal. Er war nicht mehr gefüttert worden, seitdem er blind gewesen war, und damals hatte es keine Alternative gegeben, weil seine Hand-Mund-Koordination zu diesem Zeitpunkt eine einsame Katastrophe gewesen war. Damals war es auch Hawkeye gewesen, die heldenhaft wie immer den Job der Babysitterin ausgeführt hatte. Und auch damals hatte er sich (wenn man davon absah, dass es ihm restlos peinlich gewesen war) sehr wohl gefühlt. Es war wohl so, dass Hawkeye eine weiche Seite hatte, die sie für gewöhnlich bedeckt hielt, um niemandem diese Angriffsfläche zu bieten. Aber sie war eigentlich ein sehr fürsorglicher Mensch, der sich um diejenigen, die ihr am Herzen lagen, aufrichtig sorgte und sich um sie kümmerte.

„Danke, Riza“, sagte er und wies auf eine kleine Frühlingsrolle. „Das Essen ist gut. Ich sollte mich mit dem Generalfeldmarschall in Verbindung setzen und ihm sagen, dass wir so ein Restaurant dringend in East City brauchen.“

„Und was ist mit dem Besteck?“, fragte sie trocken, während sie einen weiteren Bissen in seinen Mund hereinmanövrierte. „Ich kann schlecht immer mitgehen, wenn du dort essen gehst, weil es vielleicht ein bisschen komisch aussehen würde, wenn du deine Assistentin mit zu einem Date bringst, damit sie dich füttern kann…“

„Ich kann mich vielleicht mit einem Arzt in Verbindung setzen, damit er dafür sorgt, dass ich wieder richtig essen kann“, meinte Mustang und grinste sie an, bevor er auf eine kleine Frühlingsrolle wies. „Könnte ich das vielleicht haben? Oder warte, was ist das da? Ich glaube, dass ist mit Meeresfrüchten…“

Hawkeye seufzte schwer und pickte das Gewünschte auf. „Ich hoffe nur, dass es beim Hochzeitsbankett auch anderes Besteck geben wird“, seufzte sie. „Wenn ich dich füttern muss, komme ich selbst kaum zum essen, weil ich nur eine rechte Hand habe…“

„Es tut mir leid, dass ich dir schon wieder Umstände mache“, seufzte er. „Und selbst wenn es beim Bankett kein anderes Besteck gibt, wird Fullmetal doch anwesend sein…“

„Winry bringt dich um, wenn du aus seiner kostbaren Automail eine Gabel machst“, warnte Hawkeye. „Wenn es sein muss, würde ich eine meiner Waffen opfern, aber es wäre Wahnsinn, seine Automail in ihrer Gegenwart auseinanderzunehmen. Vermutlich würde sie vollkommen die Krise bekommen und dich auseinandernehmen…“

„Möglicherweise hast du Recht“, seufzte er, „aber ich kann nicht von dir verlangen, dass du eine deiner Pistolen opferst, damit ich eine Gabel habe. Vielleicht sollte ich mit den Fingern essen, aber … das wäre auch wieder einmal nicht angemessen…“

„Ich habe irgendwann mal gesagt, dass ich immer helfen würde, also bin ich auch dazu verpflichtet, dir zu helfen, wenn du nicht richtig essen kannst“, sagte Hawkeye sanft und nahm sich selbst noch einmal einen Bissen. „Außerdem gibt es Schlimmeres für mich, als nur dafür zu sorgen, dass mein Vorgesetzter nicht verhungert.“

Seine Augen leuchteten auf. „Danke, Elizabeth“, sagte er grinsend und tätschelte ihre Hand. „Was täte ich nur ohne dich? Ich würde erschossen, vom Regen ertränkt und mit etwas Pech vermutlich auch noch verhungern! Aber ich habe dich und deswegen muss ich mir wegen solchen Kleinigkeiten glücklicherweise keine Sorgen machen. Ich fürchte, du wirst das Militär niemals verlassen können, weil ich mit keinem anderen Menschen so gut zusammenarbeiten werde wie mit dir…“ Er lächelte. „Du bist wirklich eine der Säulen unseres Landes. Du hältst mich auf dem richtigen Pfad und passt auf mich auf.“

„Das ist ja wirklich niedlich“, sagte Olivier in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sie es alles andere als ‚niedlich’ fand, während sie an ihrem Orangensaft nippte, „aber was unternimmst du jetzt bezüglich der Tatsache, dass du eine Ehefrau brauchst, wenn du wirklich Generalfeldmarschall werden willst, Mustang? Willst du dir eine aus dem Nichts nehmen? Oder willst du eine deiner beschränkten Ex-Freundinnen nehmen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin ohnehin noch zu jung“, sagte er. „Ich bin erst siebenundzwanzig. Ich habe noch viel Zeit, bevor ich mit einer Entscheidung ankommen muss.“ Er grinste sie an. „Und außerdem du solltest nicht vergessen, dass du mir das Amt nicht wegschnappen kannst, weil du auch nicht verheiratet bist, Armstrong. Deswegen sitzen wir im selben Boot und sollten zusammenhalten.“

Die blonde Generalin setzte ein unheimliches Grinsen auf. „Ich habe eine Idee“, sagte sie in einem Tonfall, der nichts Gutes verhieß. „Wir machen eine Wette. Jetzt ist Sommer. Wir haben zurzeit den … achtzehnten Juli. Wir werden uns spätestens im nächsten Jahr in Central City wiedersehen. Bis dahin sind wir beide verheiratet. Und es zählt nicht, wenn wir irgendeinen von unseren Untergebenen kurzzeitig heiraten, um die Wette nicht zu verlieren. Es muss eine Ehe sein, wo alle sagen, dass es wirklich Liebe ist.“

Er grinste breit. „Okay“, sagte er dann. „Was ist der Einsatz?“

Olivier zeigte all ihre Zähne, als sie ebenfalls grinste. „Eine Milliarde Cenz“, sagte sie. „Ich kann mir so einen Verlust erlauben, aber in deinem Fall sind das mehr als drei Monatsgehälter. Es täte dir mit Sicherheit weh, wenn du sie verlieren würdest. Also, enttäusch mich nicht und komm mit einer anständigen Ehefrau an.“
 

Kaiserlicher Palast
 

Lan Fan ging nervös auf und ab, während May an der Tür stand und ihre Schwägerin in spe grinsend ansah. Kaum zu glauben, dass eine Frau, die so viel durchgemacht hatte, wegen ihrer Hochzeit so aufgeregt werden würde. Lan Fan hatte Lings Heiratsantrag nicht weniger als dreimal mit der Begründung, als Kaiserin könnte sie ihn nicht mehr beschützen, abgelehnt, aber beim vierten Mal hatte sie kapituliert. Es war an dem Tag gewesen, an dem Alphonse und May Lings Stein der Weisen benutzt hatten, um Lan Fan wieder einen richtigen Arm zu geben. Danach hatte Ling ihr anstatt eines Verlobungsringes ein paar leichte Armschoner überreicht, die aus verdichtetem Kohlenstoff bestanden und deswegen unmöglich zu bezwingen waren. Ling hatte eine Menge aus der Zeit gelernt, in der er sich seinen Körper mit dem Homunkulus Greed geteilt hatte.

„Du bist offenbar wirklich ein Nervenbündel, Lan Fan“, sagte May grinsend und stieß sich vom Türrahmen ab, um die Tür hinter sich zu schließen. „Sollen wir vielleicht einen kleinen Ausflug machen? Ich glaube, das würde dich vielleicht ein bisschen entspannen.“

„Du kennst das blöde Protokoll“, sagte Lan Fan seufzend und trat verärgert gegen eines der Kissen, die auf dem Boden lagen. „Wir dürfen nicht ohne Leibgarde raus.“

May grinste breit. „Offiziell dürfen wir das nicht“, meinte sie dann, „aber inoffiziell.“ Sie hielt zwei ältere Kleider hoch. „Komm schon. Zieh es an und lass deine Haare offen. Es wird niemanden geben, der uns erkennen wird.“

Die beiden waren gute Freundinnen geworden, weil Ling May offiziell zu seiner Lieblingsschwester erklärt hatte und sie deswegen auch Vizekaiserin geworden war. Und weil Ling Lan Fan die Gegenwart der Hofdamen, die außer ihren Kleidern nicht viele Gesprächsthemen hatten, nicht hatte zumuten wollen, hatte er May darum gebeten, Lan Fan einfach möglichst viel Gesellschaft zu leisten, damit seine Verlobte nicht allzu von den Umtrieben bei Hofe abgeschreckt werden konnte.

„Ich kann nicht glauben, dass wir die Palastwache am Südtor so einfach ausgeschaltet haben!“, sagte May zum wiederholten Male, als die beiden Frauen den Palast schon lange hinter sich gelassen hatten. „Das waren Leute von meinem Clan. Die sollten mehr drauf haben als das. Also wirklich. Ich will nicht wissen, wer die ausgebildet hat!“

Lan Fan kicherte nur und ließ ihre Haare im Wind flattern. „Was sollen wir machen?“, fragte sie. „Wir haben den ganzen Tag Zeit und müssen uns keine Sorgen um unsere Leibwache machen. Wir sollten nur aufpassen. Die Leute aus Amestris sind in der Stadt unterwegs und es wäre dumm, wenn sie dem jungen Herrn beim Abendessen erzählen würden, dass sie uns in der Stadt gesehen hätten…“

„Du heiratest meinen Bruder morgen und nennst ihn noch immer den ‚jungen Herrn’?“, kicherte May. „Wirklich, Lan Fan. Das muss aufhören. Reiß dich zusammen. Er heißt Ling. L.I.N.G. Das musst du dir doch merken können.“

Lan Fan rollte mit den Augen, während ihr Blick einmal quer über den Marktplatz huschte, den sie gerade besuchten. Ihre Augen wurden groß, als sie den nächsten Generalfeldmarschall von Amestris mit nur einer einzigen Leibwächterin erblickte. Es war die einzige weibliche Leibwächterin aus Amestris, vor der Lan Fan eine gewisse Ehrfurcht verspürte, weil ihr die absolute Hingabe der Frau zu dem, was sie tat, nicht gerade unbekannt vorgekommen war. Sowohl Lan Fan als auch Riza Hawkeye waren mit einem Schützling geschlagen, der hin und wieder sehr dumme Dinge tat, um es vorsichtig auszudrücken. Und Lan Fan wusste auch, dass die dunklen Augen der älteren Frau scharf genug waren, um sie und May sofort zu erblicken. Die Augen einer Leibwächterin waren darauf programmiert, jede Szene innerhalb weniger Sekunden zu analysieren und auf mögliche Risiken für den Schützling hin zu überprüfen. Und genau das taten die Mahagoniaugen gerade – und als Lan Fan sah, wie sich eine Augenbraue langsam hob, wusste sie auch schon, dass man sie entdeckt hatte.

„Was ist los, Lan Fan?“, wollte May neugierig wissen, als sie die Anspannung der älteren Frau neben sich spürte.

„Mustang und Hawkeye haben uns gesehen“, sagte Lan Fan, während sie langsam ausatmete. „Sie kommen auf uns zu. Was machen wir?“

„Ich mag Miss Hawkeye!“, sagte May strahlend und lächelte. „Es macht mir nichts aus, wenn sie uns hier sehen. Wir tun nichts Verbotenes, Lan Fan. Ling kann uns nicht befehlen, den ganzen Tag im Palast zu bleiben, während hier der Bär steppt!“

Die beiden Offiziere aus Amestris waren geübt darin, sich unbemerkt durch eine große Menschenmenge zu bewegen und weil sie niemanden berührten, standen sie wenige Minuten später direkt vor ihnen.

„Hallo, Miss Hawkeye“, sagte May und strahlte die ältere Frau an. „Wie geht es Ihrem Hals? Ich hoffe, Sie hatten keine Probleme mehr damit…“

Die Blonde lächelte, dann streckte sie die Hand aus. „Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, hatte ich keine Chance, mich irgendwie angemessen vorzustellen“, sagte sie in ihrem höflichen Tonfall. „Ich bin Riza Hawkeye. Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, wir werden nie wieder in einer Stunde der Not aufeinandertreffen müssen und dass unsere Begegnung hier unter einem besseren Stern steht.“

„Sie heißen Riza?“ Lan Fan kicherte leise. „Ich muss sagen, dass dieser Name wirklich gut zu Ihnen passt, Miss. In unserer Sprache bedeutet dieser Name so viel wie ‚Wächterin’ und Sie sind Leibwächterin. Haben Sie sich Ihren Beruf nach Ihrem Namen ausgesucht oder hat es sich einfach irgendwann so ergeben, Miss?“

„Sie ist in diesen Job eher zufällig hereingeschlittert“, sagte Mustang. „Nach dem Krieg habe ich sie zu meiner Assistentin gemacht und ihr meinen Rücken anvertraut.“

„Sir, unbekannte Männer von links“, sagte Hawkeye in einem Tonfall, der keinerlei Nervosität oder Sorge verriet. „Vier Stück, schwer bewaffnet. Keine Erkennungszeichen.“

Lan Fan verfluchte ihre Unaufmerksamkeit und warf einen Blick in dieselbe Richtung, bevor sie die anderen ansah. „Verschwinden wir von hier!“, zischte sie. „Das da sind hoch trainierte Auftragskiller und ich will nicht überprüfen, wie gut mein Training ist. Und sie sind – wie ich vielleicht erwähnen sollte – dafür ausgebildet, in großen Mengen zu kämpfen. Wenn wir hier auf volles Risiko gehen würden, würden wir zu viele Unbeteiligte in Gefahr bringen. May, wir müssen gehen. Ich kann dich nicht in Gefahr bringen!“

„Lan Fan, wir sind keine Kinder mehr“, sagte May. „Wir werden mit denen schon fertig. Und wenn wir jetzt zum Palast zurückgehen, kommt nur heraus, dass wir unerlaubt und ohne Leibgarde verschwunden sind. Dann haben wir wieder Ärger am Hals. Deswegen wäre es vielleicht klug, wenn du deinen Kopf anwirfst und dir eine Idee besorgt.“

Die ehemalige Leibwächterin grinste halbherzig, dann wirbelte sie auf dem Absatz ihrer Schuhe herum und eilte voraus in eine enge Gasse, die vom Stadtzentrum wegführte und so kam es, dass sie sich bald darauf vor einem alten Wohnhaus wiederfanden. Lan Fan nahm sich ihren Dolch, um das Türschloss zu bezwingen, dann öffnete sie die Tür und drehte sich zu den anderen um. „Die Wohnungsbesitzerin wird nicht da sein“, sagte sie, „aber wir sollten trotzdem nichts anfassen, weil sie es hasst, wenn ich hier bin, ohne dass sie davon weiß. Und sie kann es mit den Männern durchaus aufnehmen.“

Die anderen sahen sich in dem kleinen Wohnzimmer neugierig um. Überall standen alte Artefakte herum und auf einem Beistelltisch lag eine halb verbrannte Maske, deren linke Seite vollkommen zerstört worden war. An den Wänden hingen andere Masken. Solche, die noch nicht zerstört worden waren. Und auf dem Couchtisch lag eine seltsame Ansammlung an Dolchen, kleinen Schwertern und diversen anderen Waffen. Und in der Wand direkt gegenüber der Tür steckten Weidandolche, die so aussahen, als ob jemand sie aus einer Laune heraus dagegen geworfen hätte.

„Wer wohnt hier eigentlich?“, wollte May wissen, während sie mit offenem Mund die Schriftrollen betrachtete, die auf dem Schreibtisch lagen. Als Fachfrau erkannte sie eine der umfassendsten Sammlungen an Fachschriften über das Weidan mit einem Blick und das hier waren sehr seltene Schriften.

„Niemand, um den wir uns Sorgen machen müssten“, sagte Lan Fan und ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Sie wird es verstehen, da bin ich sicher.“

Hawkeye trat ans Fenster und sah nach draußen. „Sie sind uns gefolgt“, sagte sie leise und ärgerte sich ein wenig darüber, nur zwei einfache Pistolen und kein Gewehr dabei zu haben. Mit ihrem Gewehr wäre es kein Problem, alle zu retten.

„Davon war auszugehen“, sagte Lan Fan ruhig, „aber sie werden hier nicht hineinkommen, glaubt mir.“ Sie stellte sich neben die Blonde und wartete ab. Die Männer in Schwarz lehnten an einer Hauswand und warteten auf sie, als der erste von ihnen plötzlich zusammensackte, weil ein Pfeil in seinem Herzen steckte. „Diese Pfeile sind ein Vermögen wert, weil sie fast alles durchdringen“, sagte die junge Leibwächterin ruhig.

„Wusstest du, dass das passieren würde?“, fragte May erstaunt.

„In etwa, ja“, erwiderte die Braut gelassen. „Sie beschützt ihr Eigentum.“

„Sie?“, fragte Mustang irritiert.

Auf dem Dach legte eine Frau einen weiteren Pfeil an. Sie hatte eine sehr ruhige Hand und sie war Linkshänderin, weshalb ihr Schwert an der rechten Seite hing. Ihr rechtes Auge war geschlossen, als sie zu ihrem nächsten Schuss anlegte. „Es tut mir leid“, flüsterte sie und sah nicht hin, als der Pfeil loszischte. Sie musste es auch nicht sehen. Sie hatte in ihrem Leben schon viele Menschen erschossen.

Im Haus zuckte Lan Fan mit den Schultern. „Ich wusste, dass sie in der Stadt ist“, sagte sie erklärend. „Normalerweise heißt es, dass ihre Anwesenheit bei einer Hochzeit Glück bringt, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich daran glauben soll. Die Hochzeit wird von so vielen Menschen besucht werden, dass ich gar nicht sicher sein kann, dass … Ling nicht umgebracht wird. Wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen. Wenn sie auf meine Brust schießen, wird ihre Kugel nicht durch meine Panzerung kommen.“

„Aber wer ist das da draußen?“, bohrte Hawkeye, die die Frage ihres Vorgesetzten nicht vergessen hatte und jetzt wieder aufgriff.

„Wir haben hier auch Scharfschützinnen und sie ist die beste, die wir haben“, sagte Lan Fan erklärend. „Sie hat früher in der Kaiserlichen Leibgarde gedient, aber dann hatte sie einen Unfall und wurde ehrenhaft entlassen. Sie hat sich danach ganz und gar ihren Forschungen verschrieben und taucht alle paar Monate in der Stadt auf, bevor sie wieder auf eine neue Reise geht.“ Sie wies auf die zerstörte Maske. „Ihr Gesicht ist entstellt, weil es zu einem Teil verbrannt ist, aber das ist schon Jahre her.“

„Ihr wart noch nie auch einer Hochzeit nach unseren Traditionen, nicht wahr?“, fragte May, nachdem sie einen Blick mit Lan Fan getauscht hatte. „Oh, ihr werdet eine Menge Spaß haben, das verspreche ich euch. Ling hat Edwards Hochzeit so lustig gefunden, dass er einige eurer Traditionen übernommen hat. Lan Fan muss beispielsweise den Strauß, den die kaiserlichen Floristen in wochenlanger Arbeit geplant haben, werfen. Und sie muss etwas Altes, etwas Blaues und etwas Geliehenes tragen.“ May strahlte. „Das Alte wird ihr Kunai sein, das Blaue ihre Schärpe und das Geliehene … das ist das Problem. Wir alle haben ihr etwas angeboten, aber sie will nichts davon haben. Sturkopf!“

Lan Fan zuckte die Schultern. „Deine älteste Halbschwester hat mir ihre Haarbürste angeboten und auch alles andere war so … weibisch“, sagte sie. „Ich will nicht so tun, als ob es für mich normal wäre, Kaiserin zu werden. Ich wurde zur Leibwächterin ausgebildet. Großvater würde mich umbringen, wenn er jemals herausfinden würde, dass ich Ling heirate. Vermutlich bringe ich damit eine Menge Schande über meine Familie.“

„Nachdem dein Großvater tot ist, bist du eigentlich die letzte?“, fragte Hawkeye, die wusste, wie es war, wenn man die letzte Überlebende einer Familie war. Gut, sie hatte noch einen Großvater, aber der hatte sich in den letzten Jahren eher durch Abwesenheit ausgezeichnet, auch wenn er natürlich nie eine andere Wahl gehabt hatte.

„Lan Fan ist nicht ganz die letzte“, sagte May. „Sie hat noch eine Schwester, aber die hat man hier schon seit Urzeiten nicht mehr gesehen. Sie hat irgendwann ihr ganzes Geld genommen und hat das Land verlassen, um in der Fremde ihr Glück zu finden. Man weiß nicht einmal, ob sie jemals in Drachma angekommen ist. Sie wollte dort das Weidan der Drachmanen erforschen.“ Sie sah Lan Fan an. „Kann mir vorstellen, dass dein Großvater sehr enttäuscht war, als sie ihre ganze Ausbildung über den Haufen geworfen hat, um die ganze Welt zu bereisen und überall zu erforschen“, sagte sie leise.

„Enttäuscht?“ Lan Fan schnaubte leise. „Das ist gar kein Ausdruck. Er war fuchsteufelswild. Er hat ihr vorgeworfen, die Familie zu entehren, aber sie ist mindestens so stur wie Ling. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann ruht sie nicht, bis sie es erreicht hat. Als sie damals verletzt wurde, ist neben ihrem Gesicht auch noch ihr Rücken draufgegangen. Alle haben gesagt, dass sie nie wieder gehen können würde, aber eines Tages bin ich in ihr Zimmer gegangen, weil ich mit ihr reden wollte, und ihr Bett war leer. Und als ich mich dann umgesehen habe, stand sie am Fenster. Sie ist einfach aufgestanden und hat alle Ärzte widerlegt. Sie hat gesagt, dass es alles ist, was sie noch tun könnte, um Großvater stolz zu machen: Ihm zu beweisen, dass er sie zu einer starken Frau und einer echten Kämpferin erzogen hat. Sie ist zwei Monate später aus Xing verschwunden.“

May zuckte mit den Schultern. „Es war damals ohnehin eine sehr unruhige Zeit“, sagte sie leise. „Dass deine Schwester damals den Abgang gemacht hat, spricht dafür, dass sie klug genug war, ein sinkendes Schiff zu verlassen. Einer meiner Cousins gehörte zu der Besetzung der Leibgarde, als es diesen Unfall gab, und er hat gesagt, dass sie Blut geweint hätte. Ich nehme an, er meinte damit, dass sie Gesichtsverletzungen hatte.“

„Seien wir ehrlich, sie bestand damals nur noch aus Fetzen und hatte eine Menge Glück, dass der beste Heiler dabei war“, sagte die ältere Frau. „Sie hat gesagt, sie würde sich nur noch daran erinnern, dass sie sich vor den Kaiser gestellt hätte. Danach setzt ihre Erinnerung aus und beginnt erst wieder, als sie in ihrem Bett im kaiserlichen Palast aufgewacht ist und der alte Kaiser sich über sie gebeugt hat. Als sie nach Hause kam, sah sie wieder so aus wie früher. Sie hat nur diese eine Narbe zurückbehalten. Ich glaube, es hat Großvater das Herz gebrochen, sie so zu sehen. Sie war gebrochen. Ich dachte, sie würde sich selbst ein Ende setzen. Ich habe den jungen … Ling um Urlaub gebeten, um mich um meine Schwester kümmern zu können. Es hat mir fast das Herz gebrochen. Sie hatte die Pflicht, immer stark zu bleiben.“
 

Zur selben Zeit huschte ein Schatten aus Silber und Blaugrün durch die Straßen von Xing. Schwarze Haare flatterten im Wind und als der Schatten stehenblieb, als er die äußeren Palastmauern erreichte, umgaben die Haare ein sehr blasses Gesicht, das halb im Schatten lag. Es war eine junge Frau. Sie drückte sie mit einem Fuß ab und katapultierte sich so selbst in die Luft. Sicher wie eine Katze landete sie auf der Mauer, dann hielt sie inne und lauschte für einen Moment. Der alltägliche Krach war für sie keine Ablenkung. Sie hörte, was sie hören musste, um ihre Entscheidung zu verändern.

„Schnappen wir uns die blonde Generalin“, sagte ein Mann. „Hab gehört, sie soll die zweite Option sein, falls der schwarzhaarige General sterben sollte, bevor er Generalfeldmarschall werden kann. Und unsere Freunde haben sich schon um ihn gekümmert. Um ihn und um seine Leibwächterin.“

Der Schatten lächelte leicht, dann landete er auf beiden Füßen, bevor er wieder in die andere Richtung davonlief. Es waren sehr leichte Schritte, die kaum mehr Geräusche verursachten als eine leichte Brise, die durch das Gras strich. Aber auf die Männer kam keine leichte Brise zu. Es würde ein Sturm, ein wahrer Hurrikane sein, der über sie mit unerbittlicher Verbitterung hinwegfegen würde. Der Schatten sah die blonde Generalin und ihren Leibwächter vor sich. Sie standen gerade an einem Marktstand und schienen sich Seidenware anzusehen. Die Frau hatte ein blutrotes Tuch in der Hand und bot dadurch, dass sie sehr helle Haare hatte, eine gelungene Zielscheibe. Der Schatten sah die Männer, zu denen die Stimmen gehört hatten, und ein weiteres Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er sein Schwert zog. Er war schnell. So schnell, dass er körperlos zu sein schien. Und das machte ihn auch so unberechenbar. Wie ein Geist konnte er an nahezu jedem Ort in Erscheinung treten. Als die Männer auf die Generalin zukamen, blitzte ein Schwert im Sonnenlicht auf, dann spritzte Blut und im nächsten Moment lagen die beiden Männer tot auf dem Boden. Die Generalin blinzelte leicht, weil sie gegen das Sonnenlicht schauen musste. „Danke“, sagte sie schlicht. Sie war klug genug, um zu verstehen, dass gerade ein Mordanschlag vereitelt worden war.

„Ich nehme an, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich kurz einmal durchspiele“, sagte der Schatten und nahm ein schwarzes Seidentuch von einem Stapel, bevor er der Verkäuferin eine Silbermünze zuwarf. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit und es gibt noch ein paar sehr wichtige Planungen, die meine Anwesenheit erfordern. Auf Wiedersehen.“

Die Blonde schnappte nach Luft. „Sie waren eben in dem Lokal!“, sagte sie.

Der Schatten drehte sich noch einmal um. „Können Sie es beweisen?“, fragte die Frau mit der Narbe amüsiert, bevor sie in der Menge verschwand. Sobald sie den Marktplatz hinter sich gelassen hatte, wickelte sie das Tuch um ihren Kopf, sodass es die Narbe an ihrem linken Auge verbarg. „Sieh an, sieh an“, murmelte sie. „Ein Spiel hat begonnen. Es ist mir eine Ehre, mit ihnen zu spielen. Sie sind stark und gut für mein Land. Nur das Beste für Xing!“
 

Unterdessen saßen Edward und Ling auf der Dachterrasse und schwiegen sich an. Sie hatten schon alles besprochen, was ihnen wichtig vorgekommen war und jetzt stellte sich ihnen kaum noch eine Frage. Als Lan Fan und May kurz darauf zusammen mit Mustang und Hawkeye auftauchte, war es eine willkommene Ablenkung für sie.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr zwei ausgehen wolltet“, sagte Ling und goss sich neues Wasser in sein Glas. Er hatte alle Dienstboten weggeschickt, um sich in Ruhe mit seinem Schwager in spe unterhalten zu können.

„Uns war langweilig“, sagte May. „Es war eine Zumutung, Ling. Wir haben heute acht Stunden im Salon gesessen und brav gelächelt. Wir sind nicht wie unsere Schwestern. Wir fühlen uns nicht wohl, wenn wir wie Käfigvögel leben müssen. Deswegen sind wir ein bisschen an die frische Luft gegangen. Und wir haben dir Gäste mitgebracht.“

„Generalmajor Mustang, Oberstleutnant Hawkeye.“ Ling lächelte freundlich und dann sah er Mustang direkt an. „Haben Sie Lust auf eine kleine Partie Schach? Hier draußen wird es langsam zu warm und ich wollte ins Haus gehen…“

„Zu einer Partie Schach sage ich niemals Nein“, sagte Mustang und sah Hawkeye an. „Du solltest dich vielleicht ein bisschen hinlegen, bevor du einen Kreislaufzusammenbruch bekommst. Du siehst ziemlich müde aus.“

Sie nickte. „Danke, Roy“, sagte sie und salutierte. „Falls ich wirklich einschlafen sollte, wecken Sie mich bitte vor dem Abendessen. Ich will es nicht verpassen.“

„Geht klar, Riza“, sagte er. „Ich lasse mich schon nicht umbringen. Das verspreche ich dir. Ich hoffe nur, dass du nicht zu müde bist, um heute Abend zu tanzen.“

„Ach, was das angeht…“ Ling senkte die Stimme. „Wir werden nicht im Palast tanzen gehen. Das ist mir zu blöd und zu steif. Ich hatte mir überlegt, dass wir uns abseilen und in einem der schicken Tanzlokale tanzen gehen. Das setzt natürlich Tarnung voraus…“

„Ich bringe Miss Hawkeye in ihr Zimmer“, sagte Lan Fan. „Solange könnt ihr ja alles besprechen, was ihr besprechen müsst. Und May, du könntest auch mitkommen, dann könnten wir noch kurz etwas besprechen…“

„Al ist unten im Palastgarten“, sagte Edward grinsend. „Vielleicht will May lieber ihm ein bisschen Gesellschaft leisten, bevor er sich einsam fühlen kann…“

„Gute Nacht, Ladyhawk“, sagte Mustang und nickte Hawkeye zu. „Schlaf schön.“

Sie nickte nur und folgte Lan Fan durch die weitläufigen Gänge des Palastes.

„Sie haben es auch nicht leicht mit Ihrem Schützling, kann das sein?“, fragte Lan Fan, sobald sie außer Hörweite waren. „Er wirkt…“

„…verantwortungslos?“ Hawkeyes Mundwinkel bogen sich nach oben. „Ja, das tut er wohl, aber vieles davon ist nur Fassade, damit die anderen Menschen nicht merken, wie ernst es ihm mit dem, was er tut, wirklich ist. Er ist ein guter Schauspieler, das muss man ihm lassen.“ Sie lächelte verstohlen. „Es war nicht immer leicht mit ihm, aber ich muss sagen, dass man sich mit der Zeit an alles gewöhnen kann.“

Lan Fans Blick wurde düster. „Sie erinnern mich gerade sehr an meine Schwester“, sagte sie bitter. „Sie war sehr pflichtbewusst. Am Ende war das ihr Untergang.“

Hawkeye sah nach vorne und nicht zur Seite. „Ich werde nicht untergehen“, sagte sie. „Ich habe ihm versprechen müssen zu überleben – und ich breche kein Versprechen.“

Die jüngere Frau zuckte mit den Schultern. „Dasselbe dachte meine Schwester auch. Sie hat mir versprochen, zurückzukommen, aber als sie zurückkam, war sie nicht mehr sie selbst. Sie war nur noch eine zerschlagene Hülle ohne Seele“, sagte sie. „Das ist es, was mit Menschen passiert, die sich zu sehr an ihre Pflicht klammern.“
 

Ling stellte seine Schachfiguren auf. „Sie bekommen Weiß, Generalmajor“, sagte er und wies auf die Figuren. „Sind sie nicht wunderschön?“

„Doch, doch“, sagte Mustang. „Es ist lustig, dass wir jetzt Schach spielen. Ich spiele oft mit dem Generalfeldmarschall Schach – und gewinne so gut wie nie. Trotzdem hat mich das Spiel sehr inspiriert. Genug, um meine Untergebenen mit den Figuren zu verglichen.“ Er wies auf den Bauern. „Alleine ist er machtlos“, erklärte er, „aber gleichzeitig hat er einen Wert für den Spieler. Wer den Bauern nicht würdigt, kann nicht gewinnen. Deshalb ist Leutnant Fuery mein Bauer.“

„Das klingt sehr interessant“, sagte Edward.

„Ist es auch“, versicherte Mustang zuversichtlich. „Breda ist mein Turm. Er ist ein guter Ermittler, weil er schnell vergessen wird. Durchschnittliches Aussehen hat durchaus hin und wieder Vorteile…“

Edward schmunzelte unwillkürlich. Er und Mustang hatten nie eine leichte Beziehung gehabt, weil sie beide zu stur waren, aber hin und wieder vergaß der jüngere Mann, dass er den Generalmajor eigentlich nicht leiden konnte, und musste über seine Witze lachen. Das kam zwar nicht besonders häufig vor, aber immer wieder.

Ling lächelte subtil. „Es passt“, sagte er langsam.

„Havoc ist der Springer auf der Seite des Königs“, fuhr Mustang fort. „Rebecca ist der zweite Springer, der auf der Seite der Königin. Falman macht als Läufer gerne Winkelzüge – das ist einfach seine Art.“ Er wies auf die betreffenden Figuren. „Havoc und Rebecca haben beide große Fähigkeiten auf dem Kampffeld. Deswegen sind sie Springer.“

„Daraus schließe ich, dass Oberstleutnant Hawkeye die Dame ist“, sagte Ling langsam.

„Sehr richtig.“ Mustang nickte ihm zu. „Die mächtigste Figur – und nach dem König auch die wichtigste. Sie ähneln sich sehr, die Dame ist nur wesentlich mobiler.“

„Auch wenn sie durch ihre größere Mobilität natürlich viel mächtiger ist“, sagte Edward und ein teuflisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Wenn deine Untergebenen die nicht so wichtigen Figuren sind, bist du vermutlich der König, Oberst Nutzlos.“

„Und in all den Jahren wurde ich noch nie schachmatt gesetzt“, sagte Mustang grinsend. „Selbst als mein eigener Springer im Rollstuhl saß, mein Läufer von der schwarzen Königin gefangen genommen worden war und sowohl Turm als auch Bauer weggeschickt worden waren, bin ich zwar gefährdet gewesen, aber es war meine Dame, die mich gerettet hat. Alleine kann der König keine Partie gewinnen, dazu ist er nicht mobil genug und er kann den anderen König nicht alleine schachmatt setzen, aber mit einer anderen Figur kann er noch immer gewinnen. Und deswegen bin ich nicht gestorben.“

„Das Wort ‚schachmatt’ kommt in unseren Planungen nicht vor, solange unsere Dame ungeschlagen bleibt“, sagte Havoc. „Und Ladyhawk ist nie wirklich geschlagen worden.“

Er und Hawkeye hatten ein Jahr lang zusammen auf der Eastern Militärakademie verbracht und aus dieser Zeit stammte auch der Spitzname Ladyhawk. Nach Mustang und Rebecca kannte Havoc das Falkenauge am längsten und sie standen sich sehr nahe. Es musste ein Scharfschützending sein, wie Mustang annahm, oder vielleicht auch der sogenannte Rebecca-Faktor.

„Auch wenn es einmal sehr knapp war“, sagte Mustang, während er seine Figuren zurechtrückte. „Die Dame ist neben dem König die einzige Figur, die es nur einmal gibt. Das ist auch der Grund, weshalb sie so kostbar ist.“

Edward stieß Havoc an. „Ist ihm eigentlich klar, wie komisch es aussieht, dass er ausgerechnet seine Assistentin als ‚Dame’ bezeichnet?“, fragte er leise. „Gut, ihr wisst, wie er das meint, aber wenn ein Außenstehender das hören würde, würde das für ein paar sehr weit erhobene Augenbrauen sorgen…“

Der andere Blonde grinste breit. „Mach dir deswegen keine Sorgen“, sagte er. „Dieser Code ist nur uns bekannt. Wir benutzen ihn auch nur, wenn wir sicher sein können, dass keiner von außen es mitbekommen könnte. Er teilt gerade eines seiner größten Geheimnisse mit dir, Edward. Nach dem Versprochenen Tag haben wir alle eine Schachfigur bekommen, die unsere Position im Team widerspiegelt – und zwar eine vergoldete.“

„Nett von ihm“, sagte Edward trocken, während Ling und Mustang ihr Spiel begannen. „Und wie weit geht es, dass er euch mit Schachfiguren vergleicht?“

Havoc senkte die Stimme. „Was man bei ihm nie erleben wird, ist ein Damenopfer“, sagte er flüsternd. „Ich glaube, er stellt sich immer vor, dass es dasselbe wäre, wie Ladyhawk zu opfern. Und das könnte er genauso wenig. Wenn du sie aber mal Schach spielen siehst, siehst du keine Schonung für die Dame. Sie würde sich selbst jederzeit opfern, wenn man ihr Spielverhalten als Indiz nimmt.“

„Nicht nur ihr Spielverhalten weißt darauf hin“, sagte Edward düster. Er wusste, dass die blonde Soldatin niemals irrational handelte – es sei denn, Mustang war in Gefahr. Alphonse hatte ihm erzählt, wie es ausgesehen hatte, als Hawkeye geglaubt hatte, dass ihr Vorgesetzter gestorben wäre. Sie hatte innerhalb weniger Sekunden jeglichen Lebenswillen eingebüßt. Sie war bereit gewesen, einfach zu sterben. Sie hatte nicht mehr weiterleben wollen.

„Ja“, sagte Havoc leise und Edward wusste, dass der andere Mann dasselbe dachte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Rhyo
2011-07-15T23:00:38+00:00 16.07.2011 01:00
Wow war das Kapitel lang...
Da ist echt viel passiert xD

Lan Fan war ziemlich IC aber du solltest nicht die Formulierung "ältere Frau" benutzen um sie zu beschreiben, soweit ich weiß ist sie ungefähr so alt wie Winry xD

Naja schönes Kapitel weiter so ~
Von:  DarkDragon
2011-05-27T19:43:11+00:00 27.05.2011 21:43
"Miles griff nach ihrer Getränkekarte und schloss sie mit einer einzigen Handbewegung. „Sie haben mir den Befehl gegeben, Sie vor solchen Dummheiten zu bewahren, Madam“, sagte er mit fester Stimme. „Für Sie wird es heute keinen Alkohol geben. Ich habe mir sagen lassen, dass die Fruchtsäfte hier wirklich lecker sein sollen."
*lach* Ja die lieben Untergebenen.Mit dennen hat man es nicht leicht.
eine geheiminsvolle Frau, ein Attentatsversuch. Aufregend.
Aber die beste Stelle war wie Riza Roy gefüttert hat.
lg


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