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Roadtrip

von

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Vom begossenen Pudel, der baden ging

Tatsächlich finden wir eine Stelle, an der wir halten können und den Fluss gleich in der Nähe haben. Mit dem Kram, den wir benötigen, und Klamotten zum wechseln, machen wir uns auf den Weg und springen auch gleich in die Ems.

Die Mittagssonne ist noch nicht raus und so ist das Wasser noch angenehm kühl, so dass es richtig erfrischend ist, zu baden. Ab und an geht ein leichter Wind und es ist fast schon wieder kalt.

Ich tauche unter und wasche notdürftig meine Haare. Shampoo verwenden wir keines. Wir wollen den Fluss ja nicht verseuchen. Und wenn ich sage wir, dann meine ich auch wir. Jannis hat, seiner Frisur zum trotz, nämlich auch seine Haare nass gemacht, da sie ihm eh wegen all dem Schwitzen platt am Kopf kleben und keine Frisur mehr bilden.

Ich grinse ihn an. „Jetzt siehst du aus wie ein begossener Pudel,“ verkünde ich ihm und er schiebt seine langen schwarzen Haare aus seinem Gesicht. „Wenigstens sehe ich nicht wie ein Löwe aus,“ kontert er und deutet auf meine Haare, die sich wild ringeln. Ich seufze. Aber sobald sie trocken sind, hab ich keine Locken mehr sondern einfach nur wuschlige Haare, die ich mit ein wenig Haargel schon irgendwie in Form kriege. Jedenfalls stört mich meine Frisur recht wenig, im Gegensatz zu Jannis, der unglücklich an seinen Spitzen herumzupft.

Wir bleiben länger am Fluss, als geplant. Aber es tut gut, sich in die Sonne zu legen und sich von ihren warmen Strahlen trocknen zu lassen. Ich genieße das so sehr, dass ich kurzzeitig sogar einnicke und nach geraumer Zeit erst wieder erwache. Die Sonne scheint mir nun voll ins Gesicht – wahrscheinlich der Grund für mein Erwachen – und ich sehe mich nach Jan um. Ich entdecke ihn am Fluss.

„Was zur Hölle tust du da?“, frage ich und sehe ihn ungläubig an.

„Ich rasiere meine Beine,“ kommt die Antwort, so ruhig, als wäre es selbstverständlich.

„Aha… Warum?“, bricht es aus mir heraus.

„Du hast geschlafen, da dachte ich, hab ich Zeit, das zu machen. Ich mag keine Stoppeln an den Beinen.“

Ich schüttle den Kopf. „Das ist echt schwul,“ stelle ich fest und er verdreht die Augen. Kaum ist er fertig, geht es zurück zum Auto.

Wir haben genug Zeit vergeudet, es ist bereits Ein Uhr nachmittags.
 

Verl ist gleich erreicht, aber bis Gütersloh wird es noch dauern.

Das alles ist mir aber rechtherzlich egal, denn ich habe es irgendwie – einem Weltwunder gleich – geschafft, Jannis dazu zu bekommen, eine meiner CDs zu hören. So rappe ich leise mit, während mein Beifahrer unglücklich vor sich hinstarrt. Irgendwann macht er seinem Unmut damit Ausdruck, dass er sich tot stellt und nicht auf meine Fragen nach dem Weg antwortet. „Ach Jannilein,“ meine ich und so schnell kann ich gar nicht gucken, wie er mir die Karte entgegen schleudert und sie auf meinem Schoß zum liegen kommt. Ich muss grinsen, was ihn sicher noch mehr provoziert.

„Jetzt stell dich nicht so an. Ich musste mir die ganze Zeit deine Musik antun.“

„Du hast auch normale CDs in deiner Tasche. Aber es musste HipHop sein,“ brummt er und spielt damit sicher auf die Green Day CD an, die irgendwo hinten im Kofferraum liegt. Wir haben sicher fast eine halbe Stunde diskutiert, was wir nun hören, ehe ich mich einfach durchgesetzt und meine HipHop CD eingeschoben haben, was ihm gar nicht gepasst hat. Seitdem ist er so.

„Ich hab jetzt eben mehr Lust auf so was,“ meine ich und deute aufs Radio. Er verschränkt nur die Arme und ignoriert mich.

„Hör auf damit,“ fordere ich und sehe ihn grimmig an.

„Glotz auf die Straße,“ faucht er zurück und ich muss grinsen. Kampfzwerg in Action.

„Und hör auf zu grinsen.“ Das bringt mich allerdings nur dazu, noch breiter zu grinsen und als nächstes wirft er mit einer Taschentuchpackung nach mir. Ich lache laut los, mach dann aber schnell ein ernstes Gesicht, ehe er mit dem Taschenmesser wirft.

Danach herrscht Schweigen. Er guckt mürrisch aus dem Fenster und ich summe vor mich hin.

Irgendwann ist die CD zu ende und ich schiele zu Jan, der das Radio mit Blicken taxiert und darauf wartet, was ich jetzt tue. Nur, um ihn zu provozieren, lasse ich die CD wieder von vorne beginnen, statt sie auszutauschen. Der Gesichtsaudruck, den er daraufhin auflegt, ist so göttlich, dass ich am liebsten ein Foto machen würde. Ich lasse den ersten Song noch mal durchlaufen, während ich belustigt vor mich hingrinse. Dann erlöse ich ihn und lasse die CD herausschnappen. Schon werde ich erwartungsvoll angesehen und ich stopfe eine CD mit den aktuellen Charts ins Radio. Immer noch besser, als HipHop. Das muss zumindest in Jans Kopf abgehen, denn er wirkt gleich viel freundlicher, schnappt sich die Karte, die noch immer auf meinem Schoß liegt, und studiert sie. Und schon habe ich wieder einen braven Beifahrer, der mir sagt, wo ich hinfahren muss.
 

Wie schnell man sich doch an eine Situation - und vor allem an einen Menschen - gewöhnen kann. Wenn ich daran denke, dass ich nach diesem Ausflug einfach wieder in meinen normalen Alltag zurückkehren soll, wünsche ich mir einfach nur, dass dieser Ausflug nie endet. Und wenn ich daran denke, dann keinen mürrischen Jan mehr um mich herum zu haben, dann fühle ich einen seltsamen Kloß in meinem Hals aufsteigen. Wir sind noch nicht mal zwei Tage unterwegs, aber ich habe mich bereits total an ihn gewöhnt und langsam stelle ich mir die Frage, wie es in der Schule weiter gehen soll. Ich werde nie wieder etwas Gemeines zu ihm sagen können, ja wahrscheinlich werde ich ab sofort die Pausen mit ihm verbringen. Was Micha wohl davon hält? Komischerweise ist mir das relativ egal. Ich weiß nur, dass ich ihn einfach mag. Es ist herrlich amüsant, wie er herum zickt.

„An was denkst du?“, fragt er mich, weil ich wohl gelächelt haben muss. „An dich.“

„Oh,“ entfährt es ihm und mir wird klar, dass das irgendwie schwuler klingt, als beabsichtigt. „Ich frage mich, wie es weiter geht, nach dem Ausflug,“ füge ich also hastig hinzu.

„Na ja… Wie immer?“ Er zuckt mit den Schultern und ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich glaube, das hier ändert alles.“ Ich lächle ihn an.„Ja, Schatz. Wahrscheinlich,“ nickt er und ich muss grinsen. „Genau das meine,“ erwidere ich, „Das würde ich total vermissen.“

Nun grinst er ebenfalls und damit ist erst mal alles gesagt, was gesagt werden muss. Die nächste halbe Stunde lauschen wir nur der Musik und geben ab und an Kommentare zu den Songs ab.

„Wohin muss ich abbiegen?“, will ich irgendwann wissen und ohne in seinem Tun zu stoppen, sagte er mir die Richtung vor, was wirklich unheimlich ist. Anscheinend hat er tatsächlich die Route komplett im Kopf, wenn er nicht mal mehr auf die Karte gucken muss.

Das ist aber gerade nicht mein größtes Problem, sondern die Tatsache, dass es wirklich noch schwuler geht, als sich an einem Fluss die Beine zu rasieren.

„Könntest du vielleicht aufhören, dich zu schminken? Das lenkt mich vom Fahren ab,“ meine ich ein wenig befremdet und er verzieht den Mund, während er seine Augen weiter bearbeitet.

„Könntest du vielleicht aufhören, zu reden? Das lenkt mich vom Schminken ab.“

Jetzt grinst er, während ich nach Worten suche.

„Erklär mir bitte noch mal genau, warum du dich als Kerl schminkst?“, fordere ich dann, weil es mich wirklich interessieren würde.

„Weil’s gut aussieht?“ Er schielt kurz zu mir, ehe er den letzten Strich zieht und seinen Kajalstift wieder eingepackt.

„Hm…“, mache ich und beschließe, ihn weiter zu nerven. „Und jetzt musst du mir noch erklären, warum du so ein verdrehtes Weltbild hast.“

„Sei doch ruhig,“ faucht es mir sofort entgegen und mal wieder darf ich seinen Mittelfinger bestaunen, an welchem die Farbe seines Nagellacks langsam abblättert.

Ob es nun eine ernsthafte Frage ist, oder ob er mich nur ärgern will, weiß ich nicht, aber im nächsten Moment meint er: „Sag mir lieber, ob ich das Glätteeisen irgendwie am Zigarettenanzünder anstecken kann.“
 

Jannis ist sauer, weil ich ihm auf seine Frage keine Antwort gegeben habe und zupft nun, bewaffnet mit Haargel, an sich herum.

Aber was soll ich darauf auch antworten? Ich finde es schon schräg genug, dass er ein Glätteeisen besitzt, Kulturschock auf höchster Ebene.

Ich muss grinsen und werde mit Haargel beschmiert. Unheimlich… als könnte er meine Gedanken lesen…

Irgendwann sind wir endlich in Gütersloh und haben bereits Nachmittag. Ich fürchte, dass wir doch wieder bis in die Nacht hinein unterwegs sind und Jannis scheint sich darüber ebenfalls Gedanken zu machen, denn er bricht sein Schweigen: „Sieht aus, als würde ich doch noch mal ran müssen, was?“

Das ihm das Kopfzerbrechen bereitet, verstehe ich, und ehrlich gesagt will ich ihm das nicht noch mal zumuten. „Vielleicht. Aber ich denke, wir schaffen es.“

Er nickt und ich gebe ein wenig Gas.

Wir fahren an der Ems entlang, erreichen irgendwann Harsewinkel, was Jannis ständig als Hasenwinkel bezeichnet.

„Und? Schon ein Kaninchen gesichtet,“ necke ich ihn und erreiche damit nur wieder beleidigtes Schweigen.

„Ach komm schon, Jan,“ meine ich verzweifelt. „Es tut mir Leid.“

Im nächsten Moment grinst er mich triumphierend an und mir wird klar, dass er nur darauf aus war, mich zu einer Entschuldigung zu bringen.

Bald darauf erreichen wir Warendorf, um weiter Richtung Greven zu fahren. Wieder an der Ems entlang.

Die Pizza haben wir bereits verdrückt und das ist auch schon eine ganze Weile her. Deshalb wundert es mich nicht, dass irgendwann Jannis Magen anfängt zu knurren. Aber wir haben beschlossen, erst zu essen, wenn wir zumindest in Lengerich sind.

Gegen Abend erreichen wir diese Stadt auch und ich halte an einem Rastplatz.
 

Mühsam plage ich mich ab, mit dem Billigdosenöffner eine Konserve zu öffnen. Kalte Kartoffelsuppe und ein wenig Brot. So sieht also unser Essen aus. Sehr lecker, sehr nahrhaft…

Aber wenigstens essen wir überhaupt etwas.

Also sitzen wir im Wagen und stopfen das unliebsame Zeug in uns rein.

„Eklig,“ befindet Jan irgendwann und spricht meine Gedanken aus. Als die Dosen leer sind, stellen wir uns langsam die Frage, wo wir schlafen sollen.

„Motel oder Auto?“

Ich überlege eine Weile, ehe mir klar wird, dass wir sicher nur für eine Nacht ein Motel zahlen können. Deshalb beschließe ich, heute Nacht noch einmal mit dem Auto vorlieb zu nehmen. Jan widerspricht nicht.

Ich starte den Motor und wir machen uns auf nach Ibbenbüren.

Wir sind vielleicht eine halbe Stunde unterwegs, als wir den Schock unseres Lebens bekommen, da plötzlich mein Handy klingelt.

„Fuck,“ stoße ich hervor, während Jan panisch danach sucht und es unter einem Haufen alter T-Shirts findet. Das Auto sieht mittlerweile total chaotisch aus. Unsere Sachen fliegen auf der Rückbank kreuz und quer umher und ich freue mich schon auf heute Nacht, wenn wir all das wegräumen müssen, um Platz zu haben.

„Deine Mum,“ liest Jannis auf dem Display und ich könnte heulen vor Angst. Ja wirklich, ich habe richtig Angst, dass wir gleich das Donnerwetter unseres Lebens erleben werden. Hastig fahre ich an den Straßenrand und nehme ab.

„Ja?“

„Samuel, hey.“ Sie klingt ziemlich nett, dafür, dass sie eigentlich ausrasten müsste…

„Ich wollte nur wissen, wie der Ausflug bisher so ist! Du hast dich ja noch gar nicht gemeldet.“

Erleichtert seufzend entspanne ich mich. Dann erzähle ich ihr etwas, von wegen es wäre langweilig und denk mir aus, was wir bisher gemacht haben, ehe ich sie abwürgen kann. Jan sieht mich fragend an.

„Sie haben keine Ahnung, dass wir abgehauen sind,“ gebe ich Entwarnung. Er nickt erleichtert.

„Man, hat die mir einen Schrecken eingejagt. Was ruft sie auch an, nur um zu fragen, wie es ist?“, rege ich mich dann auf und Jannis beißt sich auf den Piercing an seiner Lippe, der mir erst jetzt wirklich auffällt. „Was ist?“, frage ich verwirrt.

„Wenigstens denkt deine Mum an dich…“

Ich öffne den Mund, weiß aber nicht wirklich, was sagen. „Deine denkt sicher auch an dich, auch wenn sie nicht anruft,“ tröste ich ihn dann.

„Ja… ganz sicher…“

Er klingt alles andere, als überzeugt.
 

Gegen neun Uhr erreichen wir Ibbenbüren.

Außerhalb der Stadt finden wir ein Plätzchen, wo wir den Wagen abstellen und nächtigen können. Und so beginnt eine weitere furchtbare Nacht auf unbequemen Sitzen.

Ich schlafe erneut sehr unruhig, was auch daran liegen könnte, dass es irgendwann laut über uns klappert. Ich öffne müde die Augen und muss erkennen, dass es zu regnen begonnen hat und es dieser ist, der auf das Autodach plätschert und so viel Krach macht. In der Ferne tobt wohl auch ein Gewitter, zumindest hören wir manchmal den Donner.

Jannis scheint das alles kaum zu stören, er grummelt nur, dreht sich auf die andere Seite und schläft weiter. Ich brauche länger, ehe ich trotz des Krachs schlafen kann.

Ich erwache erneut, als das Gewitter näher kommt und der Donner laut über uns schellt. Als ich die Augen öffne, sehe ich Jannis, der sich bereits aufgerichtet hat und wohl schon einige Zeit nach draußen blickt.

Ab und an wird der Himmel von einer Wetterleuchte erhellt und irgendwie hat das Schauspiel etwas fsazinierendes an sich.

Ich tue es dem Emo gleich und setze mich auf, er blickt zu mir. „Schön, oder?“, will er wissen und lächelt flüchtig. Ich nicke und öffne nach einiger Zeit eine Autotüre. „Komm,“ fordere ich ihn auf und springe nach draußen. Meine Füße kommen auf dem matschigen Boden auf, irgendwie eklig, irgendwie aber auch ein gutes Gefühl. Zuerst glaube ich, Jan wird mir nicht folgen, aber dann tritt er doch auch aus dem Wagen.

Der Regen ist angenehmem warm, aber doch kühlt er unsere erhitzte Haut. Genau das, was wir jetzt brauchen, nach einer unangenehmen Nacht in einem stickigen, heißen Auto. Jannis beschwert sich zwar, das seine Frisur nun wieder katastrophal aussieht, aber wirklich zu stören scheint es ihn nicht.

„Ist das geil, oder ist das geil?“, frage ich und tänzle im Regen umher, wie in so einem kitschigen Schnulzenfilm. Damit bringe ich Jan zum lachen und ich hüpfe zu ihm – was im Nachhinein wirklich peinlich ist – und sehe ihn auffordernd an, bis er nachgibt und mit mir herumhüpft.

Irgendwann krabbeln wir dann doch wieder ins Auto, nachdem wir uns von unseren nassen Klamotten befreit haben. Nun legen wir uns halbnackt und durchnässt schlafen und so schläft sich auch tatsächlich angenehmer.
 

Als ich am frühen Morgen erwache, sagt mir mein Handy, dass ich noch ein wenig Zeit habe, ehe ich aufstehen muss. Ich blicke zu Jannis, der noch friedlich schläft und mein Blick landet an seiner nackten Brust und schweift hinunter, bis zu seinen Lenden und dem Hosenbund seiner Shorts.

Während ich ihn anstarre, wird mir klar, was ich da tue und ich rufe mich selbst zur Besinnung. Aber ich bin ja auch arm dran. Wäre ich mit Micha auf dem Ausflug, hätte ich sicher schon ein Mädel klar gemacht und irgendwo flach gelegt. So gesehen bin ich einfach auf Entzug. Kein Wunder, dass ich da sogar auf Jannis reagiere. Ich blicke noch mal zu ihm und erkenne bestürzt, dass er die Augen geöffnet hat und mich angrinst. Toll, er hat gemerkt, dass ich ihn gemustert habe.

Ich sehe ihn an und er blickt zurück. Einige Zeit sagen wir nichts, dann ringe ich mich zu einem „Bild dir jetzt bloß nichts ein!“ durch.

Er gähnt nur und meint: „Schon klar!“ Dann richtet er sich auf, um die Morgentoilette hinter sich zu bringen und was zu essen. Ich für meinen Teil tue es ihm gleich und es ist wieder gegen sieben Uhr, als wir los fahren.
 

Tag Drei. Wahnsinn. Wer hätte gedacht, dass wir das jemals erleben würden? Oder es bis hier hin durchziehen würden? Andererseits bleibt uns ja auch nicht viel anderes übrig, immerhin wäre es ja total dämlich, jetzt umzukehren.

Obwohl… vielleicht wäre es sogar gut, umzudrehen. Immerhin wartet nur Ärger auf uns und es ist nicht mal gesagt, dass weiterhin alles so gut läuft, wie bisher. Fünf Tage… davon haben wir erst zwei hinter uns gebracht. Noch Drei, bis wir Kiel erreichen… was da noch alles geschehen kann…

„Hast du dir überlegt, wie wir wieder nach Hause kommen?“, fragt mich Jannis, der sich wohl gerade ähnliche Gedanken gemacht hat.

„Nicht so richtig.“ Ich seufze, ehe ich zu lachen beginne. „Mit dem Zug. Und das Auto lassen wir dort stehen.“

Nun fällt auch Jannis ein. „Stell dir Köpkes Gesicht vor, wenn sein Auto in Kiel gefunden wird.“

Wir kichern vor uns hin, bis Jan irgendwann einbricht. „Scheiße man,“ flucht er und vergräbt das Gesicht in den Händen. „Was haben wir uns dabei gedacht?“

„Nichts?“, meine ich und sehe zu ihm. „Wir hätten die Rückfahrt wohl lieber von Anfang an einplanen sollen.“

„Gehen wir einfach nie wieder zurück,“ sinniert mein Beifahrer vor sich hin und ich kann nicht sagen, dass ich dieser Idee abgeneigt wäre. Aber natürlich geht das nicht.

Wir fahren weiter, lassen NRW hinter uns und kommen in Niedersachen an, damit übrigens in Bramsche.

Nun folgen wir einer Stecke, in der sich Käffer mit anderen Käffern abwechseln und auf der es zwischendrin Pampa zu bestaunen gibt.

„Die Strecke ist scheiße, man sieht nix, außer Felder und Kühe,“ mault Jan und ich stimme zu und bemerke: „Tanken sollten wir auch mal wieder.“

Und so halten wir an der nächsten Tankstelle und tanken voll. Außerdem kaufen wir neues Wasser, ehe wir unseren Weg fortsetzen.
 

Gegen Mittag erreichen wir Lohne und kurz darauf Vechta, unsere Hoffnung, endlich wieder Zivilisation zu sehen.

Als nach Vechta wieder nur Landschaften und Dörfer auftauchen, zerplatzt dieser Wunsch wie eine Seifenblase.

Meine Laune wir mit jedem Busch, an dem wir vorbeifahren, schlechter und irgendwann spricht Jan dann auch noch meinen Lieblingssatz aus: „Ich muss pinkeln.“

Oh wie ich seine Blase hasse, die immer voll zu sein scheint. Aber gut. Langsam beginnt auch mein Magen zu knurren, deshalb halten wir nach einem Rastplatz Ausschau und dieser kommt schneller, als gedacht.

Der Weg dahin ist nur mit Kies aufgefüllt, weshalb es ziemlich holprig zu fahren ist und Jan auf seinem Sitz hin und her rutscht, als mache er sich gleich in die Hosen. Endlich stehen wir und er springt aus dem Wagen, ist sofort auf und davon, um sein dringendes Geschäft hinter ein paar Büschen zu erledigen. Ich muss nicht auf die Toilette, also steige ich gemächlich aus und lehne mich an den alten VW. Während ich also auf Jan warte, sehe ich mich auf dem Rastplatz um. Viel gibt es nicht zu sehen. Hinter uns parkt eine Familie, welche auf den Weg in den Urlaub ist, zumindest, wenn man den überfüllten Gepäckträger richtig deutet. Die Kinder essen ein Brötchen und er und sie befestigen einen Koffer neu auf dem Dach ihres Ford Mondeo.

Ein Stück vor uns steht ein schnittiger Sportwagen – Marke und Modell kann ich aus der Entfernung und Perspektive nicht richtig erkennen – und drei Typen stehen darum herum. Als sie bemerken, dass ich zu ihnen sehe, setzten sie sich in Bewegung und ich registiriere mit minderer Begeisterung, wie sie vor mir zum Halten kommen.

„Hey,“ sagt der eine. Er ist genauso groß wie breit und hat Akne im Gesicht. Sein Hals sieht aus, als wäre er gar nicht vorhanden.

Neben ihm kommen zwei Typen zum stehen, die ebenso dick sind, die aber aussehen, als wären das keine Fettpolster, sondern ausgewachsene Mammutmuskeln. Ich sehe den Kerl in der Mitte an und erwidere seinen Gruß.

„Ist das dein Auto?“, fragt er und nickt auf meinen VW und ich frage mich, ob er mir wohlgesonnen ist oder ob er mich gleich verprügelt.

Zur Antwort nicke ich und er blickt abschätzig erst den Wagen, dann mich an.

„Siehst ’n bisschen jung aus, für’n Auto…“

Ich sehe auf den VW, als würde auf den Scheiben groß die passende Antwort stehen. Tut sie nicht.

„Ich bin gerade 18 geworden. Letzten Monat.“

Toll gekontert, ich bin ja so stolz auf mich. Aber gut, normalerweise hätte ich ‚Fick dich’ oder ‚mit deiner Pickelface siehst’e selbst aus wie Zwölf’ gesagt, aber normalerweise bin ich ja auch nicht mit einem geklauten Wagen und einem mürrischen Emo im Schlepptau unterwegs. Warum ich letzteren erwähne? Weil er genau in dem Moment von seiner Pinkeltour zurückkommt und die Aufmerksamkeit der Typen auf sich zieht. In mir verkrampft sich etwas. Die sehen nicht aus, als wären sie emofreundlich gesinnt.

Der picklige Typ sieht also zu Jan, dann wieder zurück zu mir und grinst sich einen ab: „Und wer ist das? Deine Freundin?“

Ich funkle ihn wütend an und balle die Hand zur Faust, während Jan ganz cool bleibt, sich zu uns gesellt und ihm seinen Mittelfinger vor die Nase hält. Das findet der Fettsack natürlich gar nicht toll. Er tritt zu Jan und baut sich bedrohlich vor ihm auf: „An deiner Stelle würde ich aufpassen, wen ich provoziere. Das kann sonst ganz böse für dich enden.“

Mein Magen zieht sich zusammen, die Szene gefällt mir ganz und gar nicht. Ich frage mich, wie ich Jan jetzt am besten vermittle, dass er sein Maul halten soll, ohne es ihm laut zubrüllen zu müssen, ehe es zu spät ist. Dass er nämlich genau das nicht tun wird, weiß ich sicher, denn genau diese Eigenschaft an ihm hat mich ja immer dazu verlockt, ihn ein wenig aufzuziehen.

Eindeutig habe ich zu lange überlegt, anstatt zu handeln, denn Jannis grinst den Kerl an und meint: „Und an deiner Stelle würde ich Clerasil benutzen, ehe man dein Gesicht gar nicht mehr erkennen kann!“

Zu viel. Eindeutig zu viel. Der Typ packt ihn mit seinen Wurstfingern am Kragen und zieht ihn zu sich und ich habe plötzlich das dringende Gefühl, Jan ‚retten’ zu müssen. Nicht nur das… Ich will nicht, dass der Kerl ihn verletzt, ihn überhaupt anfasst. Ja, ich hasse ihn sogar dafür, dass er ihn berührt – auch noch so brutal. „Lass ihn los!“, brülle ich und will eingreifen, aber ehe ich vorpreschen, ihn wegziehen und ihm mit meiner Faust in seine hässliche Visage schlagen kann, bewegt sich Jan, rammt sein Knie in die Eier des Typen und stürzt dann zum Auto. Ich reagiere sofort, springe auf den Fahrersitz, ehe sich einer der Muskelberge rühren kann, lege den ersten Gang ein und trete das Gaspedal durch. Fast vergesse ich, die Türe zu schließen, so eilig habe ich es, wegzukommen.

„Gut gezielt,“ meine ich, als wir mit Achtzig Sachen über den Kies brettern. Jan grinst mich nur an und hält seinen Mittelfinger aus dem Fenster. Die Typen glotzen uns blöd nach, das sehe ich im Rückspiegel, oder bilde es mir zumindest ein.

Wir erreichen wieder die Straße und ich nehme den Fuß vom Gas. Wir sind in Sicherheit.
 

Aufgrund unserer spektakulären Flucht hatten wir leider keien Gelegenheit, etwas zu essen und so halte ich irgendwann einfach Mitten in der Pampa, so dass wir ein leckeres Menü – sprich kalte Erbensuppe und Brot – zu uns nehmen können. Beziehungsweise würgen wir es notgedrungen hinunter.

„Was für ein Leben,“ meine ich belustigt und Jan verzieht den Mund.

Wenig später riecht das Auto nach kalter Erbsensuppe und wir müssen einsehen, dass wir niemals wieder Zivilisation sehen werden. Denn als wir Wildeshausen erreichen, glauben wir, es endlich geschafft zu haben, aber danach folgt wieder Einöde. Niedersache scheint überhaupt nur daraus zu bestehen. Sehr seltsam.

Und als wollte Gott mich so richtig quälen, hat Jannis auch bestimmt, dass wir heute wieder seine Musik hören werden. Nun brüllt uns Dead by April entgegen und er summt zufrieden mit. Ich wünschte, ich könnte wie er beleidigt sein, aber ich kann es nicht. Also finde ich mich mit der Musik ab und konzentriere mich auf die Straße.

Stuhl liegt kurz vor Bremen und in uns keimt die Hoffnung wieder auf, dass wir nach einem langweiligen Tag in der Pampa endlich wieder eine richtig große Stadt sehen werden.

Wenigstens hat es den ganzen Tag geregnet, so dass es angenehm kühl ist und wir nicht so schwitzen müssen. Eigentlich ziemlich praktisch. Immerhin etwas, an so einem tristen Tag, wie heute.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Tajuja-chan
2013-01-09T16:34:36+00:00 09.01.2013 17:34
Armer Jannis *pat*
Ich hasse es auch wenn mein Freund, die Lieder die ich hasse, extra laut aufdreht, nur um mich zu ärgern -.-
Hab auch mal versucht mich beim Fahren zu schminken XD ... hat nich so dolle geklappt ^^°
Das mit dem Handy war fies =D
Was gibst du denen denn zu essen? Die armen Kerle XD


Zitate =) :

„Was zur Hölle tust du da?“ „Ich rasiere meine Beine“ - Na was denn sonst X´D

„Könntest du vielleicht aufhören, zu reden? Das lenkt mich vom Schminken ab.“ - Haha XD

„Sag mir lieber, ob ich das Glätteeisen irgendwie am Zigarettenanzünder anstecken kann.“ - Die Idee kam mir auch schon XD. Soll mit nem bestimmten Adapter (?) sogar funktionieren O.O

LG Tajuja-chan =)
Von:  FreeWolf
2011-06-03T18:58:50+00:00 03.06.2011 20:58
Hach ja. XD Clearasil hilft gegen Rowdies, böse Bubis, ob gegen Pickel ist dann fraglich. XD
Ach. Emolein ist recht lieb. *grins* Besonders, wenn er nicht auf dem Beifahrersitz vor sich hin vegetiert.. *kicher*
*wink*
Von:  Crazypark
2011-05-26T19:55:00+00:00 26.05.2011 21:55
ich habe gerade alles in einem rutsch gelesen und ich muss sagen: gefällt mir sehr :D
die charaktere wirken authentisch und sind in ihren handlungen nachvollziehbar. aber warum zur hölle erbsensuppe in einem vw-bus ohne klimaanlage? xDD boah, vergasung pur, da würd ich sterben haha

bin schon gespannt, wie es weiter geht =D
Von:  Last_Tear
2011-05-25T23:16:50+00:00 26.05.2011 01:16
XDDD
Hurr~
Der Clearasilwitz is toll XP
*anschmus*
*Janis patt*
Aw~ der erinnert mich an John ;___;
*fiep*
Auch wenn zwischen Emo und Massenmörder doch ein Unterschied besteht >D
*hust*
Nyan~ gute Idee o.o"
Wir fahren nie wieder zurück x3
*an hdr denken muss*
*dahinschmelz*
Schnurrr~


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