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Kaliningrad

von

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Weil es immer so war, weil es jetzt anders ist.

Kaliningrad - Weil es immer so war, weil es jetzt anders ist.
 

Noch heute höre ich ihre Musik.

Das Klavier und die Mundharmonika.
 

Noch heute sehe ich ihre Silhouetten.

Und mir zerreißt es das Herz.
 

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem dies alles wohl seinen Anfang genommen hatte. Es war der 9. Mai 1945. Die Unterzeichnung meiner endgültigen Kapitulation als letzte Rettung für mein Volk.
 

Blind, in meinem jugendlichen Leichtsinn, war ich damals einen Tyrannen gefolgt, der Deutschland den Todesstoß gegeben hatte. Geboren unter Österreichs Fahne, als Künstler missachtet und im Krieg eigentlich unbrauchbar, wurde dieser Mann später mein Führer. Mein Oberster Boss, dem ich all meine Aufmerksamkeit und Liebe schenkte.

Ja, ich war mit Feuereifer dabei, wenn er zum Marsch blies. Mein Herz tobte schier vor Freude und Lust, wenn die Deutsche Fahne stolz auf den Feldern des Krieges im Winde wehte und die Luft vor Feuer und Schwefel geschwängert war.

Jedoch am Ende war er nur ein armer Mann, der die Konsequenzen seines Handelns nicht in Kauf nahm, sondern sich lieber vorher das Leben nahm. Ein Feigling, wie er wohl im Buche steht, dessen große Reden von der großen. mächtigen arischen Rasse an ende nur hohles Gerede gewesen war.
 

Aber egal was gewesen war und egal wie lange ich mich erinnern konnte, mein Bruder war immer bei mir gewesen.

Gilbert Beilschmidt.

Preußen.

Mein Bruder.

Der erste „Mensch“ an den ich mich erinnern kann. Er war meine Familie. Er lernte mich das Kämpfen und half mir auf meinen Thron zum Deutschen Kaiser.

Meiner Ansicht nach hätte dies sein Thron sein sollen. All die Ehre hätte Sein sein können. Doch Gilbert war stets zufrieden gewesen auf dem Schlachtfeld zu stehen und abends ein Bier, oder mehrere, in der Taverne zu trinken.

Mir schien es immer als würde er die Verantwortung fürchten. Er war zwar Preußen, doch die Lenkung seines Königreichs überließ er anderen. Lieber streifte er Frei und ungehalten durch die Lande. Ging wohin er wollte. Und was er wollte, war im Allgemeinen viel und hatte meist mit seinem eigenen Spaß zu tun. Und anscheinend gehörte dazu, dass ich ihn ständig aus Österreich holen musste, wenn mir Roderich genervt eine Nachricht sendete, mit der bitte meinen „Großen Bruder“ mal wieder einzusammeln.

Ja, Österreich.

Roderich Edelstein.

Der Virtuose.

Ein Künstler und Genießer.

Und Gilberts Lieblingsopfer.

Warum auch immer…
 

Diese beiden Menschen waren auch bis zum Ende bei mir. Gilbert freiwillig. Roderich eher unfreiwillig. Er hasste den Krieg und Blutvergießen. Wie die meisten Menschen seines etwas schrulligen Volkes.

Wie einer der schrecklichsten Menschen der Geschichte aus diesem Lande stammen konnte, ist mir immer noch ein Rätsel. Die einfachste Erklärung ist wohl, dass es in jeder Herde ein schwarzes Schaf geben muss.
 

Die Tage nach dem 09. Mai waren hart. Ungewissheit plagte mein Volk. Alles lag in Ruinen und das Elend grassierte Stärker denn je durch ihre Reihen. Ich hörte ihre Stimmen vor unseren Gitterstäben und wartete darauf, dass die Alliierten entschieden, was mit Deutschland geschehen würde.
 

Die Zeit in der kleinen Gefängniszelle kam mir damals so schleppend vor und doch im Nachhinein hätte ich sie wohl besser genießen sollen. Denn diese Tage sollten die letzten Tage sein, in denen Gilbert so war, wie ich ihn kannte. Froh, munter, stolz, überheblich und kämpferisch. Doch wer konnte damals wissen, was ihn erwarten würde? Welche Schrecken er in der Russischen Tundra erleiden würde.

Niemand.

Oder doch…

Vielleicht er selbst.

Zumindest schien Gilbert damals etwas geahnt zu haben, denn als unser letzter gemeinsamer Morgen in der Zelle angebrochen war, schlich sich für eine Sekunde ein trauriges Lächeln auf seine Züge. Aber es war nur ein Sekundenbruchteil dem ich, wie so vielem in meinem Leben, keinerlei Aufmerksamkeit schenkte.
 

Als wir schließlich vor ihnen saßen und Amerika zusammen mit Russland, England und Frankreich darüber diskutierten, wie es nun mit uns weitergehen sollte, beschlich mich so langsam die Angst. Eine Angst, die mich starr wie ein gefrorenes Lamm im Schnee machte und mir meine Wahrnehmung raubte. Alles was da noch war, war der Sekundenzeiger der Uhr neben mir der mich damals in den Wahnsinn trieb und Gilbert, der ruhig neben mir saß und Stolz, wie sein Wappentier, der Schwarze Adler, sein Haupt erhoben. Ich glaube, dieser Anblick voller Würde war es, der mich damals vom Wahnsinnig werden abhielt.

Und während die Sekunden unheilvoll weitertickten, verkündete Amerika schließlich unser Schicksal. Deutschland sollte aufgeteilt werden und niemals mehr eins sein. Wir würden uns nie wieder sehen.

Nie wieder.
 

Nein.

Das konnte doch nicht wahr sein, oder?

Sie konnten mir doch nicht meinen Bruder wegnehmen…
 

Und während die Gedanken damals in meinem Kopf rasten, schnappte sich Russland schon Gilbert und zog ihn unsanft in die Höhe.

„Lass mich los.“, knurrte er dem Russen als Antwort auf dessen gebaren, schüttelte den Griff des anderen gekonnt ab und drehte sich zu mir. „Wir werden uns wiedersehen“, flüsterte er leise, legte mir sein geliebtes Kreuz um, küsste mich zärtlich auf die Stirn, wie er es schon so oft getan hatte und wischte mir meine Tränen ab, die von mir unbemerkt, inzwischen meine Wangen hinuntergelaufen waren. Ich habe früher oft geweint. Sehr oft sogar und immer war Gilbert da, um mich zu trösten.

Doch das würde sich nun ändern, was mir noch schmerzlicher bewusst wurde, als Ivans irres Lachen durch den Raum hallte und er Preußen mit sich zog, der Stolz und voller Würde und ohne die kleinsten Anzeichen eines gebeugten Wesens aus meinem Blickfeld verschwand.
 

Die darauffolgenden 44 Jahre waren die schlimmsten in meinem Leben. Ich war alleine. Der Buhmann der Welt und um mich herum klagte mein Volk, dass es einem schier das Herz zeriss. So viel Elend und Leid waren das Resultat dieses Krieges gewesen. Leid, dass wohl keiner jemals vergessen werden würde. Wobei sich das eigentlich nur auf die Grausamkeiten bezog, die wir in den Konzentrations- und Internierungslagern verrichtet hatten. Kein Gras würde jemals darüber wachsen und das war sicher besser, damit sich solch eine Gräueltat nicht wiederholen konnte.

Das Leid, das meinem Volk durch die Niederlage erlitten hatte, verschwand mit jedem Ziegelstein, jedem neuen Tag und jedem wieder fröhlichen Lied, das durch mein Volk als Anzeichen der Hoffnung ging.
 

Ja, mein Volk hoffte.

Ich vermisste Gilbert.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-07-27T10:45:12+00:00 27.07.2011 12:45
Ich find's klasse, Daumen hoch! ^^


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