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Noblesse

von

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Kein Zurück

Alexis' Herz raste wie ein winziger, flatternder Vogel. Er lag in seinem Bett und starrte an den schweren Himmel aus Samt, seine Gedanken drehten sich wild im Kreis. Er war noch immer wie berauscht, fuhr sich gedankenverloren über die vollen Lippen und spürte auch lange nach dem Kuss noch das Brennen, dass Samuels Mund hinterlassen hatte.

Der stattliche Mann hatte ihn für diese Nacht so gefangengenommen, dass sich nicht mal der bekannte Trotz, die Wut darüber, erobert worden zu sein, einstellte. Nichts an der heftigen Vereinigung schien Alexis falsch oder unwert gewesen zu sein, viel eher musste er sich nach und nach eingestehen, dass es noch nie in seinem Leben einen solch intimen Moment gegeben hatte.

Er hatte gewiss schon mit vielen Frauen geschlafen und nicht wenige von ihnen hatten ihm Befriedigung verschaffen können, aber die wilde Lust, die ihn beim bloßen Anblick des rothaarigen Mannes erfasst hatte, übertraf alles bisher erlebte. Noch immer pochte sein Glied in fordernder Leidenschaft zwischen seinen erhitzten Schenkeln und schien es ihm unmöglich zu machen, in den nächsten Stunden einzuschlafen. „Na großartig.“, seufzte Alexis leise und griff in die baumwollene Unterhose, wo sich seine heiße Erregung gierig nach Berührung streckte.
 

Es dämmerte bereits, als der junge Mann in seinem Bett endlich den Schlaf fand, nach dem sein Körper so dringend verlangte.

Nachdem er sich mehrere Male an Samuels Anblick vor seinem inneren Auge befriedigt hatte und seine Lust sich endlich zurückzog, waren ihm noch einmal die Gespräche mit seinem Objekt der Begierde in den Sinn gekommen. Samuel war nur auf Anordnung seines Vaters hier und Alexis war sich sicher, dass er ebenso schnell wieder verschwinden würde, wie er aufgetaucht war. Es war also besser, sich emotional nicht zu binden – er konnte nur verlieren.

Dann endlich wurden seine Augenlider schwer und er fiel in einen unruhigen Schlaf.
 

„Guten Morgen Schlafmütze.“

Alexis stöhnte gequält auf und drehte sich zur Seite. Noch ehe er die Augen öffnete, wusste er, wer ihn geweckt hatte. Er kannte den schweren, süßlichen Geruch nur allzu gut und nur eine Person auf der Welt würde es wagen, ihn in seinen Gemächern zu belästigen.

„Verschwinde Cecilia.“, murmelte er leise und versuchte das grelle Sonnenlicht auszusperren, indem er sich eines der schweren Kissen über den Kopf zog.

„Aber mein Süßer, willst du mich denn gar nicht begrüßen?“, flötete die vollbusige Frau und zerrte an Alexis' Arm. Sie trug ein weit ausgeschnittenes Kleid und ihre dicken, braunen Locken waren zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt.

Der junge Mann stöhnte erneut und beschloss, seine unwillkommene Besucherin einfach geflissentlich zu ignorieren: irgendwann musste sie aufgeben. Er wollte Cecilia weder sehen noch mit ihr reden. Allein ihre Anwesenheit schien seinen Stresslevel bis zum Limit auszureizen, ihren Anblick würde er nicht ertragen. Nach dem was gestern passiert war, was er gefühlt und erlebt hatte, gab es nichts mehr, was ihm diese Frau noch bieten konnte, dessen war er sich völlig sicher.

„Komm schon Alexis, ich will spielen.“, flüsterte die Baroness heiser und versuchte sich durch das Kissen zu ihrem kleinen Geliebten zu graben.

„Lass mich in Frieden.“, fauchte Alexis und rollte sich zu einem harten Ball zusammen.

„Was ist denn los mit dir? Bist du krank?“, fragte Cecilia nur wenig besorgt und Alexis konnte fast hören, wie sich ihre Augenbrauen unwillig zusammenzogen.

„Nein, ich hab' nur einfach keine Lust auf dich.“, antwortete er und stellte befriedigt fest, dass es ihm egal war wie unhöflich er diese Frau behandelte.

Sie hatten seit vielen Jahren ein Verhältnis: Cecilia war Französin und lebte auf Geheiß ihrer Eltern in England. Ihre einst reiche Familie war im Verlauf der Revolution verarmt und konnte sich die teure Erziehung einer Dame nicht leisten. Sie lebte deshalb bei ihrer Tante und pflegte, wie Alexis vermutete, einige intensive Beziehungen zu den umliegenden Anwesen. Der junge Lord hatte sie, trotz des Altersunterschieds von knapp zwölf Jahren, immer als eine attraktive und begehrenswerte Frau empfunden. Doch nach dem gestrigen Abend hatte er nichts als Desinteresse für sie übrig.

„Was sollen diese Kindereien Alexis von Gloucestershire, sprich gefälligst in einem angemessenen Ton mit mir.“, sagte die Baroness nun eindeutig gereizt und die Bewegung unter seinem Körper verriet Alexis, dass sie sich aus seinem Bett erhoben hatte. Er wusste, dass er jetzt gut daran tun würde, sich ihrer Forderung zu stellen und vernünftig mit ihr zu reden, aber das Kind in ihm wehrte sich so heftig, dass er einfach stumm liegenblieb.

Cecilia seufzte: „Werde endlich erwachsen, Alexis.“, sagte sie mitleidig, dann fiel die Tür ins Schloss.

Erleichterung durchströmte den Jungen und er strampelte sich unter dem Kissenberg hervor. Er brauchte eine ganze Weile, ehe sich seine nachtschweren Augen an den grellen Sonnenschein gewöhnt hatten, dann stand er auf. Er fühlte sich so müde wie am Abend zuvor: seine Glieder waren bleiern schwer und jeder Muskel in ihm schien verspannt.

Als er die Tür zur Terrasse öffnete schlug ihm eine warme Brise entgegen, die Luft schmeckte nach Honig und war schwer vom Blütenstaub. „Wie schön.“, flüsterte Alexis leise und fing ein herumschwirrendes Blütenblatt auf. Er liebte den Spätsommer.

Der junge Lord fuhr zusammen als es ungewöhnlich laut und fordernd klopfte und war überrascht, als die Tür, noch ehe er geantwortet hatte, aufgestoßen wurde.

„Da bist du ja.“, raunzte Lysander sofort und stürmte wie ein wildes Tier in das Gemach seines Sohnes. Hinter ihm trat Henry ein, einen entschuldigenden Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ich war gestern schon einmal hier, aber du hast es ja vorgezogen dich mit weit weniger wertvoller Gesellschaft zu umgeben.“, fuhr der Count fort und sein Blick durchstreifte das Zimmer mit unangenehmem Interesse. Als seine Augen schließlich auf seinem Sohn ruhten sah man ihm deutlich an, wie sehr er dessen Aufzug missbilligte. Alexis war in der Tat nicht besonders standesgemäß gekleidet: Auf seinen Schultern hing lediglich ein viel zu großes Hemd, das ihm locker über die Taille fiel. Der Rest seines gebräunten Körpers war nackt, einschließlich seiner Füße.

„Oh, dann muss mir die gestrige Ankündigung Eures Besuchs wohl entgangen sein.“, zischte der junge Lord bissig und warf seinem Vater einen zornfunkelnden Blick zu. „Ebenso wie die heutige.“, fügte er hinzu und hoffte inständig, dass er diesem Gespräch bald entkommen konnte.

„Dies ist immer noch mein Anwesen und ich kann hier kommen und gehen wie es mir beliebt.“, gab Lysander zurück und betrachtete naserümpfend die leeren Weinflaschen neben dem Bett. „Herzog Samuel hat mich auf den neusten Stand eures Unterrichts gebracht und ich muss zugeben, dass ich recht positiv überrascht war, als er mir mitteilte, du würdest kooperieren und bereits Fortschritte machen.“ Er kam mit einigen Schritten sehr nahe an seinen Sohn heran und seine Augen blitzten gefährlich. „Und ich dachte immer, du wärst unnütz.“, fügte er hinzu und schien es zu genießen, dass sein Sohn unter seinen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Alexis war für einen Moment wie gelähmt, dann ermahnte er sich innerlich nicht kleinbeizugeben und holte zu einer Antwort aus.

„Wenn Ihr gekommen seid um mir das zu sagen, dann muss ich Euch leider enttäuschen. Dass Eure Meinung von mir keine allzu hohe ist, wurdet Ihr bereits zu meiner Kinderzeit nicht müde zu erwähnen, Vater.“, er spie das letzte Wort aus und musste sich beherrschen, um seinem Gegenüber nicht in das strenge Gesicht zu spucken.

Lysander hielt einen Moment dem trotzigen Blick seines Sohnes stand, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Seine raue Stimme hallte von den hohen Wänden wieder und Alexis hörte den puren Hohn heraus. „Du benimmst dich wirklich wie ein Mädchen mein Junge.“, brüllte er unter einer Welle von Lachkrämpfen und für einen Augenblick musste er sich an dem hohen Kaminsims abstützen. Dann schüttelte er langsam den Kopf und wurde wieder ernst.

„Hätte mir deine Mutter doch nur ein Weib zum Kind geschenkt, das könnte ich wenigstens verkaufen.“, er hielt einen Moment inne und musterte seinen Sohn von oben bis unten, dann wurde sein Blick so hart wie Stahl. „Obwohl, bei deinen dürren Beinen und den langen Fransen auf dem Kopf würde ich dich sicher auch so loskriegen, du...“

Mehr bekam Alexis nicht mehr mit. Mit einem Ruck drehte er sich um und rannte, der Verzweiflung nahe, auf die Terrasse, die Treppe hinunter und hinein in den kühlen Schatten des weitläufigen Gartenlabyrinths.

Tränen rannen aus seinen brennenden Augen, vernebelten seine Sicht und ließen ihn halb blind über den taufeuchten Rasen stolpern. Seine Wangen brannten vor Scham und Wut und obwohl seine Beine gegen die ungewohnte Belastung rebellierten, gönnte er sich keine Pause und setzte seinen Weg ungebremst fort.

Er wusste nicht, wohin ihn seine Füße trugen und es schien auch keinen Sinn zu haben seine Füße befehligen zu wollen. Sie folgten nur ihrem eigenen Willen.

Umso überraschter war Alexis, als er knapp hinter einer engen Kurve ganz unvermittelt vor ein Hindernis prallte. Er taumelte einige Schritte zurück und fing sich im letzten Moment. Verwirrt blinzelte er die Tränen weg und merkte wie sein Herz einen Hüpfer machte als er Samuel erkannte. Hochgewachsen und akkurat wie am Tag seiner Ankunft ragte er vor Alexis auf, der sich plötzlich so winzig wie nie zuvor in seinem Leben vorkam. Schatten lagen auf dem Gesicht des Herzogs und ließen die helle Narbe über seinem rechten Auge überdeutlich hervortreten. Er lächelte nicht.

„Ist alles in Ordnung mit Euch, junger Lord?“, fragte er leise und musterte sein Gegenüber mit Adleraugen. Er wirkte für einen Moment ebenso verwirrt wie Alexis sich fühlte, dann erschienen Sorgenfalten auf seinem schönen Gesicht.

Er wartete eine ganze Weile auf eine Antwort seines jungen Gegenübers und spürte, wie Nervosität und Verlangen einen stummen Kampf in ihm fochten. „Geht es Euch gut?“, versuchte er es erneut und war mehr als überrascht, als sich Alexis mit einem tiefen Schluchzer in seine Arme warf.

Wie ein kleiner Junge drückte sich der schwarzhaarige Lord gegen Samuels Brust und weinte so haltlos, dass es dem Herzog das Herz in der Brust zusammenzog.

Er wurde seiner Überraschung schnell Herr und schlang seine Arme und den zitternden Körper, streichelte beruhigend den schmalen Rücken auf und ab und murmelte leise Worte. Schnell sog sich sein Hemd mit den salzigen Tränen seines Schützlings voll und er spürte die feuchte Flut auf seiner bloßen Haut. Samuel wusste nicht, wer den Lord so aufgeregt hatte, aber er spürte in sich den unbedingten Drang, demjenigen schlimme Schmerzen zuzufügen. Niemand sollte so weinen müssen.

„Beruhige dich Alexis.“, flüsterte er leise und versuchte den Klammergriff des jungen Mannes zu lösen. Keine Chance. Nur noch dichter drückte der Schwarzhaarige sich an seine Brust, rieb seinen verführerischen Körper an dem seinen und Samuel hatte einige Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Schon beim Zusammenprall war ihm die luftige Kleidung seines Schülers aufgefallen, doch nun, wo er so dicht an ihm stand, spürte er die nackte Haut des jungen Mannes unter seinen Fingern. Das weite Hemd bedeckte in der Tat nur notdürftig die Männlichkeit des Lords und Samuel konnte nicht widerstehen: Mit einer sanften Bewegung strich er über die goldene Haut am Schenkel seines Gegenübers. Gänsehaut überzog Alexis und ein leises Stöhnen drang aus seinem Mund.

Noch immer rannen unaufhörlich Tränen aus seinen bernsteingelben Augen, aber die zärtliche Berührung eben schien all den Schmerz und die Erniedrigung wie weggewischt zu haben.

Alexis hörte auf zu Schluchzen, drückte sein Gesicht in die warme Halsbeuge seines Herzogs und konzentrierte all seine Sinne auf den einen Punkt an seinem Bein.

Samuel hielt inne. Er wusste selbst nicht, was ihn trieb und er spürte, dass das hier sehr falsch war, aber seine Finger wollten mehr von dieser samtenen Haut berühren, mehr streicheln und mehr entdecken.

„Nicht aufhören.“, murmelte Alexis an seinem Hals und blies seinen heißen Atem über die empfindsame Haut.

Und obwohl Samuel wusste, dass es ein Fehler war, gab er dem Bitten nach, gab seinem eigenen Bedürfnis nach Nähe nach, und streichelte noch einmal sanft über die weiche Haut.

Alexis spürte, wie empfindsam er war. Er genoss die schüchternen Finger auf seinem Körper, wollte mehr und gleichzeitig diesen kostbaren, einmaligen Moment nicht zerstören.

Die Vögel zwitscherten um die Wette und der leichte Sommerwind brachte die feinsten Gerüche zu ihnen herüber. Der See rauschte leise in der Ferne und die weißen Wolkenschafe zogen friedlich über den tiefblauen Himmel.

Doch keiner der beiden Männer nahm irgendetwas von der Schönheit um sie herum war: sie existierten in diesem Augenblick nur füreinander.
 

Es schien eine pure Ewigkeit zu dauern ehe sich die beiden ungleichen Gestalten voneinander trennten, dann ergriff Samuel das Wort:

„Erzählt mir was passiert ist.“, sagte er bestimmt und berührte wie in Trance die feuchte Stelle auf seinem Hemd.

Alexis war einen Moment wie gelähmt, dann schluckte er schwer den Kloß in seiner Kehle hinunter und nickte. „Mein Vater, der Count... er war da und hat... so schreckliche Dinge gesagt. Ich weiß ja, dass ich ihm kein guter Sohn bin...kein guter Mensch bin, aber“, er hielt inne und seufzte tief, „ich habe immer gedacht, dass er mich wenigstens ein klein wenig mag. Stattdessen will er mich verkaufen.“ Die letzten Worte klangen verbittert und voller Gram.

Alexis zitterte noch immer am ganzen Körper: es war, als hätte die Abwesenheit von Samuels Umarmung eine tiefe Lücke in seine Beherrschung gerissen. Die schmalen Schultern hingen mutlos herab und ließen den jungen Lord wesentlich kleiner wirken als sonst, seine sonst so feurigen Augen schienen wie erloschen und sahen den Herzog flehend an.

„Wir sollten nicht hier darüber reden.“, gab der Ältere zurück und betete, dass man die raue, männliche Begierde nicht in seiner Stimme hören würde. Seine Hände zitterten beim Anblick des spärlich bekleideten jungen Mannes und nur sein eiserner Wille hielt ihn davon ab, ihre beiden Münder in einem wilden Kuss zu einen.

Ergeben nickte Alexis und sah sein Gegenüber mit durchdringenden Augen an:

„Wie spät ist es?“

Prüfend warf der Herzog einen Blick in den Himmel und brachte vorsichtshalber noch einen Schritt Abstand zwischen sich und den verführerischen jungen Mann. „Mittag, höchstens zwölf.“, antwortete er und es brach ihm das Herz zu sehen, wie offensichtlich Alexis unter der räumlichen Trennung litt.

„Dann sehen wir uns zum Essen?“

Samuel ging auf seinen Schüler zu, strich ihm mit einer zärtlichen Handbewegung eine einzelne Träne von der Wange und lächelte herzlich: „Ich würde mich sehr freuen.“
 

Als Alexis in seine Räumlichkeiten zurückkehrte, war sein Vater verschwunden. Die Tür stand offen und ein kühler Hauch strich die nackte Haut des jungen Lords.

Er war so erleichtert, seinem Vater nicht noch einmal begegnen zu müssen, dass erneut dicke, runde Tränen aus seinen Augen sprudelten.

„Nun reicht es aber, Alexis.“, murmelte er sich ungeduldig zu und schälte sich aus dem feuchten Hemd. Gedankenverloren ließ er den Stoff durch seine Finger gleiten und erwischte sich dabei, wie er prüfend daran roch, testete ob der Duft des Herzogs noch immer daran hing. Enttäuscht stellte er fest, dass dem nicht so war und er warf das Kleidungsstück voll Ungemach auf den Fußboden.

Während er sich die salzigen Spuren von der toffeebraunen Haut wusch, beruhigte sich sein hüpfendes, krampfendes Herz langsam und auch seine Glieder hörten auf zu zittern. Ihm wurde langsam wieder warm und die Aussicht, auf einen entspannten Nachmittag in der Bibliothek hellte seine Laune ein wenig auf.

Als das kleine Läuten unten in der Vorhalle das bevorstehende Mittagessen ankündigte, war Alexis bereits völlig angekleidet und bürstete sich gerade das noch immer duftende Haar.

„Perfekt.“, sagte er leise und machte sich gemächlich auf den Weg zum Salon.
 

Das Essen verlief ruhig und ereignislos. Schweigend genossen die beiden Männer Suppe und Fleisch, Alexis gönnte sich noch eine große Portion sahnigen Kuchen.

Samuel beobachtete ihn scheinbar belustigt und legte sein Kinn auf die gefalteten Hände.

„Ich habe beschlossen, in Anbetracht der morgendlichen Erregungen“, er räusperte sich ob der unglücklichen Wortwahl, „den Lehrplan für heute auszusetzen und stattdessen den etwas mehr Praxis orientierten Teil vorzuziehen: Was haltet ihr von einem Ausritt?“

Alexis dachte einen Moment kauend nach, dann lächelte er kindlich.

„Das wäre schön.“, gab er ehrlich zu und schluckte die zuckrige Masse hinunter. Ein Ausritt, dass würde ihm sicher guttun und er konnte seinen peinlichen Auftritt von neulich wieder wettmachen. Er wusste, dass er mit seiner eleganten Fuchsstute ein sehr sinnliches Bild darstellte, das war sein Trumpf und er wusste ihn durchaus auszuspielen.

„Lasst mich noch einen Moment ausruhen, mein Lord, dann sehen wir uns an den Ställen.“ Samuel erhob sich seufzend und verschwand einige Sekunden später in den Flur.

„Alter Mann.“, lächelte der Schwarzhaarige und beschloss, sich die Wartezeit an der frischen Luft zu vertreiben.
 

Das Wetter war noch immer einladend und die Sonne wärmte Alexis' Nacken mit angenehmer Stärke. Einige Bedienstete gaben sich hektischen ihren Aufgaben hin, liefen geschäftig hin und her und wirkten, als wollten sie ihrem jungen Herrn entfliehen.

Ein wenig beleidigt betrat Alexis die niedrige Stallgasse, öffnete geschickt die gewünschte Box und führte die rostbraune Stute ins Freie. Schnaubend folgte sie ihm und als er begann sie zu striegeln, stupste sie ihn verspielt an. „Hey lass das.“, kicherte er und fühlte sich zum ersten Mal, nach der weichen Umarmung des Herzogs, wieder wie der Alte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er das Pferd soweit gesäubert hatte, dass er zufrieden war. Er beauftragte einen der Pagen die unruhige Stute aufzuzäumen, dann holte er den taubengrauen Hengst von der weitläufigen Koppel und befreite auch ihn gründlich von Staub und Schmutz.

Er war eben fertig, als der Herzog aus dem Portal schritt. Er trug hohe schwarze Reitersteifel, eine enge Hose mit passendem Hemd und sein langer Staubmantel hing locker auf den breiten Schultern.

Alexis schluckte schwer und wandte sich wortlos ab, denn er hatte das Gefühl, keines seiner Worte würde ihm gehorchen.

„Wie ich sehe, habt Ihr mir bereits ein Pferd zugedacht.“, stellte Samuel fest und tätschelte beruhigend den muskulösen Hals des Hengstes. Er schien, im Gegensatz zu den Angestellten um sie herum, nicht die Spur von Angst vor diesem Tier zu haben und auch wenn Alexis es sich nicht gern eingestand, musste er zugeben, dass ihn das beeindruckte.

„Ich dachte, Ihr würdet Archeron mögen.“, antwortete der junge Lord und spürte, wie ihm beim Anblick des rothaarigen Mannes ein Schauer den Rücken hinab rann. Samuel nickte wortlos und warf den schweren Ledersattel mit einer lässigen Bewegung auf den Rücken des Tieres. Mit einigen fachkundigen Griffen hatte er ihn ordnungsgemäß befestigt und schwang sich mit einer weit ausholenden Bewegung in die Höhe.

Mit geschlossenen Augen verharrte er einen Moment, schien sich an das schwere Pferd unter seinem Körper gewöhnen zu müssen, dann lächelte er selig.

„Ich habe viel zu lange keinen Ritt mehr gemacht.“, sagte er und Alexis kam nicht umhin, ihn anzustarren. Es schien, als würde er wiederrum eine ganz neue, unbekannte Seite an dem Herzog entdecken und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, was sich für eine schillernde und vielfältige Persönlichkeit hinter dem strengen, akkuraten Äußeren versteckte.

Eilig schwang auch er sich auf seine Stute und lenkte das nervöse Tier neben den grauen Hengst.

„Ich würde vorschlagen, ihr reitet vor – ich habe keinerlei Kenntnis über die Örtlichkeiten.“, sagte Samuel und sie verließen im gemächlichen Schritt den kiesbestreuten Vorplatz.

„Das sollten wir ändern.“, antwortete der junge Lord und nahm nur unterschwellig wahr, wie schön er es fand, das Wort 'wir' zu benutzen.
 

Sie waren eine ganze Stunde auf dem weitläufigen Gelände unterwegs gewesen, hatten entweder geschwiegen oder sachliche Worte über den Baumbestand und die Bodenbeschaffenheit gewechselt. Es war schon eine ganze Weile still ehe sich Alexis überwand zu fragen, was ihn schon so lange beschäftigte.

„Sagt mal, Herzog, Euer Name klingt ausländisch. Woher kommt Ihr?“ Seine Stimme klang weniger fest als er gehofft hatte und er schämte sich dessen sehr.

„Warum wollt Ihr das wissen?“, gab Samuel zurück und schenkte ihm einen aufmerksamen Seitenblick. Alexis zuckte die Schultern und war nicht mutig genug, das Gespräch erneut aufzunehmen.

Sie ritten den dichtbewachsenen Waldweg entlang, ihre Tiere hatten gut nebeneinander Platz und die Luft war erfüllt vom leisen Schwirren der Insekten.

„Ich bin in Deutschland geboren“, erklärte Samuel schließlich, „und auch dort aufgewachsen. Mit meinem jüngeren Bruder Karl.“ Er stoppte seine Rede und Alexis wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass Samuel nicht besonders glücklich über seine Abstammung war.

„Seid Ihr der Thronfolger?“, fragte er und schalt sich in Gedanken ob seiner unangebrachten Neugier. Samuel seufzte:

„Im Grunde schon, aber ich schätze es nicht, tagelang in dunklen Kammern über Regierungsentwürfen zu brüten und meine kostbare Zeit mit dem Schmieden von politischen Intrigen zu vergeuden. Karl erledigt das für mich ganz hervorragend.“ Er klang verbittert und Alexis bereute es, nachgefragt zu haben. Er hatte die friedliche Stimmung zwischen ihnen nicht zerstören wollen und er versuchte die Situation zu retten.

„Den ganzen Weg runter bis zum See, da wo die alte Trauerweide steht, der Schnellere gewinnt.“ Alexis deutete mit der Hand vage in die gemeinte Richtung.

Einen Moment sah ihn Samuel fragend an, dann lichteten sich die tiefen Falten auf der Stirn des Mannes und er lächelte.

„Ein Wettrennen! Auf drei?“

„Auf drei.“, stimmte Alexis zu und spürte wie das Adrenalin durch seinen Körper strömte. Jeder Muskel in ihm spannte sich an und er beugte sich tief über den Hals seiner schönen Stute.

„Blamiere mich bloß nicht, Bavieca.“, murmelte er und als das vereinbarte Startsignal an sein Ohr drang presste er seine Hacken so fest in die Flanken des Tieres, dass es erschrocken wieherte. Ein wilder Schrei entfuhr Alexis' Mund und wie der Teufel jagte er los.

Bavieca, die leichte Fuchsstute, hatte einen klaren Vorteil was den blitzartigen Start betraf, aber schon hörte der junge Lord die donnernden Hufe des schweren Hengstes herannahen. Voll animalischer Freude drückte er seinen Rücken durch, schob sich noch weiter nach vorn und trieb das Pferd unter sich abermals an. Die Stute gehorchte, streckte sich noch einmal und nahm an Geschwindigkeit zu. Wie der Wind jagte sie auf das glitzernde Wasser zu.

Aus dem Augenwinkel nahm Alexis den prachtvollen Reiter neben sich wahr. Samuel gab dem Ungetüm unter sich keine Chance, drängte den Hengst unbarmherzig voran und der Vorsprung des Jüngeren schmolz nur so dahin. Bald waren sie gleichauf, das rettende Ufer nur noch wenige Meter entfernt.

Doch Samuels Anblick war eine solch reine Freude, dass Alexis ganz vergaß zu gewinnen.

Der Herzog passierte die Trauerweide als Gewinner, riss das graue Pferd unter sich herum und brachte den schnaubenden Hengst mühelos zum Stehen.

„Gewonnen.“, rief er laut und sein erhitztes Gesicht wirkte erfrischt. Alexis zügelte Baviecas schnellen Lauf und lenkte sie direkt neben Archeron.

„Diesmal schon.“, lächelte er und strich sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht, „Aber warte es nur ab, beim nächsten Mal bin ich nicht so gnädig.“ Er lachte.

„Wir werden sehen.“, antwortete Samuel amüsiert und rutschte elegant vom breiten Rücken des Hengstes. Als Alexis ihm folgte, zitterten seine Beine für einen Moment so stark, dass er fürchtete umzufallen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Samuel nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag und klopfte Archerons schaumbedeckte Flanke. Sein Zopf hatte sich gelöst und die langen Strähnen fielen weit bis in seinen Rücken hinab. Die Sonne zauberte Millionen von kleinen Lichtreflexen auf die seidigen Haare und ließen es in einem unnatürlichen Rot erstrahlen. Wie in Trance griff Alexis danach, wickelte sich eine weiche Strähne um den Finger und seine Augen waren groß wie die eines Kindes im Spielzeugzimmer. „Eure Haarfarbe ist wunderschön.“, murmelte er leise und schien in Gedanken versunken.

Samuel brauchte all seine Selbstbeherrschung um nicht Alexis' Beispiel zu folgen. Das Bedürfnis sein Gegenüber einfach zu packen und zu küssen, ihm sein Zeichen aufzudrücken, war so übermächtig, dass der Herzog für einen Moment die Luft anhielt und die Augen schließen musste.

Alexis hatte sich mittlerweile zum Nacken des Älteren vorgearbeitet. Er strich noch immer mit behutsamen Bewegungen über die glänzenden Haare, fuhr mit spitzen Fingern in den Ansatz und löste eine wahre Flut von Schauern auf Samuels Rücken aus.

Er war dem Herzog so nahe, dass er seinen herben Duft fast schmecken konnte. Lust erfasste den jungen Mann und in sich spürte er das übermächtige Verlangen nach mehr: mehr fühlen, mehr schmecken, mehr erleben.

„Alexis, bitte nicht...“, bat Samuel leise und spürte, wie jeder gute Vorsatz in ihm schmolz. Er konnte dem verlangenden Mann vor sich nicht widerstehen, mit jeder Faser seines Körpers wollte er sich der kaffeebraunen Haut bemächtigen und ihm nahe sein. „Oh doch.“, gab Alexis mit heiserer Stimme zurück und küsste ihn so voller Gier, dass dem Herzog die Luft wegblieb.

Pure, glühende Leidenschaft jagte wie ein brennender Pfeil durch die Körper der beiden Männer und vertrieb auch die letzten Zweifel. Sie trennten sich für einen Moment, sogen gierig die Luft in ihre Lungen und fixierten einander. Stahlgrau verwob mit bernsteingelb und ihre geschwollenen Lippen trafen sich erneut. Heiß fochten ihren Zungen einen stummen Kampf und jeder versuchte die Oberhand zu erlangen. „Gewonnen.“, keuchte Alexis atemlos und Samuel musste lachen. „Diesmal schon.“, wiederholte auch er Alexis' Worte von vorhin und wusste, dass es ein nächstes Mal geben würde: Sie waren bereits viel zu weit gegangen, als das sie jetzt noch zurück konnten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-03-25T12:34:39+00:00 25.03.2011 13:34
eigentlich wollte ich aus sissis kopfschmerzen noch was machen, aber das hätte dann zu sehr vom eigentliche geschehen abgelenkt, sodass ich es dann gelassen habe.. vielleicht, aber auch nur vielleicht, habe ich es auch ein klein wenig vergessen.. *lach* xD

danke auf jeden fall, für die lieben kommis!! *-*
Von:  Insert_Coin
2011-03-25T08:55:54+00:00 25.03.2011 09:55
Jaaaa es ist ooooooon :D

Hihi... das meiste dazu hab ich dir ja schon geschrieben :) Sissi ist eben doch ein Mädchen ;)
Egal... was mir noch eingefallen ist: Was ist eigentlich aus Sissi's Kopfschmerzen geworden? Die klangen immer so bedeutungsvoll, darum dachte ich daraus wird noch irgendwas?! Aber war nur wegen dem Sturz oder? Er ist also nicht krank oder so?! Hat eben halt jetzt einfach aufgehört, ja???

Und erzähl mehr über Sammy's Vergangenheiiiiii~t!!!!! *lechz* Er ist so putzig, wie er versucht auf Abstand zu bleiben... hach.... Hehe... jetzt wo ich mit "Ruf der Vergangenheit" ein bisschen vorankomme, erinnert mich Sammy immer mehr an Dev ♥ hihi :)

Und jetzt: BEEIL DICH! NÄCHSTES KAPITEL! ZACK!!! :D
Von:  Khaosprinzessin
2011-03-24T21:19:18+00:00 24.03.2011 22:19
ein superschönes kapitel, auch, wenn alexis weinen musste. aber da war dann ja samuel zum trösten^^ sehr schön.
freu mich aufs nächste kappi und vor allem darauf, wie weit die beiden noch gehen^^

see ya in hell, beast


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