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Rikrem

von

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Prolog

Tausende von kleinen Schneekristallen wirbelten willenlos durch die klirrende Kälte, glitzerten in allen Farben des Regenbogens und vereinigten sich schließlich lautlos mit der weißen Puderzuckerschicht, die nicht nur das Dach des Wolkenkratzers bedeckte, der als Wahrzeichen der Stadt hoch über allen anderen Gebäude ragte. Trotz der gigantischen Höhe konnte man das eintönige Murmeln der Menschen, das Hupen der vielen Fahrzeuge, die durch die alltäglichen Staus weder vor, noch zurück fahren konnten, und die vielen verschiedenen Melodien der Kaufhäuser vernehmen, immer in Begleitung des pfeifenden Windes, der einem um die Ohren fegte.
 

„Nein, ich kann nicht mehr.. ich halte das einfach nicht mehr aus!“ Die heisere Stimme klang verzerrt und sicherlich unverständlich am anderen Ende der Leitung, begleitet von vielerlei Störgeräuschen, verursacht durch die schlechte Verbindung, die man in dieser Höhe mit dem Handy erreichte. Es war ein billiges Modell, der Akku würde eh keine halbe Stunde reichen, niemand würde diesen suizidgefährdeten Kaufhausweihnachtsmann mehr retten können.

Dunkelrot glühten die Wangen, mit jedem Atemzug lösten sich kleine Nebelwolken aus Mund und Nase und trotz der starken Hitze, die von diesem Mann ausging, zitterte der ganze, schmächtige Menschenkörper, als wäre er gerade am erfrieren. Vielleicht tat er dies auch, nicht im körperlichen Sinn gesehen, seine Seele begann langsam zu bröckeln. Der eisige Winter war nun auch in diesem Mann eingekehrt.
 

„Es gibt keinen anderen Weg!“ Schon panisch schrie er in das Wunderwerk der Technik, das ohne einen einzigen Ton von sich zu geben zu leuchten aufhörte. Es war aus. Der letzte Faden zur Außenwelt war gekappt und selbst dieses Exemplar von Mensch merkte recht schnell, dass aus dem kleinen Ding keine Antwort mehr kam. Er hatte seinen Weg gewählt, jetzt musste er ihn auch gehen.

Laut schrie die Sirene des Krankenwagens durch die Vielzahl von Geräuschen, doch durch den festgefahrenen Stau kam der Bus einfach nicht durch. Auch die bereits ausgestiegenen Helfer kamen nur schwer durch die Masse von Neugierigen, die sich um die beiden Toten gebildet hatten. Der schwere Körper des Kaufhausweihnachtsmannes war geradewegs auf ein kleines Mädchen gefallen, das durch das Gewicht innerhalb von Sekunden starb.

„Hätte er ein Messer genommen, oder die Pillen in seinem Schrank, wäre dies nicht passiert.“
 

Der schmale Körper beugte sich über den Rand des Gebäudes hinweg, die leuchtenden, giftgrünen Augen wegen des starken, hinaufwehenden Windes, halb zusammen kneifend. Die Böe blies das flammenrote, lange Haar hinauf, ließ es wie Feuer im Luftzug tanzen und sorgte für eine freie Sicht auf die langen spitzen Ohren, die dank ihrer Länge leicht hingen.

Der frisch gefallene Schnee knackte unter den filigranen Händen, die das Gewicht der Gestalt im Gleichgewicht hielten, damit nicht auch er hinunter in die Menschenmenge fiel.
 

„Tz.“ Hinter der ersten Person, tauchte eine weitere auf, die sich nach einem zweiten, herablassenden Laut nach dem Handy bückte, das der Mann verloren hatte. „Du kennst sie doch. Diese armen, schwachen Kreaturen sind sogar zu ängstlich, um richtig zu sterben. Jeder Depp kann springen. Nur die wenigsten schaffen es, sich selbst aufzuschneiden. Wenn sie schon das Gefühl haben, für etwas büßen zu müssen, warum schneiden sie sich nicht den Bauch auf, und hängen sich Kopfüber an den Füßen an einen Baum, damit sie langsam und qualvoll ausbluten, wie Schlachtvieh?“
 

Langsam ging die Menschentraube auseinander und ließ den Ärzten Platz, die für den Toten nun wirklich nichts mehr tun konnten, außer ihm das Mädchen vom Rücken zu kratzen, ihn auf eine Trage zu legen und mitzunehmen. Währenddessen blickten immer wieder Neugierige das Gebäude hinauf, doch selbst wenn sie aus dieser Entfernung eine Gestalt hätten ausmachen können, sie hätten niemanden gefunden. Diese Tatsache änderte sich nicht, auch nicht, wenn sie genau hier oben auf dem Dach stehen würden.
 

„Hör sie dir an. Diese fröhlichen Melodien. Einfach grauenhaft.“

Kaum war der Krankenwagen von der Straße verschwunden, trällerten die Menschen weiter fromme Weihnachtslieder und gingen weiter gehetzt durch die Gegend, um auf den letzten Drücker noch einige Geschenke zu kaufen, die sie dann Nachts unter den Tannenbaum legen und ihren Kindern dann erzählen, es wäre der dickliche, rote Mann gewesen, in dessen Werkstatt tausende von kleinen Elfen Tag für Tag arbeiten, damit jeder an Weihnachten das bekommt, das man sich gewünscht hatte. Lächerlich.
 

„Es ist Weihnachten, was erwartest du? Dass sie anfangen zu weinen? Diesen Gefallen tun dir nicht alle.“ Knurrend warf der Rothaarige einen Blick über die Schulter und funkelte den großen Elfen an, der sich mittlerweile gegen die Mauer des kleinen Treppenhäuschens gelehnt hatte. Fröhliche, bunte Farben strahlten ihm entgegen, die typische Kleidung ihrer Art. Bestehend aus vielerlei verschiedener Stofffetzen, die zu einem bunten Kostüm zusammen genäht worden sind. Hier und da tänzelten ein paar Bänder im Wind, oder es drehten sich flauschige Bommel und Glöckchen. Die Kleidung passte überhaupt nicht zu dem hoch gewachsenen Mann, dessen Schultern einen Bär eifersüchtig machen würden. Aber es war nun mal eigentümlich für ihre Art. Die Haare waren von einem tiefen Grün, ebenso die Augen, genauso typisch für Elfen, wie der Rest. Oh, dieser Riese war das perfekte Beispiel, während er selbst dank seinem leuchtend roten Haar völlig aus dem Rahmen fiel.
 

„Mach nicht solch ein Gesicht, Rikrem“, tadelte ihn der Musterelf belustigt, doch Rikrems Antwort bestand allein aus einem genervten Grunzen.

Er schaute so drein, wie es ihm passte. Wenn man richtig die Augen öffnete, erkannte man doch, warum seine Laune so tief im Keller war, dass man sie nicht einmal mit einem dieser Kräne hinausholen konnte, die von den Menschen immer so gerne benutzt wurden. Der schlanke Elf wandte sich vom Hochhausrand ab und stolzierte ein paar Schritte über das Dach, begleitet vom leisen klirren der Glöckchen, die auch an seiner Kleidung befestigt worden waren, bis er mittig irgendwann stehen blieb und die Arme vor der Brust verschränkte.

„Los, lass uns den Nächsten suchen, bevor es dunkel wird.“ Leichtfüßig erhob sich Rikrem in die Lüfte und schwebte einen halben Meter über dem Boden, ehe er sich zischelnd zu seinem Begleiter umdrehte und ihn wütend anfunkelte. Dieser lächelte ihm entgegen und machte nicht einmal Anstalten sich endlich zu bewegen. Hatte er sich nicht klar und deutlich ausgedrückt? Und was sollte diese Visage, als hätte man ihm eine zu groß geratene Zuckerstange zwischen die Mundwinkel geschoben?
 

„Du willst tatsächlich noch einen in sein Unglück stürzen? Meinst du nicht, zwei genügen für heute?“ Er musste blinzeln und fragte sich ob er sich nicht verhört hatte. Genügen? Niemals! Abermals funkelte das Giftgrün auf und schnell war Luft geholt, um eine Antwort gegen den Kopf des anderen zu schleudern, doch dieser war schneller.
 

„Nichts gegen dein Können. Aber es wird langsam langweilig, weißt du? Jedes Jahr das Gleiche. Du rastest aus, weil die Dinger unsere Rasse in den Schmutz ziehen und treibst jedes Mal mehr Menschen in den Tod. Willst du nicht mal etwas machen, was nicht jeder kann?“ Leise lachend stieß sich der andere Elf von der eiskalten Hauswand ab und ging auf den kleinen zu, der noch immer in der Luft schwebte, als hing er an einem unsichtbaren Faden. „Was ich damit sagen will.. wirst du des Ganzen nicht auch einmal müde?“

„Müde?!“ Rikrem überflog den Abstand zwischen ihnen und legte die Hände auf die breiten Schultern seines Gefährten, der seinem stechenden Blick stand hielt und nur weiter lächelte, als wäre heute ein besonders schöner Tag. Das lange, rote Haar fiel in großen, geschmeidigen Wellen hinunter, kitzelte dem Riesen an den Wangen und legte sich wie ein leuchtender Vorhang über ihre beiden Gesichter. Lange erwiderten sie den Blick des Anderen, ehe der Moment seinen Zweck erfüllte und der Schmalere beschämt zur Seite blickte. Warum muss dieser Trottel auch immer so nett lächeln?
 

Federleicht stieß er sich von dem Größeren ab, drehte sich einmal in der Luft und nahm dann einfach auf der rechten Schulter Platz, die Arme unter dem lustigen Klirren der Glöckchen wieder einmal trotzig vor der Brust verschränkend.

„Du bist unmöglich, Leodre“, schnaufte er leise und schielte zu seinem lebenden Hocker hinab, der nur noch einen Tick weiter lächelte und einen Arm hob, damit er eine Hand auf Rikrems Oberschenkel legen konnte. „Ich bin noch lange nicht müde. Wie kannst du eigentlich so gelassen bleiben? Dich muss das ganze doch auch tierisch aufregen?“ Er neigte sich ein wenig vor und sah so zu ihm hinunter, damit er ihm in die Augen sehen konnte, um ja nichts zu verpassen, sollte sein Freund irgendetwas vor ihm zu verbergen haben. Schon ein wenig lächerlich kam er sich dabei vor. Aber er war schon immer jemand, der lieber seinen eigenen Augen glaubte, als dem Gerede von anderen. Mit Worten konnte man jemanden leicht verwirren, ihm etwas vorschwindeln, aber nur die Wenigsten, konnten so geschickt lügen, dass man es nicht einmal in ihren Augen lesen konnte. „Du meinst“, begann Leodre leise lachend und sah zu ihm hoch, „weil die Menschen ein völlig falsches Bild von uns Elfen haben? Uns als kleine Helferleine abstempeln und sich diese Art immer weiter ausbreitet, während wir, die wahren Elfen, langsam aber sicher verschwinden, weil keiner mehr an uns glaubt?“ Die Faust knackte unter dem Ballen leise auf und Rikrem nickte so heftig, dass die langen Ohren zu schlackern begannen.

„Glaubst du nicht, dass du mit deinem Rachefeldzug auf dem völlig falschen Weg bist? Ob du nun einen, oder hunderte von diesen dummen Dingern auslöschst, wir werden dennoch ausgelöscht. Vielleicht können wir nichts dagegen unternehmen, dass wir langsam aber sicher verschwinden, aber du tust auch nichts dafür, um es zu verhindern.“ Schweigen trat ein und der stark aufkommende Wind ließ das rote Haar tänzeln und die Stofffetzen, die sich um die Schenkel des Elfen gelegt haben, aufflattern. Es pochte hinter seiner Schläfe, es kam doch selten vor, dass er seinem Verstand eine wage Chance lieferte, sich zu entfalten. „Was willst du damit sagen?“ Sein Blick wurde wieder mit einem Mal ernst und er funkelte Leodre herausfordernd an, der sachte mit den Schultern zuckte, vorsichtig, damit er nicht hinunterfiel.
 

„Ich will damit sagen, dass du nichts anderes kannst, als Menschen in den Tod zu treiben. Jedes Jahr das Gleiche, du verfällst wie in einen Rausch und ehe du dich versiehst ist Weihnachten vorbei und einige der Lebewesen Tod, die uns vielleicht hätten retten können. Hast du jemals daran gedacht, irgendeine Möglichkeit zu finden, damit sie an uns glauben?“
 

„Hältst du mich etwa für unfähig?“ Wütend flog Rikrem von der Schulter und ließ fast schon Funken aus den grünen Augen sprühen, mit denen er erbost auf seinen Freund aus zwei Meter Höhe hinabblickte. Er zu nichts anderem fähig? Natürlich konnte er mehr, aber es würde nichts bringen, plötzlich in der Ecke zu sitzen und zu tüfteln. Dazu war er weder geschaffen, noch konnte er es sich in keiner Weise vorstellen. Er wollte Rache für all die Freunde die schon wegen diesen Menschen verschwinden mussten und für alle die noch gehen mussten. „Wie stellst du dir das vor? Soll ich jetzt etwa zu unseren klugen Professoren rennen und ihnen meine Hilfe anbieten? Meinst du wirklich, das bringt denen irgendetwas?!“

Leodre lachte von neuem und brachte ihn nur noch mehr auf die Palme. Er führte doch wieder irgendwas im Schilde. Das konnte er genau spüren, sonst wäre er mit einem Mal nicht so beunruhigt. „Tz! Was lachst du so dämlich“, fragte er spöttisch und so sicher wie möglich klingen wollend. Doch er bekam keine Antwort auf seine Frage, statt ihm weiter in die Augen zu sehen, drehte sich der Riese einfach um und ging zum Dachrand, nun einmal selbst hinunter blickend, ehe er hinunter zeigt und ihn mit der anderen Hand zu sich her winkte. „Ich rede davon, dass du es mit Sicherheit nicht schaffen wirst, einen dieser kleinen Zwerge da unten glücklich zu machen. Menschen geben sich sehr leicht Gefühlen hin, schlechten leichter als guten. Kaum sind sie aus den so genannten Windeln draußen, fängt für sie das Leben an und die Farben verschwinden aus ihrem Leben. Es ist einfach ein getrübtes Herz über die Kante zu stoßen, Rikrem. Aber schaffst du es auch, eines aus der Luft abzufangen?“
 

„Aus der Luft abzufangen“, stellte er sich dumm und landete unter dem Knirschen des Schnees wieder auf dem Dach. Die hoch geschnittenen Wildlederstiefel bekamen neue Wasserflecke zu den alten hinzu, doch dies machte ihm nun gar nichts aus. Viel mehr interessierte ihn die Antwort, mit der sich sein Freund doch mehr Zeit nahm, als ihm lieb war. Neugierig trat er an den Größeren heran, dem er nur bis zur Schulter ging und lehnte sich an seine rechte Seite, während er weiterhin fragend seinen Blick suchte. Doch auch dieser war ihm nicht gegönnt. Leodre besah sich weiter die vielen kleinen Menschen dort unten, die von hier oben wie aufgeschreckte Ameisen wirkten, die nicht schnell genug aus dem Bau und wieder hinein konnten.
 

„Du wirst dir einen dieser bedauernswerten Menschen heraussuchen und dann dafür sorgen, dass er glücklich wird.“ Während Rikrem empört aufseufzte, legte sein Gefährte lachend den Arm um ihn, bevor er ihm noch etwas erwidern konnte. Für ihn war es natürlich mal wieder eine abgeschlossene Sache. Wie immer, wenn Leodre irgendetwas von ihm verlangte. Aber das konnte er doch nicht immer wieder mit ihm machen!
 

„Und warum sollte ich das machen? Was springt dabei für mich raus? Ich kümmere mich doch nicht freiwillig um einen dieser Schwachmaten, Leo. Das kannst du nicht von mir verlangen.“ Das immer währende Lächeln des breitschultrigen Klotzes wurde breiter und er sah nickend zu ihm hinab, die Finger über seinen glatten Arm streichen lassend. Rikrem zuckte mit den großen Ohren und biss sich auf die Lippe, seine Haut kribbelte angenehm, doch selbst dies würde ihn nicht überzeugen. Es ist kein angemessener Lohn dafür, dass er seine Abscheu gegenüber Menschen einmal fallen lassen muss und diesen dann auch noch zu einem glücklichen Leben verhelfen soll, wobei er selbst langsam dem Ende seines Lebens entgegen tritt.

Die rostigen Sprungfedern des mottenzerfressenen Sessels ächzten unter der Last, die sich ohne Rücksicht auf das alte Möbelstück geworfen hatte und nun die Beine über die Lehne legte, die Stiefel mit Hilfe der Füße abstreifend, die nur wenige Sekunden laut polternd zu Boden fielen. Die schlanken Arme hinter dem Kopf verschränkt lehnt sich der Elf zurück an einen alten Schrank, der vor langer Zeit unmittelbar neben dem Sessel aufgestellt worden war und seitdem nicht mehr weiter bewegt worden war. Das leise Klirren der Glöckchen erstickte förmlich in der drückenden Stille, die in dem alten Anwesen herrschte, das schon seit einigen Jahren als Rikrems Wohnsitz galt. Menschen gab es hier keine, genauso wenig wie frische Luft und Sonnenschein. Die Fenster waren mit morschen Brettern vernagelt, auf dem Mobiliar lag der Staub zentimeterdick. Der Elf hatte sich nie die Mühe gemacht, ihn von dort weg zu wischen. Warum auch? Diese Kleinvilla war für ihn nie mehr als eine Zuflucht und einem Schlafplatz, den er aufsuchte, wenn es dunkel wurde. Oder er sich einfach zurückziehen wollte. Eigentlich mochte er diesen Ort nicht besonders. Viel lieber hätte er an einem anderen Ort gewohnt, seinem Zuhause, dass er vor genau sechs Jahren während des langen Schlafes verlassen musste. Es war ein altes Schloss gewesen, ein wahrhaft märchenhafter Ort. Als wäre es gestern, erinnerte er sich gerne daran, wie er in der Abenddämmerung durch die halben Ruinen gelaufen war. Das Sonnenlicht schien durch die fensterlosen Öffnungen und warf hunderte von kleinen, flimmernden Lichtpunkten auf den Boden, auf dem sich im Laufe der Zeit saftiges Moos angesammelt hatte. War man ein wenig ins Innere des Schlosses gelaufen, ist man zu einem kleinen Gemach gekommen, dem einzigen Zimmer mit Fenstern, die so zugewuchert waren, dass nur grünes Licht hindurchbrach und den ganzen Raum füllte. Das staubige Himmelbett war groß und in der Mitte durchgebrochen, doch auf beiden Teilen war genug Platz, damit er sich locker zusammenrollen konnte und wenn er sich etwas zurecht gelegt hatte, war es ihm sogar möglich die Beine aus zu strecken. Den ganzen Sommer über, den er im Bett verbracht hatte, waren die Vögel zu hören, die ihre Stimmen zum Besten gaben und nie war auch nur eine Seele zu sehen, es sei denn es waren zur Winterzeit bekannte Elfen, die ihn aufsuchten, um sich zu vergewissern, ob er noch lebte. Sein restliches Leben konnte so schön sein, doch dann kamen sie.

Mit zwei Fingern schnipste er ein Staubknäul von sich, das jedoch durch sein geringes Gewicht nach wenigen Zentimetern Fluges erneut auf ihm landete. Energisch klopfte er es hinunter und reckte den Kopf nach hinten um an die schimmlige Decke zu sehen. Die Farbe der roten Tapete war schon lange abgenutzt und weißlich, an manchen Stellen war sie noch nicht einmal mehr vorhanden und kalter, nackter Stein stach in den Augen, wie ein grüner Punkt auf einem roten Teppich. Der Schimmel in den Ecken schien selbst schon Schimmel anzusetzen und machte mit seinem schwarzweiß keine ernst zu nehmende Konkurrenz für den Rest des Zimmers. Es roch muffig, stickig und feucht, als hätte man sich in einem Keller verkrochen, der schon seit einigen Jahrhunderten nicht mehr geöffnet worden war. Einem richtig ekligem Keller, denn sein altes Heim hatte nie so gerochen.

Ein Seufzen ebbte über seine blassen Lippen, ehe er die Wimpern halb hinabfächerte. Eigentlich konnte er noch dankbar dafür sein, dass es ihm hier noch recht gut ging. Andere seiner Art hatten nicht solch ruhigen Plätze erhaschen können, wohnten in kleinen Ecken von Lagerhäusern, in denen die verschiedensten Materialien lagerten. Manche von ihnen hausten sogar neben verstrahlten Abfall und wurden davon krank, so, dass sie von niemand mehr besucht wurden. Es fing immer gleich an, die unmöglichsten Orte wurden als Auswegslösung angesehen, sie blieben für einige Wochen und waren dann nicht einmal mehr fähig etwas Neues zu suchen. Und nach wenigen Monaten starben sie. Sie verschwanden, ohne, dass auch nur ein Staubhäufchen von ihnen übrig blieb. Ein Schicksal, dass sie alle teilten. Die einen früher, die anderen später und auch er selbst würde irgendwann einmal verschwinden. Jeden Tag musste er damit rechnen. Und auch wenn er es die meiste Zeit über schaffte, seine wirklich grandiose Zukunft zu vergessen, so überkamen ihn die Gedanken dann, wenn er endlich in der Stille weilte. Wer behauptete, dass dies, was er noch hatte, ein Leben zu nennen? Für ihn war es nichts anderes als eine einzige Tragödie. Ein Trauerspiel für das er sich rächen wollte. Menschen sollten genauso leiden wie sie es taten, sollten am besten auch jeden Tag mit der Angst leben, einfach so zu verschwinden. Natürlich ein Wunschdenken, immerhin ist das Leben, die Existenz der Menschen so fest in den Köpfen von anderen Lebewesen verankert, dass diese nicht anders konnten, als an sie zu glauben. Und so lange der Glaube erhalten blieb, so lange würden sie Überleben.

„Leckt mich doch alle..“, murmelte er leise und richtete sich mit Schwung auf. Staub wirbelte in die Luft und erfüllte den Raum wie dicker Nebel, nur um einiges weniger frisch. Durch die Bretter an den Fenstern konnte er ein helles Licht erkennen, dass nach wenigen Sekunden wieder verschwunden war. Ein Scheinwerfer eines Autos, das gerade die Biegung der Straße entlang gefahren war. Nichts mehr Außergewöhnliches für ihn, auch wenn es selten vorkam, dass sich eine dieser Blechbüchsen auf vier Rädern hierher verirrte. Bis auf diesem Haus, gab es nur ein weiteres, ein wenig höher auf dem Hügel. Dort hauste eine alte Frau, die nach dem Tod ihres Mannes alleine und ohne Familie in ihrem Anwesen vor sich hin vegetierte. Rikrem hatte sich schon öfter dort hin begeben, um sie zu beobachten. Reine Neugierde trieb ihn manchmal dazu, einfach Stunden lang auf einem Schemel oder dem Kaminsims zu sitzen und dem Weib dabei zu zuschauen wie sie in einem ihrer Bücher las. Dort roch es immer nach Tod und Urin, dass ihm merkwürdigerweise nicht einmal etwas ausmachte. Den Geruch der Menschen hatte er schon immer gehasst, aber das war ganz anders. Es roch so verfallen wie dieses Haus hier, so vertraut und es machte ihn zugleich ein wenig traurig. Obwohl ihm diese Person nichts bedeutete. Dennoch erinnerte sie ihn gleichzeitig an sich selbst, er, der selbst nur noch hier lebte um die kommenden Jahre zu sterben. Ohne Sinn, ohne Ziel und ohne eine Chance das Schicksal zu ändern.

Ein weiterer Scheinwerfer holte ihn aus seinen Gedanken und er reckte den Kopf, den schmalen Leib innerhalb weniger Schritte zum Fenster bewegend. Seine grünen Augen versuchen etwas zu erspähen, doch wie es bei Autos üblich war, waren die Lichter auch schon wieder verschwunden. Der Wagen war weitergefahren. Er hatte auch keinen Grund hier anzuhalten, immerhin lebte niemand außer ihm, in diesem verfallenen Mauerwerk. Nur zur Herbstzeit verirrten sich immer mal wieder ein paar Kinder aus dem Dorf, um ihre Mutprobe abzuhalten. Sie rafften sich in kleine Grüppchen zusammen und schlichen sich bei Dunkelheit in die Villa. Manchmal wollten sie nur ein wenig durch die Gänge streifen, ab und zu kam es jedoch auch vor, dass sie sich in der Eingangshalle schlafen legten und hofften, dass sie nicht angefallen wurden. Wer sollte sie denn auch schon anfallen? Er etwa? Nein, Rikrem hatte doch weit aus besseres zu tun, als Kinder anzuspringen, die ihn ja doch nicht sahen. Stattdessen saß er oft auf dem Treppengelände und beobachtete ihre verschreckten Gesichter, wie sie bei jedem kleinsten Laut zusammenzuckten und schließlich noch vor Sonnenaufgang das Weite suchten, mit dem Schwur, es das kommende Jahr erneut zu versuchen. Nie waren es dieselben Kinder.

Abermals ein Licht und der Elf schnaufte leise, so dass der Staub am Fenster wehte und die Fensterscheibe unter den Holzlatten beschlug. Jetzt reichte es. Dafür, dass er so abgelegen wohnte, kamen ihm am heutigen Tage viel zu viele Kisten vorbei. Auch wenn keines der Autos vor seinem Wohnsitz halt machte, es störte ihn dennoch und es juckte ihm in den Fingerspitzen, was denn dort oben passiert sein musste, dass die Spitze des Hügels plötzlich solch Interesse weckt. So weit er wusste, endete dort oben der asphaltierte Weg und man musste auf dem kleinen Parkplatz wenden, um mit seinem Wagen wieder die Anhöhe hinunter zu fahren.

Es dauerte nicht lange, bis er wieder in die Wildlederstiefel geschlüpft war und die morsche Zimmertür hinter sich zugeschlagen hatte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2011-07-17T10:35:41+00:00 17.07.2011 12:35
Schönes Kapitel ^^ bin trz gespannt wie´s so weiter geht...
Von: abgemeldet
2011-05-30T18:15:29+00:00 30.05.2011 20:15
Die Story hört sich bis jetzt ja gut an^^ bin mal gespannt wer Rikrems "Opfer" wird XD
Hoffe es geht bald weiter


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