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Delusive Society

Dritter Teil der DS-Reihe
von

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Teaser

"Verloren" ist beendet, DS2 nachbearbeitet und ich bester Laune XD Es kann also losgehen. Das hier ist allerdings nur der Teaser, damit man sich die FF einstellen konnte, als sie noch nicht begonnen hatte.

Also bitte direkt zu Kapitel 1 springen!

WARNUNG: Neue Rechtschreibreform...
 

P.S.: Für alle Fragen zum Buch "Tote Gesellschaft":

http://animexx.onlinewelten.com/weblog/94684/
 

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Katsuya warf den Kopf in den Nacken, sodass ihm das blonde Haar seines mittlerweile viel zu langen Ponys aus dem Gesicht flog. Er hob die Arme, wandte den Kopf nach rechts und folgte mit den Füßen weiter dem Takt. Links, rechts, geradeaus... Yami schlang einen Arm um seinen Hals und drückte sich beim Tanzen an seinen Körper. Katsuya drehte ihn zur Seite, hielt ihn mit einem Arm und zog ihn wieder zu sich, wobei er ungeschickterweise sein Gesicht kurz mit roten, hoch gestylten Haaren bedeckte. Der Andere erlöste ihn davon, indem er den Kopf in den Nacken legte, während das spielende Lied nahtlos in ein anderes überging.

„Gehen wir was trinken?“, rief Yami in Richtung seines Ohrs.

Er nickte nur und versuchte erst gar nicht die Musik zu übertönen, die aus den massiven Boxen drang. Sie bahnten sich ihren Weg durch die sich bewegende Masse – bewegen, nicht tanzen, Tanzen war eine Kunst – bis zur Bar, wo Yami etwas orderte, von dem Katsuya einfach mal hoffte, dass es ohne Alkohol war. Mit einer Flute in jeder Hand nickte seine Begleitung Richtung Chill-Out-Zone und ging voraus.

„Bitte“ Er übergab ein Getränk und ließ sich in einen der lederbezogenen Sessel dort sinken. „Ich war lang nicht mehr tanzen ... ich habe das Gefühl, ich bin aus der Übung.“

„Du bist noch immer ein Gott“ Katsuya toastete ihm zu.

„Ach was, ich werde alt. Ich hätte mir in den letzten acht Jahren lieber einen ordentlichen Freund suchen sollen als auf den Strich zu gehen.“

„Dem kann ich vollends zustimmen“ Der Blonde nippte an seinem Getränk – frischer Saft, kein Alkohol schmeckbar. „Irgendwem im Blick?“

„Außer ein paar Yakuza-Jungbossen und potentiell vergebenen Kerlen? Kein Stück“ Yami stützte seinen Kopf auf eine Hand und räkelte sich ein wenig. „Und du bist sicher, dass du Seto wieder haben willst?“ Katsuya hob nur einen Mundwinkel. „Zu schade...“

„Du wärst doch eh vor Schuldgefühlen fast umgekommen, wäre ich bei dir aufgeschlagen“, neckte er, auch wenn klar wusste, dass das ein reiner Fakt war.

„Bitte? Du unterschätzt mich maßlos. Denkst du etwa, ich hätte dich genommen? Als würde ich mich damit zufrieden geben zweite Wahl zu sein“ Yami warf den Kopf in den Nacken und wandte den Kopf mit dem Rümpfen einer echten Diva ab.

„Du würdest eine erstklassige Drag Queen abgeben“, informierte Katsuya sein Gegenüber neckisch.

„Bitte? Das ist ja wohl die Höhe. Was erlaubst du dir! Mich erst zu diffamieren und nun auf solch schändliche Weise meinen guten Namen in den Schmutz zu ziehen-“

„Komm wieder runter“, erwiderte er mit einem Glucksen, „Hat Noah dich schon zurück gerufen?“

„Vor Stunden“ Noch nicht ganz aus der Rolle hatte Yami die Hand gehoben und am Handgelenk noch unten abgeknickt, als wäre er eine Königin, der man den Ring zu küssen hatte. „Er hat ja gesagt. Ich soll mir bis Montag überlegen, was mich interessiert.“

„Großartig!“ Auf Katsuyas Lippen breitete sich ein ehrliches Lächeln aus. „Das sind die besten Neuigkeiten seit Tagen! Glückwunsch!“

„Ach was“ Yami öffnete den Mund, als wollte er noch etwas hinzufügen wollen, doch wandte den Kopf ab und schloss den Spalt zwischen seinen Lippen.

Er musste es nicht aussprechen. Die eine Nacht mit Yami war der Schubs gewesen, den dieser gebraucht hatte. Wenn sein Ex das nun nur auch so sehen würde... Katsuya seufzte.
 

„Wo bist du gewesen?“, Seto trat aus der Küche auf den Flur, die Lider über den graublauen Augen zu Schlitzen verengt, die Arme verschränkt.

„Tanzen. In der Stadt“ Katsuya hob eine Augenbraue, während er seine Schuhe auszog, „Warum? Ist mir das jetzt auch verboten?“

„Warst du allein dort?“ Der Stand blieb rigoros, die Brust hob sich einmal stark, sank mit einem Schnaufen wieder ab.

„Mit Yami. Er fängt am Montag mit seinem Praktikum an“ Er richtete sich auf, steckte die Daumen in die Hosentaschen seiner Jeans und wippte auf den Fußballen vor und zurück. „Er hat wirklich mit der Prostitution aufgehört.“

„Schön für ihn“, meinte Seto mit einer Spur von Aggression in der Stimme, „allerdings glaube ich das erst, wenn er das auch für mindestens ein Jahr durchhält.“

„Geht es ein bisschen weniger negativ, bitte?“ Seufzend wandte der Jüngere den Blick zur Decke.

„Bin ich dir zu bitter?“ Seto legte den Kopf zur Seite. „Du hast Recht. Vielleicht sollte ich mich abreagieren. Wie äußerst schade, dass Yami nicht mehr willig ist – da muss ich mir wohl etwas anderes suchen.“

„Seto ...“ Katsuya atmete tief durch. „Wenn du darüber reden möchtest ...“

„Ich denke, es ist alles gesagt“ Der Andere wandte sich ab und ging voraus die Treppe hinauf. „Verschwinde in dein Bett.“

„Ja, Meister ...“ Er knurrte die Wand an, bevor er diesem folgte, die neben ihm zuschlagende Tür von Setos Schlafzimmer ignorierte und zu seinem eigenen ging.

Dieser verdammte ... er blieb stehen, warf der anderen Tür einen bösen Blick zu, atmete tief durch, betrat seinen eigenen Raum und knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Mit zwei Schritten war er an seinem Bett, riss die Decke hinunter, griff sich seinen Pyjama und verließ den Raum wieder ins gegenüber liegende Bad.

Was sollte die Aktion denn jetzt? Hatte Seto sich Sorgen gemacht, war er wieder seiner Kontrollfreaknatur verfallen oder hatte er einfach einen Grund gesucht ihn anzuschnauzen? So ein verdammter Idiot, der so einen Müll von sich gab ... er ließ die Hose sinken, die er gerade hatte anziehen wollen. Seufzend lehnte er sich zurück gegen die Badtür und legte langsam den Kopf in den Nacken, bis er mit diesem das Holz berührte.

Er musste sich etwas anderes suchen? So im Sinne von einem neuen Hobby oder einem neuen Freund? Oder einer erneuten, schier endlosen Reihe von Strichern und One-Night-Stands? Katsuya schluckte und legte eine Hand an sein Herz, bevor er seine Lider zusammen presste. Nicht weinen. Das schien derzeit ja Setos einziges Ziel zu sein. Ihm weh zu tun. Ihn zu verletzen. Nach und nach mit kleinen Sticheleien Rache zu nehmen dafür, dass ... er hob seine linke Hand und betrachtete den Ring an seinem Finger.

Dass er Seto mit Yami betrogen hatte.

Er ballte die Hand zur Faust und küsste den Ring. Seto ... trotz all dem trug dieser seinen Ring auch noch. Katsuya achtete jeden Morgen darauf. Sein Ex – wie er diesen Ausdruck hasste – hatte auch seinen Ring nie abgelegt. Vielleicht hatte das eine Bedeutung. Bei allen Göttern, es sollte eine haben ...

Das Danach

Nach diesen heiligen Pfingstferien (den letzten vor den Weihnachtsferien und meiner einen Woche im Oktober T.T) und eine Woche vor meinen Halbjahresprüfungen geht es nun also los ^.^ Die Entscheidung, jetzt endlich mal anzufangen, traf ich nach einer Bergwanderung vom Hotel Randa in Algaida aus (Hotel Ruanda in Al Kaida und so ...). Das war nur eine ganz leicht lebensgefährliche Situation ... wo mir in den Kopf schoss, dass ich DS beenden wollte, bevor es mein Lichtlein aushaucht. Also geht es hiermit weiter ^.-

Ich hoffe, ich werde trotz aller zeitlichen Belastungen weiter wöchentlich hochladen können. Ich gebe mir auf jeden Fall Mühe! Und ich warne hiermit noch einmal: Neue deutsche Rechtschreibreform T.T
 

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Katsuya warf den Kopf in den Nacken, sodass ihm das blonde Haar seines mittlerweile viel zu langen Ponys aus dem Gesicht flog. Er hob die Arme, wandte den Kopf nach rechts und folgte mit den Füßen weiter dem Takt. Links, rechts, geradeaus ... Yami schlang einen Arm um seinen Hals und drückte sich beim Tanzen an seinen Körper. Katsuya drehte ihn zur Seite, hielt ihn mit einem Arm und zog ihn wieder zu sich, wobei er ungeschickterweise sein Gesicht kurz mit roten, hoch gestylten Haaren bedeckte. Der Andere erlöste ihn davon, indem er den Kopf in den Nacken legte, während das spielende Lied nahtlos in ein anderes überging.

„Gehen wir was trinken?“, rief Yami in Richtung seines Ohrs.

Er nickte nur und versuchte erst gar nicht, die Musik zu übertönen, die aus den massiven Boxen drang. Sie bahnten sich ihren Weg durch die sich bewegende Masse – bewegen, nicht tanzen, Tanzen war eine Kunst – bis zur Bar, wo Yami etwas orderte, von dem Katsuya einfach mal hoffte, dass es ohne Alkohol war. Mit einer Flute in jeder Hand nickte seine Begleitung Richtung Chill-Out-Zone und ging voraus.

„Bitte“ Er übergab ein Getränk und ließ sich in einen der lederbezogenen Sessel dort sinken. „Ich war lang nicht mehr tanzen ... ich habe das Gefühl, ich bin aus der Übung.“

„Du bist noch immer ein Gott“ Katsuya toastete ihm zu.

„Ach was, ich werde alt. Ich hätte mir in den letzten acht Jahren lieber einen ordentlichen Freund suchen sollen, als auf den Strich zu gehen.“

„Dem kann ich vollends zustimmen“ Der Blonde nippte an seinem Getränk – frischer Saft, kein Alkohol schmeckbar. „Irgendwem im Blick?“

„Außer ein paar Yakuza-Jungbossen und potentiell vergebenen Kerlen? Kein Stück“ Yami stützte seinen Kopf auf eine Hand und räkelte sich ein wenig. „Und du bist sicher, dass du Seto wieder haben willst?“ Katsuya hob nur einen Mundwinkel. „Zu schade ...“

„Du wärst doch eh vor Schuldgefühlen fast umgekommen, wäre ich bei dir aufgeschlagen“, neckte er, auch wenn klar wusste, dass das ein reiner Fakt war.

„Bitte? Du unterschätzt mich maßlos. Denkst du etwa, ich hätte dich genommen? Als würde ich mich damit zufrieden geben, zweite Wahl zu sein“ Yami warf den Kopf in den Nacken und wandte den Kopf mit dem Rümpfen einer echten Diva ab.

„Du würdest eine erstklassige Drag Queen abgeben“, informierte Katsuya sein Gegenüber neckisch.

„Bitte? Das ist ja wohl die Höhe. Was erlaubst du dir! Mich erst zu diffamieren und nun auf solch schändliche Weise meinen guten Namen in den Schmutz zu ziehen-“

„Komm wieder runter“, erwiderte er mit einem Glucksen, „Hat Noah dich schon zurück gerufen?“

„Vor Stunden“ Noch nicht ganz aus der Rolle hatte Yami die Hand gehoben und am Handgelenk noch unten abgeknickt, als wäre er eine Königin, der man den Ring zu küssen hatte. „Er hat ja gesagt. Ich soll mir bis Montag überlegen, was mich interessiert.“

„Großartig!“ Auf Katsuyas Lippen breitete sich ein ehrliches Lächeln aus. „Das sind die besten Neuigkeiten seit Tagen! Glückwunsch!“

„Ach was“ Yami öffnete den Mund, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch wandte den Kopf ab und schloss den Spalt zwischen seinen Lippen.

Er musste es nicht aussprechen. Die eine Nacht mit Yami war der Schubs gewesen, den dieser gebraucht hatte. Wenn sein Ex das nun nur auch so sehen würde ... Katsuya seufzte.
 

„Wo bist du gewesen?“, Seto trat aus der Küche auf den Flur, die Lider über den graublauen Augen zu Schlitzen verengt, die Arme verschränkt.

„Tanzen. In der Stadt“ Katsuya hob eine Augenbraue, während er seine Schuhe auszog, „Warum? Ist mir das jetzt auch verboten?“

„Warst du allein dort?“ Der Stand blieb rigoros, die Brust hob sich einmal stark, sank mit einem Schnaufen wieder ab.

„Mit Yami. Er fängt am Montag mit seinem Praktikum an“ Er richtete sich auf, steckte die Daumen in die Hosentaschen seiner Jeans und wippte auf den Fußballen vor und zurück. „Er hat wirklich mit der Prostitution aufgehört.“

„Schön für ihn“, meinte Seto mit einer Spur von Aggression in der Stimme, „allerdings glaube ich das erst, wenn er das auch für mindestens ein Jahr durchhält.“

„Geht es ein bisschen weniger negativ, bitte?“ Seufzend wandte der Jüngere den Blick zur Decke.

„Bin ich dir zu bitter?“ Seto legte den Kopf zur Seite. „Du hast Recht. Vielleicht sollte ich mich abreagieren. Wie äußerst schade, dass Yami nicht mehr willig ist – da muss ich mir wohl etwas anderes suchen.“

„Seto ...“ Katsuya atmete tief durch. „Wenn du darüber reden möchtest ...“

„Ich denke, es ist alles gesagt“ Der Andere wandte sich ab und ging voraus die Treppe hinauf. „Verschwinde in dein Bett.“

„Ja, Meister ...“ Er knurrte die Wand an, bevor er diesem folgte, die neben ihm zuschlagende Tür von Setos Schlafzimmer ignorierte und zu seinem eigenen ging.

Dieser verdammte ... er blieb stehen, warf der anderen Tür einen bösen Blick zu, atmete tief durch, betrat seinen eigenen Raum und knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Mit zwei Schritten war er an seinem Bett, riss die Decke hinunter, griff sich seinen Pyjama und verließ den Raum wieder ins gegenüber liegende Bad.

Was sollte die Aktion denn jetzt? Hatte Seto sich Sorgen gemacht, war er wieder seiner Kontrollfreaknatur verfallen oder hatte er einfach einen Grund gesucht, ihn anzuschnauzen? So ein verdammter Idiot, der so einen Müll von sich gab ... er ließ die Hose sinken, die er gerade hatte anziehen wollen. Seufzend lehnte er sich zurück gegen die Badtür und legte langsam den Kopf in den Nacken, bis er mit diesem das Holz berührte.

Er musste sich etwas anderes suchen? So im Sinne von einem neuen Hobby oder einem neuen Freund? Oder einer erneuten, schier endlosen Reihe von Strichern und One-Night-Stands? Katsuya schluckte und legte eine Hand an sein Herz, bevor er seine Lider zusammen presste. Nicht weinen. Das schien derzeit ja Setos einziges Ziel zu sein. Ihm weh zu tun. Ihn zu verletzen. Nach und nach mit kleinen Sticheleien Rache zu nehmen dafür, dass ... er hob seine linke Hand und betrachtete den Ring an seinem Finger.

Dass er Seto mit Yami betrogen hatte.

Er ballte die Hand zur Faust und küsste den Ring. Seto ... trotz all dem trug dieser seinen Ring auch noch. Katsuya achtete jeden Morgen darauf. Sein Ex – wie er diesen Ausdruck hasste – hatte auch seinen Ring nie abgelegt. Vielleicht hatte das eine Bedeutung. Bei allen Göttern, es sollte eine haben ...
 

„Morgen!“ Katsuya betrat lächelnd die Küche, ging direkt zum Kühlschrank und nahm sich ein Trinkjoghurt heraus. Er schmiss die Aluminiumfolie unter der Spüle in den Müll, drehte sich um und lehnte sich gegen die Ablage.

Seto hatte weder aufgemerkt noch eine Begrüßung gemurmelt. Er las stur seine Zeitung, anscheinend mit dem festen Vorsatz, ihn zu ignorieren. Katsuya spähte Richtung Kaffeekanne – nun, wenigstens hatte der Andere schon zwei Tassen Kaffee getrunken. Das besserte seine Stimmung meist beträchtlich. Trotzdem ließ er außer der Rückseite seines Kopfes mit dem akkurat geschnittenen, braunen Haar nichts sehen.

„Hey, Miesepeter ...“ Er machte ein paar Schritte auf den anderen zu, beugte sich etwas hinab und sah über dessen Schulter mit in die Zeitung. „Was ist jetzt wieder los?“

„Ich versuche – bisher erfolgreich – nicht auszurasten.“

„Warum solltest du das tun?“

„Das macht dein Anblick.“ Seto sah über die Schulter, wich jedoch zusammen mit dem Stuhl zurück, als er merkte, wie nah sie sich dadurch kamen. „Du widerst mich an.“

Stich. Katsuya atmete tief durch. Warum war der Typ so ein Bastard, wenn es nicht nach seinem Willen ging?

„Was machen wir heute?“, fragte er stattdessen.

„Wir?“ Der Brünette schnaubte. „Du. Du wirst dir Putzzeug holen und diese Katastrophe, die mein Wohnzimmer darstellt, wieder in Ordnung bringen.“

Das Wohnzimmer? Katsuya runzelte die Stirn und nahm einen weiteren Schluck Trinkjoghurt. Bevor er gestern irgendwo gegen Nachmittag gegangen war, weil er das Anschweigen seines Mitbewohners nicht mehr ausgehalten hatte, war es noch völlig in Ordnung gewesen. Hatte Seto wieder einen Wutanfall bekommen? Hatte er den am Wohnzimmer ausgelassen? Dabei war ihm gerade beim Vorbeigehen im Augenwinkel nichts Ungewöhnliches aufgefallen.

„O ... kay“, murmelte er daher, erhob sich und ging Richtung Flur, „Ich sehe mir diese Katastrophe mal an.“

Putzzeug ... hatte Seto vielleicht etwas verschüttet? Aber warum hätte er das liegen lassen sollen? Er war ein sehr hygienischer und ordnungsliebender Mensch. Nie würde er stundenlang-

Katsuya erstarrte im Türrahmen. Er biss sich auf die Unterlippe und versuchte mit aller Macht das Gefühl der aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Er würde nicht weinen. Einfach nein. Das hieße ... das wäre Versagen. Aufgeben. Das Eingeständnis, dass es zu sehr weh tat, wenn ... er machte ein paar Schritte in den Raum, kniete sich nieder und strich mit den Fingern über das mit Samt überzogene Brett. Kleine Sternchen waren überall auf den dunkelblauen Stoff genäht, oben rechts dabei ein Mond. Ebenfalls eingenäht waren kleine, goldene Ringe, vierundzwanzig Stück an der Zahl.

Natürlich. Weihnachten. Dezember. Adventskalender. Er hatte davon gehört, aber selbst nie einen gehabt. Eine dumme westliche Mode, das hatte seine Mutter dazu gesagt. Heute war der erste Dezember, nicht wahr? An jedem Ring fand sich eine kleine Zahl, sagte ihm, an welchem Tag er das Geschenk von welchem Ring nehmen durfte. Dort angebunden waren feinste Pralinen, Schokoladenfiguren aus sicherlich sehr teurer Importschokolade und zwischendurch kleine Päckchen, jedes einzeln verpackt. Alles festgebunden mit goldener Kordel.

Wahrscheinlich. Er konnte sich die Pracht dieses Adventskalenders vorstellen. Allerdings war alles losgerissen, lag als bunte Papiere und schmelzende Schokolade über den Boden des Wohnzimmers verteilt, zerbrochen und zerstampft.
 

„Danke für den Kalender. Es hätte mich sehr gefreut“, meinte Katsuya zu dem im Büro sitzenden Seto, bevor er sich wieder umdrehte. Besser, er ließ dem anderen keine Zeit, ihm wehzutun.

Er stoppte.

Das war idiotisch. Er wollte Seto zurück gewinnen, oder? Das tat er kaum, indem er ängstlich vor ihm den Schwanz einzog. Wenn Seto ihm wehtat, dann musste er halt lernen, damit zu leben. Seto war nunmal verletzt. Es würde wieder aufhören, sobald die Wunden sich schlossen.

Sobald Seto es wagte, wieder Vertrauen zu schenken.

Katsuya schnaubte. Da konnte er lange warten. Dafür hatte Seto sich diesen riesigen Schnitt auf der Wange zugefügt. Als Erinnerung nicht wieder zu vertrauen. Aber andererseits ... wenn er Seto nicht zeigte, dass er es wert war, dass man ihm vertraute, würde er auch nicht weiter kommen. Er musste es zumindest versuchen.

„Willst du da Wurzeln schlagen?“, fuhr der Brünette ihn an.

„Nein“ Katsuya wandte sich um. „Ich dachte, ich frage mal, ob wir vielleicht etwas zusammen machen können. Karten spielen oder so.“

„Warum sollte ich das wollen?“

„Weil du gerne Karten spielst?“ Ein imaginäres Licht schien plötzlich in seinem Kopf zu erleuchten. „Du wolltest doch, dass es zwischen uns so ist, wie es ohne die Beziehung hätte sein sollen, nicht? Du als mein Adoptivvater und ich als dein Sohn.“

„Wenn du mein neunzehnjähriger Sohn sein sollst, dann frage ich mich, was du hier willst und warum du nicht mit Freunden um die Häuser ziehst.“

„Weil ich keine Freunde mehr habe, mit denen ich um die Häuser ziehen kann. Weil ich mit Drogen und Alkohol aufgehört habe, um ein sozial akzeptabler Mensch zu werden“, erklärte Katsuya selbstbewusst und ohne zu zögern. Er musste nicht hinzufügen, dass der Hauptgrund war, dass er Seto liebte. Sturer Bock.

„Tja ...“ Dieser ließ eine bedeutungsschwere Pause, den Blick auf den Bildschirm gelenkt. „Ryou und Wakaba sind sicherlich keine Menschen für so etwas. Und mir ist es wirklich recht, wenn du nicht mit Bakura um die Häuser ziehst.“

„Sonntag ist der einzige Tag, wo Ryou und Bakura zusammen frei haben. Den verbringen sie eh miteinander. Und Ayumi muss arbeiten.“

Warum gingen so viele seiner Freunde arbeiten? Wenn Yami ab jetzt auch eine feste Arbeit hatte, wer hatte denn dann frei, wenn er es auch hatte? Nur Ryou? Sollte er sich auch wieder eine Arbeit suchen? Er könnte sicher problemlos wieder im Sixth Heaven anfangen. Aber er stimmte Seto zu, dass das kein guter Job war. Und er hatte gesagt, dass Jugendliche Freizeit verdient hatten ... nur was sollte er mit der Zeit, wenn er sie nicht mit jemandem verbringen konnte? Er konnte nicht nur allein Sachen spielen oder – die Göttern mögen ihn davor bewahren – Hausaufgaben machen. Ohne Seto war alles irgendwie total öde.

„Meinetwegen“, erwiderte Seto nach einer schieren Ewigkeit, „lass uns etwas spielen, sobald ich dieses Dokument fertig habe.“

Yeah!

Wieder einmal neue Lehrer

Mittlerweile stehe ich morgens um fünf oder sechs Uhr auf, um noch vor der Uni etwas Arbeit rum zu kriegen. Schreiben kann ich gar nicht oder auch morgens bzw. nachts. Es ist irgendwie ein Trauerspiel, was derzeit den Stress angeht. Ich kann euch nur raten, ladet euch nicht zu viel auf. Ich tue das gerade auch nur, weil ich nächste Woche meine Halbjahresprüfungen haben werde. Dienstag und Freitag, wenn mir jemand die Daumen drücken mag ^.^

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Und die U-Bahn fährt wirklich durch? Ich muss einfach nur drüben an der Haltstelle rein und dann an der hier wieder raus?“ Er zeigte auf den Plan des U-Bahn-Netzes, wo Seto die für ihn wichtigen Daten farbig markiert hatte.

Dieser hob nur eine Augenbraue, schnaubte und wandte den Blick ab. Einmal tief durchatmend griff er nach seinem Kaffee und lehnte sich damit gegen die Theke.

Katsuya zog den Kopf ein, sah zu Boden und nahm den Plan an sich, um ihn kurz vor seiner Brust zu falten. Idiot. Seto musste es nicht aussprechen. Es hatte wohl auch seine Nachteile einen Menschen so gut zu kennen. Er sollte sich einfach still und ruhig auf den Weg machen, um Seto nicht weiter zu nerven.

„Uhm ... wie viel Geld muss ich für die Tickets einplanen?“

„Mehr, als du hast. Ich habe mir die Freiheit genommen, dir ein Monatsticket in deine Tasche zu stecken. Hast du sie gepackt?“ Seto wartete ein Nicken ab. „Wenigstens muss ich dir nicht schon am ersten Tag dein Zeug hinterher tragen. An deine Kunstsachen hast du auch gedacht?“

„Ähm ... ups?“

Seto atmete tief durch und nahm nur einen weiteren Schluck Kaffee.

Katsuya biss sich auf die Unterlippe und raste nach oben in sein Zimmer, wo der Rest seiner Unterlagen lag. Block, Stifte, Mäppchen ... wo waren seine Pinsel? Ach da. Verdammt, er musste langsam los, um die Bahn zu kriegen, oder? Er sprintete wieder hinunter.

„Deine Tasche“, meinte Seto mit einem Kopfnicken in deren Richtung, bevor er auf den Schrank zeigte, „Schuhe.“

„Danke, daran hätte ich glatt selbst gedacht“, fauchte Katsuya.

„Man kann sich nie sicher genug sein.“

Er sah kurz auf, doch entschied sich, das nicht zu kommentieren. Besser so. Seto würde ihn eh nur in der Luft zerreißen. Die Chance, dass sich dessen Laune in nächster Zeit bessern würde, war nicht gerade hoch.

„Ich mache mich dann auf den Weg, ja?“

„Brauchst du meine Erlaubnis?“ Setos Ton war noch immer höchst abfällig. „Hast du deinen Schlüssel eingesteckt?“

„Ja, habe ich“ Katsuya atmete tief durch, um nicht doch noch etwas Schnippisches zu sagen. „Wann kommst du heute wieder?“

„Habe ich dir darüber Rechenschaft abzulegen?“

„Nein“, quetschte er zwischen seinen fest aufeinander gedrückten Zähnen hindurch, „wär' nur nett gewesen, es zu wissen.“

„Zwischen halb fünf und fünf. Bis dann solltest du also deine Tete-a-tetes abgeschlossen haben und wieder zu Hause sein“ Seto warf einen Blick auf seine Uhr. „Du hast noch drei Minuten, bis die Bahn losfährt.“

„Shit!“ Er griff nach seiner Tasche und warf sie über seine Schulter, drehte sich zur Tür, stockte, nahm die zweite Tasche mit seinen Kunstsachen und öffnete die Tür. „Bin dann weg.“

„Verfahre dich nicht. Das wäre peinlich.“

Katsuya atmete nur tief durch und ging.

Dieses Arschloch! Und das nannte er dann zivil, ja? Ein kultivierter Umgang, ja? Bei allen Göttern, der Typ war echt eine Kratzbürste. Wenn sie sich jemals wieder verstanden, sollte er sich irgendein Erinnerungszeichen geben, dass er Seto nie wieder so verärgerte. Es war echt kaum auszuhalten mit dem Kerl. Er würde echt Kraft brauchen, wenn er das auf Dauer durchstehen wollte.
 

„Morgen!“ Ryou nahm Katsuyas Kunsttasche, während dieser seine Jacke auszog. „Na, gut hergekommen?“

„Ich bin pünktlich, oder? Aber Seto hat echt Morgensport eingeplant. Morgen nehme ich eine früher“ Katsuya sank auf seinen Sitz, nahm mit Dank seine Tasche wieder entgegen und verstaute sie sicher. „Du kommst auch mit der U-Bahn, oder?“

„Bakura fährt mich normalerweise“ Ryou kratzte sich im Nacken.

„Ich vergaß ... Kontrollfreak“ Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und seufzte. „Ich wünschte, Seto würde mich wieder fahren ... das war so bequem.“

„Faule Socke. Er arbeitet nicht mehr hier. Weißt du eigentlich, wo das Schulamt überhaupt ist?“

„Morgen!“, rief Ayumi dazwischen und hüpfte auf Katsuyas Tisch, „Ist die neue schon aufgetaucht?“

„Würden wir in der Lage sein, uns entspannt zu unterhalten, wenn sie es wäre?“ Er tippte mit seinem Zeigefinger gegen ihre Stirn. „Du solltest nutzen, was sich zwischen deinen Ohren befindet.“

„Hey! Ich bin Klassenbeste! Zumindest das beste Mädchen“ Sie zog eine Schnute und sah zu Ryou. „Und dich schlag ich auch noch.“

„Würdest du sicher, wenn du nicht arbeiten müsstest“, erwiderte dieser versöhnlich.

„Ach was“ Sie winkte ab. „Ich kleb‘ mir meine Lernzettel auf mein Tablett, dann krieg‘ ich das schon hin“ Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. „Und wer weiß? Vielleicht favorisiert die neue ja nicht nur Jungen.“

„Erzähl keinen Scheiß. Seto hat dich auch andauernd dran genommen und dir faire Noten gegeben“ Er hatte nur seine komplette Freizeit mit ihm verbracht und Ryou andauernd als Besuch gehabt. Aber das musste sie ja nicht wissen. Außerdem war Seto wirklich fair, er hatte dadurch seine Notengebung nicht beeinflussen lassen.

„Aber Mädchen haben einen natürlichen Charme“ Sie fuhr sich gespielt arrogant durchs Haar. „Und sind viel reifer. Das gibt Extrapunkte.“

„Sie sind außerdem eitel und eingebildet. Komm runter vom hohen Ross“ Katsuya schob sie von seinem Tisch.

„Uuuh ...“ Sie zog sie Arme an ihre Brust und legte den Kopf kokett zur Seite. „Spüre ich da eine Hand an meinem Hintern? Ich wusste ja gar nicht, dass du auch solche Tendenzen hast ...“

„Es war deine Hüfte“ Er lehnte sich vor und stützte seinen Kopf auf eine Hand. „Und nein, ich stehe nicht auf dich.“

„Das erwarte ich auch bei keinem von euch“, meinte sie mit ihrer normalen Stimme, „ich dachte immer, eine Freundschaft zwischen Frauen und Männern sei nicht möglich, weil immer die Sexualität dazwischen kommt, aber bei euch kann ich völlig beruhigt sein.“

„Und ich dachte schon, du würdest uns mögen“ Katsuya hob eine Augenbraue.

„Genug geplänkelt. Ich sehe schon, wir werden Herrn Lehrer Kaiba vermissen. Der konnte dir besser Kontra geben als ich. Es war echt toll, euch beiden zuzuhören“ Sie sah verträumt zur Decke. „Und er sah so gut aus ... jeden Tag im Anzug und mit so glatter Haut und diese tiefen Augen ...“

Danke, er wusste, was er verloren hatte. Sie musste es ihm nicht unter die Nase reiben. Auch wenn sie nichts von der Beziehung wusste. Katsuya massierte sich die Stirn, um sich selbst von den Gedanken abzulenken. Bei allen Göttern, er wünschte, er könnte die Zeit zurück drehen ... wie gern würde er jetzt einfach Seto sehen, mit ihm Unterricht haben, begeistert seiner Stimme lauschen und sich insgeheim darauf freuen, in der Mittagspause in dessen Büro zu schleichen.

Ayumi stieß ihn an, nickte nach vorne und zischte: „Hey, das ist sie.“
 

Katsuya bat Ryou, kurz seine Zeichnung zu halten, und trat ein paar Schritte zurück. Nach ein paar Sekunden des Betrachtens seufzte er und schüttelte den Kopf. Es war zu nah und zu intensiv, um surrealistisch zu sein. Er hatte zu viel seines Herzens hinein gesteckt. Er sollte in die ausgestreckte Klaue des Drachens eine zerfließende Uhr im Stile Dalis legen.

Nickend nahm er das Bild wieder und begann neue Striche einzufügen. Die zerfließende Uhr war schließlich ein klassisch surrealistisches Element. Der in einen Drachen übergehende Mensch hingegen war eigentlich fehlplatziert, da Drachen als Fabelwesen im Surrealismus meist nicht verwendet wurden – aber um solche Details machte er sich keine Gedanken. Seine Gedanken kreisten eher darum, ob dieses Bild wirklich sein Innerstes darstellte. Fühlte er sich, als würde er am Boden liegen und verzweifelt versuchen, Seto zu halten? Nackt, mit gesenktem Kopf, ein halber Fisch in den Bergen?

„Eine sehr interessante Idee, Jonouchi“ Die Lehrerin beugte sich über sein Bild, was ihn zusammen zucken ließ. Woher hatte die sich plötzlich angeschlichen? „Allerdings sind Halbdrachen und Meerjungfrauen Phantasie und nicht Surrealismus. Es ist trotzdem wunderschön.“

„Danke“, murmelte er, „mir war danach.“

„Ist in Ordnung. Nur sprich vorher über ungewöhnliche Ideen. Ich würde dir ungern schlechte Noten geben, nur weil du die Aufgabenstellung verfehlst. Ich mag deine Zeichnungen sehr.“

„Danke ...“ Er spürte seine Wangen etwas Feuer fangen, aber er wusste, dass das bei weitem nicht ausreichte, um ihn erröten zu lassen.

„Gib dein Bestes, Katsuya.“

Nette Frau. So wie ihre neue Klassenlehrerin. Sobald diese gelernt hatte, ihn anzusehen, ohne dabei jedes Mal vor Schreck zusammen zu zucken. Ehrlich, was war das für eine Welt, wo Lehrer Angst vor ihren Schülern hatten? War die Gewaltbereitschaft Jugendlicher wirklich höher? Natürlich hatte sich das Verhältnis geändert, viele Lehrer waren nur langweilige Angestellte, manche mehr Kumpel, aber änderte das wirklich ihre Autorität in den Augen Jugendlicher? Sorgte es dafür, dass sie leichter angreifbar waren?

Hätte er seinen alten Mathelehrer auch krankenhausreif prügeln lassen, hätte er vor fünfzig Jahren gelebt? Waren Lehrer zu recht ängstlicher? Oder lag es am Verfall des Lehrerberufs? So jemand wie Seto brauchte sich ja nie im Leben Angst vor Übergriffen von Schülern machen. Er war so charismatisch, dass man nicht anders konnte, als ihn irgendwie toll zu finden und zu verehren. Aber charismatische Lehrer waren so selten ... war das früher anders gewesen? Oder kam ihm das nur so vor, wenn er an die alten Schinken im Fernsehen dachte?

Seufzend setzte er den Bleistift ab und betrachtete seine Zeichnung. Ein Drache, dem die Zeit zerfloss, gehalten als Mensch durch einen Fisch auf dem Trockenen. Ja, er versuchte Seto zu binden. Ja, er versuchte ihn zu halten. Ja, er tat nichts, als vergeblich zu versuchen, einem Kerl nahe zu bleiben, der ihn bereits aufgegeben hatte.

Katsuya verbot sich, zu weinen.
 

„Gibt es irgendeine Besserung?“, fragte Ryou vorsichtig.

„Tja ... er redet mit mir. Manchmal sogar freundlich“ Katsuya seufzte, lehnte sich zurück und biss in sein Brot. „Er weckt mich morgens, er macht Frühstück, er hat den Fahrplan für mich rausgesucht ... aber zwischendurch ist er so gemein und verletzend, das ist unbeschreiblich. Gestern hat er eine Aktion gerissen, ich habe stundenlang die Zähne zusammen gebissen, um nicht zu heulen ... gerade ich! Ehrlich, wenn ich nicht abgehärtet bin, weiß ich es auch nicht. Aber er schafft es, mich zu treffen. Und das verdammt zielgenau.“

„Er kennt dich halt gut. Er weiß, wie.“

„Das macht es ja noch schlimmer. Weil ich weiß, dass er es extra macht“ Er lehnte sich zurück und ließ den Kopf gegen die Mauer hinter ihnen sinken. „Vielleicht ist es ja gut, dass er seine Wut auslässt, aber ... ich meine, vielleicht sollte ich ja einfach nur dankbar sein, dass ich immer noch in seiner Nähe bin. Dass er mich nicht rausgeschmissen hat. Ich meine, dafür bin ich ja auch dankbar, aber ... ich frage mich, wie lange er noch so weiter machen will. Denn das verletzt uns beide ... glaube ich. Ich kann nicht glauben, dass ihm das gut tut oder Spaß macht.“

„So wie damals, als ihr noch nicht zusammen gelebt habt? Wo er dir vorspielte, nett zu sein, bevor er dir wieder weh tat? Oder meinst du, das ist wieder so eine Aktion?“

Katsuya drehte den Kopf langsam von links nach rechts, diesen weiter im Nacken haltend, die Lider geschlossen. Damals hatte sich Seto rächen wollen. Wegen Mokuba. Weil er Setos Bruder auf dem Gewissen hatte. Er war freundlich gewesen und hatte ihm Hoffnung gemacht, nur um ihm mehr weh tun zu können. Danach hatte er manchmal freundlich gespielt, weil er Angst hatte, dass Katsuya ihn sonst verließ. Erst zum Ende hin hatte er es wirklich so gemeint. Er war so großartig gewesen, so liebevoll, sogar romantisch und einfühlsam ... das erschien wie eine andere Welt jetzt.

„Meinst du ... denkst du, er wird sich wieder beruhigen?“

„Ich muss das denken, sonst drehe ich durch“ Erneut seufzte er tief. „Wenn ich mir nicht jedes Mal vor Augen halte, wie es wieder sein könnte ... dann würde ich viele seiner Aktionen nicht durchstehen. Ich würde einfach ... manchmal würde ich am liebsten wegrennen. Wie zu der Zeit, wenn ich meinen Vater nicht mehr aushielt. Oder eher, wenn der wieder aggressiv wurde und ich schnell genug wegkam. Ich spüre, wie wieder irgendeine neue Gemeinheit kommt und dann ... dann will ich einfach nicht mehr. Ich habe so wunderschöne Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit und jetzt ... ich will ja versuchen, ihn wiederzukriegen. Ich will ihn überzeugen, dass er mir vertrauen kann. Ich will es wert sein, bei ihm bleiben zu dürfen. Aber manchmal ist das einfach ... einfach so total schwer“ Er atmete tief durch. „Hast du das Gefühl auch manchmal?“

„Uhm ... nicht wirklich. Bakura kann zwar fies und sehr verletzend sein, aber ich weiß, ich bin sein Ein und Alles. Ich bin der Grund, warum er lebt und jeden Tag aufsteht und arbeitet. Ich weiß, dass seine Welt sich nur um mich dreht.“

„Die Sicherheit ist schon einiges wert ... auch wenn es mir Angst machen würde, wenn ein Mensch so komplett von mir abhängig ist. Ich hatte solche Paras, dass Seto sich umbringen würde, als er so verletzt war durch ... durch die Sache mit Yami. Wenn du so etwas gebracht und dein Bruder das so wie er aufgefasst hätte ...“

„Wäre er schwer verletzt, wenn auch nicht tot. Weil ich noch nicht allein für mich sorgen kann.“

„Weißt du, was mir Seto einmal sagte, als ich ihn bat, mir zu versprechen, dass er sich nicht umbringen würde?“ Der Andere schwieg in Erwartung. „Dass er mir keine Versprechen geben würde, die er eh nicht halten kann.“

Weinen oder ausrasten

WARNUNG, dieses Kapitel ist nicht nett.

Ansonsten entschuldige ich mich für die Verspätung, ich habe über das Lernen für morgen (auf die Sekunde heute) fast die Kapitel vergessen. Hier also schnell noch ein Nachtrag ^.^
 

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Stille. Katsuya schluckte und atmete tief durch. Das letzte Mal, dass er alleine zu Hause gewesen war ... das war in der ersten Nacht hier, wo Seto nachts zu Yami fuhr. Eine ebenso verletzende Aktion wie alles, was er jetzt tat, aber er hatte es ihm zumindest nicht unter die Nase gerieben. Mit einem Kopfschütteln legte der Blonde seine Tasche ihm Wohnzimmer ab und ging in die Küche.

Essen ... was sollte er machen? Sollte er auf Seto warten? Theoretisch müsste der ja bald kommen. Sollte er das Essen fertig auf dem Tisch haben, wenn Seto kam? Oder aß der zu Mittag? Als Beamter hatte er doch sicher eine Mittagspause, oder? Andererseits hatte er die auch als Lehrer schon nie genutzt.

Besser, er machte etwas. Seto aß sowieso zu wenig. Selbst, wenn er nichts wollte, Essen konnte man aufwärmen. Und vielleicht verführte er ihn so wenigstens, an den Tisch zu kommen. Katsuya ging zum Kühlschrank herüber und öffnete ihn. Gähnende Leere ... kein Wunder, sonst waren sie montags ja auch einkaufen gewesen. Nach dem wöchentlichen Arztbesuch – dass sie den nicht mehr hatten, war eine Erleichterung – war es stets noch zum Supermarkt gegangen. Auch wenn es noch eine Sache weniger war, wo sie zusammen etwas taten. Zeit miteinander verbrachten. Und wenn es nur Zeit im selben Raum war.

Aber Eier waren noch da. Und Hähnchenfleisch. Aus Eiern, Reis und Hähnchen konnte er sicherlich etwas Angenehmes zaubern. Er hob den Reiskocher aus dem Schrank, schaltete diesen schonmal ein und schnitt das Fleisch, während die weißen Körner vor sich hin dampften. Er mischte gerade das gebratene Hähnchen, den Reis und die Eipaste mit Gewürzen zusammen, als ein Wagen die Auffahrt hoch fuhr. Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, als sich der Schlüssel im Schloss drehte.

„Willkommen zuhause!“, rief er in Richtung des Flurs.

„N‘ Abend ...“, meinte eine junge, männliche Stimme – Katsuya machte praktisch eine Kehrtwende auf der Stelle, wo er stand, „hübsch hier. Wer ist er?“

„Sohn“, gab Seto kühl als Antwort, packte den schwarzhaarigen Kerl im Anzug und zog ihn hinter sich her, „Schlafzimmer ist oben.“

„Bis später, Kleiner!“, meinte der breitschultrige Kerl noch, bevor er aus dem Sichtfeld verschwand und Schritte die Treppe hinauf polterten.

Katsuya sog ganz langsam und vorsichtig die Luft in seine Lungen, bevor er mit dem Ausatmen auf die Knie sackte. Nein ... das war nicht wahr, oder? Das war nicht gerade passiert, oder? Er schüttelte langsam den Kopf. Dieses ... dieses Arschloch ... dieses verdammte ... er konnte nicht ... hier vor seinen ... direkt neben ihm ... es brodelte in ihm auf und seine Hände formten sich zu Fäusten.

Das ging zu weit.

Das ließ er sich nicht bieten. Er stand auf und stampfte Richtung Treppe. Vielleicht waren sie nicht mehr zusammen. Vielleicht war das jetzt auch schon eine halbe Woche her. Vielleicht war das jetzt alles so, weil er Seto in dessen Augen mit Yami betrogen hatte. Aber das gab ihm kein Recht, jetzt irgendeinen Typen abzuschleppen und ihn im Nebenzimmer flachzulegen. Das ging nicht. Punkt.
 

Er stoppte am Fuß der Treppe, den Blick auf die Schlafzimmertür gerichtet. Das ging nicht. Das konnte Seto nicht bringen. Er musste doch wissen, wie sehr das weh tat. Wie sehr er ihn damit verletzte. Er versuchte einen weiteren Schritt, aber seine Füße schienen wie angewachsen. Schwer wie Blei. Seine Finger krallten sich in das Geländer der Treppe. Er konnte nicht einfach hier stehen bleiben und ... er konnte nicht einfach ... Katsuya schloss die Lider und schluchzte auf.

Scheiße ... er konnte nicht ... Seto konnte nicht ... nicht so einfach ... Katsuyas ganzer Körper erzitterte. Dieser Scheißkerl. Dieser verdammte Scheißkerl! Er sackte an der Wand vor den Stufen in sich zusammen und glitt an der Mauer hinab. Mit einem Schluchzen legte er die Arme um sich.

Seto konnte. Er tat es. Und er tat es, um ihn zu verletzen. Er tat es, um ihm weh zu tun. Weil er es konnte. Weil er ein klares Statement setzen wollte, dass es vorbei war. Dass er Katsuya auch keine zweite Chance geben würde. Er ließ keine Gefühle mehr zu. Er würde ihm sein Herz nicht mehr öffnen.

Seto verzieh nicht. Nicht so etwas. Nichts, was sein Vertrauen erschüttert hatte. Niemals.

Der Neunzehnjährige schlug neben sich gegen die Wand. Scheiße! Warum? Warum war all dieser Mist passiert? Warum musste er hier sitzen? Warum musste er dabei zusehen, wie sein Freund – ja, verdammt, seiner! – mit irgendeinem dahergelaufenen Idioten schlief? Er funkelte die Treppe hinauf die Tür an.

Er konnte trotzdem nichts tun. Seto war nicht sein. Seto würde tun und lassen, was er wollte. Er hatte keine Kontrolle mehr darüber, was dieser tat. Wem gegenüber er was empfand. Mit wem er schlief.

Bei wem er glücklich war.

Nein! Er würde nicht aufgeben, konnte nicht, durfte nicht ... vielleicht war es aussichtslos, aber er hatte noch nicht alles versucht, um Seto zurück zu gewinnen. Er musste Seto zeigen, dass er es wert war, dass man ihm vertraute. Er musste ihn zurück gewinnen. Er konnte Seto nicht einfach loslassen. Der Typ bedeutete ihm einfach zu viel ... zu viel, um ihn gehen lassen zu können. Er atmete tief durch und drückte die aufquellenden Gefühle zurück in sich hinein, bevor er sich erhob. Ruhig.

Wie konnte er Setos Vertrauen in dieser Situation bestärken? Nicht, indem er den beiden hinterher jagte und den anderen Kerl zusammen schlug. Aber Seto musste wissen, dass das weh getan hatte. Dass er ihn liebte und deshalb verletzt war. Er musste ihm das irgendwie zeigen. Allerdings würde er nicht weinen. Erst recht nicht, wenn dieses schwanzlose Ekelpaket in der Nähe war, das sich an Seto vergriff. Aber konnte er ruhig bleiben, wenn der Kerl ihm nochmal unter die Augen trat?

Er musste. Er durfte ihn nicht schlagen. Nicht jetzt, nicht später. Reden. Er musste mit Seto reden. Möglichst ohne tränenreichen Zusammenbruch oder aggressive Flüche. Er durfte weder den kontrollsüchtigen Ex noch die verheulte Frau geben – er hatte das ruhig anzugehen. Aber dabei trotzdem vermitteln, dass diese Aktion echt unter der Gürtellinie war. Sollte er versuchen, an Setos Gewissen zu appellieren? Oder hatte der das schon wieder ausgeschaltet? Sollte er das Ganze überhaupt planen oder einfach die Situation nutzen? Darin war er zumindest besser. Ja, die Situation ... nur nicht weinen oder ausrasten.
 

Schritte auf der Treppe. Nicht Seto. Katsuya atmete tief durch und verschränkte die Arme, während er mit ein paar Schritten Kochplatte und Arbeitsschränke zwischen sich und die Tür brachte.

„Hey, ist von dem Essen noch was da?“ Der Kerl – groß, muskulös, aber sonst wenig markant – lächelte und nahm einen Schritt in die Küche.

„Ich habe keine Gäste erwartet. Deswegen reicht es nur für Seto und mich“, erwiderte Katsuya kalt und fixierte den anderen.

„Keep cool, Kleiner“ Der Typ hob beide Hände. „Dann verschwinde ich wohl besser. Ruf mich an“ Den letzten Satz richtete er zur Treppe, wo dann wohl Seto stand.

„Vielleicht“ Dieser nahm die letzten Stufen und ging an dem anderen vorbei in die Küche.

Dieser verdrehte die Augen, wandte sich um und man konnte nur noch hören, wie er sich die Schuhe anzog, Tschüss rief und ging. Seto nahm währenddessen am Tisch Platz und breitete die Serviette über seinen Oberschenkeln aus.

„Hast du irgendetwas zu sagen?“, fragte Katsuya, der sich nicht einen Zentimeter gerührt hatte.

„Nun ...“ Seto sah von ihm zum Tisch und zurück. „Vielen Dank, dass du gekocht hast?“ Er ließ eine Pause. „Würdest du bitte servieren?“

Der Blonde stieß mit einem Tz-Laut die Luft aus und schüttelte den Kopf. Er sah zu seinem Ex, hob eine Augenbraue und wartete. Da allerdings keine Antwort kam, meinte er: „Ich kann nicht fassen, dass das alles ist. Du spazierst hier mit einem wildfremden Kerl rein, fickst ihn und kommst dann zu mir, damit ich dir Essen serviere?“

„Ja?“ Seto öffnete die Hände und drehte das Gesicht ein Stück zur Seite.

„Ich fasse es nicht ... denkst du überhaupt mal über das nach, was du machst? Ich will nicht glauben, dass du mir weh tun willst, nachdem du meintest, dass du versuchen willst ... dass du zumindest versuchst, mein Vater zu sein.“

„Auch Väter dürfen ein Sexleben haben“ Er lehnte sich zurück. „Ich sehe kein Problem zur Zeit.“

„Nur zu deiner Info: Es tut scheiße weh, was du gerade machst!“, schrie Katsuya und hielt sich mit den Händen an Küchentheke und Kochfläche fest, „aber das scheint dir ja egal zu sein. Scheiß auf den Ex, dem du vielleicht zur Abwechslung auch mal irgendetwas bedeutest.“

„Ach, plötzlich bedeute ich dir was? Das ist eine Neuigkeit. Schien mir letzte Woche nicht so“ Seto rümpfte die Nase. „Aber ehrlich gesagt, mein Sohn“, er betonte die beiden Worte, „geht es dich gar nichts an, was ich mit wem mache. Deine Aufgabe ist es, dich in der Schule anzustrengen, über deine Zukunft nachzudenken und zu kochen.“

„Ich bin aber mehr als deine kleine Haushaltsfee, du Arschloch!“

„Katsuya, achte auf deine Wortwahl. Und ich korrigiere: Du warst mehr. Und du weißt selbst verdammt gut, woran das liegt“ Seto machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Wenn du dann bitte servieren würdest ... ich habe Hunger.“

„Du kannst mich mal!“

„Ich denke, das reicht“ Seto nahm die Serviette von seinen Beinen, erhob sich und trat ein paar Schritte auf Katsuya zu. „Geh in dein Zimmer. Sofort.“

„Das werde ich ganz sicher nicht, du debiler Vollidi-“

Batsch.

Das Geräusch von Haut, die schmerzhaft auf Haut schlug.

Das eine Geräusch, das Katsuya nie wieder hatte hören wollen.

„Geh auf dein Zimmer“, wies Seto ihn mit völlig ruhiger Stimme an.
 

Scheiße.

Katsuya versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen, doch er flatterte. Stark. Vor seinen Augen tanzten weiße Punkte, die wie ein immer schlimmer werdender Schneesturm zu einer weißen Fläche wurden, während die Geräusche seines hektischen Luftschnappens verblassten.

Wand. Schnell. Runter. Bevor er umkippte und sich etwas tat. Sitzen. Ruhig. Langsam. Atem unter Kontrolle. Nicht bewusstlos werden. Er atmete tief durch. Warum eigentlich nicht? Bewusstlosigkeit hörte sich sehr verführerisch an.

Bewusstlos zu sein hieß, nicht denken zu müssen. Nicht daran zu denken, was sein Vat- was Seto gerade getan hatte. Wie er einfach ... so kalt ... dass er ... Katsuya schüttelte den Kopf, zog die Beine an sich, legte die Arme darum und den Kopf darauf. Wie hatte er das nur tun können? Wie hatte er ... wo er doch wusste ...

Seto wusste ganz genau, was sein Erzeuger getan hatte. Er hatte die blauen Flecken, die Schrammen und die Narben gesehen. Er hatte jedes Mal daneben gesessen, wenn Katsuya davon erzählen musste. Er war beim Jugendamt und beim Gericht dabei gewesen. Er wusste ganz genau ... ihm war doch bewusst ...

Katsuya schreckte auf. Seine Lider weiteten sich.

Und wenn ... wenn er es extra getan hatte? Weil er es wusste? Weil er wusste, wie sehr es Katsuya erinnerte ... wie sehr es schmerzte? Schmerzen würde?

Er konnte es an seinem ganzen Körper spüren. Jeden erst vor kurzem verblassten Fleck. Jede angebrochene Rippe. Den Riss in seinem Schädel und die Narbe darüber. Die Gürtelstriemen, die Zerrungen und Quetschungen der Pranken, mit denen er gefasst und durch die Gegend geschleudert worden war. Er roch den Alkohol. Den verwesenden Müll. Die Kotze, die über Wand und Boden geschmiert war.

Er drückte eine Hand auf seinen Mund.

Seto war dort gewesen. Er hatte es gesehen. Sein ganz persönliches Ende der Welt. Die von Pilzen und toten Insekten überzogene Tapete. Die Scherben und zerschlagenen Möbel. Die Überreste dessen, was er einmal Leben genannt hatte.

Er hatte all das gesehen.

Er konnte nicht, durfte nicht deswegen zugeschlagen haben. Nicht, um diese Erinnerung wieder herauf zu bringen. Selbst, wenn er ihn erinnern wollte, was er alles zu verlieren hatte, konnte er nicht ... nicht deswegen. Er konnte es nicht mit Absicht getan haben.

Aber er war so kalt gewesen. Hatte nicht einen Muskel verzogen. Mit starrer Miene hatte er einfach zugeschlagen. Da war keine Reue in seinen Augen gewesen. Konnte er es überhaupt im Affekt getan haben? Aber er musste ... anders konnte es nicht sein. Durfte es nicht sein.

Er schluchzte, doch presste die Hand stärker auf die Lippen, um es zu unterdrücken. Nicht weinen! Er durfte nicht weinen. Nicht deswegen. Er hatte so viel durchgestanden. Seto durfte ihn mit seiner kleinlichen Rache nicht zu Fall bringen. Selbst, wenn er ihn vor seinen Augen betrog, ihn niedermachte und seine Erinnerungen gegen ihn verwendete. Selbst, wenn er sich wie das letzte Arschloch benahm. Selbst, wenn er ihn schlug.

Prinzesschen

Muskelkater. Schmerz. Neue FF: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/275598/

Prüfung gut geklappt. Danke für Daumendrücken. Hab' euch alle lieb. Cheers. Viel Spaß beim Lesen.

Muskelkater...
 

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Piep. Piep. Piep.

Katsuya verzog die Stirn und murrte missgünstig. Wecker ... er hasste Wecker. Die schlimmste Erfindung, seit es Schule gab. Er seufzte und hob die Lider. Wo war das verdammte- ah ... besser. Himmel, er wollte wieder mit Küssen geweckt werden.

Seto.

Er schlug die Augen auf.

Seto ... er atmete tief aus und zog die Lider zusammen. Es blendete die Realität nicht aus. Mit dem Erwachen kamen die Erinnerungen. So war es immer gewesen. Aus der Bewusstlosigkeit zu erwachen, das hieß, sich den Erinnerungen zu stellen. Es hieß, einen weiteren Tag mit den Konsequenzen dessen zu leben, was man getan und erlebt hatte. Er hatte Seto betrogen. Er hatte erlebt, wie Seto ihn betrug. Vor seinen Augen. Vorsätzlich. So wie er es selbst mit Yami getan hatte.

Rache. Es war einfach nur Rache. Seto verletzte ihn, weil er verletzt war. Er gab den Schmerz zurück, der ihm zugefügt worden war. Zehnfach. Hundertfach, wenn es sein musste. So lange, wie der Schmerz in ihm selbst brannte. Im Zweifelsfall ewig.

Seto vergab ihm nicht. Nicht einmal ansatzweise. Er wollte ihn leiden sehen. Katsuya seufzte, drehte sich auf den Rücken und sah zur Decke. Würde Seto ihm irgendwann vergeben? Es schien vielleicht gerade nicht so, aber selbst den Mord an seinem Bruder hatte er vergeben ... fünf Jahre später. Er würde auch diesen Betrug vergeben – irgendwann. Es war nur eine Frage der Zeit. Zeit, in der er leiden würde, weil Seto alles daran setzte, ihm wehzutun.

Wunderbare Aussicht.

Wie lange würde er aushalten? Fünf Jahre? Ein Jahr? Ein Monat?

Nicht lange, wenn Seto so weiter machte. Der Schmerz schwellte in ihm auf, aber er versuchte, ihn innerlich nieder zu drücken. Aber hey – sie hatten Gewalt und Betrug durch. Was konnte Seto noch Schlimmeres bringen? Er war ein Arschloch gewesen, hatte ihn geschlagen und einen anderen gefickt. Was konnte noch kommen, was Katsuya noch nicht mitgemacht hatte? Er musste nur dasselbe noch ein paar Mal durchstehen.

Das würde er doch wohl schaffen, oder? So viel war ihm Seto ja wohl wert, nicht? Er schnaubte. Klar tat es weh. Aber er würde es aushalten, wenn das hieß, dass er Seto zurück gewinnen könnte. Er würde sich durch all diesen Schmerz, all das Leid und die Verzweiflung kämpfen, wenn es hieß, am Ende glücklich werden zu können.

Er atmete tief ein, hob die Lider und schlug die Decke zur Seite. Der Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich ziemlich beeilen musste. Die frühere Bahn würde er wohl morgen zu kriegen versuchen. Er schnappte sich Klamotten und wechselte ins Bad. Eine schnelle Dusche, Kleidung drüber, Schulsachen schnappen – die er gestern gepackt hatte – und auf in die Küche.

Seto war nicht da. Katsuya stockte kurz, aber zuckte dann doch nur mit den Schultern. Vielleicht war er schon weg. Vielleicht schlief er länger, weil er eigentlich noch lange nicht weg musste. Wer wusste das schon. Er toastete zwei Scheiben und nahm etwas Wurst, die er dazwischen legen konnte, um die Brote im Laufen zu essen. Das Schulfrühstück zu machen würde er wohl nicht schaffen.

Wo Seto bloß war? Es war so komisch, herunter zu kommen und ihn nicht zu sehen. Der Blonde belegte seine zwei Scheiben, klemmte sie sich zwischen die Zähne und hastete zu seiner Tasche. Nur noch fünf Minuten.

Sollte er bei Seto klopfen? Vielleicht hatte er ja verschlafen. Vielleicht wollte er nicht gestört werden. Er seufzte, schüttelte den Kopf und öffnete die Haustür. Er konnte heute Abend fragen. Wenn Seto auftauchte. Wenn er allein war. Falls er beides war. Er biss von den Scheiben ab und hastete zur U-Bahn-Station.
 

„Katsuya?“ Ryou wedelte mit der Hand vor seinen Augen. „Bist du da?“

„Hm? Ja, klar“ Er blinzelte, schüttelte den Kopf und sah auf. „Ich war nur in Gedanken. Ist etwas?“

„Ich dachte, ich versuche nur mal, deine Aufmerksamkeit zu kriegen. Normalerweise sieht man dich in der Pause nur über dein zweites Frühstück gebeugt.“

„Seto hat heute morgen keins gemacht und ich habe verschlafen“, gab Katsuya zu und seufzte, „du hast nicht zufällig etwas mit?“

„Ich habe noch einen Müsliriegel“ Ryou reichte diesen herüber.

„Ich habe Brote. Nimm dir eins“, bot Ayumi an und kam mit ihrem Stuhl heran, „hach ... mir ist sowas von langweilig. Mit Herrn Lehrer Kaiba hat die Schule wirklich Spaß gemacht, aber jetzt ist es total öde.“

„Wem sagst du das?“ Ryou seufzte und schüttelte den Kopf. „Wenn wir ihn wenigstens in Reli wieder hätten. Und Herr Muto ist auch noch nicht wieder aufgetaucht.“

„Stimmt, wir haben jetzt in vier Fächern andere Lehrer, nicht? Total bescheuert.“ Ayumi legte die Arme auf Katsuyas Pult und ihren Kopf darauf. „Ist der eigentlich immer noch krank? Was hat er?“

„Keine Ahnung“ Der Jüngste zuckte mit den Schultern.

„Streit mit seinem Bruder, Seto und mir. Vielleicht taucht er wieder auf, jetzt, wo Seto nicht mehr hier arbeitet“, erklärte Katsuya.

„Was war denn mit euch?“ Ayumi zog die Augenbrauen zusammen.

„Das ... ist ein bisschen kompliziert“, druckste er herum, „und sehr persönlich.“

„Aaah ja“ Sie nickte langsam und betrachtete ihn mit einem durchdringenden Blick.

„Sein Bruder ist mein bester Freund. Die beiden mögen sich halt nicht so besonderlich. Und dann fühlte er sich wegen einer Sache mit Seto und mir betrogen und dann ... dann kam es halt so, dass er sich zur Zeit krankschreiben lässt.“

„Hört sich nach einer spannenden Geschichte an, würdest du nur ein paar mehr Details rausrücken.“

„Es ist wirklich persönlich. Ich denke nicht, dass ich das erzählen sollte.“

„Na gut ...“ Sie seufzte tief. „Anderes Thema. Wie komme ich an einen Freund?“

„Frag Seto“, rutschte es Katsuya heraus, bevor er die Hand vor seinen Mund zog und wegsah.

„Herr Kaiba ist schwul? Jetzt echt?“ Sie beugte sich verschwörerisch vor und sprach leiser. „War der Bericht wahr, dass er damals ein Herzensbrecher war?“

„Damals? Gestern hat er auf jeden Fall einen Kerl angeschleppt.“

Verdammt! Klappe halten! Das hatte weder Ayumi noch Ryou zu interessieren! Und erst recht nicht den Rest der Klasse. Wer wusste, wer sie jetzt schon wieder belauschte. Also still.

„Au ... Bakura kommt manchmal mit Bisswunden oder Striemen an, die nicht von mir sind, das tut auch immer ziemlich weh“, murmelte der Jüngste.

„Dein Freund betrügt dich?“ Ayumis Lider weiteten sich. „Was für ein Arsch! So einen würde ich auf den Mond schießen. Wie kannst du dir sowas bieten lassen?“

„Aber ... ich habe ihm die Beziehung praktisch aufgezwungen. Er ist nur mit mir zusammen, weil ich das will. Ich kann doch nicht auch noch so egoistisch sein, von ihm zu verlangen, dass er ... dass er nur noch mich anfasst.“

„Das ist dein gutes Recht als sein Freund. Würde er nichts für dich empfinden, hätte er ja wohl nicht zugestimmt, mit dir zusammen zu sein.“
 

Wäre Bakura ein normaler Mensch, wäre dem wohl so. Aber er war nicht normal. Er tat alles, was Ryou wollte. Er würde auch treu sein, wenn Ryou das wollte. Nur was er selbst wollte ... es war schon irgendwie verständlich, dass Ryou den Bogen nicht überspannen wollte.

„Trotzdem, das ... das kann ich nicht auch noch tun. Er tut so schon unglaublich viel für mich. Ich kann nicht noch mehr verlangen.“

„Du hast ein Recht darauf“ Ayumi verschränkte die Arme. „Wenn er so viel für dich tut, dann nur, weil er dazu bereit ist. Weil er halt stark für dich empfindet. Dann will er dich wohl glücklich sehen. Also sag ihm auch, was dich noch glücklicher machen würde. Er kann immer noch nein sagen.“

Katsuya schluckte. Seto würde ganz bestimmt nein sagen, würde er ihn jetzt bitten, treu zu sein. Er würde ihn auslachen. Würde ihn ein verwöhntes, ungezogenes Balg nennen und schlagen. Er biss die Zähne zusammen und verkrampfte die Hände zu Fäusten. Das war wohl der Preis, wenn man die Bezeichnung Freund verlor.

„Und wenn er wirklich ... nein sagt?“ Ryous Augen glänzten feucht. „So lange ich nicht frage, ist ... sind wir ... ich will ihn nicht verlieren, verstehst du? Ich brauche ihn. Ich kann nicht ohne ihn leben.“

„Das gibt ihm trotzdem kein Recht, dir wehzutun.“

Objektiv. Katsuya betrachtete den Boden. Hatte Seto ein Recht, ihm wehzutun? Er hatte diesen betrogen und zutiefst verletzt. Gab ihm das das Recht, es mit gleicher Münze heimzuzahlen?

„Aber ... was, wenn ich ihm lästig werde? Wenn ich zu viel verlange? Wenn er abhaut, weil ich ihn zu sehr einenge?“

„Dann hat er dich auch nicht verdient. Dein Freund muss dich lieben, vergöttern und dir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Ein Kerl ist erst dann ein guter Mann, wenn er dir die Welt zu Füßen legt.“

Die Aussage malte unwillkürlich ein Grinsen auf Katsuyas Gesicht, bevor er einwandte: „Wir sind zwar schwul, aber keine Prinzessinnen.“

„Jeder ist im Herzen eine Prinzessin und will auf Händen getragen werden. Zumindest für einen Menschen will doch jeder die Schönste, Beste und Verehrenswerteste sein.“

Wahrscheinlich. Er legte die Arme um sich selbst. Das hatte Seto sein wollen. Geliebt. Zumindest von einem Menschen. In Ehren gehalten. Von ihm. Wertvoll. Wenigstens für ihn. Und er hatte all diese Kinderträume zerschlagen. Kein Wunder, dass Seto verletzt war. Er hielt sich sowieso schon für scheiße – das hatte Katsuya mit seinem Verhalten nur noch einmal bestätigt.

Mit tief in Falten gelegter Stirn wandte sich Ryou zu ihm und fragte: „Kannst du dir vorstellen, dass Bakura meine Prinzessin sein will?“

Der Blonde prustete los, doch versuchte es in einem Husten zu verstecken. Oh shit ... die Vorstellung von Ryous Schlägertyp von einem Bruder in einem Prinzessinnenkleid war echt zu viel.

„Haaach ... das war metaphorisch gemeint. Ihr wisst schon.“ Ayumi machte eine kreisende Bewegung mit einer Hand. „Das sollte jetzt auch nicht gleich heißen, dass Herr Kaiba gern rosa Kleider anzieht oder so.“ Sie lachten mittlerweile trotzdem beide. „Ach, ihr seid doof.“ Seufzend verschränkte sie die Arme. „Jungs sind blöd.“
 

„Ach, auch mal wieder da?“ Seto, der mit einem Buch auf dem Sofa lag, sah auf. „Hast ja gut getrödelt auf dem Heimweg.“

„Ich musste noch schnell drei Kerle an einer Straßenecke vögeln“, gab Katsuya genervt zurück und schlug sich dafür innerlich die Hand vor den Kopf. Genau so gewann man Setos Vertrauen zurück. Perfekt.

Seto schien den Kommentar zu ignorieren, denn er wandte seinen Blick wieder dem Buch zu.

Katsuya seufzte. Scheiße. Warum lief alles falsch, was er tat? Er stellte seine Tasche ab, ging zum Sofa herüber und kniete sich auf Höhe von Setos Kopf nieder.

„Was?“, herrschte dieser ihn an.

„Es tut mir Leid“ Katsuya atmete tief durch. „Dass ich aggressiv reagiert habe“ Er schwieg einen Moment, während er den Sofabezug studierte. „Genau genommen weit mehr als das. Nämlich, warum du überhaupt so aggressiv bist. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte dir nicht wehtun. Dass ich dir das Gefühl gegeben habe, dass du nicht der wichtigste Mensch in meinem Leben bist, das tut mir Leid. Ich liebe dich.“

Seto war erstarrt. Während er langsam wieder einatmete, bildeten sich kleine Fältchen zwischen den Augenbrauen. Sein Blick wich kurz ab, zuckte aber zurück zu ihm. Sein Kiefer schien unter der Haut zu mahlen, bis er ausatmete. Er nickte langsam, schlug das Buch zu und setzte sich auf. Mit einem scharfen Ausatmen sah er zur Tür und zurück zu Katsuya, bevor er meinte: „Was wolltest du heute kochen?“

Ah ja. Katsuya hob eine Augenbraue. Na gut. Egal. Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Der Kühlschrank ist leer. Wir müssen einkaufen.“

„Ich wollte ins Fitnesscenter.“

„Wir könnten danach einkaufen.“

„Du willst mit?“ Seto hob beide Augenbrauen und sah auf ihn herab. „Meinetwegen“ Er schwang die Beine vom Sofa. „Wird Yami nicht traurig sein?“

„Ich erwähne noch einmal, dass du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist“ Das sollte er definitiv öfter sagen. Es schien Seto gut zu tun. Er hatte anscheinend echt einen Nerv getroffen. Vielleicht traf Ayumis Prinzessinnentheorie in abgewandelter Form doch irgendwie zu.

Fitnesscenter

Endspurt! Am Freitag sind meine letzten zwei Prüfungen, danach geht es nach Kopenhagen. Ich hoffe, ich komme nächsten Montag dazu, ein Kapitel hochzuladen. Wenn nicht, werdet ihr leider eine Woche mehr warten müssen. Aber ich bin eigentlich ganz zuversichtlich ^.^ Schwieriger wird es danach... ab übernächster Woche arbeite ich in Mosbach, das ist im Odenwald (kennt ihr nicht? Das sagt einiges darüber, wo es liegt XD). Da habe ich wahrscheinlich kein Internet. Ich vermute, ich werde für die nächsten zwei Monate das Hochladedatum auf Sonntag vorverlegen. Aber irgendwie vermute ich, dass das keinen stört XD

Viel Spaß beim Lesen und vielen Dank für eure lieben Kommentare ^.^ Sie beflügeln mich!
 

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„Hah!“ Seto schlug zu. Rechter Haken. Linker Haken. Beide abwechselnd in schneller Abfolge, zum Abschluss ein Tritt mit rechts. Er sprang zurück in einen festen Stand, schnellte wieder vor und schlug mit einem weiteren Kampfschrei erneut zu.

Katsuya, der auf einem Tandemrad fuhr, konnte wie immer den Blick nicht abwenden. Ebenso wie zwei andere Kerle, einer auf dem Laufband, einer beim Gewichtheben. Theoretisch müsste ihn das nicht stören – wäre er noch mit Seto zusammen.

Er sah aber auch gut aus. Dieser glänzende Schweißfilm auf der marmornen Haut, die Zunge, die zwischen seinen offenen Lippen hervor schnellte, das klatschnasse Haar, von dem zwei Strähnen an seinem Gesicht klebten. Er war wunderschön. Besonders das Brennen in seinen tiefblauen Augen. Ob er wohl einen Ball sah? Oder trat er jemand Bestimmtes? Wenn ja, war es wohl Yami oder Katsuya selbst? Oder Menschen aus seiner Vergangenheit?

Oder sich selbst?

Katsuya seufzte und trat aus. Ob er Seto zuhause massiert kriegen würde? Nach einem romantischen Essen? Nach dem Training würde er doch sicher erschöpft sein. Was sollte er dann zum Abendessen machen? Etwas Leichtes? Oder etwas Nahrhaftes? Wurde Seto nach dem Training hungrig? Er sollte ihn einfach fragen. Er schnappte sich sein Handtuch und tupfte sein Gesicht ab.

„Na, wie läuft das Eheglück?“ Jemand schnippte ihm gegen die Schulter.

Katsuya legte sich das Handtuch um den Hals und wandte sich zur Seite. Groß, dunkle Haut, fast kahlköpfig und sehr muskulös. Mit dem hatte er das letzte Mal gesprochen, als er mit Seto hier gewesen war. Wie hieß der Typ noch mal?

„Du hast mich nicht innerhalb von einer Woche vergessen, oder? Du bist nicht er“ Er zeigte auf Seto, wartete einen Moment und seufzte. „Der Name war Rishido.“

„Hi“ Katsuya lächelte. „Sorry, ich bin derzeit nicht ganz auf der Höhe. Weißt du denn noch, wie ich heiße?“

„Katsuya“, antwortete Rishido wie aus der Pistole geschossen, „es hilft, sich den Namen zu merken, wenn man jemanden flachlegen will.“

Der Blonde schluckte und wandte den Blick ab. Auf seinen Wangen stieg die Röte auf. Die Ausrede, dass er mit Seto zusammen war, zog nicht mehr, oder? Warum kam der Typ denn jetzt mit so etwas?

„Ich wiederhole die Frage also ... wie steht es mit dem Eheglück?“

„Trennung im dritten Monat“, quetschte Katsuya hervor.

„Mein Beileid. Ich vermute, er hat dich abgeschossen?“

„Du scheinst schadenfreudig“ Katsuya drückte ihn mit einer Hand gegen die Brust von sich und trat von dem Rad weg, um nicht eingeengt zu werden.

„Ich bin schadenfreudig. Frisch Verlassene sehnen sich meistens nach Zuneigung“ Rishido folgte ihm und legte eine Hand an seine Wange, über die er doch überraschend zärtlich strich. „Hier“ Er zog eine Karte hervor und hielt sie ihm hin. „Wenn du magst, ruf an.“
 

„Der Junge ist minderjährig. Lass ihn in Ruhe“, wies Seto ihn von direkt hinter Katsuya an und schlug über dessen Schulter hinweg die Hand mit der Karte zur Seite.

„Dein Ex kann selbst entscheiden, was er mit seinem Leben macht. Wenn er dir so wichtig ist, hättest du ihn nicht verlassen sollen“ Er hielt ihm die Karte erneut hin. „Und bei seiner Altersklasse ist das einzige Beziehungsverbot mit Verwandten und Sorgeberechtigten. Mit mir darf er. Mit dir nicht.“

„Das mag sein“ Katsuya nahm die Hand und drückte diesen zurück an ihren Besitzer. „Aber Seto liebe ich. Und ich werde mein Bestes geben, ihn zurück zu gewinnen.“

„Meine Güte, selbst getrennt klingt ihr noch wie Kampfheten“ Rishido rollte mit den Augen. „Ich stelle das Angebot in ein paar Wochen nochmal.“

„Ich fürchte, die Antwort wird dieselbe sein.“

Der Andere seufzte, schüttelte den Kopf und ging mit den Worten: „Nimm ihn ja wieder zurück, Kaiba. So viel Glück hat man nicht zweimal.“

Nicht zweimal ... Katsuya ließ den Kopf ein wenig hängen. Ob Seto ihm irgendwann eine zweite Chance geben würde?

„Zurückgewinnen?“ Seto griff von hinter ihm nach seiner rechten Hand und zog Katsuya daran herum, bevor er sie auf das recht professionell wirkende Pflaster auf seiner Wange legte. „Ich weiß nicht ganz, ob ich mich geschmeichelt oder angeekelt fühlen soll.“

„Nimm geschmeichelt. Es täte meinem Ego besser“, erwiderte Katsuya humorvoll, obwohl ihm die Worte einen Stich ins Herz versetzt hatten.

„Dein Ego soll ich auch noch unterstützen? Du wirst mir noch eingebildet, wenn ich das weiter mache.“

„Du hast es in den letzten Tagen bestens zurecht gerückte, danke“, gab der Blonde etwas giftig zurück, „ich glaube, ich habe mich selten so scheiße gefühlt.“

„Ausdrucksweise“, wies Seto ihn zurecht.

„Wenn du sagen darfst, dass du dich scheiße findest, darf ich sagen, dass ich mich scheiße fühle. Gleiches Recht für alle.“

„Für Gleichberechtigte“ Er zog die Hand, die er bisher an seiner Wange gehalten hatte, weg und ließ sie mit angewidertem Gesichtsausdruck los. „Das Recht hast du verwirkt, Sohn.“

„Aber-“

Setos Lider verengten sich. Er nutzte die fünfzehn Zentimeter Größenunterschied schamlos aus, indem er auf Katsuya herab sah. Mit einem Schnauben wandte er sich ab und ging Richtung Umkleiden. Trotz der Abfuhr folgte der Jüngere ihm auf dem Schritt.

„Du kannst gerne weiter trainieren“, sagte Seto, ohne sich umzuwenden, „Ich werde noch in die Sauna gehen“

Ich werde mir noch irgendeinen willigen Kerl suchen und Sex haben. Katsuya blieb wie angewurzelt stehen. Das war es, was sein Freund sagen wollte, richtig? Er biss die Zähne zusammen. Das alles nur wegen der Ansage, dass er Seto zurück wollte? Das hätte der sich doch wohl denken können, oder? Er hatte es ja wohl auch schon öfter gesagt, nicht? Allerdings nie vor anderen. Vielleicht war Seto jetzt erst klar geworden, dass er es ernst meinte.

Oder er machte sich wie immer zu viele Gedanken und der Kerl wollte einfach nur ficken. Katsuya seufzte. Klasse ... und was machte er jetzt? Er würde nicht gebrochenen Herzens vor der Tür warten, bis Seto wieder kam. Was ... nun, er könnte den Kerl zu schlagen, der ihm gerade in den Hintern gekniffen hatte.
 

„Sag mal, kommt dein Bruder einfach nur von irgendwelchen Affären heim oder schmeißt er dir ins Gesicht, was er tun wird?“, fragte Katsuya unvermittelt in die Stille, die zwischen Ryou und ihm geherrscht hatte.

„Kura? Nun ...“ Dieser blinzelte, sah zur Decke und legte den Kopf zur Seite. „Normalerweise informiert er mich nur nachher davon. Wenn ich nachfrage. Oder es fließt zufällig ein, wenn er von seinem Tag erzählt. Einmal, als wir noch in ... nun, bevor wir eine eigene Wohnung hatten, da hat er mal eine Geisel befreit, die sehr gut aussah. Er hat mit ihm geschlafen, bevor er ihn mitgenommen hat. So etwas mischt sich in die täglichen Berichte.“

„Bevor er ... was war mit den Entführern?“

„Ich vermute, dass sie das nicht überlebt haben.“

Katsuya hob eine Augenbraue und meinte: „Er hat aber nicht zwischen den Leichen ... also ... okay, ich traue es ihm zu.“

„Ich glaube auch nicht, dass es von der Geisel aus freiwillig war“, gab Ryou zu.

„Vom Regen in die Traufe“ Katsuya seufzte. „Ich hoffe, ich werde niemals entführt.“

„Ich auch“ Einer von Ryous Mundwinkeln hob sich. „Ich hätte ehrlich gesagt Mitleid mit den Kidnappern.“

„Zu recht“ Der Blonde nickte. „Dein Bruder ist gemeingefährlich“ Ein Schaudern durchfuhr ihn. „Obwohl ich Seto auch nicht in Berserkermodus begegnen will. Auch wenn er sich wenigstens ansatzweise ans Gesetz halten würde.“

„Oh, das Ganze wurde der Polizei gemeldet. Sie haben es als Notwehr eingetragen“, erklärte Ryou lächelnd, „war aber knapp. Die drei mit Pistolen waren kein Problem, aber einen hat er in der Toilette mit einem Schwert zerstückelt. Dessen Waffe lag im Wohnzimmer.“

„Eh ... he ...“ Katsuya verzog das Gesicht. „Klasse ... dein Bruder hat echt ein Aggressionsproblem“ Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Macht ihm das Töten Spaß?“

„Nein. Deswegen hat er damit ja auch aufgehört. Er meint, bei der Polizei sei es weit ruhiger und angenehmer.“

„Dass es ruhiger als bei den Yakuza ist, kann ich mir denken!“

„Pscht!“ Ryou legte einen Finger auf seine Lippen. „Das braucht nicht die ganze Klasse wissen.“

„Sorry ... aber war dein Bruder nicht nur ein Kurier? Ich meine, er war doch noch nicht einmal achtzehn, oder?“

Oder? Welcher Don wies solch wichtige Angelegenheiten einem Kind zu? Wer kam überhaupt auf die Idee, ein Kind mit so einem Auftrag zu betreuen? Natürlich hatte Bakura so eine mörderische Ausstrahlung, aber dass man ihn das wirklich durchziehen ließ?

„Er hat mit fünfzehn dort angefangen. Er war einfach drei Jahre bei ihnen“ Ryou zuckte mit den Schultern. „Aber ich glaube, sein Boss war trotzdem nicht ganz glücklich damit. Schließlich hat er ihn ohne große Schwierigkeiten gehen lassen.“

„Er hat diesen Boss nicht zufällig umgebracht oder so etwas, oder?“ Katsuyas Stirn lag in Falten.

„Ich denke nicht ... aber wenn irgendetwas nicht so war, wie er mir das erzählt hat, werde ich die Wahrheit auch nie erfahren. Allerdings hat er mich auch noch nie belogen, so weit ich weiß. Er sagt immer schonungslos die Wahrheit.“

Tja ... so wie Seto derzeit. Und die Wahrheit war unerwartet schmerzhaft.
 

„Du hast was getan?“, zischte Shizuka und schüttelte den Kopf, „bist du völlig durchgedreht?“

„Es war nicht meine Absicht, ihn damit zu verletzen“, murmelte Katsuya zu seiner Verteidigung.

„Aber du hättest dir doch wohl denken können, dass ihn das verletzt!“ Sie seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. „Du bist doch normalerweise recht sensibel für so etwas. Wie konntest du auf die Idee kommen, dass ihn das nicht mitnimmt, wenn du ihn betrügst?“

„Ich dachte ja nicht, dass er es so auffasst, als hätte ich ihn betrogen.“

„Du hast mit einem anderen Kerl geschlafen. Egal, weshalb. In welcher Realität ist das kein Betrug?“ Sie ließ sich auf ihr Bett fallen, lehnte sich zurück und legte eine Hand auf die Decke neben sich, wo er sich auch hinsetzte. „Andererseits habe ich mich auch ein halbes Jahr selbst belogen, dass alles gut wird, sobald Isamu geboren ist. Dass Ryuji mich wieder aus vollem Herzen liebt und unsere Mutter ihre Mutterliebe wieder entdeckt und irgendwie ein Wunder mein ganzes Leben ins Reine bringt.“

„Hat ähnlich gut geklappt ...“ Katsuya zog die Beine an und legte die Arme darum. „Wir sind Kinder. Wir machen auch mal Fehler. Warum müssen sie jetzt schon so verdammt viele Konsequenzen haben?“

„Weil wir erwachsen spielen wollten? Kinder, Heim, Hochzeit ...“ Sie nahm die Hand mit dem Ring, betrachtete diese und legte ihre darum. „Wenn ich Papiere für das Amt ausfülle oder Anlagevorschläge für Isamus Kindergeld bekomme, fühle ich mich völlig überfordert. Ich frage mich, warum ich so etwas tun muss, obwohl ich erst sechzehn bin. Und dann erinnere ich mich, dass ich aber ebenso Mutter von einem Halbwaisen bin und dass ich für mein Kind zu sorgen habe.“

„Hilft dir da nicht dein Berater vom Jugendamt bei?“ Katsuya zog die Augenbrauen zusammen.

„Der hat auch nicht unendlich Zeit. Ebenso wie meine Pflegemutter hier, die hat mit den Kleinen genug zu tun. Ich falle allen schon genug zur Last.“

„Aber dafür sind sie da. Dass du sie belastet und nicht alles alleine trägst“ Er legte einen Arm um seine Schwester. „Hey, ich hab‘ die Idee! Warum fährst du mit so einem Zeug nicht zu Noah? Der hat davon verdammt viel Ahnung und wenn er in ein paar Wochen dein Pflegevater wird, kennst du ihn dann schon viel besser.“

„Aber Herr Kaiba hat doch noch viel weniger Zeit!“ Sie sah ihn mit geweiteten Lidern an. „Er führt eine riesige Firma, da kann ich doch nicht auch noch ... er tut doch schon genug für uns ...“

„Shizuka, Pflegevater enthält das Wort Vater. Obwohl Seto und ich jetzt getrennt sind und er sich wie das letzte Arschloch benimmt, kümmert er sich trotzdem um mich. Er macht morgens ein Frühstück für mich und er beantwortet meine Fragen zu den Hausaufgaben. Am Sonntag haben wir sogar zusammen Karten gespielt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für Noah okay ist, wenn du dich an ihn wendest. Ich denke, das freut ihn sogar. Er scheint Kinder sehr zu mögen.“

Er hatte ja selbst seinen eigenen Bruder als Kind angenommen, obwohl dieser sich dreizehn Jahre lang wie eine Furie aufgeführt und ihn geschlagen, beleidigt und zurückgestoßen hatte. Er machte jetzt diesen Kurs, um Shizuka aufnehmen zu können. Und er freute sich jedesmal, wenn er beim gemeinsamen Kaffeetrinken Isamu halten durfte. Er hatte sicher nichts dagegen, wenn man ihn bei Geldanlagen um Rat fragte.

„Okay ... ich ... ich rufe ihn morgen mal an und frage nach, okay?“

„Mach das“ Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Wenigstens eine von ihnen kam mit ihrem Leben klar.

Verletzt

Jetzt neu, jede Woche wieder, die Bild zum Sonnt- äh, DS am Sonntag. Ich werde die Woche in Kopenhagen sein und hoffe, dass ich ein Kapitel für nächste Woche fertig kriege. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich es nicht garantieren kann, da ich rund um die Uhr Programm habe und mein Laptopkabel irgendwie spinnt - mit nicht funktionierendem Laptop schreibt es sich schlecht.

Also bitte betet für mein Kabel T.T Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ich frage erst gar nicht, mit wem du dich diesmal rumgetrieben hast.“

Katsuya blieb auf Höhe der Wohnzimmertür stehen, seufzte und schloss die Augen. Nicht ausrasten. Metakommunikation. Darüber reden. Nicht schreien. Er atmete wieder ein und wandte den Kopf zur Seite, bevor er fragte: „Was bringen dir solche Kommentare eigentlich? Hast du da Spaß dran? Befriedigen sie dich irgendwie?“

„Ich kenne recht suffiziente Formen der Befriedigung, vielen Dank. Hast du gegessen?“ Der auf dem Sofa Liegende sah nicht ein einziges Mal von seinem Buch weg.

„Und wenn ich es hätte?“

„Müsstest du jetzt nur für mich kochen. Pronto“ Seto winkte ihn mit einer Hand weg, als wäre er ein lästige Fliege.

„Darf ich erstmal rein kommen?“, giftete der Blonde.

Er ließ das Buch ein wenig sinken, sodass seine blauen Augen dahinter hervor blitzten, bevor er erwiderte: „Ich wollte gerade fragen, ob du deinen Kopf vor der Tür gelassen hast, aber du scheinst vollständig eingetreten zu sein.“

„Arschloch ...“, murmelte Katsuya leise, drehte sich um und stapfte in die Küche. Dieser hirntote Affe. Dieses bestialische Scheusal. Dieser Hurensohn sondergleichen. Seto war so ein ... rargh! Der Kerl war echt unfassbar. Er warf einen Blick in den Kühlschrank, holte ein paar Lebensmittel heraus und machte kehrt zurück Richtung Wohnzimmer. „Wenn du was zu essen haben willst, dann hilf mir.“

„Wenn ich etwas zu essen haben will, dann sage ich dir, dass du etwas machen sollst. Ich bezahle schon eine Haushälterin, sodass Kochen deine einzige Pflicht ist. Werd‘ nicht aufmüpfig.“

„Das werde ich, solange du dich so unverschämt verhältst. Ich bin keine bezahlte Arbeitskraft, klar?“ Er stellte sich mit verschränkten Armen neben das Sofa.

Seto schlug sein Buch zu, schwang sich von der Couch und stellte sich ihm gegenüber. Mit verengten Lidern erwiderte er: „Du wohnst hier. Du kriegst zu essen. Ich zahle deine Schule und deine Versicherungen. Du kriegst Taschengeld. Was willst du noch, du undankbarer Blutegel?“

„Dass mir nicht vorgehalten wird, dass ich dankbar zu sein habe! Ich bin dankbar, mehr, als dir vorstellen kannst, aber es kotzt mich an, wie du dich deswegen aufführst. Wenn du mich damit gekauft hast, damit ich deine Befehle ausführe, dann sag mir das so, aber dann werde ich ganz sicher nicht mehr dankbar sein“ Er stemmte die Hände in die Hüfte.

„Bis jetzt hattest du auch kein Problem damit, zu kochen. Warum muss ich es dir plötzlich befehlen?“

„Weil ich es gern gemacht habe!“ Katsuya spürte, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen. Das war zu viel. Er musste weg. Er hielt dieses Gespräch nicht aus. „Weil ich dich geliebt habe und glücklich war, etwas für dich tun zu können. Ich weiß nur nicht, wie ich dein jetziges Ich noch lieben soll!“

Scheiße. Er schlug die Hand vor seinen Mund. Scheiße ... er rannte an Seto vorbei, den Blick nicht noch einmal auf ihn richtend. Scheiße ... was sollte er tun? Was sollte er tun? Er rannte aus der Haustür und die Straße hinab.

Scheiße!

Er rannte.
 

„Komm rein“, meinte Yami ruhig.

Er öffnete die Tür ganz und trat zur Seite. Katsuya stellte sich in den Flur, damit er die Tür schließen konnte, bevor er zur Küche wies, in die sie sich beide begaben. Yami schien nicht überrascht, ihn zu sehen. Nicht einen Moment lang stand eine Frage auf seinen Zügen und er stockte nicht. Er stellte sich einfach wieder zurück an den Küchentisch, wo er gerade Sushirollen schnitt. Hatte Seto ihn angerufen? Oder war es bei ihrer derzeitigen Lage nicht verwunderlich, wenn er urplötzlich auftauchte? Sie schwiegen, bis Yami ihm Stäbchen und einen Teller mit fertig gewürztem Sushi reichte.

„Hat er angerufen?“

„Nein“ Er machte sich seinen eigenen Teller fertig. „Er hat seitdem nicht mehr mit mir gesprochen. Ich habe nur eine SMS bekommen, dass es vorerst kein gemeinsames Kaffeetrinken mehr gibt.“

Katsuya nickte nur.

„Du bist völlig fertig, richtig?“

Er zuckte nur mit den Schultern und seufzte.

„Was hat er getan?“

„Alles“ Ein stummes Lachen ließ seinen Oberkörper erzittern, während er sich über das Essen beugte und es ansah, als wüsste er nicht, was er damit tun sollte. „Mit anderen Kerlen geschlafen. Mich geohrfeigt. Mich beleidigt und nieder gemacht. Mir wieder und wieder vorgehalten, dass ich nicht mehr gleichberechtigt bin, ihm zu gehorchen habe und ... im Endeffekt alles.“

Yami nickte langsam und kaute auf, bevor er nachfragte: „Hat er auch mit dir geschlafen?“

„Huh?“ Er sah auf und zog die Augenbrauen zusammen.

„Nur ein Gedanke. Was du erzählst, ist seine Art zu zeigen, dass du ihm jetzt nichts mehr bedeutest. Das muss er sich sagen, um den Schmerz zu ertragen. Er zerstört dich nicht systematisch.“

„Nicht? Sonntag hat er mich ins Wohnzimmer geschickt, um die Reste des Adventskalender wegzuputzen, den er mir hatte schenken wollen. Gestern Abend hat er mir ins Gesicht gesagt, dass ich gefälligst warten soll, weil er in die Sauna wollte, um einen Kerl zu ficken. Das ist nicht systematisch?“ Er hielt die Stäbchen in seiner Hand so fest, dass sie beinahe zerbrachen.

„Derzeit tut er dir weh, um sein Herz zu verschließen. Um den Schmerz zu vergessen und zu verdrängen. Nicht, weil er dir in erster Linie weh tun will. Wenn er den Schmerz weggeschlossen hat, dann könnte er um einiges härter werden.“

Katsuyas Stirn lag in Falten. Seine Lider geweitet. Die Lippen leicht geöffnet.

„Du willst mir sagen, dass es schlimmer kommen kann, als es jetzt ist?“

„Er könnte dich schlagen und dir sagen, dass du es verdient hast. Er könnte mit dir schlafen und dir danach sagen, dass du immer noch ein guter Fick bist, bevor er dich aus dem Zimmer schmeißt. Er könnte das Schloss austauschen und dich draußen schlafen lassen, nur um dir danach einen neuen Schlüssel zu geben und zu sagen, dass er dich versehentlich vergessen hat. Er könnte dich vergewaltigen und dir sagen, dass es sein gutes Recht ist nach dem Schmerz, dem du ihm gegeben hast. Er könnte dir verbieten, deine Freunde zu sehen, unter der Drohung, dass er dich sonst rausschmeißt. Er könnte dich zur Prostitution zwingen mit dem Argument, dass du dir dein Geld zum Leben gefälligst selbst verdienen sollst. Ich vermute zwar, dass er bei dir Gewalt anwenden müsste, um dich dazu zu kriegen, aber prinzipiell ist es ihm zuzutrauen“ Yami schob sich ein weiteres Sushi zwischen die Zähne. „Iss.“

„Ich glaube, mir ist gerade jede Art von Hunger vergangen“ Der Blonde legte die Stäbchen zur Seite und lehnte sich zurück gegen den Stuhl. Sein Gegenüber aß währenddessen auf und nahm sich Katsuyas Portion vor. „Glaubst du wirklich, dass ... dass er irgendwas davon tun würde?“
 

Yami wandte den Blick zur Decke, kaute auf, schluckte und überlegte, bevor er ruckartig nach unten sah und sich ein weiteres Stück Sushi fischte. Erneut richtete sich sein Blick nachdenklich etwas anderem zu. Nach einer schieren Ewigkeit bequemte er sich allerdings doch zu einer Antwort: „Ich weiß es nicht. Aber ich habe es alles schon gesehen, wenn auch nicht bei ihm. So lange, wie er verletzt ist, wird er sich selbst schützen, aber sobald der Schmerz verarbeitet oder verdrängt ist, kann es sein, dass er sich an dir auslässt. Ehrlich gesagt glaube ich es nicht, weil ich Seto im Grunde seines Herzens für gut halte und er den Menschen eigentlich nichts Böses will. Er weiß oft nicht, wie er sich ausdrücken soll, aber er sorgt sich um die, die ihm wichtig sind. Doch ich traue ihm auch zu, dass sich seine Liebe in Hass wandelt und er seine Verbitterung so an dir auslässt, dass er dir weh tut.“

„Das ist kein wehtun. Das ist systematische Vernichtung. Das, was er jetzt tut, das tut weh“ Katsuya schlang die Arme um sich selbst und zog die Beine an, sodass er die Füße auf den Stuhl stellte. „Es tut weh, aber ich sehe, dass er verletzt ist. Ich halte es aus, weil er verletzt ist. Aber würde er ... wenn ich sehe, dass er es genießt, mir weh zu tun, dann werde ich ganz sicher nicht bei ihm bleiben.“

„Wie erkennst du, dass er es genießt?“, fragte Yami nach. Sein Tonfall sagte schon, dass er die Antwort kannte und die Frage nur für Katsuya selbst stellte.

„Dass er nicht mehr aggressiv ist, nicht mehr unsicher wirkt und keine Tränen mehr in seinen Augen blitzen, wenn er wieder etwas Verletzendes sagt“ Er sah auf, plötzlich etwas ruhiger als vorher. „Derzeit fühlt es sich an, als würde er ... genau genommen, als würde er sich selbst weh tun wollen, indem er mich verletzt. Ich weiß auch nicht ... es ist ganz komisch. Müsste er nicht eigentlich mich verletzen wollen?“

„Er gibt sich die Schuld, dass du ihn betrogen hast. Er fühlt sich verantwortlich. Er glaubt, es sei sein Makel und Fehler, dass du das getan hast. Also straft er dich und damit auch sich selbst, weil du ihm so viel bedeutest, dass er mit dir mitfühlt. Dadurch bringt er sein Herz auf dem schnellsten Weg dazu, sich vor dir zu verschließen – um den Schmerz, den er selbst zufügt, nicht mehr zu spüren.“

„Er tut mir weh, um weniger für mich zu spüren?“ Katsuyas Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Es hat noch die zweite Komponente, dass Gefühle den Erwartungen und Handlungen folgen. Aus deinem Unterbewusstsein ergibt sich das, was du tust und aus dem, was du tust, ergibt sich, was du fühlst. Zumindest zum Teil. Wenn er dich also verletzt, sagt er sich damit auch, dass er dich nicht mögen kann.“

Hieß, solange er zuließ, dass Seto so mit ihm umging, konnte dieser gar nicht wieder in ihn verlieben? Hieß das, dass Seto ihn wieder lieben würde, wenn er ... zum Beispiel mit ihm schlief? Hm ... irgendwie klang das falsch. Ja, weil für Seto Sex nicht automatisch mit Gefühlen verbunden war. Was war für Seto mit Gefühlen verbunden? Küssen? Auch nicht unbedingt. Zusammen wegfahren auf jeden Fall. Spazieren gehen. Auf der Couch liegen. Essen gehen. Eigentlich alles, wo sie sich unterhielten und vielleicht auch berührten. Unschuldig berührten. Einfach zusammen sein.

Wie beim Essen. Katsuya fixierte das Sushi, was nach und nach in Yamis Mund verschwand. Seto liebte es, wenn er kochte. Er guckte gern zu und versuchte zu erraten, was er machte. Er freute sich über selbst gekochtes Essen und ihre Gespräche bei Tisch. Shit. Das wäre so eine gute Situation gewesen ... das war eine der wenigen gemeinsamen Momente, die Seto noch zuließ und er hatte das komplett gesprengt. Vielleicht war Setos herrische Art sogar ein Wunsch nach Zuwendung gewesen.

Katsuya erhob sich, umrundete den Tisch und legte die Arme um Yami, welcher ein fragendes Geräusch machte. Er löste sich, ging Richtung Tür und meinte: „Danke. Jetzt weiß ich, was zu tun ist!“
 

Nur wie zur Hölle brachte er jetzt Seto dazu, ihm die Aktion von vorhin zu vergeben? Er konnte ja wohl kaum nach Hause gehen, klingeln und sagen, dass er gern kochen würde, oder? Überhaupt ... erst erzählte er, dass er Seto zurück wollte, dann dass er ihn so nicht lieben konnte? Wenn er Seto noch etwas bedeutete, dürfte diesen das trotz allem ziemlich verletzt haben.

Ehrlich ... Seto dachte wahrscheinlich, dass er langsam brach. Dass er aufgab. Nach nur einer Woche – kein Wunder, wenn er ihn nicht für voll nahm. Vielleicht war Seto gerade nicht einfach, ja, aber noch hatte er eine Chance. Egal, was Seto ihm entgegen warf, er musste im Hinterkopf behalten, dass Seto ihn noch liebte, solange er ihn verletzte. Und dass es Seto weh tat, wenn er ihn verletzte. Er durfte seinen Schmerz nicht verstecken, nein, aber er durfte auch keine Gegenangriffe starten. Er durfte nicht auf die Provokationen eingehen. Aber ab von all dem durfte er vor allem nicht aufgeben. Egal, was er alles tat, er durfte Seto nicht aufgeben.

Nur war es wahrscheinlich genau das, was er Seto vorhin vermittelt hatte. Dass er aufgegeben hatte. Also musste er ihm klar machen, dass das nur eine momentane Reaktion gewesen war. Dass er ihn liebte, auch wenn ihm gerade weh getan wurde. Dass er nicht aufgab, obwohl es schmerzte. Das musste er irgendwie in Worte packen. Oder Taten ... er könnte ihn küssen, das dürfte all das klar machen. Aber bei Setos derzeitiger Stimmung könnte er sich dafür eine gute Tracht Prügel einheimsen. Also besser erklären ... die Frage war das Wie.

Am besten wäre wahrscheinlich, einfach spontan zu reagieren. Andererseits half es, sich vorher zumindest stichpunktartig vorzulegen, was er sagen oder vermitteln wollte. Was seine Hauptanliegen waren. Vielleicht sogar ein paar Formulierungen ... er wandte den Blick zum bewölkten Nachthimmel. Der war irgendwie genau wie sein Kopf: dunkel und leer.

Seine Hauptanliegen ... nun, dass er Seto liebte und nicht aufgab. Das waren die zwei wichtigsten Botschaften. Wie, besonders mit welcher Formulierung oder Tat – keine Ahnung. Im Zweifelsfall einfach völlig direkt, wenn ihm gar nichts einfiel. Oder war es besser, einfach nur direkt zu sein? Sollte er einfach das als einen Satz bringen und es dabei bewenden lassen? Ohne Vor- oder Nachspann? Andererseits hatte Seto auf die direkte Bekundung gestern nicht gerade positiv reagiert. Vielleicht war etwas Zurückhaltung gar nicht schlecht.

Er fischte den Schlüssel aus der Hintertasche seiner Jeans, um die Tür zu öffnen. Seto hatte ja hoffentlich nicht das Schloss getauscht ... nein, hatte er nicht. Katsuya trat ein, zog seine Schuhe aus – ohne hinzusehen, geschweige denn sich zu setzen – und sah sich um. Kein Licht in der Küche, keins im Wohnzimmer, keins oben.

„Seto?“

Stille ... keiner da? Er warf einen Blick in die Räume und nahm die Treppe nach oben. Arbeitszimmer? Er klopfte noch am Bad und am Schlafzimmer. Entweder Seto wollte nicht antworten oder er war wirklich weg. Katsuyas Herz sackte nach unten. Schien, als wollte sein Freund ihn nicht sehen. Er schloss die Lider und atmete zitternd durch.

Alles gut.

Alles in Ordnung.

Kein Grund zu weinen.

Er schluckte, sog die Luft ein, machte kehrt und ging in sein Zimmer. Alles okay – er würde schlafen und es Seto morgen sagen. Es war alles okay. Mit ihm war alles in Ordnung. Er konnte das schaffen.

Sucht

Bin zurück aus Kopenhagen (12 Stunden Fahrt...) und totmüde. Natürlich war das Kabel durchgebrannt, also durfte ich gerade das Kapitel zuende tippen. Korrekturlesen ist deshalb jetzt auch nicht mehr, tut mir Leid. Muss morgen mitten im Nirgendwo zum Dienstantritt sein.

Ich habe aber alle eure Kommentare gelesen und mich sehr gefreut! Auch wenn meine Antwort dazu verspätet kommen wird (in Mosbach habe ich kein Internet), ich bin sehr dankbar und werde auf jeden Fall schreiben! Habe euch alle sehr lieb - ohne euch wäre die Geschichte nicht das, was sie ist.
 

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Katsuya schlug die Augen auf und starrte an die Decke. Hm ... war irgendetwas passiert? Er war so wach. Sein Blick fiel auf das Fenster. Auch wenn die Vorhänge zugezogen waren, es wirkte nicht wirklich hell. Seufzend hob er den Arm und sah auf seine Uhr.

Viertel nach fünf.

Er schloss die Lider wieder, ließ den Arm kraftlos auf sich fallen. Na super. Warum zur Hölle war er wach? Er rollte sich zur Seite, schwang die Beine über die Bettkante und streckte sich. Nun … er könnte sich fertig machen und dann Frühstück für sie beide machen. Vielleicht freute sich Seto ja darüber.

Und die Welt sah nach einer Dusche schon viel besser aus. Frische Klamotten, ein paar Armbänder, eine Kette … vielleicht sollte er sich ein Lippenpiercing stechen lassen? Ein Tattoo am Oberarm wäre auch cool. Oder am Rücken. Dafür hatte er nie Geld gehabt, aber das wäre schon echt klasse … ein Drache oder ein Falke oder vielleicht sogar Flügel. Und er brauchte dringend Mascara. Dunkle Wimpern hatten echt gut ausgesehen. Er war einfach ein bisschen zu blond.

Er schlich an Setos Zimmer vorbei, um ihn nicht zu wecken, die Treppe runter und Richtung Küche. Ob Seto ihn mit Mascara besser fand? Auf Höhe des Wohnzimmers stoppte er aber und wandte sich zusammen gezogenen Augenbrauen dem Raum zu. Hatte er nicht … Seto? Er schaltete das Licht an.

Ja, Seto. Auf dem Sofa. Die Beine locker übereinander geschlagen, ein Glas in der Hand. Was machte er um diese Uhrzeit hier unten? Konnte er auch nicht schlafen? Was trank er da? Sein Blick wanderte zum Tisch, wo eine Flasche gefüllt mit derselben gelbbraunen Flüssigkeit stand. Er atmete zitternd aus. Cognac? Er trat näher und las da Etikett. Ja, sein Blick hatte ihn nicht getrügt. Seto trank morgens um sechs Uhr alleine im Wohnzimmer Cognac.

Bamm. Schlag ins Gesicht. Derselbe Schmerz, obwohl es nicht einmal den Hauch einer Bewegung gegeben hatte. Wie ein Messerstich. Wie der Winter, der sich von außen in die Innereien fraß. Cognac ...

Katsuya atmete tief durch und hob den Blick zu eben jenem. Dieser starrte stoisch in Richtung des Fensters, als hätte er Katsuyas Anwesenheit nicht bemerkt. Er schluckte. Was sollte er tun? Wie sollte er Seto klar machen, dass von allem, was dieser bis jetzt getan hatte, das hier am meisten weh tat? Zuzusehen, wie Seto kaputt ging. Hatte er nicht erzählt, dass er Alkoholiker war? Dass er eine monatelange Therapie gebraucht hatte, um vom Alkohol weg zu kommen?

Wie lange würde es dauern, bis er endete wie Katsuyas Vater?

Er atmete zitternd ein, ballte die Hand zur Faust und presste die Zähne zusammen. Er spürte es. Er erkannte es. Diese Wut. Diese unglaubliche Wut, die sich eigentlich gegen seinen Vater richtete. Das Bedürfnis, Seto zu schlagen, durchzuschütteln und ihn anzuschreien, was für eine jämmerliche Gestalt er war.

Er zwang sich zur Entspannung und atmete diese Wut in einem aus. Seto war nicht sein Vater. Alkoholiker war nicht gleich Alkoholiker. Er hatte keine Ahnung, wie viel Seto intus hatte, aber er schien nicht aggressiv. Er saß aufrecht. Er nippte kultiviert an einem Glas und setzte sich keine ganze Flasche Wodka an den Hals. Das hier war nicht gut, nicht einfach, aber machbar. Das hier kannte er. Damit konnte er umgehen.
 

Ganz ruhig. Es half nicht, in Tränen auszubrechen oder dissoziativ zu werden. Nachdenken. Seto brach auseinander. Der Alkohol musste weg und eine Stabilisierung dafür her.

Der Alkohol war leichter. Er musste den Alkohol wegbringen. Er trat zu Seto und nahm diesem das Glas aus der Hand. Er wehrte sich nicht. Er schien im Allgemeinen ganz woanders zu sein. Auch gut. Musste er nur die Flasche und den Rest im Glas wegbringen.

„Seto?“ Dieser zeigte keine Reaktion. „Seto, gibt es noch mehr Alkohol in diesem Haus?“ Immer noch nichts. „Seto, hast du noch irgendwo anders Alkohol versteckt?“

Okay … suchen konnte er wann anders. Er öffnete das Fenster zur Lüftung, nahm Flasche und Glas und schüttete deren Inhalte ins Beet. Die Flasche konnte er nachher zum Altglas mitnehmen. Das Glas spülte er direkt.

Er stellte es in den Schrank, schloss dessen Tür und erstarrte. Was jetzt? Was machte er jetzt? Der Alkohol war weg. Er musste mit Seto reden. Ihn stabilisieren. Er musste ihn irgendwie dazu kriegen, nicht noch einmal mit dem Alkohol anzufangen. Er musste ihn aus diesem Loch holen. Er musste … er schluchzte auf. Was zur Hölle sollte er tun? Er konnte nicht einmal Yami anrufen und ihn um Hilfe bitten. Seto würde ihn köpfen. Er war ganz allein und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Seto.

Er brauchte Hilfe. Er war zu jung, zu dumm und zu unwissend, um das hier hinzukriegen. Wo waren die Menschen, auf die er sich verlassen konnte? Die er um Hilfe fragen konnte? Yami konnte er nicht anrufen. Seto konnte er kaum fragen. Scheiße … er drehte sich um, sackte am Küchenschrank hinab und rollte sich zu einer Kugel zusammen.

Das war zu viel. Das war alles zu viel.

Warum unbedingt Alkohol?

Mit Selbstverletzung konnte er umgehen, mittlerweile selbst mit Dissoziationen und mit Panikattacken. Aber doch nicht Alkohol. Selbst Drogen wären besser gewesen. Alkohol brachte so viele Erinnerungen mit sich. Alkohol tat zu sehr weh.

Er schluchzte und versuchte erst gar nicht, leise zu sein.

Warum tat Seto das? Warum gerade das? Nun, er schien ja nicht vorgehabt zu haben, es Katsuya zu zeigen, also war es auch nicht Teil seines Vernichtungsplans. Er hatte es geheim halten wollen. Er hatte Katsuya nicht damit verletzen wollen. Dennoch … er krallte die Nägel in seine Haut, während er von seinen Schluchzern geschüttelt wurde.

Alkohol … warum war es immer wieder Alkohol …

Beiläufig nahm er wahr, wie Seto in die Küche trat und folgte ihm mit dem verwaschenen Blick seiner verweinten Augen, während er weiter schluchzte. Sein ganzer Körper schien zu schmerzen. Er krümmte sich zusammen, aber alles tat weh. Wie Messer stach es in seinen Körper, während sein Herz in sich selbst zu schrumpfen schien.

Seto warf ihm nicht einen einzigen Blick zu. Er bereitete einen Kaffee, stieg über Katsuya hinweg, holte Sachen aus dem Kühlschrank und ging zurück zum Herd. Der Reiskocher wurde befüllt und angestellt, Eierrolle angemischt und in die Pfanne geworden, kleine Würstchen geschnitten und angebraten. Innerhalb von zwanzig Minuten füllten sich zwei Lunchboxen und zwei Frühstücksteller, während Katsuyas Schluchzen nach und nach erlosch.

„Möchtest du Orangensaft zum Frühstück?“, fragte Seto.
 

„Du siehst ja schrecklich aus“, begrüßte Ayumi ihn.

„Danke, dir auch einen guten Morgen ... hast du Kakao dabei oder so?“ Schokolade hörte sich plötzlich wie eine verdammt gute Idee an. Welcher Sucht konnte man schon frönen, wenn Drogen und Alkohol tabu war und Zigaretten und Kaffee einem nicht schmeckten? Besser nicht drüber nachdenken, das erinnerte nur an vorhin ...

„Nein, aber ich glaube, in Zukunft nehme ich welchen mit ... ein Skelett sieht besser aus als du“ Sie schüttelte den Kopf, harkte sich bei ihm ein und brachte ihn zu seinem Platz. „Guck mal, Ryou, ein Zombie.“

„Was ist passiert?“, fragte dieser besorgt.

„Nichts ...“ Katsuya seufzte. Nichts, von dem er erzählen konnte. Er könnte nach der Schule zu Yami ... nein, der arbeitete jetzt bis abends. Wen zur Hölle sollte er fragen? Schwester Yumi? Noah? Vielleicht war Noah gar keine schlechte Idee ... ja, er könnte in der Pause seine Schwester anrufen, ob sie zusammen zu Noah gehen wollten. Seto würde ihn eh nicht vermissen.

„A- aber ...“ Ryou biss sich auf die Unterlippe.

„Ich kläre das. Keine Sorge“ Katsuya legte eine Hand auf den weißen Schopf. „Sag mal, bist du gewachsen? Du kommst mir größer vor.“

„Zwei Zentimeter seit Schulbeginn!“ Der Kleine grinste. „Wenn ich so weiter mache, bin ich in acht Monaten so groß wie mein Bruder.“

„Und in drei Jahren so groß wie Katsuya“, neckte Ayumi ihn.

„Wenigstens wachse ich noch. Du bleibst so ein Zwerg.“

„Ich folge nur der Familientradition“ Sie hob die Nase. „Außerdem nennt man das bei Frauen niedlich.“

„Wenn es Mode ist, Präpubertät sexuell erregend zu finden, ist Niedlichkeit etwas Positives“ Le-Long, der wie immer aus dem Nichts erschienen war, legte einen Arm um Ryou. „Aber da es ja gerade Mode zu sein scheint, liegt ihr vollkommen im Trend.“

„Allerdings gilt das für Frauen“, mischte sich Katsuya ein, obwohl ihm defintiv nicht der Sinn nach Konversation stand. Aber man bewahre ihn vor der Vorstellung, dass Seto auf etwas anderes als reife Männer stand. Dadurch, dass er noch immer recht mager war, fehlte ihm jegliche Spur von Kindlichkeit. Und er hätte es auch verstörend gefunden, wenn Seto so etwas mochte. Aber besser auch nicht an Seto denken ...

„Und eine gewisse Kategorie schwuler Männer“, wie selbstverständlich zog Le-Long Ryou näher zu sich.

„Das ist ein reichlich unsubtiler Flirtversuch.“

„Huh?“ Ryou sah mit zusammen gezogenen Augenbrauen zwischen ihnen beiden hin und her.

„Das war ein Kompliment, dass Le-Long findet, dass es dir steht, niedlich zu sein“, erklärte Ayumi leicht entnervt, „meine Güte, das habe sogar ich verstanden ...“

„Das ist sein natürlicher Charme“ Der Chinese hob Ryous Kopf mit einer Hand und setzte einen schnellen Kuss auf dessen Wange, bevor er sich abwandte und ging.

„Le-Long! Hör auf, hier so rumzuschwuchteln! Es reicht, dass wir zwei von denen haben“, murrte einer ihrer Klassenkameraden.

„Er ist niedlich“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Nur weil unsere derzeitige Gesellschaft so homophob ist, muss man nicht gleich mitziehen. Wir sind jung. Das Alter des Ausprobierens und Experimentierens. Wie soll man entscheiden, ob man wirklich Frauen mag, wenn man nicht beides probiert hat?“ Er hob einen Finger. „Ein altes chinesisches Sprichwort sagt-“

„Nicht schon wieder ein Sprichwort. Ist ja gut, wir haben's kapiert ... elende Arschficker ...“ Zwei der Jungs, die bei dem Sprechenden saßen, nickten zustimmend.

„Ihr seid zu engstirnig. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln. Wenn ihr glaubt, eines Tages mit dem ersten Griff die Frau eures Lebens zu finden und alles klappt, muss ich euch sagen, dass ihr Idioten seid. Die ersten paar Beziehungen sind stets Lernerfahrungen, die einen erst erkennen lassen, was wichtig ist und was man erwarten kann und darf.“

Katsuya schluckte. Was man in einer Beziehung erwarten darf ... es war für sie beide die erste Beziehung gewesen. Waren sie es aus Unwissenheit falsch angegangen?
 

„Danke, dass du mitkommst. Ich hätte nicht gedacht, dass Herr Kaiba so einfach ja sagt. Meinst du, er verpasst viel Arbeit?“ Shizuka, welche mit Isamu auf dem Arm neben ihm her ging, lächelte und schien ein Hüpfen in ihrem Schritt zu haben.

„Vermutlich nur ein Meeting, auf dass er eh keine Lust hatte“ Auch, wenn er sich gar nicht so fühlte, wurde er von ihrer Fröhlichkeit irgendwie angesteckt und lächelte auch. „Was hast du eigentlich in diesem Monster von Tasche?“ Er zeigte auf das Ding, dessen Gurt er über die rechte Schulter trug.

„Windeln, die Babydecke, das Spielzeug, alle möglichen Lotionen, Tücher und so weiter ... alles, was ein Baby so braucht.“

„Jetzt weiß ich, warum Eltern meinen, es sei schwer, Kinder groß zu ziehen ... sie brauchen dreimal so viel Zeug, wie sie überhaupt wiegen ...“

„So ein Kind hat halt nur keine Kontrolle über seinen Körper. Das muss Isamu noch lernen.“

Nicht nur Isamu musste Kontrolle über sich lernen, neckte eine sarkastische Stimme in Katsuyas Kopf. Er verbannte sie wieder. Er war auf dem Weg zu Noah. Der würde wissen, was zu tun war. Wenn nicht, konnte er immer noch Yami anrufen.

„Meine Pflegemutter hat mir jede Menge Tipps gegeben. Ich wäre sicherlich selbst drauf gekommen, irgendwann immer etwas zu trinken und zu essen dabei zu haben, aber kleine Spiele oder Quize, da hätte ich nicht so einfach dran gedacht. Und Papier und Stifte sind sehr wichtig, aber das weiß ich ja von dir“ Sie lächelte zu ihm auf.

„Habe ich eigentlich als Kind schon viel gezeichnet? Ich erinnere mich nicht mehr dran.“

„Du hast immer gezeichnet“ Sie grinste. „Mama ist total oft durchgedreht, weil du das Papier aus dem Drucker geklaut hast. Weißt du nicht mehr?“

„Jetzt, wo du es sagst ... stimmt. Daran kann ich mich erinnern. Aber irgendwo stimmt es wohl, Kinder krakeln eh nur Blödsinn. Ich kann verstehen, warum es sie aufgeregt hat.“

„Das nennt man üben, nicht krakeln. Damit entwickeln Kinder Feindgefühl für ihre Hand-Arm-Koordination. Selbst wenn alles, was sie entwickeln, ziemlich blöd wirkt, ist es sehr wichtig, dass man ihnen ihre freie Entfaltung lässt“ Shizuka tippte auf Isamus Nase. „Sie erklärt ziemlich viel und ich glaube, das hilft total. Ich fühle mich immer sicherer im Umgang mit ihm.“

Mutter mit Kind. Katsuya sog den Eindruck in sich auf. Jemand, der einen Großteil seiner Freizeit aufgab, um sich um einen anderen Menschen zu sorgen. Einen völlig hilflosen Menschen. Jemand, der Verantwortung für das Leben einer anderen Person übernahm.

War Seto noch zurechnungsfähig? Konnte man sagen, dass Seto sich um ihn kümmerte? Oder würde das umschlagen wie bei Herrn Jonouchi ... würde er irgendwann für Seto sorgen?

„Macht er dir Angst?“

„Oh ja“ Sie nickte kraftvoll. „Unglaubliche. Manchmal fühle ich mich so verdammt hilflos. Ich weiß so wenig. All diese Muttersachen, die muss ich lernen. Nichts davon kann ich einfach so. Und ich weiß, dass ich von Modellen lerne. Ich imitiere, was ich sehe. Und ich denke, ich werde Mutter irgendwann sehr stark nachmachen. Das ist das Schlimmste, weißt du? Dass es irgendwie wie unvermeidlich scheint, dass sich die Situationen, vor denen man geflohen ist, plötzlich wiederholen.“

Katsuya summte bejahend, nickt und meinte: „Ich glaube, das verstehe ich sehr gut ...“

Ein Fels in der Brandung

Die Psychiatrie ist schon ein schönes Pflaster. Sie birgt sehr viel Inspiration für DS. Eher gesagt Motivation, ich weiß ja, wie es weiter geht. Ich hoffe, ich werde neben der Arbeit immer genug Zeit finden, aber derzeit sieht es nicht schlecht aus. Ich wünsche wie immer viel Spaß beim Lesen und hoffe, ihr genießt eure Ferien, wenn ihr gerade welche habt :)
 

P.S.: 1000 Yen sind ungefähr neun Euro ^.-

P.P.S.: Freundlicherweise ist das japanische Sozialrecht dem deutschen recht ähnlich. Ich habe allerdings nicht noch einmal alle Feinheiten nachgelesen sondern erkläre einfach das deutsche. Es ist also möglich, dass manche Angaben so nicht auf Japan zutreffen (aber das tut allein schon das Jugendamt, so etwas haben die nicht).
 

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„Hier wohnt er?“ Shizuka schritt mit geweiteten Lidern voran und sah in praktisch jede Richtung gleichzeitig, so oft drehte sie sich auf der Stelle. „Das ist riesig!“

„Wie er selbst sagte, er hat viel Platz“ Katsuya lächelte über sie. Es war nur wenige Wochen her, dass er zum ersten – und einzigen – Mal hier gewesen war.

„Bei allen Göttern“ Seine Schwester drehte sich erschrocken zu ihm. „Heißt das, ich werde hier leben? In dieser Villa?“ Er nickte nur. „Hilfe … da habe ich aber einen verdammt langen Schulweg, wenn ich jeden Morgen diese Allee runter renne.“

„Solange das das einzige Problem ist ...“

„Meinst du, hier gibt es einen Swimmingpool? Ich würde so gern mit Isamu schwimmen gehen … wusstest du, dass Babys tauchen können? Sie halten die Luft an, wenn man ihnen ins Gesicht pustet. Man muss aber sehr vorsichtig sein“ Sie lief die Stufen zum Eingangstor, drehte sich um und hielt Isamu hoch. „Guck mal, Kleiner, das ist unser eigener Park. Wenn du größer bist, kannst du da Fußball spielen.“

„Da kann eine ziemliche Horde von Kindern Fußball spielen. So viele kannst du gar nicht kriegen, selbst, wenn du wolltest“ Katsuya überblickte den Weg, den sie bereits gegangen waren. „Selbst, wenn jeder sein eigenes Fußballfeld bekäme. Hinter dem Haus gibt es einen nochmal so großen Blumengarten und Park.“

„Ich glaube, ich werde ihm wirklich nicht auf der Tasche liegen. Ich falle finanziell wahrscheinlich gar nicht auf.“

„Nicht wirklich. Aber er wird sicher viel Zeit mit dir verbringen. Und erst recht mit Isamu. Wir könnten ihn mal fragen, wie euer Zusammenleben so geplant ist.“

„Ich kann gar nicht fassen, dass ein so wichtiger Mann ernsthaft Zeit auf uns verschwenden möchte … sag mal“ Sie wandte sich ihm zu und zog Isamu in ihre Arme. „Das mit dir und Seto … dass ihr jetzt streitet … meinst du, er will mich jetzt überhaupt noch? Hat er das nicht euch zuliebe getan?“

„Ich glaube, deine Situation hat ihn sehr berührt. Ich denke, er tut das in erster Linie für dich, weil er dir helfen will. Noah ist so ein Mensch. Er sorgt sich sehr für andere. Ich glaube, er ist so ein richtiger Papa-Typ.“

Er versuchte sie mit einem Lächeln zu überzeugen, aber es schien nicht ganz zu funktionieren. Ihre Stirn lag in Falten und sie kaute auf ihrer Unterlippe. Ihre Pupillen zitterten leicht und wechselten schnell ihr Ziel, während sie sein Gesicht absuchte. Schließlich flüsterte sie: „Sicher?“

„Denke ja“ Er atmete tief durch. „Aber das einfachste ist, ihn zu fragen. Er wird sicher ehrlich antworten.“

„'Kay ...“ Sie sah zum Tor hinüber. „Wie genau kommen wir jetzt eigentlich da rein?“

„Ich bin für Klopfen.“

Gesagt, getan. Es vergingen nicht mehr als ein paar Sekunden, bis die Tür sich öffnete und ein einzelner Diener – diesmal kein ganzer Auflauf von Personal – sie begrüßte und zu „Master Kaiba“ geleitete.
 

Sie wurden zum selben Raum gebracht, wo auch Seto und er schon hingegangen waren. Diesmal allerdings nahm der Mann ein neben der Tür an der Wand hängendes Telefon, tippte etwas ein und kündigte sie nach ein paar Sekunden an, bevor er auflegte und ihnen die Tür öffnete. Noah, der hinter seinem großen Schreibtisch gesessen hatte, erhob sich und kam mit einem sichtbaren Hinken auf sie zu.

Shizuka währenddessen trat ein und verbeugte sich mit Isamu im Arm mit den Worten: „Vielen Dank, dass sie Zeit für uns haben, Herr Kaiba.“

„Noah heißt das“ Er legte eine Hand auf ihre Schulter und richtete sie auf. „Und für dich habe ich immer Zeit. Setzt euch doch“ Er deutete auf die Sitzgruppe aus Couchen.

„Ist etwas mit deinem Fuß?“, fragte Katsuya, nachdem er das Hinken erneut bemerkte.

„Nicht wirklich. Es geht nur heute nicht so gut mit dem Laufen“ Der Mann lächelte etwas gequält. „An manchen Tagen will mein Körper nicht so wie ich.“

„Das muss ziemlich nervig sein, oder?“ Sie setzten sich alle.

„Ich vermute, es ist nicht so schrecklich anders, als gegen Dissoziationen zu kämpfen. Der Körper macht immer weniger und man versucht verzweifelt, ihn zu überzeugen, doch zu funktionieren. Es ist sehr frustran, wenn es nicht klappt“ Noah seufzte und deutete auf das Teeservice. „Getränkewünsche?“

„Tee“, anworteten sie im Chor, während seine Schwester noch ein „bitte“ hinzufügte.

„Wirklich?“ Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf dessen Lippen. „Und was für Tee?“

Shizuka sandte ihm einen hilfesuchenden Blick zu, worauf Katsuya nur mit den Schultern zuckte. Was hatte er schon für eine Ahnung von Tee? Sein Ausdruck schien auf jeden Fall stupide genug zu sein, dass es Noah zum Glucksen brachte.

„Soll es fruchtig, blumig, erdig, herb oder sanft sein?“

„Was ist denn ein erdiger Tee?“ Wenigstens wussten alle Anwesenden, dass er ein Vollidiot war. Konnte er auch blöde Fragen stellen.

„Ein Tee mit einem vollen Aroma. Es ist die Klasse der Phu Err aus China“, erklärte Noah geduldig, „möchtet ihr einen probieren?“

„Gern“, erwiderte Shizuka für ihn, „Bist du ein großer Teekenner, Noah? Ist es okay, wenn ich du sage?“

„Nicht okay, ich bitte darum. Und ja, ich liebe Tee sehr“ Er warf einen Blick zur Tür, doch Roland hatte sich schon ohne sein Zeichen aufgemacht, um Tee zu holen. „Kaffee macht einen wach, aber auch überdreht und manchmal aggressiv. Tee währenddessen kann vielerlei genutzt werden. Manche Tees machen wach, andere beruhigen. Man kann sie sehr gut zur Stimmungsstabilisierung nutzen.“
 

Auf eine etwas längere Erklärung über verschiedene Tees und deren Nutzen kam Roland auch recht bald mit einer Thermoskanne und verschiedenen Teezubehören wie Schalen, einer kleinen Kanne, einem Teesieb und der Teedose. Er fragte, ob er eine Zeremonie durchführen solle, worauf Noah um eine stille chinesische Zeremonie bat. Der im Anzug gekleidete, eher mittelalte Herr kniete also neben den Tisch, stellte ein schwarzes Brett auf und ließ sich von Noah das Service anreichen. Dort streute er Tee in das kleine Kännchen, goss es mit Wasser auf und begann die Schälchen mit heißem Wasser zu spülen, das in das schwarze Brett sickerte. Das Teesieb landete auf der Seite.

„Während der erste Aufguss zieht, könntet ihr mir ja berichten, was euch herführt. Gibt es ein bestimmtes Anliegen?“

Shizuka zog an Katsuyas Ärmel und sah bittend zu ihm auf, sodass er antwortete: „Mehrere. Zum einen dachte ich, Shizuka sollte mal sehen, wo sie einzieht und dich besser kennen lernen. Dann hatte Herr Sarowski sie um irgendwelche Entscheidungen bezüglich Geld gebeten, bei denen sie Hilfe braucht, weil sie sich überfordert fühlt. Und … nun, ich würde nachher gern bezüglich Seto nochmal allein mit dir reden. Wenn ich darf.“

„Da wollte ich ebenso mit dir reden, das trifft sich gut. Ich bin zwar stets auf der Seite meines Bruders, aber ich weiß, dass seine Wahrnehmung bisweilen ein bisschen verzerrt ist. Ich würde gern deine Seite der Story wissen“ Noah nickte bedächtig. „Aber vorher sollten wir auf jeden Fall diese Geldsachen besprechen. Ich bin zwar kein Bankier, aber ich traue mir da eine Menge Fachkompetenz zu. Und während wir beide dann sprechen, kann Roland ihr das Haus zeigen, damit sie einen Eindruck bekommt. In Ordnung so?“

„Danke schön! Ich habe mich schon ganz schlecht gefühlt, dass ich ihnen die Zeit wegnehme“ Shizuka drückte sich etwas an Katsuyas Seite. „Vielen Dank, dass sie das machen.“

„Duzen, Shizuka, bitte. Das Jugendamt möchte mich als deinen Vormund einsetzen und du ziehst bald hier ein. Ich möchte nicht, dass wir wie Fremde sind. Es ist mir ein Anliegen, dass wir uns gut verstehen. Ich bin vielleicht nicht mehr der Jugendlichste, aber ich halte mich doch für recht zuverlässig.“

Er kannte sich fraglos gut. Er war der totale Fels in der Brandung. Es war, als könnte den Mann gar nichts aus der Ruhe bringen. Seto schien ihm ja erzählt zu haben, was zwischen ihnen beiden gelaufen war, aber Noah kratzte das gar nicht. Er benahm sich überhaupt nicht anders als vorher. Okay, er war auch recht reserviert und ließ nicht unbedingt Gefühle raus hängen, aber er wirkte jetzt auch nicht so, als hätte er Probleme, die auszudrücken. Auch wenn die türkisen Haare irgendwie nicht zu passen schienen.

Roland servierte währenddessen die erste Runde Tee und begann den zweiten Aufguss.
 

„Was sind das denn für Geldsachen?“

„Uhm … ja … halt mal“ Shizuka drückte ihrem Bruder Isamu in den Arm und beugte sich zur Tasche hinab. „Also, ich habe hier ein paar Prospekte, die mir erklären sollen, wie das mit dem Geld funktioniert. Ehrlich gesagt verstehe ich die überhaupt nicht. Und ich weiß auch gar nicht, welches Geld ich überhaupt anlegen soll, ich habe doch gar keins. Und dann war da irgendetwas über Versicherungen, das habe ich schon gar nicht mehr verstanden. Allgemein bin ich ziemlich ratlos … ich weiß gar nicht, was jetzt eigentlich los ist ...“ Sie legte einen Stapel Papier auf den Tisch und schob ihn zu Noah hinüber. „Ich bin total verloren.“

„Dann wollen wir mal sehen, ob ich verstehe, um was es geht … lasst mich mal schauen ...“ Er begann die Blätter aufzuheben, kurz darauf zu sehen und in einzelnen Stapeln zu ordnen. „Hier sind Informationen über Versicherungen, Geldanlagen und dir zustehende Gelder … mhm … verstehe … ja, das macht Sinn“ Er verglich einige Blätter des dritten Stapels. „Ich denke, ich verstehe.“

„Huff ... das erleichtert mich total“ Shizuka warf Katsuya ein Lächeln zu, der gerade versuchte, eine passende Haltung zu finden, sodass Isamu nicht murrte. „Kannst du mir das erklären, Noah?“

„Ja, ich denke, ich bin so weit. Es sieht so aus, dass sowohl du als auch Isamu Kindergeld bekommen. Das kriegt man bis zum achtzehnten Lebensjahr und länger, wenn man in der Ausbildung ist. Da bekommst du also auch noch einige Zeit. Isamu ja sowieso. Dann gibt es einen Betrag, mit dem deine Mutter euch zu unterstützen hat. Der geht an dich. Theoretisch soll ich mir davon so viel nehmen, wie ich für passend halte, aber ich glaube, Geld ist das Letzte, was ich brauche. Also kriegst du auch das. Das ergibt dann zusammen ein nicht unbeträchtliches Sümmchen“ Er legte den einen Stapel zur Seite und zog die anderen zwei vor sich. „Also kommt die Frage auf, was mit dem Geld gemacht wird. Du musst entscheiden, wie viel du im Monat brauchst und wie viel du für Isamu ausgibst. Also praktisch dein Taschengeld, mit dem du für euch beide einkaufst. Spielsachen, Kleidung, aber auch Geld für Ausflüge, die du vorhast. Hast du eine Idee, was da realistisch ist?“

„Wie? Für uns?“ Sie sah zu Isamu. „Also … ich gebe im Monat nicht so viel aus. Ich kaufe mir Zeitschriften, Schminke, manchmal Kleider … habe ich da genug Geld für?“

„Wie viel gibst du dafür denn aus?“ Ein Lächeln legte sich auf Noahs Lippen.

„Ich bekam fünftausend Yen Essensgeld und nochmal fünftausend Taschengeld jede Woche“ Sie sah unsicher zu Katsuya. „Ich weiß nicht, ob das jetzt normal ist, aber ich bin damit immer recht glücklich gewesen. Reicht das Geld dafür? Ich kann natürlich auch Einschnitte machen, das geht.“

„Fünfzehntausend ist nicht wenig, aber völlig in Ordnung. Das passt in den Rahmen. Du kannst selbst entscheiden, ob du sparsamer sein willst oder das so gut ist.“

„Nun … ich kann davon auf jeden Fall auch Isamus Sachen bezahlen. Windeln und Babytücher sind ja nicht so teuer. Und lieber kaufe ich ihm eine Rassel als mir eine neue Handtasche. Davon habe ich genug.“

Katsuya nickte erstaunt. Dafür, dass seine Schwester ziemlich heftig gelebt hatte, war sie unerwartet bodenständig. Mit ihren Taschengeld für eine Woche hätte er einen ganzen Monat leben können. Anscheinend hatte seine Mutter wirklich Geld … er atmete nur tief durch und spielte mit Isamu. Nicht dran denken. Sie war Geschichte.
 

„Euer Essen hier und solche Sachen wie Windeln oder Tücher übernehme natürlich ich“, warf Noah ein, „du kannst jeden Tag auf die Einkaufsliste schreiben, was du brauchst und das wird besorgt. Es geht nur um das, was du für euch beide kaufen möchtest.“

„Uhm … dann komme ich mit weniger aus, denke ich. Das meiste Geld frisst eh das Schulessen“ Sie tippte mit dem Zeigefinger an ihr Kinn.

„Du kannst natürlich jederzeit von hier Essen mitnehmen.“

„Also … dass ich nicht mehr in der Kantine esse sondern ein Bento mitnehme? Würde mir das hier jemand machen? Ich kann das ehrlich gesagt nicht ...“

„Das ist kein Problem. Wir haben zwei Köche hier, einer wird sicherlich Zeit für ein Bento haben“ Noah nickte. „Es ist sehr lobenswert, dass du überlegst, wie du Geld sparen kannst. Mit deinem alten Taschengeld kann man in den Randbezirken von Tokio schon eine Wohnung mieten.“

„Okay … also wenn ich kein Essen mehr kaufe und nicht an den Tagesbedarf denke … theoretisch könnte ich dann ganz ohne Geld leben, aber ich möchte Isamu schon Spielzeug kaufen. Und ein Kinderwagen wäre toll, auf Dauer wird er doch recht schwer. Und ich brauche neue Hosen, weil die Umstandshosen jetzt zu groß sind, aber ich in meine alten noch nicht wieder passe. Andere BHs brauche ich auch. Und ein oder zwei Blusen … außerdem muss ich noch Schulbücher kaufen. Und neue Kunstsachen. Und vielleicht … ne, das ist nur schnick-schnack. Ich brauche kein neues Handy. Mein altes funktioniert wunderbar“ Sie begann an ihren Fingern etwas abzuzählen. „Also, wenn ich das verteile … obwohl … Noah, könnte ich diesen Monat mein ganzes Geld haben? Ich muss noch schrecklich viel für uns beide einkaufen, was ich bis jetzt nicht konnte. Und weißt du, wie viel ein Kinderwagen kostet?“

„Gemach, Gemach“ Er hob beide Hände. „Das lässt sich auf jeden Fall alles machen. Denk jetzt mal bitte nur daran, wie viel Geld du ungefähr brauchst, wenn du diese Dinge gekauft hast.“

„'Kay … nun … fünftausend die Woche sind wahrscheinlich zu viel, oder?“ Sie legte die Stirn in Falten. „Ich muss halt normale Kleidung kaufen und nicht Markenklamotten. Ich wollte eh nicht mehr in sein. Also wenn ich Normales kaufe … so zwanzigtausend im Monat? Ist das realistisch?“ Sie sah zu ihrem Bruder. „Wie lebst du denn?“

„Ich habe beim Jobben achttausend Yen die Woche gemacht und war damit sehr glücklich. Ich habe davon gegessen und alles gekauft, was ich brauchte“ Er brauchte nicht zu erwähnen, dass er das Gehalt noch nicht lange hatte und vorher von praktisch nichts lebte.

„Dann … ist fünfzehntausend auch hoch angesetzt?“, fragte sie unsicher in Noahs Richtung.

„Ich halte fünfzehntausend für eine junge Dame mit Kind für angemessen. Das kann man ruhig so belassen. Das heißt, vom Rest werden die nötigen Versicherungen bezahlt und alles andere legen wir an. Ab nächstem Jahr, damit du bis dahin Geld hast, um euch besser auszustatten und Weihnachtsgeschenke zu kaufen“ Sie lächelte und seufzte erleichtert, worauf Noah nur nickte. „Also erkläre ich dir jetzt Versicherungen und Geldanlagen.“

Geldanlagen

Man möge mir verzeihen, aber seit ich bei einem Finanzdienstleister arbeite, habe ich festgestellt, dass Menschen - besonders Deutsche - so wenig über Anlagen wissen, dass ich diese Gelegenheit für ein wenig mehr Aufklärung nutzen möchte. Es fällt nicht in den Bereich Psychologie/Philosophie, aber vielleicht mögt ihr diese kurze Ausführung ja trotzdem. Ansonsten danke ich für die treuen kommentarschreibenden Seelen, die trotz des heißen Sommers und des Ferienlochs noch Meldungen geben. Ihr baut mich auf!

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: Die Veröffentlichung des Buches "Tote Gesellschaft" geht voran. Wir könnten heute den Meilenstein des fertigen Covers gelegt haben!
 

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Geld. Irgendwie unangenehmes Thema. Wer über Geld sprach – besonders darüber, wie viel er oder sie hatte – wurde direkt als Angeber hingestellt. Noah währenddessen konnte sich das leisten. Er war einfach stinkreich. Er musste damit auch kaum angeben. Trotzdem hinterließ es irgendwie ein ungutes Gefühl, das anzusprechen. War Geld irgendwie ein Tabuthema? Doch eigentlich nicht, oder? Warum fühlte er sich dann so komisch? Katsuya seufzte unhörbar und schüttelte über sich selbst den Kopf. Zuhören und lernen.

„In Versicherungen zahlt man monatlich ein und meldet sich, wenn man Geld für die jeweilige Leistung des Versicherers braucht. Theoretisch braucht man nicht für alles eine Versicherung, aber ein paar sind normalerweise recht sinnvoll. Wir haben auch vom Gesetz einige vorgeschrieben, das sind die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Pflegeversicherung und die Rentenversicherung. Das heißt, du kriegst Geld, wenn du medizinisch versorgt werden musst, sei es privat oder durch einen Arbeitsunfall oder wenn du deinen Beruf verlierst. Theoretisch kriegst du auch Geld, wenn du in Rente gehst, aber das reicht bei weitem nicht, daher braucht jeder Mensch eine Altersvorsorge. Das kann man zum Beispiel mit einer Zusatzrentenversicherung, einer Lebensversicherung oder Geldanlagen – da komme ich nachher nochmal drauf. Ansonsten ist eine sinnvolle Versicherung eine Haftpflichtversicherung. Wenn du etwas kaputt machst oder jemanden aus Versehen verletzt, trägt die die Kosten. Und sehr sinnvoll sind Versicherungen, wenn du mal eine eigene Wohnung, ein Auto oder andere Vermögenswerte hast. Da gibt es Hausratsversicherungen, Brandschutzversicherungen, Glasbruchversicherung, alles, was dir so einfällt. Klar soweit?“

Shizuka nickte langsam, nahm Isamu wieder in ihren Arm und wiederholte langsam: „Also ich habe schon diese gesetzlichen Versicherungen und ich brauche eine Haftpflichtversicherung, richtig? Und eine Altersvorsorge ... bin ich da nicht ein bisschen jung für?“

„Je jünger, desto besser. Isamu braucht auch eine Altersvorsorge. Und bei Minderjährigen gilt normalerweise die Haftpflicht der Eltern, da werde ich Herrn Sarowski mal anrufen, ob meine für dich mit zählt oder sonst die deiner Mutter“, erklärte Noah ruhig. Eins musste man ihm lassen, er schien wirklich zu wissen, wovon er sprach. Wirkte zumindest so.

„Waren das dann alle wichtigen Versicherungen?“

„Es gibt noch die Berufsunfähigkeitsversicherung und die Berufshaftpflichtversicherung. Wenn du zum Beispiel Tierärztin wirst und dann eine schwere Allergie gegen Tierhaare entwickelst, dann könntest du deinen Beruf nicht mehr ausüben. In dem Fall würde die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlen. Je nachdem, was du mal machen willst, ist das eine sinnvolle Versicherung. Da musst du Kosten und Nutzen abwägen. Die Berufshaftpflichtversicherung gilt nur für wenige Berufe, wo aus dem Beruf größere Schäden entstehen können. Ärzte brauchen so etwas zum Beispiel.“

„Sollte man die auch jetzt schon abschließen oder erst, wenn ich weiß, was ich mal mache?“

„Erst dann.“

„Cool“ Sie lächelte. „Dann muss ich mich gerade nur um meine Altersvorsorge kümmern, oder? Und um eine Haftpflichtversicherung, wenn keine andere für mich gilt.“

„Ganz genau“ Noah nickte mit einem leichten Lächeln und einer Spur von Stolz in den Augen. „Es ist also gar nicht so schrecklich viel, an das du denken musst.“

Na, das war ja mal leicht. Trotzdem gut, dass Seto für ihn an so etwas dachte. Er meinte doch, er würde Versicherungen für ihn zahlen, nicht? Er sorgte schon extrem für ihn ... bei allen Göttern, das erweckte gerade echt den Wunsch, nach Hause zu rennen und ihn in den Arm zu nehmen.
 

„Was wisst ihr denn über Geldanlagen?“, fragte Noah, während er sich etwas zurück lehnte, ein Bein über das andere und darauf seine verschränkten Hände legte.

Es heimste nur einen Blick in Katsuyas Richtung ein, welcher mit den Schultern zuckte. Shizuka versuchte sich also an einer Antwort: „Es gibt ... Sparbücher. Und Bausparverträge, davon habe ich im Fernsehen gehört.“

„Richtig“ Noah atmete tief ein und nickte langsam. „Dann lasst mich vielleicht anders anfangen ... ihr wisst, was Zinsen sind?“

„Das ist ein Prozentwert von den eigenen Schulden, den man regelmäßig zahlen muss“, warf Katsuya ein. Er hatte ja keine Ahnung von Geld, aber das wusste er. Schließlich wollte er Seto sein Geld irgendwann mit Zinsen wiedergeben.

„Das sind unter anderem Zinsen. Aber Zinsen gibt es auch als Plus für das selbst angelegte Geld. Also wenn man der ist, der das Geld verleiht. Und Geldanlagen sind genau das: das Verleihen von Geld zu einem möglichst hohen Zinssatz“ Der Mann sah zwischen ihnen beiden hin und her. „Habt ihr schon einmal von dem Begriff Inflation gehört?“

„Der steht auf dem Lehrplan für dieses Jahr“ Shizuka sah erwartungsvoll zu ihrem Bruder.

„Das war für mich vor zwei Jahren, wo ich definitiv nicht aufgepasst habe“ Obwohl er zumindest halbwegs da gewesen war, weil Yami ihn dazu gebracht hatte, Schule wieder etwas ernster zu nehmen. Schließlich war es das Abschlussjahr seiner Mittelschule gewesen. Zum Ende war er ja sogar oft genug da gewesen, um so gute Noten zu kriegen, dass sie ihn zur Oberschule zugelassen hatten.

„Ich verstehe, warum du dich überfordert fühlst“ Noah legte eine Hand an sein Kinn und sah kurz Richtung Decke. „Wie erkläre ich das am besten? Hm ... machen wir es einfach. Durch verschiedene Faktoren wird euer Geld stetig weniger wert, das ist Inflation. Vor dreißig Jahren zum Beispiel hat man für fünfhundert Yen einen Monat lang essen können, heute kriegt man davon ein Menü in einem schlechten Restaurant. Verständlich?“ Sie beide nickten langsam. „Das bedeutet natürlich auch, dass das Geld, wenn ihr alt seid, weit weniger wert ist. Wenn man also jetzt eine Millionen Yen auf dem Konto hat, dann ist das recht viel, aber wenn ihr alt seid, dann ist das das Geld, was man für zwei Monate zum Leben braucht.“

„So viel?“ Shizukas Stirn legte sich in Falten und ihre Lider weiteten sich.

„Erschreckend, nicht? Es gibt eine jährliche Inflationsrate, die schwankt zwischen zwei und drei Prozent. Wenn man also Geld anlegt, dann muss es mindestens drei Prozent Zinsen geben, sonst macht man Minus. Ist dieses Konzept verständlich?“

„Denke schon“, murmelte Katsuya, „auch wenn es komisch klingt, wenn man sagt, dass zwei Prozent jährliche Einnahmen Minus machen.“

„So ist der Lauf der Dinge. Viele wissen das nicht und legen ihr Geld daher nicht sinnvoll an. Sparbücher geben meist nur einen halben Prozent, Tagesgeld um die zweieinhalb und Festgeldanlagen ungefähr drei Prozent. Bausparverträge sind oft in einem ähnlichen Rahmen.“

„Aber dann ist das doch voll nicht sinnvoll“, warf der Blonde ein, der langsam das Gefühl bekam, dieses Gespräch zu kapieren.

„Es ist sinnvoll, wenn das Geld kurzzeitig gebraucht wird. Tagesgeld kann man täglich wieder abrufen und Festanlagen werden meist auf ein bis drei Jahre festgelegt. Je nachdem, wie lange man Geld anlegen kann, muss individuell geguckt werden, welche Anlageform sinnvoll ist. Denn solche Anlagen sind zum Beispiel für eine Altersvorsorge nicht sinnvoll, da kann man lang planen. Und je länger man Geld verleihen kann, desto mehr Zinsen kann man dafür auch verlangen, das ist das Grundprinzip aller Anlagen. Wenn man Geld für zwanzig Jahre verleiht, ist ein Kurs von ungefähr acht Prozent angemessen“ Noahs Stimme war ruhig und seine Gesten unterlegten das Gesprochene. Er wäre echt ein super Lehrer, wenn er das werden wollte. Warum mussten unbedingt Leute, die das kaum konnten, an die Schulen gehen?
 

„Nun gibt es aber nur sehr wenige Banken, die einem acht Prozent geben würden. Also muss man dahin gehen, wo die Banken ihr Geld anlegen. Wisst ihr, wo das ist?“

Shizuka, die Isamu eine Hand gegeben hatte, damit er mit ihr spielte, zog den freien Arm vor ihre Brust und meinte: „Etwa an der Börse? Ist das nicht schrecklich unsicher?“

„Was verstehst du denn unter der Börse?“

„Uhm ... Aktien? So hieß das doch, oder?“ Sie sah erneut hilfesuchend zu Katsuya, der mit den Schultern zuckte. Woher sollte er irgendetwas hierüber wissen?

„Aktien sind eine Sache, die an der Börse gehandelt werden. Und da hast du richtig gehört, da sind viele recht unsicher. Die meisten Aktien gehören zu einer speziellen Firma, mit deren Erfolg oder Misslingen der Aktienwert steigt oder sinkt. Meine Firma, die Kaiba Corp., hat rechte reliable Aktien, also Aktien, wo man sich sicher sein kann, dass sie steigen. Es gibt allerdings auch noch andere Anlagen an der Börse, das sind zum Beispiel Rentenpapiere – die haben übrigens nichts mit der Rente zu tun – Devisen oder Fonds. Es gibt noch mehr, aber das ist recht kompliziert. Ich denke, das, was für dich wichtig ist, sind Fonds. Hast du davon schonmal gehört?“

„Ich kenne Fonds als Grundlage für Saucen zum Fleisch“, antwortete Shizuka trocken, „ich denke nein.“

„Es gibt sehr viele Arten von Fonds. Zuerst einmal ist es wichtig, ob hinter Fonds ein Mensch oder eine Maschine steckt. Das nennt man aktiv oder passiv gemanagt, beziehungsweise unterscheidet man in der Fachsprache zwischen Fonds und ETFs, also Exchange traded funds. Wer auch immer dieser Manager ist, er kauft und verkauft Aktien, Rohstoffe, Immobilien und alles andere, was man so an der Börse kriegen kann. Das Hauptziel eines Fonds ist es, einen guten Umsatz zu machen. Und in solche Fonds kann man investieren. Klar soweit?“

„Der Manager kann aber auch Scheiße bauen, oder? Für mich hört sich das nicht sehr sicher an“ Katsuyas Stirn lag in Falten.

„Natürlich kann er oder sie das. Deswegen muss man auch aufpassen, welche Fonds man kauft. Kein Fond ist wie der andere, es gibt gute und schlechte. Es kann auch eine Katastrophe kommen wie der Angriff auf das World Trade Center, danach war die Börse schwer beschädigt. Es kann auch sein, dass sich Staaten völlig verkalkulieren, das bringt die Weltwirtschaft ebenfalls ins Wanken. Was du allerdings bedenken musst, ist, dass auch Banken ihr Geld dort investieren. Und während eine Bank bankrott gehen kann bei schlechter Wirtschaft, macht ein Fond das eher selten. Denn ein Fond kann selbst ohne Manager noch bestehen, weil niemals alle Aktien und anderen Anlagen aufhören zu existieren. Die Bank währenddessen braucht eine Verwaltung und Mitarbeiter. Fonds sind demnach sogar sicherer als Banken, wenn der investierte Betrag über das hinaus geht, was gesetzlich im Fall eines Bankbankrotts gesichert ist. Und so jemand wie Seto oder ich oder auch ihr drei, wenn ihr für eure Altersvorsorge spart, kommt sehr schnell über diesen gesicherten Betrag hinaus.“
 

Huh. Okay. Er konnte sich nur erinnern, irgendwo gehört zu haben, dass nur Spekulanten an die Börse gingen. Aber das galt dann wohl für Aktienspekulanten. Es gab also auch sichere Anlagen dort. Eher gesagt, es war sogar sicherer als Banken ... ziemlich komische Vorstellung.

„Was natürlich sein kann, ist, dass ein Manager wirklich schlecht ist oder plötzlich stirbt, krank wird oder ähnliches. Deswegen ist es sinnvoll, in große Fondverbünde zu investieren, so genannte KAG, das sind Kapitalanlagegesellschaften. Dort wird darauf geachtet, dass die von ihnen eröffneten Fonds eine gute Qualität haben. Carmignac, Templeton, Fidelity oder Pioneer sind da ganz große Namen. Auch da kann natürlich etwas schief laufen, aber im Großen und Ganzen sind das gute Gesellschaften. Es geht natürlich immer etwas rauf und runter, aber über die Jahre gesehen haben sie einen recht stabilen Prozentsatz. Zumindest war das in den letzten einhundert Jahren so.“

„Also suche ich mir einen Fond aus und stecke dort mein Geld rein?“ Shizuka legte den Kopf ein Stück zur Seite.

„Am besten legst du dein Geld bei mehreren Fonds an. Selbst wenn einer plötzlich schlecht läuft, kannst du dich meist auf die anderen verlassen. Auch ist wichtig, dass dein Geld weltweit angelegt wird. Dann ist auch die Frage, welche Art von Fond du nimmst. Es gibt Aktienfonds, die können schnell steigen, aber auch schnell fallen und es gibt Mischfonds, die sind sehr konstant, steigen dafür aber nur langsam. Und natürlich gibt es noch eine riesige Latte anderer Fonds. Es kommt völlig darauf an, wie viel Risiko du eingehen willst. Dafür geht man normalerweise zu einem Berater. Das können Berater bei der Bank oder freie Finanzdienstleister sein. Die haben meistens ein Paket von Gesellschaften, die sie empfehlen, sodass Zweitmeinungen da sehr wichtig sind. Ich könnte dir also eine Empfehlung ausstellen und du gehst dann zu einem oder zwei Beratern für eine Zweitmeinung.“

„Ich vertraue dir da“, meinte sie sofort, „du hast mir das erklärt, also glaube ich, du kannst es nicht schlecht mit mir meinen.“

„Ich fühle mich geehrt“ Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und seine Körperspannung nahm ein wenig ab. „Du kannst dein Geld übrigens noch in anderer Form als bei der Bank oder der Börse anlegen, nur der Vollständigkeit halber. Du kannst zum Beispiel Gold oder Wertstücke im Allgemeinen kaufen. Die können allerdings geklaut werden und werden meist von der Versicherung nicht vollständig ersetzt. Oder du kaufst Immobilien und vermietest diese. Da ist allerdings zu sagen, dass Renovierungen, Sanierungen und Neuvermietungen sehr kostspielig sein können und viel Zeit in Anspruch nehmen. Einem muss also klar sein, dass das wie ein weiterer Job ist. Das soll alles nicht heißen, dass das schlechte Anlagen sind. Es macht sogar sehr viel Sinn in Fonds, feste Geldanlagen und solche Anlagen zu investieren. Aber es ist keine schlechte Idee mit Fonds zu starten, wenn man im Monat nicht so viel beseite legen kann.“

„Fonds hören sich gut an“, entschied Shizuka, „wie viel legt man da beiseite?“

„Ab fünftausend Yen aufwärts. Ich würde das mit dir nochmal im Einzelnen durchrechnen.“

„Dann nehme ich Fonds.“

„Außer du sagst, dass du jetzt auf ein Auto oder eine Eigentumswohnung sparen willst und nicht so sehr an das Alter denken magst. Für Isamu machen Fonds auf jeden Fall Sinn, weil er mindestens achtzehn Jahre anlegt, aber du könntest das Geld möglicherweise in wenigen Jahren brauchen. Was planst du denn so?“

„Äh ...“ Sie blinzelte und setzte sich auf, bevor sie auf ihre Unterlippe biss und einen weiteren Blick zu Katsuya sandte. „Ähm ... weiß ich nicht?“ Sie zog den Kopf ein. „Ich weiß doch nicht einmal, was ich mal werden will ...“

„Dann schlage ich vor, dass du einfach in Ruhe darüber nachdenkst. Das mit den Fonds hat noch mindestens anderthalb Monate Zeit. Wenn du dich gar nicht entscheiden kannst, kannst du immer noch sagen, dass Isamu das ganze Geld kriegt.“

Ein Glück, dass er kein Geld bekam. Das rettete ihn vor so einigen Entscheidungen. Moment mal ... er wandte sich an Noah: „Kriege ich eigentlich auch irgendwelches Geld?“

„Theoretisch schon. Die müsstest auch Kindergeld und Unterstützung von deinen Eltern kriegen. Frag da am besten Herrn Sarowski nach.“

Interessant ... sackte Seto sein Geld ein? Und der Vertrag bezüglich seines Taschengelds, was er zurück zahlen wollte ... sein Freund hatte ihn doch nicht betrogen, oder? War die Sache mit dem Geld ein Weg gewesen, ihn an sich zu binden?

Aushalten

So, ich werde jetzt gleich das veränderte letzte Kapitel (ja, euren Anmerkungen sei Dank) hochladen. Letzte Woche war ich leider zu geschafft, um die Kapitel noch fertig zu kriegen, da wir ein wenig renoviert haben. Ab jetzt sollte aber alles wieder regelmäßig laufen ^.-

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Wie gefällt euch der Tee?“, fragte Noah nach.

„Wunderbar“ Shizuka lächelte. „Ich wusste gar nicht, dass man Tee mehrfach aufgießen kann und er dabei sogar besser schmeckt.“

„Manche Tees entfalten ihr Aroma erst mit der Zeit. Besonders Oolong ist erst mit dem dritten oder vierten Aufguss wirklich gut. Man darf nicht glauben, dass ein Teeblatt mit einem Aufguss schon verbraucht ist. Das Trinken von Tee ist eine Frage der Geduld.“

Genau so wie eine Beziehung mit Seto. Es war eine Frage der Geduld. Und der erste Aufguss gab nur einen schalen Geschmack. Hoffentlich war das Ganze nicht seine einzige Chance gewesen und Seto nahm ihn zurück ... an eine Zukunft ohne ihn mochte er gar nicht denken. Das schien unvorstellbar.

„Wenn du versuchst, die Zukunft aus den Teeblättern zu lesen, solltest du die Kanne nehmen, Katsuya.“

Der Blonde sah auf und blinzelte. Häh? Was ... oh, ein Scherz. Noah lächelte ihn an. Shizuka kicherte ob seines sicherlich dümmlichen Gesichtsausdrucks. Peinlich. Wie lange hatte er wohl in seine Tasse gestarrt? Hatten die beiden über ihn gesprochen, während er in Gedanken versunken gewesen war?

„Äh ... ja. Magst du Isamu wieder nehmen?“, wandte er sich an seine Schwester.

„Sicherlich. Ich vermute, ich werde mir dann mal das Haus zeigen lassen, nicht wahr?“ Sie sah kurz zu Noah, bevor sie sich Roland zuwandte. „Werden Sie mich führen?“

„Gern, Madame“, antwortete der sicher Mitte vierzig alte Mann und erhob sich aus dem Seiza, den er trotz seines Anzugs eingenommen hatte, „folgen sie mir bitte. Soll ich nach einer Trage für Ihren Sohn schicken lassen?“

„Oh- ähm- ja- also nein ... nein, danke“ Sie errötete. „Ähm ... könnten Sie mich bitte duzen? Ich heiße Shizuka.“

„Natürlich, Miss Shizuka. Entschuldige bitte, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe“ Er deutete eine Verbeugung mit der Hand an der Brust an, bevor er damit zur Tür deutete. Als sie ein paar Schritte dorthin gemacht hatte, ging er vor, um ihr diese aufzuhalten.

„Nun ... bis später dann“ Sie lächelte und winkte noch einmal kurz.

„Viel Spaß dir“, wünschte Katsuya.

Auf eine Haustour hatte er jetzt auch Lust. Nicht nur, dass das Haus sicher wunderschön war, es würde ihn vor dem folgenden Gespräch retten. Eigentlich wollte er ja nur um Rat fragen, aber dass Noah ihn für seine Taten verdammte, war natürlich auch eine Möglichkeit. Er war mittlerweile sicher, dass seine Worten zumindest nichts für seine Schwester ändern würden, aber ... was, wenn Noah meinte, dass er sich von Seto forthalten sollte? Dass er auszuziehen hatte? Noah war praktisch Setos einziger zurechnungsfähiger Betreuer, jetzt, wo Yami ... wo die beiden wegen ihm nicht mehr miteinander sprachen. Shit. Das hatte er sowas von nicht gewollt. Warum war das alles so vor die Hunde gegangen? Wenn er sich so verkalkuliert hatte, konnte er seinem Urteil eigentlich noch trauen? Seiner Überzeugung, dass es für Seto und für ihn das Beste war, wenn sie sich wieder vertragen würden ...

Was, wenn Noah sagte, dass er für Seto untragbar war? Eine Liabilität? Nichts als ein Egel, der noch das letzte bisschen Kraft aus seinem Bruder saugte ... nichts als ein Insekt, das zerquetscht gehörte. Was, wenn Seto recht gehabt hatte? Wenn er wirklich nicht zu retten war? Wenn er einfach unwiderruflich böse und schlecht war? Waren Yami und Seto nur verblendet gewesen, weil sie ihn liebten? Was, wenn seine Mutter doch Recht gehabt hatte ... wenn er einfach nur ein Monster war. Wenn alles, was er anfasste, kaputt ging – ganz egal, ob er es wollte oder nicht. Wenn er wirklich nur ein Ungeheuer war, das das Leben anderer zerstörte. War es besser, wenn es ihn nicht gab? Fiel er nicht einfach nur jedem zur Last? Vielleicht war es besser, wenn er nicht mehr existierte. Vielleicht war es besser, wenn er verschwand und nie wieder kam.
 

Klack. Klackklackklack.

Katsuya blinzelte und ließ den Blick nach links schweifen. Tasten. Bildschirm. Finger. Wo war er? Er schloss die Lider und kniff die Augen zusammen, bevor er sie öffnete, um klar zu sehen. Da war Noah auf einem Bürostuhl, nicht einmal einen Meter von ihm entfernt. Er tippte auf die Tastatur und beobachtete dabei den Bildschirm.

Wieso saßen sie am Schreibtisch? Und wo ... er sah an sich hinab und registrierte seinen recht bequemen Sitz als Rollstuhl. Warum saß er in einem Rollstuhl? War das nicht Noahs? Warum saß er in Noahs Rollstuhl?

„Katsuya?“

Sein Blick zuckte erschrocken hoch.

Noah lächelte und rückte in seine Richtung, sodass ihre Stühle fast gegeneinander schlugen. Er zog etwas aus dem Unterschränkchen und hob es hoch mit den Worten: „Möchtest du ein Pfefferminzbonbon?“

Mit gerunzelter Stirn legte Katsuya den Kopf zur Seite.

„Seto hilft das. Ich habe auch andere Skills hier, wenn du darauf nicht reagierst.“

Skills? Häh? Das Wort ... er kannte das Wort, aber ... egal, so ein Bonbon konnte er nehmen, wenn ihm das irgendwie half, nicht so verdammt verwirrt zu sein. Er hob eine Hand und wartete.

Noah regte sich nicht und schien abzuwarten.

Seine Lider verengten sich. Wollte Noah ihm das Zeug jetzt verfüttern oder nicht? Er wies mit dem Blick auf seine Hand, die-

Oh.

Seine Hand war nicht gehoben.

Katsuya schloss die Lider, ließ den Kopf sinken und seufzte. Shit. Dissoziationen. Das hatte er ja wohl auch früher erkennen können. Skills waren diese Sachen, mit denen er seine Dissos unter Kontrolle halten konnte. Wie die Eiswürfel oder Gummis an den Handgelenken oder diese Hockübungen. Pfefferminzbonbons waren eine gute Idee. Ein scharfer Reiz, um ihn in der Realität zu halten. Er sah wieder auf und nahm die Spannung aus seinem Unterkiefer. Wenn sein Arm schon nicht mitmachte, sein Kopf gehorchte ja anscheinend.

Noah legte ihm ein solches Bonbon auf die Zunge, ohne auch nur eine Miene zu ziehen. Er lächelte, als Katsuya es schaffte, seinen Mund zu schließen. Nach ein paar Sekunden meinte er: „Belastet dich der Gedanke an ein Gespräch mit mir so sehr oder gab es einen anderen Grund?“

Gute Frage ... was war noch mal geschehen, nachdem Shizuka gegangen war? Nichts, oder? Er konnte sich nur erinnern, dass er über irgendetwas nachgedacht hatte. Was war das gewesen? Es ging um die derzeitige Situation, oder? War das wegen des anstehenden Gesprächs- mit einem Mal schmeckte das Bonbon nach nichts mehr.

Okay, es war das Gespräch. Er hatte Dissos aus Angst vor dem Gespräch.

„Ich ... habe Angst ... dass ... dass du sagst, dass ... dass ich Seto ... verlassen ... nie wieder sehen soll“, brachte er leise hervor, ohne genau zu wissen, wie lange Pausen er zwischen den Worten gelassen hatte.

„Wenn du das solltest, dann nur, wenn mein Bruder das sagt und meint. Ich entscheide das nicht. Ich vertraue darauf, dass er auf sich selbst achten kann“, erwiderte Noah sanft.

„Kann er ... nicht ... er trinkt wieder ...“

Das Lächeln verließ das Gesicht seines Gegenübers. Er schloss kurz die Lider, seufzte und stützte sein Gesicht auf eine Hand. Mit dieser fuhr er über Augen, Nase und Lippen, bevor er sie unter dem rechten Unterkiefer platzierte. Relativ monoton statierte er: „Das ist schlecht.“
 

Ein paar Momente schwiegen sie sich an.

Noah, versunken in Gedanken, sah zwar in Katsuyas Augen, doch schien nicht wirklich ihn vor sich zu haben. Sein Zeigefinger legte sich über seine Lippen. Mit einem Seufzen sank sein Blick, bevor er nickte und sich aufsetzte. Er fragte: „Gibt es etwas, mit dem du gut in die Realität zurückfindest?“

„Eis“, hauchte der Blonde.

Noah wandte sich dem Schreibtisch zu, drückte einen Knopf auf dem Telefon und ein Klingeln erschallte. Nach zwei mal wurde abgenommen und über die Freisprechanlage gesagt: „Küche?“

„Ich hätte gern ein paar Eiswürfel in mein Büro, bitte.“

„Werden geschickt, Chef.“

„Danke“ Er drückte einen weiteren Knopf. „Dann warten wir besser so lange, nicht? Du kommst dann allein wieder aus deinen Dissoziationen?“

„Ja“, murmelte Katsuya.

„Gibt es noch irgendetwas, auf das ich mich vorbereiten sollte, wenn ich mit dir ein belastendes Gespräch führe?“

Er könnte aufhören, so lieb zu sein. Es würde es leichter machen, sobald die Ablehnung kam. Katsuya atmete innerlich durch. Nein. Es würde keine Ablehnung kommen. Noah würde ruhig zuhören. Er würde ihm sagen, dass er Scheiße gebaut hatte. Und dann würde er ihm sagen, was er tun sollte, um aus all diesem Mist wieder rauszukommen. Auf Noahs Frage schüttelte er den Kopf langsam.

Noah beobachtete ihn. Was mochte er denken? Dass Katsuya jämmerlich war? So fühlte er sich zumindest mit diesen Dissoziationen. Er konnte sich eingestehen, dass er Angst vor diesem Gespräch hatte. Diese Angst löste die Dissoziationen aus. Die Dissoziationen lösten Scham aus. Die Scham warf ihn zurück in Dissoziationen. Heureka ... war Selbstreflexion nicht etwas Schönes? Und was machte er jetzt?

Ring.

Katsuya zuckte heftig zusammen.

Telefon. Nur ein Telefon ... bei allen Göttern, das hatte ihn verdammt erschreckt. Wenn er jemals ein Büro bekam, dann eins, wo man klopfte, um rein zu kommen, nicht anrufen. Noah drückte ihm ein Eisstück in die Hand.

Kalt.

Schmerz.

Er blinzelte und atmete tief durch.

„Bereit?“, fragte Noah nach.

„Bereit“, murmelte Katsuya mit wenig Überzeugung.
 

„Wie geht es Seto?“

„Beschissen“ Danke. Danke, dass er nicht zuerst nach dem Grund all dessen gefragt hatte. „Ich habe ihn gestern morgen um fünf Uhr mit einer Flasche Cognac im Wohnzimmer gefunden.“

„Hm. Und vorher?“

„War er ... verschlossen. Aggressiv. Verletzend. Nein, eigentlich nicht aggressiv, eher ... unterschwellig wütend und dabei geplant ... brutal in seinem Verhalten“ Auf die Kälte konzentrieren. An den Schmerz denken. Nicht in die Gefühle ziehen lassen, die die Erinnerungen mit sich brachten.

Wut. Schmerz. Enttäuschung. Da kochte ein Kessel in ihm. Am liebsten würde er Seto schlagen. Am liebsten würde er sich verkriechen und heulen.

„Das ist ein Zustand, den ich nur zu gut kenne. Das heißt, er steht unter Stress und kommt mit der Realität nicht klar“, erwiderte Noah ruhig, „das hatte ich hier drei Jahre lang. Länger, wenn man es genau betrachtet, nur hatte er unter Gozaburo noch viele andere Probleme, sodass es nicht so auffiel.“

„Wie hat es wieder aufgehört?“ Katsuya erhob hoffnungsvoll den Blick.

„Indem er auszog und ich ihn damit nicht mehr sehen musste“ Noahs Augenbrauen wurde in die Höhe gezogen. „Schlicht und ergreifend. Der Zustand selbst hielt an, bis ... tja, wenn ich es ganz genau nehme, bis er mit dir im Oktober hier auftauchte. Das ist das erste mal gewesen, dass ich ihn ruhig und liebevoll erlebt habe.“

Rumms. Aus dem hohen Flug der Hoffnung zurück auf den Boden der Tatsachen. Katsuya drückte so fest auf den Eiswürfel, dass dieser knackte. Scheiße ... hieß das, dass der Seto, den er jetzt erlebte, der ganz normale Seto war? Der nur in den letzten zwei Monaten ihrer Beziehung ganz anders gewesen war. Wie hatte Yami ihn ausgehalten? Wie Yugi? Wie ... Mokuba, der Drogen genommen hatte ... gab Seto sich vielleicht zurecht die Schuld? Hatte er seinen Bruder da rein getrieben?

„Wie hast du es ausgehalten?“, flüsterte Katsuya, obwohl es gar nicht die Frage gewesen war, die er hatte stellen wollen. Diese hier war einfach über seine Lippen gerutscht.

„Ich habe mich daran erinnert, dass ich das freiwillig tue. Bei ihm zu sein und mich um ihn zu kümmern“ Noahs Blick schweifte in die Ferne. „Ich habe akzeptiert, was er getan hat und mich immer an den Jungen erinnert, der von meinem Vater geschlagen worden war.“ Er stieß die Luft aus, schloss die Lider und schüttelte den Kopf. „Das hätte ich zumindest vor wenigen Wochen gesagt. Ich glaube, heute weiß ich das besser. Ich habe mich schuldig gefühlt wegen all dem, was mein Vater ihm angetan hatte. Ich bin bei ihm geblieben, weil ich Buße tun wollte. Und weil ich mich schuldig gefühlt habe, habe ich auch nichts getan, wenn er mich geschlagen und beleidigt hat. Ich habe meine Wünsche verneint, aber am liebsten hätte ich ihn damals angeschrieen und zurück geschlagen, so wie Mokuba es getan hat“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber vielleicht war ich auch nur feige, wer weiß. Ich konnte mich damals ohne meinen Rollstuhl kein Stück bewegen. Ich war hilflos, wenn Seto mich runterzog und ihn wegtrat.“

„Du hast ihn ertragen, weil du deine eigenen Wünsche zurück gestellt hast?“, versuchte Katsuya mit einem immer schlechterem Gefühl zusammenzufassen.

„Nein. Weil ich Angst hatte. Das wird mir gerade erst klar, wo wir jetzt darüber reden, aber ich glaube, ich hatte damals einfach nur so viel Angst ... mein Vater hatte mich enterbt, weißt du? Ich war ein Krüppel ohne jeden Penny. Ich lebte in diesem Haus und aß nur auf Gutdüngen meines gewalttätigen Bruders. Ich habe ihn wirklich nur ausgehalten, weil ich zu viel Angst davor hatte, was wäre, wenn ich es nicht täte. Ich war auch gerade mal siebzehn, als das wirklich losging“ Noah seufzte und schüttelte den Kopf. „Nach Setos Auszug habe ich all das verarbeiten können. Ich glaube, erst da bekam ich langsam dieses Bild eines Verzweifelten, der einfach nur einen Hilfeschrei nach dem nächsten gesandt hat, weil ihm das Leben zu viel war. Ich denke, ich habe diese Einstellung der Zeit angedichtet, als er noch hier lebte. Ich glaube, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich ihn damals einfach nur ertragen, weil ich keinen Ausweg wusste“ Die blaugrünen Augen legten sich wieder auf Katsuya. „Entschuldige bitte, das ist sicherlich wenig aufbauend für deine Situation gerade.“

Lebenspartner

Nächste Woche habe ich das erste Mal in meinem Leben Nachtschicht :) Mal gucken, wie das wird. Ich habe echt noch keine Ahnung, wie gut mein Körper das aushält.

Was das Buch "Tote Gesellschaft" angeht, so muss ich die guten Nachrichten zurück nehmen. Der Grafiker des Verlags hat Scheiße gebaut und jetzt muss das Cover komplett neu gemacht werden. Wir knirschen mit den Zähnen und wetzen die Schwerter hier... äh, ja. Beachtet meine Phantasien nicht *pfeif*

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^.^ Und vielen Dank für eure lieben Kommentare!
 

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„Das ... das heißt, du hast keine Ahnung, wie ich Seto helfen kann?“ Katsuyas Stirn lag in tiefen Falten, die Augen glänzend schimmernd.

„Das ist damit nicht gesagt. Ich hatte keine, als wir zusammen lebten und ich mich in dieser Situation befand. Damals war ich hilflos. Heute bei weitem nicht mehr.“

Allen Göttern sei Dank. Danke. Danke! Natürlich wusste Noah, was zu tun war. Wenn es ein Problem gab, was dieser Mann nicht lösen konnte, war irgendetwas falsch. Noah war wie Yami, nur stabiler, wenn auch ohne das ganze Fachwissen. Aber er kannte einfach die Anwendung. Oder wirkte so. Egal, er beruhigte einen.

„Wenn Seto ausfällig wird, dann weil ihm alles zu viel wird. Er hat dann das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Und um Kontrolle zu haben, verletzt er andere und schüchtert sie ein. Er ist sehr gut darin, Leute durch Angst zu führen. Am besten kann man das in der Kaiba Corp. sehen. Selbst jetzt noch kuscht jeder vor ihm, denn jeder hat Angst vor ihm. Was auch immer du da genau getan hast, es hat ihn so sehr aus der Bahn geworfen, dass er dich als nicht mehr sicher empfindet. Er kann nicht kontrollieren, was du tust. Das macht ihm Angst und daher verletzt er dich.“

„Huh ... er verletzt mich nicht, weil er dadurch dafür sorgen will, dass er weniger für mich empfindet? Weil er sich selbst verletzt, indem er mir wehtut?“

Noahs Augenbrauen zogen sich zusammen. Er lehnte sich zurück, eine Hand an seinem Kinn, die andere in deren Ellbeuge. Einen Moment lang schwieg er und sah in Katsuyas Augen: „Doch ... das auch. Ich denke, es ist beides. Denn je weniger du ihm bedeutest, desto weniger wichtig ist es, ob er dich kontrollieren kann. Das ist ein bekanntes Muster bei ihm, je mehr er dich mag, desto mehr verletzt er dich.“

„Also verletzt Seto auch dich? Wegen der Sache mit mir?“ Katsuya zog den Kopf ein Stück ein.

„Freilich. Zumindest war das bisher in jeder Krise so. Ich muss zugeben, dieses mal hat er mich noch nicht angegriffen. Obwohl er anrief, um mir zu berichten, dass du ihn betrogen hättest und dass er niemandem vertrauen kann. Er hat aufgelegt, als ich fragte, ob er mir vertraut“ Noah zuckte mit den Schultern. „Mir scheint, er hat gar nicht darüber nachgedacht, dass er auch mir nicht mehr trauen darf, wenn er der ganzen Welt misstrauen will.“

„Und das ist das erste mal?“ Eine blonde Augenbraue hob sich.

„Ja. Bisher waren es wüste Beschimpfungen unterbrochen von Drohungen, die mir sagten, dass es meinem Bruder gerade nicht gut geht“ Der Andere seufzte und wandte den Kopf zum Fenster. „Deswegen hatte ich mir diesmal auch gar nicht so große Sorgen gemacht. Aber was du jetzt sagst, das erschreckt mich schon. Seto war fünf Jahre trocken. Und nichts außer pure Verzweiflung würde ihn dazu bringen, mit dem Alkohol wieder anzufangen. Für ihn ist seine Sucht der komplette Kontrollverlust. Es ist das Letzte, was er freiwillig auf sich nehmen würde.“

Katsuya nickte und lehnte sich vor mit den Worten: „Ich denke auch, dass das der Punkt ist, wo klar wird, dass Seto das alles zu viel ist. Ich möchte zurück zu ihm, aber ich weiß nicht ... ich weiß nicht, ob das gerade auch das Beste für ihn ist. Ich glaube, ich überlaste ihn. Vielleicht wäre es besser ... vielleicht sollte ich einfach nicht da sein.“
 

Noah schwieg.

Es bedurfte auch keinen Worten, um zu verstehen, was er am liebsten sagen würde. Katsuya wandte den Kopf ab, um die Tränen zu verstecken, die in seine Augen schossen. Er hatte es gewusst. Er musste Seto verlassen. Er tat dem Mann einfach nicht gut.

„Andersherum, denke ich“, erwiderte Noah nach einer halben Ewigkeit.

„Wie?“ Der Blonde blinzelte und bahnte damit einer Träne den Weg, die er sich wütend wegwischte. Seine Hand war nass vom geschmolzenen Eis.

„Seto ist überlastet und braucht Abstand von dir, ja. Aber das bedeutet nicht, dass du ihn verlassen musst. Das bedeutet, dass er dich verlassen muss.“

Katsuya schnaubte und murmelte: „Na, das hat er ja schon ...“

„Ich meine auch räumlich. Ich werde Seto raten, sich wieder in psychiatrische Behandlung zu begeben. Das mit dem Alkohol geht gar nicht, dass er sich so sehr auslässt, dass es dir jetzt so schlecht geht, auch nicht und dass er Abstand zur Situation braucht, ist uns beiden klar“ Noah verschränkte die Hände und legte sie um ein Knie. „Ich vermute, dass du ein paar Wochen ohne ihn durchstehen kannst? Eher als mit dem Selbst, was er jetzt hat?“

„Du meinst ... eine stationäre Behandlung?“ Sein Atem ging schneller. „Aber ... so schlimm ist es doch nicht, oder? Meinst du nicht, dass er das ohne Hilfe in den Griff kriegt? Oder zumindest ohne Aufenthalt?“

„Nein. Er muss entgiftet werden. Und er braucht Abstand von allem. Es würde Monate brauchen, die Situation zu verbessern, wenn ihr alles so beibehaltet.“ Der Ältere legte den Kopf zur Seite. „Das scheint ein größeres Problem zu sein, als ich dachte.“

„Ich ...“ Katsuya rollten Tränenperlen über die Wangen. „Ich kann nicht ... will nicht ... Seto war immer bei mir, verstehst du? Seit ich von meinem Vater weg bin, war er da und ... was soll ich denn ohne ihn machen? Ich lauf doch sofort wieder aus dem Ruder. Ich war noch nie allein. Ich brauche ihn ...“ Er schüttelte den Kopf und sah sich suchend um. „Das ist wie ... ich stelle Scheiße an, selbst wenn jemand auf mich aufpasst. Aber ohne würde ich doch sicher so viel Mist bauen ... ich will nicht wieder ins Gefängnis.“

„Was würdest du denn anstellen?“ Noah lehnte sich zurück und legte die gefalteten Hände auf sein Anzughemd in Höhe seines Bauchnabels.

„Ich weiß nicht. Keine Ahnung. Scheiße einfach“ Die braunen Augen zitterten, als sich ihr Blick wieder auf diesen legte. „Ich kriege Wutanfälle. Und Dissos. Ich fühle mich kacke und die Drogen ... mit Seto ist das ganz einfach. Ich denke nie dran. Auch jetzt nicht. Aber wenn ich allein bin, dann ...“ Sein Atem beschleunigte sich.

„Was macht Seto denn, sodass du das bei ihm nicht tust?“ Der Andere wurde noch ruhiger.

„Weiß‘ nich‘ ... kein Plan. Irgendetwas. Bei ihm bin ich ein and’rer Mensch. Da bin ich kein aggressiver Junkie, da bin ich ... ich. Mit Benehmen und so.“

„Gibt es jemand anderen, bei dem du dich so fühlst? Dieser Yami zum Beispiel, ihr versteht euch doch, richtig?“ Noah zog die Augenbrauen zusammen.

„Jaaa ... aber mit dem habe ich Seto betrogen. Wenn ich zu ihm gehe, während Seto in der Klapse sitzt, kann ich das voll vergessen mit ihm, klar? Das geht nicht. Das kann ich Seto nicht antun. Selbst, wenn nix läuft, er würde doch sonstwas vermuten ...“

„Jemand anderes?“, fragte er nach, ohne weiter darauf einzugehen, was Katsuya verbrochen hatte. Dieser war selten so dankbar gewesen.

„Kein Plan ... Ryou vielleicht? Aber wenn ich mit Ryou rumhänge, kommt Bakura dazu und der ist nicht gut für moralisches Verhalten. Der benimmt sich nur gut, wenn Seto anwesend ist. Sein Bruder hält ihn nur halbwegs ab von so Zeugs ... Messerkämpfen und Schlägereien und Drogen“, fügte Katsuya hinzu, als er Noahs gehobene Augenbrauen sah.

„Euch fehlt es an stabilen Persönlichkeiten im Freundeskreis“, stellte dieser trocken fest.
 

„Und ... was mache ich jetzt?“, fragte Katsuya nach ein paar Sekunden des Schweigens.

„Hm ...“ Noah verschränkte die Arme und atmete tief durch. „Zuerst einmal: Beruhige dich. Wir kriegen das hin“ Katsuya schoss die Luft aus den Lungen. „Seto ist niemand mehr, der sein Leben einfach hängen lässt, wenn es vor die Hunde geht. Er hat Gozaburo überlebt, er hat den Tod seines Bruders überlebt und er wird auch das hier überleben. Die Frage ist, wie lange es dauert und was jeder einzelne in der Zwischenzeit mit oder ohne ihn durchmachen muss. Ich werde auf jeden Fall mit ihm sprechen und versuchen, mit ihm gemeinsam eine Lösung zu finden. Sollte das nicht möglich sein, wird die Situation wohl erstmal so bleiben, wie sie ist. Wenn du ihn nicht mehr aushältst, steht dir mein Haus immer offen. Okay so?“

Der Jüngere atmete tief ein, hob dabei die Schultern und atmete langsam wieder aus, bevor er nickte. Er würde das aushalten. Die Beleidigungen, die Angriffe, auch den Alkohol. Auch die Schläge, wenn es sein musste. Das war doch nicht anders als mit seinem Vater. Nein, es war viel einfacher. Das konnte er doch.

Seinen Vater zu retten hatte allerdings dazu geführt, dass er blutend und fast bewusstlos auf der Straße gelandet war. Seto dazu zu bringen, ihn zu mögen, war eine ähnliche Aktion. Es brachte nichts. Er hatte seinem Vater nicht helfen können, egal, was er tat. Seto war auch so weit, dass es nichts mehr brachte. Er konnte ihm nur noch stumm beistehen und den Geist für Möglichkeiten einer Annäherung offen halten.

Aber er konnte Seto nicht helfen.

Was er tat, das würde es schlimmer machen. Obwohl ...

„Ist es okay, wenn ich ihm sage, dass ich ihn liebe?“ Katsuya zog den Kopf ein. „Danach war er für ein paar Stunden nicht mehr so böse.“

„Er wird dir höchstwahrscheinlich nicht glauben“ Der Ältere presste die Lippen zusammen und nickte, bevor er tief durchatmete. „Nun ja ... er hat keinem Menschen je so sehr vertraut wie dir. Du musstest das früher oder später verletzen, das ging gar nicht anders. Seto hat dich so vergöttert, an irgendeinem Punkt hättest du seine Erwartungen eh nicht mehr erfüllen können. Und sobald Seto das selbst erkennt, wird das zwischen euch wieder. Er wird dir wahrscheinlich nie wieder so vertrauen wie vorher, aber ich denke, das ist eher gut als schlecht.“

„Aber ... ich möchte sein Freund sein. Sein Partner. Ist da vollstes Vertrauen nicht wichtig?“

„Wenn es an realistische Tatsachen gekoppelt ist, ja. Bei mir kann man darauf vertrauen, dass ich pünktlich bin. Man kann aber auch darauf vertrauen, dass ich schlecht gelaunt bin, wenn jemand unpünktlich ist, ad hoc absagt oder einfach ohne Meldung nicht erscheint. Das ist realistisch und ein gutes Vertrauen, auch wenn es ein Vertrauen auf etwas eigentlich Negatives ist. Wenn man darauf vertraut, dass ich immer höflich, nett, freundlich und gut gelaunt bin, wird man sehr bitterböse enttäuscht“ Noah lehnte sich zur Seite und stützte sich mit einem Arm ab. „Wenn Seto darauf vertraut, dass du immer treu, nie an jemand anderem interessiert und auf ewig nur sein bist, wird er vermutlich wieder enttäuscht werden. Du bist jung und temperamentvoll und vor allem ist er dein erster Freund, so weit ich weiß. Wenn du deine eigene Wünsche radikal verneinst, nur um seinen Erwartungen zu entsprechen, wirst du recht unglücklich werden. Wenn er nun aber darauf vertraut, dass er für dich die wichtigste Person ist, egal, mit wem du nebenher noch was hast, dann ist das ein gesundes Vertrauen. Denn das entspricht der Realität – zumindest, wenn ich dich richtig verstehe.“
 

„Also ... ist es wichtig, einen Menschen genau zu kennen und dann auf das zu vertrauen, was man kennen gelernt hat? Und was ist mit eigenen Erwartungen oder Wünschen?“ Zwischen Katsuyas Augenbrauen bildeten sich tiefe Falten.

„Die sollten mit dem, was man kennen gelernt hat, kompatibel sein. Man kann ja kaum mit dem Erstbesten zusammen kommen. Ist Seto das, was du dir als Partner für’s Leben vorgestellt hast?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Katsuya schon fast treudoof, „ich bin mehr über ihn gestolpert. Ich habe ja kaum nach einem Partner für’s Leben gesucht. Er war nur einfach ... einfach da. Und perfekt“ Er kratzte sich am Hinterkopf, bemerkte dabei, dass seine Hand noch immer nass war und schlug sie aus. „Bäh ... na ja. Für mein Leben habe ich mir eine halbwegs hübsche Frau vorgestellt. Sie sollte gebildet und bodenständig sein. Sie sollte nicht trinken, keine Kinder schlagen oder zu viel anschreien und mich liebevoll behandeln. Sie sollte mich als gleichwertig ansehen und akzeptieren, dass ich mit manchen Dingen Probleme habe. Das ... das dürfte es gewesen sein. Nun, Seto ist ein Kerl. Aber bis auf das und das Problem mit dem Trinken gerade erfüllt er das eigentlich ganz gut.“

„Dann herzlichen Glückwunsch. Ich suche seit über zehn Jahren nach einer Frau, die meine Ansprüche erfüllt und habe keine gefunden“ Noah zog einen Mundwinkel hoch. „Meine sind allerdings auch höher, denke ich.“

„Was wünscht du dir denn?“

„Oh je“ Lächelnd legte er den Kopf in den Nacken, sah zur Decke und streckte die Beine aus. „Auf jeden Fall eine Frau. Das ist bei mir etwas essentieller als bei dir. Sie sollte ein Familienmensch sein, der Kinder mag und für diese gern Zeit einplant. Sie sollte aber gleichzeitig im Beruf erfolgreich sein. Mir ist sehr wichtig, dass sie gebildet und ehrgeizig ist. Sie sollte aber gleichzeitig ruhig sein und stets den Kopf behalten. Sie sollte gerne ausgehen und Ausflüge planen, aber auch mit einem Abend vor dem Kamin zufrieden sein. Sie muss treu, ehrlich und humorvoll sein. Viel Lachen ist wichtig. Und ehrlich gesagt fände ich es schön, wenn sie ein wenig konservativ ist. Also eine, die ihren Mann abends umsorgt, ganz egal, ob ihr Alltag viel schwerer ist. Eine, für die Familie und Kinder über alles gehen“ Er seufzte. „Im Beruf erfolgreiche Frauen lerne ich ja eine Menge kennen. Aber familienfreundlich? Die Kombination ist irgendwie zu selten. Den meisten Frauen in der Wirtschaft ist nicht nur der Mutterinstinkt verloren gegangen, ihnen scheint auch der Unterleib eingetrocknet zu sein. Nur die Assistentinnen der Chefs sind offen für eine Liason, aber denen bist du danach entweder egal oder sie wollen dein Geld mehr als dich.“

Katsuya nickte bedächtig und meinte: „Klingt kompliziert.“

„Familienmensch, sexy und erfolgreich ist auch zu viel verlangt. Das weiß ich selbst. Das hält mich trotzdem nicht davon ab, es mir zu wünschen“ Ein verlegenes Lächeln zog an Noahs Lippen.

„Nun, das beruhigt zumindest meine Sorge, dass du etwas mit meiner Schwester anfangen könntest“ Der Blonde verschränkte grinsend die Arme.

Noah hob nur die Hand, schloss die Lider und zog beide Augenbrauen hoch, bevor er mit einem fast entsetzten Schnauben meinte: „Ganz sicher nicht. Sie ist viel zu jung. Ich stehe auf reife Frauen. Sie muss mindestens Mitte zwanzig sein. Und vom Berufsleben ist Shizuka noch Meilen entfernt. Ich nehme sie auf, weil ich ihre Situation bemitleidenswert finde und gerne Kinder in diesem Haus sehen würde. Aber sie ist für mich ein Teenager und damit ebenso ein Kind wie Isamu.“

„Danke nochmal ...“, murmelte Katsuya.

„Nichts zu danken. Ich tue das, weil ich es will. Nicht für Seto, nicht für dich, nicht einmal für sie. Ich tue das für mich, weil ich sie hier haben will. Ich denke, das ist es, wie man als Elternteil denken sollte.“

„Meinst du ... denkst du, Seto behält mich noch immer bei ihm, weil er mich dort haben will? Trotz allem, was passiert ist?“ Er war noch leiser geworden, sodass es kaum mehr als ein Flüstern war, was er sagte.

„Katsuya, Seto liebt dich. Auch, wenn er verletzt ist und das an dir auslässt, er liebt dich. Natürlich will er dich bei dir haben. Er will mit dir zusammen sein und er will dir vergeben. Er kann es nur zur Zeit nicht.“

Zurück nach Hause

Nachtdienste sind lustig und machen Spaß ^.^ Nur war ich danach meist so müde, dass Schreiben nicht mehr drin war. Das meiste des Kapitels ist heute entstanden, ich hoffe, es entspricht trotzdem allen qualitativen Ansprüchen.

Ich danke sehr für eure Kommentare und wünsche viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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So viel Hoffnung. So viel Optimismus.

Katsuya starrte auf das kleine rote Backsteinhäuschen, die wenigen Quadratmeter Beet und den Mercedes in der Auffahrt. Irgendwie konnte er das nicht teilen. Seto liebte ihn und wollte ihn zurück? Der Gedanke war ja nett, aber die Realität unterstützte das nicht so wirklich. Nicht einmal ansatzweise. Seto liebte ihn ... war das Liebe zu nennen? Diese Abhängigkeit? Diese ständige Angst davor, verletzt zu werden? Das Gefühl, am liebsten wegzurennen, aber es nicht zu können? Katsuya kannte das doch nur zu gut: Er hatte Seto gewollt. Aber dieser hatte ihn verletzt. Jetzt wollte Seto ihn und er verletzte diesen. Es war wie immer ein ewiger Kreislauf mit ihnen. Mal wieder hatte sich die Situation gedreht.

Er kam zurück im klaren Wissen, dass ihm weh getan wurde. Dass Seto ihn vielleicht liebte, aber dass diese Liebe nur weh tat. Weil er verletzt war. Und nichts, was Katsuya tun könnte, würde daran etwas ändern. Also warum kam er zurück? Um sich an den Gedanken zu klammern, dass Seto ihm vergeben könnte? Dass alles irgendwann wieder wie früher sein könnte? Hing er nicht einfach der Vergangenheit nach? Seto würde ihm nie wieder vertrauen wie früher, da hatte Noah recht. Aber das hieß auch, dass er nie wieder so hingebungs- und liebevoll sein würde. Diese leidenschaftliche Selbstaufgabe, das schier blinde Vertrauen ... natürlich war das zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber es änderte nichts daran, dass es schön gewesen war. Er war von Seto praktisch betrunken gewesen.

Wenn es nie wieder so sein würde, was machte er dann hier? Sich verletzen lassen für die Möglichkeit einer Beziehung, von der er nicht einmal wusste, ob sie noch passte? Weil es eine andere sein würde wie die, die sie geführt hatten. Das wäre es auf jeden Fall. Also warum? Warum kam er zurück? Auf was hoffte er, dass es die Schmerzen wert war?

Er seufzte tief und sah sich um. Überall gleiche Häuser, an deren Wänden sich Efeu oder Rosen hochzogen. Strahlende, polierte Autos. Die Frau mit dem Cocker Spaniel machte ihre Abendrunde. Diese Welt hatte er sich immer gewünscht. Ein Teil dieser Welt zu sein, die ganz normal war. Kleine Häuschen mit hübschen Gardinen, hinter denen Familien lebten, die sich mochten. Normale Familien. Wo man Kinder nicht schlug und mit Sachen bewarf. Vor ihm war auch so ein ganz normales Haus. In dessen Wänden lebte ein Mann, der sich betrank, ihn schlug und ihm die unmöglichsten Worte an den Kopf warf.

Die Welt, die er sich gewünscht hatte, war nur eine Illusion. In diesen hübschen Wänden lebten auch nur hässliche Menschen. Sie alle lebten ihren ganz normalen Wahnsinn. Genau wie Seto und er. Jeder lebte mit seinen ganz eigenen Problemen. Was half es, sich in eine bessere Welt zu träumen? Er musste das, was er hatte, lebenswert machen. Also hatte er auch nicht vor Seto davon zu laufen. Er hatte zu bleiben. Er hatte mit den Konsequenzen seines Handelns zu leben, bis Seto sich wieder beruhigt hatte. Denn er hatte Fehler gemacht. Zu denen hatte er auch zu stehen.

Er atmete tief durch und betrat das Haus mit den Worten: „Bin wieder zuhause!“
 

Alkohol.

Es war nur drei Monate her, dass das der Geruch gewesen war, der ihn jedes Mal beim Betreten seiner Wohnung begrüßt hatte. Scharfer Alkohol, der die Luft schwängerte und einen sofort wieder aus der Tür drücken wollte. Bei Seto hingegen roch es immer frisch, manchmal sogar noch nach dem Reinigungsmittel. Jeden Tag wurde ordentlich gelüftet. Manchmal hätte er sich den Geruch von Essen gewünscht, aber die Frische war auch toll.

Dieses Mal roch es süßlich. Nicht wie die Shishas in den Clubs, auch nicht wie Räucherstäbchen und nicht wie Kuchen. Eher nach Vanille und Zucker. Wie eine Duftkerze. Oder eine Flasche Dreiundvierziger. Er folgte dem Geruch und wie nicht unerwartet führte ihn dieser ins Wohnzimmer.

Wie nicht unerwartet zu Seto.

Es war wirklich eine Flasche Licor 43.

„Das ist aber kein gutes Zeug, um sich damit zu betrinken“, neckte Katsuya vollkommen ruhig und trat zu der vor dem Sofa zusammen gekauerten Gestalt, „Da kriegt man doch pur kaum etwas von runter.“

Seto saß gegen die Couch gelehnt, vor der Brust ein Kissen, das er mit beiden Armen umklammerte. Die Beine waren angezogen und der Kopf im Stoff vergraben.

„Kannst du mich hören?“ Katsuya strich eine der braunen Strähnen zurück, um einen Blick auf Setos Gesicht zu erhaschen, doch dieses war in das Kissen vergraben.

Was tun? Was? All die Philosophie war ja schön, aber ein praktischer Tipp wäre echt hilfreich. Katsuya seufzte und ließ sich neben diesem auf den Boden sinken. Er lehnte sich zurück, winkelte die Beine an und legte die Arme darauf.

„Wenn du mich aus heiterem Himmel betrogen hättest, hätte ich dich zusammen geschlagen. Ich hätte dich angeschrien, auf dich eingeprügelt ... möglicherweise in meiner Wut sogar vergewaltigt. Ehrlich gesagt traue ich mir das zu. Danach hätte ich mir entweder die Birne zugedröhnt oder mich selbst verletzt“ Er warf einen Blick zu Seto, aber der ließ keine Regung erkennen. „Ich hätte die Kontrolle über mich komplett aufgegeben. Das hast du nicht. Du versuchst alles so gut wie möglich unter Verschluss zu halten. Allerdings kocht es gefährlich über. Deine Wange, deine Ausbrüche, das Saufen – das sind alles nur die Auswüchse dessen, was du in dir hast und nicht rauslässt“ Erlitt er gerade eine Wahrnehmungstäuschung? Wunschdenken? Oder hatte sich Setos Kopf ihm wirklich etwas zugewandt? „Ich kann nichts tun als da zu sein und zu warten, dass sich deine Gefühle wieder beruhigen und du die nötige Stabilität findest, um die Worte zu akzeptieren, die ich immer wieder wiederholen werde. Ich liebe dich. Du bist der wichtigste Mensch auf Erden für mich. Ich will dich nicht verlieren. Ich will mit dir zusammen sein. Ich wollte dich nicht verletzen. Du bist alles, was ich brauche.“

Setos Schultern erzitterten und der Kopf wandte sich sichtlich ab.
 

Und jetzt? Seto konnte ihm diese Worte nicht glauben. Was konnte er noch sagen? Oder wenn er mit Worten nicht weiter kam, was konnte er tun? Er wollte Seto nicht allein lassen. Der stellte nur Blödsinn an. Aber was tat man, um einen Menschen zu überzeugen, dass man ihn mochte? Es sagen? Umarmen? Küssen? Das würde gerade kaum gut ankommen.

Katsuya seufzte und sah sich um. Alles wie immer. Der Fernseher und die Konsole. Die Filme. Das Sofa und der Sessel, die Bücherregale ... nicht sehr hilfreich. Die einzige Veränderung des Raums war die verdammte Flasche auf dem Tisch. Der Blonde seufzte erneut, zog Setos Glas heran, befüllte es neu und meinte: „Cheers!“

Bevor er es sich jedoch an die Lippen setzen konnte, schnellte Seto herum, griff danach und zog es ihm weg. Der halbe Inhalt schwappte über sie beide, aber das bewirkte keine Reaktion mehr. Seto war erstarrt in seiner Haltung, mit einem Arm das Glas weit hinter sich, die Lider geweitet, das Gesicht voller Entsetzen.

„Was?“, fragte Katsuya nach einer halben Ewigkeit, „du darfst dich zulaufen lassen, obwohl du Alkohol nicht verträgst, aber ich darf in meiner Verzweiflung keinen Tropfen haben? Und jetzt komm mir nicht damit, dass ich nicht denselben Stellenwert wie du habe. Hier geht es nicht um Vater und Sohn. Hier geht es um Mensch und Mensch.“

„Ich ... ich will nicht ...“ Seto wandte den Blick zu Boden und stellte das Glas außerhalb der Reichweite auf den Tisch. „Ich will nicht, dass du so endest wie ich.“

„Und wie soll ich dann enden?“ Er rümpfte die Nase und legte den Kopf in den Nacken. „Ich bin verkommen und verendet mit einem Alkoholiker als Vater, der mich schlug. Jetzt lebe ich bei einem Alkoholiker, der mich mit Fäusten und Worten schlägt. Und bei dem es noch mehr weh tut, weil er mir nicht egal ist. Sag mir, wie soll ich enden?“

„Bei jemanden, der dich liebt. Der für dich da und dir eine Stütze ist. Irgendjemand, der für dich sorgen kann“ Seto umklammerte das Kissen wieder, vergrub jedoch nicht den Kopf darin.

„Da bin ich gerade“ Er schielte aus seiner Position etwas zur Seite, aber sah nur, dass der Andere unverändert da saß. Er seufzte, sank zur Seite und legte seinen Kopf auf Setos Schulter.

Seto stieß ihn nicht weg.

Er erwiderte nicht, aber er stieß ihn auch nicht weg. Ein Anfang. Sie schwiegen einige Minuten, bis Seto so etwas wie eine Antwort formuliert hatte: „Du hast Recht. Das Zeug schmeckt scheußlich“ – er setzte eine erneute längere Pause – „Lass uns lüften und uns was anderes anziehen.“

„Was machen wir mit dem Alkohol?“ Katsuya hielt innerlich die Luft an.

„Der Töle der Nachbarin verfüttern. Das Mistvieh hat in meine Anzughose gebissen.“

„Ich bring‘ sie ihnen, du lüftest“, bestimmte der Blonde, erhob sich, nahm Glas und Flasche und ging, um beides in Nachbars Garten zu kippen.
 

Dreiundvierziger ... schien nicht, als wäre Seto glücklich damit, dass er trank. Wenn er sich so etwas antat. Wer besoff sich schon mit Vanillelikör? Es war vielleicht Galgenhumor, aber es ließ Katsuya schon grinsen. Vom Inhalt der Flasche her gesehen hatte Seto auch nicht unbedingt viel davon runter bekommen.

Er stellte die Dusche ab, schnappte sich ein Handtuch und trocknete sich ab. Wenn er daran dachte, dass Seto gerade genau dasselbe tun könnte, nur ein Raum weiter ... er könnte aber auch gerade da stehen und unkoordiniert versuchen, ein Handtuch zu greifen. Katsuya seufzte, griff nach seinen Klamotten und fluchte leise. Apropos unkoordiniert ... er hatte vergessen, dass Setos Bad eine Tür zu dessen Zimmer hatte, sein eigenes aber nicht. Er hätte vielleicht auch ein paar Sachen mitnehmen sollen. Grummelnd schlüpfte er in seine alte Unterhose und packte den Klamottenberg unter einen Arm. Nach dem Öffnen der Badezimmertür erstarrte er jedoch, ebenso wie die Person, die gerade aus dem Arbeitszimmer trat.

Seto. Seto im Jogginganzug mit nassen Haaren. Feuchte Haut, die Wangen vom Alkohol gerötet. Er sah trotzdem aus wie gerade frisch durchgevögelt. Katsuya zog die Kleidung unter seinem Arm vor seine nackte Brust.

„Uhm ... sorry“ Er wandte den Blick zu Boden. „Ich ... ich müsste in mein Zimmer.“

„Natürlich“, erwiderte Seto, blieb aber einfach stehen. Er schien ihn zu beobachten.

Katsuya konnte es nicht genau sagen, er wich den blauen Augen so weit wie möglich aus, während er zu seinem Zimmer schlich. Nicht unbedingt leicht, gemessen daran, dass er Seto dabei auch immer näher kam. Hätte er doch zumindest seine Hose noch angezogen ... er atmete tief durch, griff nach der Klinke seiner Tür und trat in sein Zimmer. Ohne einen Blick zu dem anderen, der sich immer noch nicht bewegt hatte, schloss er die Tür.

Woah ... shit. Okay. Herzrasen. Er atmete tief durch und lehnte sich erstmal gegen die Tür. In all diesem Chaos von Verletzungen und Enttäuschungen hatte er fast vergessen, dass er nicht nur Setos Lächeln und seine Zuneigung wiederhaben wollte. Er wollte auch diese Hände auf seiner Haut wieder spüren, die heißen Küsse, dieser dezente Geruch von Schweiß, Zigaretten und ... nun, dem, was sein Freund ihn nicht probieren ließ. Noch nicht. Scheiß auf safe sex und so – die sollten mal Tests erfinden, die schneller sagten, ob man nun irgendetwas hatte oder nicht. Wetten, als nächstes durften sie drei Monate ab Setos letztem anderen Geschlechtspartner warten? Wehe, der Typ nahm sich nochmal irgendwen ...

Katsuya atmete tief durch. Erstmal etwas anziehen. Jeans und Shirt wenigstens. Es war Winter, da sollte er nicht in fast nichts rumrennen. Er zog das entsprechende aus dem Schrank und sich über. Und jetzt wieder Seto entgegen treten ... nun, er könnte es ja mal mit Abendessen versuchen. Dann war zumindest ein Tisch zwischen ihnen. Genug Barriere, um nicht aufzuspringen und über den Kerl herzufallen. Und vorher musste er dringend etwas gegen das Ding zwischen seinen Beinen tun, das sich immer noch nicht beruhigt hatte.
 

„Und?“

„Wuah!“ Katsuya schnellte herum und sah Seto mit weit aufgerissenen Lidern an. „Schleich dich nicht so an!“

„Kann ich etwas dafür, dass du beim Kochen so versinkst? Du bist in einer anderen Welt, wenn du am Herd stehst“ Dieser beugte sich an ihm vorbei über den Topf und atmete tief ein. „Carbonara?“

„Ja ...“ Der Jüngere ließ langsam die Luft aus seiner Lunge, um sich zu beruhigen. „Ich hatte dich gerade nicht gefunden, also habe ich einfach schon mal angefangen. Ich hoffe, es trifft deinen Geschmack.“

„Du kochst für mich mit?“, Setos Blick wirkte ernsthaft fragend mit einem Hauch Überraschung darin.

„Solange du dich benimmst“ Katsuya verschränkte die Arme und spitzte die Lippen, bevor er sich mit einer Kopfbewegung den Pony aus dem Gesicht warf.

„Willst du die eigentlich nicht mal schneiden lassen?“ Seto richtete sich auf. „Sie sind langsam ziemlich lang geworden. Wenn du so weitermachst, kannst du dir bald einen Zopf daraus binden“ Er lehnte sich seitlich mit der Hüfte gegen den Küchenschrank.

„Magst du es nicht?“ Er fuhr sich durch die blonden Strähnen.

„Doch“ Setos rechter Mundwinkel hob sich. „Aber es ist gegen die Schulordnung.“

„Heeerr ...“ Der Jüngere verdrehte die Augen. „Alles ist gegen diese beknackte Schulordnung, oder?“ Kopfschüttelnd stellte er sich wieder vor den Herd und rührte um. „Die Uniform, die Haare, das Benehmen, alles nach Regeln.“

„Regeln vereinfachen das miteinander“ Der Andere drehte sich zur Seite, sodass er fast auf der Küchenplatte saß und den Raum überblickte. „Jedes Zusammen besteht aus einem Satz ausgesprochener und nicht ausgesprochener Regeln. Kinder müssen die nicht ausgesprochenen immer erst lernen, daher macht man es ihnen leicht und schreibt am Anfang alle aus. Im Beruf wird von dir dasselbe und mehr erwartet, aber die machen es dir nicht einfach und legen dir die Regeln schriftlich vor.“

„Und in einer Beziehung auch nicht ...“, murmelte Katsuya leise.

„Das würde es einfacher machen, was? Wenn es einen festen Satz Regeln gäbe, an den man sich halten muss“ Seto atmete tief durch. „Wie führt man eine Beziehung? Was muss man beachten? Wie machen das andere?“ Ihr Blick traf sich. „Davon haben wir beide keine Ahnung, was? Wir kennen nur gescheiterte Beziehungen.“

„Oder gestörte. So wie Ryou und Bakura.“

„Oder die ... ich würde ja glatt eine Paartherapie vorschlagen, wenn wir nicht in der Lage wären, in der wir uns befinden ... zwei Männer, die eigentlich Vater und Sohn sein sollten ... ich glaube, jede gute Paartherapeutin würde das Jugendamt und die Polizei einschalten.“

Bu-bumm. Bu-bumm.

Paartherapie ... hieß das, Seto betrachtete sie als Paar? Trotz allem? Bei allen Göttern, er durfte jetzt bloß nichts Falsches sagen. Er durfte diesen Moment nicht zerstören. Seto machte gerade einen so großen Schritt auf ihn zu.

„Irgendwelche Vorschläge?“, fragte er den anderen.

„Nun ... ich denke, es ist gar nicht so schlecht, wenn wir das wie die Schulen machen und die Regeln ausschreiben. Was willst du, was will ich, was darf man und was nicht ... ich denke, das sollten wir machen.“

„Okay“ Ehrlich, er hätte gerade zu allem okay gesagt. Egal, was Seto vorgeschlagen hätte. Er gab ihm eine zweite Chance! Eine echte zweite Chance! „Magst du probieren?“ Er hielt Seto den Kochlöffel mit ein wenig Sauce darauf hin.

Dieser nickte nur und schloss die Lippen darum, bevor er urteilte: „Köstlich.“

Schwarzer Kater

Willkommen zu einem neuen Kapitel ^.^ Ich nage derzeit ziemlich am Zahnfleisch, weil ich Ferien brauche. Und die kriege ich nächste Woche (Freitag bis Sonntag der darauf folgenden). Daher wird es nächstes Wochenende kein Kapitel geben. Ich hoffe, dass ich aus den Ferien in alter Frische zurückkehre und mich wieder voller Enthusiasmus allem widmen kann :)

Ich wünsche viel Spaß mit diesem Kapitel, warne aber vor, dass es nicht für ganz leichte Gemüter ist!
 

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Katsuya stellte lächelnd das Essen auf den Tisch und rief: „Fertig!“

Eine zweite Chance ... Seto gab ihm echt eine zweite Chance! Er hatte die Designerteller gedeckt, das Besteck akkurat auf Servietten platziert und die Spagetthi mit der Sauce angerichtet. Ob er noch ein paar Kerzen anmachen sollte? Oder war das zu viel? Ja, wahrscheinlich zu viel. Seto wollte mit ihm ja erst einmal Regeln besprechen. So, wie er Seto kannte, würde das eine Verhandlung werden. Keine Romantik. Nur eine nüchterne Diskussion. Aber das war völlig okay. Das Setting war perfekt.

Ob Seto ihm vergeben hatte? Oder zumindest entschieden hatte, dass es für sie beide leichter war, wenn sie es noch einmal versuchten? Verdammt, er war aufgeregt ... er sollte aufpassen, dass er nicht unwillentlich zu allem ja sagte, nur weil er Seto unbedingt zurück haben wollte. Das würde diesem auch nicht gefallen und auf Langzeit nicht funktionieren. Aber er war bereit, Seto wortwörtlich die Sterne vom Himmel zu holen, wenn er es wünschte.

Ah, endlich. Schritte auf der Treppe. Er hatte ja nur zur Toilette gehen wollen. War wohl länger geworden. Wahrscheinlich hatte er sich die passenden Worte zurecht gelegt. Katsuya wandte sich lächelnd zur Küchentür.

Seine Mundwinkel fielen.

Seine Lider weiteten sich.

Sein Körper erzitterte.

Seine Kehle zog sich zusammen, sodass er nicht sprechen, nicht einmal atmen konnte. Mit dem Ausdruck des Entsetzens wandte sich sein Kopf von rechts nach links, ließ dabei den Blick stets auf Seto ruhen. Die knappe Sekunde, die er im Vorbeigehen zu sehen war, streckte sich wie eine Ewigkeit. Wie in Zeitlupe schien er die anderthalb Schritte zu machen, die ihn durch das Sichtfeld der Küchentür brachten, bevor er zur Haustüre verschwand.

„Ich habe keinen Hunger mehr. Iss allein“, warf dieser in den Raum, ohne sich noch einmal zu zeigen. Es folgte das Geräusch von Polyester auf Baumwolle, als er seinen Mantel überzog und von Sohlen auf Holz bei den Schuhen.

„S- Seto ... deine Wange ...“ Katsuya wusste nicht, ob diese Worte laut oder leise seiner Kehle entwichen. Er wusste nicht einmal, ob er sie überhaupt aussprach. Der Schock saß noch immer in seinen Knochen, ließ ihn wie paralysiert in der Küche stehen.

„Ein Malheur. Warte nicht auf meine Rückkehr“ Das Klimpern des Schlüssels. „Au revoir.“

„Nein!“ Der Jüngere gab sich einen Ruck und rannte zum Flur. „Du kannst jetzt nicht gehen!“

„Und warum, wenn ich fragen darf, du Schlaumeier?“ Seto verschränkte die Arme und sah auf ihn hinab.

„Weil ... weil du getrunken hast ... du kannst jetzt nicht Auto fahren ...“, erwiderte er schwach. Scheiße. Was sollte er denn sagen? Er konnte ja kaum einen klaren Gedanken fassen bei diesem Anblick. Er schien ja ganz normal bis auf all dieses Blut ... dieses Blut auf Wange, Hals, im Hemd ...

„Das ist lang genug her.“

„Du blutest“ Es war mehr eine Feststellung als ein Argument. Katsuya konnte den Blick nicht davon wenden. Warum war die Wunde wieder aufgerissen? War Seto das selbst gewesen? Nur warum ... warum sie aufreißen, warum wieder kalt werden, warum wieder alles von vorne ... hatte er es nicht durchgestanden? Waren sie nicht endlich an dem Punkt angekommen, wo sie versuchten, wieder glücklich zu sein? Tränen schossen in Katsuyas Augen und ihm fehlte die Kraft, sie zu unterdrücken.

„Erinnerst du dich an deine erste Nacht hier? Da habe ich dir gesagt, dass du mir nichts zu befehlen hast. Stell dir vor, daran hat sich nichts geändert“ Seto rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Du bist unbelehrbar. Aber das habe ich ja schon als Lehrer gewusst. Bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Geh zurück in die Welt, in die du gehörst.“

Er drehte sich um und verließ das Haus.
 

„Heilige Guan Yin!“ Ayumi entgleisten die Gesichtszüge, während sie geschockt vor ihm stehen blieb. „Ins Krankenzimmer. Sofort“ Sie packte seinen Arm und zog an diesem, jedoch blieb er stehen. Nach ihrem bösen Blick über die Schulter gab er jedoch nach und ließ sich mitziehen. Sie schleppte ihn die zwei Etagen nach unten, bevor sie an der großen, offen stehenden Tür klopfte und ihn hinein schob.

„Jesus!“ Isis sprang auf und bekreuzigte sich. „Was ist passiert?“

Katsuya schnaubte nur und wandte lasch den Kopf in Richtung des Spiegels. Hey, corpse paint ... ohne Schminke. Scheiße, er war echt zu. Er atmete tief durch und seufzte. Er brauchte Koks und sei es nur, damit er danach roch. Wenn er wenigstens sagen könnte, er hätte irgendetwas genommen. Er schmiss sich auf die Liege, schloss die Augen und bewegte sich einfach nicht mehr.

„Was ist passiert?“, wandte sich Isis etwas leiser an Ayumi.

„Keine Ahnung. Ich habe ihn so gesehen und sofort hergeschleppt. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist ... soll ich Ryou holen?“

„Hm ... nein. Nein. Ich danke dir, dass du ihn hergebracht hast. Ich werde mit ihm reden.“

„Kriegen Sie ihn wieder hin?“ Ayumi klang wie ein kleines Mädchen, das den Teddy genäht haben wollte.

„Mal sehen. Wenn nicht ich, dann Herr Kaiba. Die beiden haben einen guten Draht.“

Er hatte zwar die Augen geschlossen, aber er konnte das Lächeln praktisch hören. Blöde Kuh. Die hatte doch keine Ahnung. Seto und er einen guten Draht? Lachhaft. Zweite Chance? Eine einzige Farce. Sie hatten alle keine Ahnung. Sie wussten alle nichts. Sie konnten es nicht verstehen. Keiner wusste, wie es war, in seiner Lage zu sein.

„Katsuya? Hörst du mich?“ Natürlich hörte er sie, war sie doof? „Würdest du mich bitte ansehen, wenn ich mit dir rede?“

„Wozu? Kommt doch eh nur blödes Psychogelaber, dass ich an meine Zukunft denken sollte und ob es mir nicht wehtut, anderen so vor den Kopf zu stoßen und wie ach-wie-scheiße ich mal wieder aussehe“ Er öffnete die Lider und sah zu ihr. „Was vergessen?“

„Was ist passiert?“ Sie zog sich ihren Stuhl heran und setzte sich darauf.

„Geht Sie nichts an“ Er wandte den Blick ab.

„Wie du willst. Dann werde ich Herrn Kaiba anrufen“ Sie drehte sich in Richtung ihres Schreibtisches.

„Nein!“ Er fuhr hoch, griff nach ihren Arm und zog so fest, dass sie gegen die Liege schmetterte. Scheiße. „Tut ... tut mir Leid“ Er atmete tief durch und ließ sie los. „Ich sollte gehen. Ich will dir nicht weh tun.“

Isis, die einen Schritt zurück getreten war, um außer Reichweite zu sein, schluckte und betrachtete ihn mit zitterndem Blick. Sie schien einen Moment mit sich zu ringen, bevor sie fragte: „Was hat er getan?“

Hm ... Katsuya atmete tief durch und leckte sich über die Lippen. Tja ... was hatte er getan? Nichts, nicht wahr? Sich die Wunde wieder aufgerissen. Ihn allein gelassen. Ihm Hoffnung gegeben und genommen. Scheiße. Warum war er so abhängig von dem Kerl? Er ließ sich zurück auf die Liege fallen, drückte die Handballen gegen seine Augen und atmete tief durch.

„Katsuya ...?“ Das Geräusch eines Schrittes.

„Fass mich nicht an!“

Klack. Klack. Sie war mit beiden Beinen zurückgewichen. Er konnte ihren zittrigen Atem hören. Ebenso ihr Schlucken. Es war totenstill im Raum.

Er drehte sich zur Seite, zog die Beine an und murmelte: „Lass mich einfach hier liegen ...“

Einen Moment lang passierte nichts. Doch nur wenig später zog sie den Stuhl zurück an ihren Schreibtisch und nahm dort Platz. Sie schwieg.
 

Das Öffnen der Tür riss Katsuya aus seinen Gedanken. Er ließ die Lider trotzdem geschlossen. Wehe, jemand wollte ihn stören. Allein schon, weil er Gefahr lief, die Person zu verletzen.

„Guten Morgen“, grüßte Ryou freundlich, „wie geht es ihm? Was hat er?“

Isis seufzte nur. Wahrscheinlich schüttelte sie den Kopf. Das hatte er letztes Schuljahr oft genug gesehen. Ihre Stirn würde in leichten Falten liegen, die Augenbrauen zusammen gezogen, den Blick auf ihn hinab – brennendes Mitleid. Aber sie konnte nicht mitleiden. Sie hatte keine Ahnung, was er mitmachte. Was er fühlte. Dieser Schmerz ... das konnte sie nicht verstehen. Das konnte keiner verstehen.

„Katsuya?“ Die Stimme war ganz nah. Hatte sie ihn wirklich in seine Nähe gelassen? „Antworte, bitte.“

„Ich bin gerade ohne Leine. Ich könnte dir an den Hals springen“, gab Katsuya trocken zurück.

„Hat Herr Kaiba dich heraus geworfen?“ In der Stimme lag ehrliche Besorgnis. Warum hatte ein Stück Scheiße wie er bloß so gute Freunde? Er verdiente sie nicht. „Bitte, Katsuya ... antworte.“

Der Blonde drehte sich zur Seite weg. Vielleicht war es besser so. Vielleicht sollte er sie verletzen, damit sie ihn allein ließen. Vielleicht war es besser, wenn er sie nie wieder sah. Er zog sie doch nur in den Dreck. Er war ein Abgrund, in den manche schon zu lange gestarrt hatten. Er war ein Monster.

„Ich denke, er braucht mehr Zeit. Er macht die Dinge mit sich selbst aus.“

„Aber nur, wenn er glaubt, niemanden zu haben“ Ryous Stimme wurde lauter. „Katsuya, ich bin hier. Ich bin dein Freund. Ich mache mir Sorgen. Bitte, rede mit mir.“

Wenn es nur so einfach wäre ... wenn irgendetwas lösbar wäre, wenn man einfach nur darüber sprach. So gut waren Menschen nicht. Sie hatten Gefühle und die waren es, die sie leiteten. Da konnte man noch so viel nachdenken, seine Gefühle dachte man nicht weg. Die waren immer da. Und die waren verletzt, enttäuscht und völlig ausgebrannt.

Er wollte einfach nur, dass alles zu Ende war.

Diese Schmerzen, immer wieder aufs Neue gequält zu werden. Jeden Tag aufzuwachen in dem Wissen, dass es nur wieder weh tun würde. Jeden Tag in die Sonne zu sehen und nur das Brennen in den Augen, nicht die Wärme auf der Haut zu spüren. Jeden Tag dem gegenüber zu treten, der einen schuldig und schlecht fühlen ließ.

Er konnte das nicht schultern. Nicht ertragen.

So wie er selbst ein Abgrund war, so war das Leben mit Seto ein Abgrund. Man starrte hinein und er starrte schamlos zurück. Man versank in der Dunkelheit und den Fall hielt keiner auf. Er wusste nur nicht, ob er schon aufgeschlagen war oder ob es noch tiefer ging. Ach, was für eine metaphorischer Mist – er lag hier rum und versank in Selbstmitleid. Hatte er nichts Besseres zu tun?

Seto hatte ihn verlassen. Punkt. Aus.

Es gab kein Zurück.

Warum ging das nicht in seinen verdammten Schädel? Warum rannte er einem Kerl hinterher, der ihm nur weh tat? Glaubte er ehrlich, er würde jemals Vergebung finden? Von ihm? Seto? Das Mann schnitt sich lieber regelmäßig die Wange auf statt auch nur daran zu denken.

Ob er ihm wohl hatte vergeben wollen? Ob er einen Hauch von Vertrauen gefasst hatte? Natürlich war beides vergessen im Anblick seiner Narbe. Dafür hatte er sich die ja gegeben. Als Erinnerung nie wieder Nähe zuzulassen. Er hatte gewusst, dass er schwach werden würde. Dass er verzeihen wollen würde. Also hatte er vorgesorgt. Damit so etwas nie passiert.

Wie hatte er auch nur für einen Moment glauben können, alles würde gut werden? So lange diese Narbe existierte, so lange würde Seto ihn verletzen, um ihn auf Abstand zu halten. Katsuya strich über die eigene Narbe an seiner Stirn. Und hatte er nicht gelernt, niemandem nachzurennen, der einen verletzte?
 

„Danke, dass Sie mich angerufen haben.“

Er war da. Wirklich da. Katsuya hatte das Gespräch gehört, aber er hatte nicht gedacht, dass Seto wirklich kommen würde. Es wäre eher seine Art gewesen, nein zu sagen und ihn hier verrotten zu lassen.

„Was ist mit Ihrer Wange passiert?“, fragte Isis erschrocken.

„Ein Unfall beim Rasieren“, log Seto ohne jedes Stolpern.

„Hm ... nun gut. Meine Intention war nicht unbedingt, Sie herzurufen. Irgendetwas ist geschehen und es hat mit Ihnen zu tun. Solange ich keine Erklärung habe, lasse ich Katsuya hier nicht fort“, deklarierte Isis.

„Das hört sich fast so an, als würden sie vermuten, ich hätte ihm das angetan“ Setos Stimme war ruhiger, dunkler und leiser als zuvor.

„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich weiß nur, dass es ihm nicht gut geht. Ich bin besorgt“, besonders der letzte Satz klang so, als würde sie eher vollkommen von Setos Schuld ausgehen. In ihm schwang Bissigkeit und Aggression mit. Und theoretisch hatte sie damit nicht einmal Unrecht. Nur hatte Katsuya sich das selbst zu verschulden.

„Katsuya?“ Eine Hand legte sich auf seine Schulter.

Rot. Ein Klirren. Seto war gegen den Glasschrank mit Medikamenten geknallt. Ein ähnlicher wie der, den Katsuya hier das letzte Mal zerstört hatte. Isis schrie auf und drückte sich an die Tür hinter sich. Der Blonde währenddessen fand sich auf seinen Füßen wieder, während er seine Hände zu Fäusten ballte.

„Du fasst mich nicht an“, erklärte er vollkommen ruhig, als würde er beiläufig über das Wetter sprechen.

Setos Lider verengten sich. Seine Lippen presste er zu einer Linie zusammen. Seine Augen bebten. Seine Finger knackten, als er sie zu seiner Handfläche zog. Sein Unterkiefer spannte an, ließ die Haut darüber zittern. Er sog langsam, aber hörbar die Luft ein. Der Brustkorb hob sich, der Rücken wurde durchgedrückt und er stieß sich von dem Schrank hinter sich ab. Sein Blick fixierte den Blonden, als er einen Schritt auf ihn zumachte.

„Na los, komm her“ Katsuya hob die Unterarme und winkte ihn heran. „Schlag zu. Lös‘ die Probleme mit Gewalt. Es ist ein bewährtes Prinzip. Trink, schlag‘ mich und weil du es bist – fick‘ mich“ Er verbreiterte seinen Stand. „Ich bin ganz dein. Tu alles, was du in deiner Erziehung für richtig erachtest“ Das nächste Wort spie er dem Stehengebliebenen praktisch vor die Füße. „Vater.“

Seto atmete tief durch, löste die Fäuste und drückte irgendetwas Imaginäres Richtung Boden, bevor er sprach: „Okay ... dann auf deine Art. Ich schlage dich nicht und ich vergewaltige dich nicht. Ich bin nicht dein Vater. Ich bin scheiß wütend auf dich, aber ich kann mich beherrschen.“

„Ach wirklich?“ Katsuya lachte hohl. „Darf ich dir einen Schnaps anbieten? Das hilft dir sicherlich darüber hinweg.“

„Katsuya, auch betrunken bin ich kein Monster. Ich will dir nicht wehtun“ In Setos Stimme schwang Verärgerung mit.

„Dafür brauchst du auch keinen Alkohol. Du schaffst es ohne gut genug. Aber mit schaffst du es glatt noch besser“ Er schnaubte. „Warum endet es jedes Mal, wenn ich denke, es könnte endlich gut werden, in einer noch größeren Katastrophe?“

„Wenn du zu deinem Vater zurück möchtest, dort ist die Tür“ Seto wies mit einer Hand darauf. „Es steht dir frei zu gehen.“

„Ich hasse dich“ Tränen quollen über. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell breche, aber bitte, du hast es geschafft. Du bist wirklich ein Meister darin, Leuten wehzutun“ Er trat mit zwei Schritten zu Seto, legte eine Hand auf dessen Wange, lehnte sich vor und setze einen Kuss auf dessen Lippen. „Leb wohl, Seto.“

Isis trat zur Seite, als er das Krankenzimmer verließ.

Obdachlos

Ich bin stark erkältet, meine Denkleistung ist gerade etwas eingeschränkt. Kommt von den Klimaanlagen. Ansonsten war mein Urlaub aber klasse ^.^ Leider hatte ich nicht eine Sekunde Zeit zum Schreiben, daher gibt es bei Soldier kein neues Kapitel diese Woche. DS hatte ich zum Glück noch neben der Arbeit getippt...

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya zog seinen Mantel enger um sich und drückte mit dem Rücken gegen die Wand hinter sich. Wenn einer gute Plätze zum Schlafen kannte, dann war er es. Hier gab es die Belüftungsanlage eines Kaufhauses, wo rund um die Uhr ein warmer Luftzug durchkam. Darum lag hier weder Schnee noch lief man Gefahr zu erfrieren.

Nur leider bedeutete das nicht, dass es warm war. Im September vielleicht, manchmal noch im Oktober, aber ganz sicher nicht am verdammten fünften Dezember. Katsuya zog die Nase hoch. Es war kalt. Es war einfach nur arschkalt. Und er war es nicht mehr gewöhnt, seine Nächte draußen zu verbringen.

War ein warmes Bett denn zu viel verlangt?

Und vielleicht was zu Essen? Gestern Abend hatte er nach Setos Auftritt nichts runter bekommen und heute hatte er auch keinen Bissen gehabt. Das war er auch nicht mehr gewohnt. Sein scheiß Magen tat weh.

Vielleicht war er jetzt schrecklich verwöhnt, aber das hier hielt er verdammt noch mal nicht aus. Er zog sich den Handrücken unter der Nase her und rappelte sich auf. Er sollte zu Yami gehen. Nein, der- nein, er arbeitete nicht mehr um diese Uhrzeit. Er konnte zu Yami gehen. Wärme und Essen gab es bei dem auf jeden Fall. Und an Seto hatte er jetzt echt nicht mehr zu denken. Wenn der ihn nicht haben wollte, bitte. Er war nicht daran gebunden, sein Leben bei ihm verrotten zu lassen.

„Guck dir den an“ Ein Punk aus einer kleineren Gruppe zeigte auf ihn, als er in ihrer Nähe vorbei ging. „Was für’n Wrack.“

„Wart‘ ma‘“ Einer von denen rappelte sich auf und lief Katsuya die wenigen Schritte nach. „Kenn‘ wa dich nich‘? Wars‘e nich‘ mal bei ‘n Boots?“

„Was, wenn ich es war, Alter?“, heischte Katsuya ihn an.

„Dann bis‘se der Kerl, dem ich noch ‘n Schlag in die Fresse schulde“ Der Kerl zögerte keine Sekunde, bevor er ihm einen Haken verpasste. „Das is‘ für meinen Bruder, bitch.“

Katsuya, der einen Schritt zurück gestolpert war, strich mit zwei Fingern über seinen linken Unterkiefer, hob den Blick und beobachtete den Anderen.

„Was’n? Willste mehr? So’n scheiß Maso, wa‘? Du bis‘ krank, Alter. Voll krank.“

„Wahrscheinlich ...“ Der Blonde seufzte und drehte sich ab. Sollten die Idioten doch weiter saufen. Er musste jetzt echt keine Prügelei anfangen. Er hatte Besseres zu tun, als sich über so etwas aufzuregen.

„Woah, fuck. Hab’ter den gehört? Voll der Spast. Hat ‘n paar zu viel auf’e Nuss bekommen, wa?“ Der Rest der Gruppe lachte. „Hey, Schwuchtel! Willst’es in den Arsch haben? Tut auch gut weh!“ Sie johlten.

Katsuya schüttelte einfach nur den Kopf und ging ungestört weiter. Idioten. War er wirklich auch so gewesen? Egal, was alles schief lief, eins wusste er: Dahin wollte er nicht zurück. Nie wieder so tief sinken.

Fuck. Sie folgten ihm. Er seufzte. Wegrennen oder kämpfen? Er könnte ihnen problemlos die Fresse polieren, aber er wusste, dass er das nicht sollte. Obwohl ... wen interessierte das noch? Seto sicher nicht. Yami hatte noch nie etwas dagegen gehabt, dass er Idioten vermöbelte. Also was hielt ihn auf?

Auf seine Lippen legte sich ein Grinsen, als er sich umdrehte.
 

„Name?“, fragte die Polizistin entnervt, während sie schmatzend ihr Kaugummi kaute.

„Katsuya ... Jonouchi“ Oder Kaiba? Theoretisch Kaiba. Seto hatte das ändern lassen. Egal, er war kein Kaiba. So gern er den Namen verdient hätte, er war nur ein Straßenköter. So würde Seto wenigstens nicht erfahren, dass er so blöd gewesen war, erwischt zu werden.

„Anschrift?“

„Hab‘ keine“ Nicht mehr. Bei seinem Vater hatte er zumindest noch eine nennen können.

„Wo du wohnst, Idiot“ Sie warf ihm über ihr Klemmbrett hinweg einen Blick zu.

„Ich wohne nirgendwo! Selber Idiot!“ Er trat mit einem Fuß gegen die Zelltür, hinter der sie stand.

„Lass den Scheiß oder du kriegst ‘ne Nacht mehr. Geburtstag?“ Er antwortete ruhig. „Du bist minderjährig?“

„Ja“, knurrte er und verbat sich selbst das Wort Fotze dahinter zu setzen.

„Wer ist für dich zuständig?“

„‘S Jugendamt“ Er ließ sich auf die Pritsche fallen.

„Scheiße“ Sie seufzte und sah sich um. „Gibt es irgendwen, den man anrufen kann, damit wir dich nicht die ganze Nacht ertragen müssen?“

Wohl kaum. Seto fiel auf jeden Fall weg. Yami hatte sicherlich keine legale Unterkunft, gemessen daran, dass er zur Zeit unter einem gefälschten Ausweis lief. Vater und Mutter hatte er nicht mehr und seinen alten Nachbarn würde er nach allem, was passiert war, nicht mehr anrufen. Auch, wenn der Kerl wahrscheinlich kommen würde. War er früher schließlich auch manchmal. Das ließ außer Noah nur noch einen übrig ...

„Ihren Kollegen Bakura. Der kennt mich“, erwiderte er in einem fast höflichen Tonfall.

„Buddha sei Dank“ Sie zog ein Telefon und drückte drei Tasten, bevor sie es an ihr Ohr hielt. „Hey, Taka, ich bin’s. Kennst du jemanden namens Bakura bei uns?“ Sie lauschte. „Ach, der, ich weiß, wen du meinst. Dieser blasse Kerl mit den weißen Haaren, nicht? Der, der aussieht wie ein Serienkiller. Ist der noch da?“ Sie grinste nach ein paar Sekunden. „Auf die Geeks ist Verlass, die haben schließlich kein Leben. Kannst du mich verbinden? Danke, Taka“ Sie sah kurz zu ihm. „Du hast verdammtes Glück, Kleiner“ Ihr Blick wandte sich wieder ab. „Abend. Wir haben hier einen Kerl namens ...“ Sie sah auf ihr Klemmbrett. „... Katsuya Jonouchi sitzen, meint, der kennt dich. Kannst du uns ‘ne Unterschrift geben, damit wir ihn rauswerfen können?“

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass Bakura zu Kollegen nett war. Oh, da war es schon ... ihr Gesicht verlor alle Farbe, ihre Gesichtsmuskulatur erschlaffte, die Lider weiteten sich. Nach einigen Momenten nahm sie das Handy vom Ohr und starrte es an, als würde sie vermuteten, dass es sich gleich in einen Imp verwandelte.

„Kommt er?“, fragte Katsuya halb mockend, halb ernst.

„Ich ... denke ...“ Noch immer auf das Handy starrend drehte sie sich um und ging langsam Richtung Ausgang der Zellen, gefolgt von dem Blick brauner Augen.

Nun, Schadenfreude war zumindest eine Freude.
 

Katsuya blinzelte verwirrt, als eine Viertelstunde später ein schwerer Schlüsselbund an seiner Tür gedreht wurde. War Bakura etwa wirklich gekommen? Er hatte es sich gerade schon bequem machen wollen. Er öffnete die Lider und setzte sich auf.

Tatsache. Da stand Bakura.

Und die schwer traumatisiert aussehende Polizistin öffnete die Tür, zog sie auf und stellte sich so hin, dass diese zwischen ihr und ihrem Kollegen stand.

„Schwing deinen Arsch da raus, ich hab‘ nicht die ganze Nacht Zeit“, maulte der Silberhaarige.

„Ich muss kurz noch aufwachen“ Katsuya erhob sich und trat heraus. „Du würdest mich doch niemals freiwillig aus diesem Loch holen. Ich muss also eingeschlafen sein, oder?“

„Ryou meinte, du hättest heute morgen scheiße ausgesehen und den kompletten Tag auf der Krankenstation verbracht“ Der Ältere winkte ihn hinter sich her. „Er macht sich Sorgen. Ich glaube, er geht mir an die Gurgel, wenn ich ihm erzähle, dass ich dich da unten habe liegen lassen.“

„Okay ... dann danke für die Sorge“ Der Andere rümpfte nur die Nase. „Wo gehen wir hin?“

„Mein Büro. Ich muss noch arbeiten.“

„Soll ich dann-“

„Du kommst mit“, unterbrach Bakura ihn, „was auch immer jetzt wieder über deine Leber gelaufen ist, ich lasse dich nicht einfach gehen, um noch mehr Scheiße anzustellen“ Sie bogen von der Treppe ab in einen Gang, wo sie die dritte Tür rechts nahmen. Der Raum dahinter war nicht viel größer als eine Besenkammer und außer den drei Computern passte nur ein Stuhl hinein, auf den Bakura sich setzte. „Nimm das Katzenkissen. Aber wunder‘ dich nicht, wenn du gebissen wirst. Minka hat ein ziemliches Temperament.“

„Ihr habt eine Katze im Präsidium?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Minka ist eine Ratte“ Der Polizist warf einen Blick über seine Schulter. „Nicht erschrecken, sie springt dir gleich auf den Kopf.“

Danke ... es war genug Vorwarnung, dass er nicht sofort den Kopf nach hinten schlug. Er atmete tief durch und hielt still. Blödes Vieh. Seine Haare waren doch kein Nest. Das kleine Ding hüpfte auf seine Schulter, wobei ihr langer Schwanz auf seinen Rücken fiel. Er wandte ihr langsam den Kopf zu und sie machte so weit Platz, dass er sie ansehen konnte. Es war eine hübsche und gepflegte Ratte, so viel musste er ihr ja lassen. Sie begann, an seiner Lippe zu schnüffeln.

„Lass mich raten, Minka ist deine beste Freundin?“ Katsuya hob eine Hand und begann sie zu streicheln. War eine ziemlich zutrauliche Ratte.

„Sie vertreibt einem die Zeit, wenn es nichts zu tun gibt“ Während sie sprachen, tippte Bakura unablässig Dinge ein, wobei er immer wieder einen Schalter umlegte, der wahrscheinlich zwischen den einzelnen Computern wechselte. Auf jeden Fall tat sich auf jedem Bildschirm etwas.
 

„Was genau machst du da?“ Katsuya ließ die Ratte von einem Arm auf den anderen laufen und begann mit seinem Körper einen Hindernisparcour für sie zu bauen. Lustiges kleines Ding. Die war wirklich gut drauf.

„Ich gleiche die Datenbank mit ein paar neuen Straffälligen ab. Heute Nacht sind zu viele Idioten unterwegs.“

„Ist das wirklich etwas, was um diese Uhrzeit noch gemacht werden muss?“ Schließlich war es schon nach Mitternacht, oder?

„Letztens gab es einen Anschiss vom Chef, weil wir einen Kerl hatten, der gesucht wurde. Allerdings haben wir ihn nur ausgenüchtert und wieder rausgeworfen, weil keiner mit der Datenbank abgeglichen hat. Normalerweise machen wir das morgens, bevor wir die Leute wieder auf freien Fuß setzen, aber ich will morgen frei haben, also schiebe ich Nachtschicht. Ich habe keinen Bock morgen früh nur deswegen noch mal aufzukreuzen“ Er drehte einen Bildschirm in Katsuyas Richtung. „Siehst du diesen Idioten hier? Die verlangen ehrlich von mir, dass ich seine Vorstrafen und jeden Aufenthalt hier abschreibe. Ich will gar nicht nachzählen, wie oft der schon hier war“ Katsuya seufzte und betrachtete das Foto von sich selbst mit dreizehn Jahren. Da war er das erste Mal hier gewesen. „Nimm dir ‘nen Stift und schreib‘ deine Scheiße selber ab“ Bakura reichte ihm einen Bogen.

„Sorry, Minka“ Er setzte die Ratte ab. „Arbeit ruft“ Er nahm das Stück Papier und einen Stift entgegen und begann, alles in die vorgesehenen Kästchen einzutragen. Es war wirklich nur stupides Abschreiben. War er echt so oft hier gewesen? „Wie kommt es, dass du nichts abschreibst?“

„Ich sende denen da unten die entsprechenden Files, die können das selber abschreiben“ Er sah zu Katsuya herab und setzte ein schiefes Grinsen auf. „Bei dir ist das rein erzieherisch.“

„Du mich auch, Alter“, grummelte der auf dem Boden Sitzende zurück.

„Während du schreibst, kannst du mir ja erzählen, was Kaiba jetzt wieder angestellt hat“ Bakura stieß die Turnschuhe von seinen Füßen und zog seine Beine auf seinem Drehstuhl in den Schneidersitz. „Hat er sich doch als Psychopath erwiesen?“

„Nur Soziopath“ Katsuya schnaubte. „Ich kann den Kerl echt nicht mehr ertragen.“

„Lieber sitzt du mit mir hier rum?“ Der Andere hob eine Augenbraue. „Kaiba muss echt gut drauf sein, wenn du ihm gerade meine Gesellschaft vorziehst“ Er drehte den Stuhl in Katsuyas Richtung. „Also was hast du angestellt?“

Der Blonde atmete tief durch und ließ den Bogen sinken. Wollte er echt mit Bakura darüber reden? Er fasste es selbst nicht ganz, als sein Mund Worte formte: „Ich habe ihn betrogen. Mit Yami. Darauf ist er abgedreht und hat alles getan, um mich davon zu jagen. Und heute bin ich entgültig abgehauen. Habe „leb wohl“ gesagt und bin weg.“

„Uh-huh ...“ Bakura zog sein privates Handy, tippte etwas, hielt es an sein Ohr und wartete. Wen zur Hölle rief er denn um diese Uhrzeit an? „Hi, Kaiba“

Nicht sein Ernst, oder? Katsuyas Lider weiteten sich. Warum rief er ... was sollte das?

„Klar weiß ich, wie spät es ist. Ich wollte nur wissen, ob du noch lebst. Wär‘ scheiße, wenn du abkratzt“ War das gerade seine freundliche Art, um auszudrücken, dass er sich Sorgen machte, dass Seto sich selbst umgebracht hatte? „Ja ... muss das sein? ... ich hoffe, du weißt, dass ich 'ne fette Belohnung will ... ja, ja, schon klar ... bring einfach eine Leine mit, das Halsband trägt er noch ... ja ... ja, ja, bis dann“ Er nahm das Gerät vom Ohr und klappte es zu. „Wow, klang der scheiße. Das waren mindestens zwei Promille.“

„Ich weiß, er säuft wieder.“

„Kein Wunder“ Bakura lehnte sich zurück. „Er ist so’n Typ. Frisst alles in sich hinein.“

„Was würdest du denn machen?“ Katsuya legte den Bogen vergessen zur Seite.

„Hm?“

„Wenn du an Setos Stelle wärst. Was würdest du tun?“

Die Leine

Ach ja, falls es noch nicht auffiel, ab jetzt gibt es wieder montags Kapitel ^.^

Und ich würde gerade echt alles geben für eine Portion japanischen Reis... ich hab' Hunger T.T Und Stress. Stress ist doof. Mag keinen Stress. Macht den weg >.< Na ja, ich muss selber lachen, während ich das hier schreibe. Freitag ist eine Prüfung, ich hoffe, danach ist etwas Ruhe. Drückt ihr mir die Daumen?

Ich wünsche auf jeden Fall viel Spaß beim Lesen!
 

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„Wenn ich an Setos Stelle wäre?“ Bakura hob beide Augenbrauen. „Wäre ich ich, ich würde Yami masakrieren und dich bei mir einsperren und so oft vögeln, bis ich sicher bin, dass du nie wieder so etwas Dummes machst.“

Katsuya schluckte. Er wusste schon, warum er nicht das geringste an Bakura fand, auch wenn der Typ sehr exotisch aussah mit den silberweißen Haaren. Wie ein böser Geist. Auf eine komische Art und Weise war es attraktiv, aber seine Persönlichkeit war es nicht mal ansatzweise.

„Kaiba währenddessen sorgt dafür, dass du abhaust und nicht wieder kommst, damit du ihn nicht noch mehr verletzt. Und dann versinkt er in Selbstmitleid und säuft sich die Hucke zu. Ist zumindest besser, als sich die Arme aufzuschneiden. Oder die Kehle.“ Er ließ die Lippen schnalzen. „Der Typ ist zu blöd, um zu bemerken, dass er ohne dich noch schlechter dran ist als mit dir. Auch, wenn das total schwach ist.“

„Seto braucht mich?“ In Katsuyas Stimme hatte sich etwas Flehendes gelegt.

„Das musst du Idiot schon selber rausfinden“ Bakura schnaubte und schüttelte den Kopf. „Warum hat er sich gerade an einen Schwachmaten wie dich gehängt? Dummkopf. Selber Schuld.“

„Und was soll ich jetzt tun?“ Stellte er diese Fragen wirklich Bakura? Glaubte er echt, eine sinnvolle Antwort zu kriegen? Seto und Bakura mochten sich in manchen Dingen ja ähnlich sein, aber doch nicht ... verleitete ihn die Antwort nicht nur zu Dummheiten?

„Du?“ Eine Augenbraue hob sich. „Du lässt dich morgen brav von ihm abholen, sobald er wieder nüchtern ist“ Bakuras Mund verzog sich in ein Grinsen. „Und zuhause schlägst du ihn nieder, vergewaltigst ihn und sagst ihm, dass er dir gehört. Wenn er Alkohol trinkt, verprügelst du ihn und wenn er nüchtern ist, fickst du ihn. Einfache Erziehung per Zuckerbrot und Peitsche.“

„Niemals“, erwiderte Katsuya sofort.

„Dann lass dich halt von ihm fertig machen. Mir soll es egal sein. Einer wird leiden und bluten“ Der Andere lehnte sich vor. „Und mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wenn es nicht Kaiba ist.“

„Und wie erreichst du das, indem du mir sagst, dass ich ihn schlagen soll?“ Oder war das nur für ihn ein Haken in der Logik?

Bakura schnaubte nur, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Es hinterließ den fahlen Nachgeschmack, dass Katsuya wohl zu dumm war, um ihn zu verstehen. Oder wollte der Ältere nur nicht zugeben, dass das keinen Sinn machte?

Oder machte es Sinn? Wenn er Seto schlug und vergewaltigte, würde er fraglos leiden, wenn auch nicht bluten. Bluten würde Seto. Wenn Seto so weitermachte wie bisher, litt und blutete Katsuya. Oder? Oder wusste Bakura etwas, was er nicht wusste? Wahrscheinlich machte er sich nur zu viele Gedanken.

Bakura schien Seto ja eh für reichlich labil zu halten. Wegen so etwas brachte der sich nicht um, oder? Er hatte schließlich den Alkohol. Warum auch noch Selbstmord? Das machte doch keinen Sinn. Seto würde nicht sein Versprechen brechen, oder? Er tat sich wegen dieser Sache nichts an, richtig?

Schlagartig wurde ihm kalt und ein Schauer durchlief seinen Körper.

Seto.

Tot.

Nein ... das würde er nicht machen, oder? Das würde er ihm nicht antun. Nur ... was hielt ihn davon ab? Was hielt ihn noch am Leben?
 

„Mitkommen“, meinte Bakura plötzlich, griff nach etwas Klapperndem neben dem Bildschirm und verließ den Raum.

Katsuya, der gerade mit Minka gespielt hatte, sah auf, blinzelte, setzte die Ratte ab und hechtete dem Anderen hinterher. Wo wollte der denn plötzlich hin? Wenigstens sah er ihn gerade noch so um die Kurve biegen. Mit einem Sprint kam er hinter den anderen, der eine Glastür öffnete, die zum Treppenhaus führte, während er einen Mantel anzog. Drei Stockwerke tiefer traten sie in eine Tiefgarage, wo Bakura sich nach rechts wandte und einen Schlüssel aus seiner Manteltasche zog.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Fahren“ Er ging zu einem Motorrad, steckte den Schlüssel unter den Sitz und klappte dieses hoch. „Hier, zieh das an“ Ein Helm flog grob in seine Richtung. „Du sitzt hinten. Du hältst dich an mir fest. So fest, dass du dich nicht einen Millimeter bewegst. Wenn ich mich in eine Kurve lege, machst du mit. Du schreist nicht. Du kotzt nicht.“

Grandiose Aussicht. Wetten, Bakura war ein sehr umsichtiger Fahrer? Danke, er sich auch. Fiel das unter suizidales Verhalten? Sich bei ihm auf das Motorrad zu setzen? Und wo wollten sie denn hin? Ab von all diesen Fragen gehorchte er jedoch wortlos, zog den Helm so an, wie er es bei Bakura gesehen hatte und setzte sich hinter ihn, nachdem dieser das Geross gewendet hatte.

Der Andere lehnte sich zur Seite, drehte sich dabei zu ihm, packte mit einer Hand nach dem Visier und zog es so kräftig zu, dass das untere Stück auf Katsuyas Brust schmetterte. Dieser verbiss sich jedoch jeden Kommentar und atmete tief durch.

Atmen unter diesem Ding war auch nicht gerade leicht. Hoffentlich würde das sein einziges Problem bleiben. Der Motor rohrte auf, sie fuhren an und Bakura lehnte sich ein Stück vor. Katsuya legte lasch einen Arm um seine Taille. Dieser wurde gegriffen und daran gezogen, sodass er gegen Bakura prallte. Ne, jetzt, oder? Das war doch wie Umarmen. Bakura war echt einer der letzten, wo er das wollte. Er atmete tief durch und seufzte. Er könnte auch in einer Zelle hocken, also sollte er wohl dankbar sein.

Sie passierten die Schranke und bogen auf die Straße ab. Sie beschleunigten auf knapp über der Höchstgeschwindigkeit und fuhren bis zur innerstädtischen Schnellstraße relativ passabel. Katsuya überlegte schon, ob er einfach seinen Kopf auf die Schulter seines Vordermanns legen sollte, als plötzlich ein Ruck durch die Maschine ging und sie fast auf der Stelle stark beschleunigten. Sie zogen an mehreren Autos vorbei, bevor sie sich einordneten – halt, von einordnen konnte keine Rede sein, sie schlängelten sich durch die Massen, bis die Straße so breit wurde, dass sie zwischen ihnen herfahren konnten. Katsuya drückte verzweifelt die Beine an die Maschine. Seitenspiegel verfehlten sie nur um Millimeter. Vielleicht drückte er Bakura gerade die Luft ab, aber ehrlich gesagt war ihm das scheißegal. Konnten sie nicht bitte einfach nach Verkehrsregeln fahren?

Endlich, eine Ausfahrt ... langsamer ... langsamer? Katsuya schluckte. Nein ... oh, nein, bitte nicht ... er sog tief die Luft ein, schloss die Augen und versteifte sich. Wie Bakura gesagt hatte, einfach mit in jede Kurve legen, genau wie er. Er wusste schon, was er tat. Auch wenn er mit verdammten dreistelligen Geschwindigkeitszahlen eine Ausfahrt nahmen und sie dabei fast parallel zum Boden fuhren.
 

Katsuya sank auf seine Knie und strich ungläubig über den Asphalt.

Boden. Echter Boden. Er hätte ihn geküsst, hätte er keinen Helm aufgehabt. Er würde nie, niemals wieder mit Bakura Motorrad fahren. Niemals. Zitternd löste er die Schnalle und zog den Helm von seinem Kopf, wobei er sehr auf die Piercings in seinen Ohren achten musste.

„Wenn du kotzt, wischst du es selbst auf“, ließ Bakura ihn wissen.

Er dachte nicht mal daran. Wie eine heilige Reliquie reichte er dem Anderen im Knien den Helm. Dieser eine Gedanke hielt alle anderen wie „Mir ist speiübel“ oder „Danke, dass ich noch lebe“ in Schach. Niemals wieder. Auf seine Lippen legte sich ein Lächeln. Hoffentlich wirkte es so grotesk, wie er sich fühlte.

„Mitkommen“, befahl Bakura erneut und sah ihn nicht einmal an. Er ging voraus, strebte auf den Aufgang des Parkhauses zu und nahm die Treppe.

Katsuya folgte ihm einfach. Er dachte schon nicht einmal mehr darüber nach, was er tat. Bakura einfach zu gehorchen, wirkte gerade wie etwas sehr Sinnvolles. In seinem Kopf schien sich beiläufig einzuhämmern, dass er zu einem späteren Zeitpunkt nochmal darüber nachdenken sollte, aber gerade jetzt war es einfach nur sein innigster Wunsch, keinen Stress zu produzieren. Und Bakura nicht zu gehorchen, wäre das fraglos.

Er führte sie mehrere Etagen hoch, obwohl direkt neben der Treppe ein Aufzug war. Er schien sie nicht zu mögen. Vielleicht traute er ihnen nicht. In so etwas wie der dritten oder vierten Etage verließen sie das Treppenhaus und kamen auf einen von Türen gesäumten Gang, der Katsuya nach einigen Sekunden sagte, wo er sich befand.

Ryous und Bakuras Wohnung. Der Andere hatte ihn zu sich nach Hause gefahren. Dieser schloss die Tür auf, ließ sie beide herein und schloss danach wieder zu. Wortlos dirigierte er ihn Richtung Wohnzimmer und bedeutete ihm, leise zu sein. Nachdem Katsuya ins Wohnzimmer getreten war, traf ihn eine Decke im Nacken, bevor die Tür geschlossen wurde.

Anscheinend sollte er schlafen.

Blinzeln sah der Blonde auf die Decke hinab.

Wow ... das würde Seto wahrscheinlich einen großen Gefallen kosten. Ein Stich durchfuhr Katsuya. Seto ... würde er wirklich morgen kommen, um ihn abzuholen? Sollte er das zulassen? Oder sollte er vorher abhauen? Sollte er jetzt abhauen?

Ehrlich gesagt war er hundemüde und hier war es warm. Morgen früh konnte er immer noch abhauen. Mit einem Nicken streifte er Schuhe, Jackett, Hose und Hemd seiner Schuluniform ab und schlang die Decke um sich, bevor er sich auf die Couch legte.

Ja ... es war angenehm. Es war warm. Es war sehr behaglich, auch wenn im Nebenzimmer ein Massenmörder schlief.

Ihm war nur leider kotzübel.
 

„Katsuya?“

„Urhm ...“ Welt. Realität. Menschen. Katsuya zog den Kopf ein und versuchte die Decke darüber zu kriegen. Sie sollten verschwinden. Einfach alle verschwinden. Warum konnten sie ihn nicht einfach liegen lassen und vergessen? Er wurde doch eh nicht gebraucht. Fiel nur allen zur Last. Wenn er einfach liegen blieb, konnte er doch nichts Schlimmes anstellen, oder?

„Nein! Nicht!“ Die helle Stimme klang flehend, doch es folgte nur unverständliches Brummeln.

„Köter, steh auf“, befahl eine Person mit rauem Tonfall und in Katsuya ging eine Alarmglocke los, dass er das befolgen sollte. Es fühlte sich nur viel besser an, hier zu liegen. Die Stimmen würden schon weggehen. Sie würden ihn allein lassen, wie alle anderen auch. So war es gut. Stille.

„Ar- a- au- au!“ Katsuya schnappte verzweifelt nach der Hand, die ihn gerade am Ohr vom Sofa zog. Er rammte die Nägel hinein, suchte gleichzeitig Halt auf dem Boden und schlug die Augen auf. Ein Tritt in die Seite beförderte ihn auf das Laminat neben der Couch.

„Wach“, urteilte Bakura, schnaubte und verließ den Raum.

Arschloch.

Ryou blieb einfach sitzen, wo er wahrscheinlich zuvor schon auf dem Boden gekniet hatte. Den Kopf eingezogen, die Unterlippe zwischen den Zähnen, im Gesicht ein um Entschuldigung flehender Ausdruck. Er wich etwas zurück, als Katsuya sich erhob.

„Wie ... geht es dir?“, fragte der Kleine vorsichtig.

„Wenn Bakura mich mit dir allein lässt, kann es mir nicht allzu schlecht gehen“ Der Blonde kniff die Lider zusammen. Scheiße. Kopfschmerzen. „Hast du was zu trinken für mich?“

„Wasser? Saft?“

„Milch?“, fragte er mit Hoffnung im Tonfall.

„Kommt sofort!“ Ryou sprang auf und düste davon.

Katsuya seufzte. Es stand in seinen Augen geschrieben. Seiner Haltung. Seinem Benehmen. Ryou hatte Angst. Gräßliche Angst – vor ihm. Er schüttelte den Kopf und ließ ihn hängen. Er wollte nicht, dass Leute vor ihm Angst hatten. Aber irgendwie schien er es nicht ablegen zu können. Es verfolgte ihn wie ein Fluch.

„Katsuya?“ Er blinzelte und sah auf. „Bitte schön“ Ryou reichte ihm einen Becher. „Möchtest du gern frühstücken? Ich habe den Tisch für drei gedeckt. Auch wenn Bakura schon angefangen hat.“

„Danke, Kleiner“ Der Größere lächelte müde. „Essen klingt gerade verdammt gut.“

Alles, was auch nur ansatzweise nicht damit zu tun hatte, dass Seto kommen würde, klang gut. Er wollte ihn nicht sehen. Nicht mit ihm reden. Er wollte einfach nur weg. Aber er konnte auch nicht ewig wegrennen. Irgendwie musste er sich dem stellen. Irgendwie mussten sie eine Lösung finden.

Sein Kopf hämmerte, aber die Milch tat sehr gut.

Vielleicht konnte etwas Reis und Miso den Rest ausgleichen.

Vielleicht würde er irgendwie akzeptabel auf diesem Gespräch hervor gehen. Nachdem Seto hier war. Wenn Seto kam. Falls Seto kam ...

Der Wolf

Moin ^.^ Das Leben ist schön und überall sind Blümchen! Findet ihr nicht auch? Mein Unterricht über Hepatitis B war heute recht erschütternd. Ich lehre das ja seit über drei Jahren, aber heute kam ein erschreckender Fakt, den ich vorher noch nicht wusste: Hep B wird zu 90% über Mutter-Kind-Übertragung weitergegeben (weltweit gesehen natürlich, nicht in Deutschland). Mehr als jedes zehnte Kind kriegt davon eine fortschreitende Lebererkrankung (heißt Tod meist so um das dreizigste Lebensjahr mit sehr viel Leid davor) und jedes zwanzigste Leberkrebs. Die Impfung würde 40 Euro kosten. Und es wird nicht gemacht O.O Wir stecken Millionen darein, die Leute vor HIV zu schützen, was praktisch nichts bringt, weil unsere derzeitigen Mittel nicht ankommen, aber so etwas Simples machen wir nicht, obwohl es Hep B bis auf die sexuelle Übertragung (wo dasselbe Problem wie bei HIV besteht) praktisch auslöschen würde. Und das hier gilt nicht nur für Afrika. Asien und Osteuropa sind davon genauso betroffen.

Egal, das hat nichts mit Delusive Society zu tun. Hier euer neues Kapitel - viel Spaß beim Lesen ^v^
 

Und ich möchte hier schonmal warnen, dass das nächste Kapitel nicht so einfach zu verdauen wird!
 

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„Spuck’s aus“, fuhr Bakura ihn an.

Katsuya, der gerade recht unschuldig die Schale mit Misosuppe an seine Lippen gesetzt hatte, zuckte erschrocken zusammen und riss sie von sich. Mit Mühe und Not schaffte er es, nichts zu verschütten. Mit geweiteten Lidern sah er zu seinem Gegenüber am Tisch.

„Was soll die miese Stimmung?“

Ryou sah seinen Bruder lächelnd an. Ah. Einen Moment lang hatte sich Katsuya schon gefragt, ob irgendetwas plötzlich nicht mehr ganz mit rechten Dingen zuging. Bakura würde sich kaum aus eigenem Antrieb bei ihm erkundigen. Ryou meinte es nur ein bisschen zu gut.

„Uhm“ Er stellte vorsichtig die Schale ab. „Hatte ich das richtig verstanden, dass Seto hier her kommt?“

„Hatte er vor“ Bakura hob eine Augenbraue.

„Tja ... das macht mir etwas Sorgen. Wir sind im Streit auseinander gegangen“ Reichte als Erklärung, oder? Andererseits stritten sie schon die ganze Zeit. War wohl kaum eine Neuigkeit. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht wiederkommen werde.“

„Im Streit?“

„Nein, im Ernst“ Das riss Ryous begeisterten Blick von seinem Bruder weg. „Ich werde nicht mit ihm gehen.“

„Du wirst kaum hier bleiben“ In der Stimme des Älteren schwang ein Knurren mit.

„Hm“ Katsuya nickte langsam. „Ich weiß.“

„Wo willst du denn dann hin?“, fragte Ryou, nachdem sein Bruder wohl nichts mehr zu fragen hatte. Anscheinend hatte der Dialog die Grenzen von Bakuras Sozialkompetenz schon gesprengt.

„Keine Ahnung. Vielleicht zu meiner Mutter“ War das gerade ehrlich über seine Lippen gekommen? Nicht sein Ernst, oder? Dass er das überhaupt als Möglichkeit in Erwägung zog ... so verzweifelt war er nicht, oder? Da war es eine bessere Idee, bei Ayumis Eltern als Kellner anzufangen und sich dort als Untermieter einzuquartieren.

„Was hat Kaiba getan, dass du so durch bist?“, fragte Bakura und lehnte sich auf den Tisch.

Ryou sah blinzelnd zu seinem Bruder. Er schien ebenso überrascht, wie Katsuya sich gerade fühlte. Zeigte der Kerl gerade ernsthaft Interesse für seine Lage? Er grinste nicht einmal fies.

„Nun ... er hat auf mich eingeschlagen. Physisch. Verbal. Emotional. Hat mich beleidigt, von sich gestoßen, mich schuldig und hilflos fühlen lassen“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Das Schlimmste war eigentlich, dass er mir immer wieder einen Hoffnungsschimmer gegeben hat, nur um ihn dann wieder zu zerstören. Jetzt wieder. Was will er hier? Warum will er mich abholen? Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich schaffe das nicht, noch mal und noch mal enttäuscht zu werden“ Er legte eine Hand vor seine Augen. „Es tut einfach weh, immer wieder seine Wünsche in greifbarer Nähe unter die Nase gehalten zu kriegen, bevor man geschlagen wird.“

„Aber so macht man Leute von sich abhängig. Nur so stellt man sicher, dass sie bei einem bleiben“ Bakura sah zu seinem Bruder und strich ihm über die Wange. „Bei Ryou weiß ich, dass er immer mein Bruder bleibt. Dem kann er nie entkommen. Aber bei jedem anderen würde ich genauso handeln.“

„Mich bringt das nicht dazu, bei ihm bleiben zu wollen“ Katsuya atmete tief ein und aus, um den Tränen keine Chance zu geben. Hilfe. Er klang wie die letzte Dramaqueen. Er hatte sich echt nicht mehr unter Kontrolle.

„Dabei hat er die Übung ... nun, wahrscheinlich will er nicht, dass du deswegen bei ihm bleibst. Vielleicht hat er ja das noble Ziel, dich aus eigener Kraft zu halten. Ohne Manipulation“ Bakuras Blick wandte sich zur Decke. „Er sollte wirklich akzeptieren, dass er aus seiner Haut nicht rauskommt.“

Damit wandte er sich wieder dem Essen zu. Das Thema war wohl abgeschlossen.
 

„Ich kann mich nicht konzentrieren“ Seufzend legte Katsuya das von Ryou geliehene Geschichtsbuch zur Seite. „Wann will er sich denn herbequemen? Langsam macht mich das nervös.“

„Willst du ihn vielleicht anrufen?“, schlug Ryou vor.

„Vielleicht“ Katsuya atmete tief durch und seufzte. „Wehe, dem Mistkerl ist auf dem Weg irgendwas passiert“ Er fuhr mit dem Handballen über ein Auge. „Manchmal hasse ich ihn.“

„Ich vermute, das schweißt einen zusammen.“

„Was?“

„Streit“ Ryou sah nicht von dem Buch auf, was er las. „Manchmal werde ich eifersüchtig, wenn ich Paare streiten sehe. Das könnte ich nie. Ich kann immer nur hoffen, dass Kura mir das gibt, was ich brauche. Ich kann ihm nicht sagen, was das ist.“

„Funktioniert das?“ Eine blonde Augenbraue wurde gehoben.

„Ich ... denke. Ich vermute, das ich glücklich bin. Schließlich müsste ich mich unglücklich fühlen, wenn dem nicht so wäre, richtig?“ Er sah zu Boden und nickte. „Ja, ich bin glücklich.“

„Du klingst wie Seto, wenn er mal wieder nicht weiß, was er überhaupt empfindet“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Ich finde das erschreckend. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das wäre, ohne Gefühle zu leben. Manchmal wünschte ich ja, ich hätte weniger. Oder könnte sie besser kontrollieren. Wenn ich wütend bin, kann ich mich kaum stoppen. Mir sieht man immer an, was ich denke oder fühle. Ich vermute, als Diplomat würde ich mich echt schlecht machen.“

„Oder gut. Ich denke, es ist leichter, wenn man weiß, was sein Gegenüber wirklich fühlt. Ich glaube, außer Kura kann das bei mir keiner“ Das versetzte einen Stich – hatte er Ryou schon oft falsch verstanden? „Aber er ist dazu übergegangen zu ignorieren, was ich nicht ausdrücklich sage. Er meint, ich muss lernen, mich auszudrücken. Ich kann dir sagen, so etwas tut verdammt weh.“

„Mir würde es ja reichen, wenn ich erstmal Setos Signale verstehen würde. Aber die sind oft verdammt widersprüchlich. Mal liebt er mich, mal kann er mir nicht verzeihen, mal hasst er sich und glaubt, er wäre mich nicht wert, mal denkt er, ich wäre ihn nicht wert ... zumindest verstehe ich das aus seinem Verhalten“ Er lehnte sich zurück und seufzte erneut. „Manchmal ist er mir zu kompliziert.“

„Es ist, als wäre er manchmal jemand ganz anderes, nicht? Das habe ich mir auch schon manchmal gedacht. Ich muss mich manchmal daran erinnern, dass er ein und derselbe Mensch ist“ Ryou sah zu dem Anderen hinüber. „Sein Verhalten kann sich echt rapide ändern. Bei Bakura werde ich nie überrascht. Er ist fast immer derselbe. Dass er sich vorhin plötzlich wirklich nach dir erkundigt hat, war die einzige Überraschung der letzten paar Wochen.“

Katsuya schwieg dazu. Er würde Ryou kaum erzählen, dass Seto eine gespaltene Persönlichkeit hatte. Ihm selbst waren die Änderungen in seinem Verhalten gar nicht so krass aufgefallen. Klar, er merkte es, wenn Seto plötzlich zum Kind wurde, das war ja auch ziemlich drastisch. Aber subtile Änderungen? Was verwirrte Ryou denn? Wo musste er sich daran erinnern, dass Seto ein und derselbe war? Er kannte ihn doch nur von der Schule, dem Kaffeetrinken und ganz selten mit Katsuya zusammen.
 

Als die Haustürklingel endlich ging, war es später Nachmittag. Bakura hatte sich dazu erbarmt, mit ihnen beiden Karten zu spielen, als er Katsuyas Nervosität kaum mehr ausgehalten hatte.

„Wehe, es ist ein Versicherungsvertreter ...“, knurrte er jetzt nur und erhob sich, um zu öffnen.

Das Geräusch vom Entsichern der Waffe ließ Katsuya nicht zusammen zucken. Er bekam viel mehr mit, wie ein Zittern von seinem ganzen Körper Besitz ergriff und ihn durchschüttelte. Nicht vor Bakura. Nicht um Seto. Vor Seto. Sein Atem beschleunigte sich.

„Katsuya, du hyperventilierst“, stellte Ryou recht ruhig fest. Es schien ihm keine allzu großen Sorgen zu machen. Als dieser jedoch nicht reagierte, schnippte der Jüngere vor seiner Nase mit Finger und meinte: „Ruhig, Katsuya. Ein ... und aus. Ein ... aus.“

Er folgte den Anweisungen. Er behielt den Rhythmus, auch als Stimmen an der Tür zu hören waren.

„Nüchtern?“

„Einigermaßen“ Setos Stimme klang belegt.

„Du klingst nicht einmal ansatzweise danach.“

„Ich bin nüchtern genug, um mit ihm zu reden. Lass mich rein“ Ein Moment der Stille, bevor Seto die Stimme hob. „Katsuya?“

Der Blonde zuckte zusammen. Das klang ... einfach nur laut. Vielleicht eine Spur verärgert. Was wichtig war, war nicht, wonach es klang – sondern wonach es nicht klang. Reue. Entschuldigung. Besorgnis. Davon war nichts zu hören.

„Er hat Angst vor dir“ Bakuras Stimme zeigte nicht den Hauch einer emotionalen Regung.

„Er hat Scheiße gebaut“ Zumindest klang der Älteste nicht allzu wütend. „Das weiß er selber.“

„Nein“ Katsuya blinzelte bei der Worten des Anderen. Sprach Bakura gerade für ihn? „Wenn ich das richtig verstanden habe, erwartet er eine Entschuldigung von dir. Auch wenn er Scheiße gebaut hat, war das nur eine Reaktion auf das, was du in letzter Zeit alles getan hast.“

„Bakura, ich werde das nicht mit dir ausdiskutieren. Lass mich zu meinem Freund“ Dieses Mal klang es eine Spur schärfer.

„Diesen Freund hast du verlassen, Kaiba. Mir war nicht bewusst, dass ihr wieder zusammen seid“ Bakuras Stimme schien etwas dunkler als zuvor. Die wirkte abwehrend, ablehnend, wenn man das vorher als neutral bezeichnen konnte. Die Worte ließen Katsuya nach Ryous Hand greifen.

„Ob er mein Freund, Ex oder Sohn ist, ist gerade verdammt egal, Bakura. Ich will mich nicht wiederholen müssen“ Seto klang nach Gefahr.

„Egal, was er ist, er hat ein Recht, selbst zu entscheiden, ob er dich sehen will oder nicht. Ich bin verdammt sicher, dass er dich so nicht sehen will. Du bist betrunken, aggressiv und verletzt. Geh, lass dich an etwas anderem aus und komm dann wieder.“

„Bakura, ich werde n-“

Ein Pistolenschuss unterbrach die wütende Stimme.
 

Stille.

Ein leichter Geruch von Schießpulver und Verbrannten breitete sich aus.

Kein Schrei. Kein Aufschlagen eines leblosen Körpers. Aber auch kein weiteres Wort.

Die Haustür wurde in aller Ruhe geschlossen und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Waffe fand ihren Platz in der Schublade der Seitenkommode. Bakuras Schritte führten diesen zurück ins Wohnzimmer.

Katsuya zitterte am ganzen Körper und drückte Ryous Hand, der keinen Ton sagte, obwohl es schmerzen dürfte. Seine Lider waren geweitet, der Blick starr zur Haustür gerichtet, obwohl eine Wand dazwischen lag. Ob er noch atmete, konnte Katsuya selbst nicht sagen.

„Katsuya“ Bakura kniete sich seitlich neben ihn und schnippte vor seiner Nase. „Kaiba ist weg. Du brauchst keine Angst mehr haben“ Der Blonde drehte den Kopf langsam in dessen Richtung. „Ich habe ihn nicht angeschossen. Die Kugel ging als Warnschuss in die Wand.“

Katsuya atmete langsam ein und wieder aus. Mit dem Ausatmen schloss er die Lider und sackte etwas in sich zusammen. Nach einigen Sekunden des Sammelns sah er zu Bakura auf. Er hatte Seto nicht erschossen. Auch nicht angeschossen. Er hatte ihn des Platzes verwiesen. Er hatte sich für ihn eingesetzt und Seto weggeschickt. Bakura – für ihn.

„Danke.“

Der Silberhaarige machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und meinte nur abfällig: „Ich kann missbrauchende Idioten nicht ausstehen. Ich wünschte, mich würde bisweilen jemand aufhalten. Kaiba wird mir später dankbar sein“ – er erhob sich – „nur, damit keine Verwirrung aufkommt: Ich habe das für Kaiba getan. Nicht für dich.“

„Damit kann ich leben“ Katsuya atmete tief durch. „Trotzdem danke.“

„Hm“, kommentierte Bakura ohne Konnotation, „ich werde baden gehen. Sollte jemand klingeln, sagt mir Bescheid. Öffnet die Tür nicht selbst.“

„Auf jeden Fall“, erwiderte der Blonde mit vollster Sicherheit in der Stimme. Er würde nur Bakura an die Tür lassen. Und er würde ihm die Waffe selbst in die Hand drücken, wenn es sein musste.

Der Älteste verließ den Raum und bog nach rechts ab, um zum Badezimmer zu kommen. Ryou währenddessen rieb seine Hand, die Katsuya losgelassen hatte, um sie wieder mit Blut zu füllen. Mit einem Seufzen betrachtete er seinen Schulkameraden, der recht verloren in Richtung des Flurs starrte.

„Katsuya?“ Er wandte den Kopf in Richtung des Sprechenden. „Du driftest ab. Komm, lass uns etwas machen, was dich ablenkt.“

„Mhm“ Er nickte langsam. „Weißt du was?“ Er legte eine Hand auf Ryous Schulter. „Ich glaube, ich beginne zu verstehen, was du an deinem Bruder findest“ Der Andere legte den Kopf schief. „Er mag ja ein asoziales Arschloch sein, aber eines kann er wie kein anderer: Bei ihm fühlt man sich mehr als hundertprozentig sicher“ Ryou lächelte. „Nun ... wenn er nicht gerade auf einen sauer ist.“

Zeitbombe

Unsere Waschmaschine ist kaputt T.T Ich halte gerade nicht vieles an Stress aus, am Wochenende organisiere ich mal wieder einen Kongress und ab nächster Woche wollen unsere Dozenten auf unbekannte Dauer streiken. Das konnte ich gerade echt nicht gebrauchen. Jeden Tag putzen wir hier das Wasser auf (so rein war das Bad noch nie >.>).

Gerade erweckt das alles in mir das Bedürfnis schreiend wegzurennen T.T

Ich hoffe, euch geht es besser und wünsche viel Spaß beim Lesen.
 

WARNUNG!!!

Dieses Kapitel ist wirklich nichts für schwache Nerven, kann einen sehr mitnehmen und Flashbacks auslösen. Bitte mit Vorsicht lesen!

WARNUNG!!!
 

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„Uhm ... Bakura?“ Katsuya stocherte in seinem Essen und warf einen kurzen Blick über seinen Tellerrand, um die Reaktion seines Gegenübers abzuschätzen.

Dieser sah nur kauend auf, stützte sein Kinn auf eine Hand und hob eine Augenbraue. Als immer noch keine Reaktion kam, meinte er: „Was ist los, Köter?“

„Nun ... jetzt, wo du Seto rausgeworfen hast ... was passiert mit mir?“

Ryou, der vorher auf sein Essen konzentriert gewesen war, sah auf und zwischen ihnen beiden hin und her. Sein Blick blieb schließlich an Bakura hängen, der regungslos verweilte und Katsuya betrachtete.

„Gute Frage“ Er setzte eine zweite Pause, ließ die Spannung einfach in der Luft hängen. „Erst einmal wirst du wohl hier bleiben. Zumindest bis morgen. Ich vermute, bis dahin wird Kaiba sich noch einmal melden.“

Dank sei allen Göttern. Bakura besaß zumindest den Anstand, ihn in dieser Situation nicht auf die Straße zu setzen. Er hatte es ehrlich gesagt nicht erwartet. Der Kerl war echt auffällig nett in den letzten vierundzwanzig Stunden.

„Danke“ Katsuya legte die Gabel auf seinem Teller ab und setzte sich auf. „Und wenn ... wenn er sich nicht meldet?“

„Das kann ich dann entscheiden. Im Zweifelsfall gibt es immer noch das Tierheim“ Ein mockendes Grinsen legte sich auf Bakuras Lippen. „Ich kenne auch ein oder zwei Bordelle in der Stadt, die mit so etwas wie dir was anfangen könnten.“

„Hey!“ Der Blonde sprang auf. „Ich bin nicht Yami, ja?“

„Und als was genau wolltest du enden?“ Das Gesicht des anderen wurde ausdruckslos, der Ton ernst. „Einfach mal wegrennen und gucken, wie du draußen überleben kannst?“

„Ich habe dort jahrelang überlebt!“

„Und wie?“ Er lehnte sich zurück. „Du hast dich nicht verhurt, nicht gedealt und nicht für die Yakuza gearbeitet, okay. Dafür hast du geklaut, bist mit Banden rumgezogen und hast Leute zusammen geschlagen. Ihr seid in Häuser eingebrochen und habt dort gelebt. Du hast Supermärkte leer geräumt und gegen Drogen vertauscht. Und das nennst du Leben?“

„Nein“ Katsuyas Hände ballten sich zu Fäusten. „Aber Überleben.“

„Es ist eine Farce und du kannst verdammt froh sein, dass du noch lebst. Dass du nicht so oft geschnappt wurdest, wie du es sicherlich verdient hättest, ist der einzige Grund, warum du nicht hinter Gittern sitzt. Derzeit steht da mein Name, dass ich mich verbürge, dass du in nächster Zeit keine Scheiße anstellst. Also schlag‘ dir den Blödsinn mit Klauen und Rennen aus dem Sinn.“

Katsuya schnaubte und meinte: „Von dir eine Moralpredigt zu kriegen ist – freundlich gesagt – ziemlich heuchlerisch. Du hast um so viel mehr Scheiße angestellt!“

„Genau deswegen“ Bakura erhob sich und war mit einem Schritt neben Katsuya. „Ich habe Dinge gesehen, die du nur aus Alpträumen kennst und Sachen getan, für die andere in der Hölle brennen. Du“ – er stieß mit einem Finger gegen dessen Brustbein – „benimmst dich zur Zeit wie ein eingeschnappter Teenager und das weckt in mir das Bedürfnis, dich gröbst zusammen zu schlagen, um einen Hauch von Realität in dein Hirn zu pusten. Du hast ein Dach über dem Kopf und Essen und obendrein jemanden, der sich um dich kümmert, egal, was du für Scheiße baust. Und das willst du für dein altes Leben eintauschen?“

„Nein, aber-“

„Aber was? Er trinkt? Gott bewahre, welch unbekanntes Mysterium. Er hackt auf dir rum? Besser einer als alle, oder? Und anscheinend hat es kaum Wurzeln geschlagen. Deine Arroganz ist beachtlich.“
 

„Warum hilfst du mir dann?“ Katsuya konnte nicht verhindern, dass seine Stimme weinerlich und verzweifelt klang. „Wenn du mich so hasst, warum hast du dann Kaiba nicht rein gelassen? Er hätte mich beschimpft, an den Haaren raus gezogen und draußen im Zweifelsfall noch vermöbelt. Ist doch in deinem Sinne, oder?“

Die Faust kam unerwartet. Katsuya fragte sich glatt, warum er es nicht erwartet hatte, bevor er gegen den Küchenschrank flog und zu Boden sackte. Das passierte, wenn man nicht immer aufmerksam war. Der geballte Schmerz explodierte auf einmal und mit einem Mal schien alles zu brennen und zu stechen.

Aufstehen.

Er musste den Gegner fertig machen.

Katsuya schluchzte. Er konnte nicht. Nicht mehr. Er zog die Beine an, legte die Arme darum und versuchte seinen Kopf dahinter zu schützen. Sein Vater, Seto, Bakura ... es war doch alles eins. Warum sich wehren? Im Endeffekt machte es doch keinen Unterschied. Ein Hand griff in sein Haar und riss seinen Kopf in die Höhe. Er schluchzte, wimmerte, versuchte die Hände hoch zu bringen, aber nichts schützte ihn vor dem Schlag, der auf ihn niederging. Es riss an seinem Haar, das Bakura nicht losgelassen hatte. Ein Zug daran warf ihn zu Boden, wo ein Tritt auf seinen Bauch zu raste. Im letzten Moment hob er noch die Beine davor.

„Undankbarer Bastard!“ Er trat von oben Richtung Arm und Brustkorb. „Du bist faul“ Er trug Stiefel. „Eingebildet“ Er sprang etwas hoch, um mit mehr Wucht gegen Katsuyas Oberschenkel zu treten. „Überheblich“ Eine Hand packte seinen Kragen, zog ihn etwas vom Boden weg und schüttelte ihn, bis Katsuya die Augen öffnete. „Manchmal glaube ich, du brauchst eine Tracht Prügel, um daran erinnert zu werden, dass du im Paradies lebst.“

Die brauchte er. Das hatte schon seine Mutter gesagt. Katsuya schloss ergeben die Lider. Vielleicht wäre es besser gewesen, wäre er bei seinem Vater geblieben. Der wusste wenigstens, wie man ihn bei Fuß hielt. Falls er Seto wieder sah, sollte er ihn bitten, ihn zu schlagen. Es war leichter. Besser. Angenehmer als die Worte, die ihn schuldig fühlen ließen. Aber vielleicht war gerade das Setos Strafe?

Katsuya begann zu zittern. Der Boden war kalt. Er war allein.

Er spürte, wie die kalten Klauen des Nicht-Fühlens nach ihm greifen wollten, aber er drückte das Verlangen nieder und setzte sich auf. Ryou? Er lauschte.

Wimmern.

Ein Grunzen.

Keuchen.

Ein Schluchzen.

Ein unverständliches Murmeln. Nein, eher etwas Gesagtes. Jemand, der versuchte, gegen ein Kissen zu sprechen. Ein Kopf, der in ein Kissen gedrückt wurde. Es verstummte.

Kaltes Entsetzen lief durch Katsuya. Die Erkenntnis schien zu grauenhaft, um wahr zu sein. Bakura würde seinem Bruder doch nie etwas antun, oder? Nein, er liebte Ryou. Was er tat, war von Ryou sanktioniert. Es war okay. Es war extrem, aber es war in Ordnung. Katsuya rappelte sich auf, drückte sich an der Wand lang zum Flur und ging dort rückwärts, die Augen stets auf dem Schlafzimmer, aus dem die Geräusche kamen.

Das Stöhnen.

Nichts außer diesem Stöhnen.

Katsuya spürte die Klinke im Rücken und drückte sie fanatisch hinunter, um wegzukommen. Nur öffnete sich die Tür nicht. Sein Blick schnellte dorthin, zurück zum Schlafzimmer. Das Stöhnen hatte nicht aufgehört. Er drehte sich zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss und zog diese auf. Er sah nicht noch einmal über seine Schulter. Er schlug die Tür hinter sich zu und rannte.
 

Seto. Seto. Seto.

Seine Lungen brannten. Seine Beine drohten unter ihm wegzukippen. Sein Kopf, seine Gliedmaßen, seine Brust, alles, was Bakura getroffen hatte, alles schmerzte. Tränen schossen unablässig aus seinen Augen. Ihn trieb nur noch ein Gedanke.

Seto.

Seto war Sicherheit. Bei Seto war alles in Ordnung. Bei Seto wurde er nicht geschlagen. Zumindest nicht so. Bei Seto brauchte er keine Angst zu haben. Bei Seto war sein zuhause. Seto war sein zuhause.

Er bog bei der Auffahrt ein, rannte bis zur Tür, gegen die Tür, klopfte stürmisch auf sie ein, als wäre ein Verfolger direkt hinter ihm. Vielleicht schrie er auch Setos Namen, er konnte es nicht genau sagen. Zu viel Panik. Zu viel Angst. Seto ...

Die Tür wurde geöffnet und Katsuya schmiss sich vorwärts. Durch den Spalt, direkt gegen die große Person, die dahinter stand. Seto. Er schlang die Arme um dessen Brustkorb und krallte sich in dem dicken Pullover fest. Ein fest gewebter Baumwollpullover. Er war warm und roch nach Seto. Katsuya drückte sich gegen die muskulöse Brust. Er wiederholte Setos Namen wie ein Mantra. Ein Arm legte sich um eine Schulter, die Hand griff sanft in sein Haar und zog ihn etwas von der Tür weg. Diese fiel hinter ihm ins Schloss. Ein zweiter Arm legte sich um seine Taille.

„Ich ... wollte dich gerade abholen kommen“ Die Stimme war leise, etwas unsicher im Ton, fragend. Die Hand in seinem Haar begann ihn zu kraulen. Der Daumen auf seinem Rücken fuhr auf und ab. „Es tut mir Leid, dass ich vorhin nicht ganz beisammen war.“

„Seto ...“ Ein Zittern ließ Katsuyas ganzen Körper erbeben. Tränen strömten weiter ungefiltert aus seinen Augen. Sein Atem überschlug sich praktisch. Ob vom Rennen oder der Panik, wer wusste das schon.

„Schhh ... ich bin hier“ Die vorher eher lockere Umarmung wurde enger geschlossen, als würde sich Setos ganzer Körper um ihn wickeln. „Beruhige dich ... ich bin ja hier“ Ein Seufzen, was klang wie eine Mischung aus Verzweiflung und Erleichterung, stahl sich über Setos Lippen, bevor er sein Kinn auf Katsuyas Kopf legte. „Ganz ruhig, Kleiner. Atme ein und aus.“

Katsuya folgte dem Befehl sofort, hielt die Luft an, atmete langsam aus und tief wieder ein, ganz wie er es gelernt hatte. Atemübung zur Beruhigung. Sein Körper brauchte etwas mehr Luft als das durch das Rennen, aber er sackte trotzdem entspannt gegen Seto. Es verging jedoch kaum eine Sekunde, bevor sich seine Muskulatur wieder anspannte und er sich etwas von dem anderen stieß. Er atmete wieder schnell und stoßweise, während er sprach: „Ryou! Bakura hat Ryou vergewaltigt!“
 

Seto nickte bedacht und sah ihm in die Augen. Tiefe, graublaue Augen. Das Weiß war an den Rändern leicht mit sichtbaren Adern durchzogen und die Pupillen etwas größer, als sie wahrscheinlich sein sollten. Aber es war unverkennbar Seto. Sein Seto. Der liebe Seto. Der, der für ihn da war und auf ihn aufpasste. Der, den er liebte.

„Wir müssen etwas tun!“ Katsuya zog die Fäuste hoch und drückte sie gegen Setos Brust, der ihn noch immer hielt.

Der Andere atmete tief ein, schloss dabei die Lider und öffnete sie wieder beim Ausatmen. Die Hand in Katsuyas Haar begann über seine Kopfhaut zu streicheln. Als Seto endlich zum Sprechen ansetzte, klang seine Stimme sehr ruhig und sehr tief: „Wenn Bakura das getan hat, hat er sich jetzt wieder beruhigt. Wenn wir jetzt irgendwie eingreifen, wird ihn das nur aufregen. Und das würde er an Ryou auslassen.“

„Wir müssen Ryou da raus holen!“ Das konnte nicht sein! Seto wollte nicht ehrlich nichts tun, oder?

„So gern ich irgendwie helfen würde, wie sollen wir das anstellen? Wenn wir dahin gehen, wird Bakura uns erschießen. Wenn wir die Polizei rufen, werden sie Bakura festnehmen und Ryou ins Heim geben. Da wird Ryou nicht überleben. Er braucht seinen Bruder. Auch wenn ihm weiß Gott was angetan wird, ihm geht es dabei besser, als wenn er ohne Bakura lebt“ Seto sprach langsam und eindringlich, als würde er etwas sehr Schweres einem kleinen Kind erklären. „Ich weiß, das tut sehr weh, aber manchmal ist es das Beste, nichts zu tun. Zumindest jetzt in diesem Moment nicht.“

„Aber-“ Katsuya unterbrach sich selbst durch einen zittrigen Atemstoß, bei dem er den Kopf schüttelte. „Ich habe es gehört! Ryou hat gewimmert! Und dann hat Bakura seinen Kopf in ein Kissen gedrückt, bis er still war. Ryou hat versucht zu schreien, aber ... was habe ich getan? Ich hätte sofort helfen müssen! Scheiße, schei-“

„Katsuya“ Seto schüttelte ihn kurz. Der Jüngere hatte gar nicht mitbekommen, dass dessen Hände seine Schultern gegriffen hatten. „Hör mir zu. Sieh mich an, sieh in meine Augen und hör mir zu. Hörst du mir zu?“ Er nickte langsam. „Du bist nicht schuld. Du hast genau das Richtige gemacht. Bakura ist ein bewaffneter Psychopath. Wegzurennen war das einzig Richtige. Normalerweise würde Bakura seinem Bruder nichts tun und vermutlich hat er ihn nur dazu gebracht, sein Bewusstsein zu verlieren. Hättest du etwas getan, hätte Bakura dich mindestens verletzt, wenn nicht sogar getötet und Ryou vielleicht ebenso. Verstehst du das?“

Bakura hätte ihn getötet. Sein Körper begann heftigst zu zittern. Bakura hätte ihn getötet. Er schluchzte und ließ sich von Seto wieder in eine Umarmung ziehen. Bakura hätte ihn getötet. Bakura hätte ihn getötet, hätte Ryou ihn nicht davon abgehalten und ihm seinen Körper als Ventil angeboten. Er war höchstwahrscheinlich nur deshalb nicht tot, weil Ryou sich dazwischen geschmissen und Bakura von ihm abgelenkt hatte.

Wie war er bloß auf die scheiß Idee gekommen, Bakura zu beleidigen? Ihn anzugreifen und sei es auch nur mit Worten? Wie hatte er Bakura solche Vorwürfe machen können? Gerade Bakura! Er hätte es verdammt nochmal besser wissen müssen. Bakura war eine tickende Zeitbombe. Bei allen Göttern, er war schuld, dass Ryou vergewaltigt worden war. Er war schuld daran. Wie sollte er Ryou je wieder unter die Augen treten?

Er schlang die Arme um Seto und schrie seinen Schmerz in dessen Pullover. Seto blieb einfach nur stehen und hielt ihn.

Wünsche

Himmel, was für ein stressfreier Zustand ... nur noch an die Uni (und den Nebenjob und ein Engagementprojekt) denken ... ehrlich, ich hoffe, das war das letzte Mal, dass ich mich dazu überreden ließ, diesen Kongress zu machen -.- Egal, es ist rum und ich bin frei wie ein Vogel. Und es ist ehrlich schön mal etwas nicht völlig niederschlagendes hochzuladen ^.^

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya gab sich den Dissoziationen hin und Seto ließ ihn.

Wirklich klar wurde ihm das erst, als sein Bewusstsein langsam zurückkehrte. Das war allerdings sehr viel später, irgendwann nachts. Wann genau, das wusste er nicht, schließlich hatte ihn das alles jede Vorstellung von Zeit verlieren lassen. Er dachte nur, dass es Nacht sein musste, weil es dunkel war und Seto im Bett lag und schlief.

Neben ihm im Bett lag und schlief.

Katsuya versuchte still und regungslos zu sein. Er hielt sogar die Luft an, sobald er die Situation erkannte. Seto. Neben ihm. In Setos Bett. Es erweckte ein vertrautes Gefühl, das er sofort niederdrückte. Warum hatte Seto ihn in sein Bett gelegt? Hatte er ... wahrscheinlich hatte er sich Sorgen gemacht. Selbst in seiner aggressiven, gemeinen Art hatte Seto ja danach geschaut, dass er sonst alles hatte, was er brauchte. Wie sein Frühstück oder die Sachen auf dem Ernährungsplan. Katsuya atmete langsam aus.

Wenn er leise war, durfte er wohl hier bleiben? Wenn er so tat, als ob er schlief, würde Seto ihn doch nicht rauswerfen, oder? Er schloss die Augen. Seto war so nah ... nur einen halben Meter entfernt. Würde er aufwachen, wenn Katsuya sich an ihm kuschelte? Bestimmt, Seto hatte einen sehr leichten Schlaf. Wie würde er reagieren? Ihn von sich schieben? Ihn rauswerfen?

Vergewaltigen?

Katsuyas Körper begann zu zittern und Tränen stiegen ungewollt in seine Augen. Nein ... niemals ... das würde Seto niemals tun. Oder? Er schluchzte, was ihn auf seine Faust beißen ließ, um leise zu sein. Seto sollte nicht aufwachen. Er wollte nicht weg. Er wollte in Setos Arme. Er wollte, dass alles wieder gut war. Er wollte Seto zurück.

„Hast du Angst vor mir?“, fragte die Stimme des Älteren aus dem Dunkel.

Katsuya zuckte zusammen, winselte auf und schüttelte den Kopf. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ihm klar wurde, dass selbst Seto das wahrscheinlich nicht sehen können dürfte und hauchte: „Nein ...“

Die Bewegung der Decke war die einzigste Vorwarnung, bevor sich eine Hand auf seine Seite legte, über seinen Rücken fuhr und seinen Körper an einen größeren, wärmeren zog. Ein Finger streichelte über seine Wange, was ihn automatisch den Kopf heben ließ, unter den sich ein Arm schob. Katsuyas Finger krallten sich in Setos Schlafanzugoberteil, in das er auch sein Gesicht drückte. Er versuchte die Schluchzer und das Weinen darin zu ersticken, das ihn erneut erschütterte. Er war heute so eine Heulsuse. Der gemeine Seto würde ihn damit aufziehen.

„Was ist los?“, fragte der Ältere verschlafen, aber besorgt, „hattest du einen Alptraum?“

Er schüttelte den Kopf. Diesmal konnte Seto das sicher spüren. Er traute seiner eigenen Stimme gerade nicht, nicht zu brechen. Scheiße ... Seto war so lieb. Alles in ihm schrie danach, die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen. Das Verlangen war so groß, es schmerzte.

„Schon gut“ Seto hob den Arm, fasste mit der Hand in das blonde Haar und drückte mit dem Unterarm Katsuya an sich. „Schlaf, Kleiner. Ich bin hier. Ich bleibe bei dir“

Er schluchzte noch einmal auf, danach rannen die Tränen nur noch still aus seinen Augen. Sie taten es wahrscheinlich noch immer, als die Müdigkeit ihn übermannte. Er konnte sich einfach nicht dagegen wehren, sich in Setos Armen zu entspannen.
 

Katsuya grummelte, blinzelte und setzte sich auf. Wo ... ah, sein Zimmer. Was machte er in seinem eigenen Zimmer? Er sah sich müde um, die Stirn dabei in tiefen Falten. War er nicht letzte Nacht in Setos Bett gewesen? Oder war das nur ein Traum? Er rieb den Schlaf aus seinen Augen.

Höchstwahrscheinlich ein Traum. Ehrlich, Seto würde ihn nicht noch einmal in sein Bett lassen. Nicht nach allem, was passiert war. Lächelnd schüttelte er den Kopf. Das nächste Mal könnte sein Traum ruhig expliziter werden. Im Traum brauchte er keine Angst vor Setos Reaktion haben.

Nicht so wie jetzt.

Seufzend setzte er sich auf und sah an sich hinab. Erst einmal eine Dusche. Und dann Frühstück. Seto saß bestimmt schon mit der Sonntagszeitung am Tisch. Mit Kaffee. Und wenn er wirklich sehr gut drauf war, hatte er vielleicht eine heiße Schokolade für ihn gemacht. Katsuya schnaubte. Wunschdenken ...

Er schwang sich aus dem Bett, suchte sich etwas zum Anziehen zusammen und ging ins Bad. Das warme Nass auf seiner Haut tat unglaublich gut. Durch die eine Nacht, die er teils draußen, teils bei der Polizei, teils bei Ryou verbracht hatte, war er reichlich verklebt.

Ryou ... der Blonde seufzte. Shit. Sollte er anrufen? Nur, um zu prüfen, ob es ihm gut ging? Er hatte doch ein Handy. Oder würde Bakura ihm verbieten, mit Katsuya zu reden? Würde er wütend sein, weil er anrief? Vielleicht eine SMS? Aber was sollte er schreiben? Ob es ihm gut ging oder ob er noch lebte? Eine Entschuldigung, dass er abgehauen war oder eine, dass er Ryou nicht geholfen hatte? Sollte er sich bei Ryou oder Bakura entschuldigen, dass er Letzteren so provoziert hatte? Andererseits hatte er ihn nicht provoziert. Es war nicht okay, dass Bakura wegen so etwas auf ihn einschlug. Nur konnte ihm so ein Kommentar den Tod bringen. Jetzt erst recht würde er das nicht sagen. Weder zu Ryou noch zu Bakura.

Katsuya seufzte. Was sollte er bloß tun?

Und war das wirklich das Problem, um das er sich gerade Gedanken machen sollte? Er warf einen Blick ins Wohnzimmer. Ein weiterer Schritt und er stand im Durchgang zur Küche. Seto saß wie erwartet auf seinem angestammten Platz und las.

Katsuya atmete tief durch. Sollte er einfach reingehen? Sich ein Glas Milch nehmen, als wäre nie etwas gewesen? Vorgestern Abend hatte er Seto gesagt, dass er ihn nie wiedersehen wollte und nicht hierher zurückkehren würde. Konnte er darüber einfach hinweg gehen? Andererseits schien es ja so, als wolle Seto ihn hier. Gestern war er nicht nur sein Freund in seinen Worten, er sollte auch mit ihm kommen. Seto wollte ihn hier. Oder er gab vor, es so zu wollen, nur was für einen Sinn hätte das? Katsuya schluckte. Wie schwer konnte es eigentlich sein, eine Küche zu betreten? Er gab sich selbst einen Ruck und ging einfach zum Kühlschrank hinüber.

Es war, als würde er über Scherben laufen. Jeden Moment erwartete er den Schmerz. Jeden Moment erwartete er ein Wort der Zurückweisung. Nur kam keins. Er holte die Milch heraus, nahm sich einen Becher, goss sich ein und stellte die Packung zurück. Sein Blick flackerte immer wieder zu der Zeitung, hinter der Seto sich verbarg. Wollte er ihn einfach ignorieren? Seine Anwesenheit nicht wahrhaben? Katsuyas Herz schien in seiner Brust einzusinken. Bereute Seto es, ihm gestern die Tür geöffnet zu haben?
 

„Wirst du ... gehen?“, kam ein Flüstern von hinter der Zeitung.

Katsuyas Miene verzog sich und er schluckte einmal, bevor er tief durchatmete und antwortete: „Ich werde meine Sachen packen. Oder soll ich die hier lassen? Ich meine ... du hast sie bezahlt.“

„Wo willst du hin?“ Seto schlug die Zeitung zu, faltete sie und legte sie zur Seite. Seine Stimme klang völlig neutral. Es machte ihm wohl wirklich nichts mehr aus. Er hatte Katsuya wahrscheinlich schon abgehakt.

„Keine Ahnung“ Der Blonde ließ den Kopf hängen. „Vielleicht brauchen Ayumis Eltern ja noch einen Kellner?“

„Wenn ich dich schon gehen lasse, möchte ich wenigstens absichern, dass es dir gut geht. Gibt es niemanden, zu dem du kannst?“ Seto lehnte sich vor, stützte den Kopf auf beide Hände und sah ausdruckslos zu ihm hinüber.

„Gäbe es das, wäre ich nicht bei meinem Vater geblieben“ Er trank etwas Milch, aber stellte das Glas nach einem Schluck zur Seite. Irgendwie schmeckte es nicht. „Ich ... weiß ehrlich nicht, was ich tun soll.“

„Bin ich so schlimm?“ Seto wandte den Blick ab und senkte die Stimme. „Dass du mir das vorziehst ...“ Er hob eine Hand. „Nein. Antworte besser nicht. Ich glaube, da spricht nur mein Masochismus.“

Ja. Er war so schlimm. Auch, wenn das in diesem Moment so unendlich weit weg schien. Katsuya atmete tief durch. Am liebsten würde er losstürzen und sich Seto in die Arme werfen. Konnte er wirklich einfach so vergessen, wie sehr er ihm weh getan hatte? Wenn es ihm so ging, wie ging es dann Seto? Hatte er den gleichen Wunsch? Kämpfte er genauso dagegen an wie Katsuya? Oder war das wieder nur Wunschdenken?

„Ich ... ich geh dann mal packen“ Er drückte die Daumen in die Hosentaschen seiner Jeans und lehnte sich beim Gehen nach vorne. Am Tisch vorbei, zum Flur, zur Treppe.

Seto hielt ihn nicht auf. Er hatte es irgendwie erwartet. Erhofft. Gewünscht. Er wünschte sich verdammt viel gerade und nichts davon war auch nur ansatzweise realistisch. So war das wohl mit Wünschen. Er schloss die Tür seines Zimmers – Mokubas Zimmers – hinter sich und spürte die Tränen über seine Wangen rinnen.

Heulsuse.

Scheiße, er war echt am Ende. Er ließ sich an der Tür zu Boden sinken und blieb dort sitzen. Ehrlich, andauernd brach er in Tränen aus. Er war doch kein Mädchen. Ein Kerl akzeptierte die Situation und machte das Beste draus. Stattdessen versank er hier in Selbstmitleid. Er sollte doch mal die Gesamtsituation sehen.

Er saß auf der Straße, okay, aber das war praktisch nichts Neues. Wenn er sich ordentlich Klamotten einpackte, war das nicht so ein Problem. Er kannte weit mehr Leute, die freundlich zu ihm waren, als vorher. Er hatte nicht mehr den inneren Drang, zu seinem Vater zu gehen und nach dem rechten zu sehen. Er hatte gute Noten in der Schule. Er besaß Bücher und Schreibsachen. Er besaß eine passende Uniform. Er besaß die Erinnerung an ein Leben, wie er es sich gewünscht hätte.

Er konnte zurückblicken und sagen: Das waren gute Zeiten. Es waren vielleicht nur zwei Monate gewesen, aber jetzt wusste er, was es hieß, glücklich zu sein. Dass dieses Glück nun zerronnen war, war nicht das Ende von allem. Er musste einfach wieder auf die Füße kommen.

Samstags und sonntags konnte er arbeiten. Abends ebenso. Damit konnte er zumindest als Untermieter irgendwo unterkommen. Er konnte wirklich mal bei Ayumis Eltern fragen. Und vielleicht bei Isis. Zeitweise konnte er sicher bei Yami unterkommen, bis er irgendetwas gefunden hatte. Hiroto konnte er nach einem Job fragen. Und seinem Vater ... Katsuya seufzte. Hiroto zu fragen, bedeutete, dass er erfahren würde, wie es seinem Vater ging. Aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Er musste ja nicht hingehen. Er konnte Hirotos Handy anrufen.

Apropos – er zog sein Handy heraus – das sollte er wohl Seto geben, oder?
 

Katsuya wäre beinahe zusammen gezuckt, als das Ding in seiner Hand plötzlich vibrierte. Er widerstand dem Impuls, es wegzuschmeißen oder eine ähnlich blöde Aktion zu bringen und sah auf das Display. Ah ... deswegen der andere Ton. Er hatte eine SMS bekommen. Hatte er jemals schonmal eine gekriegt? Er konnte sich nicht dran erinnern.

Er öffnete die Nachricht und las sie, wobei seine Gesichtszüge fielen. Es war nur ein Satz. Jedem Außenstehenden hätte es wahrscheinlich nichts gesagt. Ihm schon. Er ließ die Hand mit dem Handy sinken und starrte zum Fenster. Was sollte er denn darauf bitte antworten? Er hob die Hand wieder und las es nochmal.

„Ich glaube, ich will es doch wissen“ Katsuya drückte auf die Taste für Zurück und steckte das Handy wieder weg. „Was soll ich dir denn darauf antworten?“ Er seufzte. „Mach es einem doch nicht so verdammt schwer, Seto.“

War Seto so schlimm, dass er es vorzog, auf der Straße zu leben? Oder irgendwo als Untermieter, arbeitend in jeder freien Minute? War Seto so schlimm, dass er dafür den Luxus aufgab, den er hatte? Katsuya fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Objektiv gesehen nein. So schlimm war Seto nicht. Aber er konnte kaum objektiv sein, oder? Seto war praktisch seine ganze Welt. Sein Leben. Wenn Seto ihn verletzte, war das schlimmer, als wenn die ganze Welt gegen ihn war. Seto war nun mal sein Ein und Alles.

Ohne Seto konnte er versuchen, diesen zu vergessen. Konnte versuchen, ein neues Leben zu starten. Mit Seto hing er in der Vergangenheit fest. Mit Seto konnte Seto nicht zur Erinnerung werden. Also nein, Seto war nicht so schlimm. Aber Katsuya war nicht stark genug, hatte nicht die Kraft, sein Herz wieder zu flicken, während sie unter demselben Dach wohnten.

Katsuya warf einen Blick zu seiner Hosentasche, bevor er den Kopf schüttelte und sich erhob. Das konnte er Seto schön selber sagen. Er war in letzter Zeit oft genug weggerannt. Mit einem resoluten Durchatmen drehte er sich um, öffnete die Tür und stockte in der Bewegung.

„Seto?“ Er blinzelte. „Warum ...“ Warum stand er vor seiner Tür? Weil er vermutlich persönlich fragen wollte und beim Klopfen den Mut verloren hatte. Warum sonst sollte der Typ ihm eine SMS schreiben? „Komm rein“ Katsuya trat zur Seite.

Seto ging bis zur Mitte des Zimmers, wo er sich umsah, bevor er den Stuhl vom Schreibtisch umdrehte und sich darauf setzte. In seiner schwarzen Anzughose und dem weißen Hemd sah er in dem jugendlichen Zimmer reichlich unpassend aus. Eher wie ein Vater oder Onkel, der nach langer Abwesenheit zu Besuch kam. Er drapierte einen Arm über der Lehne, einen auf seinen Beinen und sah aus wie ein Geschäftsmann, der seinen Arbeitssessel vermisste.

Trotz der Situation musste Katsuya schmunzeln. Er schloss die Tür hinter sich und ging zu Seto hinüber, wo er etwas seitlich der Beine im Seiza Platz nahm.

„Nein“, meinte er, nachdem sie sich einen Moment lang nur in die Augen gesehen hatten, „Du bist nicht so schlimm.“

Setos Schultern sackten ein, sein Kopf ruckte nach vorn und seine Lider schlossen sich. Alles hob sich wieder mit einem tiefen Einatmen, aber Seto wirkte im Ganzen bei weitem nicht mehr so angespannt wie vorher. Sein Blick fiel erneut auf Katsuya, den er einige Sekunden betrachtete, bevor er leise fragte: „Heißt das ... du bleibst?“

War das Hoffnung in seiner Stimme? Oder Resignation? Furcht, dass er ja sagen würde? Ein Flehen? Wenn ja, um welche Antwort? Katsuyas Stirn legte sich in Falten. Durfte er ... konnte er ...

„Willst du, dass ich bleibe?“

Bleibe

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Bleibe - die geschnittene Fassung

Ich hoffe, es bleibt verständlich. Ich musste zwar nicht viel kürzen, aber es erscheint mir wichtig. Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Setos linke Wangen zuckte. Sein Blick sank langsam, blieb irgendwie auf der Höhe von Katsuyas Knien hängen. An dem Heben und Senken seiner Schultern konnte man sehen, dass er tief durchatmete. Sein Kopf wandte sich zur anderen Seite ab, verharrte dort, bevor er sich in Katsuyas Richtung fast bis auf die Schulter legte. Der Blick huschte zu Katsuyas Oberarm, bevor der Kopf wieder in die Senkrechte gerückte wurde. Einen Moment lang saß Seto einfach nur da, etwas nach vorn gelehnt, die Schultern schlapp hängend und den Blick auf Katsuyas Brust, bevor sich dieser mit einem Einatmen wieder bis zu den braunen Augen hob. Seto lehnte sich weiter vor, stützte sein Kinn dabei auf einen Arm, dessen Hand er unter sein Kinn legte. Unbewusst strich er mit dem Zeigefinger dieser Hand über die rote Narbe auf seiner Wange. Er seufzte und drehte unentschieden den Kopf nach links und rechts, als würde am einen Ohr die Ja- und am anderen die Nein-Stimme auf ihn einreden.

Vielleicht taten sie das. Bei drei Seelenanteilen war das sicherlich denkbar. Der hassende, wütende Teil Setos sagte fraglos nein, aber das Kind könnte ja sagen. Das Kind hatte er nicht betrogen. Das Kind interessierte sich nicht für Sex. Dem war wichtig, dass er mit ihm spielte und für ihn da war – und das war er. Das erwachsene Ich lag dazwischen und musste das alles irgendwie unter einen Hut kriegen. Keine sehr beneidenswerte Aufgabe.

Katsuya musste lächeln über diese Gedanken. Ja, er wollte bei diesem Mann bleiben. Egal, was ihn alles erwartete. Jetzt und in diesem Moment liebte er ihn einfach zu sehr, um zu ertragen, weggeschickt zu werden. Er hob eine Hand und legte sie über Setos verletzte Wange, was dessen Blick fast panisch auf die Hand schnellen ließ – jedoch zuckte er nicht weg. Nach einem Moment beruhigte sich der beschleunigte Atem auch wieder. Das war praktisch wie mit Spinnen. Sie möchten einem zwar echt Angst einjagen, aber in Wahrheit hatten sie genau so viel Angst wie du.

„Wenn du keiner Seele mehr vertrauen willst oder kannst, dann schick mich weg. Alles andere würde nur uns beide schmerzen. Aber wenn du dir vorstellen kannst, mir vielleicht irgendwann einmal zu vergeben, dann erlaube mir bitte, hier zu bleiben. Denn ich will hier bleiben. Ich will dich zurückgewinnen. Wenn nicht als Geliebten, dann zumindest als den Freund und das Idol, der mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich jetzt bin. Bitte, Seto.“

Katsuyas Lippen schlossen sich nicht mehr, nachdem er das gesagt hatte. Er konnte nicht anders, er musste mit offen stehendem Mund hinauf sehen. Das war das erste – und vielleicht letzte – Mal, dass er das Gefühl hatte, Seto direkt in die Seele zu sehen. Der Andere wirkte zutiefst erschüttert. Als hätte man alle Masken weggerissen, sodass nichts als Entsetzen, Erstaunen und Ehrfurcht übrig blieb.

Seto nahm ihm diese Sicht, indem er die Lider fest zudrückte. Jedoch hob er seine Hand und legte sie auf Katsuyas, während er tief ein und aus atmete, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Bleib“, war das einzige, was Seto sagte, aber es reichte.

Katsuya ließ sich nach vorne fallen und lehnte seinen Kopf und Oberkörper gegen Setos Bein. Seine Hand fuhr von der Wange in seinen Nacken, strich von dort aus über Schulter und Arm und verschränkte an dessen Ende ihre Finger ineinander. Setos andere Hand legte sich auf das blonde Haar und strich darüber. Katsuya konnte ihn einmal tief ausatmen hören, aber er sah nicht auf, um nach Setos Gesichtsausdruck zu schauen.
 

„Ich sehe keine Tasche“, stellte Seto nach einigen Minuten fest, die sie schweigend verbracht hatten.

Katsuya bemühte sich nicht, sich aufzurichten. Gegen dessen Beine gelehnt war es äußerst bequem. Er rückte noch etwas näher heran, damit er den Rücken nicht so durchhängen lassen musste und meinte: „Ich habe keine gepackt.“

Keine Antwort. Katsuyas Schultern spannten sich langsam an. Wo das Schweigen vorher angenehm gewesen war, wirkte es jetzt belastend. War er damit zu weit gegangen? Würde Seto denken, dass er böswillig erwartet hatte, dass Seto doch einknicken würde? Ihn nicht gehen lassen könnte? Wollte Seto darauf nicht antworten? Keinen Kommentar geben? Sei er nun gemein oder nicht. Der Blonde schluckte. Wie sah der Andere ihn an? War es okay, hier so zu sitzen?

Ganz sanft legte sich eine Hand auf seinen Schopf. Ein Zucken fuhr durch Katsuyas ganzen Körper, spannte ihn an. Nein ... Seto würde ihn nicht verletzen. Eine Ohrfeige war das höchste aller Gefühle, zu dem er sich hatte durchringen können. Er atmete tief durch und entspannte sich. Die Hand blieb einfach, wo sie war.

„Könntest du das auch, wenn unsere Rollen vertauscht wären?“, fragte Seto leise und ließ eine längere Pause, „wenn ich dich betrogen hätte? Könntest du dich entspannen?“

Könnte er? Katsuya sah auf, wobei die Hand als Arm um seine Schultern fiel. Seto hatte sich vorgelehnt, sodass er gar nicht mehr so schrecklich weit entfernt war. Der Blonde legte den Kopf zur Seite gegen den Arm, dessen Kuhle fast perfekt neben seinem Ohr war, bevor er antwortete: „Ja, könnte ich. Würdest du mich betrügen, würde mir das das Vertrauen nehmen, dass du mir treu bist. Wahrscheinlich auch, dass du mich liebst und mir nicht wehtun willst. Das würde aber nichts daran ändern, dass ich darauf vertraue, dass du mich nicht schlägst oder ... keine Ahnung, zur Prostitution zwingst oder so.“

„Hm ... das heißt, es gibt verschiedene Arten von Vertrauen? Oder Vertrauen auf verschiedene Dinge?“

Äh ... ja? War das nicht selbstverständlich? Manchmal war Seto nicht zu fassen. Bedeutete ein Vertrauensbruch für ihn etwa, dass man auf gar nichts mehr vertrauen konnte? Halt, das nahm er wohl besser zurück. Natürlich war dem so. Kaum zu fassen, dass er – Katsuya, der Punk – mal jemandem soziale Kompetenzen erklären würde. Allem voran einem so intelligenten Menschen wie Seto. Andererseits könnte da wahrscheinlich auch die Tücke drin liegen. Hochintelligenz gab einem zwar eine extreme Sensibilität, aber grottige soziale Fähigkeiten, weil man mit Gleichaltrigen nie etwas anfangen konnte – so Setos Erklärung. Aber dass es nicht mal ansatzweise ein Verständnis für die eigene Gefühlswelt gab?

„Ich weiß nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll“, gab der Brünette zu, „all die Leute in meinem Kopf wollen etwas anderes. Manche Stimmen sind einfach zu ignorieren, aber manche ... manche drohen mich fast zu überwältigen. Ich will nicht die Kontrolle verlieren. Aber das ist verdammt schwer in deiner Nähe. Ich musste dich einfach verletzen ... ich hätte es sonst nicht ausgehalten. Ich wäre auseinander gefallen. Daher tut es mir nicht einmal Leid.“ Er atmete tief durch. „Kannst du mir trotzdem verzeihen?“
 

Nun ... es war zumindest ehrlich. Katsuya schluckte, wandte den Blick ab und atmete tief durch. Atmen lenkte gut vom Schmerz ab – sei er nun von einer Wunde oder der Seele. Gestern hätte der Kommentar, dass es Seto nicht Leid tat, praktisch nichts bewirkt. Jetzt gerade nach diesem Hauch einer Annäherung schmerzte er dafür höllisch. Aber da mussten sie wohl durch, was?

„Ich ... kann verstehen, warum du es gemacht hast. Es tat trotzdem weh. Ziemlich“, gab Katsuya langsam zu, „deine Worte und Taten haben mich extrem verletzt. Ich war öfter kurz davor, irgendeine Scheiße anzustellen. Dass dir das nicht mal ein bisschen Leid tut ... das ist schon schwer. Vor allem, dass du getrunken hast ...“ Er ließ den Satz offen.

Man konnte Seto schwer schlucken hören. Noch hatte Katsuya nicht wieder aufgesehen, daher wusste er nicht, was in dessen Gesicht stand. Wenn er raten müsste, würde er sagen, dass es vollkommen angespannt war. Sie wussten beide, wohin das Gespräch jetzt gehen würde. Ob Seto das ohne einen Klinikaufenthalt in den Griff kriegen würde oder nicht.

„Stehst du das durch, wenn ich einen kalten Entzug mache?“

Katsuyas Blick riss es nach oben. Seine Lider weiteten sich. In Setos Augen stand Kalkül, aber auch Determination. Der Blonde hob eine Hand, strich über Setos Wange und hörte dabei in seinem Kopf ein leises Klick. Mit einem Mal stand er, ließ eben jene Hand zu Setos Schulter schnellen und drückte ihn gegen die Stuhllehne. Vergessen war der Schmerz. Die Verzweiflung. Die Unsicherheit. Er presste seine Lippen auf Setos, stützte sich dabei auf dessen Schulter und den Schreibtisch und drückte ihn so nieder.

Kaum eine Sekunde verging, bis ihn etwas zurück drückte. Jedoch keine Hand. Lippen. Eine heiße Zunge brach von schräg oben in seinen Mund ein, bevor er Setos stehenden Körper an seinen gedrückt spürte. Ein Arm schlang sich um seine Taille, eine Hand fuhr über seine Hüfte zu seinem Hintern, zog ihn damit noch näher.

Ganz automatisch schlang Katsuya die Arme um seine Schultern, stöhnte in den Kuss und ließ sich hochheben. Es war zu lang gewesen. Zu lang her, dass sie ... scheiß darauf, dass das hier wahrscheinlich die unpassendste Situation überhaupt war. Er brauchte Seto. Jetzt! Er ließ sich von der Hand hochheben, schlang seine Beine um Setos Hüfte und begann dessen Zunge in dessen Mund zurück zu drücken. Seine Lider fielen wie von selbst zu.

Setos Hand zog hinten an seinem Shirt und stabilisierte ihn mit der anderen, als es die Achseln erreichte. Der Blonde ließ los, beugte sich etwas zurück und spürte das Stück Stoff über seinen Kopf gleiten. Im nächsten Moment verschlangen sich ihre Lippen schon wieder. Hitze kroch unter Katsuyas Haut durch seinen Körper. Sein Atem ging schnell, stolperte teilweise durch seinen Mund. Sein Herz brannte in einer explosiven Mischung von Lust, Sehnsucht und Schmerz.

Eine Hand vergrub sich in seinem Haar und zog fast schmerzhaft daran. Die andere, die ihn beim Gehen gehalten hatte, lag nun an seinem Bauch und drückte ihn von Seto weg. Ein unsicherer Blick flackerte zu Setos Gesicht hoch. Er hatte es sich doch nicht anders überlegt, oder? Nein, seine blauen Augen schienen von innen zu leuchten. Das taten sie nur, wenn Seto erregt war. In seinem Gesicht stand keine Ablehnung. Schluckend ließ Katsuya mit Beinen und Armen los und fiel.

Fiel.

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, noch bevor seine Arme zurück schlugen, um ihn irgendwie aufzufangen. Sie trafen kalten, glatten Stoff. Er fiel auf Setos Bett.
 

Mit zwei schnellen Handgriffen waren die Socken von Katsuyas Füßen gezogen, bevor Seto ein Knie zwischen die geöffneten Beine des zurück rückenden Jungen drückte und ihm auf das Bett folgte. Ein Arm hielt den Größeren, der andere griff zielsicher zu der blauen Jeans und löste den einen Knopf.

Schwer atmend und mit schon fast fahrigen Bewegungen knöpfte Katsuya dem anderen das Hemd auf, zog es ruckhaft aus der Hose und kümmerte sich nicht darum, ob der andere es nun gänzlich auszog oder nicht. Er wusste genau, an welchem Teil der metallenen Schnalle des Bossgürtels er ziehen musste, um diesen zu lösen. Er hatte den Reißverschluss darunter kaum ganz geöffnet, da drückten ihn Setos Lippen bereits zurück auf das kalte Satin.

Es tat fast weh, so hart drückten Mund und Zunge ihn nieder. Die eine Hand, die ihm Hose und Unterhose herunter riss, zerrte diese ohne Rücksicht auf den Stoff, bis sie unter den Knien zu stoppen kamen, wo Katsuya beides selbst wegtreten konnte. Währenddessen löste Seto nur kurz die Lippen von ihm, drehte den Kopf zur Seite, doch küsste ihn nur Sekunden später wieder.

So man es einen Kuss nennen konnte. Es wirkte wie ein Besitzanspruch. Aber auch das war in Ordnung. Er wollte Seto schließlich gehören.

[...]

Wollte Seto ihn ohne Vorspiel? Kondom, etwas Gleitmittel, sonst nichts? Katsuya stöhnte, ließ seine Beine zur Seite fallen und entspannte sich. Shit ... das hier sollte ihn nicht so erregen, wie es es tat. War er nicht ein Liebhaber von sanftem, romantischem Sex? Dagegen wirkte er gerade wie eine lüsterne Schlampe, die es immer nur härter wollte. Fehlte nur noch, dass er darum flehte.

[...] Seto war hier. Mit ihm. Er hatte ihm ansatzweise vergeben oder war bereit, es zu tun. Sie waren wieder zusammen. Zusammen hier. Aneinander, ineinander, beieinander.

Er schlang die Arme um Seto und küsste ihn, obwohl es die Position nicht ansatzweise einfacher machte. Wie von selbst klammerte Katsuya seine Beine um Setos Becken [...]. Ein Stöhnen entkam seinen Lippen. Sein Kopf fiel in den Nacken, was ihre Lippen trennte. [...]

Immer mehr baute sich der Druck auf, sammelte sich in seiner Körpermitte und drohte jeden Moment aus ihm heraus zu brechen. Er keuchte, stöhnte, warf den Kopf zur Seite. Seto, Seto, Seto. [...]

Mit einem in tiefes Atmen übergehenden Schrei erreichte Katsuya den Orgasmus.

Und die Psyche

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Und die Psyche - die geschnittene Fassung

Tod... müde... =.= Stress... überall Stress...

Kann jemand bitte mal die Zeit anhalten, damit ich ein paar Stunden Arbeit abarbeiten kann? Und danach vielleicht noch etwas Freizeit, um mich zu erholen? Mein Tag war lang, ich bin platt, ich geh schlafen... sorry, Kommentarantworten gibt es erst morgen. Brauche Bett =.=

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya kniff die Lider zusammen, bevor er sie langsam aufblinzelte. Wo war er? Ach ja, Setos Zimmer. Sex. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. War er echt ohnmächtig geworden? Aber der Schweiß war noch nicht getrocknet, also konnte es nicht lang gewesen sein. Seto hatte ihn auf jeden Fall unter eine Decke gebracht.

Träge wandte er sich nach rechts, wo er den anderen vermutete. Dieser saß gegen das Kopfende gelehnt da und hatte nur seine Beine und seinen Unterleib mit der Decke bedeckt. Sein Blick ruhte auf etwas an der gegenüberliegenden Wand, aber ansonsten wirkte er recht entspannt. Nicht so, als würde er sich innerlich darauf vorbereiten, Katsuya rauszuwerfen.

„Du rauchst?“, bemerkte der Blonde leise, ohne einen Vorwurf in der Stimme zu haben.

Seto hielt ihm dafür nur seine Hand hin, ließ sie einfach mitten in der Luft zwischen ihnen schweben. Sie zitterte. Heftigst.

„Hast du Angst?“ Zu sprechen? Was kommen würde? Seine Reaktion? Er glaubte doch nicht, dass Katsuya es bereuen würde, oder? Er griff die Hand, zog sie zu sich und setzte einen Kuss darauf.

„Entzug“, erwiderte Seto nur.

„Oh“ Tja ... oh. Und jetzt? Da konnte er irgendwie nichts gegen machen. „Kann ich dir was bringen? Essen? Trinken?“

„Biete mir einfach nur keinen Alkohol an“ Seto warf einen kurzen Blick auf Katsuya und verfolgte die Richtung, in die seine Augen sahen, zur Zigarette. „Die nächsten Tage werde ich Kettenraucher sein.“

„Scheint nicht so einfach zu sein“ Der Ältere hatte ihm schon ein paar mal gesagt, dass er ziemliches Glück gehabt hatte, weil er weder vom Alkohol noch von den Drogen einen Entzug hatte. Beziehungsweise einen, den er mitbekommen hätte. „Was wird denn alles passieren?“

„Das Zittern. Schwitzen. Unruhe. Angst“ Seto atmete tief durch, nahm einen Zug der Zigarette und blies den Rauch langsam aus. „Manchmal Kreislaufprobleme oder Erbrechen. Aber ich glaube nicht. Dafür habe ich nicht genug getrunken. Delir und Krampfanfälle wären auch übertrieben. Ich denke, es bleibt bei den Angstzuständen.“

„Hm“, murmelte der Blonde unbestimmt, „das ist sicher nervig.“

Der Andere rümpfte die Nase, schüttelte den Kopf und meinte mit einem eher verzweifelt wirkenden Lächeln: „Es ist mein Normalzustand. Nur schlimmer.“

Blöd. Hieß, Seto hielt schon seinen Normalzustand kaum aus? Hatte er wirklich immer Angst? Gewöhnte man sich da nicht irgendwann dran und schob das von sich? Und wovor hatte Seto Angst? Vor Menschen war ja okay, aber die sah er auch nicht immer, oder? Wieso war Angst sein Normalzustand?

„Du sagtest Stimmen“, meinte er stattdessen, „manche seien einfach zu ignorieren, andere nicht. Aber hast du nicht nur zwei andere Personen?“
 

Seto atmete tief ein, schloss die Augen und wandte den Kopf ab, um zu seufzen. Es herrschte Schweigen. War wohl keine gute Idee gewesen, das zu fragen?

„Falsche Frage?“, vermutete Katsuya und biss sich auf die Lippe.

„Falsche Zeit“ Der Sitzende nahm den letzten Zug und presste den Stummel in den Aschenbecher auf dem Nachttisch. Er drückte sich von der Wand ab, beugte sich über den Blonden und küsste diesen. Es schmeckte nach Vanille und Rauch. Seit wann rauchte Seto Zigaretten mit Vanillegeschmack? Nun, seit wann trank er Dreiundvierziger ... vielleicht liebte er auch Vanille.

Katsuya folgte dem Lockruf des sich wieder zurück Lehnenden, bis er auf dessen Brust lag, während sich Seto wieder aufsetzte. Er rutschte automatisch zum Bauch hinab, wobei der Andere mit einer Hand in sein Haar griff und ihn sanft weiter nach unten drückte. Von unter der Decke spürte er etwas gegen seine Wange drücken. Er sah auf.

In Setos Gesicht stand keine Emotion. Nur etwas Anspannung, als hielte er sich stark unter Kontrolle. Was auch nicht darin stand, war eine Frage oder Bitte. Katsuyas gehobene Augenbraue bewirkte nur, dass ein Daumen über seine Wange strich. Auf sein Nicken in Richtung Nachttischschublade hin gab Seto ihm ein Kondom rüber.

Ehrlich, das war schon etwas ... na ja. Er könnte wenigstens bitte sagen. Arschloch. Er hob die Decke und warf sie in Richtung von Setos Füßen. Ganz wie gelernt drückte er das Kondom in der Verpackung zur Seite, machte die vorsichtig auf und drückte den Inhalt heraus, wo er ihn mit Daumen und Zeigefinger nahm. Er pustete das Reservoir in die richtige Richtung, nahm es mit der zweiten Hand, setzte auf und rollte das Kondom in einem herunter. Die Bewegungen waren ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen. [...]

Apropos ... er griff hinter Setos Rücken unter das Kissen und zog eine Tube Gleitgel hervor. Vielleicht war Arschloch wirklich das treffendste Wort. [...]

Und das ließ er also auch jeden anderen machen? Das war etwas, was jeder x-beliebige mit ihm tun durfte? Das war nicht etwas, was er nur mit Katsuya, nur in dieser Beziehung erlebte? Idiot ... wozu führte man eine Beziehung, wenn es nicht einen Haufen Dinge gab, die man nur mit diesem einen Menschen tat? Gerade weil man sich nur diesem einen anvertraute? Hatte Seto in dieser Woche das alles nicht vermisst?

Katsuya ließ von ihm ab, zog ihn an den Beinen runter aufs Bett und verlangte ein Kondom.
 

Schluchzen.

Katsuya hob seinen Kopf und sah mit gerunzelter Stirn auf den braunen Schopf hinab, der auf seiner Brust lag. Seto? Hatte er sich jetzt verhört oder was war? Er legte eine Hand auf dessen Wange, strich über diese und zog sanft den Kopf des anderen nach oben.

Neugierige, große, blaue Augen sahen hinauf, bevor sich die Lippen zu einem schelmischen Grinsen verzogen und Seto hoch schnellte, um einen Kuss gegen Katsuyas Schläfe zu pressen.

„Hast du mich lieb?“, fragte er plötzlich völlig ernst.

„Ich hab' dich immer lieb“ Katsuya drehte sich zur Seite, schloss die Arme um den Anderen und zog ihn über sich, indem er sich zurück rollte.

„Warum bist du dann so viel weg gewesen? Warum konnten wir nicht spielen?“

„Ich habe deinem erwachsenem Ich weh getan, ohne es zu wollen. Es war ein Versehen. Aber darum wollte er dich wohl vor mir schützen. Damit ich dir nicht auch wehtue.“

„Willst du mir weh tun?“ Seto zog sich automatisch zusammen.

„Niemals“ Er streichelte mit einer Hand dessen Rücken. „Aber es hat ihn sicher sehr unsicher gemacht, dass ich ihm weh getan habe.“

„Uh-hm“ Der Kleine- Größere- na ja ... Klein-Seto nickte. „Er war voll banane. Lustig, oder? Das hat Mokuba mir beigebracht. Voll banane. Das wollte ich schon immer sagen.“

Danke für den Eimer eiskalten Wassers. Katsuya schluckte. Seto hatte seinem Kind doch erklärt, dass Mokuba tot war, oder? Er würde jetzt nicht nach seinem Bruder fragen? Bei allen Göttern, er war in Kindererziehung keine große Leuchte. War schon Wunder genug, dass er seine Schwester ordentlich hin bekommen hatte.

„Warum war er denn voll banane?“

„Weiß ich nicht. Aber er hat geweint und gezittert. Das tut er total selten. Erwachsene weinen ja fast nie. Die tun sich ja auch fast nie weh“ Also weinte man, wenn man sich weh tat? Und Erwachsene weinten nicht, weil sie sich selten weh taten? Huh ... hörte sich ja schon fast sinnvoll an.

„Dann war das wohl meine Schuld, weil ich ihm weh getan habe. Hat er was gesagt?“

„Nur, dass ich nicht mehr mit dir spielen darf“ Seto grinste. „Aber jetzt schläft er. Jetzt kann ich machen, was ich will. Dafür bin ich extra auf geblieben.“

„Ähm ... schön“ Sollte er jetzt zufrieden sein oder ihn schelten? Er mochte Klein-Seto, aber war es gut, wenn sich die Seelen gegenseitig hintergingen? „Aber wenn der Große sagt, dass etwas gefährlich ist, solltest du besser auf ihn hören. Erwachsene wissen mehr als Kinder, deswegen sehen sie Gefahren früher.“

„Aber du bist nicht gefährlich! Wenn Seth das glaubt, ist er blöd!“

„Seth?“ Katsuya kraulte den Kleinen und versuchte seine Stimme so zu halten, als würde ihn das nicht alles mehr als brennend interessieren. Das war schon das zweite Mal, dass er Klein-Seto aushorchte, um mehr von Seto zu verstehen.

„Der große Seto. Aber Seto ist mein Name. Also habe ich ihn Seth genannt“ Seto sah hoch und grinste. „Gut, nicht?“

„Das ist ein schöner Name“ Aber war er gut? War es gut, wenn sich die Seelen gegeneinander abgrenzten, indem sie sich andere Namen gaben? War es richtig, wenn er das dem Kind erklärte? Oder sollte sich nicht Seto ... oder eben Seth darum kümmern? „Hast du den anderen in deinem Kopf auch Namen gegeben?“

„Nein“ Mit einem Mal stand tiefstes Misstrauen auf Setos Zügen. „Den mag ich nicht. Der ist böse. Und die Stimmen haben keinen Körper. Also kriegen sie auch keine Namen.“
 

„Was sind das denn für Stimmen?“

„Böse Stimmen“ Seto griff die Decke und zog sie mit sich hob, während er auf Katsuya höher robbte, seinen Kopf auf dessen Schulter legte und die Decke so fallen ließ, dass sie ihm sogar noch die Nase bedeckte. Von selbst ließ er sich zur Seite gleiten und nahm so Gewicht von Katsuya.

„Warum sind sie böse?“

„Sie sagen böse Sachen.“

Selbst der kleine Seto schien nicht gern über sie zu sprechen. War klar, dass der große Seto auch keine Lust dazu hatte, erst recht mit den Entzugssymp- Katsuyas Lider weiteten sich.

„Seto, zeig mir doch mal deine Hände“

Die fünfjährige Seele zeigte seine Patschpfoten vor, was natürlich Setos grazile Finger waren – völlig still und nicht einmal ansatzweise zitternd. Wie konnte das sein? Entzugssymptome kamen doch vom Körper und nicht von der Psyche, oder? Seto war wie das reine Nervenwrack gewesen, hatte die Hände nur mit viel Selbstkontrolle ansatzweise in einer Position halten können.

„Sind nicht schmutzig. Damit darf ich essen. Gibt es jetzt Essen?“

„Hm? Äh ... ja. Hast du Hunger? Ich kann gern etwas zu essen machen.“

„Spagetthi! Mit Tomatensauce und kleinen Fleischbällchen, ja? Aber nur aus püriertem Fleisch. Dieses Hackfleisch ist grob.“

„Aus püriertem Fleisch ...“ Warum hatten es alle Seelen so mit Fleisch? Seto war sein Essen völlig egal, solange sein Steak genau richtig gebraten war. Und jetzt schon wieder so ein Feinschmecker ... aber gut, das würde er schon hinkriegen. Im Zweifelsfall mischte er einfach Ei rein. „Dann schlage ich vor, dass wir duschen und dann Essen machen, ja?“

„Darf ich in meinem Bademantel Essen machen?“ Setos Lider weiteten sich, ebenso wie das Grinsen auf seinen Lippen. „Der ist so flauschig und so weich und so warm und-“

„Ja, du darfst“, unterbrach Katsuya ihn. Was für einen Grund hätte er, Seto so etwas zu verbieten? Sollte er halt in seinem warmen, weichen Bademantel rumrennen. Nur Socken musste er ihm anziehen, damit ihm die Füßchen nicht kalt wurden. Er warf einen Blick auf das lächelnde Kind in seinen Armen.

Das Kind war über zwei Meter groß und wurde nächstes Jahr dreißig.

Theoretisch.

Aber es war Dezember, also dachte er darüber nach, dass er seinem Freund Socken anziehen musste, damit seine Füße nicht zu kalt wurden. Egal, ob er jetzt fünf oder dreißig war. In fünfzig Jahren, wenn Seto langsam dement wurde, müsste er das schließlich auch. Ach, welche Freude, zehn Jahre jünger zu sein. Katsuya küsste den verwirrt blinzelnden Seto auf die Stirn und schwang sich aus dem Bett.

Es war schon irgendwie verwirrend zuzusehen, wie sein Freund hinterher krabbelte und dabei die Bewegungen kaum richtig koordiniert kriegte. Alles wirkte eckig, kantig, stockend. Mal zu wenig Schwung, mal zu viel. Aus dem sonst pantherhaften Gang wurde ein Entengewatschel. Trotzdem maß die Gestalt vor ihm gut einen Kopf mehr als er. Ein Kind im Körper eines Erwachsenen ... so vieles schien verändert. Es war wirklich, als stände vor ihm ein ganz anderer Mensch. Es war so unvereinbar mit dem Seto, der ihn vorhin noch herrisch dazu gebracht hatte, ihm einen Blowjob zu geben.

„Können wir in die große Wanne gehen, bitte? Ich möchte planschen!“

„Warst du nicht hungrig?“

„Nicht so sehr“ Seto griff seine Hand und zog daran. „Ich möchte lieber planschen!“

Dreimal raten, wer nachher sauber machen durfte? Er folgte lächelnd dem aufgeregten kleinen Bündel. Ehrlich gesagt war das leichter als Seto mit seinen Entzugserscheinungen. Wenn der Kleine die nicht hatte, umso besser. Schade, dass es draußen zu kalt war, um mit Kreide malen zu gehen.

Spagetthi mit Klößchen

Immer noch Stress, daher gibt es Kommentarbeantwortungen leider wieder erst morgen. Ich wünsche dennoch viel Spaß beim Lesen ^.^
 

WARNUNG: Dieses Kapitel ist wieder einmal keine leichte Kost. Bitte mit Vorsicht genießen.
 

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„Irrh“ Seto verzog angewidert das Gesicht, zog seine Hände aus dem Hackfleisch und wechselte zwischen allen drei Dingen den Blick, bevor er vollkommen verloren zu Katsuya herüber sah.

„Klein-Seto wollte mir beim Kochen helfen“, erklärte dieser nur und lächelte über den Gesichtsausdruck, „du musst das Ei ins Fleisch einkneten.“

„Das da“ - ein abschätziger Blick in Richtung der Schüssel - „fasse ich ganz sicher nicht an. Das ist ekelhaft.“

„Memme“ Katsuyas rechter Mundwinkel zog sich hoch, während er hinüber schlenderte. „Es ist nur Fleisch mit Ei.“

„Und diese ... grünbraune ... Lage?“ Seto wirkte noch immer sehr entgeistert und hielt die Hände von sich wie ein Chirurg kurz vor der Operation.

„Pfeffer. Das da ist Salz. Und Milch“ Er legte den Kopf auf dessen Schulter. „Nichts davon wird dich angreifen. Es will nur mit starker Hand angefasst werden.“

„Uh-huh“ Die blauen Augen schienen ihn zu fragen, ob er noch ganz bei Verstand war. „Mich interessiert eigentlich nicht, woraus mein Essen gemacht wird, solange es schmeckt“ Die Stirn legte sich ein wenig in Falten, bevor Seto an sich hinab sah. „Warum trage ich einen Bademantel und ... Hello-Kitty-Socken?“

„Sie waren flauschig und warm. Klein-Seto mochte sie. Warum genau besitzt du so etwas?“

„Sie waren ein Geschenk“, erwiderte Seto mit einer sehr trockenen Stimme, die einen mahnte, nicht weiter nachzufragen. Irgendwer hatte sich wohl einen Scherz gemacht, den der Andere nicht so lustig gefunden hatte. „Hast du ihm erlaubt, im Bademantel rumzurennen?“

„Ich wüsste nicht, warum ich es ihm verbieten sollte. Aber er hat gefragt“ Katsuya legte den Kopf schief. „Verbietest du so etwas?“

„Ja“ Sein Blick wechselte zwischen dem Hackfleisch und den Hello-Kitty-Socken. „Ich finde so etwas nicht anständig“ Er trat von der Schüssel weg und ließ die Hände etwas sinken. „Und ich werde das nicht wieder anfassen. Ich gehe meine Hände waschen und mich umziehen.“

„Wie du wünscht“ Der Jüngere zuckte mit den Schultern. Irgendwie war Klein-Seto angenehmer gewesen. „Sag mal ... soll ich dich auch Seth nennen?“

Seto, der sich bereits weggedreht hatte und in Richtung Tür gegangen war, blieb abrupt stehen. Nein ... eigentlich war das die falsche Bezeichnung. Er hielt kurz inne, bevor er vornüber kippte und auf den Boden aufschlug. Im letzten Moment stützte er sich noch ganz leicht ab, aber der dumpfe Aufprall hallte dennoch durch die Küche.
 

„Seto!“ Katsuya stürzte vor und hockte sich neben diesen, ein Bein dabei angewinkelt. Der Andere jedoch gab keine Antwort. Arme und Beine zogen sich an, sodass Seto eine Stellung einnahm wie ein Fötus im Mutterleib – bei Seto hingen allerdings die Gliedmaßen, die nicht auf der Seite waren, die am Boden lag, in der Luft. Katsuya griff nach dem Handgelenk des in der Luft befindlichen Arms, jedoch ließ sich dort nichts bewegen. Seto schien wie schockgefroren.

Einen Moment lang.

Im nächsten drückte er den Rücken durch, warf den Kopf in den Nacken und schien sich rückwärts um sich selbst krümmen zu wollen. Seine Lider waren weit geöffnet, als würde er etwas Grauenvolles vor seinen Augen sehen. Die Finger verkrümmten sich zu Krallen und Setos ganzer Körper erzitterte.

„Seto!“ Hilflos griff der Blonde nach dem sich immer schlimmer verkrampfenden Körper und zog Setos Oberkörper über seine Beine an seine Brust. „Seto! Komm zu dir!“ Das Gewicht des steifen Körpers zog ihn herunter.

Scheiße! Was zur Hölle hatte er getan? Was hatte er bloß getan? Seto! Tränen stiegen in seine Augen. Scheiße ... nachdenken. Was war los? Krampf. Da war was mit bellenden Hunden und Löffeln, oder? Ja, die Leute konnten sich die Zunge abbeißen. Katsuya griff nach Setos Lippen und zog eine hoch – keine Zunge und kein Blut zu sehen. Okay.

Ein Arzt. Als nächstes brauchte man einen Arzt. Hatte er sein Handy? Ja, perfekt, da war es. Schnellwahl für den Arzt. Welcher Tag war heute? Sonntag? Egal, er hatte dran zu gehen. Dafür bezahlte Seto ihn schließlich.

„Ja, bitte?“, meldete sich der ältere Herr.

„Herr Doktor? Ich brauche Hilfe. Seto hat irgendso einen Ganzkörperkrampf, er liegt auf dem Boden und bewegt sich nicht mehr. Er ist total steif. Er ist einfach umgekippt und jetzt liegt er total zusammen gerollt da. Was soll ich tun?“

„Erst einmal ganz ruhig. Ich nehme all meine Sachen und mache mich auf den Weg. Ist Herr Kaiba jetzt ganz steif und bewegt sich nicht mehr?“ Er bejahte schnell. „Dann prüfe bitte seine Atmung. Atmet er noch?“

Atmung. Katsuya hätte sich fast auf die Stirn gehauen. An so etwas Simples sollte er vielleicht mal denken. Er befeuchtete einen Finger und hielt ihn vor Setos Nase, bevor er nach wenigen Sekunden antworten konnte: „Ja, er atmet.“

„Dann ist das Schlimmste überstanden. Ich werde jetzt auflegen und losfahren. Sie prüfen weiterhin die Atmung. Sollte er plötzlich wieder Bewegungen machen, stellen Sie einfach alle Verletzungsquellen aus dem Weg. Versuchen Sie nicht, ihn festzuhalten.“

„Und wenn er nicht mehr atmet?“ Ruhig. Schön ruhig. Auch auf die eigene Atmung achten.

„Beatmen Sie ihn Mund zu Nase. Ich bin sofort da.“

„Gut“ Der Blonde atmete tief durch und legte das Handy neben sich auf den Boden. Gut. Er war ruhig. Der Arzt war auf dem Weg. Er konnte weiter Setos Atmung prüfen. Das Schlimmste war überstanden, das hatte der Arzt gesagt. Sein Freund war bald wieder er selbst.

Aber war Epilepsie nicht etwas, was man immer wieder hatte? Wenn Seto so etwas hatte, hätte er das dann nicht wissen müssen? Hätte er ihn nicht vorwarnen können? In was waren sie jetzt nur wieder reingeraten?
 

Nach einer schieren Ewigkeit sank Seto langsam in sich zusammen. Seine Muskulatur schien zu erschlaffen, sodass er sich zu einem Ball zusammen rollen konnte. Er zog die Beine an die Brust, legte die Arme darum und drückte den Kopf gegen die Knie, nachdem Katsuya seinen Finger vor dessen Nase weggezogen hatte.

Der Jüngere wagte es nicht zu sprechen.

Seto begann zu zittern, erst kaum sichtbar, bis es seinen ganzen Körper ergriff und ihn durchschüttelte. Nicht so wie bei einem Krampf, einfach so, als wäre ihm unglaublich kalt. Sollte er eine Decke holen? Seto in den Arm nehmen? Oder besser nichts tun, um es nicht schlimmer zu machen?

„S- ... Seto? Bist du ... da?“ Er legte vorsichtig eine Hand auf dessen Schulter. Das Zittern wurde plötzlich weniger, auch wenn es noch immer sichtbar war. „Möchtest du ... in meinen Arm?“ Die Hand, die dank der Umarmung der Beine, auf einem Knie lag, löste sich und tastete sich in die Richtung von Katsuyas, allerdings musste Seto sie über den Kopf heben, was sehr unbequem aussah. „Ich ... ich nehme dich jetzt in den Arm. Lass bitte deine Beine los“ Er griff mit einer Hand zwischen Oberkörper und Beine und konnte den Größeren so unter den Achseln packen, um ihn an sich zu ziehen. Mit dem Zug ließ dieser sogar wirklich locker, sodass Katsuya nur den Oberkörper an sich hob und die Beine auf dem Boden blieben. Geschickt ließ er die Achseln los und den Anderen über seine Oberarme auf seine Schultern rutschen, sodass dessen Arme sich automatisch um Katsuyas Hals legten.

Es brachte so viel Leben in Seto, dass dieser von selbst die Umarmung schloss und seinen Kopf auf Katsuyas Schulter legte.

„Na, du?“ Dieser setzte sich hin und zog Setos Unterleib auf seinen Schoß. „Was war denn los mit dir, hm?“

„Dissos“, hauchte er leise.

Dissoziationen? Das waren ... nein, oder? Man bekam doch keine Krampfanfälle durch Dissoziationen, oder? Katsuyas Stirn legte sich zweifelnd in Falten. Oder waren die jetzt nach diesem Krampf gekommen? Egal, wenn es Dissoziationen waren, musste er reden.

„Woher sind die denn gekommen? Was hat sie ausgelöst?“

„Fleisch“ Seto begann wieder leicht zu zittern. „Mach das ab“ Fleisch? Hä? Was für Fleisch sollte ... das Hackfleisch, was noch an Setos Händen war? „Ab!“ Die Stimme klang flehend.

„Kay“ Katsuya sah zur Spüle. Schaffte er das? Seto war mindestens zehn Kilo schwerer als er. Den würde er nicht getragen kriegen. Er machte kein Krafttraining. Aber wenn er ihn so hob, dass er mitgehen musste ... er erhob sich und zog den Oberkörper des anderen mit sich. „Na komm. Hilf mir. Stell dich hin und geh mit mir. An der Spüle kann ich dir die Hände waschen.“

Es brauchte einen Moment, aber Seto schien genug bei sich zu sein, um die Notwendigkeit der Mitarbeit zu erkennen. Er stellte ein Bein auf, um sich darauf zu stützen und setzte das andere davor, sodass sie langsam in die richtige Richtung schritten. Katsuya feuerte Seto an, sprach auf ihn ein und stützte ihn auf dem Weg. An der Küchentheke befahl er ihm zu stehen, nahm die Hände und hielt sie unter den Kran. Er nahm Spülmittel und wusch die sehr wenigen Reste ab, ebenso das Fett, jedoch wirkte Setos Blick ebenso abwesend wie zuvor. Er griff also auch die kleine Bürste und scheuerte dessen Hände.

„Jetzt ist alles sauber. Siehst du? Nichts mehr da“ Er stellte das Wasser ab und begann die Hände zu trocknen. „Du kannst wieder zu dir kommen. Es ist nichts mehr da. Ich habe alles ab gemacht. Komm, sprich mit mir, Seto. Bitte ...“

Doch Seto schwieg, den Blick in die Ferne schweifend.
 

Ja, er sollte reden. Er sollte Seto in die Realität zurückholen. Er sollte ihn zu Skills anleiten. Er sollte irgendetwas anderes tun, als dazusitzen und Seto zuzusehen, wie er immer weiter in seine Dissoziationen sank. Doch er konnte nicht. Er war völlig leer, völlig erschöpft. Er konnte nur zusehen, wie Setos Hände zitterten, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

Bis es klingelte.

Ein Ruck ging durch Seto. Der vorher fast völlig Apathische erhob sich, ging zur Tür und öffnete diese. Er erwiderte den überraschten Gruß des Arztes nicht sondern ging nur zurück zu seinem Sitzplatz in der Küche. Im Flur schloss der Arzt die Tür und betrat die Küche.

„Guten Nachmittag, Katsuya. Ich sehe, er hat sich erholt?“

„Zumindest von Krampfanfall“ Der Blonde, der die Arme um sich selbst gelegt hatte, drehte den Kopf. „Er sagt, er habe Dissoziationen gehabt ... also, jetzt hat er sie ganz fraglos. Aber können Krampfanfälle durch Dissoziationen kommen?“

„Nun ... das müsste ich einen Psychiater fragen, aber nicht, dass ich wüsste“ Der Arzt stellte seine Tasche auf dem Tisch ab. „Ob es nun aber ein epileptischer Anfall oder eine starke dissoziative Attacke war, ich sollte Ihnen ein Benzodiazepin verabreichen, um mögliche Spätfolgen und Zweitattacken zu unterbinden.“

„Nein“, erwiderte Seto schlicht.

„Nein?“ Der Arzt legte die Stirn in Falten. „Sie zittern. Der Anfall ist nicht abgeklungen. So etwas kann phasisch sein und jederzeit wieder einsetzen.“

„Ich habe keine Epilepsie“ Setos Lider verengten sich – Katsuya wusste nicht, ob ihm der apathische Ausdruck nicht doch besser gefallen hatte. „Ich bin unter Entzug und dissoziativ. Rufen Sie einen Psychiater an, wenn Sie Fragen haben.“

„Entzug?“ Der Arzt, der aus seiner Tasche eine kleine Glasflasche und einige sterile Utensilien gezogen hatte, hielt inne. „Sie haben einen Rückfall gehabt?“

Auch wenn es kaum möglich schien, Setos Blick schien noch kälter zu werden. Voller Wut, Hass und Abscheu. Er strahlte eine unglaubliche Ablehnung aus, obwohl nur die Spannung seiner Lider sich verändert hatte. Vielleicht waren seine Wangen etwas eingezogener als vorher, doch all diese Unterschiede waren sehr minimal.

„Nun gut, ich rede gegen eine Wand“ Der Arzt zog sein Handy hervor. „Ich werde einen Psychiater anrufen. Wenn er sagt, dass ich ihnen die Medikation geben soll, werden Sie sie nehmen, einverstanden?“ Dass Seto nicht antwortete, nahm er wohl als Zustimmung, denn er tippte etwas ein und hielt das Gerät an sein Ohr. „Guten Tag, hier Doktor Murashi. Ich möchte bitte mit dem leitenden Oberarzt der Psychiatrie verbunden werden ... danke ... ja, guten Nachmittag, hier Doktor Murashi. Ich stehe vor einem psychiatrischen Notfall und brauche bitte Ihre Beratung ... ich habe hier einen Patienten mit bekanntem C-Zwei-Abusus, seit fünf Jahren rückfallfrei, hat jedoch in den letzten Tagen einen Rückfall gehabt. Weiterhin bekannt ist eine komplexe PTBS mit dissoziativer Identitätsstörung- ... nein, der Patient ist nicht stationär. Ich wurde soeben gerufen wegen eines Krampfanfalls des Patienten. Er ist wieder bei Bewusstsein, zittert jedoch. Er lehnt eine Medikation mit Benzodiazepinen ab. Er sage, sein Krampfanfall sei dissoziativer Natur ... ja, der Lebenspartner ... ja, natürlich. Katsuya, hast du sehen können, ob Herr Kaiba sich irgendwie beim Fallen abgestützt hat?“
 

„Wie bitte?“ Er zuckte zusammen ob der plötzlichen Ansprache.

„Als er den Krampfanfall bekam und umkippte, hat er sich da irgendwie abgestützt beim Fallen?“, wiederholte der Arzt ruhig.

„Äh ... ja“ Seine Stirn legte sich in Falten. „Er hat den linken Arm vorgezogen und sich darüber zur Seite abgerollt.“

„Ja, dieser gibt an, dass es eine solche Reaktion gab ... aha, ich verstehe ... nein, ich wurde auch damit überrascht ... stehen sie unter Entzugsmedikation, Herr Kaiba?“, wandte er sich an den Sitzenden.

„Nein“ In dessen Stimme schwang ein sehr drohender Tonfall mit.

„Nehmen Sie derzeit irgendwelche Medikamente?“

„Seroquel. Seit anderthalb Wochen nicht mehr regelmäßig.“

Na wunderbar ... er hatte seine Psychopharmaka abgesetzt und sich mit Alkohol zugeschüttet? Na dann prost. Katsuya seufzte nur. Hatte Seto überhaupt mal nachgedacht, was er damit tat? Was er sich selbst und seiner Umwelt damit antat? Natürlich war er verletzt gewesen, aber so die Kontrolle zu verlieren ...

„Nein, ich habe beides nicht bei mir. Ich habe nur Haloperidol hier“ Die Lider des Arztes weiteten sich. „Sind Sie sicher? Ist das nicht übertrieben?“ Er zog ein weiteres sehr kleines Glasfläschchen aus seiner Tasche. „Nun ... wenn Sie sicher sind ... Sie sind der Spezialist ... einen Moment“ Er drehte sich zu Seto und nahm das Handy von seinem Ohr. „Herr Kaiba? Der Psychiater stimmt Ihnen zu, dass der Anfall wahrscheinlich nicht epileptisch war und Sie wegen des Entzugs keine Benzodiazepine bekommen sollten. Er möchte, dass Sie das Seroquel vollständig absetzen. Ich soll Sie mit Haldol abdecken und morgen bei einem Psychiater vorstellen lassen. Noch lieber würde er Sie sofort in der Klinik sehen.“

„Haldol ...“ Setos Gesichtszüge entspannten sich. Er löste mit einer zitternden Hand den Hemdärmel der anderen zitternden Hand – worin er erstaunlich geschickt war – zog diesen hoch und legte den entblösten Arm auf den Tisch. „Geben

Sie Katsuya auch keine Benzos, egal, wie aufgeregt er wirkt.“

„Wie Sie wünschen“ Er zog das Handy wieder näher. „Der Patient lehnt den Klinikaufenthalt ab, ist jedoch mit dem Haldol einverstanden. Ich werde ihn morgen in eine entsprechende Ambulanz überweisen. Ich danke sehr für Ihre Hilfe ... ja, natürlich ... auf Wiederhören“ Er seufzte und schob einige der ausgepackten Utensilien zu Seto, bevor er noch mehr aus der Tasche holte. „Sie machen es mir nicht leicht.“

„Ich würde Sie nicht bezahlen, wäre ich leicht.“

„Auch wieder wahr“ Der Arzt legte einen Stauschlauch um den entblößten Arm, sprühte etwas aus einer weißen Flasche auf die Haut und hantierte mit weiteren Utensilien. „Ich glaube, ich brauche Sie nicht vorwarnen, dass es jetzt einen Pieks gibt.“

„Ich bin nicht psychotisch genug, um davon aufzuschrecken“ Genau genommen sah Seto ziemlich unberührt davon aus, dass man ihm eine Nadel in den Arm steckte. Andererseits erstreckten sich darunter auch die zentimeterlangen Kluften seiner letzten Selbstverletzungsattacke. Vielleicht begrüßte er den Schmerz. Sein Gesicht wirkte wieder recht ausdruckslos.

„Gut“ Der Arzt räumte alles wieder auf, verstaute die Nadel in einem entsprechenden Behälter und schmiss alles andere in den Hausmüll, den er zielsicher unter der Spüle fand. Seine Sachen packte er zurück in die Tasche und zog dabei ein rotes Buch hervor, in dem er blätterte. „Die Halbwertszeit beträgt dreizehn bis dreißig Stunden, sie sollten also keine weitere Dosis benötigen, wenn sie morgen früh direkt zu ihrem Psychiater gehen. Ich werde Ihnen eine Überweisung schreiben. Bitte bedenken Sie, dass Sie keinesfalls Auto fahren dürfen.“

„Hm ...“, murmelte Seto noch, bevor sich seine Augen nach oben rollten und sein Kopf folgte, indem er in den Nacken fiel. Vom Aussehen glich er haargenau einem Junkie auf Heroin.

„Nun ja ... ich finde das Ganze ja schon etwas hoch dosiert. Katsuya, würdest du mir bitte helfen, ihn ins Bett zu bringen?“

Ein langer Tag

Ich lebe noch *v* Der Stress neigt sich dem Ende, die letzte Woche Uni, bevor ich Weihnachten fröhnen darf ^.- Die Uni ist derzeit echt eine Scheußlichkeit, ich hasse mein Studium, aber das Leben geht wohl weiter ... na ja, nicht meckern, hinnehmen.

Ich hoffe, ihr habt Spaß mit dem Kapitel und dass es euch besser geht als mir ^.-
 

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„Und jetzt?“, wandte sich Katsuya an den Arzt.

„Jetzt ... bin ich verwirrt. Ich gebe zu, es war hoch dosiert, aber so schnell tritt normalerweise keine Wirkung ein. Ich würde ihn wirklich gern in einer Klinik sehen gerade“ Der Arzt legte eine Hand an sein Kinn. „Aber ich vertraue anderen Ärzten gern. Sie werden schon wissen, was sie da tun“ Er drehte sich zu Katsuya. „Wie geht es dir?“

„Mir?“ Dieser blinzelte verwirrt. „Gut. So ... im Allgemeinen. Ja, doch. Die letzte Woche hat es hier ziemlich gekriselt, deswegen Setos Rückfall, aber sonst ... ich denke, es hat sich geklärt. Jetzt geht es wieder bergauf.“

„Hm“ Der Arzt legte eine Hand auf seine Schulter. „Lassen wir ihn etwas ruhen“ Er deutete mit einer Hand auf die Tür und sie verließen das Zimmer, um zurück in die Küche zu gehen. „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht ist, mit Herrn Kaiba zu leben.“

„Och, das geht schon in Ordnung. Es ist wahrscheinlich auch nicht leicht, mit mir zu leben“ Katsuya zuckte mit den Schultern und überprüfte kurz den Herd – zum Glück hatte er ihn vorhin noch nicht angestellt. Er wusch sich die Hände und begab sich zur Schüssel mit Hackfleisch. „Es gibt Tage, da ist es echt schwer mit ihm. Aber es gibt auch Tage, da würde ich nirgendwo anders sein wollen. Das hält sich die Waage.“

„Bist du zufrieden mit dem Leben, was du jetzt hast?“ Der Arzt nahm am Tisch Platz.

„Ich denke“ Er warf ein Lächeln über die Schulter. „Gerade bin ich glücklich und erschöpft. Glücklich, weil Seto mir verziehen hat und erschöpft, weil er plötzlich diese Attacke hatte. Aber so ist das meistens. Freudig und ängstlich, geborgen und verzweifelt ... wie nannte Seto das? Ein dichotomes Gefühlserleben oder so.“

„Diese negativen Gefühle machen mir etwas Sorgen. Ich will ehrlich sein, Katsuya. Ich weiß nicht, ob du bei Herrn Kaiba gut aufgehoben bist“ Der Herr verschränkte die Finger und legte sie vor sich auf den Tisch. „Ich gebe zu, ich habe noch nie gesehen, dass sich Herr Kaiba so um jemanden gekümmert hat wie um dich, nur ... ich komme nicht umhin, Angst um dich zu haben.“

„Was soll denn das heißen?“ Katsuya warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Natürlich ist Seto nicht perfekt, aber er ist besser als ein Großteil der Menschheit.“

„Das war kein Angriff, Katsuya. Ich wollte nur sagen, dass ich jedes Mal, wenn ich euch beide zusammen sehe, ein ungutes Gefühl habe. Wie eine Vorahnung. Ich sehe ja, dass ihr sehr gut miteinander zurecht kommt, nur ... ich weiß nicht einmal, wie ich es beschreiben soll. Solltest du jemals mit jemandem sprechen wollen oder Hilfe brauchen, kannst du dich gern an mich wenden, das wollte ich damit nur sagen.“

„Oh ... okay. Danke“ Er blinzelte und konzentrierte sich wieder auf das Essen. „Da wäre ... nein ... also, mal eine Frage. Es geht nicht um mich, keine Sorge. Da macht mir nur etwas Gedanken“ Er schmiss kleine Fleischkugeln in die Pfanne. „Wenn zu ihnen ein junger Mensch kommt und sie stellen fest, dass er vergewaltigt wurde ... was machen sie dann?“

„Ist dir das passiert, Katsuya?“, fragte der Arzt ruhig.

„Nein“ Er schickte ihm einen etwas genervten Blick. „Es geht wirklich um einen Freund und nicht um mich. Bitte antworten Sie einfach nur.“
 

„Nun gut“, erwiderte der Arzt nach einer längeren Pause, in der er den Jugendlichen prüfend angesehen hatte, „dann werde ich einfach nur antworten. Zuerst einmal ist wichtig, wie ich das mit der Vergewaltigung festgestellt habe. Hat der junge Mann es mir erzählt? Oder kam er wegen der Verletzungen, die ich dann behandle?“

„Uhm ... sagen wir, er sagt es. Oder der, der ihn hinbringt, sagt es.“

„Das macht wieder einen großen Unterschied. Wenn er mir es selbst sagt, dann ist ihm klar, dass ihm eine unrechte Gewalt angetan wurde. Wenn ein anderer es sagt oder ich es selbst feststellen muss, kann es sein, dass die Person das völlig herunterspielt. Wenn der Junge es herunter spielt, dann kann ich nur etwas tun, wenn ich glaube, dass er in akuter Lebensgefahr ist, wenn ich ihn gehen lasse. Und dann auch nur, wenn er jünger als sechzehn ist. Ansonsten kann ich ihn nur behandeln und mit ihm reden.“

Gut. Ryou war erst fünfzehn. Und er war auf jeden Fall in Lebensgefahr.

„Und wenn er nun jünger als sechzehn und in Lebensgefahr ist?“

„Rufe ich das Jugendamt und die Polizei an. Er wird in Obhut genommen, so der Täter in der Familie zu vermuten ist, und der Täter – so feststellbar – festgenommen. Die Staatsanwaltschaft klagt den Täter an, es wird ermittelt und ein Gerichtsverfahren eingeleitet“ Ein Moment des Schweigens verging. „Möchtest du mir vielleicht erzählen, was die Umstände deines Freundes sind?“

Wollte er? Der Doktor konnte eh nichts tun. Bakura festnehmen zu lassen und die beiden zu trennen, das war keine Option. Ryou würde völlig eingehen. Das hielt er nicht aus. Andererseits, wer wusste, was Bakura ihm alles antat ...

„Er ... er lebt bei seinem Bruder. Der ist alles, was er hat. Er hängt extrem an ihm. So sehr, dass ... dass er sich wahrscheinlich töten würde, würde man sie trennen. Aber der Bruder ist unglaublich gewalttätig und er ... er hat halt vor meinen Augen ...“ Das restliche Fleisch in seiner rechten Hand quoll zwischen seinen Fingern hervor, als er die Hände zu Fäusten ballte. „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Aber alles, was mir einfällt, würde dafür sorgen, dass ihm etwas passiert.“

„Hm-mh“ Der Arzt nickte. „Das Gefühl kenne ich gut. Ich bin Allgemeinarzt. Ich behandle die Großmutter, den Vater, Kinder und Enkel. Ich bin nicht blind. Ich sehe, dass viele Familien nicht so laufen, wie sie es sollten. Aber ich stehe vor demselben Problem – was ich auch tue, es würde das Leben meist nicht verbessern. Ich kann mit den Eltern reden, ihnen Hilfe anbieten, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen nennen, ich kann den Kindern die Nummer des Jugendamts geben, aber selbst kann ich doch nichts tun. Ich darf erst einschreiten, wenn die Verletzungen das Kind wirklich zutiefst gefährden“ Katsuya klatschte den Rest des Fleisches in die Pfanne, wusch seine Hände und setzte sich zum Arzt an den Tisch, während dieser sprach. „Wenn die Eltern von mir keine Hilfe annehmen, nehmen sie die auch nicht von Jugendamt. Das heißt, irgendwann kommt es zur Entscheidung, ob das Kind bei den Eltern oder in den Alternativen dazu besser lebt – und traurigerweise ist die Missbrauchssituation meist die bessere Lösung. Das zu akzeptieren, fällt oft schwer.“

„Ich könnte das nicht aushalten“, erwiderte Katsuya in vollem Ernst.

„Es ist schwer, das gebe ich gern zu. Dein Freund kann sich aus seiner Situation nur selbst befreien, indem er sich von seinem Bruder löst. Sollte er natürlich in ernsthafter Lebensgefahr schweben, ist zu überlegen, ob nicht trotzdem Anzeige erstattet werden sollte. Ich schlage vor, dass du dich da mit Herrn Kaiba berätst. Er kann das sicher auch gut einschätzen“ Der Herr beugte sich vor und legte eine Hand auf Katsuyas Schulter. „Allerdings hat er bis heute überlebt. Missbrauchssituationen tendieren dazu, nicht unbedingt schlimmer zu werden.“

„Also ... soll ich einfach gar nichts tun?“ Die Stirn unter dem blonden Haar legte sich in tiefe Falten.

„Du solltest mit ihm reden. Vielleicht sagt er dir ja auch, dass er in Wirklichkeit aus der Situation entkommen möchte. Auch du konntest dich ja von deinem Vater lösen.“

„Ich habe ihn auch gehasst“ In seine Stimme mischte sich Aggression.

„Und dennoch hast du erst mit neunzehn Anzeige gegen ihn erstattet“ Der Arzt lehnte sich zurück. „Solche Dinge brauchen Zeit, auch wenn sie von außen unaushaltbar erscheinen.“
 

Katsuya seufzte. Erneut. Wenn er genau darüber nachdachte, tat er das ungefähr alle dreißig Sekunden. Jedes Mal, wenn er sich an die Worte erinnerte, dass er nichts tun konnte, als einfach nur abzuwarten und zuzusehen. Ryou gut zusprechen und bangen und hoffen. Einfach nur daneben stehen und sich Sorgen machen.

Klasse. Vielleicht konnten Frauen so etwas, aber er war ein Kerl. Er wollte irgendwem in die Fresse schlagen und das Problem damit gelöst wissen. Und am liebsten Bakura ... wenn er nicht unbedingt so eine scheiß Angst vor den Konsequenzen hätte. Bei allen Göttern, was er dafür geben würde, wenn Seto einfach ein paar Stunden stabil wäre. Der hätte sicher eine Lösung und würde auf magische Weise alle Probleme lösen.

Seto konnte so etwas. Seto konnte alles. Seto hatte keine Angst davor, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um sein Ziel zu erreichen. Er sah niemals etwas als hoffnungslos an, bis er es nicht ausprobiert hatte. Seto gab es einfach nicht in verzweifelt. Seto wusste immer, was zu tun war. Zumindest, so lange er psychisch auf der Höhe war. Nicht so wie jetzt. Jetzt brauchte Seto mal Beistand.

Und er war der einzige, der helfen konnte. Mokuba war nicht mehr da. Yugi war nicht mehr da. Yami war nicht mehr da. Nur Noah und Yumi konnten ihm ansonsten noch irgendetwas sagen. Doch beide hatten ein eigenes Leben. Sie würden nur im schlimmsten Notfall da sein. Also hing es an ihm. Was auch immer den großen Seto neben dem Alkohol und dem Betrug aus der Bahn warf, er musste es richten. Oder zumindest da sein, damit Seto es selber richten konnte.

Beginnend mit einer Portion Spagetthi mit Fleischklößchen. Wenn Klein-Seto Alkoholentzugssymptomatiken einfach wegknipsen konnte, konnte der das mit Psychopharmaka vielleicht auch. Wenn Seto wieder ansprechbar war, würde er bei dessen Psychiater einen Termin für morgen ausmachen. Er würde den Brief mit der Krankschreibung ans Schulamt und den an seine Schule fertig machen. Und er sollte mal raussuchen, wie sie morgen zu dieser Klinik kommen würden, wenn Seto nicht Auto fahren durfte.

Er sollte dringend einen Führerschein machen. Das nur ganz nebenbei. Wenn er auch mal die Lösung jedes Notfalls werden wollte, musste er alles beherrschen und tun dürfen. Auto fahren war da ja wohl eine Grundvoraussetzung. Nur wäre das noch etwas, was er auf Setos Kosten tun würde ... andererseits tat er das auch für Seto. Also wenn der einverstanden war, sollte er das machen.

Er füllte einen tiefen Teller mit einer Portion Spagetthi und kippte die Sauce darüber. Bewaffnet mit Löffel und Gabel – europäische Gerichte pflegte Seto auch mit europäischem Besteck zu sich zu nehmen – begab er sich nach oben und klopfte vorsichtig. Er trat ein, obwohl er keine Antwort erhalten hatte.

„Seto?“ Er kam näher. „Bist du wach?“

Keine Reaktion. Er stellte das Essen zur Seite und prüfte zuerst einmal Setos Atmung. Okay, war da. Bewusstsein? Er rüttelte an dem Liegenden, was nur ein undefiniertes Geräusch hervor rief. Gut ... der große Seto war abgeschossen. Wie bekam er jetzt den Kleinen raus?
 

Stets half der erfinderische Geist. Seto durchzukitzeln hatte ihm einen recht müde wirkenden, aber geistig anwesenden kleinen Seto beschert, der brav und mit Freude seine Spagetthi aß. Der konnte ihm zwar nicht sagen, wie die Klinik hieß, in der er gewesen war, aber zumindest den Namen des Arztes. Vielleicht konnte man den ja im Internet finden.

Nachdem er Seto also wieder eingepackt hatte, setzte er sich an den PC und begann zu suchen. Arzt und Klinik waren schnell gefunden, einen Termin für morgen konnte er auch ausmachen, sobald bei der Dame im Dienst der Name Kaiba gefallen war. Nur gab es absolut keine Möglichkeit außer einem Taxi dahin zu kommen ... er musste morgen mal Seto fragen, wie das geplant war. Morgen früh würde das Zeug jawohl halbwegs aus seinem System sein, oder?

Er seufzte und fuhr den PC wieder runter. Und jetzt? Was machte er jetzt? Er atmete tief durch. Hinter ihm schien sich ein schwarzes Loch zu öffnen, das wie ein großes Maul versuchte, ihn zu verschlingen. Dissos? Wahrscheinlich ... Seto würde ihm kaum helfen können. Wenn, dann musste er sie selbst abhalten. Er ging runter ins Wohnzimmer und sah sich um. Konsole spielen? Für die Woche vorkochen? Fernsehen? Er warf einen Blick nach draußen. Was könnte er ... ah! Er zog sein Handy heraus und wählte den dritten Eintrag im Telefonbuch.

Nach viermal klingeln meldete sich eine leise, vorsichtige Stimme: „Katsuya?“

„N‘Abend“ Der Blonde setzte sich aufs Sofa. „Na, wie war deine erste Woche?“

„Gut, danke“ Ein Glucksen folgte. „Und deine? Irgendwelche Besserungen?“

„Wir sind wieder zusammen“ Katsuya lächelte, bevor sich seine Stirn in Falten legte. „Glaube ich. Man kann nie wissen. Heute Morgen war er bereit, sich wieder auf mich einzulassen. Dann wurde er zu Klein-Seto, hatte einen Krampfanfall wegen Dissoziationen und wurde vom Arzt mit irgendetwas abgeschossen, weswegen er jetzt nicht mehr ansprechbar ist. Also ... ich glaube, wir sind zusammen.“

„Das klingt nach einem anstrengenden Tag“, erwiderte Yami mit Mitgefühl in der Stimme, „und nicht so schrecklich rückversichernd. Aber es erleichtert mich sehr, dass er sich wieder eingekriegt hat.“

„Wir haben trotzdem Mist gebaut“ Katsuya wurde leiser. „Ich weiß, ich wollte dir nur einen Anstoß geben, dass du endlich mit der Prostitution aufhörst. Hat ja auch funktioniert. Aber wir haben Seto trotzdem ziemlich weh getan damit. Er dachte, er wäre nicht genug und dass ich ihn satt bin und noch viel mehr Blödsinn.“

„Du findest wirklich nichts an mir, oder?“ War das Trauer in Yamis Stimme? Hatte er ihm nicht klar gemacht, dass da nichts ... ja, hatte er, aber Gefühle stellte man nicht einfach ab. Yami war zwei Jahre in ihn verliebt gewesen. Wenn das ungefähr so war wie das, was er für Seto empfand, wäre das die absolute Hölle. Er war ja nach einer Woche ohne seinen Freund völlig am Ende.

„Yami, du bist mein bester Freund. Du bist immer für mich da und verflucht attraktiv. Das ist nicht nichts. Das ist nicht das, was ich als meinen festen Freund möchte, aber das, was mir als Mensch super wichtig ist. Okay?“ War das jetzt gut ausgedrückt? Er hatte das schonmal im Kopf formuliert, irgendwann vorletzte Woche mal, weil er schon ahnte, dass das nochmal Thema sein würde. Ein Hoch auf Vorausdenken.

„Danke ... weißt du ... ach, nein, nicht so wichtig. Wie geht es dir jetzt?“

„Was ist los, Yami?“

„Du hast genug am Hals. Ich brauch‘ dir nicht auch noch meine Probleme dazu schmeißen“ Ja, ja, so wie immer – Yami opferte sich für ihn auf. Genug damit, das Spiel hatten sie zwei Jahre gespielt. Das hatte sie erst in die Situation gebracht, in der sie jetzt waren.

„Schmeiß mal. Ich habe auch noch welche im Gegenzug.“

„‘Kay ... magst du anfangen?“

„Yami ...“ Er versuchte den besten genervten Ton, den er draufhatte. Viel schauspielern musste er nicht.

„Okay, okay, ich erzähl ja schon!“

Telefon

Ferien. Gott sei gepriesen für diese Erfindung. Seit jeher wurde der Sabbat geheiligt und nun auch Weihnachten. Ich weiß, manche haben etwas gegen den religiösen Hintergrund - ich empfinde das alles als schöne Traditionen. Ich wünsche allen am Samstag eine frohe Weihnacht.
 

ACHTUNG!!! Innerhalb der nächsten Tage wird "Tote Gesellschaft" erscheinen. Es sollte schon lange da sein, aber die Druckerei stresst -.- Neue Infos gibt es stets in meinem Weblog! Over ^.-
 

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„Also, wirklich Probleme habe ich jetzt nicht ... es ist nur ... klingt es zu weibisch, wenn ich sage, dass du mir fehlst?“, begann Yami.

„Ich? Wir haben ... na ja, stimmt schon, wir haben uns eine Woche lang nicht gesehen. Sonst bin ich zwei- oder dreimal die Woche bei dir aufgeschlagen. Aber die Schulferien waren auch nie groß anders, nicht?“ Katsuya rutschte auf der Couch hinab, legte den Kopf auf eine Lehne und rückte sich die Kissen zurecht.

„Nun ... gewissermaßen ... weißt du, ich kenne da halt niemanden. Ich habe noch nie in einem Team gearbeitet. Ich bin völlig unsicher, wie ich mich überhaupt verhalten soll. Alle erwarten von mir, dass ich weiß, wen ich wie zu grüßen habe, wen wie anzusprechen, wie viele Pausen ich machen soll, was dringend ist und was weniger ... aber mir ist das alles völlig neu. Ich hatte noch nie eine Arbeitsstelle, ich war immer selbstständig. Aber die glauben natürlich alle, dass ich mit sechsundzwanzig schon massig gearbeitet habe. Und ich will denen auch nicht sagen, dass ich mich prostituiert habe. Ich weiß nicht mal, was ich genau sagen soll. Bisher konnte ich der Frage gut ausweichen, aber jetzt glauben alle, dass ich über mich nichts erzählen will und fremdle. Die Arbeit ist super einfach, aber die anderen Leute machen mich echt fertig. Ich bin niemand, der einfach ganz natürlich Teil eines Teams wird ... mir macht das echt Angst. Ich will nichts falsch machen. Aber egal, was ich mache, es scheint einfach alles immer schlimmer zu machen. Ich glaube, ich werde noch drei oder vier Anläufe brauchen, um wirklich von Anfang an einen guten Eindruck zu hinterlassen. Nur habe ich so viele Möglichkeiten für Praktika dann auch wieder nicht ...“ Yami atmete tief durch. „Und ich weiß immer noch nicht, was ich überhaupt mal machen will. Ich bin jetzt im Design, das ist schon lustig und ich kann sogar mitreden, aber dieser Druck dort ist echt unangenehm. Wer nicht kreativ genug ist, darf wieder gehen. Ich habe mal nachgefragt, ein Angestellter hält dort durchschnittlich zwei Jahre, dann wird er ersetzt. Ehrlich, die haben mehr Durchgang als ein Bordell. Und jetzt habe ich morgen ein Gespräch mit Noah und ich habe schreckliche Angst, dass er mir sagt, dass das Team mich nicht aushält, weil ich mich so bescheuert anstelle. Was soll ich machen, wenn er sagt, dass ich nicht wiederkommen soll? Was, wenn ich morgen einfach ohne jede Arbeit dastehe? Ich habe all meinen Freiern mitgeteilt, dass ich nicht mehr in die Prostitution zurückkehre. Aber wenn ich arbeitslos wäre, dann könnte ich mir diese Wohnung nicht leisten. Und ich würde völlig durchdrehen, ich weiß jetzt ja schon nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ich komme abends nach Hause und habe nichts zu tun. So viele Bücher kann ich dann auch nicht lesen. Ich überlege, ob ich nicht vielleicht einen Nebenjob als Kellner nehmen soll oder so. Aber ich kann ja auch nicht ewig weiter Praktikum machen. Erst recht nicht, wenn ich mich so blöd anstelle“ Erneut atmete Yami tief durch. „Katsuya?“ Die Stimme klang weinerlich.

Der größtenteils Schweigende brummte zustimmend.

„Ich hätte nie gedacht, dass normal sein so schwierig ist. Die Umstellung hat mir schon immer Angst gemacht, weil es einfach etwas völlig Neues ist und finanziell auch nicht ganz so sicher, aber ... ich hätte nie gedacht, dass es so furchteinflößend ist. Ich habe echt jeden Morgen eine Panikattacke, ob nicht vielleicht doch irgendwer sagen wird, dass ich nicht da rein passe und verschwinden soll“ Yami seufzte.
 

„Weißt du, in der Prostitution ist es relativ klar, was du tun sollst. Du fragst deinen Kunden nach seinen Wünschen und passt dich dementsprechend an. Die meisten sagen dir sogar ins Gesicht, was sie haben wollen. Jetzt muss ich nachdenken, wie ich mich zu verhalten habe, wie die Hierarchien sind und wie die einzelnen zueinander stehen. Und wie die Arbeitsmoral überhaupt aussieht. Früher hatte ich einfach Abrechnungen nach Stunden, also war eine Nummer eine oder zwei Stunden und die habe ich terminlich hintereinander gelegt. Jetzt will ich gern nützlich sein, also arbeite ich mich völlig ab, aber das finden die anderen komisch. Die wollen, dass ich einfach eins nach dem anderen erledige und mich freue, wenn es nichts zu tun gibt. Das ist völlig verquer für mich. Jede Minute, wo ich früher keinen Freier hatte, war vergeudete Zeit. Das ist eine völlig andere Art zu leben. Ich ... das ist einfach echt schwer für mich.“

„Ich hätte nie gedacht, dass du solche Schwierigkeiten haben würdest“ Katsuya legte sich ein Kissen unter den Kopf, da sein Hals durch das verkrümmte Liegen etwas wehtat. „Ich hab‘ mir noch nie so viele Gedanken gemacht. Ich habe einfach alles genommen, wie es gekommen ist. Sowohl im Sixth Heaven als auch in der Kaiba Corp. ... na ja, ich hatte auch immer jemanden, der mich eingearbeitet hat. Die Person habe ich dann alles Wichtige gefragt und fertig.“

„Das macht wahrscheinlich einen Heidenunterschied. Noah hat mich vorgestellt und dann stand ich mit dem Team allein da. Ich klappere immer nur alle ab und frage, ob es was gibt, ob ich etwas tun kann, an was ich teilnehmen darf ... ich habe keine Aufgaben und keinen Ansprechpartner.“

„Dann ist es auch kein Wunder, dass das nicht läuft“ Katsuya drehte sich auf die Seite und legte das Handy auf eine Wange. „Ich mein‘, ich hab‘ ja jetzt auch nicht die super Erfahrung, aber zu wissen, was man tun soll oder jemanden zu haben, an den man sich hängt, ist schon echt hilfreich. Bei deinem nächsten Praktikum solltest du auf jeden Fall gucken, dass das da ist. Dann läuft das sicher viel besser. Und dann weißt du auch schon halbwegs, wie der Hase läuft.“

„Wenn ich ein nächstes Praktikum habe ...“ Der Andere seufzte. „Dass ich jetzt morgen ein Gespräch mit Noah habe, macht mir echt Sorgen. Freitag meinte der Abteilungsleiter plötzlich, dass der Chef mich morgen früh sehen wolle. Was soll ich mir denn jetzt denken?“

„Nichts. Vielleicht will er einfach nur fragen, wie es so läuft. Vielleicht macht er sich Sorgen. Vielleicht hat er wirklich gehört, dass es Probleme gibt und will wissen, wieso – und darauf weißt du ja jetzt die Antwort.“ Außerdem war Noah nicht der Typ Mensch, der rücksichtslos mit anderen umging. Selbst jetzt, wo er wahrscheinlich von der Sache mit dem Betrug wusste, hatte er Yami nicht einfach zum Teufel gejagt. Die beiden hatten sich nie wirklich verstanden, aber Noah hatte trotzdem sofort ja gesagt, als Yami ihn nach einem Praktikum gefragt hatte. Selbst wenn er Yami nicht mochte, er war ihm so weit wichtig, dass er ihn dabei unterstützen wollte, die Prostitution hinter sich zu lassen. Also würde er ihn morgen nicht gnadenlos feuern, das konnte sich Katsuya nicht vorstellen.

„Na gut. Und selbst wenn, ich werde ja wohl hoffentlich irgendwo ein Praktikum kriegen. Ich weiß eh nicht, was ich will, also kann ich mich auch überall bewerben. Irgendwann finde ich schon meine Leidenschaft.“

„Das klingt schon eher nach dir“ Ein Grinsen legte sich auf Katsuyas Züge.

„Es tat gut, mit dir zu reden. Irgendwer musste mich wohl mal wieder auf den Boden der Tatsachen holen. Die Woche war echt hart ... zwischenmenschlich gesehen wurde mir der Lernstoff echt eingedroschen“ Ein Glucksen erklang. „Ich habe mich den ganzen Tag aufgeregt, aber jetzt bin ich wieder ruhig.“

„Weißt du, du kannst auch anrufen, wenn was ist, okay?“

„Werde ich“ In Yamis Stimme schwang so viel Zuneigung mit, dass Katsuya unwillkürlich mitlächeln musste. „Okay, was ist dein Problem?“
 

„Meins ... ist etwas komplizierter“ Er atmete tief durch, setzte sich auf und beugte sich nach vorne, wobei er seinen Blick aus dem Fenster wandte. „Ich bin vorgestern festgenommen word-“

„Was?“, unterbrach Yami ihn entsetzt, „Und das sagst du erst jetzt? Geht es dir gut?“

„Ja, ich bin nur wenige Stunden in der Wache gewesen. Es war ... weißt du, ich habe ihnen Bakura als meinen Verwandten angegeben, der mich rausholen würde.“

„Warst du von allen guten Geistern verlassen?“ Das Entsetzen in Yamis Stimme klang nicht minder als bei seinem letzten Satz.

„So ziemlich“ Katsuya seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Seto hatte ich gerade erst vor Isis Augen auf nimmer Wiedersehen gesagt und bei dir wusste ich nicht, ob sie dich nicht kennen und wie das mit deinem Ausweis ist. Also ... habe ich halt Bakura genannt. Und der ist auch prompt gekommen und hat mich rausgeholt.“

„Einfach so?“

„Einfach so“ Wenn er jetzt darüber nachdachte, es war schon verwunderlich ... „Er hat mich mit zu sich genommen und ich durfte da bleiben. Er hat Seto informiert, aber genaue Grenzen gesetzt, was er erwartet, bevor er mich rausrücken würde.“

„Das ist ... untypisch. Aber er hat eine Schwäche für missbrauchte Kinder. Vielleicht erschienst du ihm in dem Moment so“ Yamis Stimme klang irgendwie zurückhaltend und vorsichtig. Er ahnte wahrscheinlich, dass das Ende nicht gut sein würde.

„Seto ist völlig betrunken aufgetaucht. Bakura hat ihn abgewiesen, aber er wurde immer aggressiver. Also hat Kura einen Warnschuss abgefeuert und die Tür zugesperrt.“

„M- Moment mal ... ich hatte es schon richtig verstanden, dass du jetzt bei Seto bist, oder?“ Es schwang ein Hauch von Panik in der Stimme mit.

„Tja ... ich war halt erstmal weiter bei Bakura. Nur ... dann habe ich ihn wütend gemacht“ Vom anderen Ende der Leitung kam ein kurzes Jaulen, was sofort unterdrückt wurde – ob Bakura auch Yami schonmal geschlagen hatte? „Ryou ist dazwischen gegangen, als Bakura auf mich einschlug“ War das echt erst gestern gewesen? Es erschien Jahre entfernt. „Darauf hat Bakura ihn mitgenommen und ... ich ...“

„Katsuya?“

Er atmete tief durch. Es war seine verdammte Schuld. Seine. Er fuhr fort: „Er hat ihn vergewaltigt. Und ich bin weggerannt.“

„Du schämst dich“ Das war keine Frage. Das war eine Feststellung. Direkt und ohne eine Sekunde des Überlegens. „Das würde ich auch. Aber ich bin froh, dass du es getan hast.“

„Weil ich noch lebe?“ Eine Hand schien sich um Katsuyas Hals zu legen und zuzudrücken. „Und Ryou? Ich weiß nicht einmal, ob ... ob er noch ...“

„Er lebt noch. Ganz bestimmt. Bakura ist ein Monster, wenn er in Rage gerät, aber er würde seinen Bruder nicht töten. Da bin ich ganz sicher“ Das hatte Seto auch gesagt. Dass er ihm wahrscheinlich nur das Bewusstsein genommen hatte. „Du wirst ihn morgen in der Schule sehen“ Yami atmete tief durch. „So was wie die Scorpions und Bakura sind zwei ganz andere Kaliber. Ich gebe zu, die vier bewaffneten Kerle anzugreifen, die mich vergewaltigt haben, war auch schon waghalsig, aber bei Bakura wäre es tödlich gewesen. Es war richtig, sich in Sicherheit zu bringen.“

Hm ... sie hatten wohl Recht. Seto, Yami, der Arzt ... er atmete tief durch. Er hatte das Richtige getan. Auch wenn er Bakura von Anfang an nicht hätte wütend machen sollen. Das war verdammt dumm gewesen. Er hauchte eine Zustimmung ins Handy.

„Obwohl ich mir eher über diese Sicherheit Sorgen mache“, sprach Yami weiter, der Ton wieder etwas ruhiger, „bist du zu Seto gerannt?“
 

Bämm. Schlag vor der Kopf. Ehrlich – das hörte sich wie der größte Mist an. Nach den Ereignissen war er zu Seto gerannt? War er noch ganz klar im Kopf? Zu neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit wäre der Kerl besoffen und aggressiv gewesen. Wie musste das bloß jetzt bei Yami ankommen?

„Ja, bin ich. Ich ... ich wusste irgendwie, dass er nach Bakuras Aktion wieder normal sein würde. Ich weiß, das war schon gefährlich. Aber ... es ist halt Seto ... ähm“ Irgendwie verbesserte das alles seine Situation nicht gerade, oder? „Macht das Sinn?“

„Nein“ Yami seufzte. „Du bist auf gut Glück zu Seto gerannt. So wie du sonst immer auf gut Glück zu mir rennst. Nur ist der Unterschied, dass mein Problem ist, manchmal nicht da zu sein – Setos Problem ist etwas gefährlicher.“

„Na ja ... aber trotzdem ...“

„Katsuya, bitte komm bei so etwas zu mir. Ehrlich ... übrigens kannst du mich auch anrufen, solltest du bei der Polizei sitzen. Ich habe einen gültigen Ausweis – mittlerweile“ Er konnte Yami am anderen Ende der Leitung praktisch den Kopf schütteln sehen. „Aber Seto war zurechnungsfähig?“

„Ja. Er hatte sich ausgenüchtert und mich gerade abholen wollen. Es-“ Katsuya atmete tief durch. „Weißt du, es ist einfach unglaublich, wie ... wie umwerfend Seto ist, wenn er sich anstrengt. Wenn er nicht labil oder betrunken oder sauer ist, dann ... verdammt, ich liebe ihn.“

„Schon klar“ Der Andere seufzte. „Trotzdem ... pass bitte auf dich auf. Ich vermute, darauf hin habt ihr euch ausgesprochen?“

„Uhm ... nein, das haben wir heute morgen. Aber ich habe das Gefühl, dass das jetzt erstmal halten wird. Ich glaube nicht, dass Seto seine Meinung plötzlich ändert. Er ist auf kaltem Entzug ... obwohl ich vermute, dass der Psychiater das morgen umstellt. Anscheinend gibt es da Medikamente ... oder? Yami, wie macht man einen Entzug?“

„Mit Medikamenten und einem kurzen Aufenthalt von wenigen Tagen“ Yami atmete tief in den Hörer. „Ich vermute mal, dass sie Seto diesmal wirklich da behalten. Zumindest bis Donnerstag oder Freitag. Wird das ein Problem für dich?“

„Hm ... ich denke nicht. Nachdem ich Seto heute erlebt habe, bin ich, glaub‘ ich, froh, wenn er den Entzug dort macht. Es ist etwas erschreckend, wenn er zittert und sich andauernd mit weit aufgerissenen Augen umschaut.“

„Ich habe das bei Seto zum Glück noch nie gesehen. Wenn ich an die Leute zurück denke, die ich erlebt habe, dann kannte ich sie meist nur als betrunkene Wracks oder mit Entzugserscheinungen. Ich habe nie einen nicht oder nur leicht betrunken gesehen. Ich kann mir Seto nicht einmal wirklich betrunken vorstellen ... ich gebe zu, ich kenne ihn aggressiv, aber ... ich glaube, ich will ihn nie so erleben. Nun, wenn er morgen in Therapie geht, werde ich das wohl auch nicht“ Eine Türklingel war zu hören – da Katsuya sie kannte, war es wohl Yamis und nicht seine eigene. „Huh? Wer ist das denn?“

„Besuch. Dann kümmer‘ dich mal um deine Gäste.“

„Mach‘ ich. Halt die Ohren steif, ja?“

„Unter anderem“ Katsuya grinste.

„Ich will von deinem Sexleben nichts wissen“ Das Lächeln war dennoch durchs Telefon zu hören. „Ta-ta!“

„Ja, du Tunte“ Die Antwort war das Besetztzeichen.

Auf dem Weg

Einen frohen zweiten Weihnachtstag und am Samstag einen guten Rutsch! Kommentare kann ich aufgrund akuter Feiersituation heute nicht beantworten und werde versuchen, es morgen nachzuholen - sorry! Viel Spaß beim Lesen!
 

P.S.:Und was zu Tote Gesellschaft: Erscheinungsdatum ist Mitte/Ende Januar!
 

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Piep. Piep. Piep. Katsuya grummelte, setzte sich auf und sah sich nach dem Störenfried um, der immer links von ihm zu sein schien, obwohl er sich im Bett um sich selbst drehte. Es war zu früh für solche Denkspiele ... seufzend erblickte er seine Armbanduhr und schaltete den Alarm aus. Na super ... er hasste Wecker. Wo war sein persönlicher Weckdienst?

Ach ja. Er schluckte. Der lag mit Haldol abgeschossen im Nebenraum und schlief. Seufzend stieß er sich aus dem Bett und taperte herüber. Erstaunlich, er schlief wirklich noch. Katsuya setzte sich auf die Bettkante und strich mit einer Hand über Setos Haar, während er leise dessen Name rief. Die Reaktion war so ziemlich gleich null. Mit gerunzelter Stirn überprüfte Katsuya dessen Atmung – erstaunlich, wie oft er das in letzter Zeit tat – und startete einen zweiten Versuch mit etwas lauterer Stimme und einer Hand auf Setos Schulter.

Diesmal rief es ein Grummeln und einen unkoordinierten Schlag nach hinten hervor. Er traf Katsuyas Arm, der davon kaum einen Millimeter zurück wich. Seto schien schwach wie ein Neugeborenes. Sollte er nochmal Klein-Seto hervor holen? Nein ... besser nicht. Seto musste zum Psychiater, nicht der Kleine.

„Seto, du musst aufstehen. Wir haben einen Termin bei deinem Psychiater. Und ich weiß immer noch nicht, wie wir dahin kommen sollen“ Katsuya rüttelte noch einmal an dem Liegenden.

„Weg ...“, murmelte dieser nur und zog die Decke hoch, um sich darunter zu begraben – die Hand an seiner Schulter stoppte das Stück Stoff.

„Seto, es ist schon halb acht. Normalerweise bist du seit zwei Stunden auf und fährst gerade zur Arbeit. Nun komm“ Der Andere schien reichlich unbeeindruckt. „Wie wäre es mit einem ganz tollen Frühstück? Komm. Was wünscht du dir?“

„Kaffee ...“

Na toll. Darauf hätte er auch selbst kommen können. Natürlich war das beste Lockmittel für Seto Kaffee. Er säuselte: „Unten in der Küche steht der Kaffee. Eine ganze Kanne voll. Heiß und schwarz und lecker. Er wartet schon auf dich. Du musst nur aufstehen.“

Und hoffentlich jetzt noch zugedröhnt genug sein, um zu wissen, dass Katsuya noch keinen Kaffee gekocht hatte – Seto konnte so etwas bis hier oben riechen. Konnte dieser riesige Kerl nicht einfach aufstehen? Warum waren Zwei-Meter-Gestalten immer so schwer? Der Blonde seufzte, schälte Seto ein Stück aus der Decke und zog zumindest dessen Beine in Richtung der Bettkante.

„Lass mich ...“, maulte Seto leise.

„Das hättest du gern“ Okay, das hier forderte seine Männlichkeit. Auf in den Kampf! „Steh auf, du riesiges, zugedröhntes Baby“ Er schnappte sich die Füße und zog daran – Seto leistete keine Gegenwehr außer einem Aufwimmern. „Hey ... es tut mir ja Leid, dass ich dich so triezen muss, aber du musst wirklich aufstehen. Bitte.“

„Nein ...“ Der Größere zog die Beine an und rollte sich zusammen.

„Verdammt nochmal ... okay, ich rufe einen Krankenwagen. Dann kommen zwei nette Männer, die können dich bis in die Klinik tragen. Mehr fällt mir jetzt echt nicht mehr ein“ Katsuya fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Hast du mich gehört?“

Seto schluchzte nur und griff nach der Decke, um sich darunter zu begraben.
 

Als der Krankentransport klingelte, hatte Katsuya seinem Freund so gut zugesprochen, dass er zumindest eine Jeans und ein Hemd anhatte. Der Blonde hatte sich währenddessen auch angezogen, eine Tasche mit Wäsche für ein paar Tage gepackt – mittlerweile ging er davon aus, dass Seto in der Klinik würde bleiben müssen – und Lunchboxen für sie beide fertig gemacht.

Er ging nach unten, öffnete einem Herrn und einer Dame in grellen Jacken die Tür und bat sie herein. Mit einem Blick auf die Schuhbox schnappte er sich Setos Trainingsschuhe – sie passten wohl am besten zu den Jeans, die er eingepackt hatte – und ging damit nach oben, gefolgt von den zwei ... was auch immer sie eigentlich waren. Sie hatten sich nur mit Namen vorgestellt.

„Was hat unser Patient denn?“

„Zu viel Haldol intus. Er kommt nicht mehr hoch und ist völlig unwillig, auch nur irgendetwas zu tun“ Hatte er alles? Kultursachen? Handtuch? Wäsche? Er ging im Kopf die Liste durch.

„Haldol? Aber kein Intox, oder?“ Die Zwei warfen sich einen Blick zu. „Oder ein akuter psychotischer Schub?“

„Nein, Entzug“ Sollte er ihnen das eigentlich erzählen? „Wir haben einen Termin in der Klinik. Hier sollen wir genau hin“ Er gab den beiden den Notizzettel, den er sich gemacht hatte, um das alles zu finden.

„Sie kommen mit?“, fragte die Dame freundlich.

„Ich will ihn so kaum allein lassen“ Sie betraten das Schlafzimmer, wo Katsuya zu dem auf dem Bett sitzenden Seto rüber ging, während die beiden bei der Tür warteten. „Hey, Seto ... ich habe deine Schuhe mitgebracht. Gib‘ mir deinen Fuß, ja?“ Er glaubte schon nicht mehr, dass der das selber machen würde. Er hob auch nur einen Unterschenkel leicht. Nun ja, zumindest arbeitete er ein bisschen mit.

„Ist das hier die Tasche für die Klinik?“, fragte die Dame, während er Seto die Schuhe anzog – er bejahte kurz, „dann nehm‘ ich die mit. Haben sie die Versichertenkarte irgendwo bereit liegen?“

„Shit, das war’s! Ich wusste, ich hab‘ was vergessen“ Katsuya grummelte. Hoffentlich hatte Seto die in seinem Portmonee. Sein Handy musste er auch einstecken. Das müsste beides unten auf dem Flurtisch sein. „Erinnern Sie mich doch bitte daran, wenn wir wieder unten sind. Okay, Seto, ich brauche deine Unterstützung. Du musst bis zum Wagen unten gehen. Hoch mit dir!“ Er hielt ihm beide Hände hin, aber Seto blickte ihn nur mit traurigen Augen an. „Komm, bitte.“

„Ich werde ihm helfen“ Der Mann trat vor und legte Katsuya eine Hand auf die Schulter. „Holen Sie doch bitte die Karte.“

„Na gut“ Der Blonde seufzte. Wie zur Hölle sollte Seto in diesem Zustand normal wirken? Also so, dass der Arzt ihn wirklich beurteilen konnte? Er war doch völlig neben der Spur. Und dabei war ihm das Zeug gestern gegeben worden!
 

Er ging runter, schaute im Portmonee nach, wo wirklich auch die Karte drin war, und schnappte sich noch Handy und Hausschlüssel dazu. Die würde Seto sicher auch haben wollen, wenn er wieder bei Verstand war. Oh Mann ... ob er wohl auf diese Leute wirkte, als würde er das hier öfters tun? Oder eher nicht? Er sah zur Treppe, wo gerade die Dame mit der Tasche runter kam, gefolgt von ihrem Kollegen, der Seto mit beiden Händen am Brustkorb griff und dabei wirkte, als würde er ihn fast tragen.

Katsuya ging trotz der Situation einen kurzen Moment durch den Kopf, dass Seto in diesem Hemd ziemlich gut aussah. Ein Glück, dass er noch Zeit gehabt hatte, ihm die Haare zu kämmen. Er schüttelte über sich selbst den Kopf und fragte: „Brauchen Sie die Karte oder soll ich sie nur griffbereit halten?“

„Wir müssen alle Daten auf unsere Formulare übertragen. Geben Sie sie doch bitte mir“ Die Dame streckte eine Hand aus.

„‘Kay“ Er kramte das Ding hervor und steckte Setos Habseligkeiten in die Tasche, die sie ihm kurz hinstellte. Er sah auf, als er sie pfeifen hörte.

„CWF Platin“ Sie zeigte die Karte in Richtung ihres Kollegen. „Geh‘ gut mit ihm um, klar?“

„Ich gehe immer gut mit Leuten um. Mein Gehalt hängt nicht davon ab, wen ich transportiere“ Der Mann schnaubte. „Wer fährt hinten mit? Du oder Herr Kaiba?“ Er nickte zu Katsuya. Hatte er sich als Kaiba vorgestellt? Wahrscheinlich.

„Nach Sicherheitsvorschriften muss ich hinten sitzen. Da habe ich auch Platz zum Schreiben“ Sie öffnete die Tür.

„Warten Sie, Seto braucht noch eine Jacke“ Katsuya holte Setos dicken Wintermantel von der Garderobe – ein Ledermantel, der innen mit Fell gefüttert war. „Könnten Sie ihn kurz loslassen, bitte?“

„Nicht umfallen, Herr Kaiba“, wies der Mann ihn an.

„Danke ...“, murmelte Seto leise, nachdem Katsuya ihm den Mantel angezogen hatte, griff nach dessen Hand und drückte sie kurz – sie war eiskalt.

„Schon okay“ Der Kleinere legte einen Arm um dessen Taille und dessen Arm über seine Schultern. „Ich bring‘ dich zum Wagen. Bald geht es dir besser.“

„Kats ...“ Er drehte seinen Kopf, um nochmal zu Seto aufzusehen. In dessen Augen lag etwas Flehendes. Er fragte schnell nach, was der Andere noch bräuchte. „Zigaretten ...“

Katsuya seufzte, verdrehte die Augen, ließ Seto wieder los und holte zwei Schachteln und das Feuerzeug. Blöder Suchti. Nun ja, solange er danach vom Alkohol wieder weg war, war das schon irgendwie okay. Der Herr vom Krankentransport hatte Seto währenddessen zum Auto gebracht und versuchte gerade, ihn dazu zu bringen, hinten einzusteigen, ohne dass er dafür die Hebebühne des Wagens benutzen musste. Die Dame stand bereits drinnen.

Okay, wenn sie also hinten bei Seto fuhr, fuhr er wohl vorne auf dem Beifahrersitz. Hatte er alles? Geld, Papiere, Schlüssel, Handy? Ja, alles da, allerdings sollte er sich vielleicht auch noch eine Jacke anziehen. Er schnappte sich eine und schloss die Haustür hinter sich. Na, dann mal auf in die Klinik ... warum war er in letzter Zeit bloß so oft im Krankenhaus? Er seufzte und setzte sich vorne in den Wagen.
 

Die Dame ging mit der Karte und ein paar anderen Papieren zu einer Rezeption etwas weiter als die am Eingang. Der Herr machte sich währenddessen mit dem von selbst gehenden Seto zu einer Treppe auf – Katsuya folgte einfach mal den beiden mit Setos Tasche. Ehrlich gesagt war es hier ziemlich hübsch. Alles war in Gelb- und Orangetönen gehalten, die meisten Möbel aus Holz und Pflanzen konnte er in der Eingangshalle auch entdecken. Es sah schon fast wie ein westliches Hotel aus.

Im ersten Stock kamen sie vor einer mattierten Glastür zu stehen, auf der A1 zu lesen war. Genau genommen schienen es zwei Scheiben und eine Tür zu sein, allerdings sahen alle drei ziemlich massiv aus – und die Tür hatte einen Knauf statt einer Klinke. Es war Seto, der auf die Klingel drückte, während der Herr vom Krankentransport sich noch nach ihr umsah.

„Oh, danke. Ist ja nicht so leicht zu entdecken“ Er kratzte sich am Kopf.

Seto hielt es wohl nicht für nötig, ihn als Antwort auch nur anzusehen. Oder er war einfach noch zu benebelt. Katsuya griff kurz nach seiner Hand und drückte diese. Auch darauf reagierte er ni- oh, doch, er verschränkte seine Finger kurz mit Katsuyas und drückte zurück. In dem Moment, wo sie sich voneinander lösten, öffnete sich die Tür.

„Oh, Herr Kaiba“ Die junge Schwester errötete und trat zurück. „Schön, sie wieder zu sehen. Also, nein, ich meine, für sie ist das sicher unangenehm ... oh, ich plappere schon wieder dummes Zeug“ Sie lief noch röter an.

Da schien jemand aber ziemlich verknallt zu sein, was? Das war ihr sicher unangenehm. Schließlich sollte sie sich doch sicher professionell verhalten, oder? Katsuya musste trotzdem lächeln. Sie war schon irgendwie niedlich, wie sie plötzlich wie ein kleines Mädchen wirkte.

Seto ging völlig grußlos an ihr vorbei. Katsuya wünschte ihr zumindest einen guten Morgen, ebenso wie der Herr, der sie noch immer begleitete. Er blieb jedoch bei der Schwester stehen und informierte sie kurz, dass sie alle Unterlagen unten an der Anmeldung gelassen hatten. Er rief ihnen noch einen Gruß hinterher und ging.

Katsuya folgte Seto einen Flur hinab. Sie schienen in der Mitte auf einen langen Trakt getreten zu sein, der allerdings nicht gerade verlief. Sie ließen zu ihrer linken einen Raum zurück, der stark an ein Wohnzimmer erinnerte und kamen auf einen recht breiten Gang, wo zu ihrer Rechten ein Klavier und zwei Sessel standen. Katsuya schloss zu Seto auf und fragte: „Wie viel zahlt man für diese Klinik?“

„Eine gute Stange Geld“ Der Andere blieb vor einer Tür auf der linken Seite stehen. „Ich werde hier ungefähr eine Stunde sein. Den Flur runter findest du den Speisesaal, den Aufenthaltsbereich und das Fernsehzimmer. Dort sind sicher Menschen. Wenn du spazieren gehen willst, kannst du das Krankenhaus und den Garten erkunden. Ich kann dich anrufen, sobald ich fertig bin.“

„Dann brauchst du das hier“ Katsuya stellte die Tasche ab und zog Setos Handy heraus, um es ihm zu geben. „Ich denke aber, dass ich hier bleibe. Darf ich mich mit den Leuten hier einfach unterhalten?“

„Natürlich“ Seto verzog keinen Muskel, sein ganzes Gesicht wirkte wie eine einzige Maske. „Das hier ist eine akutpsychiatrische allgemeine Station, das heißt, hier triffst du auf so ziemlich jedes psychische Krankheitsbild. Die meisten sind ungefährlich.“

Juhuu ... wie beruhigend ... Katsuya verzog sein Gesicht in Unglauben, fragte allerdings nur: „Soll ich dir deine Tasche hier lassen?“

Seto nickte nur, machte aber keine Anstalten, sie dem Blonden abzunehmen. Also stellte dieser sie neben seinen Freund, winkte unsicher und machte kehrt, um sich die Station anzusehen.

Auf der Couch

Frohes neues Jahr ^.^ Ich hoffe, ihr hattet einen guten Rutsch.

Mir geht es auf jeden Fall durch zwei Tage exzessivem Spielen und sich Erholen wieder besser, sodass ich voller Kraft ins neue Jahr starte. Das begrüßt mit Arbeit, aber was anderes habe ich nicht erwartet. Doch je mehr Eu-Stress, desto mehr schreibe ich auch, man muss es positiv sehen ^.- Ich hoffe trotzdem, dass ihr noch etwas mehr freie Zeit genießen könnt als ich.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Okay – hiermit war er wohl offiziell auf sich allein gestellt. Er ging denselben Weg zurück – der Raum nun zur Rechten war dann wahrscheinlich das Fernsehzimmer – und an der Tür vorbei, durch die sie reingekommen waren. Er fand sich wieder in einem großen, offenen Saal, der nach hinten hin in einen Flur überging, wo wahrscheinlich die Patientenzimmer waren. In diesem Saal selbst war linkerhand ein Raum, der als Küche eingerichtet war und mit einer großen Durchreiche in einen abgetrennten Bereich mit Tischen und Stühlen überging – also höchstwahrscheinlich der Speisesaal, von dem Seto gesprochen hatte. Zur rechten fanden sich drei Zimmer, wovon zwei eine Holztür hatten und das in der Mitte eine Glastür neben einer Glasfront, die in den Saal hinein reichte. Wenn man sich dort hinsetzte, konnte man wahrscheinlich einen Großteil der Station überblicken. Gemessen daran, wie viele Leute darin waren, handelte es sich wahrscheinlich um das Schwesternzimmer. Bevor der Raum in den Flur überging, ließ sich im hinteren Teil noch ein Rondell aus Sitzmöglichkeiten erspähen, was dann wahrscheinlich der Aufenthaltsbereich war. Dort saßen auch drei Leute rum – eine strickende ältere Dame, ein mittelalter Herr mit Zeitung und eine junge Frau im Jogginganzug, die ihre Nägel zu lackieren schien.

Die Schwester, die ihnen die Tür aufgemacht hatte, löste sich aus einem Gespräch mit einer älteren Dame im Schwesternzimmer – wie kam es eigentlich, dass keiner von ihnen etwas Weißes trug? – und schlenderte zu ihm herüber. Sie lächelte ihn kurz an, sodass er stehen blieb und wartete, bis sie bei ihm war und meinte: „Schwester Misa, guten Tag.“

„Katsuya Kaiba. Schön, sie kennen zu lernen“ Er reichte ihr die Hand, weil sie ihre ausgestreckt hatte. Hielt sie ihn für einen Ausländer? Nun gut, das taten alle, die ihn nicht als Yankee einschätzten.

„Ein Kaiba? Sind Sie Herr Kaibas ... Bruder?“

Anscheinend nicht komplett vertraut mit seiner Akte. Er lächelte und erwiderte: „Nein, sein Sohn.“

„Sohn?“ Sie blinzelte überrascht. „Aber Herr Kaiba ist doch erst ... neunundzwanzig, nicht wahr? Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

Das war jetzt kein Moment, sie schätzen zu lassen, nicht? Obwohl es sicher lustig wäre und sie am Ende sehr verlegen machen würde. Er nannte ihr einfach sein Alter, worauf sich ihre Lider weiteten.

„Aber dann ... mit zehn?“ Sie sah an ihm vorbei, als könnte sie so Seto erspähen. „Das ... nun ...“ Sie sah unsicher zwischen ihm und der Luftlinie zu Setos derzeitigem Aufenthaltsort hin und her. „Sie scherzen ... nicht?“

„Ich bin adoptiert“ Er grinste ob ihres erleichterten Seufzers. Sollte er ihr sagen, dass er mit Seto verlobt war? Na ... er musste von ihr kaum Konkurrenz erwarten. „Haben Sie schon bei seinem ersten Aufenthalt hier gearbeitet?“

„Wie? Oh nein, ich bin ihm nur begegnet, als er das letzte Mal hier war“ Als ihm dieses Mittel verschrieben wurde, was er in letzter Zeit nicht mehr genommen hatte, was? „Sind Sie das erste Mal hier?“

„Jopp“ Er sah sich um. „Es ist viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte.“

„Ja, das hier ist wirklich eine außergewöhnlich gute Klinik“ Sie lächelte mit Stolz im Blick. „Ich bin sehr froh, hier arbeiten zu dürfen“ Und die stinkreichen Patienten anschmachten zu können ... nein, das war unfair. „Soll ich Sie herum führen?“

„Warum nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist wahrscheinlich ganz gut, wenn ich mich hier auskenne. Der Arzt bei uns meinte, dass Seto wahrscheinlich hier bleiben müsste.“

Irgendwie war die Freude in ihrem Gesicht etwas befremdlich.
 

Recht wohnlich. Es gab ein Telefon, eine Waschmaschine, eine Küche, den Speisesaal, ein großes Bad, das Fernsehzimmer, den Entspannungsraum, einen Bastelraum – ja, eigentlich hieß es Ergotherapieraum, aber das war viel zu kompliziert – zwei Balkone, einen Aufenthaltsraum ... man konnte hier ganz hübsch leben. Es gab wohl auch Patienten, die hier praktisch lebten, wenn man Misa glauben konnte. Jeder blieb hier mindestens eine Woche und teilweise bis zu Monate, wenn es Probleme mit der Weitervermittlung gab. Vermittlung in Wohnheime ... man konnte wohl keinen so einfach auf die Straße setzen. Hier kamen Leute hin, die völlig am Ende waren und ohne Hilfe draußen nicht überleben konnten. Das war etwas ganz anderes, als er sich vorgestellt hatte – hier war man anscheinend nicht, um sich zu verbessern sondern nur, wenn gar nichts mehr ging. So einen Zustand hatte Seto doch eigentlich noch nicht erreicht, oder?

Andererseits sahen die Leute hier nicht so aus, als seien sie am Ende. Außer den dreien auf den Bänken hatte er zwei Damen auf dem Balkon gesehen und ein junger Mann hatte geklingelt – anscheinend war er im Park spazieren gewesen, also waren nicht alle hier eingesperrt. Eine Dame in ihren Fünfzigern hatte am Telefon etwas lautstark mit ihrem Mann oder Geliebten Shintaro telefoniert und eine sehr jung aussehende Frau war im Bademantel vom großen Bad in ihr Zimmer gehuscht. Es war zwar allgemein eher ruhig, aber es wirkte belebt. Genau genommen wirkte es wie eine riesige Wohngemeinschaft, wenn man sich das Zimmer mit den Schwestern und Pfleger wegdachte, die die ganze Station überblickten.

„Wir haben hier Küchendienste, Aufräumdienst, Stuhldienst, Pflanzen-Gieß-Dienst und Patendienst. Die Paten kümmern sich um neue Patienten. Jeder hier überzieht einmal die Woche sein Bett selbst neu und muss jeden Morgen zur Morgenrunde erscheinen“, führte Misa gerade aus.

„Und was macht man hier tagsüber?“

„Jeder Patient hat einen eigenen Therapieplan, der ihn mehr oder weniger einspannt. Je besser es den Patienten geht, desto mehr Therapien haben sie meistens. Und die meisten hier sind Raucher, das nimmt oft schon einen großen Teil des Tages ein. Wenn man sich langweilt, kann man Gesellschaftsspiele spielen oder rausgehen, wenn man Ausgang hat.“

„Ausgang?“ Katsuya hob eine Augenbraue. „Was muss man denn machen, um nach draußen zu dürfen?“

„Dazu psychisch fähig sein“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die suizid- und weglaufgefährdeten Patienten dürfen natürlich nicht nach draußen. Ansonsten kommt es darauf an, wie gut Patienten die Außenwelt vertragen. Die Ausgangsregel ist zum Schutz der Menschen da. Viele hier werden durch zu viele Reize verstört, deswegen dürfen sie nicht zu viel auf einmal erleben. Man muss das oft langsam angehen. Begleiteter Ausgang in den Park, allein in den Park, zum Essen in der Mensa, frei in die Stadt oder auf Ausflüge – das wird alles stufenweise gemacht.“

„Huh ... Ausgang ist also auch so eine Art Therapie?“

„Könnte man so sagen“ Sie lächelte. „Haben Sie weitere Fragen?“

„Wie ist das hier mit Fesseln? Also, diesen Gurten zum Festmachen ...“ Er zeichnete mit seiner Hand einen losen Kreis in die Luft.

„Die brauchen Menschen, die selbstgefährdet sind. Meistens Leute mit Rauschmittelüberdosen, nach suizidalen Handlungen oder mit schweren Verwirrtheitszuständen. Die kommen in die Zimmer neben dem Pflegestützpunkt, damit sie rund um die Uhr beobachtet werden können“ Sie verschränkte die Arme. „Meistens bleiben solche Fesseln für wenige Stunden dran. Selten mehr als zwei Tage. Selbst suizidale Patienten beruhigen sich mit Medikamenten und Gesprächen mit dem Arzt meist innerhalb von vierundzwanzig Stund-“

„Misa“, rief die ältere Schwester vom Stützpunkt aus, „du wolltest mir mit den Medikamenten helfen!“

„Oh, ich muss. Nehmen Sie ruhig irgendwo Platz. Herr Kaiba wird sicherlich in den nächsten paar Minuten fertig sein“ Sie lächelte und wandte sich ab, als er nickte und sich bedankte. Sie hatte ihm jetzt echt viel Zeit gewidmet. Es war mindestens eine halbe Stunde vergangen.
 

Tja, und jetzt? Er ließ den Blick schweifen. Sollte er sich wohl zu den Patienten setzen? Aber der mittelalte Herr winkte ihn schon heran, er war wohl willkommen. Lächelnd schlenderte er zu den Bänken herüber.

„Willkommen auf der A1, junger Mann“ Er erhob sich und reichte ihm die Hand. „Ich bin Shiro Yagutsi. Und Sie?“

„Katsuya Kaiba“ Sie schüttelten Hände – der Mann schien auf den ersten Blick ziemlich gesund. „Ich bin Herr Kaibas Sohn. Ähm ... also kein neuer Patient.“

Der Mann blinzelte und legte den Kopf schief, bevor er fragte: „Kaiba? Haben wir einen Kaiba auf Station?“

„Ab gleich. Ich habe ihn vorhin her gebracht“ Katsuya kratzte sich am Hinterkopf. Er sollte sich besser ziemlich gut benehmen – sein Verhalten würde man wahrscheinlich Seto direkt ankreiden.

„War das, als der Krankenwagen kam?“, fragte die junge Frau, die mittlerweile ein Buch las und nicht mehr ihre Nägel lackierte, „hat dein Vater versucht, sich umzubringen?“

„Natsuki, das ist keine angemessene Frage“, wies der Herr sie ohne Bosheit zurecht.

„Wieso?“, giftete sie zurück.

„Weil das ja wirklich sein könnte. Das wäre sehr traumatisch für den jungen Mann. Und dann würde sich keiner damit gut fühlen, so direkt danach gefragt zu werden.“

„Hmpf“ Sie schmiss das Buch zur Seite und verschränkte die Arme. „Weichei. Ich wäre froh, wenn mein Alter sich exen würde.“

„Das ist auch keine nette Sache zu sagen“ Herr Yagutsi schüttelte den Kopf. „Selbst, wenn es stimmt und ich dir zustimme, das wirkt sehr verstörend auf jemanden, der deinen Vater nicht kennt.“

„Mein Vater hat niemanden etwas anzugehen!“ Sie sprang auf und funkelte den Anderen böse an, bevor sich ihr Blick auf Katsuya richtete. „Wag es nicht, zu fragen!“

„Wenn du nicht möchtest, dass ich frage, solltest du ihn nicht erwähnen. Es macht mich neugierig“ Anscheinend hatte sie eine gute handvoll Probleme mit ihren sozialen Fähigkeiten. Aber sie schien auf Herrn Yagutsi zu hören – Seto würde sich niemals so behandeln lassen. „Warum bist du so wütend?“

„Frag nicht so blöd!“ Sie machte kehrt und stapfte davon zu einem der Zimmer, wo sie die Tür zuknallte.

„Nehmen Sie es ihr bitte nicht übel“ Herr Yagutsi schüttelte nur leicht den Kopf und schürzte die Lippen. „Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Sie tendiert nur dazu überzureagieren.“

„Ich kenne Schlimmere“ Katsuya fuhr sich unbewusst mit einer Hand über den linken Oberbauch. „Solange sie auf niemanden los geht ... ist doch okay“ Besser als Bakura allemal. Aber wahrscheinlich war die komplette Station zusammen immer noch beherrschter als der Kerl.

„Wirklich?“ Die Augenbrauen des Anderen hoben sich ein Stück. „Die meisten fürchten sich vor den Menschen hier. Selbst die Angehörigen, die mit den Erkrankungen täglich zu tun haben.“

„Seto sagt, wenn ich keinen reize, brauche ich auch keine Angst zu haben“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich vertraue dem, was er sagt“ Ob er nun wütend oder lieb war, auf sein Wort konnte man sich eigentlich verlassen. Er sagte es einem auch ins Gesicht, wenn er jemanden hasste.

„Wenn man jemandem vertrauen kann, kommt er normalerweise nicht hierher“ Herr Yagutsi zog mit der Hand einen Halbkreis vor seinem Körper und nahm wieder Platz. Katsuya setzte sich einfach mal dahin, wo Natsuki gesessen hatte. „Was für ein Mensch ist Ihr Vater?“

„Tja ...“ Der Blonde atmete tief durch. Was für ein Mensch war Seto? „Jemand, der sich sehr viel Mühe gibt. Er ist sehr krank, aber er gibt sein Allerbestes, um ein normales Leben zu führen. Und er kriegt das auch wunderbar hin, wenn nicht gerade etwas wirklich Schlimmes passiert.“

„Was passiert mit ihm, wenn etwas Schlimmes geschieht? Wenn ich fragen darf.“

Was sollte er sagen? Was durfte er sagen? Katsuya sah zu dem Gang hinüber, der in den hinteren Teil der Station führte, aber natürlich erschien sein Freund nicht urplötzlich aus dem Nichts.

„Entschuldigung“ Herr Yagutsi legte eine Hand auf seine Schulter. „Ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen.“

Weinen? Katsuya fuhr mit einer Hand über seine Wangen. Als er sie betrachtete, war sie nass.
 

Die alte Dame, die die ganze Zeit schweigend gestrickt hatte, erhob sich und setzte sich auf seine andere Seite. Sie legte einen Arm um seine beiden Schultern und zog ihn so etwas zu sich – er sank mit dem Kopf gegen ihre Schulter und ließ sich umarmen.

„Sie sind ein starker Mann. Aber irgendwann holt jeden der Stress ein“ Sie strich über sein Haar – sanft, bei weitem nicht so kräftig, wie Seto es zu tun pflegte – doch es fühlte sich erschreckend nach ihm an.

Er erlaubte es sich, einen Moment lang einfach nur zu weinen. Einer von beiden – er wusste nicht, wer – reichte ihm ein Taschentuch und er brachte sich selbst zurück in eine annähernd respektable Form, bevor er sich zurücklehnte und tief durchatmete.

„Besser?“, fragte die Dame.

„Vielen Dank“ Er hatte gar nicht bemerkt, wie sehr das alles an ihm gefressen hatte. „Ich ... hätte nicht eigentlich ich mich um Sie kümmern sollen?“

„Hier ist jeder für jeden da“, antwortete Herr Yagutsi, „meist die, die länger hier sind, für die, die neu kommen. Wir sollen beide noch diese Woche entlassen werden.“

„Darf ich ... uhm ... darf ich fragen“ Er knetete das Taschentuch in seinen Händen. „Dürfte ich wohl wissen ... wenn sie ... nun“ Idiot. Er sollte es einfach ausspucken. „Warum sind Sie hier?“

Die beiden warfen sich einen Blick zu, worauf die alte Dame zuerst sprach: „Ich bin depressiv. Ich lag im Bett, stand nicht mehr auf und aß nichts mehr. Und die geriatrische Station war überfüllt, deswegen bin ich hier und nicht oben.“

Dafür hatte sie sich gut erholt. Sie lächelte zwar nicht lebenslustig, aber sie versprühte schon etwas Kraft. Der Aufenthalt hatte ihr wohl trotz der falschen Station geholfen.

„Ich ... hatte einen schizophrenen Schub“ Herr Yagutsi rang mit den Händen und wandte den Blick ab. „Ich hatte schon viele Jahre keinen mehr gehabt, deshalb habe ich nicht auf die Zeichen geachtet. Nein, ich habe sie ignoriert ... ich wollte nicht wahrhaben, dass ich diese Krankheit noch immer habe und sie wieder aktiv wurde. Aber als ich mit einer Axt vor meiner Frau stand, gab es keine Frage mehr, dass ich dringend in die Psychiatrie musste.“

Shit ... er hatte ihr doch nichts getan, oder? Sich das vorzustellen, wenn Seto plötzlich ... könnte er ihm je wieder vertrauen? Das war es wohl, was Herr Yagutsi gemeint hatte – wem man vertrauen konnte, der kam nicht hierher. Gehörte Seto hier wirklich her? Er hatte weder jemanden angegriffen noch lag er nur im Bett ... er war eigentlich relativ alltagstauglich. Würde er vielleicht doch nicht hier bleiben? Konnte er mit Seto in seinem derzeitigen Zustand leben?

„Sind Sie nun doch verängstigt?“

„Hm?“ Katsuya Blick schnellte in die Höhe. „Wie? Nein, gar nicht. Entschuldigung, ich war in Gedanken ... ich dachte nur, dass es Seto eigentlich besser geht und dass er dann vielleicht doch nicht hier bleibt.“

„Es sind drei Betten frei“, meinte Natsuki, die plötzlich hinter ihm aufgetaucht war, „Heißt, dass er bleibt. Das Krankenhaus muss seine Quote halten.“

„Natsuki ...“ Herr Yagutsi seufzte.

„Was?“, giftete sie wieder irritiert. Nun ja ... sie hörte.

Wahn

Das Wetter da draußen ist echt deprimierend. Kein Schnee, Regen, kalt, nass, bewölkt, immer dunkel... so dürfte es auch hier in DS draußen aussehen. Hoffentlich schneit es hier bald auch mal. Zumindest in DS hätte ich gern eine weiße Weihnacht. Viel Spaß beim Lesen und danke für eure Kommentare trotz der Ferienzeit ^.^
 

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Während Herr Yagutsi Natsuki gerade erklärte, warum das, was sie gesagt hatte, nicht nett war, tauchte auch Seto wieder auf. In einer Hand die Sporttasche und über den anderen Unterarm den Mantel gelegt sah er aus, wie der Inbegriff eines Geschäftsmanns – nur einer, der gerade in Jeans und Hemd rumrannte und darin noch fünfmal begehrenswerter aussah als in seinen Anzügen. Ein junger Gott im Freizeitlook halt.

Katsuya hoffte, dass er nicht rot wurde und keiner sich wunderte, dass er den näher kommenden Seto anstarrte wie ein Reh, das abends in die Autoscheinwerfer sah. Das alles, während er sich innerlich selbst vor die Stirn schlug, dass sein Hirn mal wieder ein paar Etagen tiefer gerutscht war. Sie hatten ja wohl gerade andere Sorgen als ihr Sexleben!

„Morgen, Prinzesschen“, grüßte er Natsuki mit einem Nicken.

„Morgen, Grummelbär!“ Sie grinste und ignorierte vollkommen Herrn Yagutsi, der eigentlich noch mit ihr sprach. „Seit wann hast du einen Sohn?“

„Seit ein paar Monaten“ Er ging hinter der Bank her, stellte die Tasche ab und strich mit der nun freien Hand durch Katsuyas Haar.

„Dich hält ehrlich jemand monatelang aus?“

„Natsuki ...“ Herr Yagutsi seufzte und schüttelte den Kopf.

„Anscheinend“ Seto sandte ihm ein Lächeln, das Katsuya fast schmelzen ließ. Schien, als wäre alles wieder gut ... „Und was machst du wieder hier?“

„Hab‘ zu viel LSD geleckt“ Sie zuckte mit den Schultern, wurde darauf aber etwas kleinlaut. „Könntest du ... kannst du nachsehen, ob in Zimmer vier ein Neger lebt? Der macht mir Angst, aber die anderen sagen, den gibt es nicht.“

„Hast du Angst, dass er dich vergiften wird?“ Seto legte den Kopf zur Seite.

„Natürlich wird er das! Erst gestern stand er mit einer Spritze neben meinem Bett und hat mir gedroht! Alle Neger sind böse! Sie geben einem AIDS und wenn das nicht klappt, dann spritzen sie dir Schlangengift!“ Ihre Lider hatten sich unglaublich geweitet und ihr Gesicht sonst jeden Ausdruck verloren.

Katsuya griff sich die Hand, mit der Seto durch sein Haar gefahren war und hielt diese. Herr Yagutsi, der seine Frau fast mit einer Axt getötet hatte, war schon ein Schock gewesen, aber das hier machte jetzt echt Angst. Was zur Hölle hatte die denn?

„Das hast du vor fünf Jahren auch gesagt, erinnerst du dich? Und du glaubtest, dass ich dieser Mann sei, den du immer siehst“ Seto sprach ruhig und selbstsicher.

„Aber du bist nicht schwarz“ Sie blinzelte, was ihre Lider ein klein wenig wieder zusammen brachte.

„Nein, ich bin nicht schwarz. Und wen auch immer du diesmal für den Mann hältst, der dich immer bedroht, es gibt ihn nicht. Das weißt du auch, Natsuki. Ich schaue trotzdem für dich nach, in Ordnung?“

Sie nickte mit unglaublich weit aufgerissenen Lidern, sodass es fast wirkte, als würden ihre Augäpfel jeden Moment aus ihrem Kopf fallen. Mit dem schief gelegten Kopf sah sie aus wie der Inbegriff einer Wahnsinnigen. Obwohl ... sie sah Menschen, die nicht da waren. Sie war wahnsinnig. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Seto gehörte definitiv nicht hierher. Die paar Entzugssymptome würde er auch noch aushalten. Katsuya stand auf und klammerte sich an Setos Seite, während dieser zu den Schwestern hinüber ging – was die wohl davon hielten, war ihm gerade ziemlich egal. Anscheinend war es ja okay, denn Seto wuschelte ihm durchs Haar und legte den Arm um seine Schulter.
 

„Guten Morgen“, grüßte er freundlich.

„Guten Morgen, Herr Kaiba“ Die ältere Schwester nickte. Schwester Misa war währenddessen aufgesprungen und lächelte Seto erwartungsvoll an. Im hinteren Teil des Zimmers war ein großer Tisch zu erkennen, an dem zwei Herren saßen. Beide hatten weißgraue Haare und tranken Kaffee, allerdings sah einer recht sportlich und kräftig aus, während der andere ziemlich beleibt war.

„Ah, Herr Kaiba“ Eben jener beleibte Herr erhob sich, kam hervor und reichte Seto, der an der Türschwelle stehen geblieben war, die Hand. War es hier normal, sich die Hände zu geben statt sich zu verbeugen? Die Klinik wirkte schon sehr westlich, aber alle Angestellten schienen Japaner zu sein.

„Guten Morgen, Doktor“ Das war also ein anderer Arzt als der Stationsarzt, richtig? Seto wandte sich trotzdem Misa zu. „Ich würde nur gern wissen, ob es derzeit einen Farbigen auf Station gibt, bevor ich Natsuki etwas Falsches sage. Sie wertet mein Wort ja ziemlich hoch.“

„Gibt es nicht“ Die Schwester lächelte. „Sie hält einen Herrn, den wir vor wenigen Tagen von der geschlossenen übernommen haben, für diesen ... den Mann, der sie ängstigt. Er ist russischer Abstammung.“

„Und fraglos noch furchteinflößender als das, was ihr Kopf sich ausmalt“ Der Herr, der hinten am Tisch saß, hob seinen Becher und lächelte.

„Wie dem auch sei“ Die ältere Schwester, die weiter Medikamente sortiert hatte, sah auf. „Bleiben Sie hier? Was hat der Doktor gesagt?“

„Ich bleibe, allerdings auf der A2. Er bittet, dass Sie das arrangieren“ Katsuyas Griff um Seto festigte sich. Er blieb? Hier? In diesem Irrenhaus? Nein! Fast flehend sah er zu ihm auf. Sein Freund sprach leiser, da er sich ihm zugewandt hatte. „Möchtest du nicht, dass ich hier bleibe?“

„Hilft dir das ... wirklich?“ Katsuyas Stirn hatte sich in tiefe Falten gelegt.

Er konnte sich das nicht vorstellen. Diese Leute hier machten echt Angst. Was, wenn irgendwer Seto etwas antat? Er war vielleicht durchtrainiert, aber gegen Attentäter im Schlaf konnte er auch nicht unbedingt etwas ausrichten. Was, wenn irgendwer ihn erwürgte, weil er oder sie ihn für ein Alien hielt?

„Hat dich Natsuki so erschrocken?“ Seto drehte sich etwas mehr zu ihm, sodass ihre Berührung zu einer recht intimen Umarmung wurde. Mit seiner freien Hand fuhr Seto durch sein Haar. Nach einem Moment des Schweigens zog er Katsuyas Kopf an seine Schulter. „Gib mir drei Tage, ja? Spätestens dann ist mir so langweilig, dass ich dringend wieder heim will.“

Tja ... wenn er meinte. Er wusste wohl selbst, was das Beste für ihn war. Vielleicht gab es auf der anderen Station auch andere Patienten. Und er hatte es schon einmal überlebt.

„Kann ich dich besuchen?“, flüsterte der Jüngere.

„Jeden Tag. Von nach der Schule bis sechs. Lass dir von Yami das Geld für’s Taxi geben, ich überweise es ihm zurück, wenn ich wieder da bin.“
 

Die braunen Augen schnellten nach oben, die Lider schreckweit geöffnet. Katsuya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Ton kam heraus, während er nur hilflos blinzelte. Halt ... Yami? Hatte Seto gerade echt ... und er verzog keine Miene? Nun gut, seine Mimik war von Anfang an ausdruckslos und schlaff gewesen, daran konnte er zur Zeit nichts erkennen – blöde Medikamente – aber nicht einmal seine Stimmlage hatte sich verändert.

„Ich gehe in der Annahme, dass du nicht allein zuhause bleiben wirst, richtig? Ich kann mir denken, wo es dich hinzieht. Besonders jetzt, wo du Bakura auf jeden Fall meiden wirst“ Die Züge schienen sich ein wenig zu verhärten. „Und du wirst ihn meiden, verstanden?“

Katsuya nickte wild. Keine Frage, dem wollte er nicht mal ansatzweise nahe kommen. Scheiße, was, wenn Ryou heute in der Schule gewesen war? Was würde er denken, dass Katsuya nicht aufgetaucht war?

„Und das mit Yami ... geht in Ordnung? Ich darf?“

„Ich habe dein Versprechen, dass du keinen Unsinn anstellst, nicht wahr?“ Das, was sich auf Setos Lippen legte, konnte man ansatzweise ein Lächeln nennen. Dass der Tag kommen würde, an dem Seto ihm vertraute ... gerade jetzt! Das war doch wirklich die unwahrscheinlichste Situation überhaupt, oder? War er nicht völlig am Ende?

„Ich verspreche hochheilig, dass ich keinen Unsinn anstelle“ Katsuya hob die Hand wie zu einem Schwur.

„Gut“ Seto setzte einen Kuss auf seine Stirn, trat von ihm weg und verwuschelte mit einer Hand sein Haar. „Es tut mir Leid, dass ich dir zur Zeit kein besserer Vater sein kann.“

Vater? Mit einem Mal schien die Situation auf Katsuya einzuschlagen. Shit ... sie standen immer noch vor dem Schwesternzimmer mit drei Pflegern und einem Arzt, die ihnen zusahen.

„Schon gut, Papa“ Bei allen Göttern, das klang so falsch ... er zwang trotzdem ein Lächeln auf seine Lippen. „Zeigst du mir die Station, auf die du kommst?“

„Natürlich“ Seto warf einen Blick zu der älteren Schwester, die nur nickte. „Ich erkläre Natsuki kurz, dass sie wieder halluziniert und bin gleich wieder da.“

Na ... viel Spaß dabei ... Katsuya lehnte sich gegen das Glas und schüttelte den Kopf. Seto hatte komische Freunde. Er würde Yami dazu befragen, was genau die hatten und woher das kam. Drei Tage bei Yami … das klang einfach nur cool! Und Seto hatte dem echt zugestimmt – nein, es sogar vorgeschlagen. Sie würden einfach 'ne Menge Spaß haben. Und dann ging es Yami sicher auch besser. Wenn er ihn nachher anrief, sollte er auf jeden Fall fragen, wie das Gespräch mit Noah gewesen war.

„Herr Kaiba?“ Katsuya schreckte ein wenig zusammen, da jemand fast direkt neben ihm gesprochen hatte. Er sah den Arzt entgeistert an, bis ihm einfiel, dass er gemeint war. Der Herr streckte ihm eine Hand hin. „Yutama Atsu, sehr erfreut sie kennen zu lernen.“

„Ebenso“ Er ergriff die Hand und schüttelte sie. „Sie sind also ein Arzt?“

„Ja, ich bin der Oberarzt der Akutstationen“ Er lächelte freundlich. „Alle Stationen hier, die mit A anfangen, stehen unter meiner Aufsicht.“

„Was ist denn die A2 für eine Station?“ Hatte die ebenso viele Verrückte?

„Das ist die akute Suchtstation. Wir haben dort größtenteils Alkoholiker, aber auch verschiedene Drogenmissbraucher. Im Mittel bleiben die Patienten dort zwei bis sieben Tage und werden danach an unsere Ambulanz angebunden.“

Das war … ganz schön kurz. Also würde Seto wirklich nur ein paar Tage da bleiben. Irgendwie konnte er sich trotzdem nicht vorstellen, dass das half … aber wenn Seto sagte, dass er das brauchte, dann brauchte er das. Würde er danach auch an die Ambulanz angebunden werden?

„Was bedeutet das? Diese Ambulanz?“

„Die Patienten müssen weiter Medikamente nehmen, daher kommen sie zuerst wöchentlich für ein Gespräch mit einem Psychiater. Wenn alles gut läuft, wird die Zeit zwischen den Gesprächen immer länger, bis die Medikamente ganz abgesetzt werden können“ Der Arzt ließ seinen Blick zu der Sitzgruppe schweifen. „Allerdings gibt es nicht sehr viele Ärzte, mit denen Herr Kaiba sich gut versteht. Schon bei seinem ersten Besuch kristallisierte sich heraus, dass er bei Doktor Kowa am besten aufgehoben ist.“

Wohl der Arzt, bei der er vorhin sein Gespräch gehabt hatte. Der Stationsarzt hier. Also war Seto nie auf dieser Station gewesen, richtig? Oder nur kurz. Wusste er es doch, hier gehörte Seto nicht hin. Dieser verabschiedete sich gerade lächelnd von Natsuki, nahm seine Tasche und kam zurück.
 

„Wollte Herr Doktor Atsu etwas Bestimmtes von dir?“, fragte Seto auf dem Weg nach oben zur nächsten Station.

„Nicht wirklich. Ich habe ihm ein paar Fragen zu den Stationen hier gestellt. Wo bist du früher gewesen?“

„Erst auf der A0, dann auf A2, dann A1 und zuletzt in der Tagesklinik“ Der Ältere seufzte leise. „Eine ziemliche Weltreise also. Ambulant war ich auch noch ein Jahr. Alkohol macht den Leuten hier meist wenig, aber Suizid, Alkohol und eine schwere psychische Störung als Grunderkrankung sind wohl recht kompliziert. Meine erst recht. Dissoziative Identitätsstörungen jeder Art sind ziemliche Kolibris“ Er blieb vor der Tür mit A2 als Beschriftung stehen und betrachtete diese. „Ich mag meinen Arzt. Er ist die einzige, der mir glaubte, dass die anderen Personen in meinem Kopf keine Einbildung sind. Also, gewissermaßen sind sie schon Einbildungen, aber sie sind nicht wahnhaft. Nicht so wie der Mann, den Natsuki immer wieder sieht. Wahnhafte Personen können den eigenen Körper nicht übernehmen und das eigene Verhalten steuern, so wie Klein-Seto und das Täterintrojekt.“

„Sag mal … hast du den beiden Namen gegeben?“, fragte der Blonde vorsichtig.

„Hm? Nein, wieso?“ Seto sah ehrlich überrascht aus.

„Klein-Seto hat euch Namen gegeben, wusstest du das?“

„Nein“ Der Andere lächelte. „Wie heiße ich denn?“

„Tja ...“ Katsuya wandte den Blick ab – die Tür hatte eine magische Anziehungskraft. „Als ich dich gestern damit nannte, hattest du diesen Krampfanfall.“

„Ich denke nicht, dass das etwas miteinander zu tun hat“ Das Lächeln wich von Setos Zügen. „Das war wegen dem Hackfleisch. Es hat mich … es hat mich erinnert an damals … Fleisch und Blut und alles rot und … du weißt, was ich meine.“

Bestens. Die Nacht, als er Setos Bruder umgebracht hatte.

„Es tut mir Leid“ Katsuya atmete tief durch und sah auf. „Ich weiß schon nicht mehr, ob ich dir das jemals gesagt habe, aber es tut mir unglaublich Leid, was damals geschehen ist.“

„Ich gebe dir nicht die Schuld. Wir haben alle dazu beigetragen. Ich trage genau so viel Schuld wie du“ Auch Seto sah auf. „Das hast du mir beigebracht. Und damit konnte ich es verarbeiten“ Sie schwiegen einen Moment. „Also, wie heiße ich?“

„Seth“ Er beobachtete die Mimik des anderen genau.

„Hm“ Der Andere hob nachdenklich den Blick. „Heißt, das Kind nennt sich selbst Seto?“

Katsuya nickte vorsichtig.

„Möglich“ Seto senkte den Kopf wieder, trat an Katsuya heran und fuhr mit einer Hand über dessen Wange. „Einer von uns ist die Kernpersönlichkeit. Und es ist höchstwahrscheinlich das Kind. Ich bin nur ein Konstrukt, erschaffen, um der Welt standzuhalten. Ich kann mich nur mit aller Verwunderung fragen, wie der echte Seto Kaiba sich wohl verhält.“

„Seto ...“ Er legte seine Hand über die des anderen. „Sollten sich deine Seelen jemals vereinen, bist du immer noch ein guter Mensch. Aus dir und Klein-Seto kann nichts Schlechtes werden, egal, wie mächtig das Täterintrojekt ist.“

„Aber kannst du jemanden lieben, den du nicht kennst?“ Die blauen Augen wandten sich ab. „Der Gedanke, geheilt zu sein, macht mir Angst. Wer wäre ich dann noch? Wer wäre ich überhaupt? Könnte ich mit mir leben? Könntest du mit mir leben?“

„Ich könnte dich kennen lernen. Und ich weiß, ich würde alle deine Seelen noch immer in dir sehen – und mehr als die Hälfte liebe ich auf jeden Fall jetzt schon“ Katsuya setzte einen Kuss auf die Hand. „Ich kann auch mit dir leben, so wie du jetzt bist. Setz' dich nicht unter Druck, ja?“

„Danke“ Seto lehnte sich vor und küsste ihn auf den Mund – hier im Treppenhaus schien keiner zu sein. Oder vielleicht war es ihm gerade egal. „Soll ich dir jetzt die Station zeigen?“

Das Opfer

Erste Tierschutzgesetze finden sich bereits im alten Testament. Die erste offizielle Übernahme geschah 1822 in England, wo Tiermisshandlung verboten wurde. Der erste Kinderschutzverband wurde auch in England gegründet – im achtzehnten Jahrhundert als eine Untergruppe des englischen Tierschutzes. Darüber möge man denken, was man will -.-

Allerdings gibt es einmal vorher schon eine Erwägung des Kinderschutzes in der Geschichte. Mein hochverehrter Platon philosophierte, dass die beste Art des Kinderschutzes die Enteignung der Familie wäre – Kinder haben in Kinderzentren aufzuwachsen und nicht in Familien. Jedes Kind müsse von seinen Eltern getrennt werden, um seine Sicherheit zu ermöglichen.

Ab von all dem: Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Tja, zwanzig nach elf … was sollte er jetzt mit sich anfangen? Zur Schule? Wenn er jetzt nach Hause fuhr und seine Sachen einsammelte, konnte er zur letzten Doppelstunde Englisch wieder da sein. Und er könnte schauen, ob Ryou da war und mit ihm reden … würde er das schaffen?

Ehrlich, Seto heute morgen war echt kompliziert gewesen. Und nach Natsuki fühlte er sich wahrlich wie einmal durch den Fleischwolf. Konnte er jetzt mit seinen Schuldgefühlen und Ryou fertig werden? Halt. War das überhaupt eine Frage? Er war schuld, dass Ryou das passiert war. Es war das Mindeste, jetzt für ihn da zu sein. Egal, ob er es konnte oder nicht, er schuldete es Ryou, oder? Also musste er zur Schule.

Die Taxifahrt über ging er verschiedene Szenarien durch, wie er Ryou antreffen könnte. Was dieser denken und sagen könnte, wie er selbst darauf reagieren würde. Im Endeffekt würde er wohl alles einfach auf sich zukommen lassen und spontan reagieren, aber geholfen hatte es auf jeden Fall. Im Haus – was wirklich unheimlich leer und still ohne Seto wirkte – nahm er sich schnell seine Tasche und etwas Obst für den Weg und machte sich los. Schade, dass er heute Kunst verpasst hatte, wenn er so darüber nachdachte. Er mochte die Lehrerin und ihre Aufgaben. Andererseits hätte er sich sicher nicht konzentrieren können.

Während er gerade die letzten Bissen seines Apfels nahm, erreichte er das Schulgelände. Er hatte richtig gerechnet, er kam zur Mittagspause. Ryou würde er wahrscheinlich auf irgendeiner Treppe mit einer Melonenschnitte oder einem frittierten Brötchen finden. Er sah sich um und suchte das Erdgeschoss ab, allerdings konnte er keinen weißen Schopf entdecken. Wo konnte er noch sein? Im Klassenzimmer? Er erklomm die Treppen und ging hinüber zu ihrem Raum.

Ja, da war er. Katsuya atmete tief durch. Vor ihm lag die Lunchbox, die er sich manchmal machte, allerdings sah sie unangerührt aus. Sein Blick war aus dem Fenster gelengt. Katsuya betrat den Klassenraum leise, schloss die Tür hinter sich und ging zu ihm hinüber. Gut, niemand hier außer ihnen. Ryou? Langsam musste er ihn bemerken, oder? Der Blonde stellte seine Schultasche ab und räusperte sich.

Der Andere zuckte heftigst zusammen und schnellte herum.

„Oh, äh … entschuldige … ich wollte dich nicht erschrecken“ Sehr eloquent, Katsuya, minus zwanzig Punkte. „Ryou?“ Seine Stirn legte sich in Falten und er hockte sich neben den Sitz des Jungen, der ihn mit einem ähnlichen Blick ansah wie dem, den Natsuki gehabt hatte, als die von dem schwarzen Mann sprach.

„Du bist hier?“, hauchte der Andere.

„Ja, ich … es tut mir Leid“ Katsuya schluckte. „Es tut mir Leid, dass ich weggerannt bin und dich mit Bakura allein gelassen habe. Es tut mir Leid, dass ich ihn wütend gemacht habe und er das an dir ausgelassen hat. Es tut mir Leid, dass … es tut mir einfach alles Leid. Die ganze Sache“ Sein Hals schnürte sich immer mehr zu, während er sprach. Bei allen Göttern, wie entschuldigte man sich für so etwas? Der Junge vor ihm war vergewaltigt worden – wegen ihm. Wie machte man so etwas je wieder gut?
 

„Du konntest wegrennen?“ Ein Lächeln legte sich auf Ryou Lippen, worauf er die Augen schloss und erleichtert seufzte. „Ich wusste nicht … Bakura meinte zwar, dass du gegangen seist, aber ich wusste nicht, ob er dich nicht noch weiter verletzt hat. Bitte sei nicht sauer auf ihn. Ihm ging es echt nicht gut, nachdem er Herrn Kaiba so gesehen hatte.“

Wie? Was? Katsuya blinzelte verwirrt und schüttelte den Kopf.

„Bakura … du willst ihn nach dieser Sache echt verteidigen? Selbst jetzt noch?“ Er sprang auf. „Ryou, er hat …“

„Ich weiß“ Der Junge sank in sich zusammen. „Er hätte dich nicht schlagen dürfen. Das war falsch. Besonders, weil er dich eigentlich schützen wollte. Nur … er kann sich nicht immer kontrollieren, okay? Bitte sei ihm nicht böse deswegen. Bitte, Katsuya.“

„Mir ist egal, was er mir tut“ Katsuya griff die Hand, die sich in seinen Pullover gekrallt hatte und löste die kleinen Finger, um sie zwischen seinen warmen Händen zu halten. „Okay, es tat weh, aber ich weiß, dass Bakura dazu neigt überzureagieren. Aber es ist nicht okay, was er dir angetan hat.“

„Mir?“ Er legte den Kopf schief. „Mir hat er nichts angetan. Bakura würde mir nie weh tun.“

„Wie kannst du-“

Katsuya stoppte sich selbst. Er kannte diese Situation. Yami hatte ihn gefragt, was er von Seto hielt, nachdem er diesen in dessen Bett gefunden hatte. Er hatte keinen Schmerz spüren können. Die Sache war zu schrecklich gewesen, als dass er seine Gefühle hätte zulassen können. Er beruhigte den Sturm, der in ihm hatte aufbrausen wollen.

Ryous hellblaue Augen funkelten ihn voll Unsicherheit entgegen.

Er seufzte und zog den Kleineren an dessen Hand hoch und schloss ihn in seine Arme. Er hatte auch Zeit gebraucht. Zeit, um zu spüren, wie tief verletzt er war. Zeit, um zu realisieren, wie sehr man ihm weh getan hatte. Zeit, um sich einzugestehen, dass das eigene Vertrauen gebrochen worden war. Ryou hatte völlig verdrängt, was ihm angetan worden war.

Und was, wenn er sich verhört hatte? Wenn er das alles missverstanden hatte? Er schnaubte innerlich. Nein. Das war sehr unmissverständlich gewesen. Er hatte sich ganz sicher nichts eingebildet. Die Szene hatte sich in seinen Kopf gebrannt.

„Alles okay?“, fragte Ryou vorsichtig.

„Alles okay“, bestätigte er, „ich bin froh, dass es dir gut geht.“

„Ich bin auch froh, dass es dir gut geht“ Der Kleinere strahlte ihn an.

„Danke, dass du mir geholfen hast“ Er drückte einmal zu und löste sich schließlich von dem Anderen. „Aber Ryou? Wenn Bakura jemals etwas tut, was du nicht möchtest, wenn du Angst vor ihm bekommst oder nicht mehr weißt, ob du das mit ihm wirklich willst, sprich mit mir, ja? Ich werde mein Bestes tun, dir zu helfen.“

„Sicher“ Ryou lächelte, jedoch war es halb gezwungen. Katsuya konnte das Unverständnis aus seinen Zügen lesen. Er zweifelte nicht mit einem Gedanken an seinem Bruder. Zu diesem Zeitpunkt konnte er Katsuya nicht verstehen.

„Lass uns was essen, ja?“
 

Hm … und was machte er jetzt? Schule war aus, er hatte Ryou zur Bahn gebracht und Yami arbeitete sicher noch. Wie lange wohl? Noah wüsste das … aber Noah arbeitete auch. Ob er ihn besuchen könnte? Isamu würde bei ihm sein, oder? Und dann konnte er Yami von der Arbeit abholen. Ob er Noah einfach so anrufen konnte?

Nun, er würde es nicht wissen, solange er es nicht versuchte. Er zog sein Handy hervor, aktivierte das Display und sah es einen Moment lang einfach nur an. Seine Logik hatte einen kleinen, aber feinen Haken. Seto hatte Noahs Privatnummer – er selbst nicht. Wie konnte er Noah erreichen? Könnte er Seto anrufen und ihn um die Nummer bitten? Aber … die Chance, dass er den störte, war schon ziemlich hoch … seine Schwester könnte er anrufen, die hatte die Nummer sicher auch. Aber wenn sie in der Schule war, würde ihre Lehrerin ihr die Ohren lang ziehen, wenn ihr Handy klingelte.

Im Endeffekt rief er die Auskunft an und bat dort, zum Firmenchef der Kaiba Corp. durchgestellt zu werden. Klang selbst in seinen Ohren reichlich blöd, aber nach zwei Nachfragen wurde er wirklich verbunden. Ihn begrüßte eine freundliche Stimme einer Sekretärin im besten Alter, der er sich als Noahs Neffe vorstellte und bat, verbunden zu werden. Das fühlte sich ähnlich schräg an wie Seto Papa zu nennen, aber rechtlich gesehen war es wohl wahr. Nach einem Moment, wo sie bei ihrem Chef nachgefragt hatte, hatte er plötzlich wirklich Noah am Apparat. Mission gelungen!

„Katsuya?“

„Hi, Noah“ Der Blonde lächelte unwillkürlich. Noah hatte diesen Effekt irgendwie. „Störe ich gerade?“

„Nein, nur Papierkram. Was kann ich für dich tun? Ist etwas mit Seto?“

„Nun … ja, der ist stationär. In der Klinik, wo er auch früher schonmal war. Für voraussichtlich drei Tage“ Hoffentlich hatte Seto nicht vorgehabt, das vor seinem Bruder geheim zu halten. Erzählt hatte er es ihm aber sicher noch nicht. Daran hatte Katsuya irgendwie gar nicht gedacht. „Er macht einen kurzen Entzug.“

„Das ist beruhigend zu hören“ Noah seufzte erleichtert. „Ich werde ihn in den nächsten Tagen dort besuchen, ich muss dringend mit ihm reden. Ist es dieselbe Klinik wie früher?“

„Ja, Station A2. Er bleibt bis Donnerstag.“

„Dann besuche ich ihn Mittwoch“ Es entstand eine kurze Pause, in der sich Besorgnis in Noahs Stimme mischte. „Wie geht es dir damit?“

„Tja … passt schon. Seto meint, ich soll die Zeit bei Yami verbringen, damit ich nicht allein bin. Ich wollte fragen, ob ich dich besuchen kann, um ihn direkt bei der Arbeit abzuholen“ Das war jetzt nicht zu direkt, oder? Andererseits, störte es Noah wohl, wenn er direkt war?

„Das wäre äußerst erwünscht. Ich habe gleich ein Meeting und dachte gerade darüber nach, wem ich Isamu für die halbe Stunde anvertrauen kann. Kannst du in fünfundzwanzig Minuten hier sein?“

„Auf dem Weg“ Hieß, er musste sich beeilen. Er steuerte zurück in die U-Bahn-Station. „Bis gleich!“

„Ja, danke, bis gleich.“
 

Das Gefühl, die Auskunft anzurufen, um nach der Nummer eines Firmenchefs zu fragen, war ein ähnliches Gefühl wie in seiner Schuluniform in eben dessen Firma zu marschieren und von den Blicken der Leute verfolgt zu werden. Ja, natürlich sah er nicht so aus, als gehöre er hierher. Tat er ja auch nicht. Im Aufzug neben den zwei Miteingestiegenen auf die Taste für die Chefetage zu drücken, machte die Sache wahrlich nicht besser. Das hier war nicht seine Welt. Seto könnte das wahrscheinlich bei jeder Firma ohne jeglichen Gedanken, aber er sicher nicht. Er wäre am liebsten zu jeder Person gelaufen und hätte ihr erzählt, dass er nur hier war, um Babysitter für das Pflegekind des Chefs zu sein.

Hatte er Minderwertigkeitskomplexe oder war das Gefühl wohl normal? Mit Seto hier durchzurennen war voll in Ordnung gewesen – allein was total anderes. Wenigstens kannte er den Weg und musste nicht fragen. Er grüßte die Sekretärin, die ihn nun doch wiederzuerkennen schien und sich entschuldigte, dass sie seine Stimme am Telefon nicht erkannt hatte. Irgendwie wollte sie partout nicht hören, dass das komplett in Ordnung war, wo sie ihn doch erst einmal gesehen hatte. Sie ließ ihn ohne weitere Umschweife zum Chef vor.

„Katsuya“ Noah erhob sich lächelnd. „Gerade rechtzeitig. Ich muss los. Falls mit Isamu etwas ist, hier ist meine Handynummer“ Er gab ihm im Vorbeigehen einen Zettel. „Ich bin in spätestens fünfzig Minuten wieder da. Lass dich nicht fressen!“

Huh? Der Blonde sah blinzelnd auf die hinter ihm zufallende Tür. Wie … wie jetzt? Einfach so? Er rührte sich für einige Sekunden nicht. Er sollte sich um seinen Neffen kümmern? Jetzt? Hier? Sofort? Ohne eine Erklärung? Katsuya sah sich im Raum um. Hoffentlich schlief er … das Babyquieken zerstörte seine Hoffnung.

Er schluckte, atmete tief durch und setzte sich zur Babyspielwiese, die auf dem Boden ausgebreitet war. Isamu lag dort und kaute gerade auf einem Stoffwürfel herum, der anderthalb mal so groß wie sein eigener Kopf war. In einer kleinen Pause quietschte er noch einmal auf, strahlte Katsuya an und biss wieder in sein Spielzeug. Lächelnd strich der Jugendliche mit seinem Zeigefinger über den Kopf des Kindes. Schien, als wäre er in guten Händen. Auch wenn Noah hier gerade so raus gerauscht war und ihn einfach im Regen hatte stehen lassen, konnte sich Katsuya nicht vorstellen, dass er nicht doch sehr verantwortungsvoll mit Isamu umging.

Und mit seiner Schwester? Wann hatte er sie eigentlich das letzte Mal gesprochen? Als er sie her gebracht hatte? Nein, er hatte ihr von der Trennung erzählt … irgendwie schien das alles Jahre weg. Dabei war es letzte oder vorletzte Woche gewesen. Manchmal war das Leben schon etwas komisch. Aber wenn man vom Teufel sprach, nicht wahr? Katsuya begann breit zu grinsen, als er sah, wer gerade das Büro betreten hatte.

„Großer Bruder!“ Shizuka grinste ebenso, schmiss ihre Tasche zur Seite und sank vor ihm auf die Knie, um ihm die Arme um die Schultern zu werfen.

„Guten Nachmittag, Schwesterchen“ Er hielt sie mit einem Arm und stützte sich mit dem anderen. „Na, wie war dein Tag?“

Umgang miteinander

Ferien *v* *Schlag auf den Hinterkopf krieg* Na gut, Lernen für die Prüfung nächste Woche T.T Drückt mir die Daumen, ja?

Viel Spaß beim Lesen!
 

P.S.: Prüfungen sind doof. Gebt uns Ferien!
 

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„Welch traute Familie“ Noah schloss die Tür leise hinter sich, ging zu ihnen hinüber und ließ sich auf dem Sofa nieder. „Ich werde heute nicht mehr viel gehen können, so viel kann ich schonmal sagen.“

„Anstrengender Tag?“ Shizuka sah lächelnd auf.

„Sehr. Und deiner?“ Er legte ihr eine Hand auf den Kopf und strich über das braune Haar.

„Öööde … ich versteh' Mathe nicht“ Sie seufzte und schlug spielhaft nach Noahs Hand, welcher diese wegzog. „Du zerstörst meine Frisur!“

„Natürlich, Prinzessin“ Mit einem amüsierten Lächeln lehnte er sich zurück. „Soll ich dir nachher mit den Hausaufgaben helfen?“

„Danke!“ Sie schnellte hoch, küsste ihn auf die Wange und setzte sich wieder auf den Boden, „Könntest du morgen Abend auf Isamu aufpassen? Die Mädels haben gefragt, ob wir in die Stadt gehen können. Darf ich?“

„Morgen ...“ Er zog sein Smartphone aus seiner Hemdtasche und tippte kurz. „Morgen Abend habe ich ein Geschäftsessen, aber keines, wo Isamu stören würde. Ich kann ihn gern mitnehmen“ Das Gerät wurde wieder weggesteckt. „Es ist das erste Mal, dass sie dich jetzt wieder einladen, nicht?“ Shizuka nickte mit einem breiten Lächeln. „Das freut mich zu hören. Du wirst nicht mehr so viel ausgegrenzt, nicht wahr?“

„Es geht“ Sie legte die Arme um ihre Knie und ihr Kinn darauf. „Ryujis Klasse ist immer noch komisch drauf. Die glauben ihm, dass ich die Böse bin. Aber meine Klasse ist ganz okay. Die reden wieder mit mir und laden mich auch wieder ein“ Sie sah zu Katsuya hinüber. „Dich übrigens auch. Die Mädchen haben gefragt, ob ich dich mitbringen kann.“

„Mich?“ Er hob eine blonde Augenbraue.

„Natürlich. Du bist ein gutaussehender, junger Mann. Es ist ganz natürlich, dass sie nach dir fragen“ Noah lächelte neckend. „Sie wissen sicherlich nicht, dass du bereits vergeben bist, nicht wahr?“

„Uhm, nein“ Shizuka wandte den Blick ab. „Sie haben zwar gefragt, aber … ich habe gesagt, du hättest keine Freundin. Stimmt ja auch. Nicht?“

„Ich bin trotzdem vergeben“ Er strich über den Flaum von Isamus Haar. „Ich habe auch nicht vor, den Status so bald wieder zu ändern. Nicht jetzt, wo Seto mir wieder vertraut.“

„Er hat dir vergeben?“ Shizuka grinste erfreut.

„Jupp, hat er“ Er erwiderte den Ausdruck.
 

„Katsuya?“ Yami blinzelte.

„Überraschung!“ Er legte lächelnd den Kopf schief. „Ich dachte, ich hol' dich ab. Komm, schnappen wir uns irgendwo ein paar Burger oder so.“

„Warum wundert es mich nicht, mit wem Sie sich so umgeben?“, meinte einer der in der Nähe stehenden Anzugträger, der die Nase hob und abfällig lächelte.

„Warum wundert es mich nicht, dass sie keine Ahnung haben, wer vor Ihnen steht?“, rutschte es Katsuya raus, noch bevor er sich beherrschen konnte. Scheiße … war das jetzt ein Überbleibsel seiner Zeit als Bandenchef oder hatte er Setos Arroganz im Umgang mit seinen Untergebenen übernommen? Der kalte Blick, den er auf seinem Gesicht spürte, legte das Zweite näher. Allerdings war er nicht Seto! Es war nicht an ihm, so große Töne zu spucken. Andererseits ging ihm der Kerl hier gewaltig auf den Sack. Kein Wunder, dass Yami sich hier nicht wohl fühlte, wenn das das Arbeitsklima war.

„Lass ihm seinen armseligen Bildungsgrad. Burger klingen fantastisch“ Der Rothaarige trat zu ihm, legte eine Hand auf seine Schulter und zog ihn in Richtung der Aufzüge. „Stell dir vor, Noah hat sich entschuldigt, als ihm auffiel, in welche Abteilung er mich gesteckt hat. Ich weiß nicht, ob es boshafte Absicht war oder nicht, aber als Feuertaufe war das hier fraglos geeignet. Ab Morgen bin ich woanders.“

„Du meinst, er könnte dich extra hierher gesteckt haben, weil er wusste, dass du wie Dreck behandelt werden würdest? Warum sollte er das tun?“ Selbst wenn Noah Yami nicht so schrecklich mochte, irgendwie glaubte Katsuya nicht, dass er zu solchen Mitteln greifen würde, um das auszulassen.

„Verschiedenste Gründe“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war es ja auch wirklich ein Versehen. Egal, was es war, ab morgen ist Schluss damit und ich komme wo hin, wo man mich gut aufnehmen wird. Sein Ehrenwort.“

„Klingt gut“ Katsuya lehnte sich gegen die Fahrstuhlwand und verschränkte die Arme. „Ich weiß nur nicht, ob ich das so einfach fallen lassen sollte, wenn er das extra gemacht hat. Ich beknie dich seit zwei Jahren, dass du den Beruf wechselst … mir so reinzupfuschen macht mich etwas angepisst.“

„Ruhig Blut, es war eine wirklich gute Erfahrung“ Yami hob beide Hände und lächelte leicht verzweifelt. „Mit Noah will ich es mir nicht verscherzen. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir eine Chance gibt.“

„Yami, wag' es nicht, dich zu klein zu machen“ Ein Zeigefinger wurde gegen dessen Brustkorb gedrückt. „Du bist ein wundervoller Mensch und es wird Zeit, dass die Welt davon etwas mitbekommt.“

„Gut, gut …“ Er schüttelte den Kopf. „Was immer du sagst. Wie war dein Tag denn so?“

Ha – super Frage. Lang, ereignisreich, emotionsreich. Alles auf einmal und nichts Richtiges. Etwas, das tausend Fragen aufwarf und weit weniger klärte. Er meinte nur: „Gleich … das erzähl' ich dir gleich …“
 

„Bitte?“ Völliger Unglaube schlug sich auf Yamis Gesicht. „Seto hat … dass du bei mir wohnen sollst? Das hat Seto vorgeschlagen?“

„Ja“ Katsuya nickte und stopfte eine Hand voll Fritten in seinen Mund. „Isch war ausch übarascht“ Er schluckte. „Aber er meinte das völlig ernst. Er sagte, er weiß, dass er mir vertrauen kann. Dass ich nichts anstelle.“

„Vertrauen? Seto?“ Der Rothaarige lehnte sich zurück und leckte unbewusst seine Finger ab, während er in die Ferne sah. „Ich bin immer dafür, auf das zu hören, was Menschen sagen – nicht das, wovon man fast sicher weiß, dass sie es meinen. Seto denkt das nicht wirklich. Er will dir vertrauen, aber er kann nicht. Also zwingt er sich selbst dazu. Das macht es gleichzeitig auch zu einem Test an dich. Aber innerlich zittert er und schreit vor Angst. Er bekämpft seine Urinstinkte, dich vollkommen für sich einzunehmen. In seinem Kopf ist jeder in deiner Nähe eine Bedrohung, dass du ihn verletzt.“

„Heißt?“ Eine blonde Augenbraue hob sich.

„Vielleicht … vielleicht sollten wir das nicht machen. Vielleicht wäre es besser, wenn du doch zuhause bleibst. Wir sollten Rücksicht auf ihn nehmen. Ich glaube, er überschätzt sich da. Es wäre sicherlich stabilisierender für ihn, wenn du dich entscheidest, nicht zu mir zu kommen“ Er biss auf seine Unterlippe.

„Nö“ Katsuya trank einen Schluck Cola. „Du warst es, der meinte, dass ich Seto nicht mit Samthandschuhen anfassen soll. Ich weiß, was ihm das abverlangt. Aber er hat es vorgeschlagen. Also werde ich es machen. Enttäuschen werde ich ihn sicher nicht. Ich mache denselben Fehler nicht zweimal.“

„Hm“ Der Blick der dunklen Augen senkte sich, die Brauen wurden zusammen gezogen und ein Schleier schien sich über das ganze Gesicht zu legen. „Ein Fehler …“

„Ihn zu verletzen. Nicht mit dir zu schlafen“, stellte Katsuya klar, „das war mit der Intention, dir so etwas wie Selbstwert zu vermitteln. Und das werde ich auch weiter machen. Nur mit Mitteln, die Seto nicht verletzen.“

„Aber alles wird ihn verletzen“ Ein Hauch von Verzweiflung sprach aus Yamis Stimme. „Egal, was du machst, selbst wenn wir nur reden … wenn du mich nur anrufst … das alles wird ihn verletzen. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, ohne dass er auch nur anwesend ist“ Er zog den Kopf ein und wandte den Blick schamhaft zur Seite. „Wäre er hier, wäre das noch hundertfach schlimmer.“

„Komm mal her“ Katsuya zog den Stuhl, auf dem er saß, etwas vom Tisch weg und lockte den anderen mit einem Zeigefinger heran. Dieser jedoch bewegte sich nicht. „Auf. Herkommen.“

Yami betrachtete ihn noch einen Moment, seufzte dann und stand auf. Mit einem kleinen Schritt stand er an Katsuyas Stuhl, der sich breitbeinig hingesetzt hatte. Als er einfach nur unsicher dastand, griff sich der Blonde dessen Hüfte und zog ihn auf seinen Schoß. Er behielt einem Arm da, falls Yami versuchen sollte, abzuhauen, während er mit dem anderen nach dessen Kopf griff und ihn in einen Kuss zog.
 

Yami wehrte sich. Halbherzig. Er versuchte den Kopf wegzuziehen, schlug gegen Katsuyas Brust und strampelte sogar kurz mit den Beinen. Es dauerte jedoch nur einen kurzen Moment, bis er aufgab und gegen den Größeren sank. Katsuya hielt den Kuss noch für ein paar Sekunden mehr, bevor er sich sanft löste.

„Habe ich deine Aufmerksamkeit?“ Yami nickte nur schwach, während sein Kopf auf der Schulter des anderen lag.

„Seto ist mein Freund. Das heißt, ich schlafe nicht mehr mit dir. Ich werde dich auch nicht mehr küssen. Ich erwarte von dir, dass du dasselbe auch nicht bei mir machst. Ansonsten bleiben wir aber Freunde. Ich werde nicht den Kontakt mit dir abbrechen, nur weil es ihn eifersüchtig macht. Wenn er ein Problem hat, soll er das mit mir klären oder sich einkriegen. Wenn ich ihm zusage, dass ich nicht mehr mit anderen schlafe und keine andere küsse, hat er dem zu vertrauen. Wenn er das nicht hinkriegt, ist das sein Problem. Hart gesagt.“

„A- aber … wie kannst du das machen, wenn du weißt, dass es ihm wehtut? Schmerzt dich das nicht?“ Yamis Stirn lag in tiefen Falten, als er aufsah.

„Ein bisschen“, gab Katsuya zu, „aber wenn ich deswegen nichts mehr mache, was ich machen will, glaubt er sich am Ende noch im Recht. Und nicht, dass seine Psyche ihm da eine Menge völlig unangemessener Gefühle aufdrückt“ Er seufzte tief. „Ich weiß, dass ich ihm wehtue. Das macht es nicht leicht. Wir werden uns verletzen, wir werden darüber reden und wir werden irgendwann da angelangen, wo wir uns soweit verstehen, dass wir uns nicht allzu oft wehtun. Es braucht Kompromisse. Aber ein Kompromiss ist nicht, dass ich mich völlig zurückstelle, weil er ja krank ist.“

„Aber … aber …“, der Ältere schüttelte fast fassungslos den Kopf, „Natürlich solltest du dich nicht völlig zurückstellen, aber … du-“

„Ich kann nicht jedes seiner Gefühle als krankhaft abstempeln. Und selbst wenn einige krankhaft sind, heißt das nicht, dass ich nicht trotzdem Abstriche machen sollte, weil er krank ist“ Yamis Ausdruck wandelte sich in Erleichterung. „Ich muss eine goldene Mitte finden. Ja, ich weiß, so viel habe ich aus dieser Beziehung schon gelernt. Das braucht Zeit und viel Reden und viel Verarbeiten. Aber die Mitte finde ich nicht, indem ich krankhaft versuche, ihn so wenig wie möglich zu verletzen, weil er im Streit unaushaltbar wird“ Yami zog erneut den Kopf ein und senkte den Blick – ja, das war es, was er tat. Er konnte mit Streit umgehen, aber er hasste ihn. Er versuchte stets, ihm aus dem Weg zu gehen. „Aber das kann ich nur, wenn du nicht vor mir wegrennst, weil du Angst vor ihm hast.“

Der hängende Kopf vor ihm nickte leicht.

„Also wärst du bitte einfach wieder mein Freund?“ Yami legte die Arme um ihn und drückte sein Gesicht in die Kuhle zwischen Katsuyas Hals und Schulter. „Noch Fragen?“

Er schloss die Umarmung fester, bevor er sich mit einem tiefen Durchatmen wieder löste und fragte: „Wenn du Seto versprochen hast, niemand anderen mehr zu küssen … hättest du das gerade dann nicht eigentlich nicht tun sollen?“

„Das habe ich ihm noch nicht versprochen“ Katsuya lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Aber als ich dich küsste, merkte ich, dass ich das zu sehr mit Beziehungen verbinde und auch von Seto nicht wollen würde. Also werde ich es ihm noch versprechen.“

Schizophrenie

Klausuren T.T Ich komme kaum nach mit dem Schreiben. Und ich glaube, dass ich die heutige in den Sand gesetzt habe. Da hilft nur beten, dass ich die noch bestehe. Morgen sind zwei und übermorgen noch eine (genau genommen zehn mündliche Prüfungen hintereinander). Ich drehe duuuuuuuuuurch X_X

Nun ja, zumindest nicht so viel wie die lieben Charaktere, die in hier in der Psychiatrie sitzen. Begrüßt mit mir ein neues Fachkapitel XD Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Sweet home“ Yami streckte sich, gähnte und zog seine Schuhe aus. „Hast du noch Hunger oder hast du genug Burger gefuttert?“

„Bei weitem genug“ Katsuya bückte sich nicht einmal, er trat die Schuhe einfach von seinen Füßen und ging direkt ins Wohnzimmer weiter, um sich dort auf die Couch zu schmeißen. „Shit!“

„Was?“ Yami steckte den Kopf herein.

„Ich hab' total vergessen, mir von zuhause Sachen mitzunehmen!“ Mit einem Knurren fuhr er sich durch das blonde Haar, seufzte schließlich und ließ seine Glieder schlapp auf den weichen Bezug fallen. „Ich habe keine Lust, nochmal zu fahren.“

„Dann hol' sie morgen. Soll ich dir etwas von meinen Sachen leihen?“

„Eine hautenge Lederhose?“ Katsuya grinste schelmisch. In Yamis würde er sicher nicht passen, er war vielleicht proportional gesehen nicht schwerer, aber er war größer. „Ich muss eh morgen zur Schule meine Uniform tragen. Da fällt es nicht auf.“

„Ich werde Männer und ihre Hygiene nie verstehen“ Der Rothaarige schüttelte den Kopf und legte sich neben den anderen.

„Ähm … dir ist schon klar, dass das ein verdammt tuntiger Kommentar war?“

„Und er war vollkommen ernst gemeint“ Er betrachtete seine lackierten Nägel – durchsichtiger Lack, wahrscheinlich hatte er nicht zu sehr auffallen wollen. „Ich versuche deinen Testosteronschub auszugleichen. In den letzten zwei Stunden hast du zwei gestandene Männer zur Sau gemacht und mich fast mitten in einem Fast-Food-Restaurant flach gelegt.“

„Der Kerl hat ja wohl voll übertrieben. Er braucht uns nicht rausschmeißen, nur weil du auf meinem Schoß sitzt. Homophober alter Sack!“

„Hallo?“ Er rollte sich zur Seite, um auf Katsuya runter zu sehen. „Das hier ist Japan. Du kannst nicht mitten in der Öffentlichkeit einen Kerl küssen und erwarten, dass es keinen interessiert“ Er seufzte und verdrehte die Augen. „Ehrlich, du stolzierst derzeit mit einem Ego herum, dass mich fast niederdrückt.“

Katsuyas Gesichtszüge erschlafften. Schon fast missmutig drehte er sich von Yami weg auf die Seite und nutzte seinen Arm als Kissen. Und was glaubte der Kerl, für wen er das ganze machte? Er könnte gut und gerne gerade zusammenbrechen, aber da war gerade keiner, der ihn halten konnte.

„Tut mir Leid“ Der Ältere drückte seinen Körper von hinten gegen ihn, das Gesicht vergraben zwischen Katsuyas Schulterblättern. „Ich wollte dich nicht verärgern.“

Und er wollte nicht sauer sein. Half nur nichts. Trotzdem war die Wärme verdammt einladend. Hatte er Yami hier oder in dessen Bett gevögelt? Irgendwie schien das unendlich lange weg. Mit einem Seufzen drehte er sich um und legte die Arme um den anderen. Warum vertraute Seto ihm? Hatte er das Vertrauen wirklich verdient?

Hatte er wirklich nur mit Yami geschlafen, weil er dessen Selbstbewusstsein hatte aufbauen wollen? War das alles gewesen? War da keine Lust gewesen? Kein tiefes Verlangen, Yami zu berühren? In diesen zwei Jahren, die sie sich kannten, hatten sie eine Menge mitgemacht … und so einige ihrer Begegnungen hatten in Berührungen geendet. Intimen Berührungen. Keinen Orgasmen, ja, keinen Penetrationen, aber Berührungen … hatte er das vermisst? War das ein Teil des Grunds gewesen? Aber warum sollte er, wenn er Seto hatte?

Was hatte ihn in Yamis Arme getrieben? Was hatte ihn jetzt hierher gebracht? Einsamkeit? Unsicherheit? Warum lag er hier mit Yami in seinen Armen? Mit einem Mal schien sein ganzer Körper zu erzittern. Tränen traten in seinen Augen. Was zur Hölle war los? Er bekam nur nebenher mit, dass Yami sich etwas löste und weiter nach oben rückte. Nur Augenblicke später drückte er sich schluchzend an einen warmen Körper, der ebenso warme Arme um ihn legte.
 

„Besser?“, fragte Yami sanft, nachdem er ein paar Minuten Stille geherrscht und keine neuen Tränen hervor geschossen waren. Katsuya nickte nur schwach. „Keine Sorge, so fühle ich mich auch gerade. Völlig überlastet, muss immer gute Miene zum bösen Spiel machen und schrecklich unsicher. Dabei sorge ich nur für mich selbst.“

„Aber du brichst nicht ein, obwohl du dir vorgenommen hast, stark zu bleiben ...“, murmelte Katsuya schwach.

„Vor mir?“ In der Stimme schwang Überraschung, sogar ein Hauch Entsetzen mit. „Warum solltest du vor mir stark bleiben wollen?“ Der Jüngere versuchte seinen Kopf irgendwo zu verstecken, allerdings bot Yamis Kleidung heute keine aufgebauschten Fellkragen oder aufgetürmten Rüschen – er musste damit Vorlieb nehmen, die Nase unter den Hemdkragen zu stecken. „Katsuya?“ Eine Hand stroch über dessen Wange. „Ich rate wohl einfach mal, hm? Wenn es Seto nicht gut geht, dann braucht er jemanden Starkes und Stabiles, der einfach da ist und alles erträgt. Jemanden, der geduldig alles über sich ergehen lässt und nicht verletzt von ihm zurück schreckt. Was du gewissermaßen kannst, wenn er nicht gerade höchst aggressiv ist, weil dir das Angst macht. Aber dieses stark sein in allen anderen Situationen, das überträgst du gerade auf mich, weil es mir ja schlecht geht, richtig?“

War es das? Ja, er wollte für Yami da sein. Er wollte, dass Yami sich nicht wieder verlor, wieder in die Prostitution zurückkehrte. Er wollte, dass es Yami besser ging. Aber er wollte auch … irgendwie gut sein. Ihm irgendwie imponieren, so wie er es bei Seto lange Zeit versucht hatte. Nur warum? War das früher so gewesen? Doch nicht, oder? Er hatte Yami nie beeindrucken wollen. Hatte er Seto doch wirklich betrogen und nur seine Gefühle nie bemerkt? Fühlte er … so … für seinen besten Freund?

„Wenn dem so ist, dann kann ich dir sagen, dass ich das nicht brauche. Ich brauche den authentischen Katsuya, der sich nicht für mich einschränkt. Du bist immer nur hergerannt, weil du Hilfe brauchtest und das war und ist okay so. Damit hilfst du mir mehr, als wenn du plötzlich wer anders bist. Ich mache meine Probleme mit mir selbst aus und melde mich, wenn ich Hilfe brauche.“

„Feuere ich da nicht nur dein Hilfsbedürfnis an, was auch nicht gerade gesund ist?“ Er hob den Blick seiner braunen Augen.

„Doch“ Yami tippte ihm auf die Nase. „Aber wenn ich das auch noch gleichzeitig überarbeite, breche ich völlig zusammen. Ein Schritt nach dem nächsten. Erstmal höre ich mit der Prostitution auf und schaffe mir ein stabiles Leben. Dann kann ich mich an den Rest meiner Macken setzen“ Er seufzte und ließ den Kopf zurück fallen. „Die Jobumstellung ist schwer genug. Das frisst mich fast auf.“

„Kann ich helfen?“

„Tust du schon“ Die Amethystaugen sahen auf Katsuya hinab. „Du bist hier. Das ist mehr als genug. Und als nächstes koche ich uns Abendessen. Was möchtest du haben?“

„Fisch“ Ein Lächeln breitete sich auf dessen Lippen aus. Endlich mal nicht selber kochen! „Lachs mit Teriyaki-Sauce. Dazu Reis und Ingwer-Rettich-Salat.“

„Wie mein Gourmet wünscht“ Yami zerstrubbelte ihm das blonde Haar. „Soll ich dir Papier und Stift zum Zeichnen geben?“

„Au ja!“
 

„Das war gruselig, ich sag's dir“ Katsuya leckte über seine Lippen, löste noch ein Stück Lachs und ließ es sich auf der Zunge zergehen. „Ihre Augen wurden riesig groß und zitterten, als würde sie ihre schlimmsten Alpträume direkt vor sich stehen sehen“ Er lehnte sich weiter vor und sprach etwas leiser. „Und dann legte sie auch noch den Kopf zur Seite, wie in so einem richtigen Horrorfilm.“

„Klingt erschreckend“ Yami tupfte stilecht mit einer Serviette über seine Lippen, bevor er sein Kinn auf seine verschränkten Finger bettete. „Zusammengefasst hat sie angefangen, einen dunkelhäutigen Mann zu sehen, von dem sie glaubt, er wolle ihr Gift spritzen. Und das, nachdem sie LSD genommen hat. Und die Halluzination geht nicht mehr weg.“

„Und sie hatte das vor fünf Jahren schon mal, als sie zur selben Zeit wie Seto in der Klinik war“ Der letzte Rest Salat verschwand auch in seinem Schlund. „Seto meinte, sie hätte etwas anderes als er. Dass die Personen in seinem Kopf nicht wahnhaft seien, aber ihre schon. Ich versteh' das alles nicht ganz.“

„Schizophrenie ist auch nicht so leicht zu verstehen. Erinnerst du dich noch, dass ich dir mal erzählt habe, dass Setos Krankheit lange für eine Schizophrenie gehalten wurde? Man weiß noch nicht sehr lange, dass es dissoziative Identitätsstörungen gibt. Vorher hielt man die auch für Schizophrenien, obwohl die Krankheiten fast keine Gemeinsamkeiten haben.“

„Ich verstehe nicht, wie man das verwechseln kann. Ich meine, Seto ist so unglaublich anders als dieses Mädchen oder der Kerl, die ich heute kennen gelernt habe“ Katsuya schüttelte sich.

„Menschen sind sehr unterschiedlich. Wenn du ein Muster hast und jemand passt hinein, dann ist es schwer zu erkennen, dass er doch nicht hinein gehört“ Yami erhob sich und griff nach seinem Teller. „Hast du noch Hunger?“ Der Blonde schüttelte nur den Kopf, sodass er mit dem Abräumen begann. „Nach außen hin sind beide Krankheiten gar nicht so schrecklich anders. Seto glaubt an Menschen, die nicht da sind. Er hört Stimmen in seinem Kopf. Manchmal tickt er ziemlich aus und sagt danach, dass er sich nicht helfen konnte und sein Körper wie ferngesteuert war. Das kann man gut unter Schizophreniesymptome packen.“

„Erklär' mir bitte erstmal, was eine Schizophrenie überhaupt ist“ Das war mal grundlegend, um Yamis Geschwafel zu verstehen. Nicht jeder war so bewandert wie er – oder Seto. War ja schön, dass sie ihm beide etwas über Gleichheiten und Unterschiede erzählten, aber er kannte das eine gar nicht mal.

„Sorry, klar“ Yami machte sich daran, dass Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. „Nun, wo fange ich am besten an? Schizophrenie ist … ein gutes Stück kompliziert. Man weiß bis heute noch nicht, was genau da eigentlich kaputt ist, allerdings ist das eine Hirnerkrankung. Das heißt, da spielen irgendwelche Hormone oder Transmitter verrückt. Es kann jeder kriegen und man muss es mit Tabletten behandeln. So etwas wie Gesprächstherapien oder irgendwelche psychologischen Tricks helfen da fast gar nicht. Ein jeder Mensch ist mehr oder weniger anfällig für Schizophrenie. Wenn man Schizophrene in der Verwandtschaft hat, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst daran erkrankt.“

„Also ist das keine Erkrankung der Seele? Nichts, wo falsche Erziehung oder Traumas eine Rolle spielen?“, schlussfolgerte Katsuya.

„Traumata heißt das“, verbesserte Yami, „genau das meine ich. Schizophrenie hat einen ganz anderen Ursprung. Wenn man sehr anfällig dafür ist, bekommt man es leichter. Leute, die nicht ansatzweise Schizophrene in der Verwandtschaft haben, kriegen es dafür seltener. Es ist praktisch eine schlummernde Krankheit, die ausbricht, sobald ein Auslöser ankommt, der stark genug ist. Genau so wie Krebs ist das eine Krankheit, die jeder kriegen kann, wenn verschiedene schädliche Faktoren zusammen kommen.“

„Könnte ich das kriegen?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Theoretisch ja. Ich weiß nichts über deine Familie, aber theoretisch kann das jeder kriegen.“

„Und was sind die Auslöser?“ Irgendwie musste man sich vor dem Kram doch schützen können, oder? Er wollte nie plötzlich mit einer Kettensäge über Seto herfallen oder so etwas.

„Stress. Körperlicher oder psychischer. Bei diesem Mädchen ist der Auslöser für ihre schizophrenen Schübe wohl das LSD. Normalerweise bricht Schizophrenie erst so Mitte dreißig aus, aber es gibt auch Formen, die eher jüngere Menschen kriegen. Kurz nach der Pubertät, im jungen Erwachsenenalter, in der Midlife-Crisis und im hohen Alter sind wohl die Zeiten, wo die Menschen am anfälligsten für so einen Ausbruch sind. Und gab es einen, gibt es meistens noch mehr, wenn man danach nicht lebenslang Tabletten nimmt.“
 

Schon blöd. Man konnte sich nicht immer vor Stress schützen. Es gab Menschen, da brach es dann einfach aus. Aber wenn es Tabletten gab, die das behandeln konnten, war es wohl nicht so schlimm, oder? Andererseits hatte Natsuki mindestens zwei Schübe in ihrem Leben – also entweder hatte sie ihre Tabletten nicht genommen oder die wirkten nicht perfekt.

„Und was genau bricht dann aus? Was ist das für eine Krankheit?“

„Schizophrenie ist aus dem Griechischen und bedeutet 'gespaltener Geist'“ Yami nahm wieder Platz und legte die Hände vor sich auf dem Tisch zusammen. „Der Erstentdecker hat damals höchstwahrscheinlich sowohl dissoziative Persönlichkeiten als auch echte Schizophrene vor sich gehabt und die Krankheit damit ein bisschen fälschlich benannt. Schizophrene haben nämlich keine gespaltenen Geister“ Nicht so wie Seto mit seinen drei Persönlichkeiten. „Schizophrenie ist eine Krankheit mit zwei Arten von Symptomen. Man unterscheidet in Positiv- und Negativsymptomatik.“

„Wir kommen der Sache näher ...“, murmelte der Blonde.

„Das, was du da gesehen hast, ist die Positivsymptomatik. Meist Wahn oder Halluzination jeglicher Art. Das Hören von Stimmen oder Geräuschen, das Sehen von Menschen oder Gegenständen, das Fühlen, Schmecken oder Riechen von Dingen, die gar nicht da sind. Aber auch Wahnideen oder Gedankeneingebungen, die die Leute dazu bringen Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würden. Verfolgungsängste. Der feste Glaube, dass andere deine Gedanken lesen oder steuern können oder dass du das mit deinen Gedanken bei anderen kannst. All diese Dinge, die man gemeinhin als verrückt bezeichnet.“

Nun ja, wenn jemand daran glaubte, er habe drei Seelen, die wahlweise seinen Körper einnehmen konnten, würde er das wahrscheinlich auch erstmal hier einsortieren. Es klang auch reichlich verrückt.

„Fast nie tritt alles auf und bestimmte Schizophrenieformen gehen mit bestimmten Symptomen einher. Es gibt zum Beispiel die paranoide Schizophrenie. Diese Leute fühlen sich praktisch immer verfolgt und haben Angst um ihr Leben. Das, was dieses Mädchen hat, ist wahrscheinlich eine induzierte paranoide Schizophrenie. Während der Mann eine Schizophrenie hatte, wo vor allem diese Wahneingebungen wohl im Vordergrund standen. Die gehen oft mit dem Hören von Stimmen einher, welche diese Eingebungen als Befehle geben“ Yami seufzte. „Es gibt viele Formen der Schizophrenie. Vielleicht ist dir schonmal jemand auf der Straße begegnet, der mit sich selbst sprach und für dich ganz komische Sachen sagte. Ich sah mal eine Frau, die lief hin und her und murmelte die ganze Zeit, sie müsse alle töten. Das können auch Schizophrenien sein.“

Juhuu … klang ja mal so gar nicht gefährlich. Hoffentlich bekam das nie einer bei ihnen. Es klang echt gruselig. Da schlug er sich lieber mit Setos drei Seelen rum, das verstand er wenigstens. Dass da schlimme Geschehnisse waren, die er deswegen auf drei verschiedene Seelen verteilte, um im Alltag funktionieren zu können … irgendwie war ihm das zugänglicher als das hier.

„Und Negativsymptome sind daraufhin ganz einfach. Die Leute haben kaum mehr Emotionen, ihre Gesichter werden zu Masken. Sie ziehen sich von Menschen zurück. Das, was sie noch spüren, ist meist Verzweiflung oder Angst. Sie werden unnatürlich fröhlich oder depressiv. Es kann so weit gehen, dass sie aufhören, sich zu bewegen. Das nennt man Katatonie. Viele hören auch auf zu sprechen“ Yami nickte langsam. „Du hast die beiden heute in einem Zustand gesehen, wo es ihnen schon wieder gut ging. Sie nahmen am allgemeinen sozialen Leben teil. Das Mädchen sprach sogar über ihren Wahn. Die meisten Schizophrenen lernen schnell, dass sie am besten nicht über das sprechen, was sie wahrnehmen, weil sie nur auf Ablehnung stoßen. Sie trauen dem, was sie sehen und fühlen oft nicht mehr.“

Insofern war es wirklich gar nicht so unähnlich zu Seto. Er traute seinen Gefühlen auch nicht. Er spürte größtenteils Angst. Sein Gesicht war meist eine Maske. Aber das alles hatte einen völlig anderen Gründe als bei Schizophrenen. Er hatte Angst, wieder verletzt zu werden – nicht rosa Elefanten zu sehen.

Schwul sein

Ich lebe noch T.T Danke für die liebe Unterstützung. Ich vermute, dass ich eine der Prüfungen letzte Woche vergeigt habe, aber der Rest lief sehr gut. Was aber viel wichtiger ist als das:
 

DAS BUCH IST ENDLICH ERSCHIENEN!!!

See here: http://www.wagner-verlag.de/Gepo/Tote_Gesellschaft
 

Bitte tut mir den Gefallen und bestellt es direkt beim Verlag, wenn ihr es bestellen mögt ^.^ Und macht gern auch ein wenig Werbung XD Denn je mehr Bücher direkt beim Verlag bestellt werden, desto höher ist die Chance, dass ich auch den zweiten Band dort veröffentlichen kann.

Und jetzt viel Spaß mit dem neuen Kapitel ^.-
 

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„Ich dachte die ganze Zeit, dass Seto da nicht hingehört, weißt du? Seit wir dort angekommen sind, war das mein einziger Gedanke. Dass alle total gestört sind und es Seto gar nicht so schlimm geht“ Katsuya ließ sich rückwärts auf die Couch fallen und lehnte sich gegen das Rückenteil. „Aber wenn ich jetzt objektiv darüber nachdenke, merke ich, dass ich mich einfach zu sehr an Seto gewöhnt habe. Für mich ist das schon völlig normal geworden, dass ich mit drei Leuten in einem Körper zusammenlebe. Auch wenn ich einen nicht kenne. Oder nur eingeschränkt.“

„Der menschliche Geist ist sehr wandlungsfähig“ Yami holte seinen allwissenden Ordner aus dem Schrank und blätterte darin, während er sprach. „Das, was er nicht ändern kann, akzeptiert er und fügt es in sein Weltbild ein. Man kann auch mit Schizophrenen zusammen leben. Zum Beispiel die Frau dieses Herrn, den du getroffen hast … die ist sicher nicht glücklich, dass ihr Mann sie mit einer Axt bedroht hat, aber ich glaube nicht, dass sie ihn jetzt verlässt. Sie wird nur ziemlich dahinter her sein, dass er seine Tabletten ordentlich nimmt.“

„Und wenn andere Leute hören, was Seto diese eine Woche lang mit mir gemacht hat, würden sie mich wahrscheinlich auch fragen, warum ich mit ihm zusammen bin“ Katsuya zog seine Beine hoch in den Schneidersitz. „Was guckst du nach?“

„Nur, ob ich an alles Wichtige gedacht habe. Ich bin gern vollständig, wenn ich schon etwas erkläre. Aber wenn du nicht gerade alle Untergruppen der Schizophrenie kennen lernen willst, war es das wirklich“ Der Ordner wurde zugeschlagen und zurück gestellt. „Ich glaube, fast jeder, der Seto im Alltag erlebt, hält dich für verrückt, mit ihm zusammen zu sein. Er ist arrogant, sarkastisch und kommt ziemlich eingebildet rüber. Er wird verletzend oder aggressiv, wenn ihm was nicht passt. Und wenn er die Kontrolle gänzlich verliert, driftet er in Dissoziationen ab. Aus denen er dann manchmal als kleines Kind wieder kommt … ehrlich gesagt, die meisten könnten mit so jemandem wahrscheinlich nicht leben. Du bist Partner, Blitzableiter, Therapeut und Vater in einem. Seto ist da ziemlich anspruchsvoll.“

Yami hatte sich auf die Couch gelegt, den Kopf dabei auf Katsuyas Oberschenkel. Dieser griff in das nicht hoch gestylte, rote Haar und begann, die Haut darunter zu kraulen. Sein bester Freund hatte seinen Stil den neuen Arbeitsbedingungen ganz gut angepasst. Statt der Lederhose trug er Nadelstreifen, statt dem halb durchsichtigen Hemd mit Pelzbesatz ein dunkelblaues aus Baumwolle. Die breiten Goldarmreife waren einer schlichten Herrenuhr gewichen und Lidschatten und Puder konnte man nicht mehr zu finden. An Schminke trug er nur einen dünnen Kajalstrich und vielleicht noch Mascara – bei Yami konnte er das nie genau sagen, er wusste, wie er seinen Stil natürlich hielt. Bei Goldblond und Rot als Haarfarben war er geblieben, allerdings waren die nun nicht mehr gegelten Haare nur noch wenige Zentimeter lang.

Es machte ihn nicht mehr so verführerisch und mysteriös wie früher. Da hatte er stets wie ein Dämon gewirkt, den man als Schergen des Teufels auf die Welt losgelassen hatte, um die Menschen alle in den Sündenpfuhl zu zerren. Jetzt wirkte er einfach wie ein sehr hübscher, stilbewusster, junger Mann – wenn auch wie ein etwas unsicherer, der sich noch nicht dazu durchgerungen hatte, sich wie die Königin zu benehmen, die er war. Seine Bewegungen waren eckiger als früher. Man merkte, dass er manche Gesten unterdrückte. Er schien allgemein zu versuchen, weniger ausdrucksstark zu sein.
 

„Was ist eigentlich deine natürliche Haarfarbe?“

„Hm?“ Der Liegende drehte sich auf den Rücken. „Schwarz. Ich bleiche und färbe sie.“

„Wirst du das auch weiter so machen oder in Zukunft wieder deine normale Haarfarbe tragen?“

„Tja“ Er hob eine Hand und streichelte unbewusst über Katsuyas Bein. „Was meinst du, würde Schwarz mir stehen?“

„Es würde deine Augen betonen. Das würde deinen Blick sogar noch eindrucksvoller machen“ Katsuya lächelte.

„Früher in der Schule meinten alle, ich sähe damit zum Fürchten aus. Deswegen habe ich ja erst damit angefangen.“

„Ich glaube, heute kannst du das mit Stil tragen. Früher warst du sicher schüchtern, oder?“

„Und wie“ Yami schnaubte und schloss die Lider. „Bei weitem nicht so schüchtern wie mein Bruder, aber immer noch ziemlich schüchtern. Yugi lief rot an, wenn man ihn ansprach, und dann bekam er keinen Ton heraus. Ich war einfach nur recht zurückhaltend und unsicher. Nur beim Kartenspielen ließ ich den Macker raushängen, weil ich da einfach unschlagbar gut war“ Er seufzte, aber suchte mit seinem Blick wieder den anderen. „Yugi währenddessen hat sich nie etwas getraut. Er hat immer versucht, mich nachzumachen, aber natürlich war er nie so gut wie ich. Nicht in Dingen, die ich lernte, weil ich mich für sie begeisterte. Umso mehr tat es weh, wenn ich dann alles, was ich liebte, irgendwann aufgeben musste, weil ich ja meinen armen Bruder in den Schatten stelle. Unsere Eltern haben nie verstanden, dass Yugi gar nicht vorne stehen wollte – erst recht nicht, wenn ich dafür Platz machen musste.“

„Wie ist das jetzt eigentlich mit deiner Familie, wenn du einen festen Job hast. Willst du Kontakt zu ihnen aufnehmen? Sie würden dich zurück haben wollen, oder?“

„Sicher nicht“ Die Miene des anderen verhärtete sich. Er atmete tief durch und setzte sich auf. „Natürlich bin ich als normaler Angestellter ein guter Sohn, aber das ändert nichts daran, dass ich mit Männern schlafe. Und selbst wenn ich mit einer Frau zusammen käme, würde ich mich nicht melden. Ich will diese Leute nicht wieder haben. Ich will nicht gemocht werden, weil ich einen guten Job und eine hübsche Frau habe. Wenn man mich schon liebt, dann weil ich ich bin – nicht, weil ich irgendetwas erreicht habe.“

„Du willst also nichts mehr mit deiner Familie zu tun haben?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Ich will … ich will mich schon gern mit Yugi verstehen. Schon allein, weil ich ihm helfen will. Diese Eltern sind auch für ihn nicht gut. Und er kommt da nicht alleine raus. Aber sonst?“ Er lehnte sich zur Seite und legte den Kopf auf Katsuyas Schulter. „Sonst brauche ich keinen. Solange ich dich habe, können die mir gestohlen bleiben.“

„Sicher?“

„Möchtest du deine Eltern wieder haben?“

Na gut. Das war ein Argument. Was war das eigentlich für eine Frage? Natürlich brauchte er solche Eltern nicht – genau so wie Katsuya ohne seine Eltern besser dran war. Es war traurig, aber es war nunmal Realität. Er hatte Seto. Yami hatte ihn.

Nur hatte er auch Yami. Wen hatte der noch? Seto nämlich jetzt nicht mehr...
 

„Morgen“ Ryou lächelte und lehnte sich zu seinem Tisch herüber, „Na, wie war der erste Tag ohne ihn?“

„Klasse“ Katsuya grinste. „Ich hab' Yami abgeholt, wie waren Burger essen, haben abends einen Film geguckt und heute morgen wurde ich bekocht. Zum Frühstück, ja? Dass Yami immer kocht, ist ja schon klasse, aber morgens auch … das ist himmlisch.“

„Solang' du Seto nicht untreu wirst“, scherzte Ryou, bevor er plötzlich verstummte, „entschuldige. Ich habe nicht nachgedacht.“

„Na ja, es stimmt doch. Ich sollte ihm nicht wieder untreu werden. Aber keine Sorge, Fisch und Reis überzeugen mich nicht, auch wenn sie klasse geschmeckt haben“ Katsuya kramte seine Schulsachen raus – an seine Bücher für die nächsten Tage sollte er auch denken, wenn er nachher zuhause vorbei fuhr. „Es gibt für mich nichts auf dieser Welt, was es wert wäre, Seto dafür zu verlieren.“

„Was für eine Liebeserklärung …“

„Ayumi!“ Katsuya schreckte zusammen. Wann war die denn plötzlich aufgetaucht? „Dir auch einen guten Morgen.“

„Jetzt mal ehrlich …“ Sie sah sich um, dass niemand sie gerade belauschte. „Du bist mit Herrn Kaiba zusammen, oder? Und weich nicht wieder aus.“

„Ähm … na ja … und wenn ich es wäre?“ Er beobachtete ihre Reaktion genau.

„Voll der Schock!“ Ihre Lider weiteten sich. „Du bist echt … also … ich hatte es mir ja schon länger gedacht, aber dass es wirklich wahr ist? Ich meine … er ist doch viel älter als du, oder? Wann ist denn das passiert?“ Sowohl er als auch Ryou schwiegen, sodass sie nur einen Stuhl heran zog und sich näher zu ihnen beugte. „Ich meine, zwischen euch war schon immer etwas Besonderes. Dieses Knistern, weißt du. Spätestens seit wir wussten, dass Kaiba schwul ist, dachten sich die meisten Mädels hier, dass er wahrscheinlich auf dich abfährt. Und dann die Sache mit der Adoption … keiner hat es danach ausgesprochen, aber ich glaube, dass alle dasselbe gedacht haben.“

„Ist es wirklich so überraschend?“, flüsterte Katsuya.

„Schon noch“ Sie legte den Kopf zur Seite. „Es zu denken und es zu wissen, das sind schon ziemlich verschiedene Dinge. Ich muss … ich bin ehrlich immer noch geschockt.“ Sie schüttelte den Kopf und sah zum Fenster. „Weißt du, es war so eine lustige Gedankenspielerei. Es dachte schon jeder, aber solange man es nur denkt, ist es ja nicht wahr, nicht? Wenn ich mir das jetzt vorstelle … mir zu denken, wie Kaiba dich küsst, das ist-“ Sie verzog das Gesicht. „Ich weiß ja, dass ihr zwei schwul seid, aber wenn man nicht dran denkt, ist es nicht so schlimm. Wenn man es sieht oder sich vorstellt … keine Ahnung. Das klingt ziemlich böse, oder?“ Sie sah wieder zu ihnen, die Stirn in Falten, den Kopf eher gesenkt. Ihre Augen baten stumm um Entschuldigung.

„Ehrlich? Ich habe zwei Jahre mit einem Kerl geknutscht und fand Schwule ekelhaft, bis ich Ryou mit seinem Freund erlebt habe. Als es daran ging, mir einzugestehen, dass ich auf Seto stand … halleluja, das war nicht gerade einfach. Obwohl meine zwei einzigen Freunde schwul waren und ich seit Jahren damit konfrontiert worden war. Ich glaube, ich kann verstehen, dass du verstört bist.“

„Danke schön“ Sie seufzte erleichtert und ihre Schultern sackten ab. „Ich meine das ehrlich nicht böse. Ich muss mich nur an den Gedanken gewöhnen … sag mal, Ryou, der Kerl, der mal hier war, war das dein Freund? Der mit den weißen Haaren?“ Der Jüngste nickte vorsichtig. „Tja, der hätte ehrlich auch dein Bruder sein können. Ist ja nicht gerade die häufigste aller Haarfarben. In unserem Alter zumindest. Auf jeden Fall cooler Typ.“ Sie hob beide Daumen.

Katsuya und Ryou warfen sich einen kurzen Blick zu. Sagen? Nicht sagen? Im Endeffekt schwiegen sie.
 

Katsuya tippte ein paar Tasten auf seinem Handy und hielt es an sein Ohr, während er weiter in Richtung seines Zuhauses spazierte. Nach nur zweimal klingeln wurde ihm schon geantwortet.

„Hey, Kleiner.“

„Hey, Drache. Na, wie geht es dir?“

„Meine Medis machen mich fertig. Ich liege fast nur im Bett.“

„Alleine?“ Katsuya grinste.

„Leider“ Seto schien das Ganze als den Witz anzunehmen, der es war. „Wird mein Bett hier heute noch gefüllt?“

„Ich hole nur noch ein paar Sachen zuhause ab, dann bin ich auf dem Weg“, versprach der Jüngere, „ich wollte fragen, ob du etwas von zuhause brauchst. Soll ich dir etwas mitbringen?“

„Dich“ Hilfe, Seto konnte manchmal echt romantisch sein. „Und mein Kulturbeutel wäre sehr hilfreich. Der liegt im Bad unter der Spüle. Einfach im Kompletten mitnehmen, da ist alles drin, was ich brauche.“

„Klar. Noch etwas?“

„Beeil dich“, forderte Seto.

„Ja, ja, schon klar“ Katsuya verdrehte die Augen, doch lächelte. „Bis gleich“ Er legte auf und steckte das Gerät wieder ein, während seine Mundwinkel oben blieben. Irgendwie war Seto ja schon süß. Manchmal. Wenn er wollte. Na ja, immer öfter. Mit einem Kopfschütteln schloss er das Haus auf und trat ein.

Stille.

„Bin wieder da“, grüßte er leise und zog seine Schuhe aus. Irgendwie war es verdammt leise. Natürlich, es war ja auch keiner da, aber trotzdem. Es war still und es war kalt. Sicher hatte Seto die Haushälterin angerufen, dass sie das Haus die Tage nicht warm halten musste, aber … er schlich über den Flur und sah in die Küche und das Wohnzimmer. Sah eigentlich aus wie immer. Er seufzte und schüttelte über sich selbst den Kopf. Hatte er jetzt im eigenen Haus Angst vor Gespenstern? Wenn er als nächstes Stimmen hörte, wusste er ja, was los war.

Er schnappte sich Setos Kulturbeutel und eine Tasche, die er mit Kleidung für sich und den Schulbüchern vollpackte. Das Sportzeug drückte er auch noch schnell hinein, bevor er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Hatte er alles? Er nahm beides und ging in Setos Zimmer herüber. Noch mal – hatte er alles? Schlafanzug, Kultursachen, Wechselkleidung, Schulsachen … er trat zum Bett und zog die Schublade auf. Nicht die mit den Bildern und Sprüchen sondern die mit den Kondomen und dem Gleitgel.

Sollte er das mitnehmen? Seto lag zwar in der Psychiatrie, aber andererseits … erzählte er nicht immer, wie sehr Sex ihm half, stabil zu bleiben? Sich zu entspannen, selbstsicher zu sein und … sollte er es einfach mitnehmen? Schaden konnte es nicht, aber … wollte er überhaupt? In einer Psychiatrie? Sicher hatte Seto ein Mehrbettzimmer, wo jederzeit jemand reinkommen konnte.

Katsuya schluckte. Er griff in die Schublade, schaufelte eine handvoll in seine Tasche und machte sich auf. Sicher war das bestellte Taxi schon da.

Mehrbettzimmer

Kopfschmerzen T.T Kann man jemand bitte ein Hoch herschieben? Seitdem ich mal fast erfroren bin, reagiert mein Körper total sensibel auf Kälte. Andauernd kriege ich Kopfschmerzen. Das nervt -.- Aber ich bin derzeit eh krank, ebenso wie der Rest hier. Andauernd Fieber, Husten, Schnupfen - wir Mitteleuropäer sind für dieses Wetter nicht gemacht. Ich bin eigentlich ein Wintermensch, aber das hier wird langsam etwas viel.

Ich hoffe, euch geht es besser, auch wenn ihr sicher ähnliche Temperaturen habt. Also wärmet euch auf mit ein paar heißen Gedanken, die dieses Kapitel beschert ^.- Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya gab dem Taxifahrer sein Geld und überschlug im Kopf, wie viel es Seto eigentlich kostete, ihn für drei Tage täglich hin und zurück fahren zu lassen. Mit einfachen Dreisatz stand unterm Strich, dass es mehr als ein Jahr Taschengeld war – aber andererseits auch nur ein Fünftel von Setos Monatseinkommen. Wobei „nur“ vielleicht etwas falsch gewählt war. Der Mann könnte problemlos eine mehrköpfige Familie mit allen Kindern im Studium durchbringen.

Und trotzdem wollte er nur ihn. Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, während er die Tasche über seine Schulter warf. Seto wollte nur ihn. Das klang einfach fantastisch in seinen Ohren. Besonders, wenn er an dessen Körper dachte – Seto könnte jeden haben. Ausnahmslos. Vielleicht nicht auf Dauer, okay, aber für kurze Zeit jeden. Nur wollte er keine kurze Zeit. Er wollte eine lange Zeit. Katsuya küsste den Ring an seinem Finger. Er wollte für immer.

Da konnten noch so viele mehr als passable Alternativen auftauchen, er hatte doch längst einen Traumkerl an seiner Seite. Und wenn er das denken konnte, während er gerade vor der verschlossenen Stationstür der Psychiatrie stand, brauchte er echt keine Zweifel haben, zu wem er gehörte. Wenn es ihm echt kaum etwas machte, dass sein Freund wegen seiner Alkoholsucht gerade in der geschlossenen saß, hatte er genug Schrauben locker, um ihn auch auf ewig zu ertragen.

Auch wenn die neckende Stimme im Hinterkopf fragte, ob er wirklich zu den Weibern gehören wollte, die mit dem erstbesten Kerl direkt durchbrannten und alles stehen und liegen ließen. Wenigstens würde er nicht schwanger und hoch verschuldet zurückkommen. Im selben Moment schüttelte es ihn allerdings. Eine Stimme im Hinterkopf? Er entwickelte jetzt aber keine Wahngedanken, oder? Hallus? Kopfschüttelnd drückte er auf die Klingel. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Seto abfärbte.

„Von außen einfach drücken“, erklärte die Schwester, die ihm öffnete, ohne jegliche Begrüßung, „wir wollen die Leute drinnen halten, nicht draußen. Immer rein spaziert.“

„Guten Nachmittag“ Er nickte ihr zu.

„Schon so spät?“ Sie sah über ihre Schulter. „Na dann guten Nachmittag. Ich habe schon seit zwei Stunden Feierabend“ Sie seufzte. „Dabei habe ich die Küche noch gar nicht fertig“ Sie ließ ihn einfach stehen und ging zur Seite weg.

Nun … auch gut. Er wusste ja, wo Seto war. Musste er sich wohl irgendwie anmelden oder so? Er ging zum Pflegestützpunkt hinüber und sah rein, allerdings schien niemand da zu sein. Eine Schwester wusste ja, dass er da war, also würde das wohl okay sein. In welchem Zimmer war Seto nochmal? Er ging zum Trakt der Patientenzimmer und grüßte die zwei Männer, die ihm entgegen kamen. Bevor er jedoch tiefer in den Gang eindringen konnte, sah er Seto schon rauchend auf dem Balkon stehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen bog er ab und ging nach draußen.

„... ist voll das Gestell, weißte? Mit hammer Beinen und Brüsten, die sind solche Oschis“ Der Kerl, der mit Seto draußen stand, breitete seine Hände aus, als würde er in jeder eine Melone tragen.

„Meine Rettung“ Seto stieß den Rauch aus, drückte seine Zigarette aus und war mit einem Schritt bei Katsuya, um die Arme um diesen zu legen und ihn mit Zunge zu küssen. Nicht gerade angenehm, er schmeckte schließlich nach Zigarette, aber völlig okay für den Moment.

„Alter, bist du voll panne? Das issen Kerl, oder? Macht euch weg, ihr Schwuchteln!“

„Allzu gern“ Mit einem Arm um Katsuyas Schultern führte Seto ihn nach drinnen.
 

„Nette Gesellschaft“ Das Lächeln spielte noch immer mit Katsuyas Lippen.

„Ich kann sie mir hier ja nicht aussuchen“ Mit einem Seufzen betraten sie ein nahe liegendes Zimmer. „Willkommen in meinem Reich. Nur ich und drei viel zu real wirkende andere Kerle.“

Zum Glück war das Zimmer leer, sodass keiner sich über den beißenden Sarkasmus beschweren konnte. Setos Mitbewohner wären sicher nicht glücklich, als ungewollte Halluzinationen bezeichnet zu werden. Katsuya wusste ehrlich nicht, ob er lachen oder einfach nur den Kopf schütteln sollte. Manchmal war Setos Humor schon etwas komisch.

„Wohnt der Kerl auch hier?“

„Leider. Aber ich glaube nicht, dass der uns stören kommt. Die anderen zwei sind sonstwo. Wahrscheinlich bei irgendwelchen Therapien. Interessiert mich ehrlich gesagt nicht wirklich“ Seto trat aus seinen Schuhen und ließ sich aufs Bett fallen. „Meine Güte, der Kerl färbt ab. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade in den schlimmsten Ghetto-Slang verfalle.“

„Du klingst ein bisschen anders, ja, aber Ghetto-Slang ist immer noch etwas ganz anderes, glaub' mir das. Wie geht es dir?“

„Ganz gut“ Seto hob eine Hand und hielt sie vor Katsuyas Nase. „Die meisten Entzugssymptome sind unterdrückt. Dafür bin ich reichlich langsam. Das Carbamazepin schaltet irgendwie meine Denkkapazität ab.“

„Wenn du meinst“ Wahrscheinlich könnte er trotzdem problemlos irgendwelche Produkte aus mehrstelligen Zahlen im Kopf bilden. „Ich könnte mir das Wort weder merken noch aussprechen, also kann es dir nicht allzu schlecht gehen. Musst du viele Medikamente nehmen?“

„Zwei. Viermal täglich. Die wollen, dass ich die vollen sechs Tage bleibe, aber ich wehre mich. Derzeit haben wir uns auf Freitag morgen geeinigt, weil ich Donnerstag eine Medikamentenumstellung habe“ Er setzte sich auf und rückte neben Katsuya, der sich auf die Bettkante gesetzt hatte. „Wäre das okay?“

„Seto“ Dieser legte eine Hand auf dessen Wange. „Bleib' solange, wie du es brauchst, ja? Ich will einfach nur, dass es dir wieder besser geht. Wenn du dafür eine Woche weg bleibst, dann halt das“ Er küsste ihn und legte seinen Kopf auf dessen Schulter ab. „Ich möchte nur, dass du danach nicht mehr trinkst, okay?“

„Wasser?“ Katsuya piekste ihn dafür mit einem Finger in den Bauch. „Na gut, versprochen“ Eine Hand stahl sich in das blonde Haar und kraulte die Kopfhaut dort. „Ehrlich, ich weiß schon, dass mich Alkohol kaputt macht. Es tut mir Leid, dass du das aushalten musstest. Ich mache es nicht nochmal, ja?“

„Mach's wirklich nicht“, nörgelte Katsuya leise.

„Ja, ja.“

„Zweimal ja ist gelogen.“

„Ja, ja, ja?“

„Idiot.“

Seto hob seinen Kopf und verwickelte ihn dafür in einen langen Zungeskuss – der leider immer noch nach Zigaretten schmeckte. Trotzdem war der Typ irgendwie selten süß zur Zeit.
 

„Hast du an meinen Kulturbeutel gedacht?“

„Hier“ Katsuya bückte sich, zog den Reißverschluss der Tasche auf und fischte den Beutel heraus. „War ganz einfach zu finden, wie du gesagt hast“ Der starrte jedoch stumm an ihm vorbei auf die Tasche. „Seto? Seto, was ist los?“ Er wedelte mit einer Hand vor dessen Gesicht. „Warum kriegst du denn jetzt bitte Dissos?“

Seto atmete tief durch und schloss und öffnete seine Lider ganz langsam. Es war eine der Übungen, die er anwandte, um in der Realität zu bleiben. Nur was hatte ihn so raus gehauen? Hatte er vielleicht versehentlich Mokubas Tasche genommen? Er fasste mit einer Hand Setos Oberarm und übte etwas Druck aus, um ihm zu helfen.

„Warum“ Setos Stimme brach ab und er musste schlucken und erneut ansetzen. „Warum hast du Gleitgel dabei?“

„Huh?“ Katsuya sah zur Tasche und entdeckte ebenfalls die an die Seite gefallene Tube – die Röte schoss sofort über sein gesamtes Gesicht. „Da- das heißt jetzt nicht, dass ich mir … also dass ich dachte, dass wir- es war ja nur eine Idee, also falls du … ich weiß ja nicht. Ich dachte, ich nehm' es mit. Vorsichtshalber. Man kann ja nie wissen.“

Seto blinzelte und betrachtete ihn mehrere Sekunden lang still. Sein Gesicht schien so absolut gar keinen Ausdruck zu tragen. Seine Nase zuckte kurz. Seine Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen. Ein Mundwinkel wurde leicht nach oben gezogen. Er legte seinen Kopf zur Seite und fragte leise: „Das war für uns gedacht?“

„Für wen sonst?“, fragte Katsuyas Mund, noch bevor sein Kopf die Frage überhaupt verarbeitet hatte. Ja, für wen wohl? Er wohnte gerade bei Yami. Seto hatte zwar ja gesagt, aber dass hieß kaum, dass er ihm einfach so komplett vertraute. Was für eine blöde Antwort! Er senkte schuldbewusst den Kopf. „Tut mir Leid. Ich rede schon wieder, bevor ich denke.“

„Ich glaube, ich mag das“ Seto legte einen Arm um seine Schultern und zog ihn näher. „Dann kann ich zumindest sicher sein, dass es ehrlich ist. Wenn dein Kopf so lange braucht, um zu schalten, was ich meine, kann Yami nicht ganz so weit oben auf der Liste möglicher Konkurrenten stehen.“

„Ehrlich gesagt steht er ganz oben“, ließ Katsuya daher seinen Mund einfach mal erzählen, „aber der Gedanke, dich zu betrügen, ist einfach unendlich weit weg.“

„Obwohl er jetzt kein Stricher mehr ist und ich in der Psychiatrie sitze? Er wäre gerade die bessere Wahl“, murmelte Seto kaum verständlich.

„Es geht aber nicht darum, wer stabiler ist oder besser verdient. Ich bin mit dir zusammen, weil ich dich liebe. Sonst würde ich den hier kaum tragen“ Katsuya hob die Hand mit dem Ring. „Du hast mich zwar überrumpelt, aber der Quasi-Verlobung habe ich doch zugestimmt, oder? Du bist die Nummer eins für mich und das war noch nie anders. Ich wollte dir nicht wehtun. Und ich bin immer noch der Überzeugung, dass ich nicht aus Lust oder Unzufriedenheit mit Yami geschlafen habe. Auch, wenn das in deinen Augen anders aussah“ Und er sich zwischendurch selbst nicht ganz sicher gewesen war. Yami war schon verführerisch – aber halt nicht so. Nicht so wie Seto. In dem Aspekt stand Seto um Meilen höher.

„Das verstehe ich zwar nicht“, gab Seto zu und küsste ihn kurz, „aber ich akzeptiere es einfach mal. Wenn du sicher bist, dass es nichts Unzufriedenstellendes zwischen uns gibt und du Yami nicht mehr anrührst, bin ich glücklich. Auch, wenn ich dich nicht verstehe.“

„Alles wieder gut?“ Bei Seto war es stets das Beste, noch einmal nachzufragen. „Versöhnungssex?“

Der schnaubte nur, schüttelte den Kopf und griff an Katsuya vorbei in die Tasche.
 

„Herr Kaiba, das geht so wirklich nicht. Haben Sie Ihre Manieren denn an der Tür gelassen? Von manchen unserer Patienten sind wir obszönes Verhalten ja gewöhnt, aber sie sind doch ein Mann von Welt. Ich hätte wirklich Besseres von Ihnen erwartet.“

„Ja, Schwester Martha“, rasselte Seto zum wiederholten Male herunter, „es wird nicht wieder vorkommen.“

„Das will ich auch sehr hoffen. Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass ich das in Ihre Dokumentation eintragen und Ihre Behandler davon in Kenntnis setzen muss.“

„Keine Sorge, ich bin es gewohnt, dass die Presse sich über mein Sexualleben auslässt“ Verschmitzt hob der Brünette einen Mundwinkel. „Ich empfehle Ihnen trotzdem, die Informationsweitergabe bei meinen Behandlern zu belassen.“

„Herr Kaiba, ich weiß, dass Sie wissen, dass hier eine Klinik ist, die für ihre Verschwiegenheit auch bei Promis bekannt ist. Ich weiß, dass Sie sonst nicht immer wieder herkommen würden. Und sie wissen, wie lange ich hier schon arbeite, also wissen Sie auch, dass ich weiß, wann ich meinen Mund zu halten habe.“

„Wollen wir es dann dabei belassen? Schließlich wissen Sie durch Ihre langjährige Anstellung auch, dass ich mir Ihre Predigt keinen Deut zu Herzen nehme“ Irgendwie passte Setos liebes, doch auch mitleidiges Lächeln so sehr in die Situation, wie es unpassend war.

„Manchmal sind Sie unausstehlich“ Sie seufzte tief. „Ich hoffe, dass Sie mir jetzt sagen, dass das Ihr fester Freund ist, dem Sie Anstand und Treue geschworen haben.“

Katsuya sah belustigt zwischen den beiden hin und her. Okay, es war schon verdammt peinlich, von der Praktikantin erwischt zu werden, die es dann der Oberschwester petzte, aber sie schien Eskapaden von Seto eher gewohnt zu sein. Wirklich erschrocken hatte sie nicht ausgesehen – nur äußerst genervt. Im Gegensatz zur Praktikantin, die mit schreckgeweiteten Augen im Hintergrund stand.

„Verlobter“, betonte Seto und hob seine linke Hand.

„Herzlichen Glückwunsch“ Sie sah nicht so aus, als würde sie das ernst meinen. „Also wehe, ich erwische Sie mit einem der Pfleger oder Mitpatienten.“

„Oder dem Suchtberater“ In Setos Ausdruck lag nicht ein einziger Funken Reue.

„Der gefeuert wurde, nachdem Ihre Affäre publik wurde. Seitdem haben wir eine Suchtberaterin“ Katsuya vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Seto hatte nicht ernsthaft das Personal belästigt, als er hier gewesen war, oder? „Und Georg haben sie auf die geriatrische Station gesteckt. Sie haben den beiden das Leben ruiniert, ist Ihnen das klar?“

„Es war Ihre eigene Entscheidung“ Seto hob beide Hände. „Dass es nur bei Zweien raus gekommen ist, ist doch ein guter Schnitt, meinen Sie nicht?“

Schwester Martha holte tief Luft, um zum nächsten Gezeter anzusetzen, aber Katsuya kam ihr zuvor: „Das ist alles Jahre her. Jetzt bist du ja ein treuer Kerl, der seine Finger bei sich behält und niemanden anrührt, nicht?“

„Und wenn doch, stecke ich Sie in ein Frauenzimmer“, drohte die Oberschwester leise.

„Solange du meine Sexsucht stillst“ Seto schien die arme Frau komplett zu ignorieren, legte einen Arm um Katsuya und küsste ihn. „Schließlich wollen die mich ja noch tagelang hier behalten.“

„Sie werden Freitag entlassen. Egal, was Ihr Arzt sagt. Je früher wir Sie los sind, desto besser“ Martha seufzte genervt.

„Schau, so schnell kriegt man seinen Willen“ Seto lächelte und Katsuya schüttelte ebenso wie die Schwester nur den Kopf.

Freundeskreis

Gehöre ich eigentlich zu einer speziellen Art Mensch, die es schafft, im Urlaub gestresster zu sein als außerhalb oder ist das allgemein so? Ich versinke in Arbeit und sie scheint unvergleichbar übermächtig und schrecklich, als könnte sie mich jederzeit begraben.

Nebst der Tatsache, dass ich ziemlich aufgeregt bin. Nächste Woche fliege ich nach Ghana (deswegen gibt es übernächste Woche auch kein Kapitel), wo ich versuche, ein Positionspapier gegen Homophobie durchzubringen. Das wäre ein riesiger Schritt in die richtige Richtung, aber es wird verdammt schwer. Nebst der Tatsache, dass in Ghana auf Homosexualität 10 Jahre Haft stehen. Ich wollte nicht unbedingt im Gefängnis enden...

Drückt mir die Daumen, ja? Und falls ihr in den News lest, dass in Ghana eine deutsche Delegierte inhaftiert wurde, unterschreibt die Petition für meine Freilassung bitte, ja?

Ab von all dem viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Und wie geht es Seto?“, fragte Yami kurz nach der Begrüßung, während er das Essen in der Mikrowelle warm machte.

„Ich glaube, ihm ist langweilig. Er terrorisiert die Schwestern“ Katsuya grinste bei der Erinnerung. „Wenn er gut gelaunt ist, kann er echt eine kleine Pest sein. Dabei hatte sie total recht. Er hat sich wirklich benommen …“ Er schüttelte den Kopf.

„Was hat er jetzt wieder angestellt?“

„Ähm … ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen sollte“ Katsuya versteckte sein Grinsen hinter einer Hand, während Yami nur eine Augenbraue hob. „Okay, er hat mich auf einem der Zimmer gevögelt.“

„In der Psychiatrie?“ Dessen Unterkiefer fiel runter, sodass sein Mund offen stehen blieb. Katsuya bestätigte das beschämt. „Ich weiß ja, dass Seto ziemlich wild sein kann, was Sex angeht … und je besser er gelaunt ist, desto komischer werden seine Anfragen … trotzdem …“

„Ehrlich gesagt … war das meine Idee“, gab der Blonde zu.

„Hast du sie noch alle?“ Yami schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Er hat echt keinen guten Einfluss auf dich. Ehrlich. Ich meine … okay, ich habe auch eine gewisse Anzahl von Schreibtischen und Clubtoiletten durch. Mit Seto auch schon die Umkleide seines Schneiders, seinen Wagen und einen Fahrstuhl, aber es gibt echt Grenzen. Er ist in der Psychiatrie, weil er alkoholsüchtig ist und einen Entzug braucht.“

„Letztes Mal hat er seinen Suchtberater flachgelegt. Und zwei Pfleger, einen Praktikanten und drei Mitpatienten. Der Suchtberater und ein Pfleger sind aufgeflogen. Die Schwester heute hat sich super darüber aufgeregt.“

„Ist ja auch völlig verständlich! Therapeuten dürfen zu Patienten keine persönlichen Bindungen aufbauen. Und Sex ist eine recht persönliche Bindung, wenn du mich fragst. Selbst als großer Fan von One-Night-Stands und bezahltem Sex ist mir klar, dass Sex nicht einfach nichts zwischen zwei Menschen ist. Seto mögen seine Eroberungen ja recht egal sein, der könnte wahrscheinlich zwischen zwei Therapiesitzungen seinen Psychiater vögeln und völlig ernst bleiben, aber die wenigsten Leute trennen Sex so hart von ihren Gefühlen.“

„Und was hat der Sex zwischen uns verändert?“, fragte Katsuya einfach mal dreist nach.

Yami stoppte mit offenem Mund mitten in der Bewegung. Sein Blick wandte sich langsam zu Katsuya, während sein Unterkiefer hoch gezogen wurde. Er leckte über seine Lippen und schluckte. Mit gesenktem Kopf wagte er eine Antwort: „Dass ich mich nicht mehr frage, was wäre, wenn … dass ich es weiß und abhake. Ich habe unter meine Gefühle für dich einen Strich gesetzt, dass es einfach nie sein wird.“

„Und?“ Da Yamis Kopf noch immer gesenkt war, schien das nicht alles gewesen zu sein.

„Ich sehe dich an und will in deinen Armen liegen. Ich berühre dich und wünschte, uns würde keine Kleidung trennen. Ich kann keine paar Minuten von dir wegbleiben, ohne dich nicht küssen zu wollen. Ich würde dich am liebsten einsperren und nicht mehr hergeben … aber dabei sage ich mir jedes Mal, dass du nicht mir gehörst. Und es auch nie wirst. Der zweite Teil ist eigentlich das Neue. Der erste war schon immer so.“

„Es tut mir Leid, dass ich nicht so für dich fühle“ Katsuya schluckte. Yami wäre echt der perfekte Freund. Er war stabil und zuverlässig, er vergötterte ihn und er würde sicher bald einen guten Job haben. Er wäre echt ein guter Mensch, um mit ihm ein Leben zu verbringen. Nur nahm Seto ihn einfach vollkommen ein. Er war kompliziert, labil, größenwahnsinnig in seinem Intellekt und sozial inkompetent – und doch liebte er ihn unglaublich. Es machte zwar keinen Sinn, aber er konnte sich gegen diese Gefühle kaum wehren.
 

„Wie war eigentlich deine neue Arbeitsstelle?“, wechselte Katsuya das Thema.

„Sehr interessant. Ich bin jetzt praktisch im Callcenter. Kundensupport und so. Den heutigen Tag habe ich das Manual gelesen, was es da so an Fragen und Antworten gibt und einige Gespräche mitgehört. Morgen nehme ich die selber entgegen, wobei aber noch ein richtiger Berater daneben sitzt und mir nebenher beibringt, wie das Programm funktioniert, was ich da eintragen muss und wie ich am besten mit manchen Kunden umgehe. Und ab übermorgen stehe ich dann allein. Allerdings sitzt mein Buddy direkt neben mir, sodass ich bei Nachfragen nicht suchen muss. Das ist ein weit angenehmeres Arbeitsklima. Und ich wurde heute sogar schon gelobt, weil ich bei den Gesprächen die entsprechende Antwort immer im Manual nachsah und mein Buddy auf eine Frage sonst die Antwort nicht gewusst hätte“ Yami servierte ihm sein Essen und legte ihm noch schnell Stäbchen dazu, bevor er sein eigenes in die Mikrowelle steckte. „Fang ruhig schonmal an.“

„Danke für das Essen“ Katsuya machte sich auch sofort darüber her – ohne Lunchbox hatte er heute echt hungern dürfen und dann der Sex … tja, das zehrte an den Energiereserven. „Würdest du mir ab morgen meine Lunchbox packen?“

„Sicher. Stell sie mir raus“ Yami lächelte ihm zu und beobachtete ihn, während er selbst noch wartete. „Wollen sie Seto eigentlich wirklich schon am Donnerstag wieder raus werfen?“

„Derzeit steht Freitag. Ich glaube, dabei bleibt es auch. Der Arzt will ihn wohl länger dahaben, aber die Oberschwester will ihn lieber früher als später wieder draußen wissen. Er selbst meint, er hat keine Lust, länger als Freitag zu bleiben. Eigentlich wollte er ja schon früher, aber man hat ihn wohl mit Engelszungen überzeugt, wenigstens einen Tag länger zu bleiben.“

„Der Kerl macht echt nur Ärger“ Der Ältere schüttelte mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck den Kopf. „Warum ist er überhaupt hin, wenn er eigentlich nur weg will?“

„Ich glaube, er braucht die Auszeit, um sich ein wenig über sich selbst klar zu werden. Und über seine Gefühle für mich. Und vielleicht sogar über dich. Ich glaube, sein Arzt hilft ihm da echt. Ich habe ihn noch nicht einmal über ihn schimpfen hören, obwohl er ja normalerweise nie ein gutes Haar an Leuten lässt. Und durch die Medikamente hat er praktisch keine Entzugserscheinungen mehr. Seine Hände zittern nicht einmal“ Katsuya hob seine eigene und ließ sie so zittern, wie Setos das am Sonntag getan hatte. „Vorgestern sah das echt schlimm aus. So stell' ich mir Parkinson vor.“

„Parkinson ist schlimmer“ Der Andere schüttelte den Kopf und nahm sein eigenes Essen aus der Mikrowelle. „Guten Appetit. Weißt du, was genau sie ihm geben?“

„Höh?“ Der Blonde blinzelte. „Yami, ich habe nicht den geringsten Schimmer. Schick' ihm 'ne SMS, der kann dir das sicher sagen. Er hat es mir heute auch gesagt, aber ich kann mir sowas sicher nicht merken. Ich weiß nur, dass er meinte, die würden ihn langsam machen und ich habe nicht den geringsten Unterschied bemerkt.“

„Bei Seto wäre es wahrscheinlich nicht einmal auffällig, wenn er nur die Hälfte seines IQs hätte. Er ist echt unglaublich, was das angeht. Wenn man ihn mit irgendwelchen Matheformeln erlebt, will man einfach nur wegrennen.“

„Mein Freundeskreis erstaunt mich immer wieder. Alle schwul, alle hochbegabt … ist irgendwie komisch“ Er schüttelte den Kopf.
 

„Mein liebster Katsuya, ich glaube, du unterliegst einer Täuschung. Du bist hochbegabt, Seto ist hochbegabt und vielleicht auch dieser Ryou. Aber sonst keiner. Ich weiß vielleicht viel, aber das heißt nicht, dass ich hochbegabt bin. Ich bin nur belesen. Es gibt einen Unterschied zwischen viel wissen und viel verstehen“ Yami nahm einen Happen der Nudeln, die er gemacht hatte. „Und ob die alle schwul sind, kann ich auch nicht unbedingt sagen. Seto ist schwul. Und mein Bruder auch, denke ich. Aber sonst?“

„Du nicht?“

„Eher nicht“ Er trank kurz etwas. „Ich dachte es zwar immer, aber ich merke in den letzten Tagen, dass ich mein Interesse an Frauen nicht vollständig verloren habe. Die eine Schnecke in der Abteilung ist schon ziemlich heiß“ Ein Grinsen legte sich auf seine Züge. „Und ich hatte ehrlich nicht das Gefühl, dass du schwul bist. Du hast dich zwar ziemlich in Seto verschossen, aber vor ihm haben wir auch schon über Frauen geredet. Erinnerst du dich an das Mädel, was bei einem deiner Messerkämpfe am Ring stand? Ich erinnere mich, dass du sie ziemlich gut fandest.“

„Das reicht aber nicht annähernd daran, wie heiß ich Seto finde. Wenn der ohne Shirt rum rennt, kann ich nirgendwo anders mehr hinsehen.“

„Ist ja auch Seto“ Yami zwinkerte. „Nein, jetzt mal ehrlich, empfindest du bei Frauen gar nichts? Oder nur sehr wenig? Oder findest du die auch erregend?“

„Schließt sich das nicht aus, wenn ich so auf Seto abfahre?“

„Du könntest bi sein. Ich bin auf jeden Fall bi. Männer machen mich zwar einen Tick mehr an, aber ich habe Frauen sicher nicht abgeschworen. Bakura hat mir mal gestanden, dass er auf Frauen steht. Er hat nur wenig für Männer übrig, weshalb die eigentlich eher eine Seltenheit bei ihm darstellen. Und Noah ist auf jeden Fall hetero. Deine Schwester auch. Homosexuell ist ein Zehntel der Bevölkerung, also ist das gar nicht so schrecklich ungewöhnlich, dass so viele etwas mit Männern anfangen. Seltener ist eher die Zahl an Hochbegabten, dass sind nur zwei Prozent“ Der Ältere zuckte mit den Schultern. „Du lebst halt am Rande der Gesellschaft. Da trifft man eher auf Randgruppen. Ein Inzestpaar, ein Stricher, eine minderjährige Mutter, ein psychisch ziemlich kranker Ganymedist – dein Umfeld besteht schon aus reichlich seltsamen Gestalten.“

„Ein Ganüwas?“

„Ein Kerl, der reihenweise andere Männer flachlegt. Der Gegenpart zum Don Juanist.“

„Und du bist kein Stricher mehr“, betonte Katsuya und kam damit auf das eigentlich Gesagte zurück.

„Wow, seit einer Woche. Na gut, streich' mich aus der Gleichung. Macht immer noch ein paar ungewöhnliche Gestalten. Hast du auch normale Freunde?“

„Noah? Ayumi?“ Obwohl, wer wusste, was die wohl hatte, dass sie gern bei Ryou und ihm rum hing – eigentlich hatte sie doch eine ganz ordentliche Clique. „Ich verstehe mich halt eher mit Menschen, die sensibel sind.“

„Und damit weißt du, warum du Hochbegabte und Randweltler im Freundeskreis hast“ Yami schien durch das Gespräch gar nicht wirklich zum Essen zu kommen. Sein Teller war erst halb leer. „Du kommst mit solchen Menschen einfach besser aus.“
 

„Morgen, Ayumi“ Katsuya nickte ihr zu, obwohl sie bei ihren Freundinnen saß – die ganze Gruppe drehte sich überrascht zu ihm. „Morgen, Ladies“ Er machte sich weiter zu seinem Platz und setzte sich neben Ryou. „Und morgen, Kleiner.“

„Bist du gut gelaunt oder so?“ Dieser warf einen unsicheren Blick zu den Damen. „Oder brauchst du eine Alibifreundin?“

„Nachdem ich der Klasse verkündet habe, dass ich schwul bin?“ Eine blonde Augenbraue hob sich. „Kaum. Aber ich wurde von der Notwendigkeit überzeugt, mehr durchschnittliche, als normal zählende Menschen kennen zu lernen.“

„Morgen“ Ayumi setzte sich zu ihnen und lehnte sich zu Katsuya rüber. „Was planst du?“

„Mehr Menschen kennen lernen. Was erwartet ihr denn alle von mir?“ Sein Ton klang leicht entgeistert.

„Und das machst du, indem du sie Ladies nennst und ihnen zuzwinkerst?“ Ayumi sandte Katsuya einen Blick, der fragte, ob er ein Idiot war. „Das sind junge Mädchen und du bist ein Kerl von über einem Meter achtzig Größe mit einem Gangsterimage. Wenn du nett zu ihnen bist, werden sie hundertprozentig auf dich fliegen.“

„Ich dachte, die halten mich alle für schwul?“ Katsuya wandte sich hilfesuchend an Ryou. „Welches Mädchen steht auf einen schwulen Kerl?“

„Jedes“ Sie sah ihn an, als käme er von einem anderen Stern. „Du hast von Anfang an alle von dir fern gehalten. Dann verkündest du plötzlich, dass du schwul bist. Aber langsam taust du auf. Die werden sich höchstwahrscheinlich sagen, dass du das nur behauptet hast, um in Ruhe gelassen zu werden, wenn alle merken, dass du ein ziemlich cooler Kerl bist“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Du bist genau der Typ gefährlicher Kerl mit weichem Kern. Wenn du plötzlich charmant wirst, werden die schneller an dir kleben, als du schwul überhaupt sagen kannst.“

Na klasse. Genau das, was er an Seto liebte, strahlte er jetzt auch aus? Harte Schale, weicher Kern und charmant, wenn er wollte, dass ihm alle verfallen? Er verdrehte die Augen.

„Ist nunmal so. Du bist dieser Ausnahmezustand von Kerl, dem alle Frauen zu Füßen liegen. Genau so wie Kaiba. Dem haben sie auch alle hinterher geseufzt“ Ayumi stützte den Kopf auf eine Hand. „Ihr passt schon gut zusammen. Ihr würdet nur überall gebrochene Herzen hinterlassen, wenn ihr single wärt.“

„Und das ist der Grund, warum wir gut zusammen passen?“ Katsuya hob beide Augenbrauen.

„Besser als kein Grund. Pass nur auf mit den Mädels. Gibst du denen den kleinen Finger, kannst du deinen Arm danach suchen gehen“ Ayumi nickte eindringlich und erhob sich wieder. „Ich setzte mich mal wieder zu ihnen und beantworte die erste Kanonensalve Fragen für dich.“

„Danke … ich wollte keinen Auftstand anzetteln“ Er kratzte sich am Hinterkopf.

„Ich wäre auch gern so männlich wie du“ Ryou sah sehnsüchtig zu den Mädchen hinüber. „Dann hätte ich mehr Selbstbewusstsein. Und mehr Durchsetzungsvermögen.“

„Was willst du denn durchsetzen?“ Sollte er? Sollte er? Wenn nicht jetzt, wann dann? „Macht dein Bruder nicht das, was du möchtest?“

„Hm? Doch, der schon. Aber wenn ich an manche Mitschüler oder Bekannte denke … wär' echt cool.“

Nun ja – Versuch war es wert gewesen.

Zweiter Tag

Ich bin so tot... hatte heute 106 Patienten. Und ein Konsulat -.- Und eine Liste von Ärzten zum durchtelefonieren. Das schafft echt. Ich will nur noch ins Bett.

Am Samstag geht es für mich nach Ghana, demnach gibt es Montag kein Kapitel. Darum gibt es bei SOLDIER auch keins - und durch den heftigen Arbeitstag heute leider auch keins. Ich wünsche also viel Spaß mit diesem Kapitel. Es ist das letzte, bevor ich (hoffentlich) wieder da bin.

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya verabschiedete sich von dem freundlichen Taxifahrer, mit dem er die letzte Stunde gequatscht hatte und ging die wenigen Meter zur Klinik hinauf. In der Eingangshalle winkte er wie auch gestern der Dame am Empfang zu – und setzte heute noch ein Zwinkern obendrauf – und machte sich die Treppe hoch. Auf dieser kam ihm eine alte Dame mit Buckel entgegen, die mit sich selbst zu reden schien. Er konnte nicht viel ausmachen, aber die Worte töten und schuldig wiederholte sie öfters.

Schizophrenie.

Zumindest, wenn er das jetzt richtig gelernt hatte. Egal, sie sah ziemlich irre, aber nicht gefährlich aus. Er ging einfach weiter und sie passierte ihn, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Alles gut. Er atmete trotzdem tief durch, als sie ein paar Meter weg war. Nun ja, zumindest konnte er sicher sein, dass jemand kam, wenn er schrie. Er erreichte die zweite Etage und drückte die Tür ohne Probleme auf – sie war wirklich nur von innen zugesperrt. Ob das früher anders gewesen war? Seto hatte schließlich geklingelt. Oder wurde während der Besuchszeiten aufgesperrt?

Er warf einen Blick in den Pflegestützpunkt, wo Schwester Martha ihn wohl im Augenwinkel gesehen hatte und aufmerkte. Sie winkte ihn herein und ging zur Tür, um diese zu öffnen. Schulterzuckend kam er herüber und wurde von ihr herein gelassen.

„Guten Nachmittag. Nehmen Sie doch kurz Platz“, bat sie ihn und deutete auf den Tisch mit Stühlen im Hintergrund.

„Ist irgendetwas mit Seto?“

„Er ist noch in seiner Therapie. In einer Viertelstunde hat er aus“ Sie ließ ihre Arbeit liegen und setzte sich ebenfalls zu ihm. „Ich würde gerne mit Ihnen über ihn sprechen.“

„Öhm ... gut“ Katsuya zuckte mit den Schultern. War sie immer noch sauer wegen gestern? Wahrscheinlich wollte sie es bei ihm versuchen, wo Seto schon kein Stück auf sie hörte.

„Wie lange sind sie mit Herrn Kaiba schon zusammen?“

Vier Tage, wenn man es genau nahm. Er antwortete stattdessen: „Drei Monate.“

„Und sie sind verlobt?“ Die Stirn der sicher über sechzig Jährigen legte sich in Falten. „Finden Sie das nicht recht ... kurzfristig?“

„Seto hat mich nach zwei Monaten Beziehung gefragt. Ich bin seine längste Beziehung bisher“ Wohin ging dieses Gespräch? Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Dass ich ihm bis dahin noch nicht weggelaufen war, lässt ihn hoffen, dass ich ein ganzes Leben mit ihm durchhalte. Und daher versucht er mich mit allem zu binden, was er hat“ Die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich. „Ich lasse das gern zu. Ich will nämlich auch nicht weg von ihm. Auch wenn er reichlich kompliziert ist.“

„Sie sehen das überraschend realistisch für einen jungen Mann“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Respekt mit. Anscheinend hatte sie eine andere Antwort erwartet.

„Ich weiß, woran ich bei ihm bin. Er versucht die Situation erst gar nicht schönzureden. Er wird nie gesund sein, wahrscheinlich wird seine Seele für immer gespalten sein, die Gefahr eines Rückfalls sowohl mit Alkohol als auch mit SVV wird auch immer bleiben“ Katsuya steckte die Daumen in seine Hosentaschen. „Ich bin jung, aber ich bin nicht dumm.“

„Herr Kaibas Arzt hat sich Sorgen gemacht. Herr Kaibas Einschätzungen der Situation sind nicht immer akkurat, deswegen wollte er gern auch die andere Seite hören. Ich sollte Sie also mal aushorchen und schauen, ob es sinnvoll wäre, Sie zu einem Einzel- oder Paargespräch zu bitten.“

„Wenn es Seto hilft, mach' ich gern alles Mögliche.“

„Ich richte es dem Arzt aus.“

„Danke“ Der Blonde erhob sich.
 

„Da wäre noch eine Sache“ Ihr Ton war schärfer geworden.

Katsuya seufzte und setzte sich wieder hin. Klasse – jetzt kam die Standpauke wegen gestern. Tja, mit ihm konnte man das wohl einfacher als mit Seto.

„Wegen gestern“ Oh Wunder. „Ich weiß, dass Herr Kaiba nie auf mich hören wird. Aber so etwas in der Psychiatrie ... das geht wirklich nicht.“

„Wenn sie ihm zwei bis drei Stunden Ausgang geben, wird er mich in irgendein Hotel in der Nähe entführen“ Was fraglos bequemer war, als das Bad eines Psychiatriezimmers. „Er wird nicht von mir ablassen. Auch nicht bis Freitag. Ich weiß nicht, ob sie ihn auf Sexentzug kennen, aber er kann ziemlich schlechte Laune kriegen.“

„Würden Sie sagen, er ist sexsüchtig?“ Die Schwester änderte ihren Ton vollkommen. War sie vorher noch vorwurfsvoll gewesen, wurde sie jetzt vorsichtig. Daran hatte sie anscheinend vorher nicht gedacht sondern sich nur geärgert.

„Vielleicht“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Aber es stört außer Ihnen keinen. Weder ihn noch mich. Mit genug Sex wirkt er fast normal. Seine gute Laune ist einfach göttlich“ Er grinste bei der Erinnerung an gestern. Marthas hochrotes Gesicht war klasse gewesen.

„Wenn Sie erlauben, berichte ich das seinem Arzt. Wissen Sie, sein Verhalten gestern Nachmittag wollte mir den ganzen Abend nicht aus dem Kopf gehen. Das, was sie da gute Laune nennen – das habe ich vorher noch nie erlebt. Erst recht nicht vor fünf Jahren, als er das erste Mal hier war. Herr Kaiba ist schon immer sarkastisch, herablassend und teilweise aggressiv gewesen, aber gestern wirkte er einfach nur wie ein frecher Junge. Ich war wirklich sauer, aber als Strafe wollte ich ihm den Pudding zum Abendessen streichen, wenn sie verstehen, was ich meine.“

„Setos Kinderpersönlichkeit ist sehr einnehmend. Er ist ein sehr braves und liebes Kind, wenn er mal in Reinform auftaucht“ Katsuya lächelte in süßer Erinnerung. „Mit genug Sex entspannt er sich so sehr, dass seine Kinderpersönlichkeit und sein erwachsenes Ich verschmolzen auftauchen. Und dann ist er genau der Frechdachs, den sie gestern gesehen haben.“

„Verstört Sie das nicht?“ Die Oberschwester wich ein wenig zurück.

„Wenn mein Partner nach dem Sex zu einem Kind wird? Das ist verdammt verstörend, ja“ Aber auch irgendwie süß. Er mochte sie ja irgendwie alle – den zärtlichen, erwachsenen Seto, den Frechdachs und Klein-Seto. „Er wird auch zu einem Kind, wenn er sich sehr entspannt und bei mir, wenn seine erwachsene Seele überfordert ist. Er weiß, dass ich mit seiner Kinderseele gut umgehe. Und da er als Kind Liebeserklärungen problemlos einfordern kann, während er als Erwachsener eher aggressiv wird als mich um einen Kuss zu bitten, habe ich ab und an halt ein kleines Kind im Haus“ Sein Mund schien schneller als sein Kopf. Er hatte noch nie das Gefühl, dass ihm das so klar gewesen war. Doch als er das jetzt aussprach, wusste er gleichzeitig, dass es mehr als richtig war.

„Mein Mann benimmt sich auch manchmal wie ein kleines Kind, aber ich vermute, dass ist nicht mit dem zu vergleichen, was sie erleben“ Ihre Züge schienen nachdenklich. „Ich kann mir Herrn Kaiba nicht als Kind vorstellen.“

„Wahrscheinlich kennen Sie auch nur seine Erwachsenenseele. Das gestern war das erste Mal, dass sie einen Hauch einer seiner anderen Seelen erlebt haben, richtig?“
 

„Erzählen Sie mir davon“ Sie lehnte sich vor, dass Gesicht offen und neugierig. „Der Arzt hat gesagt, dass Herr Kaiba eine gespaltene Persönlichkeit hat, aber keiner hier kann sich darunter etwas vorstellen. Selbst der Arzt gibt zu, noch nie eine andere Person als den Seto Kaiba kennen gelernt zu haben, den wir alle kennen. Er hat mehr als einmal an seiner Diagnose gezweifelt.“

„Die Diagnose stimmt“ So viel konnte er sagen. Yami sagte das mittlerweile auch und wenn Yami das sagte, stimmte es. Wenn Seto also nichts mehr vor ihnen versteckte – was nicht wahrscheinlich schien – dann war das alles so richtig. Posttrauma und mit gespaltener Seele, dazu ein paar Süchte. „Wie erkläre ich das am besten?“ Mit einem Beispiel, mit was sonst? „Am Sonntag hatte Seto Entzugserscheinungen. Er wollte einen kalten Entzug durchziehen. Seine Hände zitterten und er rauchte Kette.“

„Den Zustand kenne ich sehr gut“ Schwester Martha nickte.

„Er hat mich nicht unbedingt zum Sex gezwungen, aber sagen wir, es war nicht ganz so angenehm wie sonst“ Wahrscheinlich genau das, wie sich die meisten Leute Sex mit Seto Kaiba vorstellten, wenn sie ihn sahen – hart, herrisch, kalt. „Danach war er komplett Kind. Er wollte wissen, ob ich ihn noch lieb habe und als er sich wieder sicher fühlte, wollte er, dass ich ihm Spagetthi koche. Zwei Sekunden später wollte er in der Badewanne planschen. Von Entzugssymptomen nichts zu sehen.“

In ihren Gesicht stand so viel Verwirrung wie Unglaube. Aber sie schwieg.

„Ich weiß nicht, ob Sie sich so einen Zwei-Meter-Kerl planschend und fröhlich lachend in einer Badewanne vorstellen können. Ich habe verzweifelt versucht, alles in seiner Griffweite zu retten, bevor es eingeschäumt und durchs Wasser gezogen werden konnte. Selbst die Decke tropfte nachher. Danach ist er mit Bademantel und pinken Hello-Kitty-Socken durch das Haus gelaufen.“

Aus dem Unglauben wurde Entsetzen.

„Nun ja, er ist halt ein Kind“ Katsuya zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend. „Aber wenn sie jetzt so schauen, können Sie sich vorstellen, wie Seto reagierte, als seine erwachsene Seele wieder aufwachte und sich in diesem Outfit vorfand. Er hat vor sich selbst so eine Art Ekel und Abscheu empfunden.“

Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Die Schwester sah ihn an, als würde sie erwarten, dass er weiter sprach. Oder vielleicht lachte und sagte, es sei alles ein Scherz. Wer wusste das schon. Sie atmete einmal tief durch und fragte: „Und ... diese Umschläge ... die passieren von einer Sekunde auf die andere? Ohne Vorwarnung?“

„Nun ... ja, so ziemlich“ Von ihrem Blick ausgehend, würde er raten, dass sie erwartete, dass er gleich in Tränen ausbrach und sagte, wie schlimm das war. „Die Wechsel kriege ich gar nicht mit. Aber die Gesten und Worte sagen mir meist in wenigen Sekunden, mit wem ich es gerade zu tun habe“ Er fuhr sich durch das Haar. „Wer gerade wie draußen ist, das folgt auch einem Muster, aber ganz durchblickt habe ich das noch nicht. Ich hatte noch nicht so viel Zeit mit ihm, dass ich sagen könnte, ich würde Seto wirklich verstehen.“

„Sie scheinen mir mehr zu verstehen als alle anderen. Sogar mehr, als die Literatur her gibt. Andererseits sehen Sie das auch aus einer ganz eigenen Perspektive“ Sie sah weg und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf meine alten Tage noch mal so viel lerne. Sie wissen vielleicht, dass Herr Kaibas Krankheitsbild sehr selten ist“ Sie ließ eine kurze Pause, in der er nickte. „Es gibt nur eine Hand voll Therapeuten im ganzen Land, die etwas über dieses Krankheitsbild wissen und damit umgehen können. Unser Arzt hat auf seiner alten Arbeitsstelle mal darüber gelernt, aber wirklich darüber Bescheid wissen, tut er nicht. Das gibt es auch selbst zu. Er sagt, er kann Herrn Kaiba unterstützen, aber nicht therapieren.“
 

„So lang Seto das reicht“ Katsuya lächelte. „Er kann sehr gut selbst entscheiden, was er braucht. Wenn er einen Therapeuten will, wird er einen suchen.“

„Aber ... glauben Sie nicht, dass er ... dass man Herrn Kaiba da an die Hand nehmen sollte? Er klingt nicht so selbstständig, wenn ich ihre Worte bedenke.“

„Er ist vollkommen selbstständig und erwachsen“ Es klopfte an der Scheibe und beide wandten ihr Gesicht, nur um Seto dort angelehnt zu sehen – einen bildhübschen Zwei-Meter-Kerl, der Schwester Martha mit kalten Augen anfunkelte. „Zu einem ganzen Drittel seiner Seele.“

„Ich versuche gerade, ihn mir beim Planschen vorzustellen“ Sie erhob sich und seufzte. „Aber ich bin wohl zu alt und festgefahren, um so etwas auch nur zu phantasieren.“

„Ich glaube, das liegt nicht am Alter. Das liegt an ihm“ Auch Katsuya stand auf und stellte sich schonmal innerlich auf einen relativ aggressiven Seto ein.

„Sie haben kein Recht, ihn an meiner statt anzufahren“ Die Tür war nur einen Millimeter offen, schon stand Seto drinnen und sah hasserfüllt auf die ältere Dame hinab.

„Schatz, lass die arme Frau. Sie hat mir nichts getan“ Katsuya ging sofort dazwischen und legte einen Arm um Setos Brust. „Wir haben uns nur unterhalten.“

„Worüber?“ Der kalte Blick schwenkte auf ihn um. Klasse. Ein unsicherer, verängstigter Seto, bei dem das TI durchschlug. Hoffentlich konnte er ihn beruhigen. Wenn er hier gewalttätig wurde, würden sie ihn sicher nicht Freitag wieder nach Hause lassen.

„Dass ich glücklich mit dir bin und du gut zu mir“ Katsuya konnte sich direkt vor ihn stellen, da Martha zurück gewichen war. „Dein Arzt plant anscheinend, mal mit mir zu reden, um von einem Außenstehenden zu hören, wie du dich so verhältst. Sie hat nur gefragt, ob ich das machen würde.“

„Das hat ihn nichts anzugehen. Wenn er mir nicht glaubt, ist das sein Problem“, knurrte Seto, „du wirst hier gar nichts erzählen.“

„Wie du willst“ Ob Seto sauer sein würde, wenn er in einer ruhigen Minute erzählte, was er erzählt hatte? „Kriege ich einen Begrüßungskuss?“

Setos kalter Blick durchbohrte ihn, schwenkte nach einem Moment zu Martha und zurück – aber er hatte wohl das Glück, dass Seto ihm vertrauen wollte. Er beugte sich das kleine Stück hinab und legte seine Lippen auf Katsuyas. Und so einfach ließ dieser ihn auch nicht mehr gehen. Er schob seine Zunge vor und fesselte sein Verlobten so einen längeren Moment an sich.

Und ganz wie geplant lächelte Seto ein klein wenig, als sie sich wieder trennten. TI gebannt. So langsam lernte er auch die kleinen Zeichen zu deuten. Katsuya kraulte ihm dafür den Nacken und Seto legte die Arme um ihn.

„Schwester Martha hat nach deinen verschiedenen Persönlichkeiten gefragt, weil du hier ja nur dein ANP raus kramst und teilweise dein TI durchscheinen lässt“ Die anscheinend normale Persönlichkeit, der erwachsene Seto und TI, das Täterintrojekt, Setos aggressive und ängstliche Seite. „Sie war ganz geschockt, als sie gestern mal etwas deine Kinderpersönlichkeit kennen gelernt hat.“

„Die kommt ja auch nur in deiner Nähe raus“ Hach, gezähmte Drachen waren doch etwas Schönes. Seto küsste seine Stirn, unter seinem Auge und auf seine Lippen. „Und wenn man mich hier nicht spielen lässt ...“

„Deine Art zu Spielen ist aber nicht die deines Kinder-Ichs“ Katsuya grinste und wandte sich in Setos Armen um, um Schwester Martha anzusprechen. „Und, kriegen wir Ausgang?“

„Das ...“ Sie sah auf ihre Uhr. „Dafür ist es leider zu spät.“

„Also was machen wir?“ Die Frage richtete er ganz klar nicht an Seto, der hinter ihm stand, sondern an die Oberschwester vor ihm.

Sie schürzte die Lippen und atmete tief durch. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und öffnete eine Schranktür, während sie murmelte: „Ich fasse nicht, dass ich das tue ...“

Katsuya grinste. Seto schien völlig zufrieden, von hinten sein Haar zu küssen.

„Der PMR-Raum ist der letzte auf der linken Seite. Immer den Gang runter“ Sie deutete dahin, wo eine Etage tiefer das Arztzimmer gewesen war.

„Danke“ Katsuya nahm den Schlüssel von ihr entgegen und zog den noch unwissenden Seto hinter sich her.

Liebe und Laster

Zurück aus Ghana :) In einem Stück und unverhaftet. Ganz im Gegenteil, drei neue Verehrer und ein Heiratsantrag. Das Positionspapier ist leider nicht durchgekommen, aber die Resonanz war trotzdem klasse. Alles redete über Homosexualität - auch die Iraner und Sudaner. Die Europäer und Amerikaner waren völlig geschockt über die unglaubliche Abwehr und die Zustände in anderen Teilen der Welt. Jeder ist motiviert, etwas zu verändern. Sehr gute Voraussetzungen :)

Zum Schreiben bin ich natürlich überhaupt nicht gekommen, aber zum Glück sind ein paar Kapitel vorgeschrieben ^.- Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ich fasse es nicht ... nein, ich fasse euch nicht“ Yami schüttelte den Kopf. „Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“

„Warum? Sie hat es doch offiziell erlaubt. Und wir haben alles sauber gelassen und nachher sogar gelüftet. Ehrlich, man hätte fünf Minuten später nicht gewusst, was wir gemacht haben“ Katsuya grinste. „Du hättest Seto sehen sollen, nachdem er kapiert hat, was ich Schwester Martha da abgequatscht habe. Und sein Zimmerkollege, als ich die Kondome und das Gleitgel aus seinem Nachttisch holte – einmalig!“

„Ihr seid doch nicht mehr zu retten“ Yami, der nie aufgehört hatte, mit dem Kopf zu schütteln, wandte sich dem Essen zu. „Ehrlich, Setos Sexsucht ist legendär, aber dass du das jetzt mitmachst ...“

„Wenn ich sehe, wie gut es ihm danach geht, kann ich gar nicht anders. Und Spaß macht es auch. Ganz abgesehen davon, was das für ein Hauch des Verbotenen ist ... selbst, wenn es erlaubt ist.“

„Und mit welcher Laune ist er danach rumgeturnt?“ Hieß wohl, welche Person er nachher gewesen war.

„Der Frechdachs. Ich habe ihn bei Schwester Martha vorbei geschickt, damit er ihr den Schlüssel wiederbringt. Auch der zweite Tag hat sie völlig entgeistert zurückgelassen.“

„Ziel erreicht oder was?“ Yami schwang den Kochlöffel und rührte im Topf um. „Und was planst du für morgen? Es im Pflegestützpunkt zu tun?“

„Anscheinend will Setos Arzt mit mir reden. Er wüsste gern, wie Seto sich im Alltag verhält“, erwiderte der Blonde mit vollem Ernst, „was meinst du ... kann ich dem alles sagen oder sollte ich etwas verschweigen?“

„Frag Seto. Das muss er entscheiden. Wenn er seinem Arzt vertraut, wirst du ihm sicher alles sagen dürfen. Aber wenn er nicht will, solltest du seinen Wunsch berücksichtigen.“

„Also entscheidet Seto?“

„Ist das Beste“ Yami warf einen Blick über die Schulter. „Es ist sein Leben. Also ist es seine Entscheidung.“

„Na gut“ Katsuya seufzte. „Weißt du ... Martha das alles zu erzählen, das hat mir erst klar gemacht, wie verrückt die Situation eigentlich ist. Für mich ist es ganz normal, dass mein Freund manchmal zu einem Kind wird. Oder dass er sehr schnell Angst kriegt und deswegen aggressiv ... das ist alles nicht so schrecklich ungewohnt für mich“ Er zog ein Bein an, stellte es auf den Sitz und hielt es mit beiden Armen. „Aber Martha war ganz entsetzt. Und als Seto sich wutentbrannt vor ihr aufgestellt hat, sah sie aus, als würde sie den Panikknopf suchen. Dabei wollte er nur hören, dass alles in Ordnung ist und ich ihn lieb habe. Und dass sie mir nichts getan hat, wovor er mich hätte schützen können.“

„Das Leben mit einem psychisch kranken Menschen ist für viele ein Mysterium. Es ist gar nicht schwer, wenn man sich auf die verquere Logik einlässt, aber Einlassen muss man sich. Man muss es einfach mal mit offenen Ohren und Augen probieren“ Yami stand noch immer mit dem Rücken zu ihm und rührte. „Es wird nur abgelehnt, weil es manchen einfach zu schwer erscheint. Oder sie versuchen es, aber wollen den anderen gar nicht verstehen sondern ändern. Du bist an die Sache ganz richtig dran gegangen. Du wolltest Seto nicht anders sondern genau so. Launisch, kompliziert, manchmal aggressiv und abwertend, aber meistens unglaublich lieb und fürsorglich.“
 

Lieb und fürsorglich ... Seto konnte echt ein Engel sein. Aber launisch und sarkastisch war er auch cool. Als Frechdachs ebenso. Auf das Kind stand er natürlich nicht, aber lieb hatte er es allemal. Seto war einfach so vielfältig – gerade das liebte er. Es war eine Herausforderung, die zu einem angenehmen Zustand geführt hatte.

„Andererseits habe ich den verletzten Seto nur eine einzige Woche ausgehalten, danach konnte ich nicht mehr. Was sagt denn das jetzt? Gibt nicht unbedingt die beste Prognose, oder?“

„Sagt, dass du entweder resistenter oder durchsetzungsfähiger werden musst. Seto gehört zu den Menschen, die sich in ihre Wut auch hineinsteigern können. Bisweilen muss man ihn einfach aus dem Kreislauf rausholen“ Der Stehende drehte sich etwas zu ihm. „Außerdem war das ja wohl auch eine ziemliche Extremsituation. Ich habe Setos komplettes Vertrauen verloren und er hatte Angst, dich ebenso zu verlieren. Ich denke nicht, dass es zwischen euch beiden noch einmal so heftig wird.“

„Sag mal, Yami ... meinst du, ihr werdet euch wieder vertragen?“

Dieser seufzte nur und wandte sich ab. Eine ganze Weile gab er keine Antwort, aber Katsuya wollte dem Thema auch nicht ausweichen. Also schwieg er. Früher oder später würde Yami das Schweigen brechen, das wusste er. Er brauchte nur einen Moment – was sich auch bewahrheitete: „Ich weiß es nicht. Solange er in mir einen Rivalen um deine Liebe sieht, wird er mich meiden. Andererseits lässt er dich herkommen … ich weiß nicht, ob er sich zwingt, dir zu trauen oder ob er auch langsam versteht, dass du nicht aus Lust mit mir geschlafen hast. Wenn er das Zweite glauben kann, werden wir uns wieder annähern können. Aber Zeit wird es sicher brauchen. Und er hat jetzt auch Noah, dem er mehr vertraut als früher … eigentlich braucht er mich nicht mehr. Unsere Verbindung wieder zu knitten, das kostet nur Kraft. Ich glaube nicht, dass er die aufbringen will.“

„Aber er hat dir vertraut“ Katsuya verschränkte die Arme und legte seinen Kopf darauf. „Sehr.“

„Vergangenheitsform“ Der Andere schüttelte den Kopf. „Ab dem Moment, wo er wütend auf dich war, wusste ich, dass er dir wieder vergeben würde. Und dass ihr wieder zusammen kommen würdet“ Er blieb dem Kochtopf zugewandt und rührte. „Wenn man Seto verletzt, dann beendet er den Kontakt. So hat er das mit Noah gemacht. Zwischen denen lief jahrelang einfach nichts außer höflichem Kontakt und gelegentlichem Sehen aus geschäftlicher Notwendigkeit. Mit meinem Bruder ebenso – glaubst du, der hat sich in den letzten Wochen je bei dem gemeldet? Und jetzt ich. Du bist der einzige, den er nicht einfach auf nimmer Wiedersehen aus seinem Leben geworfen hat. Er wollte dir verzeihen, von Anfang an. Sonst hätte er dich einfach vor die Tür gesetzt.“

„Und weil Seto dich einfach meidet statt wütend zu sein, glaubst du, dass er dich nicht mehr will?“

„Was sollte ich sonst denken?“

„Dass er will, dass du auf ihn zukommst?“ Darüber musste Katsuya nicht einmal nachdenken, so schnell schoss es von seinen Lippen. „Du hast ihn verletzt, indem du mit mir geschlafen hast. Wahrscheinlich will er eine Entschuldigung.“

Yami drehte sich um und blinzelte überrascht.

„Was?“ Der Blonde legte den Kopf schief.

„Ich … ich denke, ich werde Seto nie wieder vorwerfen, dass er kompliziert denkt. Auf diese einfache Lösung bin ich nicht gekommen.“

„Dich einfach zu entschuldigen?“

„Manchmal sehe auch ich den Wald vor lauter Bäumen nicht“ Yami schüttelte seufzend den Kopf. „Echt, ich bin doch ein Idiot … danke, Katsuya. Ich weiß schon, warum ich gern dein Freund bin. Du bist einfach und direkt.“
 

Das war unerwartet einfach gewesen. Setos Arzt hatte wohl schon mit Martha gesprochen, hatte ein paar der Sachen, die er ihr erzählt hatte, nochmal hören wollen und eine handvoll Fragen gestellt. Vor allem darüber, wie er mit der Situation zurecht kam. Anscheinend war er irgendwie außerordentlich verständnisvoll oder so etwas – auch der Arzt war überrascht gewesen, wie gut er damit klar kam und wie wenig belastet er sich fühlte. Andererseits hatte er auch nicht die volle Wahrheit gesagt. Er hatte nicht erwähnt, wie sehr es ihm zugesetzt hatte, dass Seto zum Alkohol gegriffen hatte – damit verband er sehr viele schlechte Erinnerungen. Vor allen Dingen war es darum gegangen, wie er sich um Seto kümmerte – an keiner Stelle hatte mal jemand gefragt, wie sehr Seto sich um ihn kümmerte. Denn auch wenn er immer mal wieder etwas tat, wenn Seto zum Kind wurde oder Dissoziationen hatte, so war es doch eigentlich hauptsächlich so, dass Seto für ihn da war. Zumindest empfand er das so. Wenn er nur daran dachte, wie Seto die Gerichtsverhandlung mit ihm durchgestanden hatte und die Zeit danach … ihre Reise, die er nur für ihn gemacht hatte. Er war Seto so unendlich dankbar. Er hatte nicht das Gefühl, dass er das irgendwie je wieder aufwiegen könnte.

Und wenn Seto nicht gerade sauer war, dann lernte er mit ihm, half ihm bei den Hausaufgaben, spielte mit ihm, auch wenn er eigentlich lieber lesen wollte und machte andauernd die Eskapaden mit Ryou … na ja, vor allem mit Bakura mit. Jeder andere hätte ihm einfach gesagt, dass er sich von den beiden fernhalten sollte.

Seto hingegen lud sie ein, band sie in ihr Leben mit ein. Okay, er schien sich mit Bakura auch irgendwie zu verstehen, aber … trotzdem, von selbst würde er sich mit keinem von beiden etwas zu tun haben wollen. Seto hatte einfach noch nie nein gesagt. Er machte alles, was Katsuya wollte. Nicht immer ganz so, wie er es wollte, aber er war einfach unglaublich zuverlässig. Die Hälfte seiner Wünsche las er Katsuya von den Lippen ab, kannte sie teilweise, bevor er sie selbst erkannte.

Wahrscheinlich würde das irgendwann selbstverständlich werden, wenn sie einen Alltag hatten. Das hatte Yami ihm mal erklärt – das Leute vergaßen, was sie am anderen hatten, wenn sie sich lange kannten. Aber er hoffte einfach, dass das niemals so werden würde. Dass Seto immer sein kleines, persönliches Wunder bleiben würde. Denn Seto war ein Wunder für ihn. Er hatte nicht das Gefühl, dass er jemals wieder jemanden finden könnte, der so gut zu ihm passte – egal, wie viele Macken sein Freund nebenher hatte. Seto war einfach mitreißend. Seto war eine Persönlichkeit. Seto war einfach … Seto. Das konnte man nicht beschreiben. Das passte einfach.

Auch, wenn Seto manchmal echt schwierig war. Aber schwierig war er selbst auch. Wenn er schlechte Laune hatte, rannten die Leute vor ihm weg. Er wurde böse, gemein und gewalttätig. Yami war der einzige, der das je ausgehalten hatte. So wie er der einzige war, der Yami je wirklich ausgehalten hatte. Jeden Freier, jeden Anfall danach, jeden Nervenzusammenbruch. Er hatte sich vor Yami geekelt, hatte auf ihn herab gesehen, aber er hatte ihn trotzdem nicht allein gelassen. Und vor allem hatte er nicht ausgenutzt, dass sich Yami ihm angeboten hatte. Als einziger. Er war wirklich der einzige, der Yami je als Mensch gesehen hatte.

Außer Seto. Seto hatte das auch. Er hatte zwar mit ihm geschlafen, aber er hatte Yami auch wertgeschätzt. Als Freund. Als Menschen. Er hatte es zwar nie zugeben wollen und sich wie die Axt im Walde verhalten, aber auch er hatte Yami gemocht. Es hatte ihm sicher sehr weh getan, dass Katsuya ihn gerade mit Yami betrogen hatte. Die beiden hatten sich über anderthalb Jahre gekannt, bevor Katsuya dazwischen gekommen war. Anderthalb Jahre waren eine Menge Zeit, um sich kennen und mögen zu lernen – auch wenn oder vielleicht gerade weil sie kaum Worte wechselten.
 

„Müsstest du nicht bald all deine Packungen aufgeraucht haben?“

„Der Klinikshop verdient gut an mir“ Seto wandte sich ein Stück zu ihm. „Was hat Doktor Kowa alles gefragt?“

„Wer deine drei Persönlichkeiten so sind, worin sie sich unterscheiden, wann wer auftaucht, ob es da bestimmte Trigger gibt und wie ich damit so zurecht komme. Vor allem, wie ich damit zurecht komme. Er scheint ziemlich besorgt um dich. Ist ein netter, alter Mann.“

„Früher war er Oberarzt“ Seto blies den Rauch zur Seite, damit er Katsuya nicht traf. „Vor zwei Jahren hatte er einen Schlaganfall. Danach wollte er lieber wieder einfacher Stationsarzt sein und hat sich zurückstufen lassen“ Er drückte die Zigarette aus, obwohl sie noch drei Zentimeter vom Filter entfernt lang war. „Nicht viele Ärzte lassen sich freiwillig zurückstufen. Aber er wollte mehr Zeit für seine Patienten. Ihm war das zu hektisch, ein Oberarzt zu sein. Ich finde das sehr bewundernswert … ich könnte das nicht. Freiwillig eine niedrige Position annehmen. Das würde meinem Stolz zu sehr wehtun.“

„Aber hast du das nicht schon?“ Katsuya trat näher und legte die Arme um dessen Taille. „Du warst Firmenchef der Kaiba Cooperation. Und du hast alles deinem Bruder geschenkt. Einfach so, inklusive Geld. Du bist stattdessen Lehrer geworden. Und jetzt wärst du gern Spieleprogrammierer. Trittst du nicht immer weiter zurück, um mal das zu machen, was dir wirklich Spaß macht?“

„Nun … sagen wir, ich wechsle die Branche“ Seto legte die Arme locker auf Katsuyas Schultern, aber zog ihn nicht näher. „Das kann ich vor mir selbst verantworten.“

„Und du willst einen Künstler heiraten“ Beide blonden Augenbrauen hoben sich. „Eines Tages sind wir arm wie Kirchenmäuse.“

„Quatsch“ Seto schnaubte. „Sollten wir jemals in Bedrängnis kommen, nehme ich mir ein paar Tage frei und vertiefe mich in die Börse. Du weißt doch, ich kann Geld innerhalb weniger Tage verzehnfachen.“

„Ich weiß nicht, ob ich Börsenspekulation als Notfalllösung bei Finanzproblemen als sinnvoll erachte“ Katsuyas Stirn hatte sich in Falten gelegt. „Auch wenn ich nicht den blassesten Schimmer davon habe.“

„Ich bring' es dir irgendwann bei“ Auf Setos Lippen legte sich ein Lächeln. „Und mit meinem Gespür ist Börsenspekulation eine sichere Anlage. Ich mag mich ja allgemein ziemlich scheiße finden, aber ich weiß schon, was ich kann.“

„Mich lieb haben“ Der Jüngere streckte sich etwas und setzte einen Kuss auf dessen Lippen. „Das kannst du gut. Dafür hast du ein Talent.“

„Ah ja“ Seto schmunzelte. „Und was hast du vor, Martha heute zu sagen, damit ich dich ein wenig lieb haben kann?“

„Warum Martha, wenn ich deinen Arzt fragen kann? In seinem Büro steht eine wunderbare Liege“ Katsuya erwiderte den Gesichtsausdruck mit einem Grinsen.

„Nicht im Ernst“ Sein Freund lehnte sich zurück und sah ungläubig auf ihn hinab. „Ich traue dir einiges zu, aber das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Und wenn doch?“

„Dann … nein. Du scherzt. Dazu würde Doktor Kowa nicht ja sagen. Nein, du würdest die Frage nicht einmal stellen. Nicht ihm. Du bist dreist, aber nicht so dreist“ Trotzdem sah Seto nicht ganz überzeugt von seinen eigenen Worten aus. Er traute ihm das also nicht zu?

„Nein, bin ich wirklich nicht“ Katsuya schloss seine Umarmung und drückte sich so gegen Setos Brust. „Der arme Mann hätte noch einen Herzinfarkt bekommen. Selbst das gestern war mehr … eigentlich wollte ich Martha nur ärgern und etwas lockern. Sie hatte so Angst vor dir. Ich hätte nie gedacht, dass sie wirklich irgendeinen Schlüssel raus rückt.“

Seto lachte lautlos und schüttelte den Kopf. Mit einer Hand strich er über das blonde Haar, zog Katsuyas Kopf etwas in den Nacken und küsste ihn auf die Stirn.

Normale Menschen

Ich will mehr Zeit zum Schreiben T.T Es juckt mir unter den Fingern, aber ich kann nicht... das ist so gemein! Gebt dem Tag mehr Stunden!

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Du hast vielleicht etwas angestellt“ Ayumi seufzte tief und ließ sich neben ihm auf dem Pult nieder. „Die Mädchen fragen immer noch nach dir. Sie wollen mit dir Karaoke singen gehen. Und ich soll dich fragen, ob du eine Freundin hast“ Sie legte sich praktisch über das Pult, sodass sie auf verschränkten Armen gestützt auf seiner Augenhöhe war. „Und? Was soll ich ihnen sagen?“

„Ja und ja. Ich gehe gerne mit ihnen singen und ich habe einen Freund. Magst du mitkommen, Ryou?“

„Ich?“ Die Farbe wich aus seinem Gesicht. „Ich ... die wollen mich doch sicher gar nicht dabei haben. Du bist der coole Kerl. Ich bin nur dein jämmerlicher Sidekick.“

„Und Ryou kommt auch mit. Und nein, mein Freund wird nicht mitkommen. Und seiner besser auch nicht“ Er nickte zu Ryou.

„Du bleibst dabei, dass du schwul bist und einen Freund hast?“

„Ich habe keine Lust auf Verstecken. Ich weiß nicht genau, ob ich schwul bin, aber ich habe einen Freund und dem bleibe ich treu. Liebeleien mit mir können sich die Mädels abschminken. Wenn sie immer noch zum Karaoke wollen, kommen wir gern.“

„Dann zwitschert das Vögelchen mal wieder ab und überbringt die Nachricht. Oh ja, welche Schuhgröße hast du?“

„Was?“ Katsuyas Stirn legte sich in tiefe Falten, seine Lider weiteten sich. „Was hat das denn mit irgendwas zu tun?“

„Männer mit großen Füßen haben anscheinend auch große Hände und gerüchteweise sollen Männer mit großen Händen gute Liebhaber sein“ Sie grinste. „So Minas neueste Weisheit.“

„Schon klar“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Antwort ist, dass ich vergeben bin. Und ein guter Liebhaber.“

Sie schnaubte und kniff ihm in die Nase, bevor sie sich lächelnd zurück zu den Mädchen setzte, die sie die ganze Zeit wie Greifvögel beobachtet hatten. Irgendwie waren sie ja schon unheimlich ... die Mädchen, nicht die Greifvögel. Waren Drachen eigentlich auch Greifvögel? Seto hatte auch manchmal so einen stechenden Blick drauf.

„Aber ich kann doch gar nicht singen“, warf Ryou leise ein.

„Darum geht es ja auch nicht. Es geht darum, Leute kennen zu lernen. Und wenn man nicht weiß, was man machen soll, singt man halt. So stelle ich mir das zumindest vor. Ich war auch noch nie beim Karaoke.“

„Ich werde sicher die ganze Zeit kein Wort hervor bringen. Ich störe da nur.“

„Ryou, Angst vor Menschen bringt dich im Leben nicht weiter. Da wird sogar Bakura zustimmen. Sprech' es mit ihm ab, aber ich bin sicher, dass er dich lässt. Oder meinst du nicht?“

„Doch, Bakura freut das, aber ... mir macht das Angst. Ich kenne die vielen Menschen doch gar nicht“ Der Jüngere legte die Arme um sich selbst.

„Ich auch nicht. Aber wir kennen uns beide, oder? Und danach kennen wir noch eine Menge mehr.“

„Und wenn sie nicht wollen, dass ich mitkomme? Wenn ich da nur störe? Sie haben doch dich eingeladen. Wenn sie mich auslachen ... das kann ich nicht. Das geht nicht.“

„Ryou, du kommst mit. Willst du jedes Mal so einen Terz machen, wenn wir irgendwo hingehen? Wie soll ich dich denn so mal in den Freizeitpark mitnehmen?“

„Wir gehen in den Freizeitpark?“ Ryous blaue Augen leuchteten auf.

„Warum nicht? Wenn du deine Angst vor Leuten auf die Reihe kriegst“ Jeden Tag eine gute Tat, was? Und er wollte wirklich gern mal in einen Freizeitpark. Vielleicht mit Seto dazu? „Versuchst du es?“

„Okay!“
 

„Hi“, meinte eines der drei Mädchen hinter Ayumi mit einem schüchternen Lächeln, „ich bin Mina Taketsuki.“

„Katsuya“ Er stand auf, trat um seinen Tisch und lehnte sich dagegen, sodass er nicht mehr zwischen ihnen stand, „Nennt mich bitte einfach beim Vornamen.“

Eine quiekte leise und drückte sich hinter Mina, die sowieso schon halb von Ayumi verdeckt wurde. Sie hatte recht gehabt – diese Mädchen waren gerade erst aus der Mittelschule raus. Das waren keine selbstbewussten Persönlichkeiten so wie sie.

„Und wie heißt ihr beiden?“

Er sah zwischen beiden hin und her und blieb schließlich bei der weniger weit hinten Stehenden hängen. Sie holte tief Luft und stellte sich als Karin vor, während die andere deutlich länger brauchte, bis sie Mitsuki hervor quetschte. Sie schien wirklich außergewöhnlich schüchtern.

„Kommst du wirklich mit uns zum Karaoke?“, platzte es Mina plötzlich raus, bevor sie wieder hinter Ayumi wich.

„Klar, gern“ Er lächelte – freundlich, nicht das, was Ayumi neuerdings als sein Charmeurlächeln betitelte – und nickte. „Nächste Woche? Heute kann ich leider nicht.“

„Aha?“ Ayumi beugte sich mit einem frechen Lächeln vor. „Was sieht dein illustrer Tagesplan denn vor?“

Seto aus der Klinik abholen – oder etwas in der Art. Er sagte Freitag Morgen, oder? Dann war er wahrscheinlich schon nach Hause gefahren. Als würde er einfach nur nach Hause fahren und schauen, wie es ihm ging.

„Ich werde zu meinem Freund fahren und nach ihm sehen. Er ist nämlich krank.“

„Kommt Winter, kommen die Erkältungen“ Ayumi zuckte mit den Schultern. „Was schenkst du ihm denn zu Weihnachten?“

„Muss ich da jetzt schon drüber nachdenken?“ Katsuya hob eine Augenbraue.

„Ja?“ Sie streckte das A. „Es ist der zwanzigste. In einer Woche ist Weihnachten! Da sollte man ja wohl eine Idee haben.“

„Du bist gut ...“

„Hey, komm, die Aktion mit dem Riesenteddy war klasse“ Sie schlug ihm sanft in die Seite. „Hast du nicht noch so eine abgefahrene Idee?“

Blubberblasenbad? Klein-Seto würde sich tierisch freuen. Der erwachsene Seto stand aber mehr darauf, ein romantisches Dinner zu zweit zu haben – mit dem entsprechenden Nachtisch. Der Teddy war für das TI gewesen – um seine Aggressionen auf weniger schädliche Weise rauszulassen und Klein-Seto stattdessen hervor zu locken. Was für Probleme gab es denn noch? Die Dissos, klar, aber da fiel ihm keine Lösung ein. Die Selbstverletzung, aber gut, das klang auch nicht gerade einfach. Gegen Alkoholrückfälle gab es auch kein großartiges Mittel. Zu dem Schaumbad und dem Dinner könnte er vielleicht noch einen kleinen Teddy legen, den Seto bei sich tragen konnte, aber mehr fiel ihm dann auch nicht mehr ein.

„Für Weihnachten reicht es noch“ Er zuckte mit den Schultern.
 

Sein plötzliches Coming-out als netter Kerl hatte ihm wahrlich eine ganze Parade Mädchen beschert. Er kam sich wie einer der völlig übertriebenen Verführer aus einem alten Fernsehstreifen vor, als er mit Ryou und Ayumi auf der einen und Mina, Karin und Mitsuki auf der anderen Seite aus der Schule marschierte. Von weitem musste es aussehen, als sei er zum neuen Schulschwarm aufgestiegen – Ryou erkannte man schließlich erst von nahem als Junge. War schon ein bisschen peinlich.

Es war jedoch nichts gegen die klischeehafte Szene, die darauf folgte. Es begann wie in einer schlechten Schnulze damit, dass aller Leute Blicke von irgendetwas gefesselt wurden und jeder tuschelte. So auch die Mädchen an seiner Seite, deren Blick er folgte: Zum Schultor, zur dort stehenden Prachtkarosse und schließlich zu dem an dieser lehnenden Prachtkerl. Hoch gewachsen, braunes Haar, ein langer Wintermantel, der darunter eine exzellente Figur vermuten ließ.

„Er sieht sooo gut aus ...“, seufzte Karin und legte beide Hände auf Minas Schulter, „das ist mal ein echter Mann. Dürfen wir ihm jetzt eigentlich schöne Augen machen, wo er nicht mehr unser Lehrer ist?“

„Glaubt ihr, Herr Kaiba wartet auf jemanden?“

Musste das alles so endlos nach Klischee ablaufen? Katsuya und Ayumi warfen sich gegenseitig einen halb amüsierten, halb verzweifelten Blick zu. Wenn das hier nicht jedem klar machte, was zwischen ihnen lief, wusste er auch nicht mehr weiter. Aber das müsste Seto doch klar sein, oder? Dass damit jeder ... jeder wusste ... sein Unterkiefer sackte hinab und seine Lider weiteten sich, während er mit einem Mal stehen blieb.

„Katsuya?“ Ryou wandte sich zu ihm.

„Kneif' mich“ Er schaffte es nicht, sich zu regen. „Will er etwa, dass alle es erfahren?“

„Was erfahren?“ Die Mädchen hatten mittlerweile auch bemerkt, dass er stehen geblieben war.

Katsuya atmete tief ein, suchte noch einmal Setos unveränderten Blick auf ihn und schritt geradewegs auf diesen zu. Falls Seto sich da irgendwie raus reden wollte, sollte er es tun, aber das hier schien ziemlich eindeutig. Er achtete nicht darauf, dass die anderen fünf ein wenig rennen mussten, um mitzukommen.

„Willkommen zurück“ Er blieb einen Schritt entfernt von Seto stehen.

„Ich bin froh, wieder da zu sein“ Seto drückte sich vom Auto weg, gegen das er sich gelehnt hatte und stand damit plötzlich gefährlich nah. „Ich dachte, ich komme und entführe dich.“

„Dann will ich mich doch gerne entführen lassen“ Ein Schmunzeln legte sich auf Katsuyas Lippen.

„Ich dachte, du ... wolltest du nicht ... oder ist ... das?“, stotterte Mina leise.

Der Blonde setzte sein Charmeurlächeln auf, legte einen Zeigefinger auf seine Lippen und zwinkerte ihr zu. Mit zwei Schritten stand er hinter Ayumi, sodass er zu allen Fünfen gewandt sagen konnte: „Meine Damen, ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende. Bis Montag.“

Ryou lächelte nur, Ayumi schüttelte den Kopf und die anderen drei standen irgendwo zwischen Unglauben und Schock. Katsuya stieg einfach ein, wo Seto ihm sogar schon die Tür offen hielt. Aber nicht, bevor er nicht einen kurzen Kuss auf dessen Lippen gesetzt hatte.
 

„Was hat dich deine Meinung ändern lassen?“ Katsuya wandte sich breit grinsend zu dem Fahrer. „Ich dachte, das wäre alles so schrecklich gefährlich.“

„Wenn uns jemand wirklich ans Leder will und uns anzeigt, ja, dann trennt man uns“ Seto schien trotzdem nicht allzu angespannt. „Aber ich habe eigentlich keine Lust, in ständiger Angst zu leben. Das bezieht sich auch auf unsere Umgebung. Ich will mich nicht vor anderen verstecken müssen. Und ich will dich niemals verneinen – das von dir zu verlangen, ist ziemlicher Mist gewesen.“

„Vergeben und vergessen“ Katsuya grinste. „Langsam machst du mir etwas Angst. Mit unserer Versöhnung bist du plötzlich ein ganz Anderer. Praktisch der perfekte Partner.“

„Der perfekte Partner, der erstmal in die Psychiatrie verschwindet?“ Seto hob eine Augenbraue.

„Ja“ Der Beifahrer musste weder stocken noch nachdenken. „Du tust etwas für dich, damit es dir und damit im Endeffekt uns besser geht. Das kann ich nur gutheißen.“

„Du bist komisch“ Sein Freund schüttelte den Kopf. „Die Angehörigen und Partner von psychisch Kranken fühlen sich normalerweise hilflos und überfordert. Deswegen werden sie aggressiv, schlucken die Frustration aber und lassen sie entweder woanders aus oder werden depressiv. Du dagegen wirkst quietschfidel und hast auch keinen Mist angestellt, während ich weg war … oder?“

„Nein, war brav“ Katsuya grinste. „Außerdem war ich nicht hilflos. Wir haben täglich Sex gehabt und dir ging es stets bedeutend besser. Ich mag deine Krankheit. Ich muss mich nicht hilflos fühlen.“

Zwischen Setos hoch gezogenen Augenbrauen lagen tiefe Falten, während sein Kopf sich noch immer nach rechts und links wandte. Pragmatische Lösungsansätze schienen nicht ganz sein Ding zu sein – ebenso wie Optimismus. Der Mann brauchte echt eine bessere Lebenseinstellung. Es war doch alles gar nicht so schlimm, wie er es immer an die Wand malte.

„Trotzdem bist du ein ganz anderer. Du weißt schon, dass du dich für mich nicht verstellen musst, oder? Ich mag dich auch als miesepetrigen, misstrauischen Grummel“ Katsuya grinste. Da waren so viele Ms in der Beschreibung.

„Mein Arzt meint, ich muss mehr vertrauen. In dich und in andere“ Seto verzog missmutig – noch ein wunderbar passendes Adjektiv – den Mundwinkel. „Und lernen, mit den Reaktionen und Enttäuschungen zu leben.“

„Klingt kompliziert“ Aber sehr sinnvoll. Seto hatte massig Angst, dadurch vertraute er nicht. Dadurch wurde er zwar selten enttäuscht, aber das hieß auch, dass er nicht lernte, mit Enttäuschung umzugehen. Und weil er nicht vertraute, wurde die Angst auch nicht weniger – weil er auch keine Bestätigung hatte, dass man manchmal auch einfach vertrauen konnte und nicht enttäuscht wurde.

„Es ist kompliziert. Ehrlich gesagt war ich gerade ziemlich aufgeregt“ Seto atmete tief durch. „Ich dachte … was, wenn du das nicht willst? Wenn ich etwas falsch mache? Wenn deine Freunde mich ablehnen? Wenn ich dich blamiere?“

„Seto, das Letzte, was du bist, ist eine Blamage“ Katsuya drehte sich in dessen Richtung, um der Aussage mehr Einschlagkraft zu geben. „Jeder beneidet mich um dich. Für die meisten bist du ein Traum von einem Mann.“

„Bis sie mich kennen lernen und merken, was für Macken ich habe.“

„Und wie viele haben deine Macken je kennen gelernt?“

Seto schwieg darauf.

Bettgeflüster

Mittlerweile ist es so, dass ich in meinen Vorlesungen schreibe und meine Arbeit mache, weil ich sonst keine Zeit mehr dazu habe... wie ich die Klausur am Freitag bestehen soll, ist mir irgendwie schleierhaft X.X Eine göttliche Eingebung wäre jetzt echt toll. Bitte drückt mir alle vorhandenen Daumen!

Ansonsten gibt es ein neues Fanart ^.- Das erste zu dieser Geschichte! Ich bin sehr stolz ^///^ Bitte seht es euch an. Und nun viel Spaß beim Lesen.
 

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Katsuya legte einen Arm über Setos Brust und seinen Kopf auf dessen Schulter. Seine Lider sanken hinab und das Lächeln auf seinen Lippen verbreiterte sich. Er war wieder da ... wieder daheim. Seto war wieder da. Und er auch. Alles gut.

„Du riechst“, moserte dieser, doch legte seinen Arm um den anderen.

„Selber.“

„Geh duschen.“

„Geh selbst“ Katsuya grinste. „Besser noch, bring uns in die Dusche.“

„Will nicht“ Der Größere drehte sich ihm zu, griff ihn auch mit dem zweiten Arm und zog ihn über sich. „Will dich.“

„Du hattest mich gerade“ Was nichts daran änderte, dass sich die Umarmung zuzog und Seto sich um ihn wie um ein großes Kuscheltier schlang.

„Luft ... Luft“, forderte der Blonde, worauf Seto locker ließ und ihn angrinste, „du bist irgendwie süß.“

Ein Kommentar, für den er in die Schulter gebissen wurde – sanft, versteht sich – aber statt seine Zähne wieder zu lösen blinzelte Seto zu ihm hoch. Er sah einfach nur aus wie er übergroßer Vampir, der noch nicht sicher war, ob er jetzt zubeißen durfte. Katsuya lachte laut auf und drückte seinen Kopf seitlich gegen Setos, worauf dieser dann doch los ließ und kichernd die Umarmung wieder fester schloss – wenn auch nicht so atemberaubend wie zuvor.

„Kleines Spielkind“ Katsuya stützte seinen Kopf auf einen Arm, um etwas Abstand zwischen sich und den anderen zu bringen. „Selbst an deinen besten Tagen warst du normalerweise nicht so ungehemmt. Ist das vorübergehend oder haben das die wenigen Tage Psychiatrie bewirkt?“

„Keine Ahnung“ Seto lächelte, richtete sich etwas auf und küsste ihn. „Magst du mich so?“

„Ich mag dich immer“ Mit einem Finger malte er Formen auf dessen Gesicht und strich ihm dabei das braune Haar aus dem Gesicht. „Ob ernst und gestresst, jugendlich oder sogar kindlich. Das bist schließlich alles du. Auch wenn ich im Bett diese entspannte Seite am liebsten habe.“

„Ich bin gut so?“ Aus der Höhe der Stimme war schon zu erkennen, dass Klein-Seto immer mehr die Kontrolle übernahm.

„Du bist immer ganz toll“ Katsuya beugte sich hinab und küsste den anderen sinnlich – aus den unerfahren kindlichen Lippen wurden in Sekunden die seines sehr erfahrenen Liebhabers. „Ich liebe dich.“

„Dann lieb' mich doch mal“, erwiderte Seto mit seiner wie normal tiefen, bassreichen Stimme und spreizte seine Schenkel, „schließlich bin ich doch ein misstrauischer Mensch. Und du willst doch, dass ich dir glaube, nicht wahr?“

„Ich glaube nicht, dass du Überredungskunst brauchst, um mich dazu zu bringen“ Ein Grinsen ersetzte das verliebte Lächeln. „Auch wenn du ein reichlich anstrengendes Trainingsgerät bist.“

„Fick mich.“

„Sei romantisch“, forderte Katsuya, „oder zumindest romantischer als das.“

Seto griff seine Schulter, rollte sie zur Seite – und damit sich selbst nach oben – und küsste sich den jungen Körper hinab, um ihn wieder zu erregen. Katsuyas Mundwinkel zuckte, die Lippen verzogen sich zu einem Schmollen, doch seine Lider schlossen sich genießerisch.

Seto hatte viele Gesichter. Romantisch und kuschelig, kindlich und liebesbedürftig, ernst und verführerisch – und vor allen Dingen fordernd. Alle hatten ihren ganz eigenen Reiz. Wenn jemand ihn fragen würde, was für ein Typ sein Freund wäre, könnte er nur sagen, dass er alles gleichzeitig war. Oder zumindest vieles. Er war niemals unzuverlässig. Er war selten unlogisch. Und er hatte niemals etwas Böses im Sinn, wenn es um die ging, die er liebte.
 

Irgendwann endeten sie doch unter der Dusche. Genauso wie bei Tisch zum Abendbrot und im Wohnzimmer zum Kartenspielen – bevor es sie wieder ins Bett zog. Die Freude darüber, dass Seto wieder da war, war einfach zu groß.

„Bleiben wir morgen im Bett?“, schlug Katsuya vor.

„Ich will ins Fitnessstudio“ Seto betrachtete gerade fasziniert die Hand seines Freundes und küsste hin und wieder einen Knubbel. „Und ich möchte ein Date mit dir. Vielleicht essen gehen. Oder in eine Ausstellung. Ja, eine Ausstellung wäre gut. Und zum Advent lade ich dich zum Essen ein. Magst du?“

„Morgen außer zum Fitnessstudio im Bett bleiben und Sonntag in eine Ausstellung und Essen gehen?“ Katsuya drückte sich etwas hoch und küsste Seto auf die Wange, bevor er sich wieder an ihn drückte. „Klingt gut.“

„Ich reserviere uns morgen einen Tisch. Vielleicht im L'moi. Ja, da war ich länger nicht mehr. Wollen wir allein essen gehen oder die anderen einladen?“

„Die anderen?“ Wollte Seto ehrlich Yami einladen? Gab es doch noch Hoffnung? Bei allen Göttern, was war mit Bakura? Dem könnte er ganz sicher nicht gegenüber treten.

„Noah, Shizuka und Isamu. Und vielleicht Yami. Bakura willst du vermutlich nicht sehen?“ Katsuya schwieg einfach. „Wir könnten auch Ryou einladen und andeuten, dass er Bakura mitbringen kann, solange der sich benimmt.“

„Ich glaube ... das wäre gut“, erwiderte er nach einem längeren Moment, „aber ... ich weiß nicht ... Seto, ich weiß ehrlich nicht“ Ein Schluchzen brach urplötzlich über seine Lippen und er krallte seine Finger in den Oberarm des anderen. „Er macht mir Angst. Und Ryou macht mir Angst. Wie er das als völlig selbstverständlich nimmt. Wie er nicht einmal sehen kann, was ... was man ihm antut. Das ist schrecklich.“

„Ruhig ...“ Seto schloss beide Arme um ihn und zog ihn sanft näher. „Sssch ... ganz ruhig ... ich bin hier“ Er kraulte durch das blonde Haar. „Du hast das die ganze Woche unterdrückt, was? Hast du nicht mit Yami darüber geredet?“

„Nein“ Er schluchzte auf und drückte sich so nah wie möglich an Seto. „Ich wollte ... ich weiß nicht ... Seto!“

„Ich bin da. Keine Sorge, ich gehe nicht weg. Wir kriegen das gelöst. Du brauchst keine Angst haben“ Der Größere barg Katsuyas Gesicht zwischen Kopf und Schulter. „Ganz ruhig. Das wird wieder. Oder eher überhaupt mal. Mach dir keine Sorgen. Das kriegen wir hin.“

Katsuya schluchzte noch zweimal auf, doch beruhigte sich unter Setos Versicherungen – auch wenn er längst nicht mehr verstand, was der andere eigentlich sagte.

„Was soll ... ich nur tun?“, flüsterte er gegen die Brust des anderen, nachdem er sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.

„Erst einmal sollst du mich küssen“ Allerdings kam ihm stattdessen Seto entgegen und küsste ihn. „Das mit den beiden geht schon seit Jahren so. Bevor Ryou kein Problem sieht, kann man auch nichts machen. Das heißt das, an dem wir arbeiten müssen, ist, dass dich das so fertig macht.“

„Ich soll mich nicht so aufregen?“ Ein müdes Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. „Danke, ich fühl' mich gerade auch weibisch.“

„Sexist“ Erneut wurde er geküsst. „Auch Männer können sich künstlich aufregen. Und das hier ist nicht künstlich. Das hier ist ein schwarzer Abgrund – Gewalt in der Beziehung ist das immer.“
 

„Yami hat mich mal gewarnt, dass ich das wahrscheinlich nicht mitkriegen würde, wenn wir in eine gewalttätige Beziehung rutschen würden“ Seto, der ihn weiter kraulte, nickte einfach nur zur Bestätigung. „Damals habe ich vor allem daran gedacht, dass ich das nicht bemerken würde, wenn du mal wirklich gewalttätig wirst.“

„So wie letzte Woche.“

„Na ja“ Katsuya schluckte. „Das habe ich bemerkt.“

„Gut so“ Seto küsste seine Stirn. „Das bestätigt mir, dass du nicht alles mitmachst. Obwohl du viele Dinge erlebt hast, die dich dafür prädestinieren würden.“

„Du aber auch“ Der Blonde strich vorsichtig über die Haut seines Freundes. „Was, wenn ich gewalttätig werde? Das würde ich doch auch nicht bemerken, oder?“ Einen Moment herrschte Stille. „Was versichert mir, dass du nicht wie Ryou reagieren würdest? Dass du nicht alles einfach verdrängen würdest?“

„Nichts“, erwiderte Seto nach einem Moment, „und das ist genau so schwer zu schlucken wie das, was ich dir jetzt sagen werde“ Katsuyas Blick flackerte unsicher nach oben. „Solange ich mich nicht wehre, ist alles, was du mit mir anstellst, in Ordnung. Denn solange ich mehr Positives als Negatives durch dich erfahre, werde ich mich auch nicht wehren. Egal, wie du mich behandelst.“

Erneut musste er schlucken. Es war ganz, wie er vermutet hatte – Seto würde sich fast alles gefallen lassen. Er wusste, wie es war, einsam und verzweifelt zu sein. Und alles, was besser war als dieser Zustand, das würde Seto sich gefallen lassen. Genau wie Ryou. Würde er selbst irgendwann wie Bakura mit seinem Freund umgehen? Weil er es sich gefallen ließ? Wer würde ihn davon abbringen? Wer würde ihn hindern?

„Katsuya, du bist doch nicht wie Bakura. Du würdest mich niemals so schlecht behandeln“ Seto schloss die Umarmung enger und setzte einen Kuss nach den nächsten auf seinen Kopf. „Du bist ... ein guter Mensch ... du würdest ... niemals ... so etwas tun ... keine Angst.“

„Und wer versichert mir das?“

„Jeder, der dich kennt“ Ein weiterer Kuss wurde ihm aufgedrückt. „Katsuya, für so etwas hat man Freunde. Die sagen einem, ob das, was geschieht, so in Ordnung ist oder nicht. Die achten auf dich und auf dein Leben. Die schauen, dass es dir gut geht. Deine Freunde achten auf dich und meine auf mich“ Setos Mundwinkel verzog sich kurz. „Okay, ich gebe zu, dass ist wenig rückversichernd, da ich zur Zeit keine wirklichen Freunde habe. Aber ich habe Noah, der achtet auf mich. Die Familie achtet auch auf einen, wenn man eine hat.“

„Meinst du, du kannst Yami vergeben?“ Nicht die beste Formulierung, nicht der beste Moment, ja, aber er brauchte dringend eine Antwort.

„Damit der auf uns beide achtet?“ Seto zog ihn etwas mehr auf sich. „Vielleicht. Sobald ich nicht mehr das Bedürfnis habe, dich vor ihm zu beschützen, damit er dich mir nicht weg nimmt.“

„Dass ich bei ihm übernachten durfte, stimmt mich optimistisch“ Mit einem Mal fühlte sich Katsuya wieder in der Lage zu lächeln. „Ich will, dass wir wieder ganz normal miteinander sein können. Ich wollte doch nichts zwischen euch kaputt machen.“

„Gib' mir Zeit, ja?“ Setos Augen wirkten müde. „Ich weiß, dass das für dich kein Betrug war und du nicht wolltest, dass das irgendwo irgendetwas verändert, aber ich kann meine Gefühle nicht einfach ändern. Und ich will sie auch nicht verdrängen. Aber es braucht Zeit, ja?“

„Kriegst du“ Das Lächeln passte vielleicht nicht zur Situation, aber die Aussicht, dass es vielleicht wieder gut werden konnte, war einfach nur klasse. „So viel du willst.“

„Besser nicht, sonst wird es ewig.“
 

„Also, laden wir Yami, Noah und Shizuka ein oder bleiben wir unter uns?“, fragte Seto etwas später.

„Und Isamu auch?“ Der Andere grinste.

„Natürlich auch“ Er wuschelte durch das blonde Haar. „Ich muss sagen, ich glaube, die Konstellation Noah und Yami ist problematischer als Yami und ich.“

„Wirklich?“ Katsuya ließ sich wieder an Setos Seite gleiten, damit sie sich entspannter unterhalten konnten. „Yami wurde in seiner Abteilung ziemlich schlecht behandelt, deswegen hat Noah ihn in eine andere gesteckt, in der es viel besser läuft. Er hat sich sogar entschuldigt und meinte, es sei ein Versehen gewesen, dass er Yami erst in die eine gesteckt hatte. Yami meint, er weiß nicht, ob Noah das nicht vielleicht extra gemacht hat. Uhm ... weißt du etwas darüber?“

Seto nickte bedacht und schürzte die Lippen – die typische Bewegung, wenn er über etwas nachdachte. Kam selten vor, schließlich wusste er meistens alles sofort, aber in sozialen Situationen kam es vor – und im Unterricht war es gespielt gewesen, um nicht zu abgehoben zu wirken.

„Er hat es extra gemacht, aber nicht, weil er Yami eher wenig schätzt“, sagte er mit vorsichtiger Stimme, „Er hat es auf meine Empfehlung hin gemacht. Das ... war zugegebenermaßen etwas gefährlich, aber es lief genau so wie geplant.“

„Seto?“, fragte Katsuya mit mahnender Stimme nach. Wenn Seto in seiner Wut das vorgeschlagen hatte, klang das mit den guten Willen wie eine verdammt schlechte Ausrede.

„Lässt du mich es in Ruhe erklären?“ Sein Freund klang unsicher. Den Ton hatte er gut verstanden.

„Ich höre“ Sein Ton klang immer noch scharf.

„Ja, ich war sauer. Das stimmt. Aber ich wollte glauben, dass du mit Yami geschlafen hast, um ihn aus der Prostitution zu holen und nicht wegen ... irgendetwas anderem“ Seto schluckte. „Also wollte ich, dass Yami auch ja bei dem Ansatz bleibt, weil ... sonst wäre mein Schmerz auch noch umsonst gewesen“ Er sah unsicher zu Katsuya. „Macht das Sinn?“

„In deiner verqueren Logik macht das Sinn, ja“, gab Katsuya etwas versöhnlicher zu, „also warum die Abteilung, wo ihr wusstet, dass man ihn schlecht behandelt?“

„Weil er gerade am Anfang ja ein ziemliches Risiko hat, doch wieder aufzuhören. Weil gerade die sozialen Anforderungen viel zu groß wirken. Wenn man ihn gleich irgendwo hin steckt, wo man ihn gut behandelt, würde genau das kommen. Wenn er erst irgendwo ist, wo es wirklich schlecht ist, kommt das extrem, aber wenn man ihn kurz darauf versetzt, dann kommen die Gedanken nicht mehr auf, weil er es ja schon viel schlimmer kennt. Er hat Schlimmeres geschafft, also wird er mit dem Leichten keine Probleme haben. Damit wirkt sein Arbeitsplatz nicht mehr schwer sondern leicht, weil er etwas Schlimmeres kennt. Und damit kommen diese schädlichen Gedanken, die ihn in die Prostitution zurück treiben würden, nicht mehr auf. Ähm ... ist das verständlich?“

Oh Hilfe ... Setos Logik. Nun gut. Also wenn man ihn erst leiden ließ, war später das Risiko, dass er so gesehen rückfällig wurde, geringer? Weil ihm nach dem Wechsel alles sehr schwer erschien und es nicht so schwer wirkte, wenn er etwas Schwereres kennen gelernt hatte?

„So als Schocktherapie? Und die Chance, dass er innerhalb dieser ersten Woche aufgab, weil es scheiße schwer für ihn war, das war egal?“ Katsuya klang immer noch gut sauer.

„Das ... war das Risiko. Aber ich habe darauf vertraut, dass er nicht so schnell einknickt“ Seto senkte den Blick. „Ich wollte wirklich nur das Beste.“

„Damit hast du ihm weh getan.“

„Das ... wollte ich auch“ Er wandte sich etwas weg, was natürlich schwer war, da Katsuya halb auf ihm lag. „Ich wollte, dass er den Ausstieg schafft. Und ihm wehtun.“

„Seto ...“ Katsuya seufzte. „Entschuldige dich und erklär' ihm das, klar?“

„Uhm ... na gut“ Die blauen Augen flackerten unsicher in seine Richtung.

Katsuya küsste ihn einfach.

Was du willst

Ich glaube, zum Punkt Überarbeitung brauche ich nichts sagen, wenn ich um zwei Uhr morgens Kapitel hochlade, oder? Tut bitte einfach so, als wäre es noch Montag :) Ich bin schon voller Stolz, dass ich überhaupt fertig geworden bin.

Ich entschwinde jetzt erstmal in den Urlaub, um mich von den letzten Wochen zu erholen. Ich hoffe, ihr habt bereits schöne Feiertage verbracht. Und nun viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Du magst Hopper, was?“

Katsuya zuckte kurz aus seiner inneren Betrachtung, bevor er sich zu Seto wandte, der hinter ihn getreten war. Oder hinter ihm gestanden hatte. Sicher war er nicht ganz. Er lächelte zu ihm hinauf und widerstand dem Drang, seine Hand zu nehmen oder sich an ihn zu schmiegen.

„Ich finde, die Bilder haben etwas von Amerika in den Fünfzigern. Ich mag das Gefühl, das sie vermitteln. Die Bilder fangen eine Atmosphäre ein. Kennst du ihn?“

„Hopper vertritt die Richtung des amerikanischen Realismus“ Ein Lächeln hatte sich auf Setos Lippen gelegt. „Allerdings wirkte er eher in den Zwanzigern und Dreißigern. In den Fünfzigern war Pop Art berühmt. Zum Beispiel die Bilder dort drüben“ Er zeigte zur Seite.

„Diese bunten, schrillen Dinger?“ Gar nicht sein Stil. Wenn auch interessant.

„Du beleidigst gerade einen echten Warhol“ Setos Mundwinkel blieb trotzdem gehoben.

„Ich beleidige, wen ich will, wenn er mir nicht gefällt. Kunst liegt im Auge des Betrachters und mir ist das zu schrill. Egal, ob der Kerl nun berühmt war oder nicht“ Er verschränkte sogar die Arme, um seine Aussage zu unterstreichen. „Auch wenn er mir immer noch besser gefällt als die Farbpalette, die dahinter gegen Leinwände geschmissen wurden.“

„Da hinten, wie du es so freundlich bezeichnest, sind beispielhaft Bilder des abstrakten Expressionismus ausgestellt.“

„Expressionismus kann man abstrakt machen?“ Eine blonde Augenbraue hob sich. „Schon der originale Expressionismus ist mir abstrakt genug.“

„Du musst ja kein Freund moderner Kunst sein“ Seto zuckte mit den Schultern.

„Bin ich auch nicht. Ich mag den Realismus, der sieht gut aus“ Katsuya deutete auf das Bild, das sie hinter sich gelassen hatten. „Warum habe ich das Gefühl, dass das, was ich sehe, immer schlimmer wird?“

„Weil wir immer weiter in die moderne Kunst schreiten? Warte erst, bis wir beim Minimalismus sind, du wirst schreien“ Seto lächelte erwartungsvoll – Sadist.

„Nur, dass wir das klarstellen. Mein Kunstgeschmack endet im neunzehnten Jahrhundert. Das hier gefällt mir nicht ansatzweise. Genau genommen weigere ich mich, das überhaupt als Kunst anzuerkennen. Diese Exponate verletzen meinen Stolz als Zeichner“, erklärte Katsuya schon fast hochnäsig.

„Was immer du meinst, mein Lieb, was immer du meinst ...“ Der Ältere lächelte nur und schien keine weitere Meinung dazu zu haben. Wenn er eine hatte, schien sie allerdings nicht so weit von Katsuyas abzuweichen, sonst hätte er sicher längst zu einer Verteidigung angesetzt. „Ich würde dir gern den Louvre in Paris zeigen. Oder den Vatikan, die haben auch eine wunderschöne Ausstellung. Die Scholaes von Venedig wären sicher auch nach deinem Geschmack.“

„Warst du da schon überall?“, fragte Katsuya interessiert – fraglos interessierter als an diesem als Kunst bezeichneten Zeug, an dem sie vorbei gingen.

„Ja, das habe ich alles auf Geschäftsreisen gesehen“ Eine Hand legte sich sanft auf Katsuyas Schulter. Auf die Linke. Dabei ging Seto rechts von ihm. Lächelnd nahm er den Kontakt an. „Ich hoffe, ich kann dir irgendwann die Welt zeigen. Wir haben noch gar nichts für die Winterferien geplant.“

„Europa ist ein bisschen weit weg“, warf der Jüngere ein. Urlaub mit Seto... Urlaub mit Seto! „Wie stehst du zu Tokio?“

„Warum nicht?“ Ein Kuss wurde auf sein Haar gehaucht. „Ich bin gerade in der Stimmung, dir jeden Wunsch zu erfüllen...“
 

„Guck mal da!“ Lachend zog er Seto zum nächsten Stand an der Straßenseite. „Die sind so unheimlich klein. Was meinst du, sollen wir Isamu so etwas schenken?“

„Kitschige, handgestrickte Babyhandschuhe?“ Der Brünette hob eine Augenbraue. „An dir ist doch eine Frau verloren gegangen.“

„Meine Güte, schraub' den Sarkasmus zurück“ Katsuya rollte mit den Augen. „Ich hätte ja die mit Schafwolle gefütterten Schühchen vorgeschlagen, aber die sind eher etwas für nächstes Jahr. Das heißt nicht, dass an mir eine Frau verloren gegangen ist – so etwas schenkt man Kindern einfach.“

„Und wen hast du jemals so etwas verschenken sehen?“

„Na … im Fernsehen … da hat man das gemacht. Ich meine … ich weiß nicht, was Schwule verschenken, aber die normalen Paare haben das gemacht“, verteidigte Katsuya sich etwas unsicherer, „bei Neugeborenen … im Winter … ist das doof?“

„Such dir ein Paar für ihn aus“, erwiderte Seto nur und setzte einen Kuss auf das blonde Haar.

„Schämen Sie sich nicht?“ Die Frau, die hinter ihrem kleinen Stand zu stehen hatte, an dem sie sich befanden, betrachtete sie beide mit unverhohlenem Ekel. „Die meisten ihrer Art wissen wenigstens, was Diskretion ist.“

„Unsere Art nennt sich Homo sapiens und der gehören sie wahrscheinlich auch an“ Seto schien nicht einmal eine Sekunde zu brauchen, um sich zu fangen und zu kontern. „Und die meisten Leute unserer Gesellschaft haben lange verstanden, dass Homophobie ein Thema ist, das vor zwanzig Jahren aktuell war. Gehen Sie mit der Zeit“ Eine wahre Lüge, wenn man bedachte, dass fast die komplette Gesellschaft mehr oder weniger homophob war. „Sie werden den Rest ihres Lebens kümmerlich Strickzeug verkaufen, wenn sie weiter aus Vorurteilen heraus Kunden vertreiben.“

Die Lider der Frau waren weit zurück gezogen, sodass sie aussah, als würde sie stumm einem Monster gegenüber stehen. War vielleicht auch ein ganz guter Vergleich. Seto konnte so einen Effekt auf Menschen haben. Besonders, wenn sie unhöflich wurden.

„Hast du dir ein Paar ausgesucht?“

„Du willst immer noch hier etwas kaufen, obwohl sie uns so angefahren hat?“ Katsuya blinzelte überrascht.

„Warum nicht? Die Dinger sind mit Liebe gestrickt. Das findet man nicht so leicht. Und du wolltest deinem Neffen doch welche schenken, oder?“ Ein Mundwinkel hob sich linkisch. „Noch hast du meine Kreditkarte nicht zum Schmelzen gebracht.“

„Seto, die Frau wird kaum ein Kartenlesegerät haben. Wenn, dann mache ich deinen Geldbeutel leer“ Der Blonde grinste.

„Und womit füllt der sich immer wieder auf?“, fragte Seto zurück.

„So viel Geld kann ich gar nicht ausgeben“ Er wandte sich wieder den Handschuhen zu und schaute die Sammlung durch. Die Frau war still geblieben, also schien sie ihr Geld doch nehmen zu wollen.

„Ich könnte ja einen Hopper in unser Wohnzimmer hängen. Das bringt meine Karte sicher zum Rauchen.“

„So begeistert war ich jetzt auch nicht“ Er warf einen Blick über die Schulter und sah Seto grinsen. „Wenn du etwas Hübsches aufhängen willst, es gibt richtig hübsche Poster mit Fantasy Drachen. Die mag ich gern.“

„Die von den Logos der Bands, die ich nicht lesen, geschweige denn aussprechen kann?“ Von denen Katsuya sich CDs gewünscht hatte, als Seto nach einem Weihnachtswunsch gefragt hatte.

„Genau die“ Er richtete sich lächelnd wieder auf und zeigte auf ein hellblaues Paar mit kleinen Hunden drauf. „Das da möchte ich gern.“

„Was immer du willst, mein Lieb, was immer du willst ...“
 

„Froher vierter Advent“, hauchte Seto in sein Ohr, als Katsuya noch irgendwo zwischen Schlaf und Erwachen wandelte.

Er grummelte nur, rollte sich von seinem Freund weg und zog die Decke höher. Echt, sonntags wecken … voll mies. Setos Hand streichelte seinen Bauch und fuhr über seine Seite unter sein Schlüsselbein, von wo aus sie zu seiner Brust sackte. Ein warmer Körper rückte näher und drückte sich an seinen Rücken.

„Wir haben Schnee.“

„Echt?“ Katsuya fuhr auf, schlug die Decke zurück und hechtete zum Fenster. Schnee! Echter Schnee! Und er musste nicht daran denken, ob er jetzt vielleicht erfrieren würde oder nicht. Grinsend öffnete er sogar das Fenster und lehnte sich heraus. Überall Schnee … alles war weiß. Und funkelte!

„Frohen Advent!“, rief ein Mann mittleren Alters vom Bürgersteig hoch und winkte.

„Ihnen auch!“, erwiderte Katsuya.

„Erkälten Sie sich nicht“ Mit einem letzten Lächeln drehte der Herr sich ab und ging weiter. Er schien auf dem Weg zur U-Bahn. Im Schnee konnte man seine Fußspuren bis zum Ende der Straße zurück verfolgen.

„Er hat Recht. Komm rein, bevor du dich erkältest“ Seto trat hinter ihn, setzte einen Kuss auf sein Haupt und zog ihn mit einem um die Taille gelegten Arm wieder hinein. Mit der freien Hand schloss er das Fenster. „Du bist ganz frisch. Wollen wir uns unter der Dusche aufwärmen?“

„Höre ich da Hintergedanken raus?“

„Möglicherweise“ Seto lächelte.

Katsuya drehte sich in der Umarmung, legte seine Arme auf die Schultern des anderen und meinte: „Dann ja.“

Lachend machten sie sich auf ins Badezimmer, zogen ihre Pyjama-Hosen aus – zur Abwechslung hatten sie mal eine Nacht fast bekleidet verbracht – und stellten sich gemeinsam unter die Dusche, um sich gegenseitig einzuseifen, nachdem Seto seine tägliche Dosis Tabletten geschluckt hatte.

„Hat das mit der Reservierung geklappt?“, fragte Katsuya zwischen zwei Küssen.

„Sagen wir, mit dem Namen Kaiba hat es geklappt.“

„Du hast das Restaurant bestochen, damit sie uns noch einen Tisch geben?“ Der Blonde zog sich etwas zurück.

„Es ist der vierte Advent, was erwartest du? Teure, französische Restaurants sind da gern mal ausgebucht. Es kommen glatt noch mehr Menschen auf dieselbe Idee wie ich.“

„Nun … dann gut, dass es geklappt hat“ Katsuya widmete sich wieder Setos Brust. „Die anderen haben alle zugesagt?“

„Ja“ Einen Moment herrschte Stille. „Und ja, ich habe mich gestern Abend mit Yami ein wenig ausgesprochen, keine Sorge.“

„Ja?“ Katsuya sah hoffnungsvoll auf. „Ihr … mögt euch wieder?“

„Kleiner, wir mochten uns die ganze Zeit. Ich war nur schrecklich wütend und er hat sich schuldig gefühlt. Er hat sich entschuldigt, ich habe gesagt, dass ich nicht mehr sauer bin, alles gut. Es dauert zwar sicher, bis wir wieder normal miteinander umgehen, aber wir kriegen das hin. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.“

„Hast du ihm auch die Sache mit der Abteilung gesagt?“, fragte der Jüngere nach.

„Äh … nein.“

„Seto ...“ Er dehnte den Namen.

„Das mache ich heute, okay? Ehrenwort“ Seto zog etwas den Kopf ein.

„Tu es wirklich, sonst tu ich es“, drohte Katsuya.

„Alles, was du willst ...“ Dem Satz folgte ein Seufzen.
 

„Willkommen im L'moi“, begrüßte sie ein Kellner im Anzug, verbeugte sich kurz und trat hinter seinem kleinen Holzpodest hervor. „Darf ich Ihnen Ihre Mäntel abnehmen, Monsieur Kaiba und ...?“

„Ebenfalls Kaiba“, erwiderte Seto und ließ sich aus dem Mantel helfen.

Katsuya versuchte einfach perplex Setos Bewegungen nachzumachen, um nicht allzu unangenehm aufzufallen. Das hier war verdammt nobel! Er hatte sich schon gefragt, warum Seto einen weißen Anzug trug – der ihm äußerst gut stand – und ihm die Klamotten rausgelegt hatte. Selbst mit den Worten „Mach dich schick“ hätte er wahrscheinlich nichts Passendes getragen. Selbst jetzt fühlte er sich in der schwarzen Anzughose und der braunen, engen Weste über dem weißen Hemd underdressed.

„Wenn Sie mir bitte folgen würden, Messieurs Kaiba“ Der Kellner ging voraus, um Sie tiefer in das wirklich wunderschöne, sehr europäisch gehaltene Restaurant zu führen. Er brachte sie in einen Seitenraum mit etwas erhobenem Boden.

Auf dem Weg drückte sich Katsuya etwas näher an Seto und griff nach dessen Hand. Dieser ließ das gerne zu und zog seinen Freund so etwas hinter sich her. Wie die Leute hier aussahen! Alle Herren waren im Anzug oder zumindest etwas, was man klar als Designerklamotten erkennen konnte. Die Frauen waren in Cocktail- oder Abendkleider gewandet und hatten unglaublich teuren Schmuck. Dagegen war die Goldkette, die Seto ihm vorhin umgelegt hatte – er tat es mit dem Wort Vorweihnachtsgeschenk ab – fast gar nichts. Katsuya fand sie trotzdem schöner als den ganzen Protz. Und ihm passte sie sicher auch besser. Hier und da sah er noch ein, zwei andere junge Männer, die auch so etwas trugen. Vielleicht war so etwas Mode in Europa?

„Sie erwarten sicherlich noch Ihren Bruder?“, fragte der Kellner freundlich nach und zog den Stuhl für Seto zurück.

„Und sein Mündel Madame Kamyra mit ihrem Sohn sowie Yami“, informierte Seto und nahm Platz.

Warum erzählte er dem Kellner, wer kam? Katsuya wartete, bis auch ihm der Stuhl zurück gezogen wurde und setzte sich. Das mit dem Stuhl kannte er von Seto, aber von einem Kellner? Das war irgendwie … verstörend.

„Herrn Yami durften wir lang nicht mehr begrüßen“, erzählte der Kellner während des Stuhlrückens und ließ Seto einen Moment, etwas zu erwidern – was er nicht tat, „und wer ist der hübsche Mann an ihrer Seite?“

„Mein Verlobter“ Aus Setos Stimme klang nichts als Stolz. Katsuya wäre sicher über das Wort gestolpert. Selbst jetzt errötete er. Warum erzählte Seto so etwas einem Kellner? „Ist jemand da, den ich begrüßen sollte?“

„Nur Leute, die sie begrüßen müssten“ Der Kellner deutete eine Verbeugung an. „Was darf ich Ihnen bringen? Ihr Bruder genoss letztens unseren Pouilly Fuissé, ein Chardonney mit einer leichten Muskatnote, würden Sie den gern probieren?“

Katsuya blinzelte. Error?

„Wir speisen heute völlig alkoholfrei, bitte. Geben Sie das bitte auch dem Koch weiter“, wies Seto den Kellner an, „unsere Gäste sind zur Hälfte minderjährig.“

„Aber natürlich, bitte entschuldigen Sie“ Wofür entschuldigte der sich denn jetzt? „Was darf ich Ihnen dann als Aperetif bringen?“

„Red Bitter Orange.“

Katsuya hatte das Blinzeln schon aufgegeben. Es war das Beste, wenn er einfach Seto für sich sprechen ließ.

L'moi

Ferien *v* Klasse Erfindung.

Nur wenn der nächste Tag direkt 16 Stunden Arbeit beinhaltet (ich mache gleich meine erste Pause mit Abendessen), ist das irgendwie kontraproduktiv. Aber man soll sich ja nicht unterkriegen lassen ^v^ Irgendwie wird das schon alles!

Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Seto?“, fragte Katsuya, nachdem der Kellner gegangen war, „ich bin verwirrt.“

„Warum? Ich habe uns Fruchtsaft bestellt“ Das Gesicht des anderen zeigte ein ehrliches Fragezeichen, ihm schien wirklich nicht klar, was unverständlich sein könnte.

„Warum erzählst du dem Kellner so viel? Ich habe nichts dagegen, aber es verwirrt mich“ Der Blonde legte den Kopf schief. „Du bist sonst kein so offener Mensch.“

„Ah, ach so“ Seto nickte gewichtig. „Wir befinden uns in einem ziemlich guten Restaurant, wie du wohl schon gemerkt hast“ Katsuya nickte nur. „Gute Restaurants tendieren dazu, von der Elite der Stadt bevölkert zu werden. Hier siehst du Politiker, lokale Wirtschaftsspitzen, Stars, all solche Leute. Die meisten kommen her, um gesehen zu werden, denn jeder, der hier ist, ist tendenziell wichtig.“

„Deshalb bist du so schnell an einen Tisch gekommen“, statierte der Jüngere trocken.

„Exakt. Die Kellner wollen daher wissen, wer da ist, da sie das von den Gästen gefragt werden. Mir konnte er damit ja sagen, dass niemand hier ist, der so wichtig ist, dass ich mir die Mühe machen müsste, ihn persönlich zu begrüßen. Anders herum heißt das, dass hier sicher ein paar Leute antanzen werden, um uns zu begrüßen.“

„Ich dachte, wir treffen uns einfach nur mit der Familie“ Katsuya konnte ein wenig Unmut nicht verbergen. Setos ganzes Politik- und Prestigezeug war nervig.

„So wie mein Auftauchen an der Schule als dein Freund ist meine Ankündigung unserer Verlobung hier das Coming-Out in meinen Kreisen.“

Katsuya, der seinen Kopf grummelig gesenkt hatte, sah auf. Sein Blick wurde erwidert, die blaugrauen Augen hielten ihm stand. Manchmal würde sich Katsuya am liebsten vor Dummheit selbst schlagen, aber gerade hier wäre das sicher nicht angebracht gewesen. Warum dachte er nicht bisweilen mal mehr nach? Für Seto war dieses Prestigezeug verdammt wichtig. Solche Auftritte waren für ihn vielleicht etwas unbehaglich – weil er einfach nur das hübsche Anhängsel war – aber ihre Bedeutung war manchmal ziemlich weitreichend.

„Heißt das, ich darf dich küssen?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Ja, darfst du“, bestätigte Seto mit einem leichten Lächeln.

Vollkommen ab von der Tatsache, dass sie sich in einem noblen Restaurant befanden, wechselte Katsuya kurzentschlossen auf Setos Schoß, nahm dessen Gesicht in beide Hände und küsste ihn hingebungsvoll. Das durfte er jetzt immer, überall und jederzeit. Kein Verstecken mehr. Das zwischen ihnen war offiziell.

„Die Zeitungen besteche ich nicht, nur damit du es weißt“, meinte jemand halb genervt, halb amüsiert hinter ihnen. Mit einer Sekunde Überlegen konnte Katsuya die Stimme Noah zuordnen – es brachte ihn nicht davon ab, Seto zu küssen.

„Ich glaube, die hören uns gerade nicht“ Shizuka kicherte. „Dabei sind sie doch gar nicht mehr frisch zusammen.“

„Vorletzte Woche?“, warf Noah ein.

„Du hast Recht. Ich verdränge die Episode andauernd“ Shizukas Stimme befand sich auf ihrer Höhe, also hatte sie wahrscheinlich Platz genommen. „Ich mag es nicht, wenn die beiden streiten.“

„Da sage ich sicher nichts gegen“ Noah setzte sich gerade. „Seto ist unerträglich, wenn er mit jemandem streitet, der ihm wichtig ist.“

„Hey, begrüßt ihr uns heute mal?“, beschwerte sich Shizuka nach ein paar Momenten.
 

Katsuya löste den Kuss und wandte sich grinsend um.

„Dir geht es einfach zu gut, oder?“, meinte sie schmunzelnd.

„Dir aber auch“ Er musterte seine Schwester, so weit es durch den Tisch möglich war. Sie trug ein graues, dich gewebtes Wollkleid, dessen Kragen sich in sich selbst wickelte, sodass er eine lange, dicke Stoffrolle ergab. Ein schlichtes, aber hübsches Stück. Ob die Silberkette mit der Perle echt war, wusste Katsuya zwar nicht, aber für ihn wirkte sie mit den passenden Ohrringen echt genug. Seine Schwester sah wirklich hübsch aus. „Wurdest du auch ausstaffiert?“

„Nein, das sind meine eigenen Sachen“ Sie lächelte breit. „Unsere Mutter ist ja Immobilienmaklerin. Da waren wir auf einigen Treffen, wo ich hübsch aussehen musste.“

„Selbst, wenn du das nicht müsstest, hättest du sicher ein paar Kleider dieser Art“, warf Noah ein und wandte sich zu Katsuya, „Sie liebt Kleider, Schuhe und Schmuck. Jede Woche hat sie einen neuen Shoppingexzess.“

„Ach?“ Katsuyas Augen legten sich auf seine Schwester, aber diese sah unschuldig zum Fenster. „Wenigstens hat sie den richtigen Mann dazu.“

„Stimmt“ Der Älteste lächelte schuldbewusst. „Ich liebe es, hübsche Frauen einzukleiden.“

„Mehr als sie auszukleiden?“, fragte Seto mit seiner spitzen Zunge.

„Du wirst lachen, ja, tue ich wirklich“ Noah nickte zu Katsuya, der sich nicht vom Schoß seines Freundes – seines Verlobten – weg bewegt hatte. „Eine Vorliebe, die wir teilen.“

„Gut geworden, nicht wahr?“ Seto hielt eine Hand unter sein Kinn, als würde er ihn präsentieren. Katsuya zog seinen Kopf zurück und versuchte die Hand zu beißen.

„Jetzt fehlen nur noch die Manieren.“

„Das wird noch“ Ein Kuss wurde auf seine Wange gesetzt. „Und jetzt husch auf deinen Stuhl, Kleiner“ Katsuya wollte schon etwas erwidern, als Seto ihm ein hübsch verpacktes Geschenk gab. „Du wolltest etwas überreichen.“

„Oh ja“ Er nahm es und wechselte auf den nächsten Stuhl. „Wo ist mein Lieblingsneffe?“

Shizuka zeigte zwischen ihre beiden Stühle, wo eine Trage stand, in der Isamu schlafend lag und meinte: „Ich bin froh, dass er so brav ist. Zuhause wollte er kaum Ruhe geben. Wir lassen ihn besser schlafen.“

„Dann muss ich das Geschenk wohl oder übel dir geben, was?“

„Wenn es etwas zu Anziehen ist, lache ich“, kündigte Noah mit einem Seitenblick zu Seto an.

„Schlimmer“, versicherte dieser verschwörerisch.

Shizuka packte währenddessen lächelnd aus. Der Inhalt vertiefte ihr Lächeln weiter und sie hielt Noah die Handschuhe vor die Nase.

„Ich finde die Idee super. So etwas haben wir wirklich nicht“, informierte dieser seinen Bruder.

„Sie sind unglaublich niedlich“ Shizuka setzte einen Kuss auf Katsuyas Wange. „Vielen Dank. Musstest du Seto lange überreden?“

„Gestern lief einen Tag lang alles nach meinem Willen. Dafür habe ich ihn ins Fitnessstudio gelassen und ihn nachmittags in eine Ausstellung begleitet.“

„Die nur ganz zufällig eine Kunstausstellung war“ Seto und Noah lächelten sich wissend zu.
 

„Red Bitter Orange“, kündigte der Kellner an und servierte vier Drinks in runden, unten spitz zulaufenden Gläsern, deren Ränder mit weißen Kristallen bedeckt waren – Zucker vielleicht? – und eine hellrote Flüssigkeit enthielten. „Soll ich das Papier mitnehmen?“

„Sehr gern“, dankte Shizuka, „würden Sie diese bitte zu meinem Mantel bringen?“ Sie reichte ihn die Handschuhe.

„Sehr gern“ Ihr deutete eine Verbeugung an. „Mit Verlaub, ihr Kind wird mit jedem Tag hübscher. Und er ist ein sehr stilles Kerlchen.“

„Ein Kind, wie jede Familie sich wünschen würde“, bestätigte Noah mit einer guten Portion Stolz in der Stimme – er schien sich in seine Ziehvaterrolle wunderbar eingefunden zu haben.

„Ich mag auch laute Kinder“ Katsuya lächelte seiner Schwester zu. „Du warst ein ziemlicher Schreihals damals.“

„Echt?“ Sie blinzelte. „Ich hatte erwartet, dass ich recht leise war.“

Der Kellner entfernte sich währenddessen wieder.

„Warum?“

„Na ja“ Sie biss sich auf die Lippe, obwohl sie eigentlich einen hübschen Lippenstift trug. „Weil ... nun, weil Mama mich behalten hat. Du warst ziemlich laut und das hat sie doch überfordert. Ich dachte, mich hat sie wahrscheinlich mitgenommen, weil ich dagegen ganz handlich war.“

„Im Vergleich zu mir warst du auch recht still“ Katsuya richtete ihren Pony ein wenig. „Du hast nur als Baby viel geschrien. Ich kann mich erinnern, dass sie das ziemlich fertig gemacht hat. Sie hat zurück geschrien und dich auch ein paar Mal geschüttelt.“

Noah und Seto merkten beide auf und verloren das Lächeln, das sie getragen hatten.

„Meistens hat sie dich einfach auf das Sofa gelegt und die Tür zugemacht. Mit ein bisschen Ei-Ei-Machen warst du aber auch irgendwann still. Ich habe dich eh fast den ganzen Tag mit mir 'rum geschleppt. Ich fand dich ganz toll, selbst, als du zu schwer wurdest.“

Shizuka seufzte, lehnte sich zur Seite und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Bruders. Nach ein paar Momenten erwiderte sie: „Unsere Mutter hätte jemanden gebraucht, der ihr sagt, wie man mit Kindern umgeht. Ich war auch ziemlich überfordert in der ersten Zeit, aber meine kurzzeitige Pflegemutter hat mir unglaublich viel erklärt. Wenn man weiß, was ein Baby will und was man dann machen muss, ist das alles eigentlich ganz einfach.“

„Ich habe keine Ahnung, was du damals alles wolltest. Ich habe dich so lange gedrückt, bis du wieder geschlafen hast. Mutter hat dir immer Milch gegeben, wenn du schriest, also hattest du davon wohl genug. Ich glaube, mit uns beiden warst du im Endeffekt gar nicht so schlecht versorgt.“

„Sie ist jetzt ein wunderbares Mädchen und eine gute Mutter, also hast du da wohl Recht“ Noah hatte sich in seinem Stuhl zurück gelehnt. „Obwohl es mir Sorgen macht, wenn du sagst, dass sie euch geschüttelt hat. Das ist bei Kindern wirklich gefährlich. Es ist ein recht häufiger Todesgrund, weil Kinder davon schwere Hirnschäden erleiden.“

„Kann man nicht mehr ändern“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich vertraue mal, dass du ihre Fehler nicht wiederholst.“

„Niemals“, versicherte Shizuka fest.
 

„Fashionably late“, urteilte Seto mit einem Blick auf die Person, die zu ihrem Tisch geführt wurde. In diesem Fall beschwerte sich Katsuya nicht einmal über den hungrigen Blick in Setos Augen.

Yami sah gut aus.

Verdammt gut.

Das halbe Restaurant drehte sich zu ihm um. Sein dünnes, schwarzes Seidenhemd mit weißem Kragen hatte Ärmel, die ab dem Ellbogen offen waren und als zwei lange Stoffbahnen hinter ihm her schwebten. Hängend hätten sie sicher bis zu seinen Knien gereicht. Seine schwarze Stoffhose wurde von einem halben Gehrock veredelt, der wie ein Umhang von seiner Hüfte ab bis zu seinen Knöcheln ging. Er sah aus wie eine schwarze Elfe, direkt irgendeinem Fantasy Buch entsprungen. Selbst die mittlerweile relativ gesellschaftstaugliche Frisur tat dieser Mischung aus Eleganz und Extravaganz keinen Abbruch.

„Ich bin gegen meinen Willen beeindruckt“, gab Noah leise zu.

„Wenn Yami eins weiß, dann ist es, sich zu kleiden. Was das angeht, ist er besser als wir beide.“

Der Ältere nickte, auch wenn er etwas verdrossen das Gesicht verzog. Er flüsterte, gerade so laut, dass Katsuya es noch hörte: „Wie kommt es eigentlich, dass sie ihn in diesem Restaurant dulden?“

„Er sieht gut aus, hat gute Manieren und Geld. Er kennt jeden und jeder kennt ihn. Was spricht dagegen, dass er hier ist? Die Yakuza speisen auch hier.“

Noah seufzte nur.

„Einen frohen Advent“, begrüßte Yami sie lächelnd und nahm es völlig selbstverständlich, dass der Kellner ihm den Stuhl hin rückte, „es tut mir Leid, dass ich verspätet bin.“

„Wie eine wahre Königin“ Seto lächelte nur und schien kein Problem damit zu haben, den flirtenden Unterton in seiner Stimme mitschwingen zu lassen. Katsuya störte es nicht. Wenn er in einem sicher war, dann, dass Seto ihn nicht betrügen würde – erst recht nicht mit Yami. „Du siehst fabelhaft aus.“

„Das war nicht einfach. Extravaganz ohne sexuellen Anreize ist gar nicht mal so leicht. Ich musste mir eine neue Garderobe schneidern lassen.“

„Die anwesenden Designer können sich trotzdem von dir eine Scheibe abschneiden. Deine Talente sind verschwendet“, gab Seto weiter Komplimente.

„Stell mich einem Designer vor“, forderte Yami im Gegenzug.

„Die lernst du von ganz allein kennen. Die Kellner rotieren gerade, weil so viele Leute hier wissen wollen, wer du bist.“

„Das war früher nicht anders. So habe ich meine Kundschaft gewonnen. Die Kellner hier werden mich auch weiter als Prostituierten vorstellen.“

Seto hob die Hand und nur Sekunden später stand ein Kellner bei Ihnen.

„Yami erzählt, es ginge das Gerücht um, er würde wenig ehrenhaften Betätigungen nachgehen. Sollten Sie etwas damit zu tun haben, unterlassen Sie solche Unterstellungen, bitte. Er ist Künstler. Außerdem arbeitet er in unserem eigenen Unternehmen. Ich will nicht, dass unserem Ruf geschadet wird.“

„Aber natürlich“ Der Kellner verbeugte sich und schien nicht im geringsten auf die Anschuldigung einzugehen – schließlich war sie höchstwahrscheinlich wahr, vor nur wenigen Wochen war Yami ja auch noch ein Prostituierter gewesen. „Die Leuten fragen, ob sie modeln, Herr Yami.“

„Warum nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. „Wäre sicherlich interessant.“

„Möchten Sie auch einen Red Bitter Orange oder ihren Standard?“, wechselte der Kellner das Thema, als wäre es nicht weiter wichtig. War es vielleicht auch nicht. Er überbrachte ja nur die Worte.

„Ein Red Bitter Orange klingt sehr gut.“

Ein neues Leben

Es tut mir Leid, dass ich derzeit auf keine ENS antworte, aber ich bin reichlich überarbeitet. Ich versuche es heute Nacht oder morgen. Zumindest habe ich die Kapitel für die nächsten paar Wochen schon fertig ^.^ Ich muss also nur die Zeit zum Hochladen irgendwo einplanen. Aber das wird schon XD

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ihr seid erstaunlich zivil zueinander“ Noahs Blick wechselte zwischen Seto und Yami hin und her. „Ich würde es sogar freundlich nennen.“

„Wir sind auch Freunde“, lenkte Seto ein, „auch wenn ich noch immer sauer bin. Aber ich wurde gebeten, mich zu bemühen, das nicht zwischen uns kommen zu lassen.“

„Seto, es tut mir unglaublich Leid“ Der selbstsichere Ausdruck fiel und wich den Sorgenlinien. „Ich ... ich weiß, dass es keine Rechtfertigung oder Entschuldigung gibt-“

„Dann versuche es auch nicht“, unterbrach Seto ihn kühl, „Ich würde dich hier nicht dulden, wenn ich nicht wüsste, dass du dich selbst schlecht genug fühlst. Deine Entschuldigung würde ich sowieso nicht annehmen.“

„Seto, das kann man höflicher formulieren“, mokierte Katsuya sich.

„Kann man“ Seto nickte.

„Schon gut. So und nicht anders kenne ich ihn“ Yami schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich glaube, höflich wäre er mir zu gruselig.“

„Siehst du? Wir verstehen uns“ Seto wies auf ihn, doch sah zu Katsuya. „Er fühlt sich schlecht und ich bin sauer. Das machen wir so lange, bis wir es Leid sind. Ich vermute sogar, dass ich als erster nachgebe. Ich bin nicht so schrecklich gut darin, nachtragend zu sein.“

„Es freut mich, dass ihr euch wieder vertragt“ Shizuka lächelte Yami zu. „Ich mag unsere Sonntage zusammen. Die letzten zwei Wochen waren ziemlich trist. Ihr zwei seid niedlich zusammen und Yami bringt mich immer zum lachen. Ich hatte schon richtig Angst, dass wir das verlieren.“

„Tut mir Leid. Ich habe euer aller Leben ganz schön durcheinander gebracht“ Er griff ihre Hand und drückte diese kurz.

„Yami, ich würde gerne nochmal kurz hervor heben, dass ich dich verführt habe. Wenn, dann trage ich die Schuld“, mischte Katsuya sich ein.

„Katsuya ...“ Sein bester Freund sah zu ihm hinüber, blickte kurz zu Seto und zurück. „Es wäre trotzdem nie so weit gekommen, wenn ich etwas mehr Selbstintegrität hätte. Wäre ich nicht so kaputt, hättest du niemals zu solchen Mitteln gegriffen, um mich da raus zu holen.“

„Du bist aber nunmal so kaputt und so haben wir dich genommen. Wenn ich deswegen radikale Entscheidungen treffe, ist das meine Wahl. Also sei bitte so gut und fühle dich nicht schuldig deswegen. Damit machst du dich nämlich nur kaputter und die Situationen für alle schwerer.“

Einen Moment herrschte Stille.

„Was bin ich froh, dass du ihn als Freund hast“ Noah legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. „Irgendwie kann ich ihm nicht böse sein.“

„Erstaunlich, nicht? Ich kriege es auch nicht hin“ Seto strich über Katsuyas Wange. „Obwohl ich mein Bestes gegeben habe.“

„War auch gut genug. Ich stand schließlich knapp davor, dir auf nimmer Wiedersehen zu sagen“ Er hob seine Hand auch zu Setos Gesicht. „Mir tut es nur Leid um dein Gesicht. Meine Narbe passt zu meinem Look, aber dich entstellt das schon ganz schön.“

Seto wandte den Kopf ein Stück ab.

„Keine Sorge, du bist trotzdem wunderschön. Fraglos schöner als jeder von uns je sein wird. Und auch diese Wunde wird heilen.“

„Die Narbe bleibt trotzdem. Das war schließlich der Sinn der Aktion.“
 

Mittlerweile war die Wunde zugeheilt – erstaunlich frei von einem Narbenwulst, aber dafür war wohl dem Arzt zu danken, auch wenn Seto ihn reichlich spät daran gelassen hatte – doch war sie noch ziemlich rot. Das würde zwar in den nächsten Wochen abnehmen – das wusste Katsuya von seiner eigenen Narbe – aber ein dünner weißer Strich würde bleiben. Allerdings schien die komplette ärztliche Kunst dafür zu sorgen, dass sie weder hervor stach noch einsank. Katsuyas eigene Narbe hatte nämlich erst einen Wulst gehabt und war danach eingesunken.

„Ich werde mich einfach die nächsten Jahre schminken, dann sieht man nichts“ Seto lächelte schief.

„Yummi“ Katsuya leckte über seine Oberlippe. „Ich mag dich geschminkt. Das steht dir“ Er grinste. „Dann siehst du aus wie der Engel, der du so überhaupt nicht bist.“

„Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment nehmen soll oder nicht“ Seto beugte sich herüber und küsste seinen Freund. „Aber ich gehe einfach davon aus, dass du die besten Intentionen hast.“

„Immer doch.“

„Bin ich eigentlich die einzige, die meinem Bruder böse sein kann?“ Shizuka seufzte. „Das war eine sehr riskante Aktion. Ich finde es ziemlich erstaunlich, dass Seto dir vergeben hat.“

„Apropos – da war noch etwas, Seto“ Katsuya blinzelte diesen aufforderungsvoll an.

„Ihr Red Bitter Orange“ Der Kellner, der aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien, servierte Yami seinen Drink. „Darf ich ihre Bestellungen aufnehmen?“

„Wir sind ganz Ohr“ Seto lächelte den Kellner an.

Katsuya beließ einen wenig begeisterten Blick auf ihm, während der Rest zwischen ihnen hin und her blickte. Der Mann war mehr als unpassend aufgetaucht. Aber gut. Er würde das Thema nicht ruhen lassen. Der Kellner zählte währenddessen jede Menge völlig fremdländischer Dinge auf, denen er nicht eine Sekunde Aufmerksamkeit schenkte. Seto würde sowieso für ihn bestellen. Erst recht, wenn er es wagte, sich ihm wieder zuzuwenden und den Blick sah, mit dem er ihn bedachte.

„Katsuya?“ Wie erwartet drehte er lächelnd den Kopf, nur damit das Lächeln erfror und seine Wangen sowie seine Schultern absackten. Langsam zog er den Kopf ein. „Uhm ... er nimmt das Hühnchen und ansonsten dasselbe“ Sein Blick flackerte zu seinem Teller, zurück zu Katsuya und zum Kellner. „Danke.“

Noah gab die Bestellungen für Shizuka und ihn auf, die ihren anscheinend ganz ähnlich waren. Yami war der einzige, der etwas anderes bestellte. Katsuya hörte nur mit einem halben Ohr zu, da er sich darauf konzentrierte, Seto in den Boden zu starren. So weit klappte es ganz gut.

„Ich spreche es an. Versprochen“, murmelte der Andere und legte eine Hand auf Katsuyas, „okay?“

„Mach es so, dass Yami nicht eingeschnappt aufsteht und geht, ja?“

„Prima Donna“, meinte Seto und verdrehte die Augen.

„Er hätte jedes Recht dazu.“

Seto wandte den Kopf zu seiner Serviette, seufzte leise und schloss die Augen.
 

„Okay, was hast du ausgefressen?“, fragte Yami Seto, nachdem der Kellner gegangen war.

„Was?“ Dieser sah erschrocken auf.

„Ich sehe Katsuya nur mit dir schimpfen, wenn du echt Mist gebaut hast. Also was hast du gemacht?“ Die violetten Augen schienen vor Interesse zu funkeln. Er lehnte sich vor und auf einen Arm.

„Nicht so wichtig“ Der Kopf senkte sich wieder.

„Seto!“

Yami kicherte leise und meinte: „Du stellst dich selten so an. So schlimm?“

„Katsuya hat mir klar gemacht, dass mein Verhalten – obwohl das Ergebnis absolut positiv ist – vielleicht etwas bedenklich war. Und da du der möglicherweise Geschädigte gewesen wärest, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass du mir die ganze Sache übel nehmen könntest.“

„Sehr schön verklausuliert“ Yami lächelte noch immer. „Es kann kaum etwas sein, dass meine letzten Vergehen übertrifft, also spuck' es aus.“

„Wohl wahr“ Seto atmete tief durch. „Ich habe Noah angestiftet, dich in die böse Abteilung zu stecken, weil ich dir wehtun wollte. Und weil ich mir dachte, dass du weniger wahrscheinlich in die Prostitution zurück rutschst, wenn du eine Woche dort bist und dann irgendwo hin kommst, wo du gut behandelt wirst.“

Yami bewegte sich nicht groß außer zweimal mit leicht gehobenen Augenbrauen zu blinzeln und einmal tief durchzuatmen.

„Im Großen und Ganzen war es eigentlich nicht allzu böse gemeint. Aber Katsuya meinte, dass es dir ziemlich schlecht ging“ Seto senkte den Blick. „Also ... tut mir Leid?“

Yami seufzte, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte einen Arm lässig über die Lehne. Ein paar Sekunden betrachtete er Seto schweigend, bevor er meinte: „Es ist sehr beruhigend zu wissen, dass das Ganze nicht auf Noahs Mist gewachsen sind. Auch wenn wir nicht die besten Freunde sind, so war der Gedanke, dass das sein Plan gewesen sein könnte, schon ziemlich verletzend.“

„Traust du mir das wirklich zu?“, fragte Noah sehr ruhig.

„Nicht wirklich, darum war ich auch verletzt. Bei Seto ergibt das wiederum völlig Sinn, solche verqueren Dinge erwarte ich von ihm“ Yami schlug ein Bein über das andere, sodass er recht entspannt aussah, wie er da halb auf seinem Stuhl hing. „Insofern brauche ich dir da auch nichts vergeben. Das bist einfach du. Der Effekt der Aktion war, dass es mir wirklich, wirklich schlecht ging. Ich schwebte dazwischen morgens dissoziativ im Bett liegen zu bleiben und meinem Leben ein Ende zu setzen, weil es mir so schlecht ging. Ich habe beides nicht gemacht, weil mir der Gedanke, was ich Katsuya vor allem damit antun würde, zu schmerzhaft war. Schließlich hat er für mich eure Beziehung aufs Spiel gesetzt und das wollte ich ihm nicht mit so einer Aktion danken.“

Setos Blick blieb gesenkt.

Yami beobachtete ihn.

Die Augen der anderen schwankten zwischen ihnen beiden.

„Wie gesagt, nichts zum entschuldigen“ Yami verzog spöttisch einen Mundwinkel. „Danke, dass ich jetzt die Wahrheit weiß. Mir reicht es, dass du weißt, was das ausgelöst hat“ Er atmete tief durch und setzte sich wieder aufrecht hin. „Wollen wir anstoßen?“
 

„Ähm ... Yami?“ Shizuka hatte ihren Kopf etwas eingezogen und sah vorsichtig auf. „Darf ich etwas fragen? Etwas Persönliches?“

„Solange du es mir nicht übel nimmst, wenn ich sage, dass ich nicht antworten möchte, immer doch“ Er lächelte sie aufmunternd an.

„Ich ... die Sache mit der Prostitution ... ich wollte schon immer fragen ... also ... du musst natürlich nicht antworten. Ich hoffe, die Frage beleidigt dich nicht ... aber ich verstehe einfach nicht, warum du das gemacht hast. Ich meine ... am Anfang dachte ich, es ist auch nur ein Job, aber je öfter ich darüber nachdenke, desto weniger verstehe ich es. Ich denke, ich könnte das nicht. Ich glaube, mich würden die Leute anekeln, die so etwas für Geld mit mir machen wollen. Und ich weiß nicht, was ich von mir selbst denken würde, dass ich das mit mir machen lasse“ Sie atmete tief durch. „Entschuldige. Ich verstehe es nur irgendwie nicht, wie man nicht im erstbesten Moment versucht, da wieder raus zu kommen.“

Yami betrachtete sie einen Moment, ob sie noch etwas hinzufügen wollte, doch sie sah einfach nur vorsichtig auf. Noah lockerte seine Krawatte. Katsuya griff Setos Hand und drückte sie leicht.

„Du hast es selbst schon gesagt. Es ekelt einen, was man selbst tut. Zumindest bei mir – und ich glaube, es ist bei vielen Prostituierten so – ist es so, dass ich einfach kein Selbstwertgefühl hatte und der Selbstekel tat sein Übriges. Das Ganze hat mich immer kaputter gemacht, aber gleichzeitig definierte ich mich darüber. Unsere Arbeit gibt uns einen großen Teil unseres Selbstwertgefühls. Ich war schön und begehrt und ziemlich gut bezahlt, das hat mich sehr selbstbewusst gemacht – gleichzeitig hat es mich aber auch immer mehr zerstört. Das war ein Teufelskreis. Deswegen bin ich ja auch acht Jahre nicht raus gekommen.“

„Acht Jahre?“ Shizuka schüttelte sich unwillkürlich.

Yami nickte und fuhr fort: „Dein Bruder ist der einzige Mensch, der nicht meinen Körper sondern mich mochte. Und Seto mochte wenigstens beides. Ansonsten hat mich niemand um meinetwillen gemocht. Besonders Katsuya hat mich aus dieser Sache raus gezogen. Und selbst das hat zwei Jahre gebraucht.“

„Uhm ... ich glaube, das verstehe ich“ Sie nickte langsam. „Aber ... warum hat es dir dann geholfen, dass mein Bruder mit dir geschlafen hat? Das will mir nicht in den Kopf.“

„Tja ...“ Yami legte eine Hand an sein Kinn. „So objektiv betrachtet macht es nicht wirklich Sinn, was?“

Noah räusperte sich leise, verschränkte die Finger ineinander, lehnte sich vor und stützte seinen Kopf auf diese. Seto sah wieder auf und suchte Yamis Blick, der allerdings auf Shizuka lag.

„Ich brauchte ein Ereignis. Ein bedeutendes Ereignis, um mir selbst zu sagen: Jetzt machst du es. Und etwas, was mich davon abhielt, die Sache bei der ersten Schwierigkeit wieder aufzugeben. Etwas, was mir gleichzeitig Selbstwertgefühl und Kraft gab. Tja ... keine Ahnung. Das kam damit alles zusammen, denke ich“ Er lächelte schief. „Vielleicht kann ich dir in einem halben Jahr eine bessere Antwort geben.“

„Hm ... okay“ Sie sah zu ihrem Bruder. „Solange es funktioniert hat“ Sie sortierte die Serviette auf ihrem Schoß.

Yamis Blick machte einen Schlenker über Katsuya und Seto zu Noah hinüber. Seto wandte auf dem Weg den Blick ab. Noah erwiderte diesen jedoch. Die beiden sahen sich mehrere Sekunden an und schienen eine Art wort- und mimiklose Diskussion zu haben. Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Bleibst du jetzt dabei?“, fragte Noah.

„So gut es mir möglich ist.“

„Und was planst du für die Zukunft? Was willst du machen?“

„Keine Ahnung“ Yami seufzte leise. „Meine jetzige Abteilung gefällt mir. Ich glaube, ich mache mich auch nicht allzu schlecht. Darf ich weiter bei dir arbeiten?“

„Ich habe nichts gegen unbezahlte Arbeitskräfte“ Noah zuckte mit den Schultern. „Kannst du dich daran halten, wenn ich dir einen Vertrag anbiete?“

„Ja“ Yami sah auf, der Blick plötzlich so verletzbar wie offen. „Ich verspreche, ich gebe mein Bestes.“

„Komm morgen in mein Büro.“

Advent

Alles tanzt in den Mai und ich sitze zuhause. Mensch, ich brauche ein Leben -.- Arbeit ist doof. Eigentlich sollte ich gerade was anderes machen, aber Kapitel hochladen ist eine gute Ausrede für alles, findet ihr nicht?

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und entschuldige mich für meine schlechte Antwortrate zur Zeit!
 

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Der Rest des Essens verlief entsprechend angenehm. Noah erzählte Seto Geschäftsdinge, die keiner sonst verstand, während Shizuka über ihre Schule redete. Seto gab ein Update über das Mutter-Kind-Heim und Noah, Yami und er diskutierten einige Zeit über die geplante Benefiz-Gala. Yami fragte nach Ryou, wobei Seto einschritt und kurz erklärte, dass es einen Streit mit Bakura gegeben habe und das Thema bitte erstmal ruhen sollte. Er küsste Katsuya aus seinem leichten Anfall von Dissoziationen und Yami erklärte Noah währenddessen, dass das dasselbe war, was er von seinem Bruder kannte und wo man Eis, Gummibänder oder Bewegungsübungen machte, um wieder heraus zu kommen. Katsuya hörte dem Teil über Imaginationsübungen sogar wieder aktiv zu.

Während all dessen bekamen sie erst Suppe, dann eine Gänseleberpastete, einen Salat, zwei Hauptgänge und zwei Desserts serviert. Seto erklärte ihm freundlicherweise, was er da überhaupt aß – es war ziemlich lecker und Katsuya fragte sich, ob er bei dem ein oder anderem nach dem Rezept fragen dürfte, tat es dann aber nicht.

Über die Desserts kamen auch die angekündigten wichtigen Leute, die Seto und Noah dringend die Hand schütteln wollten. Die meisten waren wohl Geschäftspartner, denn schon innerhalb weniger Sätze ging es stets um wirtschaftliche Entscheidungen, Inflation, Konjunktur und die Jahresbilanz. Katsuya schaltete beim ersten dieser Wörter stets ab und beobachtete lieber diejenigen, die Yami begrüßten. Er hatte nämlich nicht weniger Gäste – drei Models sprachen ihn an und ein Fotograf und ein Modedesigner waren auch unter der Menge. Die anderen drei Männer nannten ihren Beruf nicht, aber sie schienen Yami auch zu kennen. Einer küsste ihn auf die Wange und sie besprachen kurz etwas wegen Freitag Abend. Als Katsuya jedoch nachfragte, schüttelte Yami nur den Kopf. Er sammelte Visitenkarten und gab seine eigenen raus – dieselben, die er auch als Stricher benutzt hatte. Goldene Schrift auf einer schwarzroten Karte. Nur ein Name und eine Telefonnummer.

Shizuka wollte auch eine, weil sie sie hübsch fand und Yami überreichte ihr lächelnd eine. Katsuya nahm den aufgewachten Isamu auf den Arm, doch übergab ihn seiner Schwester, als er zu sehr quäkte. Sie ging zu den Toiletten, um ihm dort die Brust zu geben.

„Klappt das mit ihr und dem Kind?“, wandte sich Seto an seinen Bruder und nahm einen Schluck von seinem Espresso.

„Im Großen und Ganzen schon“ Noah warf einen Blick hinter ihr her und lehnte sich danach etwas zu ihm. „Man merkt, dass sie sich das anders vorgestellt hat, aber es geht.“

„Wie meinst du das?“, fragte Katsuya nach.

„Nun ja“ Noahs Blick schnellte zwischen Seto und ihm hin und her, bis der Ältere nickte. „Sie ist nunmal ziemlich jung. Sie geht gern feiern und einkaufen. Sie merkt erst jetzt, wo sie Isamu hat, wie viel Arbeit ein Kind ist. Und das ist ihr öfter mal schon etwas zu viel. Es ist okay, da ich gern auch mal abends auf ihn aufpasse. Ich habe nur manchmal Angst, dass ich am Ende mehr mit Isamu zu tun habe als sie selbst.“

„Stört es dich?“, fragte Seto nach.

„Nun ... nicht wirklich. Ich bin selbst überrascht, wie viel Spaß ich daran habe, mich um ein Kind zu kümmern. Nur mache ich mir um Isamu Sorgen, ob er nicht irgendwann seine Mutter vermisst.“
 

„Lehnt sie Isamu denn ab? So wirkt sie nämlich nicht auf mich“, mischte Yami sich ein.

Katsuya schwieg lieber. Er hätte gern sofort seine Schwester verteidigt, aber Noah lebte mit ihr zusammen. Wenn er so etwas sagte, war wohl auch etwas dran.

„Nein, das nicht. Sie liebt ihn schon sehr. Sie hört es nur sehr ungern, wenn ich ihr sage, dass sie auch mal einen Abend zuhause bleiben könnte“ Noah seufzte. „Wenn ich sie ausführe, hat sie kein Problem damit, aber einfach zuhause zu bleiben, das scheint nichts für sie zu sein.“

„Vielleicht ist es auch nur eine Phase“ Seto legte eine Hand an sein Kinn. „Ihre Mutter ist ein ziemlicher Kontrollfreak. Sie genießt es wahrscheinlich, jetzt nicht mehr dort zu sein. Wenn du ihr so etwas sagst, erinnert sie das wahrscheinlich an die Verbote ihrer Mutter. Ich glaube, das muss nichts mit Isamu zu tun haben.“

„Hm ... das macht auffällig Sinn“ Auch Yami nahm eine seiner Haltungen ein, die andeutete, dass er über etwas nachdachte. „Sie ist auch gerade in der Identitätsfindungsphase. Dieses Gefühl von Unabhängigkeit und Ungebundensein dürfte gerade sehr wichtig für sie sein.“

„Sie ist trotzdem Mutter und das bringt ein paar Verpflichtungen mit sich“ Noah schüttelte den Kopf. „Ich kann es ja verstehen, wenn sie ihre Freiheit genießen will, aber nicht auf Isamus Kosten.“

„Du kümmerst dich doch um ihn“ Seto sah zu seinem Bruder.

„Ich kann aber nicht seine Mutter ersetzen.“

„Und warum solltest du das? Kinder können auch sehr gut bei anderen Menschen groß werden. Auch zeitweise.“

„Das, was sich dann entwickelt, nennt man gestörte Bindungsverhältnisse“ Noah setzte einen strengeren Blick auf. „Wenn ich Isamu weiter betreue, bis er groß ist, würde ich mir ja auch weniger Sorgen machen, aber er ist nicht mein Kind. Shizuka wird in ein paar Monaten in ein Mutter-Kind-Heim ziehen. Dann gibt es sie und nur sie als Mutter.“

„Dann sollte sie vielleicht bei dir bleiben“, schlug Seto vor.

„Bitte?“ Noah wich erschrocken zurück. „Aber ...“

„Was denn? Du siehst nicht gerade so aus, als würdest du Isamu freiwillig wieder abgeben wollen“ Seto grinste fies. „Gib es doch zu, du liebst das Kind, als wäre es dein eigenes.“

„Nun ... ja, aber ...“ Noah zog eine Schnute, als wäre es nur halb so alt wie er es eigentlich war. „Ich ... irgendwann wird sie einen Mann finden und der wird Isamus Vater werden. Ich kann nicht ... ich weiß nicht, ob ich das dann noch kann.“

„Ihn wieder gehen zu lassen?“ Seto lächelte sanft. „Lass dir mal einen Rat von deinem sozial über alle Maßen gestörten Bruder geben. Kinder sind sehr einfach. Sie lieben einen, wenn man sie liebt. Und sie vergessen einen auch nicht einfach. Bist du einmal wichtig für Isamu, wirst du es immer bleiben, auch wenn er einen Anderen Papa nennt.“

„Trotzdem ... was bin ich denn dann?“

„Onkel Noah“ Seto zwickte seinen Bruder in die Seite, der darauf kurz zusammen zuckte und den anderen entgeistert ansah. „Dann bist du auch weniger steif.“

„Ich bin nicht steif. Ich bin extrem jugendlich gegen all die alten Pappnasen, mit denen ich täglich zu tun habe.“

„Auch wahr“ Seto legte den Kopf schief. „Noah, ich glaube, dein Beruf schadet dir. Vielleicht solltest du mal über einen Wechsel nachdenken.“

Den Blick, den Noah ihm dafür sandte, konnte man nicht wirklich gut beschreiben. Auf jeden Fall lagen sowohl Yami als auch Katsuya fast unterm Tisch vor Lachen. Die Leute um sie herum sahen irritiert zu ihnen herüber, aber sie konnten sich beide nicht zusammen reißen.
 

Katsuya kicherte noch immer, als Seto die Tür ihres Hauses aufschloss. Diesmal, weil Seto ihn an den Blick erinnert hatte. Bevor er sich darüber lustig machte, dass er schließlich intelligent gewesen war und das alles lange hinter sich gelassen hatte. Immer diese Workaholiker...

Katsuya lachte erneut auf. Echt, gerade Seto! Er schüttelte den Kopf und küsste Seto einfach mal auf die Lippen. Er war manchmal echt klasse.

Der Andere legte einen Arm um seine Hüfte, zog ihn an sich und küsste ihn noch einmal tief und lang, bevor er leise fragte: „Und was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“

„Ich möchte etwas Weihnachtliches“ Katsuya legte sein Kinn auf Setos Brust. „Haben wir Deko? Oder Orangen?“

„Du kannst froh sein, wenn ich Kerzen auftreiben kann“ Seto hob einen Mundwinkel, doch wandte kurz darauf den Blick zur Seite. „Ich habe da allerdings etwas eingekauft ... ich hab' davon im Internet gelesen.“

„Und was?“ Katsuya lächelte hoch.

„Äpfel“ Eine blonde Augenbraue hob sich. „In Europa wickelt man Äpfel in Folie ein und legt sie in den Kamin und wartet, bis sie weich sind und dann isst man sie mit Zimt.“

„O... kay“ Er blinzelte. „Lass es uns ausprobieren. Kaminfeuer hört sich sehr gut an. Unser Kamin ist also nicht nur Deko?“

„Nein, den kann man glatt bedienen“ Seto lächelte glücklich. „Holz, Äpfel und Zimt sind im Keller. Gehst du alles holen, bitte?“

„Klar“ Katsuya ging kurz auf die Zehenspitzen und tupfte noch einen Kuss auf die Lippen des Anderen. „Ähm ... was ist Zimt denn? Wie sieht das aus?“

„Das ist ein Pulver. Wahrscheinlich ein Gewürz. Ich habe es einfach bestellt. Ist so ein kleines Döschen“ Seto zeigte ihm mit zwei Fingern eine ungefähre Größe an. „Da stand, dass man das entweder so drauf tut oder mit Zucker mischt und dann drüber streut. Du wirst sicher irgendetwas Tolles draus machen“ Er lächelte mit völliger Überzeugung.

„Na, dein Glaube in allen Ehren. Probieren wir es aus. Ich gehe mal die Sachen aus dem Keller holen“ Katsuya machte sich auf und schüttelte lächelnd den Kopf. Er hatte es genau gesehen: Das verdächtige Glänzen in Setos Augen. Da hatte gerade mindestens zur Hälfte ein kleines Kind vor ihm gestanden, das sich auf Süßigkeiten freute. Weiche, warme Äpfel mit Zucker ... na, wenn er meinte. Süßmäulchen.

Er zog die Sachen aus dem Schrank und schnappte sich einen Korb mit Holz. Er fühlte sich ein wenig, als hätte man ihn hunderte von Jahre in die Vergangenheit versetzt – er lief mit Holz und Äpfeln im Arm durch einen dunklen Keller. Nur war der natürlich weiß gekachelt und kein Gewölbe wie in den Ritterfilmen um ihn herum. Schade, dass Seto Keller so Angst machten. Er würde sicher nie sein Kellergewölbe kriegen.

Oben hatte Seto ihnen etwas zu trinken eingeschenkt und eine Kerze auf den Couchtisch gestellt und angemacht. Er nahm ihm lächelnd das Holz ab und begann dieses im Kamin aufzubauen. Er reichte Katsuya währenddessen einen Zettel, auf dem beschrieben war, wie man diese Äpfel machte – die Zeichen erkannte Katsuya als die, die er in Englisch gelernt hatte, aber die Sprache war ihm völlig unbekannt.

„Ähm, Seto? Kannst du mir das übersetzen?“

„Ja, sicher“ Der sandte ein kurzes Lächeln über die Schulter. „Ich kümmere mich eben noch um den Kamin.“

„Sicher“ Katsuya ließ sich aufs Sofa fallen und guckte sich die Bilder an. Schien nicht besonders schwer zu sein. Nur wunderte er sich ein wenig über die Quelle, wenn Seto so etwas nicht mal auf Englisch fand. Na ja, würde schon schief gehen. Er machte das kleine Döschen auf, dippte einen Finger auf das braune Pulver und probierte mal. Hm ... nicht scharf, nicht süß. So etwas kannte er auf jeden Fall noch nicht. Mal schauen, wie es mit etwas Apfel schmecken würde.
 

Das Leben war schön.

Mit dem Rücken gegen Setos Brust gelehnt wurde Katsuya mit warmen Apfel gefüttert. Zimt war lecker. Und es war noch eine Menge übrig, um in Zukunft damit zu experimentieren. Und der Traubensaft war auch toll. Und das Feuer. Und die warme Decke, die Seto über sie gelegt hatte. Katsuya seufzte glücklich.

„Ich liebe dich“, murmelte er zufrieden und bekam dafür noch etwas mehr Apfel.

„Ich gebe zu, das hier kann man öfter machen. Ich glaube, ich will ein großes Fell hier. Eins, das wir vor den Kamin legen können.“

„Wie in den Wikingerfilmen?“

„Ja, genau“ Seto gluckste. „Was machen wir Heiligabend? Soll ich uns eine wunderschöne Suite in einem hübschen Hotel mieten?“

„Hm ... nein“ Katsuya leckte etwas Apfel von dem schönen Löffel, mit dem er gefüttert wurde. „Lieb' mich hier. Auf dem Fell.“

„Ich soll morgen ein Fell besorgen, das übermorgen hier sein soll? Das sind mal Ansprüche“ Seto biss sanft in das Ohr, das Katsuya ihm zu wandte. „Ganz, wie du wünscht. Dann liebe ich dich hier in unserem Wohnzimmer.“

„Dann sollten wir wohl den Teppich noch einmal nutzen, solange er noch hier liegt“ Der Blonde lächelte schelmisch.

„Du bist schlimm, weißt du das?“

„Nur unersättlich“ Katsuya stellte den Teller zur Seite, drehte sich um und ließ sich langsam nach hinten auf den Teppich sinken. „Lieb' mich.“

„Gern“ Seto legte sich über ihn und zwischen die ausgebreiteten Beine, um ihn zu küssen. „Aber ich habe keine Kondome hier. Du musst mich kurz nochmal loslassen.“

„Ich hasse die Dinger“ Katsuya rollte mit den Augen. „Wann sind meine drei Monate endlich rum?“

„Mein liebster Schatz, ich habe letzte Woche eine gute Stange Kerle durchgevögelt. Drei Monate ab letzter Woche“ Der unten Liegende verzog das Gesicht – es hinderte Seto nicht daran, noch einen drauf zu setzen. „Genau genommen bin ich immer noch dafür, dass wir einfach immer welche benutzen. Hattest du schonmal Clamydien? Das ist verdammt unangenehm.“

„Seto“ Katsuya wusste, dass er weinerlich klang. „Ich will einfach nur dich spüren. Ohne irgendetwas dazwischen. Wenigstens einmal. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, wenn du in mir kommst.“

Er sah Setos Kehlkopf auf und ab wandern.

„Dann ... sollten wir ein paar Monate nicht streiten. Und nicht fremd gehen. Yami gehört zu den letzten Menschen, die du als sicher einschätzen kannst.“

„Ich betrüge dich nicht mehr. Nie mehr“, versprach Katsuya.

„Hm ... Valentinstag? Wir lassen uns vorher testen und wenn wir beide nichts haben, dann ... dann?“, schlug Seto vor.

„Na gut“ Katsuya seufzte tief. Aber er wusste, er würde Seto jetzt nicht überredet kriegen. War wahrscheinlich auch besser, aber trotzdem ... er fand, dass Seto übertrieb. Klar, wenn wirklich einer von ihnen etwas hatte, dann war es reichlich scheiße, wenn er das weiter gab, aber ... es war einfach blöd.

„Soll ich alles holen?“

„Nein“ Er zog einen Schmollmund und legte die Arme um Seto. „Will nicht mehr. Du bist doof.“

„Katsuya“ Doch der wandte nur den Kopf ab. „Katsuya“ Er schnaubte. Seto verdrehte die Augen. „Weiber.“

Homophobie

Die Frage nach dem Spannungsbogen dieser Geschichte war äußerst berechtigt - ohne viel Vorgeplänkel: Hier ist er.

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Seto?“

„Ja?“

„Ich will nicht zur Schule.“

„Hm?“ Der noch Dösende blinzelte, betrachtete Katsuya mit müden Augen und drehte sich zu ihm. „Warum?“

„Morgen ist Heiligabend. Warum haben wir die zwei Tage noch Schule? Das hätten sie uns echt freigeben können!“ Er schlug auf Setos Brust. „Schreib mich krank.“

„Kann ich nicht, ich bin kein Arzt“ Dieser strich fahrig über einen Arm, um ihn zu beruhigen. „Und sagtest du nicht, dass du heute mit den Mädels zum Karaoke verabredet bist? Du musst hin.“

Katsuya schob die Unterlippe vor die Oberlippe.

„Mein armer, kleiner, gebeutelter Schatz“ Setos Stimme triefte vor Sarkasmus. „Wie kann ich dir dein Leben bloß leichter machen mit meinen bescheidenen Mitteln?“

„Du kannst Frühstück machen“, entschied der Blonde.

„Hm ... ich hatte jetzt eine andere Antwort erhofft.“

„Ich spare mich für morgen auf“ Ein Grinsen. „Ein bisschen Abstinenz macht jedes Erlebnis gleich noch genussvoller.“

„Du bist kein Hund, du bist ein Imp“ Seto verdrehte die Augen. „Komm, wir müssen aufstehen. Schließlich muss ich dir ja Frühstück machen ... als würde ich das nicht eh schon täglich tun.“

„Gerade wolltest du noch mit mir schlafen und jetzt haben wir keine Zeit mehr?“

„Genau“, erwiderte er und erhob sich aus dem Bett.

Katsuya blinzelte und schüttelte den Kopf. Genau? Manchmal war der Kerl nicht fassbar. Mit einem Seufzen schwang er sich auch aus dem Bett und schleppte sich ins Bad. Dusche, Rasieren – das Gesicht, nicht den Rest, so was brachten nur Seto und Yami – Haare kämmen und ab zum Frühstück.

„Ich habe dir Kakao warm gemacht“, begrüßte Seto ihn unten, wo dieser gerade Katsuyas Frühstücksdose schloss und zu seiner Tasche brachte.

„Danke“ Katsuya küsste ihm im Vorbeigehen auf die Wange und setzte sich an den Tisch, wo bereits Brot und Aufschnitt für ihn bereit stand. Seto stand halt auf europäisches Frühstück. „Feiert man Weihnachten in Europa eigentlich wie bei uns?“

„Nein“ Seto kam herüber und schnappte sich seinen Kaffee. „Das ist es ein Fest der Familie, nicht der Liebe. Es gibt geschmückte Bäume in jedem Haus mit Geschenken für die Kinder und Familienfeiern.“

„Warum ist das so anders wie bei uns?“

„Katsuya, wir haben Weihnachten von denen übernommen. Nicht die von uns. Japan hat den Titel „Fest der Liebe“ gelesen und daraus Sexorgien für Paare gemacht. Wir Japaner sind Sex gegenüber weit aufgeschlossener als Europäer.“

„Heißt das, Homosexuelle haben noch mehr Probleme in Europa als bei uns?“

„Nun ... das nicht gerade“ Seto nahm Platz und überlegte kurz. „Bei uns kann man homosexuell leben, aber es darf halt keiner mitkriegen. Man sagt so etwas nicht. In Europa war das vor zwanzig Jahren so. Jetzt sagen Leute da drüben so etwas, aber die Reaktionen sind halt bisweilen ziemlich ungünstig. Man wird nicht getötet oder geschlagen oder so, aber man kann aus der Familie ausgeschlossen werden oder seinen Arbeitsplatz verlieren. Ich denke, wenn man bei uns beginnen würde, so etwas zu sagen, hätte das dieselben Auswirkungen.“

Na super ... waren ja klasse Aussichten.
 

„Warum sagen es Leute dann überhaupt?“ Katsuya nippte an seinem Kakao.

„Warum wolltest du, dass wir unsere Beziehung bekannt machen? Um nicht ewig versteckt zu leben. Die Familie anlügen, am besten noch eine Scheinbeziehung führen, niemals außerhalb der Wohnung Zuneigung zeigen und immer Angst haben, dass irgendwer es heraus findet“ Der Ältere biss in sein Schwarzbrot und kaute einen Moment, bevor er weiter sprach. „Aber obwohl relativ viele es sagen und die Reaktionen jetzt nach zwanzig Jahren gar nicht mehr so schlimm sind, sagen es trotzdem nur ein Zehntel der Homosexuellen. Eher gesagt fünfzehn Prozent der Schwulen und sieben Prozent der Lesben. Das gibt mir ein ungefähres Bild, wie unsere Zukunft hier in Japan aussieht.“

„Du meinst, wir werden selbst in zwanzig Jahren noch angefeindet werden?“

Seto nickte nur und fuhr fort: „Ich habe meinen Job, weil kein anderer ihn will. Oder weil kaum ein anderer ihn kann. Aber würde ich mich irgendwo bewerben, wo es sinnvolle Konkurrenz gäbe, würde man mich nicht nehmen – ich bin nicht nur schwul, ich bin auch psychisch krank. Das sind zwei harte Ausschlusskriterien.“

„Aber du bist genial!“ Katsuya legte die Stirn in Falten.

„Na und? Der genialste Arbeiter ist immer noch eine Liabilität, wenn er seine Arbeitszeit damit verbringt, seine Kollegen zu verführen und flach zu legen. Oder zu beklauen. Oder die anderen vertreibt, weil er sich in den Pausen vor dem PC einen runter holt. Oder einfach nur durch sein unmännliches Verhalten einen Störfaktor darstellt.“

„Wer glaubt denn, dass wir so einen Mist machen würden?“ Er verzog den Mund noch dazu.

„Katsuya, das nennt man Vorurteile. Die Menschen wissen es nicht besser.“

„Aber das ist völliger Mist! Und es ist falsch!“ Katsuya lehnte sich zurück mit verschränkten Armen. „Okay, ich habe früher auch ein paar böse Sprüche über Schwuchteln gemacht, aber mir war eigentlich immer klar, dass das nicht stimmen kann.“

„Es gibt dir trotzdem eine gewisse Grundhaltung. Allein, dass du das Wort Schwuchteln ohne jede Scham aussprichst, sagt einiges darüber, wo deine Meinung so liegt“ Seto hob eine Augenbraue. „Fast jeder weiß, dass die Vorurteile übertrieben sind. Aber einen Teil davon hält man trotzdem immer für wahr. Vielleicht verführen wir nicht den ganzen Tag lang Kollegen, aber wir machen uns trotzdem an ein oder zwei ran und die stört das. Und sobald es alle wissen, fühlen sie sich unwohl, halten Abstand, wechseln vielleicht den Arbeitsplatz. Ein Teil davon ist sogar wahr – sobald alle Kollegen es wissen, wird es ein oder zwei geben, die es stört“ Erneut ließ er eine Pause, wo er von seinem Brot aß. „Würdest du einen schwulen Kindergärtner einstellen? Okay, dass er sich an die Kinder ran macht, ist höchstwahrscheinlich übertrieben, aber wer sagt denn, dass es die Kinder nicht irgendwie beeinflusst? Und es wird auf jeden Fall Eltern geben, die ihre Kinder dann nicht mehr in den entsprechenden Kindergarten lassen.“

„Aber all die Probleme entstehen doch nur, weil Leute homophob sind. Das alles hat doch nicht die geringste Grundlage außer die allgemeine Ablehnung. Hätten Leute nicht die Einstellung, Homosexualität sei schlecht, gäbe es gar keine Probleme“, schlussfolgerte Katsuya.

„Doch“ Ein Schluck Kaffee. „Homosexuelle Paare haben tendenziell weniger Kinder. Vor allem männliche Paare. Ungeplante Schwangerschaften gibt es einfach nicht.“

„Heißt, unglückliche Kinder gibt es auch massenweise weniger“ Katsuya knirschte mit den Zähnen.

„Ja, richtig. Kinder homosexueller Paare sind glücklicher, besser sozial integriert und gesünder als der Durchschnitt der Kinder heterosexueller Paare“ Seto beobachtete ihn über den Rand seines Kaffeebechers. „Es sind trotzdem weniger.“

Und das sollte jetzt das entscheidende Argument gegen Homosexuelle sein?
 

„Na und? Es gibt ja wohl genug Menschen auf dieser Welt. In der dritten Welt verhungern Kinder, weil es nicht genug Arbeit gibt. Sollen die Leute halt herkommen.“

„Aber es sind Ausländer. Sie haben eine andere Kultur. Sie sprechen unsere Sprache oft nicht oder halt nicht gut. Sie verändern uns, unsere Sprache und unsere Kultur. Sie bringen jede Menge Probleme und Krankheiten her.“

Katsuya betrachtete seinen Freund mit absolutem Unglauben. War das wirklich Setos Meinung? Okay, er würde einem Bettler auch die Tür vor der Nase zuschlagen, aber trotzdem ...

„Was? Eine kranke, aber kulturell geeinigte Bevölkerung ist den Menschen lieber als eine gesunde Bevölkerung, die von Ausländern infiltriert wird. Schließlich sind sie fremd und damit schlecht. Alles, was man nicht kennt, wird prinzipiell abgelehnt. Sie machen eine Bevölkerung krank. Kränker, als sie zuvor war. Also hat die eigene Bevölkerung gefälligst viele Kinder zu kriegen.“

„Ich finde die Einstellung krank“, entschied Katsuya, „ich spüre Ekel, wenn ich dir nur zuhöre. In mir wehrt sich da alles gegen.“

„Das finde ich persönlich auch gut so“ Seto trank seinen Kaffee aus. „Aber so läuft die Argumentation. So hat es stets funktioniert, also wird es das auch weiter tun. Frag doch mal in deiner Klasse, was schlimmer ist – schwul oder Ausländer. Das ist zwar eine völlig andere Frage, aber wie viele werden dir antworten, dass beides doch gar kein Problem ist?“

„Ryou und Ayumi ... vielleicht“, flüsterte der Blonde, „ich glaube, ich hätte das nicht einmal selbst gesagt.“

„Etwas, was ich sehr an dir schätze, ist deine Selbstreflexion“ Seto lächelte. „Die meisten Menschen wissen, dass Vorurteile nicht wahr sind. Aber es bleibt trotzdem etwas hängen und sei es nur die Einstellung, dass Homosexualität etwas Schlechtes ist. Wenn du nachfragst, warum, kriegst du allerdings die unmöglichsten Antworten, die irgendwann in die Vorurteile abdriften. Menschen können ihre Homophobie nicht begründen. Es ist einfach nur ein inneres Störgefühl.“

„Das ist scheiße“, meinte Katsuya grob.

„Würdest du ein behindertes Kind aufziehen wollen?“

„Höh?“ Der Blonde blinzelte. „Was hat das mit dem allen zu tun?“

„Antworte einfach.“

„Ähm ... abgesehen von der Tatsache, dass du keine Kinder willst ... ich ... ich weiß nicht. Ich glaube, das kommt auf das Kind und die Situation an.“

„Was hält dich davon ab, sofort ja zu sagen?“ Seto lehnte sich vor und stützte sich mit einem Arm ab. „Unter der Voraussetzung, dass du ein Kind willst.“

„Ich weiß ja nicht, was die Behinderung ist. Ich weiß nicht, ob ich damit klar komme“ Katsuya sank ein wenig in den Stuhl. „Ich bin nicht illusorisch genug, um zu sagen, dass das kein Problem sein wird und ich mein Kind trotzdem über alles liebe.“

„Die meisten Menschen würden entweder wie du antworten oder sofort nein sagen. Sie wissen nicht, was da auf die zukommt. Bei einem normalen Kind würden die meisten allerdings ja sagen, obwohl sie eigentlich auch nicht wissen, was auf die zukommt. Ein nicht behindertes Kind kann trotzdem ziemlich grausig sein. Woher kommt das?“

„Uhm ... inneres Störgefühl?“ So langsam musste es ja eine Verbindung zu ihrem alten Thema geben.

„Vor allem das. Und die gehörten Vorurteile, deren Kern ja eine gewisse Wahrheit hat. Behinderte Kinder brauchen meist mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Dass die meisten Eltern behinderter Kinder diese sehr gern geben und eigentlich äußerst zufrieden sind, wird dabei nicht beachtet. Man sieht nur die, die das nicht leisten können, wo das Kind die Eltern überfordert. Bei Homosexuellen sieht man nur die, die nur trinken und feiern, ungeschützt Geschlechtsverkehr haben und damit Werte wie Treue oder Zusammengehörigkeit in den Schmutz ziehen. Solche wie uns beide sieht man nicht.“

„Na ja, die Sache mit der Treue haben wir in den letzten zwei Wochen wirklich nicht so hoch gehalten“ Katsuya senkte den Blick.

„Wir müssen nicht päpstlicher als der Papst sein. Es reicht mir, uns irgendwo auf oder über dem Durchschnitt heterosexueller Beziehungen zu bewegen“ Seto aß das letzte Stück seines Brotes. „Was ich sagen will, ist, dass man durch das innere Störgefühl nur das Negative sieht. Es ist sehr schwer, so etwas zu ändern.“
 

„Und woher kommt das innere Störgefühl?“, fragte Katsuya etwas ruhiger.

„Wer weiß? Erziehung, Genetik ... es verschwindet, je mehr Homosexuelle man kennt. Aber es ist bei ungefähr drei Vierteln der Bevölkerung vorhanden. Mehr oder weniger ausgeprägt halt“ Seto begann das Frühstück wieder ab zu räumen.

„Wie viele Leute in der Bevölkerung kennen Homosexuelle?“

„Ein Drittel ungefähr. Zumindest die, die wissen, dass jemand es ist.“

„Und der Rest kennt nicht einen einzigen Homosexuellen? Oder eine?“ Katsuyas Lider weiteten sich. „Das sind ziemlich wenige.“

„Ich kann Menschen ihre Homophobie nicht wirklich übel nehmen. Sie kennen keine Homosexuellen, sie haben nur Vorurteile gehört. Und irgendwo her kommt das innere Störgefühl.“

„Das heißt, die Situation wäre besser, wenn alle dazu stehen ... aber wenn sie dazu stehen, müssen sie mit harten Konsequenzen rechnen. Das ist kompliziert“ Seto lachte auf. „Ja, ja, okay, das war eine blöde Aussage ... natürlich ist es kompliziert“ Katsuya stand auf, um seinen Freund zu helfen. „Ich glaube, ich mache heute Nachmittag mal ein, zwei Umfragen unter den Mädchen. Ich frage mich, wie sie reagieren.“

„Aber vergraul' sie nicht“ Seto küsste ihm auf die Schläfe. „Menschen reagieren nicht gut darauf, wenn ihnen klar wird, dass ihre Einstellung ziemlich unbegründet ist.“

„Ja ja“ Katsuya grinste. „Keine Sorge, ich bin sozial etwas begabter als du“ Er schnappte sich den Anderen für einen Kuss auf den Mund. „Aber ich muss los. Und du musst duschen.“

„Dann mach dich los. Und melde dich, wenn du sehr spät nach Hause kommst. Denk daran, dass du morgen noch Schule hast“ Eine Hand strich über seinen Rücken zu seinem Po. „Nicht, dass du mir morgen Abend zu müde bist.“

„Ich werde dir niemals müde“ Sie tauschten einen Kuss mit Zunge. „Jetzt muss ich aber wirklich los“ Mit einem letzten Lächeln drehte Katsuya sich um, schnappte sich seine Tasche und sein Kunstzeug und machte sich auf den Weg.

Mit einem Blick auf die Uhr verfiel er schnell ins Rennen, um seine Bahn noch zu kriegen – die natürlich gerade heute drei Minuten Verspätung hatte, aber so war das ja nun mal. Er quetschte sich in den Zug, beschützte seine Kunstsachen auf dem Weg und tauschte ein paar Fratzen mit einem kleinen Kind, das wenige Meter von ihm entfernt auf dem Schoß seiner Mutter saß.

Ein paar Haltestellen später machte er sich raus und auf den Weg zur Schule. War ja zum Glück nicht allzu weit. Noch zweimal abbiegen und dann ... ein Gefühl der Vorahnung überkam ihn. Ein Kleintransporter mit dunklen Scheiben stand an der Seite der Straße und wirkte irgendwie nicht ganz geheuer.

Zur Vorsicht wechselte er die Straßenseite, doch mitten auf der Straße hörte er das Geräusch einer öffnenden Transportertür. Panik? Angebracht, dafür hatte er lange genug am Stadtrand gelebt. Er sprintete die Straße in Richtung Schule.

Mehrere Fußschritte folgten ihm.

Rennende Schritte.

Er warf einen Blick über die Schulter.

Drei Männer, groß gewachsen, bullig.

Einer recht knapp hinter ihm.

Er warf ihm die Tüte mit den Kunstsachen entgegen, sah wieder nach vorne und rannte, so schnell er konnte.

Rennen, straucheln, weiter rennen.

Er schaffte es.

Ein Ruf, ganz nah hinter ihm.

Eine Hand packte seinen Arm, eine seine Schulter und riss ihn zu Boden.

Mit dem Aufschlag wurde alles schwarz.

Gefangen

Ich habe heute das erste Mal seit Wochen wieder richtig Freizeit gemacht *v* Das ist so toll! Könnt ihr euch vorstellen, wie absolut göttlich vier freie Stunden sein können, wenn man an nichts denken muss? So klasse...

Ich wünsche euch ein ähnlich tolles Gefühl und viel Spaß beim Lesen ^v^
 

P.S.: In ein paar der folgenden Kapitel wird Englisch gesprochen. Sehr einfaches und kurze Sätze, also hoffe ich, dass es für jeden verständlich ist. Ich hoffe, es versetzt euch mehr in die Situation als dass es euch entfremdet. Ich weiß, Fremdsprachen sind nicht jedermanns.
 

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Katsuya öffnete langsam die Augen.

Ein Blinzeln, ein zweites und er versuchte zu fokussieren. Wo zur Hölle war er? Er saß auf festem, ziemlich kalten Boden. An einem sehr unbequemen Stahlbalken, hinter dem seine Hände mit Handschellen gefesselt waren.

Vom Geruch und dem Anblick von Betonboden vor ihm war es höchst wahrscheinlich, dass er sich in irgendeiner Art von Lagerhalle befand. Kombiniert sah das nach einer sehr klassischen Entführung nach Art der Yakuza aus. Besonders, wenn er sich die zwei Typen ansah, die in seiner Nähe herum standen. Beide trugen Anzüge und bei einem konnte man durch das offene Jackett das Waffenhalfter sehen.

„He's awake“, meinte der eine, der zufällig zu ihm sah, „we should call the boss.“

Australien? Amerika? Die Triaden würden chinesisch sprechen, die Yakuza japanisch. Wahrscheinlich handelte es sich um amerikanische Mafia. Und wen kannte er von der amerikanischen Mafia?

Pegasus.

Katsuya schluckte.

Oh scheiße ... er saß tief, sehr tief in der Scheiße. Na wunderbar. Und jetzt? Was konnte Pegasus von ihm wollen? Er war eine Geisel, so viel war klar. Das hieß, Pegasus hatte vor Seto zu erpressen. Nur was konnte er von ihm wollen? Geld? Das letzte Mal hatte er Kontakte gewollt, aber die konnte Seto ihm nicht geben. In der Szene war er nicht.

Bei allen Göttern, hoffentlich ging es Yami gut. Der wäre doch das bessere Ziel gewesen – er hatte mit den Yakuza zu tun gehabt. Er hatte glatt die Kontakte. Hoffentlich würden sie ihn bald hier raus holen. Hoffentlich würde Seto daran denken, Yami zu schützen, wenn Pegasus sich bei ihm meldete.

Er hörte dem Gespräch des einen Kerls mit Pegasus zu. Zumindest vermutete er, dass Pegasus am anderen Ende der Leitung war, schließlich hieß es immer nur Boss. Die einzig interessante Information war, dass der Boss wohl heute noch vorbei schauen würde.

Wozu? Wollte Pegasus Informationen von ihm?

Wenn einer hier gar keine Ahnung hatte, dann war er das. Würde Pegasus ihn töten, wenn er ihm keine Informationen geben könnte? Nein ... es war eine ganz gute Geisel. Ihn gegen Lösegeld zu tauschen machte viel mehr Sinn.

Die Frage war nur, ob Pegasus mit so etwas wie Sinn und Zweck beizukommen war. Wenn er an ihr Treffen zurück dachte ... der Kerl hatte etwas Unmenschliches an sich. Etwas Verstörendes. Und er betrachtete andere Menschen wie Gegenstände. Zu handeln, verkaufen und wegschmeißen.

Was sollte er tun? Mit offenen Karten spielen? Lügen? Schweigen?

Er würde Pegasus sicher nicht dazu kriegen, ihn einfach gehen zu lassen. Aber ihn gegen Lösegeld einzutauschen, das klang machbar. Seto hatte vielleicht nicht genug, aber Noah schon. Und je weniger er wert war, desto weniger Lösegeld würde verlangt werden. Nur zu wertlos sollte er sich auch nicht machen.

Er tastete nach seinem Ring. Gut, der war da. Und Pegasus würde sicher nicht auf seine Hände schauen, denn hinter dem Träger waren Kartons gestapelt. Sollte er ihn trotzdem ausziehen? Aber er wollte ihn keinesfalls verlieren. Der Ring bedeutete ihm alles.

Andererseits trug er auch eine Kette. Er könnte es als Modeschmuck abtun. Pegasus machte seinen Täubchen schließlich auch einiges an Geschenken. Das war überhaupt die Idee ... wenn er nur eins von Setos kleinen Techtelmechteln war, auf was wäre er aus? Geld auf jeden Fall. Vielleicht sollte er sich für die kommende Begegnung etwas von Mais Persönlichkeit aneignen.
 

Nach einer halben Stunde nahm sein Adrenalinspiegel langsam ab und er begann zu zittern. Er versuchte tief durch zu atmen, um sich zu beruhigen. Scheiße ... er war wirklich entführt worden.

Und das auch noch höchstwahrscheinlich von Pegasus! Das war eine verdammt schlechte Nachricht.

Ob er schon vermisst wurde? Ob Ryou bei Seto anrufen würde? Ryou und Ayumi würden sich doch Sorgen um ihn machen, oder? Okay, vielleicht glaubten sie auch, Seto hätte mal wieder einen Zusammenbruch und er blieb deswegen zu Hause ... verdammt, das klang auch noch äußerst logisch.

Wenn Ryou ihn nicht anrief, würde Seto ihn erst spät in der Nacht vermissen. Vielleicht sogar erst morgen früh! Nein, heute Nacht ... Seto war zu paranoid. Er würde ihn spätestens um Mitternacht anrufen.

Andererseits war das gut. Wenn Pegasus nicht vor hatte, ihn zu übergeben, dann würde das die Geschichte unterstützen, dass er nur ein Sexspielzeug von Seto war. Sein Hauptspielzeug zur Zeit, aber nur ein Spielzeug.

Er zitterte trotzdem am ganzen Leib. Würde er das irgendwie überzeugend rüber bringen können? Was würde Pegasus tun, wenn er merkte, dass er log? War das überhaupt ein sinnvoller Weg? Er wünschte, er hätte Seto mal gefragt, wie er sich in solchen Situationen benehmen sollte. Aber wer dachte auch an so etwas?

Seto ... wie würde er bloß reagieren, wenn er erfuhr, dass Pegasus ihn entführt hatte? Konnte er das mit kühlem Kopf angehen? Oder würde er völlig am Rad drehen? Hoffentlich hatten sie Yami nicht auch ... auch, wenn die beiden nicht auf dem besten Fuß waren, Seto würde sicher zuerst ihn anrufen.

Ob es Seto gut ging? Was, wenn sie ihm auch etwas getan hatten? Aber wieso sollten sie ... trotzdem. Hoffentlich ging es allen anderen gut. Hoffentlich kam er hier lebend raus.

Ob er fliehen könnte? Er sah sich um. Um ihn herum standen nur Kisten, aber vom Aussehen der Decke her war es eine recht kleine, eher längliche Halle. Das hieß, der Eingang war wahrscheinlich an einem der langen Enden. Er musste aufmerksam bleiben, um zu hören, von wo Pegasus kommen würde. Oder aber ...

„Sorry, Mister“ Er sah den im näher sitzenden Kerl an. „I need to use the bathroom.“

Der Kerl sah ihn einen Moment lang an, seufzte und rief zu dem anderen: „Jon! He needs to piss.“

„Yeah, whatever“ Der verdrehte die Augen und kam herüber. Aus seiner Jacketttasche zog er einen Schlüssel, der wahrscheinlich für die Handschellen war.

Katsuya beobachtete, wie dieser um ihn herum ging, seine Fesseln aufschloss und ihm abnahm.

„Don't even try anything funny. We are allowed to shoot you. Got that?“

„Yeah“ Er rieb sich die Handgelenke und stand auf. Das zu einer möglichen Flucht. Er war einmal vor schießenden Polizisten geflohen. Er würde es ganz sicher kein zweites Mal wagen. Das zu einem möglichen Fluchtversuch. Und irgendwie glaubte er nicht, dass sie blufften.
 

„Follow me“, befahl der Erste, während der Zweite hinter ihm blieb. Sie schienen Ahnung in dem zu haben, was sie da taten.

Er fragte sich, ob er so wirkte, als hätte er Ahnung vom Entführtwerden.

Sie brachten ihn zu einem Ende der Halle, wo er wirklich einen möglichen Ausgang sah. Allerdings hätten sie ihn problemlos erschossen, bevor er da ankam. Er ließ sich also an der Seite zu einer abgeschirmten Toilette bringen – ein portables Klo, nicht einmal Fenster. Er begab sich hinein und atmete tief durch, bevor er ob des Gestanks doch lieber die Luft anhielt.

Er kam hier nicht raus. Die waren zu gut. Also zwang er sich zu einem echten Toilettengang und trat wieder heraus.

„Do you have any water and soap? It's dirrty.“

„Man, what a fag“ Der eine Kerl lachte laut los. „Are they all like that?“

„Dunno“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „Ted told me they give good head.“

„Irrgh“ Der, dessen Name er nicht kannte, schüttelte sich. „That's gross!“

„Yeah“ Jon nickte ihm zu. „Come on, let's get back.“

Tja ... zumindest schien keiner von beiden das Bedürfnis danach zu haben, ihn irgendwie sexuell auszunutzen. Das zu den schlechten Yakuzafilmen im Fernsehen und den Mangas, die er als Kind gelesen hatte. Er war ganz froh, dass sich das zur Abwechslung als nicht wahr erwies.

Sie führten ihn zurück zu seinem Platz und legten ihm dort wieder Handschellen an. Wenn man es so bedachte, war es ganz gut, dass sie so professionell waren. Sie passten nur auf. Sie quälten ihn nicht zum Spaß. Pegasus hatte seine Leute ziemlich gut trainiert.

„Do you know how long I have to stay?“, fragte er einfach mal. Vielleicht konnte er ja ein paar Informationen kriegen.

„Dunno“, meinte der Namenlose, „shut up.“

„But I am bored“ Nicht zu weit treiben ... „You are from America, right? Tell me about it. Do you really eat donuts all day?“ Yami hatte ihm mal einen Donut geschenkt, der war echt lecker gewesen.

„No, you twip, we don't. Just shut up or we have to make you.“

Perfekt. Sie waren also wirklich aus Amerika. Das machte die Pegasushypothese ziemlich sicher. Er nuschelte ein „Sorry“ und war dann leise. Die wichtigste Information, die ihm die beiden geben konnten, hatte er damit wahrscheinlich. Er atmete tief durch und schloss einen Moment die Augen.

Wahrscheinlich blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Pegasus zu warten. Der würde Fragen stellen. Und vielleicht konnte er aus ihm heraus kriegen, was mit ihm geplant war. Es war alles okay. Er würde das schaffen. Alles gut so weit. Nur nicht verzweifeln.

Seto. Er wollte einfach nur zu Seto. Er wollte in den Arm genommen werden und hören, dass alles gut war und ihm nichts geschehen würde. Er wollte warmen Kakao und Isamu und lachende Menschen. Er wollte einfach nicht sterben. Er schluckte seine Tränen hinunter.

Seto würde ihn retten. Ganz sicher. Seto konnte alles. Seto würde entweder ein Polizeisondereinsatzkommando hier rein schicken oder er würde Pegasus in den Boden verhandeln oder er würde die komplette Yakuza von Domino auf seine Seite bringen, um Pegasus zu verjagen. Irgendetwas. Schließlich war er Seto Kaiba. Und Seto konnte alles.

Katsuya wiederholte die Worte vor sich selbst wie ein Mantra.
 

Durch die Fenster des Daches konnte er erkennen, das es langsam dunkel wurde. Er war also seit mindestens acht Stunden hier. Katsuya seufzte.

So fühlte er sich auch. Sein Hintern tat weh, obwohl er immer wieder versuchte, sich umzusetzen. Die Handschellen scheuerten an seinen Gelenken. Ein Fuß war eingeschlafen und das Ausstrecken bewirkte ein schmerzhaftes Kribbeln. Außerdem war es scheiße kalt. Das war er zum Glück relativ gewohnt, aber es war der dreiundzwanzigste Dezember. Und der Betonboden war nicht nur unbequem sondern auch verdammt kalt.

„Sorry“ Er sah wieder den einen Wächter an, der mit geschlossenen Augen und zurück gelehntem Kopf auf seinem Stuhl saß, aber bei der Ansprache aufblickte und zu ihm sah. „I don't want to annoy you but I am freezing to death here. Can I have a cushion or a blanket or something?“

„If we had don't you think I would use one? Your damn country is frigging cold“ Er verschränkte die Arme. „Man, I wanna be back home ...“

„Don't worry, Ted and Jason will take the night shift. We'll be back in our hotel soon“, versuchte Jon ihn aufzumuntern.

Das half Katsuya nur überhaupt nicht.

„You want to keep me here? The whole night long? I'm pretty useless if I die because I froze to death“ Den Unmut musste Katsuya nicht einmal spielen. Es war wirklich kalt. Und er wusste, wie kalt es noch werden würde. Er wusste ehrlich nicht, ob er das so gut wegstecken würde – gebunden an einen Stahlpfeiler.

„'Tis true“ Der Namenlose verzog den Mund. „Call them and tell them to bring blankets.“

Na, wenigstens hatte einer ein Hirn. Jon befolgte das sogar, rief den Kerl namens Jason an und sagte ihm, er solle Decken mitbringen, weil es kalt war – auch für die Geisel. Kannten die überhaupt seinen Namen?

„They'll bring them. Takeover is six o'clock“, informierte Jon den Anderen.

„That's over an hour! We don't even have food here“, maulte dieser.

„Shut it, Dean. We can't just order pizza here. It's only an hour.“

„Will they bring something to drink? And food?“, fragte Katsuya mit Hoffnung in der Stimme. Erst jetzt, wo sie darüber sprachen, fiel ihm auf, dass er ziemlichen Durst hatte. Frühstück heute morgen war das letzte Mal, dass ... Hilfe, das schien fast endlos lang her.

„Yeah, they will, so be quiet“, herrschte Jon ihn an.

„Do you think the boss will show up before takeover?“ Katsuya spitzte die Ohren. Das wäre interessant zu wissen. Wann würde Pegasus wohl hier aufschlagen?

„Don't know. He's busy.“

Na klasse. Katsuya lehnte sich mit einem Seufzen zurück. Die beiden wussten ehrlich nicht gerade viel. Andererseits waren sie dafür wohl auch nicht angestellt. Wie viel man als Teil der amerikanischen Mafia wohl verdiente?

Tja, er würde jetzt wohl kaum fragen. Vielleicht sollte er versuchen zu schlafen, bis die zwei mit dem Essen aufkreuzten. Pegasus würde wahrscheinlich erst abends oder nachts auftauchen. Wie ein Vampir. Das Bild vor seinen Augen ließ ihn allerdings mehr schaudern als lachen.

Der Entführer

Dokomi, Japantag, meine Ausgaben steigen ins Unermessliche... andere Leute sparen für Weihnachten, ich spare stets für Mai. Ein Glück, dass bald Ferien sind (ich habe Pfingstferien XD). Ich habe zwar keinen Höllenstress mehr, aber ich brauche Erholung. Ich hoffe, euch geht es allen gut.

Wer übrigens auf einem der beiden Events ist, ist gern eingeladen, ein paar DS-Flyer zu verteilen ^.- Es gibt nämlich Flyer und Promokarten. Auf der Dokomi laufe ich in einem roten Kleid rum und auf dem Japantag als Dunkelelf - ist beides recht leicht erkennbar.

In diesem Kapitel gibt es wieder ein wenig Englisch, diesmal sogar kurzzeitig etwas, was man eine Unterhaltung nennen kann. Es ist - glaube ich - die längste, die kommen wird, also bitte nicht verzagen :) Viel Spaß beim Lesen!
 

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Die Pizza war unerwartet lecker gewesen. Er hätte ja erwartet, dass alles hier schlimm und schrecklich werden würde, aber Pizza mit Cola hatte er wirklich lang nicht mehr gegessen und es war unheimlich lecker gewesen. Und das Beste war, dass er für das Essen abgekettet wurde.

Ted und Jason – er wusste noch nicht, wer wer war – waren ihm spontan weit unsympathischer als seine letzten Aufpasser. Sie legten ihm die Handschellen ziemlich schmerzhaft an und hatten keine Lust, ihn auf Toilette zu lassen, bis Jon sie zurecht wies. Irgendwie trauerte er den anderen beiden ein wenig hinterher, als sie ins Hotel fuhren, um zu schlafen.

Erst recht, als die beiden Aufpasser aufmerkten, sich erhoben und versuchten, schrecklich offiziell auszusehen. Katsuya schluckte, atmete tief durch und rief sich den kompletten Satz ausgedachter Daten für sich selbst raus. Es hielt die Panik dennoch nicht ganz unter Kontrolle. Am liebsten wäre er in eine Ecke gekrochen oder im Boden versunken.

Sein Entführer trug Schuhe mit Absätzen. Oder Schuhe, die so klangen, als hätten sie Absätze. Lederschuhe, wie Katsuya bemerkte, als der Kerl vor ihm zu stehen kam. Er hob langsam den Blick und seine recht sichere Vermutung bestätigte sich.

Pegasus.

Dieselben hellen Haare, die einseitig über sein Gesicht fielen, die Augenklappe, das eine gefährlich blitzende Auge. Ein selbstüberzeugtes Lächeln, ein gelbes Hemd und eine einfach schwarze Hose unter einem violetten Mantel. Der Mann kniete sich herab.

„Katsuya, my boy, schön, dich begrüßen zu dürfen.“

„Mister Crawford“ Katsuya rollte mit seinen Schultern, um sich zu lockern.

„Ich fühle mich geehrt, dass du dich an mich erinnerst. Sag doch Pegasus“ Er lächelte, als wären sie schon ewig beste Freunde. „Ich hoffe, meine Männer haben dich nicht allzu schlecht behandelt.“

„Warum bin ich hier, Pegasus?“

„Kaiba hat einen schlechten Einfluss auf dich, my boy. Du wirst schon genauso kalt wie er“ Er zuckte mit den Schultern.

„Soll ich lieber ausrasten und schreien, wie du mich hier nur einsperren kannst? Dass das gegen das Gesetz ist und dass irgendwer dich dafür bestrafen wird?“ Katsuya seufzte. „Ich würde meinen Atem verschwenden.“

„Das klingt so hoffnungslos“ Ein Mundwinkel sackte Pegasus herunter. „Dein Ritter auf dem weißen Pferd wird dich schon noch retten kommen.“

„Vielleicht“ Das war der kritische Punkt – seinen Wert für Seto anzugeben. „Ich bilde mir ein, für ihn wichtig zu sein. Aber mehr als ein passables Betthäschen bin ich nicht gerade. Ich weiß nicht, ob er für mich irgendwelche größeren Anstrengungen macht.“

Pegasus Stirn legte sich ganz leicht in Falten, da er die Augenbrauen zusammen zog. Nach ein paar Sekunden glätteten sich seine Züge wieder, bevor er lächelte. Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen.

Katsuya sank in sich zusammen.

„You are great, kiddo“ Pegasus lachte auf. „Du hättest mich fast überzeugt. Jetzt weiß ich, warum Kaiba-boy dich behalten will. Du bist wahrlich großartig“ Mit einer Hand strubbelte er durch das blonde Haar. „Allerdings hat Seto eure Beziehung offiziell gemacht. Eine Verlobung ist etwas, was auch Seto nicht einfach so verkündet.“

Scheiße.
 

Scheiße war leider das einzige Wort, was spontan durch seinen Kopf schwirrte. Er könnte das mit der Verlobung abstreiten. Er könnte es verharmlosen. Nur würde Pegasus ihm beides nicht abnehmen.

„Kein sehr intelligenter Schachzug von ihm“ Pegasus lächelte breit. „Du hast ihn wirklich zu Fall gebracht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es mal erleben würde, dass Kaiba-boy einen Fehler macht. Vor allem hätte ich nie gedacht, dass er die Dummheit begeht, sich zu verlieben.“

„Liebe ist nicht dumm! Ich habe keine Ahnung, was dein Ziel ist, aber Seto ist dir ganz fraglos überlegen. Ob nun verliebt oder nicht. Es ist kein Fehler, dass wir uns lieben“, knurrte Katsuya.

Pegasus lachte laut los und schien sich gar nicht einkriegen zu wollen. Katsuya überlegte kurz, ob er ihm in die Fresse treten sollte, schließlich saß er direkt vor ihm – aber das erschien ihm dann wirklich wenig weise. Der Ausbruch war schon bescheuert gewesen.

„Warum willst du Seto zu deinem Feind machen?“, fragte er etwas ruhiger.

„Feind? Aber, aber ...“ Pegasus hob beide Arme, wodurch der Rüschenbesatz seines Hemdes unter dem Mantel hervor lugte. „Ich wünsche seine Fürsprache. Seine Hilfe.“

„Die wird er dir nicht geben, indem du mich entführst. Du hast selber festgestellt, dass er mich liebt. Er wird dich jagen, Pegasus. Und er wird dich zerreißen, wenn er dich in die Finger kriegt“ Wenigstens einer Sache, der er sich mehr als sicher sein konnte.

„Du unterschätzt mich, junger Kaiba.“

„Nein, Pegasus. Du unterschätzt Seto“ Hoffentlich war es keine leere Drohung. Aber irgendwie hatte er im Gefühl, dass sie es nicht war. Wenn Seto hörte, dass Pegasus ihn hatte, würde er nicht klein beigeben und alles tun, was Pegasus sagte. Niemals.

„Wie du meinst, kiddo“ Pegasus schnaubte. „Ich werde Seto jetzt auf jeden Fall anrufen. Und du spielst dann eine gute Geisel und sagst ein paar Worte, damit er weiß, dass ich nicht bluffe“ Er stand auf, zog sein Handy hervor und ging ein paar Schritte weg. „Good evening, Seto ... Aufzulegen wäre aber sehr unhöflich. Ich habe hier jemanden, der dir dringend etwas sagen möchte. Katsuya?“ Er hielt das Handy in seine Richtung.

„Gib dem Saftsack nicht, was er haben will. Das wäre unter deiner Würde, Seto. Ach ja, ich liebe dich“, rief Katsuya und machte das Geräusch eines Kusses.

Einer der zwei Aufpasser verzog das Gesicht. Der Andere grinste. Pegasus verzog keine Miene und meinte: „Brav, kiddo. Katsuya stattet mir gerade einen kleinen Besuch ab. Ein sehr lebhaftes, kleines Ding, was du dir da hältst.“

Er spazierte davon, sodass er schon bei den letzten Worten hinter einem Stapel Kisten verschwunden war. Als er wieder sprach, waren die Worte nicht mehr genau auszumachen.

Wirklich schlauer war er jetzt auch nicht. Pegasus wollte Setos Fürsprache für irgendetwas. Und er war eine Geisel ... zumindest schien sein Tod nicht gerade bevor zu stehen. Und Pegasus schien zu planen, ihn gehen zu lassen, sobald er hatte, was er wollte. Das zumindest war positiv.
 

Katsuya seufzte, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Pegasus war nicht zurück kommen. Anscheinend war seine Stimme alles, was er gebraucht hatte. Ansonsten musste er wohl nur die nächsten Tage überleben. Hoffentlich holte Seto ihn bald hier raus.

Zum Überleben brauchte er zwei Dinge. Das eine war Essen und Trinken – das bekam er anscheinend. Das zweite war Wärme – und die bekam er gerade nicht. Er betrachtete seine Aufpasser genau. In seiner Nähe saß ein Kerl mit hellbraunen Haaren. Das war der, der das Gesicht verzogen hatte. Anscheinend kein großer Fan. Der Andere hatte dunkelbraune Haare – das war auch der, der ihn vorhin nicht auf Toilette gehen lassen wollte. Also ein Sadist. Oder sehr schlecht gelaunt.

Er wandte sich an den mit den hellen Haaren: „Mister? I am pretty cold. Could I have a blanket, please?“

Der sah mit gehobenen Augenbrauen zu ihm rüber, schnaubte und stand auf. Wie in Zeitlupe wandte er sich zur Seite, wo ein paar Decken lagen, die die beiden mitgebracht hatten.

„Let me, Jason“ Der andere Kerl – demnach anscheinend Ted – rutschte von der Kiste, auf der er gesessen hatte und ging zu den Decken. Jason setzte sich in der Geschwindigkeit eines Faultiers mit Schlafmitteln wieder hin, während Ted sich eine richtig warm aussehende Decke schnappte und herüber kam. „You want this?“

„I need it. I am freezing to death.“

„You do not“ Ted grinste. „You would survive even without it. It would be overly nice of me to give you this“ Er kam näher, sodass sein After-shave Katsuya die Nase rümpfen ließ. „And you want it, right?“

„No, I need it. I have been living on the streets for years. I know I will die without it. Tomorrow is Christmas eve“ Verdammt ... morgen Abend war wirklich schon Weihnachten. Er wollte nach Hause. „Give it to me or Pegasus will have your head.“

„I do not think so“ Ted drehte sich um. „Tell me when you really need it.“

„I really need it – now. I am freezing“, stellte Katsuya noch einmal klar – aber ohne jede Bitte in seiner Stimme. Er hatte keine Lust, sich auf die Machtspiele dieses Sadisten einzulassen.

„Gimme a blow-job and you can have it.“

„Ted, that's gross! He's a guy!“ Gelobt seien homophobe Amerikaner. Zum ersten Mal war ihr Ekel wirklich nützlich. Leider schüttelte Jason nur den Kopf, während Ted ihn erwartungsvoll angrinste. Jason schien sich nicht ganz so sehr durchsetzen zu wollen, denn er starrte wieder den Boden an.

„You want me to bite off your dick?“, fragte Katsuya und zwang trotz tiefster Abscheu ein breites Grinsen auf seine Lippen. Sollte der Kerl doch sehen, was ihm bevor stand, wenn er vor hatte, ihn zu zwingen.

„You wouldn't dare“, murmelte Ted.

„I would“, drohte Katsuya, „you are not allowed to do anything really bad to me. So I can safely shred your dick into pieces.“

„Just give him the damn blanket“, meinte Jason genervt.

„I hate it when they are not scared. It is much more fun when you see the fear in their eyes“ Ted schmiss ihm die Decke an den Kopf. „And shut up, you faggot.“
 

Es war verdammt kalt, selbst mit der Decke. Es könnte auch daran liegen, dass er mit dem Mund und seinen Beinen die Decke über sich gebreitet hatte. Die Bewegungsfähigkeit war minimal eingeschränkt, wenn die Hände hinter einem Pfeiler gefesselt waren – und wenn man bereits halb durchgefroren war.

Er schlief Stunden später vor Erschöpfung ein und wachte mehrfach wieder auf, weil er so heftig zitterte, dass er sich den Kopf an dem Stahlbalken gestoßen hatte. Als sein Körper endgültig entschied, dass er keine Lust hatte, es nochmal zu versuchen, war es noch dunkel. Ted und Jason hatten beide eine Decke um sich geschlungen, aber waren wach – auch wenn sie mit halb geschlossenen Lidern durch die Gegend starrten.

Katsuya war kalt. Er spürte Füße und Hände nicht mehr. Er wollte duschen. Er war müde und erschöpft. Ihm war einfach nur zum Heulen zumute. Und er wollte Seto ... Seto wollte er am allermeisten. Er schloss die Augen und stellte sich vor, Seto würde ihn umarmen. Er würde ihm warm halten. Er würde ihm zuflüstern, dass alles gut werden würde. Dass er ihn hier heraus holen würde.

Hoffentlich war es bald morgen. Jon und Dean waren zwar auch nicht gerade seine besten Freunde, aber sie waren fair. Nicht so wie Ted. Elender Sadist. Der würde sich nur einen Spaß daraus machen, wenn er den Kerlen sagte, dass es ihm schlecht ging. Er würde auf die Ablösung warten ... hoffentlich kamen die ersten beiden wieder als Ablösung. Aber wie viel Männer konnte Pegasus schon hier haben?

Bis dahin versuchte er seine starren Glieder wieder zu bewegen. Er begann mit einem Bein, zog es an, streckte es. Wieder und wieder, bis er merkte, dass sein Kreislauf langsam auch ansprang. Nach ein paar Minuten konnte er den Schmerz wieder spüren – in seinem Hintern, seinem Rücken, seinen Kopf. Es pochte. Seine Haut prickelte. Nachdem er auch das zweite Bein ein paar Minuten bewegt hatte und sich ansatzweise wärmer fühlte, wagte er sich an seine Zehen. Sie gehorchten ungefähr so gut wie das letzte Mal, als er draußen übernachtet hatte. Nur vermutete er, dass er diesmal keine Heizung und ein warmes Tuch bekommen würde. Nach den Beinen versuchte er sich an seinen Schultern, was allerdings durch den Balken ziemlich schwierig war. Wenigstens trug er immer noch seine warme Jacke. Seine Finger zu bewegen, wagte er zwar noch nicht, aber trotz der Bewegungseinschränkung machten seine Arme recht schnell mit.

Die zwei Aufpasser sahen ihm gelangweilt zu. Ted brachte auch irgendeinen blöden Spruch, aber Katsuya hörte ihm nicht zu. Nachdem er sich wieder beweglich fühlte, versuchte er die Decke so zu drehen, dass er beide Seiten mit den Händen halten konnte, um aufzustehen und mit einer um seine Beine gewickelten Decke wieder zu sitzen. Die Theorie war leider sehr viel einfacher als die Praxis. Nach sicherlich einer halben Stunde des Versuchens erbarmte sich Jason, kam herüber und legte ihm die Decke um. Katsuya hauchte ein „Thanks“ und setzte sich wieder hin.

„The others will be here any minute. They'll bring breakfast“, informierte Jason ihn leise.

„Thank you. Sounds great.“

Der Kerl sah ihn einen Moment lang an, bevor er sich hin hockte und fragte: „You are gay, right?“

„I guess so“, erwiderte Katsuya vorsichtig. Der Kerl war homophob. Besser, er war vorsichtig.

„Why?“

Warum? Tja ... gute Frage. Wenn er das wüsste, wäre er sicherlich auch einen Schritt weiter. Er antwortete: „My boyfriend is a great man. He cares a lot and is always there for me. He just happens to be male.“

„So you are the woman?“

„No“ Wie kam man auf so ein Zeug? „I am also male. I care for him as well. He protects me, I protect him.“

„Huh ...“ Jason kratzte sich am Hinterkopf und erhob sich. „Strange.“

Weihnachten

Dokomi war toll ^.^ Ich liebe Ferien.

Aber jetzt zu etwas Wichtigerem und das ist dieses Kapitel:
 

WARNUNG!
 

Ernst, dick und betont. Dieses Kapitel ist sicherlich für einige recht heftig und daher möchte ich vorwarnen, dass es Flashback-Potential hat. Also bitte mit Vorsicht genießen. Ansonsten viel Spaß beim Lesen.
 

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Katsuya fror.

Es war kalt. Es war einfach nur schrecklich kalt und es half nicht, anderthalb Tage an denselben Stahlträger gebunden zu sein. Alle möglichen Muskeln taten weh und das ständige Umsetzen wegen der Schmerzen machte es nicht gerade wärmer.

Seto würde ihn doch hier raus holen, oder? Natürlich würde er das. Er liebte ihn. Seto würde praktisch alles für ihn tun. Er würde sich sogar dazu herablassen, Pegasus zu helfen, wenn das der einzige Weg war. Und Pegasus würde ihn dann freilassen, oder? Er würde hier wieder raus kommen. Seto würde ihn retten. Ganz bestimmt.

Und wenn nicht? Was, wenn Seto nicht tun konnte, was Pegasus verlangte? Wenn er es nicht konnte, selbst, wenn er es wollte? Seto konnte zwar vieles, aber er war ja nicht allmächtig. Was würde Seto denn dann tun? Er würde ihn doch irgendwie hier raus kriegen, oder? Aber wenn er es nicht konnte … was würde Pegasus mit ihm machen, wenn Seto nicht tat, was er wollte?

Würde Pegasus ihn töten?

Nein, das machte doch keinen Sinn. Wahrscheinlich würde er etwas anderes verlangen. Geld vielleicht. Aber eigentlich hatte er doch Massen an Geld, oder? Er war Menschenhändler … ob er ihn verkaufen würde? So wie in den Filmen? Bei einer großen Auktion mit vielen reichen Bietern … nein, da würde es viel mehr Sinn machen, Geld von Seto zu nehmen. Aus Seto konnte man sicher mehr raus holen als aus jeder Auktion. Oder?

Was machten Menschenhändler eigentlich wirklich mit Menschen? Es gab doch nie im Leben den ganzen Tag lang irgendwelche Auktionen mit reichen Leuten auf Luxusschiffen. So viele reiche Perverse konnte es doch gar nicht geben. Wie viel kostete ein geklauter Mensch? Und wie bekam man … nun, wie bekam man mit Menschen Geld? Das war eine schon fast rhetorische Frage. Durch Prostitution natürlich.

Wie viel konnte man also mit einem Menschen verdienen? Yamis Gage waren fünfzig tausend Yen die Stunde. Das waren allerdings sehr hohe Preise, weil er ziemlich exklusiv war. Wie viel verdiente man als normaler Prostituierter für eine Nummer? Und wie oft am Tag … er unterdrückte ein Würgen.

Seto würde ihn retten. Seto musste ihn retten. Er würde ihn hier raus holen, ganz bestimmt. Er musste einfach nur warten. Seto würde kommen, ganz bestimmt. Seto holte ihn hier raus. Seto liebte ihn. Seto beschützte ihn. Seto war für ihn da, egal, was war. Seto würde ihn hier nicht alleine lassen. Nicht wahr? Er würde ihn Pegasus nicht überlassen, richtig?

Und wenn doch? Was, wenn er in ein paar Tagen plötzlich nach Amerika verschleppt wurde, um dort in ein Bordell gesperrt zu werden? Nein … das würde Pegasus nicht tun, oder? Blöde Frage, natürlich würde er das tun. Pegasus tat alles, solange es ihm Profit brachte. Ekelhafter Mensch.

Aber war Seto früher nicht auch so gewesen? Leute zu erpressen, zu töten, nur für mehr Geld, mehr Gewinn … war er Pegasus ähnlich gewesen? Egal, jetzt war er es nicht mehr. Jetzt war er ein anderer Mensch. Er würde niemals wieder nur für Geld so böse Taten tun. Er war ein guter Mensch. Ein Mensch, der ihn liebte. Er würde ihn hier raus holen. Ganz sicher. Irgendwie. Irgendwie würde er das schaffen.

Katsuya drückte sein Gesicht in die Decke, die über seine Knie gelegt war.
 

„Hey“ Jemand rüttelte an seiner Schulter. „Boy? You in there?“

„Huh?“ Er blinzelte und hob den Kopf – Fehler. Sofort zuckte der Schmerz durch seinen Nacken und sein Kopf begann zu hämmern. Er verzog das Gesicht. „It's Katsuya. Not boy.“

„Käts-ja“, versuchte der Amerikaner, doch schüttelte den Kopf.

„Let's call him kitty. Sounds like it.“

Katsuyas Blick suchte den Eigentümer der Stimme und fand Ted. Er funkelte den Kerl an und spie: „It's Kaiba for you“ - er sah zu Dean - „What is he doing here?“

„Bringing the food“ Dean lächelte und schloss die Handschellen auf – Katsuya schrie auf, als er sie löste. „What the- what?“

Er atmete tief ein und aus, zog seine Arme ganz langsam nach vorne und probierte unter Schmerzen seine Muskeln durch, bevor er in der Lage war zu antworten: „It fucking hurts … all of it.“

„Don't be such a pussy“ Ted biss in ein Stück dampfender Pizza, was verdammt gut aussah.

Dean währenddessen musterte ihn von oben nach unten, bevor er plötzlich nach seiner Hand griff. Mit der zweiten Hand öffnete er den Reißverschluss von Katsuyas Jacke und zog den runter.

„Dean?“, fragte Katsuya unsicher. Bisher war der Typ ihm eigentlich ganz in Ordnung vorgekommen. Warum machte er das? Er wollte doch nicht … nein, außer Ted stand hier keiner auf ihn. Dean würde nicht plötzlich an ihm rummachen wollen.

Ted pfiff und meinte: „Hey, Dean … I never knew you were that way.“

„I'm not“, meinte der nur ruhig. Er fuhr mit der Hand unter Katsuyas Shirt und legte seine Hand auf dessen Bauch.

Einen Moment lang verspannte sich in diesem praktisch alles, aber er blieb einfach mal sitzen. Als nichts weiter passierte, entspannte er sich schon fast gegen seinen Willen. Deans Hand war unglaublich warm und das tat sehr gut. Verdammt gut.

„Well, I'm no doctor but this is bad“ Er ließ ihn wieder los und drehte sich zu den anderen. „Jason, I need you to go to the stores to get some clothes. A warm sweater and some more blankets.“

„What?“ Jason sah von seinem Essen auf. „Are you daft? It's Christmas Eve!“

„This is a big city. Just go. Some stores will be open. Or you go and get your own things here if you do not like that“, herrschte Dean ihn an.

Okay … Dean hatte also gemerkt, dass er völlig unterkühlt war, ja? Und jetzt sollte Jason Zeug für ihn holen? Das klang mal außergewöhnlich gut. Katsuya lächelte ein wenig und hauchte seine Hände an, um sie aufzuwärmen. Ihm war wirklich kalt und er hatte schon lange aufgehört zu zittern, aber so schrecklich ungewohnt war das nicht. Da hatte er sich vor Jahren dran gewöhnt. Aber normalerweise bewegte er sich dann. Er stand auf, ging durch die Gegend, rannte vor der Polizei weg. Wenn er schlief, dann wachte er morgens genau so auf wie jetzt – kaum in der Lage, sich zu bewegen, weil alles eingefroren war. Aber jetzt hatte er ja die Handschellen ab. Er konnte sich bewegen.

Die vier Kerle stritten sich währenddessen. Jason hatte keine Lust, Ted meinte, dass Dean übertrieb und Jon ermahnte ihn, gefälligst auf Dean zu hören. Es endete damit, dass sie sich einigten, dass Jason nach dem Essen los fahren und das Zeug holen würde. Wenigstens Jon und Dean schienen es halbwegs gut mit ihm zu meinen – schade, dass nicht jeder von ihnen eine Teilwache hatte.
 

Nach einer Viertelstunde Bewegungsübungen – über die sich Ted natürlich lustig machte – war Katsuya in der Lage, auf allen Vieren zum Essen herüber zu kriechen. Dean beobachtete das alles aufmerksam, doch sagte nichts. Allerdings schienen bei ihm Taten auch mehr als Worte zu sagen. Er schob Katsuya eine halbe Pizza rüber. Er bedankte sich artig und nahm eines der lauwarmen Stücke mit seinen immer noch reichlich steifen Finger.

„So it's true that Japanese never complain?“, fragte der ihn über Katsuyas drittes Stück.

Dieser blinzelte nur zweimal und schwieg. Er war nicht unbedingt der durchschnittliche Japaner. Aber er hatte versucht, sich vorbildlich zu benehmen. Wer wusste schon, was die Kerle hier sonst täten. Er wusste, was Yakuza in Japan taten – es gab einem eine Vorstellung davon, zu was Menschen fähig sein konnten.

„So you are some old man's little bitch? Are you kidnapped often?“, fragte Dean weiter.

„Seto is no old man. He is my … my …“ Wie hieß dieses blöde Wort? „The person you want to marry“ Er senkte den Kopf und biss in seine Pizza. Sollte er wirklich homophoben Kerlen ins Gesicht schmeißen, dass er mit einem Mann verlobt war? Aber er konnte Seto nicht einfach nicht verteidigen … das ging nicht. „I love him.“

Der Blick aller Männer fiel auf der wunderschönen Verlobungsring an Katsuyas Finger. Er zuckte zusammen und zog die Hand hinter seinen Rücken – das Pizzastück fiel in den Pappkarton zwischen seinen Beinen. Mit einem Blick aus Misstrauen und Feindseligkeit betrachtete er jeden der vier.

„Stealing an engagement ring is downright dishonorable“, warf Jon einen seiner sehr seltenen Kommentare ein.

„That's no engagement ring. Marriage is sacred. That is some scrap of metal one faggot gave to another“ In Jasons Gesicht war schon wieder Abscheu zu sehen.

Katsuya nahm seinen Pizzakarton und wich etwas zurück. Er hatte Mist gebaut. Er hätte Seto nicht verteidigen sollen. Und selbst wenn, er hätte niemals verraten dürfen, dass sie verlobt waren. Er hatte gedacht, Pegasus hätte das den Kerlen gesagt, aber warum sollte er? Die Leute waren nur seine Angestellten. Sie schienen gar nicht wissen zu wollen, warum sie taten, was sie für ihn taten.

Er atmete tief ein und aus, um sich ruhig zu halten. Vorsichtig beobachtete er das Gespräch. Ted stimmte Jason mit vollem Herzen zu – Heuchler – und Dean meinte, dass es ziemlich egal war, was sie dachten, so lange sie ihren Job machten. Schien, als wollte ihm keiner seinen Ring abnehmen. Nur Jason sah doppelt so unglücklich wie vorher aus. Ihm ging die ganze Sache anscheinend ziemlich gegen den Strich.

Aber umso besser. Je homophober er war, desto weniger würde er es tolerieren, wenn Ted wieder irgendetwas Ekliges von ihm wollte. Und das würde er. Katsuya konnte es in seinem Blick sehen. Dem schiefen Grinsen. Auf Ted musste er Acht geben. Wenigstens hatte er seit dem Mittag geschlafen – er könnte die Nacht wach bleiben.
 

Katsuya sang leise ein Weihnachtslied, dass in den letzten Tag immer wieder im Radio gelaufen war. Es lenkte von der Stille ab. Es lenkte von der Tatsache ab, dass Dean und Jon jetzt schlafen gingen und Jason in die Stadt fuhr – was ihn mit Ted allein ließ. Sicher nur eine Stunde.

Aber eine Stunde konnte sehr lang sein.

Er war ganz froh darüber, dass Dean ihm drohte, dass er Ärger bekommen würde, wenn er sich an Katsuya vergriff. Ob das helfen würde, war eine andere Frage. Ted hatte eine Waffe und Katsuya war wieder an einen Stahlpfeiler gefesselt. Waren nicht gerade die besten Voraussetzungen, um sich zu wehren. Wenn Seto einen guten Zeitpunkt für einen dramatischen Auftritt brauchte, hier wäre er.

„Alone at last“ Ted kam nach ein paar Minuten herüber und setzte sich vor ihn. „You didn't even complain. Are you missing your Seto that much?“ Er grinste auf diese ekelhafte Weise, die sagte, dass er keine sehr ehrbaren Hintergedanken hatte. „Or are you just missing a dick?“

„I am missing the silence right now“ Okay... was sollte er tun? Dean und Pegasus würden dem Kerl die Haut abziehen, wenn er einen Finger an ihn legte, das war eine gute Grundlage zum Drohen. Er sollte auf jeden Fall ruhig bleiben. Den Kerl aufzuregen, war sicher keine gute Idee.

„You are a fucking ungrateful bitch“, spie der Kerl ihm entgegen, „We are missing Christmas Eve just 'cause of you.“

„You are missing Christmas Eve because you are working for Pegasus“ Ruhig bleiben war ein super Plan – aber es half nicht gegen die Angst, die in ihm aufstieg. Er kannte solche Situationen. Er war schon oft fast hilflos gewesen und dennoch wieder heraus gekommen. Er durfte nur nicht in Panik verfallen. Einfach ruhig bleiben. Er konnte das. Er hatte das schon oft gemacht.

„Don't you dare say anything bad about the boss!“

„He kidnapped me. He is a murderer and running a human trafficking business. That's fact“ Katsuya schluckte. Wie brachte er den Kerl dazu, ihn in Ruhe zu lassen?

„You know far too much for a whore“ Ted packte seinen Kiefer und drückte damit seinen Kopf gegen den Stahlbalken. „You'd fetch a good price, you know? Blonds are rare. Especially those with fine skin“ Er fuhr mit dem Daumen über Katsuyas Wange und drückte die Haut schmerzhaft gegen dessen Zähne.

„Take off your dirrty paws“, zischte der Blonde ihm entgegen, „Dean will kill you for this.“

„Your new john is not here, you know?“ Mit einer schnellen Bewegung setzte Ted sich auf und kniete sich auf Katsuyas Beine, um diese am Boden zu halten.

Ruhig. Katsuya knurrte kurz auf, aber er begann nicht zu strampeln. Ted hatte die Oberhand, aber er durfte es nicht denken. Ruhig bleiben. Er musste mit Worten gewinnen. Körperkraft half hier nicht. Auch wenn die Hand am Reißverschluss seiner Jeans ihn den Vorsatz fast vergessen ließ.

„He will know and you will pay for it. Do you really want to risk that? It's not only Dean. Pegasus wants me whole and sane. Do you really want to mess with your boss?“ Scheiße, dem Kerl musste doch irgendwie beizukommen sein. „Stop here and I will not tell. Go on and you're done for.“

„Idle threats“ Ted klemmte Katsuyas Beine unter seinen Oberarmen fest und zog ihm Hose und Unterwäsche in einem runter.

Katsuyas Lider weiteten sich. Nein … das würde er nicht tun. Das würde er nicht tun, oder? Es war Weihnachten und es war kalt und Jason würde jeden Moment wieder kommen und Pegasus war irgendwo da draußen und Seto versuchte, ihn hier raus zu kriegen und irgendwer … irgendwer musste doch hier sein, oder? Der Typ glaubte nicht ehrlich, damit davon zu kommen, oder?

„Lass mich los!“, schrie Katsuya und begann zu treten. Er versuchte, seine Beine aus dem Klammergriff zu lösen. Er versuchte sich heraus zu winden. Er stemmte gegen die Hände an, die seine Beine zu Boden drückten, während Ted in dem Dreieck, was sie mit seiner halb herunter gezogenen Hose bildeten, Platz nahm. „Lass mich los!“

Ted nutzte eine Hand, um seine eigene Hose zu öffnen, sodass Katsuya ein Bein bewegen konnte. Er zog es mit voller Wucht an, um es dem anderen irgendwo hin zu rammen, aber seine eigene Hose hielt ihn auf. Er strampelte. Er versuchte Ted umzuwerfen. Er schrie.

Doch er war hilflos.

Das Rauschen der Wellen

Habe ich euch mit dem letzten Kapitel so sehr geschockt?

Aber ja, das passiert wirklich.

Keine Sorge, ich beschreibe keine Details, aber leicht geht es natürlich nicht weiter. "Viel Spaß beim Lesen" klingt etwas unangebracht, aber ihr wisst, was ich meine, nicht?
 

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Katsuya hatte sich das anders vorgestellt.

Er dachte an das kuschelig weiche, weiße Fell, das Seto wahrscheinlich wirklich noch irgendwie besorgt hatte. Er dachte an die sanfte Wärme des Feuers, das vor kurzer Zeit im Kamin geflackert hatte. Er dachte an Äpfel mit Zimt und an Orangen und die gefüllte Gans – ein französisches Weihnachtsrezept, das er entdeckt hatte – die er für Seto hatte machen wollen. Vor allem dachte er an Seto. Setos Geruch, das Gefühl seiner Haut, die Wärme seiner Umarmung. Das sanfte Kitzeln seines Atems, wenn er etwas in Katsuyas Ohr hauchte und das Ziehen, wenn er danach spaßhaft hinein biss.

Auch Seto hatte ihm schon weh getan. Sehr sogar. Wahrscheinlich mehr, als man ihm durch Folter antun konnte. In der Seele auf jeden Fall. Er hatte ihn auch schon geschlagen. Ihn sogar schon lebensgefährlich verletzt. Katsuya hatte schon öfters vor ihm Angst gehabt. Vor einem neuen Schmerz, einer neuen Verletzung. Er hatte Angst vor entwürdigenden Worten, herabsetzenden Taten und bisweilen auch Schlägen.

Aber er hatte nie ernsthaft Angst gehabt, vergewaltigt zu werden. Nicht jetzt bei Seto, nicht früher auf der Straße. Obwohl er mehrfach miterlebt hatte, wie Yami aus einer Vergewaltigung kam – einmal sogar dabei gewesen war – hatte er das nie auf sich bezogen. Wer sollte ihn schon vergewaltigen wollen? Er war groß, er war eher muskulös, er war vielleicht attraktiv, aber nicht gerade hübsch. Er war ein Kerl. Er war keine ätherische Schönheit wie Yami und nicht feminin wie Ryou. Es gab keinen Grund, warum irgendwer auf die Idee kommen sollte, ihn vergewaltigen zu wollen.

Das alles könnten Gründe sein, warum in seinem Kopf die Worte „Das hier passiert nicht wirklich“ wie ein Mantra wiederholt wurden. Aber auch dieses Mantra verstummte nach kurzer Zeit. Sein Bewusstsein löste sich von seinem Körper und er erkannte ganz objektiv, dass er in Dissoziationen rutschte.

Er wehrte sich nicht.

Er genoss es.

Das Gefühl absoluter Schwerelosigkeit umfing ihn und er erhob sich und schwebte davon. Er sah kurz auf seinen Körper, sah ihn auf den Boden liegen, die Hände blutig geschabt von den Handschellen, die Lider geweitet, den Blick stumm und regungslos in die Ferne gerichtet. Darunter wagte er nicht zu blicken, bevor er sich abwandte. Er schwebte durch die Fenster in der Decke hinfort.

Ihn umfing das Rauschen der Wellen. Er spürte feinen, heißen Sand unter seinen Fingern. Die Sonne strahlte auf seinen freien Oberkörper. Und beim Zurücklehnen hörte er einen Herzschlag. Den Herzschlag seines Drachen. Er war sicher. Er war entkommen. Hier konnte ihm keiner weh tun. Er schloss die Augen und genoss die Ruhe.

Erneut schoss ein ganz objektiver Gedanke durch seinen Kopf. Yami hatte ihm mal erzählt, dass er sich automatisch in Dissoziationen versetzte, wenn er wusste, er konnte nicht entkommen. Wenn er wüsste, er würde vergewaltigt werden. Er bereitete sich innerlich darauf vor, indem er sich schon vorher löste. Das war eine sehr gute Taktik.

Der Strom sinnvoller Gedanken erlosch jedoch auch schnell wieder. Die Szenerie war einfach zu schön, als dass er jetzt nachdenken wollte. Er wollte einfach nur das Gefühl von Wärme und Sicherheit genießen. Denn hier war es schön. Hier gab es kein Leid. Hier war nur er mit seinem Drachen. Es gab keinen Hunger, keine Kälte und keine Schmerzen.

Nur ihn und ewige Ruhe.
 

Er erwachte zu Murmeln.

Unverständlichem Murmeln links neben ihm. Er blinzelte die Augen auf und folgte der Stimme mit dem Blick. Neben ihm saß Dean und verband eine Hand, die mit einer dicken Schicht weißer Creme bestrichen war.

Mit Verfolgen des Armes erkannte Katsuya diese Hand als seine eigene. Warum sollte jemand ihn verbinden? War er denn verletzt?

Dean hielt inne und sah ihm tief in die Augen. Es war, als würde er etwas in ihnen suchen. Katsuya erwiderte den Blick ruhig. Sollte er doch suchen, so viel er wollte. Gerade war es ihm relativ egal. Alles fühlte sich wie in Watte gepackt an. Und in aller Ehrlichkeit: Es war ein verdammt angenehmes Gefühl.

„Can you hear me?“, fragte der Amerikaner leise.

Natürlich. Katsuya nickte. Versuchte zu nicken. Verwirrt stellte er fest, dass sein Körper ihm nicht die Nachricht gab, dass er genickt hatte. Er blinzelte stattdessen einmal. Das funktionierte.

„Can you ... speak?“ Deans Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. Es wirkte fast, als hätte er Angst, Katsuya allein durch den Klang seiner Stimme zu zerbrechen. Die Hand, die er verbunden hatte, hielt er noch immer in seiner. Er betrachtete ihn noch einen Moment stillschweigend, bevor er ob der nicht vorhandenen Antwort seufzte. „I am sorry, Katsuya“ Er sprach den Namen mit heftigem Akzent, aber er sprach ihn aus.

„Not your fault“, flüsterte dieser zurück. Er richtete sich etwas auf und besah das Schadensobjekt, das sein Körper darstellte. Beide Hände und Unterarme waren einbandagiert. Er trug keinerlei Kleidung mehr sondern war stattdessen in mehrere Decken eingeschlagen. „Do you have any clothes?“

Dean reichte ihm stumm zwei Einkaufstaschen. In der einen fand er die Klamotten, die er vorher getragen hatte, in der anderen eine warme Kapuzenjacke und zwei Decken. Er betrachtete die erste Tasche, bis ein Seufzen über seine Lippen kam und er seine Jeans heraus zog. Er würde sie wohl oder übel wieder anziehen müssen. Ausdruckslos untersuchte er den Stoff auf Spermaspuren. Zum Glück fand er keine.

„Guess you didn't clean me up?“, fragte Katsuya tonlos.

„I didn't dare“ Deans Stimme schaffte es, fast kaum mehr hörbar, aber dennoch klar verständlich zu sein.

„Is there any water around?“

„Uhm ... well ... I may give you a bottle if that helps.“

„Yeah“ Er zog auch sein Shirt aus der Tüte, um sich damit abzuwaschen. „Any possibility that you might ... turn around or something?“

„Ah, yeah, sorry“ Dean zuckte fast auf, drehte sich um und ging ein paar Schritte weg.

Katsuya folgte ihm mit dem Blick. Ein paar Kisten weiter stand Jon mit dem Rücken zu ihnen und schien sich mit jemandem zu unterhalten, der sich durch die Lagersachen außerhalb von Katsuyas Blickfeld befand.

Der Blonde lauschte und fühlte sich innerlich wieder starr werden.

Die antwortende Stimme war die von Ted.
 

Nachdem Katsuya sicherlich fünfzehn Minuten die Kiste angestarrt hatte, hinter dem der ... das ... er stand, wagte er sich aus den Decken und begann sich mit dem wassergetränkten Shirt abzuwischen. Er spürte einen dumpfen Schmerz an seinen Oberschenkeln und zwischen seinen Beinen, aber als er über die entsprechenden Partien wischte, zuckte es stechend und er musste ein Aufwimmern unterdrücken. Erst nachdem dieser Schmerz in ein Pochen übergegangen war, begann er auch die Nadeln auf seiner Haut zu spüren, die die Kälte hinterließ.

Er wechselte relativ schnell in die Klamotten und dankte Dean innerlich, dass er Jason zum Einkaufen verdonnert hatte – der Pullover war unglaublich weich und sanft auf der Haut. Es tat unheimlich gut, etwas zu tragen, was nicht nur frisch und sauber sondern auch warm war. Er warf das nasse Shirt in die Tüte zu seiner Unterwäsche, trat diese weg und schlang sich erneut in die Decken.

Nach ein paar weiteren Minuten räusperte Jon sich und fragte, ob er fertig sei. Katsuya bejahte leise, worauf hin der Mann sich umdrehte und auf dem Stuhl wenige Meter von ihm entfernt Platz nahm. Er lehnte sich nach vorne mit den Unterarmen knapp über den Knien und sah zu Boden.

„Is he ... still there?“, fragte Katsuya nach ein paar Momenten.

„Yeah“ Auch Jons Stimme klang gedämpft. „Dean has an eye on him.“

Wenigstens etwas. Sie bewachten ihn. Schien, als wären sie nicht einverstanden mit dem, was er getan hatte. Jon und Dean würden ihn also beschützen. Er seufzte erleichtert und sackte etwas in sich zusammen. Er konnte sich nicht noch einmal an ihm vergreifen. Unter den Decken legte Katsuya die Arme um sich selbst. Es war vorbei. Der Kerl konnte ihn nicht noch einmal anfassen. Ein Schluchzen kam über seine Lippen und er zog den Kopf ein, um es im Stoff zu ersticken.

Wenn er vorher etwas gesagt hätte, wäre das nicht passiert. Wenn er Dean gesagt hätte, er solle Jason nicht wegschicken, sie sollten ihn nicht mit dem Irren allein lassen, sie ... es war seine Schuld. Es war ganz allein seine Schuld, dass ihm das angetan worden war. Wenn er nicht selbstsicher geglaubt hätte, dass der Kerl in der einen Stunde nichts machen würde, dass er ihn schon überzeugt bekäme, ihm nichts anzutun, wenn ... alles seine Schuld. Es war ganz allein seine Schuld.

„Man, pull yourself together“, ermahnte Jon ihn, als sein Schluchzen hörbar wurde.

Er biss auf seine Unterlippe. Jon hatte Recht. Er war jämmerlich. Yami weinte – wenn überhaupt – auch nur kurz und beruhigte sich danach. Und Yami war eh viel emotionaler und sensibler als er selbst. Und vor allem konnte er für seine Vergewaltigungen nichts. Das musste doch viel mehr wehtun, wenn man wusste, dass nichts, was man hätte tun können, etwas geändert hätte, nicht wahr?

Katsuya schluchzte erneut auf, doch löste seine Arme, um die Decke dabei vor sein Gesicht zu drücken. Er war doch selbst Schuld. Also kein Grund zum Weinen. Er sollte sich beruhigen und nicht Jon nerven. Schließlich passte Jon auf, dass ihm nichts geschah. Nichts Weiteres. Er atmete mehrfach tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Das Letzte, was er wollte, war doch schließlich, Jon und Dean von sich zu jagen, nicht wahr? Noch ein Atemwechsel und er ließ die Decke langsam sinken. Fahrig hob er eine Hand und wischte sich die Tränen vom Gesicht.

„Well ... Jason is bringing the boss. He will decide what to do“, erklärte Jon ohne jegliche Aufforderung.

Katsuya registrierte es einfach. Es brauchte ein paar Sekunden, bis die Worte und ihre Bedeutung ihm wirklich gewahr wurden. Der Boss? Pegasus? Sie holten Pegasus her, damit der entschied, was sie jetzt wegen Ted machten?

Nein!

So war es doch gut. So kam Ted nicht in seine Nähe. Wenn Pegasus ... Pegasus würde sagen, dass er keine Lust hatte, jemand anderen abzustellen. So einem Kerl wie ihm war doch egal, was aus Katsuya wurde. Bei so einem Kerl ... bitte nicht Pegasus. Er warf die Decke über seinen Kopf und rollte sich zusammen.
 

Im Dunkeln konnte er sich vorstellen, er sei irgendwo anders. Nicht hier, nicht einmal in Domino, einfach irgendwo anders. Irgendwo, wo es keine Schweine gab, die ihn vergewaltigten, die ihn entführt hatten oder die ihn gegen seinen Willen festhielten. Irgendwo, wo es keine Irren namens Pegasus gab.

Aber so viel er sich auch selbst einredete, er kam nicht umher, den Stimmen zu lauschen. Pegasus war eingetroffen und Dean erklärte ihm die Lage. Anscheinend hatte Jason ihn in einem ziemlich schlechten Zustand vorgefunden, darauf Dean und Jon angerufen und die waren dann hergekommen. Dean hatte ihn verarztet und kurz darauf hatte er sein Bewusstsein zurück erlangt. Ihm war fast, als würden sie über einen anderen erzählen, als Jason und Dean schilderten, wie er ausgesehen hatte.

Pegasus hörte wohl allem in Ruhe zu. Katsuya konnte keine Antworten von ihm hören. Mit einem leichten Seufzen hatte er sich zwischendurch aufgesetzt und wartete nun im Schneidersitz mit den Decken über seinen Beinen darauf, dass etwas geschah. Dass Pegasus irgendeine Antwort gab. Was genau, das wusste er eigentlich selbst nicht. Pegasus war für ihn unberechenbar.

Er schluckte einfach nur, als er das Klackern der Lederschuhe mit Absatz näher kommen hörte. Pegasus bog um die Kiste herum und kam näher. Diesmal wagte Katsuya es, den Blick zu erwidern. Er erhob sich sogar, als Pegasus auf wenige Meter heran gekommen war. Er blieb erst kurz vor ihm stehen und schien sich nicht daran zu stören, dass Katsuya nicht angekettet war.

„Ted hat dich vergewaltigt?“, fragte Pegasus ihn auf den Kopf zu.

Katsuya zuckte zurück, als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Sein Atem beschleunigte sich, aber er zwang sich selbst zur Ruhe. Pegasus würde doch nicht ihn bestrafen, weil er vergewaltigt worden war, oder? Vergewaltigt ... sein Magen schien sich umzudrehen. Ted hatte ihn vergewaltigt. Er wich Pegasus Blick aus.

„Wo ist dein Biss? Du lässt dich doch von so etwas nicht kleinkriegen, oder, kiddo?“ Pegasus hob eine Augenbraue. „Wo ist deine Wut? Deine Abscheu?“

Katsuya hob vorsichtig den Blick. Er wollte Ted einfach nur nie wieder sehen. Mehr wollte er gar nicht. Einfach nur, dass er verschwand ... zurück nach Amerika oder so etwas. Was wollte Pegasus von ihm hören?

Wut.

Hass.

Er suchte in sich selbst, aber er fand mehr Schuldgefühle. Natürlich war da Wut, aber ... nein, wütend war er eigentlich auf sich selbst. Er hätte das verhindern können. Aber Pegasus hatte Recht. Sollte er nicht auf Ted sauer sein? Ja ... ja, Ted war schuld. Ted hatte ihn vergewaltigt. Wenn Ted nicht wäre, wäre das alles nicht geschehen.

„Viel besser“ Pegasus lächelte. „Jon, bring him here. Dean, help him. Jason, come over here.“

Alle hörten strikt auf seine Befehle und Katsuya sah sich seinem Vergewaltiger gegenüber. Er hätte einiges erwartet – Wut, Angst, Trauer – aber er sah einfach nur emotionslos zu, wie sie ihn herüber führten. Beide hielten je einen Arm. Das einzige, was Katsuya wahr nahm, war, dass er von ihm weg wollte. Weit, weit weg.

„Hold him“, befahl Pegasus den beiden und wandte sich zu dem jungen Mann neben sich, „give me your gun.“

Katsuya schluckte. Die Pistole? Was wollte Pegasus ... wenn sie Ted halten sollten, wollte er etwa ... der Mafiaboss drehte sich wieder zu ihm, griff Katsuyas Hand und legte die Waffe hinein.

„Erschieß ihn.“

Konsequenzen

Ich entschuldige mich hier schon für die Diskussionen auf Englisch im letzten Absatz. Ich hoffe, ich habe genug Übersetzung in Katsuyas Gedanken eingearbeitet. Und jetzt will ich euch nicht am Weiterlesen hindern ^.-
 

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Katsuya starrte auf die Waffe in seiner Hand.

Sie war schwer. Sehr viel schwerer als er erwartet hatte. In den Filmen hielten die Leute sie immer mit Leichtigkeit, aber die Realität machte ihm klar, dass das hier kein Film war. Die Waffe war schwer. Sie war geladen. Sie war scharf.

Und er sollte Ted erschießen.

Er sah auf und musterte Pegasus. Dieser lächelte ihn an wie ein Vater, der darauf wartete, dass sein Sohn ihm zeigte, was er tolles Neues gelernt hatte. Zumindest lächelte er wie solch ein Vater in den Filmen. Es war nicht so, als hätte Katsuya so etwas selbst schonmal gesehen.

„Boss ...“ Jason war etwas bleich geworden. Er schien unsicher, ob er wegtreten oder etwas sagen sollte.

Zu den anderen sah Katsuya nicht. Pegasus wollte, dass er Ted tötete. Oder war das ein Test? Was würde passieren, wenn er es nicht tat? Was würde passieren, wenn er es tat? Katsuya sah auf die Waffe. Wenn er eins wusste, dann, dass er niemals Leute töten wollte. Nie wieder.

Er streckte den Arm aus, um Pegasus die Waffe zurück zu reichen und sagte: „Ich werde niemanden töten. Das verstößt gegen meine Prinzipien.“

„Prinzipien?“ Der Mann hob eine Augenbraue und deutete nicht mal an, dass er die Waffe zurück akzeptieren würde. „Nicht einmal den Kerl, der dich vergewaltigt hat?“

„Nicht einmal den“, erwiderte Katsuya mit einer Selbstsicherheit, von der er nicht wusste, woher er sie gerade nahm.

„Er wird nicht aufhören, weißt du? Er wird andere vergewaltigen. Du bist nicht der erste und nicht der letzte.“

„Dennoch nicht“ Katsuya ließ seinen Arm ausgestreckt.

„Er könnte es wieder tun. Ich könnte ihn als deine Wache einteilen – ganz allein. Und du willst ihn nicht vorher erschießen?“

„Nein“, antwortete er sofort. Lieber noch einmal vergewaltigt werden als mit der Schuld leben, einen Menschen getötet zu haben. Er wusste jetzt, wie es war, vergewaltigt zu werden. Er wusste schon lange, wie es war, ein Mörder zu sein. Ein ungewollter Mörder.

„Ich hasse es, wenn man meine Befehle missachtet. Was ist, wenn ich stattdessen dich töte? Meinst du nicht, du solltest deine Entscheidung überdenken?“

Katsuya schluckte. Pegasus meinte das ernst, das spürte er. Er hasste missachtete Befehle. Und vielleicht würde er ihn töten, wenn er nicht tat, was er sagte ... aber was war mit Seto und der Geiselnahme? Oder hatte Seto getan, was Pegasus wollte? Oder hatte er komplett abgelehnt? Oder war das alles doch nicht so sehr Pegasus Priorität und das hier fand er interessanter? Er wollte doch einfach nur hier raus und Ted hatte es verdient und vielleicht ersparte er anderen damit, was er erlebt hatte ... vielleicht ...

Er sah zu Ted. Der Mann grinste dreckig und selbstsicher. Er dachte, das hier war ein Spiel. Er glaubte sich nicht in Gefahr. Vielleicht war es wirklich nur ein Spiel auf seine Kosten. Vielleicht war die Waffe ja gar nicht geladen. Vielleicht wollte Pegasus nur seinen Mumm testen. Vielleicht sollte er einfach nur beweisen, dass er es konnte. Vielleicht wäre es besser, wenn er einfach tat, was er sagte ...

Er schloss die Augen und sah eine Leiche mit aufgeschnittener Kehle, aus der Blut quoll. Der Körper zuckte und machte eklige Geräusche. Geräusche einer Lunge, einer Kehle, eines Mundes, die verzweifelt versuchten weiter zu funktionieren. Mokuba war unschuldig gewesen. Vielleicht wäre es ein anderes Gefühl, wenn er jemanden tötete, der es verdiente ... jemand, der anderen weh tat. Jemand, der ihm weh getan hatte.
 

„Nein“ Katsuya sah wieder zu Pegasus auf und erwiderte dessen Blick. „Ich werde ihn nicht erschießen. Ich habe schon einen Menschen getötet. Ich will die Schuld eines zweiten nicht auf mich laden.“

„Pity“ Pegasus nahm die Waffe aus seiner Hand und noch bevor irgendjemand sich regen oder etwas hätte tun können, hatte er sie auf Ted gerichtet und den Abzug gezogen.

Es erklang ein markerschütterndes Donnern und der Rückschlag ließ die einhändig gehaltene Waffe bis fast in die Senkrechte hochschnellen.

Katsuya sah eine Patronenhülse über seine Schulter hinweg fliegen.

Jason drehte sich weg.

Katsuya spürte seinen ganzen Körper erzittern. Ihm sackten die Beine weg.

Er beobachtete, wie Pegasus die Waffe senkte und sie Jason hinhielt, damit dieser sie zurück nahm. Dieser allerdings hatte sich zu Ted gedreht und stand da mit geweiteten Lidern. Pegasus musste ihn zweimal ermahnen, bevor er reagierte und die Waffe zurück in ihr Halfter steckte.

„Depose of his body“, befahl Pegasus kalt und sah zu Katsuya, „nun? Glücklich? Du musstest es nicht selbst tun.“

Jason sah seinen Chef entsetzt an und schließlich zwischen ihm und dem sicherlich Toten hin und her. Katsuya konnte Schleifgeräusche hören, also brachten Dean und Jon ihn wahrscheinlich wirklich weg. Sie wunderte es wohl nicht, was Pegasus getan hatte.

„Ich hasse es, wenn man meine Befehle ignoriert“ Pegasus drehte sich gänzlich zu Katsuya und hatte wieder sein Standardlächeln auf den Lippen. „Aber ich honoriere Courage. Du bist mutig. Vielleicht kostet dich das eines Tages den Kopf, aber wahrscheinlich hat dich das auch Setos Herz gewinnen lassen. Ich maße mir an zu behaupten, ihn zu verstehen. Es wäre zu schade um dich. Mich interessiert, was eines Tages aus dir wird.“

Katsuya betrachtete ihn einfach nur und lauschte den Worten. In seinem Kopf ergaben sie gerade keinerlei Sinn. Er wusste nur, dass gerade eben ein Mann getötet worden war und dass er ja nicht hinsehen durfte. Mehr ging gerade nicht. Es kostete seine volle Konzentration, nicht den Kopf zu wenden.

„Vorerst bleibst du trotzdem eine Geisel. Ich brauche Setos Kooperation. Jason, you stay here and watch him. You do not need to chain him but keep him on a leash. He is precious and I want him sound and safe – and here. Understood?“

„Y- yes ... I mean, yes, sir“, stotterte Jason hervor und schien aus seinem Entsetzen gelöst zu werden. Er hastete zur Tasche hinüber, die neben dem Stuhl stand und zog ein Stahlseil hervor, welche er an dem Träger befestigte und mit einer Handschelle an Katsuyas rechter Hand festigte.

Dieser wehrte sich nicht.

„Great. I am going back to the hotel. I need some beauty sleep“ Pegasus klopfte dem Mann auf die Schulter und ging. „And clean up this mess.“
 

Als Katsuya es irgendwann wagte, den Kopf zu drehen, fiel sein Blick zuerst auf Jason.

Der Mann hatte sich auf dem Stuhl niedergelassen und den Kopf in beiden Händen vergraben. Er schien nicht zu weinen, aber es wirkte auch nicht so, als würde ihn viel davon trennen. An die Blutlache und – Katsuya versuchte das Würgen zu unterdrücken – die Schädelsplitter auf dem Boden hatte er sich ganz klar noch nicht gemacht. Sie trockneten bereits ein. Noch etwas mehr und Jason würde sie nicht mehr weg bekommen.

Katsuya fühlte sich nicht in der Position, ihm das zu sagen. Es fühlte sich nicht einmal in der Lage, sich selbst irgendetwas zu sagen. Er griff stumm die Decken und baute sich daraus ein warmes Nest am Stahlträger, an den er nun mit einem Drahtseil gebunden war.

Seto würde ihn retten.

Seto würde ihn hier rausholen.

Er musste nur überleben.

Seto würde kommen.

Seto war für ihn da.

Seto würde ihn hiervon erlösen.

Er wippte vor und zurück und sagte sich das über und über. Sein Hintern schmerzte, aber er ignorierte es. Seto würde das wieder gut machen. Seto machte alles wieder gut. Seto würde ihm das nicht übel nehmen, dass er vergewaltigt worden war, da war er sicher. Er würde ihn nicht bemitleiden, keine Angst vor ihm haben und auch keinen Ekel. Er würde ihn in den Arm nehmen und sagen, dass alles in Ordnung war.

Er würde Ted umbringen, wenn er nicht schon tot wäre.

Es war besser so. Katsuya atmete zitternd ein und aus. Ja, es war besser so. Ted war tot und Seto hatte sich nicht die Hände schmutzig gemacht. Es war Pegasus. Pegasus hatte seinen eigenen Mann getötet.

Katsuya schluchzte auf, doch drückte seinen Kopf in die Decken, um leise zu sein.

Er hatte ihn einfach so getötet. Einfach so. Abziehen und pamm. Einfach so. Ted war tot. Einfach so. Pegasus hatte es nicht einmal gestört. Es war, als machte er das täglich. Einfach so. Pamm und tot.

„Why are you crying?“, schrie Jason ihn aus sehr geringer Distanz an.

Katsuyas Kopf zuckte nach oben, nur um noch die Faust zu sehen, die ihn im nächsten Moment zur Seite schleuderte.

„Why are you crying, you asshole! You don’t have a right! He’s dead because of you!“ Jason zielte mit einem Tritt auf seinen Bauch, aber Katsuya konnte schnell genug die Beine hochziehen. „You fucking son of a bitch!“

Es setzte noch einen zweiten Tritt, den Katsuya abwehren konnte, bevor auch von Jason ein Schluchzen zu hören war und er einen Arm vor sein Gesicht hob. Er murmelte leise: „I hate you.“

„I’m sorry“, murmelte Katsuya leise und stellte etwas verwundert fest, dass er es wirklich so meinte, „I didn’t want him dead.“

Jason senkte den Arm und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Bitte um Zuneigung – wahrscheinlich hatte er Ted wirklich gemocht. Er atmete tief durch und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen von den Wangen. Nach einem Seufzen meinte er: „I am also sorry. I didn’t want to hit you.“

„Forgiven“, erwiderte Katsuya sofort. Er konnte ihn ja irgendwo verstehen. Er würde gerade am liebsten auch irgendetwas schlagen. Am liebsten sich selbst. Jason hatte Recht. Dass Ted tot war, war seine Schuld.

„He was my best friend“, murmelte Jason und setzte sich dorthin, wo er gerade stand.

Katsuya legte eine Hand auf seine Schulter.
 

Ein paar Minuten später hatte Katsuya Jasons halbe Lebensgeschichte gehört.

Zumindest, wie er als Jugendlicher auf die schiefe Bahn geraten war – gar nicht mal so unähnlich zu Katsuya selbst – und in einer Jugendgruppe der Mafia angefangen hatte. Drogenkurier, Drogendealer und schließlich aufgestiegen zum Eintreiber. Irgendwann verwaltete er Bordelle und teilte die neuen Mädchen ein. Über die ganzen neuen Mädchen – junge Dinger aus aller Herren Länder – kam er mit dem Menschenhandel in Kontakt. Er begann für Pegasus zu arbeiten und den Handelspunkt in Texas zu führen. Als eine Razzia der Polizei den auffliegen ließ, wurde er zu Pegasus beordert, bevor er neu eingeteilt werden sollte. So kam er nach Domino – er sollte den Boss unterstützen und dann hier beim Aufbau des neuen Handelspunktes helfen. Ted war wohl einer der Transporteure gewesen, der die Frauen abholte und dann in die jeweiligen Länder schmuggelte.

„I liked him ... I’ve worked with him for years ... I know that he raped men and women alike but damn ... you know, it just goes with the job, they are free for the taking. Of course we sample the merchandise, that is only natural.“

„I don’t think that rape is natural“, erwiderte Katsuya leise und ruhig. Jasons Worte ließen ihn fast kochen, aber ihm fehlte die Kraft, um sich aufzuregen. Die Fähigkeit zur Wut schien zur Zeit wie verpufft.

„Well ... yeah, but ... you know“ Jason hob beide Arme, aber ließ sie mit einem Seufzen wieder fallen. „You know, when I get them, they are already dead inside. They do not wheep, they do not scream. You tell them what they need to do and they either do it or you punish them. Rape is just one of the things you do to train them.“

Vergewaltigung als Erziehungsmaßnahme. Damit die Frauen still taten, was man ihnen befahl. Hatte Yami das auch durchgemacht? Durch diesen Kerl, von dem er zuerst glaubte, er sei sein Freund? Hatte der ihn auch mit Schlägen und Vergewaltigungen trainiert? Katsuya schloss die Augen.

„What do they need to do?“

„Well, get money. Depends on the city and the brothel how much. It costs about ten to twenty thousand the get a new chick, so it needs a few weeks to get that back. After that I work them a bit less. They still need a few hundred a day but that is alright. The chicks stay low when you ease up a bit.“

Ein paar Hunderter am Tag. Für Yami wären das umgerechnet ein oder zwei Stunden Arbeit, aber solche Gagen hatten die Damen sicher nicht. Er entschied sich zu fragen: „How many men do they need to do daily?“

„Well, depends on the brothel ... between five and thirty was normal in Texas. I even gave them presents when they had more than thirty a day. Well, I mean, if they got the money for at least thirty. We had a camp outside of the city for the ones who didn’t make it. We hooked them up on drugs and had flatrates for them. I think they got about a hundred guys a day ... well, they never took long. But those camp girls died pretty easily.“

Katsuya schüttelte es innerlich. Einhundert Kerle am Tag? Einhundert Kerle, die ihre Schwänze – höchstwahrscheinlich ohne Kondom – in dich reinsteckten und dann ... bei allen Göttern, wie konnten Menschen nur? Die, die die Frauen handelten, die, die mit ihnen schliefen, die ... ein Glück, dass Yami mit der Prostitution aufgehört hatte. Ein Glück.

„Well, they are just some girls. Not that much of a loss“ Jason schien seinen Blick deuten zu können. „It’s not like I trade kids or something.“

Kinder ... ja, was wurde eigentlich aus den Kindern, die Yami vom Strich holen wollte? Konnte er das noch, jetzt, wo er selbst nicht mehr in der Szene war? Sollte er ihn fragen? Ja ... ja, sollte er. Nach den Kindern und den Frauen. Wenn sich einer auskannte, wie die Lage in Domino war, dann Yami. Das alles war die ganze Zeit auch hier passiert, passierte jeden Tag in seiner eigenen Stadt. Und es tat gut an etwas zu denken, was er tun wollte, sobald er hier raus war.

„It makes good money. It’s not that bad. And you get all the girls you want“ Jason schien ihn überzeugen zu wollen, dass es gut war, was er tat.

Da würde er bei Katsuya allerdings auf Granit stoßen. Er hatte einen besten Freund, der ein Opfer solcher Machenschaften war. Keine Morddrohung würde ihn dazu bringen, diesem Kerl zu sagen, dass das, was er tat, okay war.

„Well ... you must be pretty tired. I’ll let you sleep“ Jason erhob sich und ging zu dem Stuhl. „I ... I still have to clean ... clean this.“

Pistolenschüsse

WARNUNG: Auch wieder ein nicht ganz so leicht verdauliches Kapitel.
 

Und ich bin leider ziemlich im Stress, ich hoffe, ich kriege die Kapitel für die nächsten Wochen immer pünktlich hin. Ich wünsche erst mal viel Spaß mit diesem ^.^
 

P.S.: Ab dem nächsten Kapitel geht es rein in Deutsch weiter, keine Sorge.
 

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Katsuya schlief irgendwann doch ein. Zutiefste Langeweile gepaart mit warmen Decken und wenig Beleuchtung war irgendwie doch verführerisch, auch wenn man sich verdammt scheiße fühlte. Entgegen seiner Angst hatte er allerdings keine Träume. Keine erschossenen Menschen, kein Blut, keine Kerle, die ihn vergewaltigten.

Nur tiefe, gähnende Leere – ein äußerst angenehmes Gefühl.

Er erwachte zu sich unterhaltenden Stimmen und stellte schon fast erfreut fest, dass Dean und Jon wieder da waren. Beide hatten leichte Augenringe, aber nach der Aktion gestern Nacht war ihnen das sicher nicht zu verübeln.

Das war eine Hinrichtung gewesen.

Und die beiden hatten die Leiche ihres Freundes entsorgen dürfen. Er beneidete sie wahrlich nicht darum. Sie nickten ihm zu und stellten zwei Meter entfernt die Verpflegung für den Morgen auf den Boden. Diesmal war es Starbucks Coffee und sicher wieder belegte Bagel. Amerikaner waren irgendwie berechenbar.

„Man, I want some donuts“, beschwerte Dean sich und nahm Platz, „They have fish and rice everywhere but no fucking donuts.“

„Domino’s donut shop is right in front of the main train station“, informierte Katsuya ihn und pellte sich aus seinen Decken. Die anderen sahen ihn schweigend und verwundert an. „Well, you could ask me. I live here.“

„Yeah ... thanks. We’ll bring some tomorrow“, entschied Dean. „So ... we brought ham, salami, egg and tuna.“

„Tuna“, murmelte Jason. Wahrscheinlich wollte er Fleisch gerade nicht sehen.

„Egg“ Katsuya hielt ihm erwartungsvoll seine Hand hin. Wenn ihm die letzten Tage irgendetwas Positives gebracht hatten, dann war es eine Vorliebe für Bagel mit Ei und Mayonnaise.

„Thought so“ Dean hielt ihm das Essen bereits hin. „And your hot chocolate is still hot this time“ Die übergab er ihm auch direkt. „I even got cookies today. Take some if you like.“

„What is Jon doing there?“, fragte Katsuya, nachdem er sein Essen zusammen hatte. Der letzte Aufpasser verschüttete nämlich gerade irgendetwas übel Riechendes dort, wo noch ein Hauch des eingesunkenen Blutes zu erkennen war – der Anblick vertrieb Katsuyas Appetit sofort.

„Blood, even old one, enables the police to trace it’s owner. You can destroy the DNA by mixing it with acid or alcohol. It’s just a precaution“ Dean zuckte mit den Schultern. „I don’t think that they will find his body but you can never be too sure.“

„Say, Dean ... was it really necessary to kill him?“, fragte Katsuya leise.

Er war ja mittlerweile schon irgendwo erleichtert. So würde er den Kerl sicher niemals wieder sehen. Er stellte keine Bedrohung mehr da. Aber ... irgendwo fühlte er sich noch immer schuldig, dass er nun tot war. Indirekt war er wegen ihm gestorben. Irgendwie. Hoffentlich nahmen Jon und Dean ihm das nicht übel und beschuldigten ihn.

Dean betrachtete ihn mit müde wirkenden Augen. Seine Falten – er war sicher schon Mitte dreißig – wirkten heute tiefer als sonst. Ein Schatten schien sich über sein ganzes Gesicht gelegt zu haben und seine Haltung wirkte erschöpft. Er seufzte nur und befahl: „Eat.“

Sowohl Katsuya als auch Jason befolgten es einfach und versuchten, nicht mehr zum Blut zu sehen.
 

„Dean ... I don’t want to go back to the hotel“, murmelte Jason leise.

Jon verdrehte die Augen.

„You need sleep. You’ll feel better after you have slept“, erwiderte der Angesprochene nur und gab sich nur minimal begeisterter als sein Partner, „you need to learn to live with this, Jason. This is our job.“

„But ... why did he have to be killed? We rape people all the time. Why not this one?“ Jason zeigte mit einem Finger auf Katsuya, aber sah ihn nicht an.

„For the record, I don’t rape people“ Deans Stimme klang ebenso müde wie sein Körper aussah. Wahrscheinlich hatte er nicht geschlafen. „And the boss said no. He killed Ted because he disrespected his orders. No other reason.“

„But ... but ...“ Jason schüttelte den Kopf.

„Speak with the boss if you have issues with him. And now go.“, unterstützte Jon seinen Partner.

Als Jason die Luft einzog, konnte man hören, dass er kurz davor stand, erneut zu weinen. Sein Adamsapfel wanderte hinauf und wieder hinunter. Er drehte sich um, stapfte los, blieb noch einmal stehen, wandte sich nochmal zu ihnen, aber ging dann doch, ohne noch etwas gesagt zu haben. Das Zufallen der Lagerhaustür schallte wie Donner durch die Halle.

„Well, this is going to be problematic“ Dean seufzte tief. „Jon, I’d like you to take the night shift with him.“

„What? Why?“ Jon klang äußerst unbegeistert. Es war das erste Mal, dass er wirklich Emotionen zeigte.

„You see that mark?“ Dean nickte zu Katsuya hinüber. „He didn’t have that when we left yesterday.“

Der Jüngste strich über seine Wange, die dadurch leicht ziepte. Kein Wunder, dass der Schlag gestern seine Spuren hinterlassen hatte. Er war ziemlich hart gewesen. Trotzdem verspürte Katsuya das Bedürfnis, Jason zu verteidigen: „He already said sorry. It’s alright.“

„You’re too nice, kid“, meinte Dean nach einem kurzen Moment des Schweigens.

„I have someone who truly loves me. That makes up for a lot of shit“ Katsuya zuckte mit den Schultern. Ja, allein der Gedanke an Seto machte vieles gut. Wie zum Beispiel vergewaltigt zu werden. Bei allen Göttern, er wollte von Seto umarmt werden ...

„I still want you to look after Jason. I am afraid he could do some nasty shit. It’s no good to leave him alone in this state“ Dean hatte sich wieder an Jon gewandt.

Der allerdings betrachtete Katsuya. Nach ein paar Sekunden nickte er langsam, drehte den Kopf zu Dean und antwortete dem: „I hate babysitting.“

„Well, he is a lot younger than us. He hasn’t seen as much as we have. He never had to kill his own partner. Hell, I don’t think he ever killed anyone“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „It’s good to have such people. They remind you what it means to be human.“

„They are a nuisance“, knurrte Jon und ging zu seinem üblichen Platz.

„Whatever“ Dean räumte den Müll zusammen.
 

Die nächsten Stunden bestanden wieder aus Schweigen.

Katsuya fragte sich langsam, was es brauchte, dass man so einen Job machen konnte. Er drehte beinahe durch hier. Zuerst hatte er wieder angefangen, leise Weihnachtslieder zu singen, bevor er sich daran machte, alle geschichtlichen Daten aufzuzählen, die er dieses Schuljahr gelernt hatte. Es ging weiter mit Kochrezepten, bevor er sich selbst Stilmittel von Gedichten vortrug. Seto wäre stolz auf ihn.

Er hielt Mittagsschlaf und begann schließlich mit Matheformeln. Wenn er so weitermachte, waren ihm heute Abend die Fächer ausgegangen. Einiges an Zeit fraßen allerdings die Gedichte, die er versuchte wieder abzuspulen. Bei den Englischen half Dean sogar mit – dem war wahrscheinlich ähnlich langweilig. Nur Jon ignorierte sie komplett.

Katsuya durchstöberte die Einkaufstaschen nach etwas Essbarem, als er mal wieder das Gefühl hatte, vor Langeweile zu sterben. Nur Sekunden später fand sich Dean einem Hundeblick gegenüber, dem er nach einem Schlucken auch nur noch nachgeben konnte. Freudig machte sich Katsuya über die Schokolade her, die er gefunden hatte. Die war ja wohl für ihn, nicht wahr? Nicht? Egal, hiermit war es seine. Das erhellte den Tag doch um einiges.

Das erste, was er machen würde, wenn sie ihn wieder freiließen, war, dass er Seto küssen würde. Ihm in den Arm fallen, ihn küssen und dann nicht mehr loslassen. Stundenlang. Nein, noch besser: Tagelang. So lange, bis Seto genervt rummotzte. Nun, so lang und noch ein bisschen mehr, weil er Seto gern motzen hörte. Es war irgendwie süß, wenn er sich künstlich aufregte.

Er würde alle anrufen, dass es ihm gut ging und sie sich keine Sorgen machen sollten. Auch Ryou. Selbst Bakura, wenn es denn sein musste. Der machte sich zwar nie im Leben Sorgen, aber ... na ja. Irgendwann mussten sie ja wieder miteinander reden. Vielleicht kriegte er dem Kerl beigebracht, dass Vergewaltigungen nicht okay waren. Auch nicht in Beziehungen. Verdammt, erst recht nicht da.

Wenn Seto so etwas gemacht hätte ... Katsuya schüttelte den Kopf, als er Tränen in seine Augen schießen spürte. Seto würde das nicht machen. Da war er vollkommen sicher. Er kannte Seto schon in seiner schlechtesten Stimmung. Er hatte seinen Bruder umgebracht, er hatte ihn bei einem Stricher entdeckt, er hatte ihn betrogen ... er hatte so langsam genug durch, dass er glaubte zu wissen, wie sein Freund reagierte. Und er würde ihn niemals sexuelle Gewalt antun. Niemals.

Zuhause würde er Seto Kaffee kochen und sich einen leckeren Kakao. Und sie würden den Kamin anmachen und Äpfel darin braten. Sie würden sich küssen und Seto würde ihm sagen, dass alles in Ordnung war. Dass die Welt sich weiterdrehte und er die schrecklichen Tage einfach vergessen konnte. Sie würden Weihnachten nachfeiern und würden nicht mehr an Ted denken. Und die Gans konnte er dann zu Silvester machen oder so.

Bis dahin würden sie ihn doch wieder freigelassen haben, oder? Wie viel Zuspruch brauchte dieser Irre denn?

Er wollte doch einfach nur nach Hause. In Setos Arme und nach Hause. Da, wo es warm und freundlich und friedlich war.
 

Mit Gedanken an Kaminfeuer und Setos Arme lehnte Katsuya sich zurück und betrachtete durch die schmutzigen Deckenfenster das Vorbeiziehen der Wolken. Ein Bett wäre jetzt toll. Seine Muskeln waren zwar nicht mehr halb eingefroren, aber dafür verkrampft. Der Boden war nicht gerade angenehm und auch, wenn er sich jetzt bewegen konnte, war er trotzdem reichlich eingeschränkt. Er stand zwar jede Stunde mal auf und machte ein paar Schritte, aber viel Freiraum hatte er nicht gerade.

Ein Bad wäre auch klasse.

Sehr klasse sogar.

Nicht nur, dass er sich wegen gestern dreckig fühlte, das hier war jetzt schon der dritte Tag hier. Er wollte eine Dusche. Eine Badewanne. Erst eine Dusche, dann eine Badewanne. Mit Seto. Und Schaum. Selbst Klein-Seto würde er gerade nehmen. Der ließ einen mit seiner Freude und seinem Übermut alles Schreckliche vergessen.

Ja, Isamu wollte er auch im Arm halten. Und Shizuka. Und einen Hund. Er könnte mal den Cockerspaniel seiner Nachbarin streicheln, die ihn immer nur mit einem Nasenrümpfen ansah. Der Hund konnte ja nichts für sein Herrchen.

Er wollte hier wieder raus.

Ein dumpfes Donnern erklang. Der Ton war schwer zu beschreiben. Als würde zusammen gepresste Luft durch eine Röhre sausen.

Katsuyas Kopf sauste herum, aber er konnte nichts erkennen.

Der Ton erklang erneut, während etwas Großes hinter ihm mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden ging.

Er sah hin.

Dean lag da.

Jon – mit einer Waffe in der Hand – kam gerade auf.

Das Geräusch war ebenso dumpf. Die Pistole klang metallisch beim Aufprall.

Katsuya war erstarrt, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er sich umdrehen sollte.

Die zwei Schüsse waren von den Kisten am Stahlträger gekommen.

Ebenso wie das schwere Aufkommen von Stiefeln und die wenigen Schritte.

Der Blonde zwang sich, seinen Kopf zu drehen.

Schwarze Lederstiefel, schwarze Lederhose, schwarzer Ledermantel, schwarzes Tank-Shirt.

In jeder Hand je eine Waffe mit einem länglichen, dick aussehenden Rohr davor.

Sein Hirn spuckte das Wort Schalldämpfer aus.

Er hob den Blick.

Weiße Haare unter einer schwarzen Mütze.

Sonnenbrille.

Ein Grinsen zeigte weiße Zähne.

„Buh“, murmelte Bakura.

Gerettet?

Ihr habt Glück. Ich habe mich am Wochende nach stundenlanger Arbeit doch noch vor DS gesetzt, um das Kapitel fertig zu kriegen. Ich hoffe innigst, dass das für nächste Woche auch noch klappt. Danach müsste der Stress sich wieder etwas legen, sodass ich mir da nicht so sehr Sorgen mache.

Viel Spaß mit diesem ^.^
 

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Katsuya blinzelte.

Einmal.

Zweimal.

Sein Blick fiel zurück auf eine der Waffen in Bakuras Händen.

„Meine Fresse – jetzt fall' nicht gleich um wie ein pubertierender Teenager“ Der Weißhaarige sah sich um. „Sind hier noch mehr?“

Katsuya spürte, wie sein Kopf sich von rechts nach links bewegte. Sein Blick blieb auf den Waffen. Waffen ... die Geräusche waren Schüsse gewesen. Auf Dean und Jon. Zwei Schüsse. Zwei Aufpralle. Und hinter ihm war nichts mehr zu hören.

Sie waren tot.

Katsuya zuckte zusammen und von Bakura weg. Seine Augen suchten erneut dessen Gesicht, starrten es an mit weit aufgerissenen Lidern. Er hatte sie getötet. Er hatte sie beide einfach getötet!

„Nun mach dir mal nicht ins Hemd“ Der Andere verdrehte die Augen. „Was ist das eigentlich für eine Wache? Zwei Leute? Das soll doch echt ein Witz sein. Die hätte Seto auch selber erschießen können“ Er steckte die Waffen zurück in ihre Halfter an seinem Oberkörper und öffnete eine an seinem Gürtel hängende Tasche. Heraus zog er ein kleines metallisches Etwas, was einem Taschenmesser vage ähnelte. Er kniete sich hinab und griff nach Katsuyas rechter Hand.

Dieser schreckte zurück.

„Ich muss dir die Fesseln schon abmachen“ Bakura bedachte ihn mit einem dunklen Blick. „Jetzt halt still und mach' hier keinen Terz.“

„Wo ist Seto?“, schoss es aus dem Blonden.

„Bei der Arbeit“ Die Stimme des anderen wurde leiser. „Er braucht ein Alibi. Ich bringe dich hier raus und wir treffen ihn bei euch zuhause.“

Zuhause. Nach Hause. Bakura brachte ihn nach Hause. Er ließ seine Hand von ihm halten, während dieser die Handschellen löste. Nach ein paar Handbewegungen fielen sie wie von selbst herunter. Katsuyas rechtes Handgelenk wurde betrachtet, bevor Bakura das zweite nahm und ansah.

„Darum kümmern wir uns auch zuhause. Kannst du laufen?“

Katsuya nickte langsam.

„Dann hoch mit dir“ Der Ältere stand auf und zog ihn an einem Arm hoch.

Er spürte einfach nur den Zug, aber bewegte sich nicht.

„Katsuya, ich habe keine Lust auf einen Zusammenbruch. Beweg' deinen Arsch – jetzt“, forderte er.

Die braunen Augen blickten fragend zu ihm hoch.

„Ich hasse das“ Bakura schüttelte den Kopf, ging wieder in die Knie und beugte sich herab. Seine Schulter legte sich in Katsuyas Schoß, sein einer Arm um dessen Oberschenkel, der andere um die Hüfte. Katsuya sah ihm verwirrt zu, bevor sich seine Welt plötzlich auf den Kopf drehte. „Du bist schwer ...“ Die Stimme über – unter? – ihm war von einem Knurren begleitet.

Katsuya sah nur schwarzes Leder vor seiner Nase. Schulterknochen drückten in seinen Unterleib. Er schloss die Augen und schlang die Arme um das wackelige Gefährt, das ihn trug. Er passte treffsicher die Hüfte ab und drückte sich gegen den Rücken des anderen.

Es roch wie immer. Aus dem Boden stiegen nur noch ganz leicht die ätzenden Dämpfe des Zeugs, das Jon hier heute morgen verschüttet hatte. Es roch überhaupt nicht nach Blut.

Er hatte trotzdem das Gefühl, Eisen auf seiner Zunge zu schmecken.
 

Draußen schubste Bakura ihn wenig sanft einfach von seiner Schulter, sodass er auf dem Boden aufschlug. Der Aufprall katapultierte ihn fraglos die Realität zurück.

Eine Realität, wo ein weißhaariger Irrer, der gerade zwei Menschen vor seinen Augen erschossen hatte, ihm einen Motorradhelm hinhielt. Reiner Überlebensinstinkt brachte Katsuya dazu, diesen anzunehmen und aufzusetzen. Schließlich hatte Bakura vor, ihn nach Hause zu bringen. Und Katsuya hatte vor, den Irren nicht zu verärgern. Leider wusste er schon, was das für Folgen hatte.

Vom Motorrad aus erkannte er, dass sie sich am Hafen befanden. Ihm zog durch den Kopf, dass das echt eine klischeehafte Entführung gewesen war – ein Transporter mit schwarz getönten Scheiben, eine Menge Amerikaner, ein Stahlbalken in einer Lagerhalle am Hafen. Nur leider war sein Retter zwar ein Auftragskiller, aber nicht ansatzweise charismatisch. Vielleicht hätte sich Bakuras Bad-boy-Attitüde in einem Hollywoodstreifen gut gemacht, aber in der Realität war er leider nur eine weitere Gefahr.

Wenigstens tendierte er prinzipiell dazu, Katsuya nichts tun zu wollen. Brachte ihn ja leider in einigen Situationen nicht davon ab, es nicht trotzdem zu tun, aber Bettler konnten nicht wählerisch sein. Und weder Ryou noch Seto standen gerade dabei, um die Situation zu entschärfen.

Er hörte das Blut in seinen Ohren schwirren.

Er wusste, das kam nicht nur von dem Fahrstil, den er gerade ertragen musste. Verdammt seien jene, die jede Bußstrafe und Fahrverbote eigenhändig wieder aus der Polizeidatei hacken konnten. Wahrscheinlich hätte er Spaß gehabt, wäre der Fahrer nicht Bakura und wären in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht drei Leute vor seinen Augen erschossen worden – den Gedanken verbannte er sofort wieder.

Jetzt konzentrierte er sich auf Bakura.

Der Gedanke hielt, bis sie wirklich vor seinem Haus anhielten. Katsuya sprang vom Motorrad, rannte zur Haustür und schlug mit dem Helm dagegen, von dem er vergessen hatte, dass er ihn trug. Nach dem kurzen Zurückweichen schnellte er wieder vor und trommelte wie wild mit beiden Fäusten gegen die Tür.

„Ich sagte, es ist keiner da!“, schrie Bakura erbost und zog ihn an einem Arm von der Tür weg, „jetzt mach' hier nicht so einen Terz!“

Katsuya blinzelte verwirrt.

„Oh Mann“ Bakura seufzte und sah sich um. „Zieh den Helm aus.“

Während Katsuya das nach einer Überlegenssekunde tat, klopfte der Andere auf seine Oberschenkel, was den Blonden zurückweichen ließ. Was sollte das denn jetzt? Wollte Bakura auch- er war doch nur an seinem Bruder- der Helm schnellte von seinem Kopf in seine Hand. Eine gute stumpfe Schlagwaffe.

„Hast du den Haustürschlüssel noch oder wurde der dir abgenommen?“

Bakura rührte sich nicht. Er stand da mit verschränkten Armen. Er schien ihn nicht attackieren zu wollen.

„Erde an Katsuya. Der Haustürschlüssel?“

Katsuya blinzelte und löste seine Verteidigungsposition. Haustürschlüssel? Er fasste an seine Jeanstasche. Ah, Haustürschlüssel! Das hatte Bakura gesucht. Schon fast erleichtert gab der Blonde ihm den Helm und tastete seine Taschen ab. Der Schlüssel … der war in seinem Ranzen. Sein Ranzen war weg.

Bakura hob eine Augenbraue.

Katsuya zog den Kopf etwas ein und schüttelte diesen.

Bakura seufzte und setzte sich auf die Stufe vor der Haustür.
 

Nach ein paar Minuten, in denen er Bakura angestarrt hatte, sackten die Beine unter Katsuya weg, sodass er sich auf dem Gras sitzend wiederfand. Er atmete tief ein und aus, um die Tränen zurückzuhalten, die in seine Augen schossen.

Bakura seufzte, lehnte sich nach hinten gegen die geschlossene Tür und verschränkte die Arme. Seine Augen schweiften in die Ferne.

Katsuyas Finger bohrten sich in die gefrorene Erde. Schmerz und Kälte rangen um die Vormacht auf seiner Haut und er stellte mit bosartiger Gemeinheit fest, dass er den perfekt gepflegten Rasen zerstörte. Er lachte auf, kicherte und starrte auf den Boden. Das Gras verschwamm vor seinen Augen. Mit der Erkenntnis, dass er weinte, bemerkte er auch, dass er nicht kicherte sondern schluchzte. Er ließ sich zur Seite fallen und blieb einfach liegen.

Das Tuckern eines Motors kam näher und verklang ganz in der Nähe. Eine Autotür wurde geöffnet und geschlossen, das Piepen einer automatischen Schließanlage. Eine Stimme sagte etwas in einem halb wütenden, halb entsetzten Ton.

Setos Stimme.

Setos Hände.

Setos Wärme.

Katsuya ließ sich emporziehen, schlug die Lider auf und blickte in das endlose Blau, was seit Tagen vor seinem inneren Auge geschwebt hatte. Mit dem Aufjaulen eines verletzten Tieres schlang er die Arme um die Gestalt des anderen und drückte sich so nah an ihn wie irgend möglich.

Arme schlossen sich um ihn, zogen ihn hinauf. Zogen ihn nah an den warmen Körper, der nach Heimat, Bleu de Chanel und Seto roch. Zogen ihn in die Höhe, um ihn in das warme Haus zu tragen, von dem er nicht gewusst hatte, ob er es je wiedersehen würde. Seto versuchte ihn auf dem Sofa abzusetzen, aber er ließ nicht los, sodass er sich mit ihm hinsetzte.

„Wie viele?“, fragte Seto, der ihm durch das Haar fuhr und seine Haut streichelte.

„Zwei. Und Blut auf dem Boden. Keine Ahnung, wen sie da erschossen haben.“

„Kannst du es herausfinden?“

„Du könntest den Kerl fragen, der wahrscheinlich zugesehen hat“ Bakuras Stimme trug einen genervten Unterton.

„Ich werde Katsuya gar nichts fragen. Er ist in keinem Zustand, wo er befragt werden sollte. Pegasus lebt und entweder hat er noch zwei Leute hier oder einen – je nachdem, wen sie da erschossen haben.“

„Ich rufe das Hotel an“, knurrte er wenig begeistert und Schritte entfernten sich.

Seto setzte einen Kuss auf seine Kopf und murmelte leise: „Keine Angst. Du bist jetzt sicher. Dir wird nichts Schlimmes mehr passieren. Pegasus wird hierfür bezahlen. Teuer.“

„Nein“ Katsuya sah mit wilden Blick auf und griff Setos Jackett mit beiden Händen. „Der Kerl ist irre. Komplett irre. Er wird … es wird etwas Schlimmes passieren. Er wird uns das nicht durchgehen lassen. Er wird-“

Seto brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen.

Katsuya Atem kam stockweise, er winselte, drückte sich von dessen Brust weg und fiel hintenüber auf den Couchtisch, von dem er zur Seite abglitt. Wild atmend versuchte er von dem Anderen weg zu kommen.

„Katsuya“ Seto glitt zu Boden auf seine Knie und streckte ganz langsam einen Arm aus, als wolle er ein ungezähmtes Tier beruhigen. „Ganz ruhig. Ich tue dir nichts. Ich bin es – Seto.“

Der Blonde starrte ihn, wich aber nicht weiter zurück und nach und nach beruhigte sich sein Atem, während Seto einfach still hielt. Seto. Das war Seto. Sein Geliebter, nein, sein Verlobter. Seto. Seto würde ihm nichts tun.

„Mach Pegasus nicht noch wütender“, flehte er leise.

„Keine Sorge. Er wird uns nichts mehr tun. Du brauchst keine Angst haben. Wir bleiben hier. Wir sind hier sicher. Morgen Abend wird Pegasus verhaftet und dann kann er uns nichts mehr tun“ Katsuyas Blick zitterte, ebenso wie sein Körper, aber sein Atem hatte sich halbwegs beruhigt. „Versprochen. Und jetzt komm her, ja?“
 

„Brown ist wahrscheinlich tot“, meinte Bakura, als er wieder ins Wohnzimmer spazierte.

Katsuya, der auf Setos Schoß saß und sich seitlich an diesen lehnte, zuckte zusammen. Brown? Sprach er von Ted? Er biss die Zähne zusammen.

„Bakura“, ermahnte Seto in einem scharfen Ton.

„Sorry“, murmelte der leise, „er ist nicht aufgetaucht und Derris kam spät und betrunken. Pegasus ist gerade praktisch ungeschützt.“

„Möchtest du, dass ich dir ein weiteres Attentat befehle?“ Setos Stimme klang sarkastisch und dunkel. Ohne aufzublicken wusste Katsuya, dass er sicher auch eine Augenbraue gehoben hatte.

„Ich hatte eh überlegt, mich nach Europa abzusetzen.“

„Dein Bruder braucht dich“ Er klang ernst, aber eher mit Besorgnis als mit diesem Hauch von Grausamkeit in der Stimme. „Auch wenn du ihn beschissen behandelst. Lass mich nicht nochmal hören, dass du ihn vergewaltigt hast.“

„Er will es auch, mach' mich nicht an.“

„Du weißt selber, dass das gelogen ist“ Es schwang jedoch kein Vorwurf in den Worten mit. „Geh und beruhige ihn. Dass du am Leben bist und dass es Katsuya so weit entsprechend gut geht. Ich melde mich, wenn er sich bessert.“

„Ja ja. Dein verficktes Danke kannst du dir sonst wo hin stecken“ Bakuras Ton ließ den Jüngsten erneut zusammen zucken. „Du bist ein unglaubliches Arschloch, Kaiba. Verrotte doch in der Hölle!“ Mit einem lauten Krachen flog die Haustür zu.

„Noch so eine Zeitbombe“ Seto seufzte und zog Katsuyas Kopf etwas höher, um den eigenen daran zu schmiegen. „Wenigstens ist er weit ungefährlicher als Pegasus.“

Wenn er meinte … Katsuya drehte sich etwas auf dessen Schoß, schlang die Arme um ihn und drückte seine Brust gegen den anderen. Er war zuhause. Er war sicher. Er war wieder da, wo Seto ihn beschützen konnte. Er war da, wo es warm war. Da, wo er genug zu essen hatte. Wo er nicht geschlagen und nicht … wo ihm nichts Böses widerfuhr.

Er spürte, wie seine Kehle sich zusammen zog.

Er musste es Seto sagen.

Er musste Seto sagen, was passiert war.

Aber er brachte keinen Ton hervor. Selbst wenn er es versucht hätte, es wäre nichts raus gekommen. Er konnte nicht einmal mehr atmen. Sein ganzer Hals schien wie zugeschnürt. Er drückte sich von Seto, bewegte hilflos die Lippen, aber weder Luft noch Worte flossen darüber.

„Keine Angst“, sprach Seto ruhig und gefasst, „du bekommst gleich wieder Luft. Ich kenne solche Attacken. Du verfällst in Panik, aber du kriegst dann doch wieder Luft. Bleib ganz ruhig.“

Ein heftiger Stoß brach durch die verengten Muskeln und ließen ihn wirklich zweimal tief Atmen, bevor statt einem dritten Mal ein Schluchzen hervor brach. Er sah die blauen Augen, spürte die Hand auf seinem Haar und die tiefe Ruhe, die Seto verströmte. Er drückte sich wieder an den warmen Körper und erlaubte sich das Schluchzen und Weinen.

Er konnte es Seto nicht erzählen.

Er konnte es einfach nicht.

Kreisende Gedanken

Wie man vielleicht an den Kapiteln sieht, habe ich Mörderstress. Die nächsten vierzehn Tage sind Prüfungen und ich hoffe zutiefst, dass sie mich nicht wieder vom Schreiben abhalten. Tut mir Leid, dass ich zur Zeit nichts versprechen kann.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ich möchte duschen ...“, flüsterte Katsuya leise. Er lehnte noch immer seitlich gegen Seto und ließ sich von diesem durch das Haar streichen. So angenehm es auch war, so langsam merkte er, dass er bestialisch stank. Und vor allem aus dieser Jeans wollte er raus.

Und sie verbrennen.

„Sicher“ Der Andere küsste ihn auf den Haaransatz und half ihm beim Aufstehen. Sein Blick fiel auf den blauen Fleck, der Katsuyas linke Gesichtshälfte einnahm. „Bist du eigentlich verletzt?“

Katsuya erstarrte kurz, aber atmete dann tief durch und zeigte ihm seine Hände. Die Handschellen hatten seine Haut doch ganz schön aufgerissen.

Seto betrachtete sie kurz, küsste dann die Handrücken und meinte: „Ich kümmere mich darum, nachdem du geduscht hast, ja?“

Der Blonde nickte nur. Eigentlich wollte er einfach nur schlafen. Duschen und schlafen. Vergessen. Aber wahrscheinlich war es eine ganz gute Idee, die blutig aufgeschürfte Haut einzucremen und zu verbinden. Er schnaubte. Echt … um was er sich Gedanken machte. Aufgeschürfte Haut. Drei seiner vier Aufpasser waren tot und er dachte über so eine Scheiße nach. Die Tränen stiegen ihm wieder in die Augen, aber er ignorierte sie. Stur ging er die Treppe nach oben und blieb oben etwas ratlos stehen. Er schlief nackt. Normalerweise. Aber allein der Gedanke ließ eine Welle der Übelkeit über ihn schwappen. Was tun? Nun ... in seinem Zimmer lag ein Schlafanzug. Er ging am Bad vorbei und holte besagtes Stück aus seinem Schrank. Sein Blick landete auf seiner Kommode.

Der Schlüssel.

Er leckte über seine Lippen.

Der Badezimmerschlüssel. Der eine und einzige, der jetzt in seinem Besitz war, damit Seto sich nicht einschließen konnte – und er schon, wenn er einen Zufluchtsort brauchte. Er ging zur Kommode und atmete tief durch. Sollte er? Kurzentschlossen griff er einfach danach und nahm ihn mit.

Seto lehnte neben der Badezimmertür und beobachtete ihn. Er schien ruhig, aber bei genauerer Betrachtung fiel Katsuya auf, dass er angespannt war. Er spielte nur ruhig für ihn. Wahrscheinlich wusste er auch nicht ganz, was er tun sollte. Und mit seiner Heulerei hatte Katsuya seinem Anzug ziemlich zugesetzt. Er überlegte kurz, ob er irgendetwas sagen konnte, um es seinem Freund einfacher zu machen, aber die Müdigkeit übermannte ihn fast.

„Kannst du mir einen Müllsack für meine Klamotten bringen? Ich will sie nie wieder sehen.“

Seto nickte nur, drehte sich um und ging wieder runter.

Über Katsuyas Lippen schlich sich ein Seufzen der Erleichterung. Er huschte schnell ins Bad und schloss von innen ab. Den Schlafanzug legte er auf den Toilettendeckel, die Klamotten riss er sich praktisch von Körper. Er wollte sie nie wieder sehen. Auch die Schuhe nicht. Er trat alles in eine Ecke und sprang sofort unter die Dusche.

Bevor er sie allerdings anmachte, ging er noch einmal raus, griff sich seine Zahnbürste und nahm diese mit. Je länger er in diesem Raum war – auch wenn nicht einmal eine Minute vergangen war – desto schlechter fühlte er sich. Er stellte das Wasser auf volle Kraft und so heiß, wie er gerade noch aushalten konnte. Er strich mit dem Nass die Haare nach hinten und begann die Zähne mit dem Duschwasser zu putzen.

Alles, um diese ekelhafte Suppe von ihm runter zu kriegen.

Aus ihm raus zu kriegen.
 

„Katsuya, geht es dir gut?“, fragte Seto von hinter der Tür und ließ ihn so aufschrecken.

„Äh … ja, alles klar“ Er schmiss die Zahnbürste ins Waschbecken rüber und griff nach dem Duschgel. „Ich bin gleich fertig.“

Er schäumte sich ein, sah sich nach so etwas wie einem Waschlappen oder einer Bürste um, aber musste sich abduschen, ohne sich abzuschrubben, weil er nichts finden konnte. Er stockte, als er zu seinem Hintern kam. Mit einem Schlucken ließ er die Hand tiefer sinken und tastete zwischen seinen Beinen.

Es löste nur einen ganz leichten Schmerz aus.

Er seufzte leise, beugte sich vor und spreizte die Beine. Okay. Er versuchte seinen Muskelring komplett abzutasten, indem er seine Hand drehte. Hm … so weit schien er wie immer zu sein. Es fühlte sich gleich an. Da waren keine Risse, keine Abschürfungen, keine Schwellung.

Seto würde es nicht auffallen, wenn er ihn sah.

Er richtete sich wieder auf und wusch seine Hand. Sein Blick wanderte zur Tür. Er sollte … was, wenn Seto mit ihm schlafen wollte? Er könnte das nicht. Nicht jetzt. Aber es war doch Seto – vor Seto brauchte er keine Angst haben. Seto würde ihm nicht wehtun. Er seufzte und fuhr mit einer Hand durch sein Haar. Erstmal musste er aus der Dusche. Nach einem Moment der Betrachtung des Wasserhahns stellte er das Wasser ab und wandte sich um. Tür auf, Handtuch greifen- Handtuch … Katsuya zog das Handtuch an seinen Körper, wickelte sich darin ein und atmete tief durch. Es roch nach Waschmittel. Es war warm und weich und roch beruhigend nach Chemie.

„Katsuya?“, fragte Seto noch einmal.

„Bin schon draußen. Moment noch“, rief Katsuya mit dem Ansatz eines Lächelns zurück. Alles, wie es kam. Ein Problem nach dem anderen. Er war müde, er würde jetzt schlafen, scheiß egal, was Seto wollte oder nicht. Er rubbelte sich ab und legte das Handtuch wie ein großes Segel über seinen Kopf, während er seine Hose anzog, bevor er es mit einem Seufzen wieder aufhängte. Sein Schlafanzug war nicht so schön weich. Er kämmte sich durchs Haar, während er versuchte, zusammen zu kriegen, wie oft er es jetzt eigentlich gewaschen hatte, bevor er das Unterfangen aufgab. Sowohl das Kämmen als auch das Nachdenken. Er wusste nicht ansatzweise, wie lange er unter der Dusche gewesen war, aber wahrscheinlich konnte es ihm Seto auf die Sekunde genau sagen.

Er schloss die Badezimmertür auf und trat auf den Flur. Wie nicht anders erwartet, lehnte Seto an der Tür gegenüber und trug einen besorgten Gesichtsausdruck, der sich sofort glättete, bevor sich seine Mundwinkel etwas hoben und er fragte: „Alles in Ordnung bei dir?“

„Ich war echt ziemlich schmutzig“ Katsuya zuckte mit den Schultern und stellte seine Stimme auf einen weinerlichen Ton um. „Schlafen?“

Setos Lächeln verbreiterte sich, er griff nach der Klinke neben seiner Hüfte und öffnete so die Tür, an der er lehnte. Natürlich fiel er nicht hintenüber sondern machte einen eleganten Schritt – schließlich war das hier Seto Kaiba. Katsuya grinste kurz, huschte an ihm vorbei und schlüpfte unter die Bettdecke.

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte Seto, während er mit einer Hand an die Außenwand griff, auf dem Flur das Licht ausmachte und dann die Tür schloss. In dem nun dunklen Zimmer hörte man nur seine Schritte, wie er zum Herrendiener hinüber ging und seinen Anzug dort ablegte.

Katsuya versuchte sich nicht völlig zu versteifen, als er spürte, wie sich die Decke hob. Ein paar Sekunden lang passierte einfach gar nichts. Normalerweise kam Seto rüber. Oder griff einen Arm und zog ihn zu sich. Oder er kam einfach selber. Aber diesmal passierte gar nichts.

„Gibst du mir einen Gute-Nacht-Kuss?“

Katsuya blinzelte verwirrt und drehte sich automatisch herum zu dem Anderen. Hatte er … das hatte er schon gerade gesagt, oder? Er hatte richtig gehört. Er richtete sich auf und lehnte sich auf einen Arm, bevor er meinte: „Aus deinem Mund klingt das irgendwie falsch.“

„Warum?“

„Du bist kein Typ für Romantik“ Hart, aber wahr. Wenn Seto eins nicht war, dann romantisch.

„Kommst du jetzt her oder muss ich mich den Rest der Nacht mit dem Anblick deines Rückens begnügen?“, murrte dieser.

Entgegen seines inneren Bedürfnisses einfach wegzurennen musste Katsuya lächeln und rückte etwas heran. Der Kuss fiel denkbar kurz aus – war mehr ein fast unfallartiges Berühren von Lippen – aber Katsuya legte sich an seine Seite und bettete den Kopf auf seiner Schulter.

„Geht doch“, murmelte Seto leise und die harten Muskeln unter Katsuyas Hand entspannten sich ein wenig.
 

Er lief.

Er rannte.

Das karge Steppengras schoss unter ihm her, während seine Füße ihn fast fliegen ließen. Weg. Nur weg. Der einzige Gedanke, der ihn noch laufen ließ, obwohl seine Lungen brannten und seine Muskeln ihm fast den Dienst versagten. Er durfte nicht anhalten. Nicht stehen bleiben.

Sie hetzten ihn wie nur Hunde ihre verängstigte Beute hetzen konnten. Es war offene Jagd und er war das vereinbarte Wild. Er hörte die Schreie, die Schüsse, die trampelnde Füße seiner Verfolger.

Sie waren hinter ihm.

Nahe.

Er rannte, schluchzte, jagte über die Ebene. Der Steppenboden brannte heiß unter seinen Füßen. Die Sonne versenkte seine Haut. Nichts gab ihm Schutz. Keine Kleidung, keine Höhle, kein rettender Lichtblick am Horizont.

Und doch rannte er. Er konnte, durfte nicht aufgeben. Er konnte nicht zurück. Nicht zurück zu dem Dasein, zu dem sie ihn verdammten. Konnte nicht weiter liegen bleiben und nichts tun. Konnte nicht weiter ertragen und schweigen. Leiden und schweigen. Schweigen und nichts tun.

Er schrie seinen Schmerz heraus und lief. Lief davon vor seinen Peinigern, vor dem Leben, das sie ihm gaben, vor dem Selbst, was er zurück lassen wollte. Er lief und lief und lief doch nur sich selbst davon. Die höhnenden Stimmen verfolgten ihn mit Spott und Pein. Es war doch seine Schuld. Seine Sünde.

Seine Sühne, der er davon lief.

Er jaulte auf. Nein! Nein, er wollte nicht zurück. Er konnte nicht zurück. Kein Schmerz dieser Welt war wert, mit endloser Demütigung vergolten zu werden. Ohne Würde, ohne Stolz, ohne einen Funken Respekt vor sich selbst. Er konnte nicht weiter machen. Keine Droge dieser Welt konnte ihn so weit abstumpfen, dass er keinen Schmerz mehr fühlte, wenn er da lag.

Da lag und alles annahm, was sie ihm gaben.

Was sie an ihm taten.

Also rannte er. Er rannte und rannte. Er hörte nur das Lachen, das Johlen, die bösen Rufe. Sie hatten keine Schwierigkeit mitzuhalten. Sie liefen nur neben ihm her, genossen seine Tränen, sein Schluchzen, seine Verzweiflung. Seine endlose Hilflosigkeit. Sie jagten ihn, bis er vor Erschöpfung zusammenbrechen würde.

Er durfte nicht aufgeben. Noch nicht. Es war egal, was sie sagten, was sie taten, er musste es versuchen. Er musste es wenigstens versuchen, egal, wie aussichtslos es war. Er durfte nicht schlapp machen. Auch wenn seine Glieder schmerzten, sein Kopf vor Hitzen schwirrte, Die Nadeln in seiner Lunge schon zu Dolchen geworden waren. Er musste rennen. Er musste.

Das Lachen seiner Peiniger schien überlaut. Es überfuhr ihn, schallte lauter als sein eigener Atem in seinen Ohren rasselte. Sie waren so nah. Waren neben ihm, über ihm, umfuhren ihn. Wie die Geier umkreisten sie ihn und wie Falken stürzten sie auf ihn hinab. Ihre Worte, ihr Spott schnellte aus der Luft im Sturzflug auf ihn ein. Und doch – er durfte von seinem Pfad nicht weichen. Er musste laufen. Immer weiter laufen.

Er wagte einen Blick über seine Schulter, doch der Anblick ließ ihn stolpern.

Zu recht … entsetzt wandte er sich um, drehte sich von allen Vieren auf den schmerzenden Hintern. Mit weit aufgerissenen Lidern schüttelte er den Kopf. Das konnte nicht sein. Es konnte nicht wahr sein. Der Spott brach über ihn herein und die Arme seiner Verfolger packten ihn.

Verfolger – er hätte geschnaubt, hätte das Entsetzen ihn nicht fest im Griff gehabt. Sie zogen ihn die vielleicht sechs Meter zu seinem Zelt zurück. Zogen ihn den Gang entlang, den er entkommen war. Vorbei an den Zimmern der anderen lebenden Leichen, denen Drogen das Gehirn zerfressen hatten. Er sah Josey, Anna und Lin-Zao in ihren Kammern. Lin-Zao erkannte er auch nur noch an dem Bein, was unter den Massen von Fett hervor ragte, die sich über sie gedrückt hatten. Er versuchte sich los zu reißen, aber hörte nur Lachen. Die Kraft hatte ihn schon lange verlassen. Sie warfen ihn zurück auf die vier Quadratmeter, die sein Eigen waren.

Die Tränen rannen seine Wangen hinab, doch es kümmerte keinen. Früher hätte es eine gesetzt, dass sein Make-Up verlief. Heute trug er schon lange keins mehr. Er war nur ein Ding. Nur ein Gegenstand. Nichts als ein Objekt.

Und Freier ließ man nicht warten.
 

Der Schrei hatte seine Lippen kaum verlassen, da saß er bereits aufrecht und schaute mit panischen Augen ins Dunkel. Schwarz. Alles schwarz. Aber die Decke war weich und der Schlafanzug warm und der Raum ganz klar größer als vier Quadratmeter. Mit einem Brummen schlang die halb schlafende Gestalt neben ihm einen Arm um seine Taille und zog, damit er sich wieder hinlegte.

Katsuya atmete noch einen Moment tief durch, bevor er der Bitte folgte. Er legte seinen Kopf zurück auf Setos Schulter und schloss die Lider. Eine Hand fuhr über sein Haar und seine Wange, bevor sie eine Runde über seinen Rücken nahm und kurz über den Hüften zum Stehen kam.

„Du bist in Sicherheit“, murmelte Seto schlaftrunken und küsste seine Stirn.

In Sicherheit … mit einem Seufzen entspannte er sich wieder und legte sich halb über den anderen. Ja, er war sicher. Sicher vor Pegasus, sicher vor seinen Leuten, sicher vor einem Schicksal als wohl erbärmlichster Prostituierter der Welt. Sein Atem zitterte. Er konnte die leeren Augen noch immer sehen. Die von Drogen zerfressenen Fratzen derer, die in einem Raum gespannt aus ein paar Tüchern lebten und dort die Beine breit machten, bis man ihnen Schlaf gewährte. Und Drogen. Immer mehr Drogen. Bis sie drauf gingen.

Er hatte auch einst Drogen genommen. Wollte vergessen und vergessen werden. Er hatte sich Seto angeboten, um Rache zu nehmen. Aber er hatte dennoch solch einen Job abgelehnt, selbst als er gehungert hatte. Für ihn hatte Prostitution immer bedeutet, dass man so tief gesunken war, wie ein Mensch nur sinken konnte. Und auch wenn Yami für ihn immer ein Vorbild gewesen war, so hatte er diesen Teil von ihm immer gehasst. Den Teil, der sich benutzen ließ. Der Teil, der seine Menschenwürde aufgegeben hatte.

Aber warum war es ihm so zuwider? War es denn so viel besser seinen Körper als Model zu verkaufen? Als Bauarbeiter? Als Forschungsobjekt? Oder seinen Geist? Seine Fähigkeiten? Warum war ihm nur das eine so zuwider?

Er wusste, was es hieß, erniedrigt zu werden. Jetzt mehr denn je. Der Gedanke, in Lust berührt zu werden, ließ ihn erschaudern. Die meisten Berufe, selbst wenn man sich selbst verkaufte, gaben einem Respekt vor sich selbst. Nicht so die Prostitution. Nicht in seinen Augen. Das hatte für ihn weder Stolz noch Würde. Vergewaltigt zu werden war eine Sache – vergewaltigt und dann dafür bezahlt zu werden eine andere. So sah das für ihn aus.

Er seufzte und schloss die Augen.

Nur eine Sekunde später schlug er sie wieder auf. Seto beschützte ihn – schöner Gedanke. Aber wie lange würde das anhalten? Wie lange würde Seto ihn aushalten, wenn er ihm nicht gab, was er wollte? Seine Hand krallte sich in die Bettdecke. Wenn er es Seto nicht sagte, wie lange würde es dauern, bis dieser zu genervt davon war, dass sie keinen Sex hatten? Das hier war Seto. Die Nächte konnte er mit beiden Händen abzählen. Mit einer, wenn der schlecht drauf war.

Das konnte er nicht. Das würde er nicht schaffen. Das … er musste es irgendwie schaffen. Sich überwinden. Er wusste doch, wie Seto zu Sex stand. Er konnte nicht einfach nein sagen. Selbst wenn Seto es ihm wahrscheinlich nicht übel nahm, dass er … dass das geschehen war, so würde er ziemlich übel werden, wenn Katsuya das nicht unter Kontrolle bekam. Diese Angst. Diesen Ekel davor berührt zu werden.

Vielleicht bekäme er ein paar Tage mehr, wenn er es ihm doch sagen würde. Er presste die Lippen zusammen und setzte sich auf. Die Galle klopfte von unten an und drohte sich aus ihm heraus zu pressen. Er atmete tief durch. Ein. Aus. Ein. Aus … das nächste aus kam mit einem leisen Seufzer. Er warf einen Blick auf die schlafende Gestalt neben sich.

Was sollte er bloß tun?

Die Bürde der Erinnerung

Morgen ist meine letzte Prüfung für dieses Semester! Wish me luck :)

Und da ich das ganze Wochenende zu faul zum Arbeiten war, habe ich einfach mal die Kapitel der nächsten drei Wochen runter geschrieben ^.- Das erste bekommt ihr sogar schon am Sonntag, da ich mich da auf nach Wacken mache.

Es tut mir sehr Leid, dass das in den letzten Wochen zu unregelmäßig war. Soll nicht wieder vorkommen. Ich wünsche viel Spaß mit diesem Kapitel ^v^
 

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Die erste Heulattacke kam äußerst unerwartet. Nicht, als er sich aus dem Bett schlich, während Seto noch schlief, nicht, als er sich unter der Dusche abschrubbte, nachdem er einen Waschlappen gefunden hatte und nicht einmal, als Seto ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Stirn setzte, vor dem er nicht einmal zurückschreckte. Nein, sie kam, als er ein Brot mit Frischkäse bestrich. Denn das ließ ihn daran denken, dass er gerne Bagel mit Eiersalat hätte. Und das erinnerte ihn ganz fraglos an den Menschen, der ihm die letzten drei Tage das Frühstück gebracht hatte.

Seto, der ganz leger nur eine Jogginghose und ein weißes T-Shirt trug, kniete sich neben ihn auf den Boden und umfasste eine Hand mit seiner. Seine Stirn lag in Falten und Zweifel in seinen Augen. Doch er überließ Katsuya einfach seinem Schluchzen und kam nicht näher heran. Der Blonde umarmte ihn auch nicht von sich aus. Früher hätte er es wahrscheinlich getan, aber jetzt … jetzt schien alles anders.

„Entschuldige bitte ...“, murmelte er und erhob sich. Er musste weg. Einfach weg. Frühstück wollte er jetzt gerade nicht sehen. Und auch diese fragenden Augen nicht. Er lief zurück ins Schlafzimmer und verkroch sich unter der Decke, die er eine halbe Stunde vorher erst gefaltet hatte.

Es war lächerlich. Das sagte er sich selbst über und über, aber die Stimme der Vernunft klang dünn und schwach. Dean war tot und er war der einzige Grund dafür. Vielleicht war er nicht schuld, aber er war trotzdem der Grund. Dasselbe galt für Jon. Verdammt, dasselbe galt sogar für Ted. Warum hatten diese Menschen sterben müssen? Ja, sie waren Menschenhändler, Entführer und hatten wer weiß was getan, aber sie waren trotzdem Menschen. Sie hatten Eltern, Geschwister, vielleicht sogar eigene Familien. Dean und Jon waren wirklich gut mit ihm umgegangen. Der Gedanke, dass sie tot waren, dass sie vor seinen Augen gestorben waren – erschossen wurden – und dass er der Grund dafür gewesen war, das … das war einfach nur schrecklich. Hatte es denn keinen anderen Weg gegeben?

War es richtig, dass er deswegen traurig war? War es nicht reiner Wahnsinn, so über seine Entführer zu denken? Sollte er nicht eigentlich glücklich sein, dass es sie nicht mehr gab? Besonders Ted … sollte er nicht voller Wut zurückdenken und sich freuen, dass er gestraft worden war? Die Tränen perlten weiter über sein Gesicht und er versuchte gar nicht, das Schluchzen zu unterdrücken. Er erstickte es nur in einem Kissen.

Er wusste nicht, was er denken sollte.

Er wusste nicht, was richtig oder falsch war.

Ihm schien einfach alles so gut wie es schlecht war.

„Hey“ Eine Hand legte sich vorsichtig auf seine Schulter und ein Daumen begann seine Haut zu streicheln. „Ich habe dir Kakao gekocht. Magst du dich aufsetzen?“

Kakao?

Katsuyas braune Augen suchten den Weg zu Setos Gesicht und zogen seinen Kopf einfach mit. Er entdeckte einen Becher in dessen Hand. Er legte beide Arme um Setos Taille, drehte sich daran auf die Seite und hängte sich eine Etage höher an dessen Schultern, um sich daran hochzuziehen. Mit dem Kopf an Setos Brust, eine Schulter unter dessen Achseln verklemmt griff er nach dem Becher und zog ihn an seine Lippen.

Kakao war eine ganz tolle Idee.

„Ich habe das Frühstück erstmal weggeräumt. Wenn du doch etwas möchtest, sag einfach Bescheid, dann mache ich dir etwas.“

„Kakao“, murmelte Katsuya nur leise und nahm einen weiteren Schluck.
 

Seto hatte ihm irgendwann den Becher abgenommen, als er nur noch roboterartig die Bewegung des Aus-dem-Becher-Trinkens ausführte, obwohl er längst leer war. Nach einem Blick in seinen Augen hatte er sich mit einem Seufzen zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Katsuya war nicht einen Millimeter von ihm gewichen und lag daher recht bequem auf den Kissen und Setos Brust.

Er ließ die Dissoziationen einfach über sich waschen und wehrte sich nicht. Er wusste, er sollte, aber … gerade war es einfach zu angenehm, liegen zu bleiben. Weniger angenehm war jedoch die aufkommende Panik, als es ihn immer tiefer zog. Er erinnerte sich an diese Zustände. Wenn die Dissoziationen nicht freundlich blieben sondern sich immer weiter verstärkten, bis er sich nicht mehr als Teil dieser Welt fühlte.

Die einzigen Male, wo er sich überhaupt schnitt damals.

Weil er irgendwie zurück wollte. Jetzt kannte er die Atemtechnik und die Bewegungstechnik und die Imaginationsübungen und hatte Seto bei sich, aber gerade in diesem Moment wollte nichts auch nur ansatzweise helfen. Er versuchte zu fiepen, zu wimmern, irgendetwas, um Seto ein Zeichen zu geben, dass er Hilfe brauchte. Nur war er schon zu weit ab, um noch irgendetwas von sich geben zu können.

Er war zu schwach.

Innerlich rollte Katsuya sich zu einer Kugel zusammen. Er wusste ganz genau, was kommen würde. Die Stimmen. Die nie schweigenden Stimmen.

Er war dumm. Er war zu nichts nutze. Er hatte es verdient, als ein Sexspielzeug zu enden. Für was anderes war er nicht gut. Das sah Ted genauso wie Seto. Seto tat nur so, als ob er ihn liebte, damit er sich nicht wehrte. Aber in Wirklichkeit waren sie beide genau gleich. Sie sahen ihn als das, was er war.

Nutzlos. Schmutzig. Wertlos.

Es war ihr Recht, ihn zu vergewaltigen. Es war ihr Recht und er betrog sich selber, wenn er sich beschwerte. Er sollte doch froh sein, dass sie einen Nutzen für ihn hatten. Das war besser als nichts zu sein. Was erdreistete er sich überhaupt, mehr verlangen zu wollen? Er war schlecht. Ein schlechter Mensch. Gute Menschen waren dankbar für das, was sie bekamen. Er hingegen war raffgierig und niederträchtig.

Er war miserabel.

Schlecht.

Er hatte es verdient, wenn es wehtat, was er war. Er hatte Schmerzen verdient. Er hatte Demütigung verdient. Er hatte Dankbarkeit zu zeigen, dass sie sich nicht vor Ekel von ihm abwandten und ihn verließen. Ted wie auch Seto. Sie waren gleich.

Nein … nein, Seto war besser. Er hatte mehr für ihn gegeben. Er war Seto zu ewigem Dank verpflichtet. Er hatte zu tun, was Seto verlangte. Er hatte ihm zu geben, was er wünschte. Wenn Seto Sex wollte, hatte er das dankbar anzunehmen. Dankbar und glücklich, dass er zurückzahlen konnte von der ewigen Schuld, die er zu begleichen hatte. Er hatte kein Recht sich zu fürchten oder davor zu weichen. Er hatte kein Recht sich zu verweigern.

Mehr noch, er hatte sich anzubieten. Er wusste ganz genau, was Seto wollte. Er hatte eine Rolle zu erfüllen und wenn es sich jemals selbst von dem Dreck befreien wollte, der er war, dann sollte er sie verdammt nochmal gut erfüllen.
 

Wie in Trance begann er sanfte Küsse auf Setos Hals zu setzen. Seine Hand strich fahrig von der Schulter über Setos Brust und legte sich an dessen Seite. Damit zog er sich etwas über den warmen Körper – seine Lippen zu Setos Wange, sein Oberkörper halb auf Setos und sein Bein zwischen Setos Beinen.

Dieser drehte seinen Kopf, um Katsuyas Lippen mit seinen eigenen einzufangen. Der Körper unter seinem drehte sich zu ihm, sodass sie nebeneinander aneinander gedrückt lagen. Eine Hand suchte ihren Weg zwischen ihren Körpern hindurch, um sich an Katsuyas Wange zu schmiegen und seinen Kopf auf einer angenehmen Kusshöhe zu halten. Die andere fuhr über Katsuyas Rücken, bis der dazu gehörende Arm sich gänzlich um ihn gelegt hatte. Mit einem sanften Ruck rollte Seto sich zurück auf den Rücken und zog Katsuya dabei über sich.

Die Hand, die seinen Kopf gehalten hatte, fuhr nach hinten durch sein Haar, bevor nur ein einziger Finger über seine Haut strich: Den Hals hinunter, die Schulter entlang und schließlich seinen Arm hinab bis zum Ellbogen. Dort löste sich der Finger, da er den Arm gebeugt hielt, bevor schließlich eine warme Hand knapp über seinem Hosenbund unter sein Shirt fuhr und sich auf seine Seite legte. Die zweite Hand, die vorher dort residiert hatte, zog sich zurück, um auf der anderen Seite einen Weg unter Katsuyas Shirt zu suchen.

Während all dessen hatten sich ihre Lippen nicht ein einziges Mal getrennt. Setos Küsse waren sanft und nicht fordernd. Genau genommen waren sie überraschend wenig sexuell. Konnte es sein, dass Seto keine Lust auf ihn hatte? Konnte es sein, dass er es wusste? Ein Zucken ging durch Katsuya und ließ ihn sich völlig versteifen. Eine der Hände, die an seiner Seite lagen, wurde wieder unter seinem Shirt heraus gezogen und auf seinen Rücken gelegt, um dort beruhigend über seine Haut zu streicheln.

Katsuya hätte beinahe laut aufgeschluchzt. Warum war Seto gerade jetzt so lieb? Warum konnte er ihn nicht einfach nehmen, damit es vorbei war? Er durchbrach Setos Lippen mit seiner Zunge und räkelte sich etwas auf dem unter ihm Liegenden. Er griff das weiße T-Shirt und zog es hoch, wobei er sich selbst immer wieder auf Seto bewegte.

Dieser schien so gar nicht geneigt, ihre Lippen auch nur für die Zeit des T-Shirt-Ausziehens zu trennen. Stattdessen fuhr er selbst wieder mit der Hand unter Katsuyas Shirt und zog dieses – wenn auch weit langsamer als Katsuya es bei ihm getan hatte – nach oben. Sie endeten Haut auf Haut und die Berührung war vage angenehm, wie Katsuya feststellen durfte. Weniger angenehm war die Hand, die über sein Hinterteil strich. Aber das gehörte dazu. Gleich würde sie ihn sicher auch ohne Hose so berühren. Das hatte er durchzustehen.

Wie nicht viel anders erwartet, fuhr die Hand wenige Momente später zu seiner Rückenkuhle und wieder zurück – unter den Stoff seiner Jeans. Sie war weit genug, dass Seto problemlos darunter greifen konnte, besonders wenn er mittig blieb. Was er tat. Sein Mittelfinger lag zwischen Katsuyas Pobacken und wie von selbst spannte er gegen. Nicht nur mit seinem Hintern, nein, mit seinem ganzen Körper.

„Bin ich dir zu schnell?“, flüsterte Seto.

„Nein!“, erwiderte Katsuya schnell – zu schnell? – und zwang sich selbst sich zu entspannen. Er gehörte Seto. Er war nur gut, wenn er ihm gab, was er wollte. Er spannte sich erneut an, aber nicht so schlimm wie vorher.

„Sicher?“ Setos Stirn zeigte ein paar Falten.

„Natürlich, ich“ - Ausrede, Ausrede, Ausrede - „ich weiß nur nicht … ich habe die ganze Zeit Angst plötzlich von dir fortgerissen zu werden.“

„Keine Angst … du bist sicher“, murmelte Seto und begann erneut ihn zu küssen.

Er atmete tief durch und entspannte sich wieder. Er sollte auf Seto hören. Er war sicher. Seto würde ihm bestimmt nicht wehtun.
 

Die Hand zog sich dankbarerweise auch zurück und griff stattdessen nach seinem Oberschenkel. Er wurde auf die Seite gedreht und das gegriffene Bein gehoben, damit Seto sein eigenes dazwischen legen konnte. Die Hand fuhr wieder etwas höher und übte Druck auf seine Hüfte aus, sodass er etwas über Setos Oberschenkel glitt.

Vor und zurück.

Vor und zurück.

Katsuya stöhnte leise in den Kuss, denn der raue Jeansstoff tat sein Übriges. Er hatte es eigentlich nicht für möglich gehalten, aber es erregte ihn. Ihre Lippen lösten sich, Katsuyas Kopf fiel zur Seite und blieb schwer atmend auf Setos Oberarm liegen. Die Hand packte – auf dem Stoff – zwischen seine Pobacken und schob ihn so mit noch mehr Druck über das Bein. Katsuyas eigene Finger krallten sich in Setos Schulter, doch der gab keinen Schmerzenslaut von sich.

Die Hand löste sich kurz, legte sich erneut an seinen Hintern, doch diesmal unter dem Stoff. Er rieb Katsuya weiter über sein Bein und auch, wenn die Hand ihn misstrauisch machte, stöhnte er vor Erregung. Es war ein seltsames Gefühl, irgendwo zwischen Lust und Angst. Mit jedem Drücken presste sich auch der Mittelfinger weiter zwischen Katsuyas Backen, bis er den Grund erreichte. Er lag gänzlich zwischen der warmen Haut mit der Fingerkuppe an Katsuyas Analring.

Mit dem nächsten Drücken durchbrach sie ihn, doch weder war es schmerzhaft, noch ließ es Katsuya zusammenzucken. Mit einem Lächeln küsste er Seto erneut.

Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich einfach nur gut an und er war mehr als dankbar dafür. Mit einer Hand öffnete er selbst seine Hose und zog sie zusammen mit seiner Unterwäsche runter, bevor er sie abstrampelte.

Und es machte ihm gar nichts. Kein Stück. Er drückte sich gegen Seto und küsste ihn, als wollte er seinen Mund entführen. Der Arm, der vorher unter seinem Kopf gelegen hatte, suchte sich seinen Weg zwischen ihren Körpern hindurch. An einer Kante merkte er, dass es die Tube Gleitcreme war. Das Bein entfernte sich kurz, ebenso der Mittelfinger, doch dieser kehrte mit etwas kühler Creme nur ein paar Sekunden später zurück. Katsuya hob sein Bein über Setos Hüfte, um diesem mehr Zugang zu geben. Diese drehte sich kurz nach hinten weg, doch Katsuya folgte der Bewegung einfach, was ihm einen zweiten Finger einbrachte. Es schmerzte nicht und es störte ihn nicht.

Seto, der sich wieder zurück gedreht hatte, küsste ihn erneut. Ihre Zungen schienen sich aktiv verheddern zu wollen, doch bisher war es ihnen nicht gelungen. In Katsuyas Hand wurde etwas Kühles in einer festen Folie gedrückt. Er tastete kurz.

Mit einem Mal zuckte er zurück, trat aus, rollte sich nach hinten weg und strampelte über den Boden, bis er sich wieder halbwegs aufgerichtet hatte und sich am Türrahmen zum Badezimmer festkrallen konnte. Sein Atem ging schwer – nicht vor Erregung sondern vor Panik – während sein Blick auf den Zimmerboden gerichtet war.

Ein Kondom.

Sein verirrter Blick kam auf Seto zu liegen, der ruhig auf den Bett lehnte und ihn wort- und ausdruckslos ansah. Ein Kondom … das Schluchzen drohte fast hervor zu brechen, aber die aufkommende Panik war stärker.

Ted hatte kein Kondom benutzt.

Schwarzer Freitag

Moin ^.^ Für mich hat endlich die Urlaubszeit begonnen. Heute Nacht geht es nach Wacken - eine ganz neue Erfahrung für mich. Deswegen bin ich die Woche über auch nicht erreichbar (und kann nicht schreiben). Das Kapitel für nächste Woche ist aber schon fertig, keine Sorge ^.- Das kommt dann wieder pünktlich am Montag.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Katsuya.“

Irgendwie schaffte Seto es keinerlei Ausdruck in seine Stimme zu legen. Keine Verwunderung. Keine Wut. Keine Strenge. Sie war weder sanft noch tadelnd. Es war einfach nur sein Name. Es forderte Katsuyas Aufmerksamkeit und zog diese zu der Gestalt auf dem Bett.

„Beruhige dich.“

Er fixierte die blauen Augen. Draußen war es hell, daher konnte er sie auch im Dunkel des Zimmers gut erkennen. Seto betrachtete ihn einfach nur. Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf seine Atmung. Nicht in Panik verfallen. Was auch immer er tat, nicht in Panik verfallen. Rational.

Seto streckte eine Hand nach ihm aus, um ihm wortlos zu bedeuten, dass er zurück zum Bett kommen sollte. Katsuya betrachtete diese kurz, doch schüttelte den Kopf. Er atmete weiter tief.

„Denkst du, ich würde dich zwingen?“ Setos Stimme blieb ohne Ausdruck, aber in seinen Augen war der Schmerz zu erkennen.

Er schüttelte erneut den Kopf. Seto. Konzentration auf Seto. Was sollte er ihm sagen? Wo sollte er anfangen? Was wusste er? Was ahnte er? Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und atmete noch einmal tief durch.

„Meine Hose“ Sein Blick landete auf dem Kleidungsstück, das vom Bett gerutscht war. „Wirf sie rüber.“

„Wovor hast du gerade Angst?“, fragte Seto, aber tat währenddessen, was Katsuya verlangte. Er blieb auf dem Bett und schmiss die Hose rüber.

Es war kaum mehr als ein Blinzeln, bis Katsuya sie wieder trug. Die Panik legte sich damit gewaltig, so weit er sich gerade noch selbst beurteilen konnte. Immer schön ruhig bleiben. Atmen. Konzentrieren. Was zur Hölle sollte er Seto bloß sagen? In seinem Kopf schien plötzlich eine einzige Leere zu sein.

„Okay“ Seto atmete selbst tief durch. „Du wurdest vergewaltigt.“

Katsuya schluckte. Er hielt Setos Blick. Er wusste nicht einmal, ob er wegschauen wollte. Er sah die sich verengenden Lider. Die aufeinander pressenden Lippen. Die Hände, die sich zu Fäusten ballten. Die Schultern, die sich nach hinten zogen. Die heraus gedrückte Brust. Er beobachtete das Heben und Senken – auch Seto schien sich innerlich zur Ruhe zu rufen.

„Ist er tot?“, platzte es aus diesem und seine Stimme klang, als würde er denjenigen nur mit ihrem Klang ermorden wollen, wenn Katsuya nein sagte.

Er nickte jedoch, nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen. Seine Kehle schien wie zugeschnürt. Die Panik kehrte mit voller Wucht zurück – diesmal mit klarem Grund. Seto machte ihm eine Scheißangst.

Seto atmete tief ein. Mit einem Mal fiel sein Kopf in den Nacken, die Arme wandten sich zur Seite und ein markerschütternder Schrei durchfuhr das Haus. Katsuya zuckte zusammen und sank gegen die Kommode, machte sich so klein wie möglich.

Der Schrei hielt, bis Seto die Luft verließ.
 

Die Hände fielen ermattet auf das Laken zurück.

Setos Kopf sackte auf seine Brust.

Stille legte sich über sie, als hätte die ganze Welt begonnen zu schweigen. Katsuya hörte nur seinen eigenen fanatischen Atem, den die Panik mitgerissen hatte. Er drückte sich in die Ecke zwischen Kommode und Wand und starrte mit weit aufgerissenen Lidern zu dem Rachegeist auf dem Bett.

Setos Schultern erzitterten.

Ein tiefes Lufteinziehen war zu hören.

Sein Blick hob sich und in den blauen Augen schien so viel Schmerz zu schwimmen, dass Katsuya komplett der Atem stockte. Ihr Blick blieb aufeinander liegen.

Braun in blau, blau in braun.

Panik und Schmerz.

Eine Träne perlte über Setos Wange. Sie ließ Katsuya zusammen zucken. Er zog scharf die Luft ein und schnellte nach vorne, eine Hand vage in Setos Richtung ausgestreckt.

Seto weinte nicht.

Niemals.

Er weinte nur, wenn der Schmerz fast unerträglich war. In Erinnerung an seine Vergangenheit. In Erinnerung an seinen Bruder. In Erinnerung an die Dinge, die kein Mensch jemals in einem solchen Alter verlieren sollte. Wie die Unbeflecktheit, die Intaktheit dessen, was Seto als seins betrachtete.

Ihn.

Er war schuld an diesem Schmerz.

Er krabbelte, stolperte vorwärts, bis er mehr schlecht als recht stehend um Setos Hals fiel und ihn an sich drückte. Den Kopf irgendwo an Brust oder Schulter, den Oberkörper an seinem Bauch, beide Arme fest um den anderen geschlungen wiederholte Katsuya wie ein Mantra: „Es tut mir Leid, es tut mir Leid, er tut mir so Leid ...“

Zwei Hände strichen fahrig über seinen Rücken. Auf und ab, bis ihre Bewegung versiegte. Setos ganzer Körper erzitterte unter seinen Tränen. Es schien Minuten, nein, Stunden zu dauern, bis sie doch weiter sanken und über Katsuyas Seiten zu seinen Oberschenkeln fuhren, um diese mit sanften Druck näher zu ziehen. Der Blonde folgte der Bewegung und setzte sich somit auf Setos Schoß. Der Kopf, der sich zuvor gegen seine Haut gedrückt hatte, legte sich auf seine Schulter und fiel seitlich gegen Katsuyas eigenen. Die Arme wurden wieder um seine Taille gelegt und zogen ihn an Setos warmen Körper, als wäre er ein großes Stofftier. Er spürte und hörte, wie Seto tief die Luft einzog.

„Mir tut es Leid … ich habe dich in diese Gefahr gebracht. Ich hätte nicht einfach glauben dürfen, dass Pegasus sich mit einer Information zufrieden geben würde. Meine Fehleinschätzung hat erst dazu geführt, dass du entführt wurdest. Das ist alles meine Schuld.“

„Ist doch egal“, erwiderte Katsuya und wunderte sich selbst über die Worte, die aus seinem Mund sprudelten, „Ich hab's überlebt.“

Einen Moment herrschte Stille, während er in seinem Innersten forschte. Woher kamen diese Worte? Es war ihm doch gar nicht egal … oder? Plötzlich schien da so viel Kraft, so viel Überzeugung. Als hätten Setos Tränen ihn völlig umgepolt. Alles schien plötzlich so einfach. Nein … er schien plötzlich einfach viel stärker.

„Ich weiß, du liebst mich. Ich weiß, du bist bei mir. Ich weiß, dass du mich nicht deswegen verlässt, auch wenn ich trotzdem eine Scheißangst hatte“ Zur Bestätigung festigte sich die Umarmung kurz. „Und ich weiß, wir kriegen das hin. Das gerade konnte ich schon fast wieder genießen.“

Er wusste, woher die Kraft kam. Es war das Gleichgewicht. Wurde einer schwach, wurde der andere stark. Seto versank gerade in einem See aus Schmerz, Wut und Trauer – das gab ihm die Kraft, um seinen Freund wieder raus zu holen. Sobald Seto mit sich selbst leben konnte, würde er wahrscheinlich wieder brechen.

„Was hat dich dann plötzlich so erschrocken?“
 

Katsuya hatte den Gedanken über das Gleichgewicht gerade erst vollendet und empfand einen Hauch Stolz auf sich, dass er trotz der schweren Situation mittlerweile erkannte, was mit ihm los war, als der ganze Halt unter ihm wegbrach. Die Erinnerung an die Panik – und vor allem an ihren Grund – riss ihn haltlos wieder in die Welt seiner Gefühle.

Ein Zittern packte seinen ganzen Körper. Tränen schossen in seine Augen und rannen direkt hinab, ohne das seine Kehle auch nur ein Geräusch von sich gab. Er starrte stumm mit geweiteten Lidern die Wand über Setos Schulter hinweg an. Er versuchte von Seto weg zu rutschen, aber dessen Arme hielten ihn fest. Daher verkrampfte er sich komplett.

„Katsuya?“ Seto zog alarmiert den Kopf zurück und sah mit tief in Falten liegender Stirn in dessen Augen. „Katsuya!“ Er schüttelte ihn leicht. „Katsuya, sieh mich an.“

In einer ruckartigen, ungelenken Bewegung wandte er sich Seto zu. Ihr Blick traf und verharkte sich. Nicht wegsehen. Seto hatte wunderschöne blaugraue Augen. Nicht wegsehen. Tief durchatmen.

„Sehr gut. Ein und aus. Ich weiß, dass das schwer ist. Ich weiß, dass du am liebsten einfach heulend hier liegen würdest oder besser noch gar nicht mehr existieren. Ich kenne das. Aber bitte bleib bei mir. Es macht mir Angst, dich so zu sehen. Ich weiß nicht, was dich gerade so aufregt und … das macht mich hilflos. Ich habe Angst um dich.“

Setos Worte beruhigten. Katsuya achtete nicht wirklich darauf, was er sagte, aber die Stimmmelodie lullte ihn etwas ein. Er klang vor allen Dingen besorgt und es riss an Katsuyas Herz, diese Sorge zu beruhigen. Allerdings war seine Kehle noch immer wie zugeschnürt. Wie sollte er Seto mitteilen, was er sagen wollte? Er ballte die Hände zu Fäusten und dabei piekte etwas in seine Haut. Er hob die Hand vor seine Augen und sah, dass er das Kondom die ganze Zeit nicht losgelassen hatte. Er hielt es einfach mal vor Setos Nase.

„Was willst du …“ Seto schüttelte etwas den Kopf, nahm es aus Katsuyas Hand, betrachtete es kurz und legte es zur Seite. Sein besorgter, fragender Blick fiel wieder auf Katsuya.

Dieser zog seine Hand zurück und zeigte damit auf das auf den Laken liegende Kondom.

„Ein Kondom“ Seto blinzelte verwirrt und sah zwischen Hand und Kondom hin und her. „Das Kondom hat dir Angst gemacht?“

Katsuya nickte. Er öffnete sogar seinen Mund, aber kein Ton kam hervor. Scheiß Dissoziationen. Seto musste wohl von selbst drauf kommen.

„Warum sollte ein Kondom dir Angst machen?“, murmelte dieser eher zu sich selbst. Seine Stirn lag in tiefen Falten. Er nahm es auf und hielt es zwischen sie. Sein Blick fixierte dabei Katsuya, während er sagte: „Das Kondom selbst macht dir keine Angst. Aber das Kondom hat etwas ausgelöst, das dir Angst gemacht hat.“

Richtig, Seto … er drückte die Hand mit dem Kondom zur Seite und ließ sich langsam nach vorne sinken. Sehr richtig. Und jetzt die Schlussfolgerung … oder besser nicht. Katsuya wollte es nicht hören. Er wollte es nicht ausgesprochen wissen. Seine Stirn kam auf Setos Schulter zu liegen. Er wollte Setos Augen nicht sehen, wenn er verstand, was Katsuya ihm sagen wollte. Den Grund, warum Seto immer auf Kondome bestand.

Drei kleine Buchstaben, die ein Leben verändern konnten.
 

„Du willst mir sagen, dass der Kerl kein Kondom benutzt hat?“, fragte Seto sehr, sehr leise.

Katsuya nickte, was Seto wahrscheinlich nur durch kurzzeitig etwas mehr Druck auf seiner Schulter mitbekam. Seine beiden Hände krallten sich in das Laken unter ihnen. Sein Atem ging zitternd. Wenigstens war es eine freundliche Art gewesen, das Ganze auszusprechen.

Setos Arme fuhren etwas höher und zogen Katsuya wieder an sich. Dieser hob nur den Kopf und legte sein Kinn auf Setos Schulter. Ihn hatte jegliche Körperspannung verlassen. Verlassen … vielleicht war das das richtige Wort. Wenn er wirklich positiv war, dann … das würde Seto nicht mitmachen, oder? Dann könnten sie doch nie wieder sicher miteinander schlafen, oder? Da halfen auch Kondome nicht. Nicht auf Langzeit.

Er konnte sich grob an den Sexualaufklärungsunterricht erinnern. HIV war im Blut. Beim Geschlechtsverkehr kam es zu Mikrorissen, wobei das Virus übertragen wurde. Kondome halfen stark, waren aber kein hundertprozentiger Schutz, da – sehr selten, aber möglich – Kondome versagen konnten. Setos Gewissenhaftigkeit mit Kondomen grenzte fast an Paranoia … er würde nie im Leben mit einem positiven Partner zusammen leben. Niemals.

Seto seufzte tief. Er sank mit Katsuya im Arm auf das Bett zurück und drehte sie dabei so, dass sie wieder vollständig darauf lagen. Ein Arm blieb um dessen Taille liegen, der andere auf dessen Rücken, wobei die Hand das blonde Haar durch seine Finger gleiten ließ. Katsuya schloss die Augen. Wahrscheinlich wurde Seto gerade klar, dass er eine tickende Zeitbombe im Arm hielt. Die Chance, dass er positiv war, war hoch. Ted hatte sicherlich hunderte von Frauen vergewaltigt, allesamt Prostituierte – allesamt nicht gerade freiwillig. Dass sich diese Menschenhändler auch nur ansatzweise Gedanken über Kondome für ihre Ware gemacht hatten, die Chance war nonexistent.

„Ich liebe dich“, murmelte Seto leise, „egal, was geschieht. Ich bin für dich da.“

Katsuya schnaubte und erwiderte: „Tu dir das nicht an.“

„Doch“ Die Umarmung festigte sich. „Doch, das will ich. Ich weiß nicht, was werden wird, aber ich weiß, ich bleibe bei dir. Ich habe zu hart um das hier gekämpft, als dass ich das je wieder aufgeben würde. Du bist mein und du bleibst mein.“

Katsuya wollte widersprechen, aber sein eigenes Schluchzen kam ihm zuvor. Das konnte Seto nicht ernst meinen. Das ging nicht. Das war nicht … so gut konnte kein Mensch sein. Wer blieb denn freiwillig mit einem HIV-Positiven zusammen? War der Kerl irre? Er schluchzte erneut, legte die Arme um den unter ihm Liegenden und drückte sich an ihn.

„Wir leben in einer Welt, da gibt es Tabletten und Behandlungen. Und außerdem steht nicht fest, dass du irgendetwas hast. Weder HIV noch HepC sind so ein Todesurteil, wie sie es einst waren.“

HepC? Was zur Hölle war das denn? Reichte es nicht, dass er möglicherweise HIV-positiv war? Wer hatte all diese scheiß Krankheiten erfunden? Er schluchzte weiter. Warum tat Seto sich das an? Meinte er das wirklich ernst? Würde er wirklich … wollte er wirklich bei ihm bleiben?

Seto hielt ihn einfach nur, bis sein Schluchzen versiegte. Es ließ ihn leer und ausgebrannt zurück. Also blieb er einfach auf ihm liegen und sah dem Heben und Senken seiner Brust zu. Er wusste nicht, ob Minuten oder vielleicht sogar Stunden vergangen waren, bis er fragte: „Was machen wir jetzt?“

Es schien ein paar Sekunden zu brauchen, bis die Frage bei Seto ankam. Langsam drehte dieser den Kopf und sah in Katsuyas Augen, die unsicher zu ihm hoch blickten. Nach einem Moment der Betrachtung kam sogar glatt eine Antwort: „Wir rufen Yami an. Ich weiß, dass er nach Vergewaltigungen irgendwelche Medikamente nimmt, um HIV vorzubeugen. Wenn einer sehr genau weiß, was zu tun ist, dann er.“

Yami? Katsuya atmete tief durch. Brauchte es wirklich so eine Katastrophe, um die beiden wieder näher zu bringen? Mit einem Seufzen nickte er. Yami konnte ruhig wissen, was passiert war. Und der würde auch wissen, was sie jetzt tun mussten.

Guter Rat

Erst einmal zur HIV-Vorsorgetherapie: Diese gibt es, es ist aber nicht bewiesen, dass sie überhaupt eine Auswirkung hat, deswegen wird sie von den Kassen nicht bezahlt. Seto als ewiger Privatpatient ist das sehr egal, der blecht das auch aus eigener Tasche, wenn er Katsuya damit helfen kann. Und die Therapie kostet um die tausend Euro.

Ansonsten bin ich ab Mittwoch zum Kongress in Indien und komme erst eine Woche später wieder. Das heißt einmal, dass ich nicht antworten kann und zum anderen, dass es nächste Woche kein Kapitel gibt. Ab dann bin ich aber wieder bis Weihnachten erreichbar, also keine Ausfälle mehr, versprochen :)

Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

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Der Entscheidung folgten schnell Taten. Seto griff nach dem Handy, was auf dem Nachttisch lag – wobei Katsuya kurz auffiel, dass er jetzt ein Neues brauchte – und rief einfach an. Katsuya dachte kurz daran, dass Yami doch wahrscheinlich arbeitete, aber anscheinend hatte sich dessen Meinung über mögliche Notfallanrufe auch mit dem neuen Job nicht geändert. Er ging nach zweimal Klingeln ran.

„Ihm geht es gut“ Nun … das war auch mal eine Begrüßung. Anscheinend war Yami entweder ein paranoides Huhn oder Seto hatte ihn über die Entführung informiert. Zumindest hier war Zweiteres wahrscheinlicher. „Schieb den besorgten Freund mal kurz zur Seite, ich brauche dein Wissen.“

Katsuya schloss ergeben die Augen. So etwas konnte auch nur Seto bringen. Soziale Kompetenz war echt nicht seine Stärke.

„Er wurde vergewaltigt. Um noch einen draufzusetzen: Ohne Kondom. Von einem höchstwahrscheinlich positiven Kerl. Also, was machen wir jetzt?“

Sein Gesicht verzog sich in Schmerz. Es alles so ausgesprochen zu hören … es war wie ein Todesurteil. Es tat weh, ganz tief in ihm drin. Er zog die Decke über sie beide und wickelte sich darin etwas ein.

„Yami fragt, wann du vergewaltigt wurdest“ Setos Stimme war um Längen sanfter, als er sich Katsuya zuwandte. Ein Daumen streichelte seine Wange.

„Ich … das war … gestern kam ich her … Mittwoch wurde … wurde er … er … also Dienstag“, kam es gestammelt über Katsuyas Lippen. Noch etwas, an das er nicht denken wollte. Mittwoch hielt keine guten Erinnerungen. Donnerstag auch nicht. Dienstag auch nicht, wenn er schon dabei war. Ehrlich gesagt sollte man am besten die ganze Woche streichen.

„Dienstag“ Seto drehte den Kopf wieder zu ihm. „Wann Dienstag?“

„Abend“, nuschelte Katsuya.

„Dienstag Abend … hm-hm … hm“ Dieses Hm klang äußerst ernst. Es klang wie ein Hm, was einen sehr unerfreulichen Fakt quittierte. „Ich verstehe … ja, natürlich … nein, das braucht- … Yami, der Kerl ist tot … ja … ich bringe ihn hin. Wir treffen uns dort … ja, bis gleich“ Seto legte auf und wandte sich zu ihm. „Wir fahren in die Klinik. Der Arzt dort wird dir die nötigen Medikamente verschreiben. Yami kennt ihn gut, er sagt, er ist nett und du brauchst keine Angst haben.“

„Es gibt Medikamente, dass ich kein AIDS kriege?“ Katsuyas Lider weiteten sich. Bis zu diesem Punkt hatte er daran nicht wirklich geglaubt. Wenn so etwas ginge, müsste man sowas doch unterrichten, wenn man schon über HIV sprach!

„Die gibt es sowieso, AIDS ist ein Endstadium, das viele Positive heute nicht mehr erreichen. Es sind die gleichen Medikamente, mit denen man versucht, das HI-Virus zu unterdrücken. In deinem Fall so sehr, dass er Körper sich ausreichend wehren kann, bevor es kein Zurück mehr gibt. Deswegen müssen wir auch sofort los, da man die so schnell wie möglich nehmen sollte.“

Ah … das war also das Hm gewesen. Dienstag Abend war mit Sicherheit zu lange her, aber Seto wollte ihm nicht die Hoffnung nehmen. Vielleicht wollte er auch sich selbst nicht die Hoffnung nehmen. Katsuya sah ihn einen Moment lang schweigend an. An welcher Stelle hatte er selbst akzeptiert, dass eine sehr reale Chance bestand, dass er nun positiv war? Und das nichts, was sie verzweifelt versuchten, etwas daran ändern würde?
 

Es schien nur Sekunden zu dauern, bis sie fertig angezogen im Auto saßen und auf dem Weg in die Klinik waren. Katsuya betrachtete es einfach mit einer recht stoischen Ruhe. Ob jetzt oder ein paar Minuten später … wahrscheinlich machte es schon lange keinen Unterschied mehr. Aber wenn es Setos Nerven half, würde er auch dreißig Tabletten schlucken und wie ein Irrer durch die Notaufnahme hetzen.

Zweiteres blieb ihm auf jeden Fall erspart. Yami war schon da, als sie ankamen – was an dem Motorrad liegen dürfte, das einfach um Längen schneller war als ihr Auto – und begrüßte sie mit völliger Ruhe. Dass er auch nicht gerade wenig mitgenommen war, merkte Katsuya nur daran, dass die Umarmung einen Tick länger war als sonst. Ansonsten schien Yami völlig auf Seto zu hören und steckte den besorgten Freund gerade in irgendeine Seitengasse seines Hirns, um die verlässliche Stütze und einzig rationale Person zu spielen. Auch wenn Katsuya wusste, dass es nur eine Maske war, war sie gerade äußerst beruhigend. Es war gut zu glauben, dass sich irgendwer mit Ahnung um ihn kümmerte.

„Dr. Tatsumi kenne ich schon seit sechs Jahren. Das ist eine lange Geschichte. Heutzutage ist er auf jeden Fall Spezialist für … nun ja, die etwas dunkleren Seiten des Lebens und deren medizinischer Versorgung. Ich habe ihm schon gesagt, dass er keine Bestandsaufnahme für die Polizei machen muss. Er wird sich also nur um dein Wohl kümmern“ Katsuya ging einfach schweigend neben ihm her und ließ den Redefluss auf sich wirken. Seto blieb ein paar Schritte hinter ihnen. „Ich mag ihn sehr. Du weißt ja, wie die Polizei Vergewaltigungen von Männern behandelt, das hatte ich dir ja mal erzählt … nun, ein paar Ärzte sind da auch nicht anders. Aber er schon. Er weiß, was er tut. Und er urteilt nicht. Er stellt keine dummen Fragen. Ich hoffe, du kannst dich bei ihm entspannen“ Eigentlich fühlte er sich sehr entspannt. Diese Wolke des Ist-doch-auch-egal-Seins nahm ihn völlig ein. „Ich habe dich angekündigt, er wartet bereits auf uns. Das da ist sein Büro. Warte kurz.“

Katsuya blieb einfach stehen und bewegte sich nicht weiter. Befehle ausführen klang verführerisch einfach. Yami passte auf ihn auf, Seto passte auf ihn auf, was wollte er mehr? Hm … einen gutaussehenden Arzt mit einem sehr freundlichen Lächeln. Dr. Tatsumi reichte ihm die Hand, stellte sich noch einmal selbst vor und bat ihn, ihm zu folgen.

Neuer Befehl, perfekt.

Er führte sie in ein Untersuchungszimmer am Ende des Ganges. Nicht gerade groß, aber lichtdurchflutet und ordentlich. In einem hübschen Gelb mit Wandbemalungen gehalten. Doch, das war ganz nett. Während er noch den Raum betrachtete, bekam er vage mit, dass eine Frage gestellt wurde.

„Wie bitte?“ Er wandte dem Arzt seine Aufmerksamkeit zu.

„Ich fragte, ob du möchtest, dass jemand mit dir hier bleibt.“

Hier? Katsuyas Arm schnellte zur Seite und packte Yamis Handgelenk. Er würde ganz sicher nicht mit dem Kerl allein bleiben. Wenn er gut aussehend sagte, dann meinte er das auch. Und das bezog ein gutes Stück Muskelmasse mit ein. Ob nun Arzt oder nicht, er würde Yami hier behalten, Punkt.

„Dürfte ich Sie bitten, draußen zu warten?“, wandte sich Dr. Tatsumi an Seto.

Katsuya zuckte zusammen. Warum hatte er nach Yami gegriffen? Warum nicht nach Seto? Eigentlich war doch Seto immer mit ihm beim Arzt, er wusste alle Befunde und kannte sicher noch den unwichtigsten Laborwert auswendig. Er schluckte. Aber … wollte er Seto hier haben?

„Ich gehe mir dann wohl mal einen Kaffee holen“, sagte dieser mit recht leiser, ausdrucksloser Stimme, „ich bin auf dem Gang, wenn Sie mich brauchen.“

Katsuya wagte es nicht, in Setos Richtung zu sehen. Er hatte keine Ahnung, was Setos Augen ihm zeigen würden, aber er wusste, dass er es nicht sehen wollte. Er müsste das nachher erklären … was auch immer das überhaupt war, was ihn gerade so handeln ließ.
 

„Setzt euch doch“ Dr. Tatsumi wies auf zwei Stühle und zog sich selbst einen rollbaren Hocker unter der Liege hervor. „Mir wurde gesagt, dass ich keine Bestandsaufnahme für die Polizei machen soll. Ist das ganz sicher?“

Katsuya nickte. Anscheinend hatte Yami nicht weiter erzählt, dass der Kerl tot war. Auch Yami bestätigte es noch einmal.

„Die Polizei hat sich geändert, Yami. Ich gebe seit zwei Jahren dort Kurse, wie mit Vergewaltigungsopfern umzugehen ist – auch männlichen. Heutzutage kann man ruhig zur Polizei gehen.“

„Gut zu wissen. In diesem Fall aber wirklich nicht“, erwiderte sein bester Freund ruhig.

„Nun gut. Stört es dich, wenn ich mir ein paar Notizen mache?“, fragte der Arzt an Katsuya gewandt.

Er schüttelte nur müde den Kopf.

„Gut“ Er nahm sich ein Klemmbrett vom nahe liegenden Schreibtisch. „Ich werde dir jetzt eine Menge Fragen stellen und einige davon werden sehr genau sein. Wenn dir etwas zu nahe geht, kannst du das jederzeit sagen. Okay?“

Er nickte.

„Wie ist dein Name?“ Oh … ja, er hatte sich nicht vorgestellt. Sie klapperten ein paar allgemeine Daten ab, bei der Katsuyas Stimme an Kraft gewann. „Yami hat mir erzählt, dass jemand dich sexuell missbraucht hat. Wann war das?“

„Dienstag Abend“ Der Zeitpunkt schien wirklich wichtig zu sein. „So gegen … acht Uhr vielleicht.“

„War das einmalig oder geschah das mehrfach?“

„Einmal. Danach kam sein Kumpel zurück und … ehrlich gesagt kann ich mich bis an den folgenden Morgen an nichts erinnern. Ich glaube, es war nur einmal“ Allein der Gedanke … was war, wenn er es mehrfach getan hatte? Obwohl – würde es einen Unterschied machen?

„Hat dieser Kumpel sich auch an dir vergriffen?“

„Nein, es war nur der eine Kerl“ Allein die Vorstellung … wenn einer seine Ekelhaftigkeit in dich pumpte, aber zwei? Oder noch mehr? Katsuya verzog das Gesicht. „Ganz bestimmt. Der andere ist homophob.“

„Wie bist du in die Situation gekommen?“ Katsuya schluckte. Was durfte er sagen? „Waren Drogen im Spiel? Oder Gewalt?“

„Ich war mit Handschellen an einen Stahlbalken gekettet … für ein paar Stunden“ Tage traf es wohl eher. „Vorher hat man mich mit einem Schlag auf den Hinterkopf ausgeschaltet.“

„Hast du noch weitere Verletzungen erlitten?“

„Ähm … ich würde ins Gesicht geschlagen“ Was man ganz bestimmt noch sehen konnte. „Und in den Magen. Ansonsten … weiß ich nicht mehr.“

„Mit Fäusten?“

Katsuya nickte.

„Jetzt kommen ein paar Fragen zur Tat selbst. Was hat der Kerl mit dir gemacht?“

Na super … genau der Teil, an den er nicht denken wollte. Er atmete tief durch und setzte zu einer Antwort an: „Er … nun ja, das Übliche halt. Nichts besonders.“

„Hat er dich penetriert?“

„Häh?“

„Hat er seinen Penis in dich gesteckt?“

„Irrgh … ja, klar“ Sonst wäre es ja wohl keine Vergewaltigung, oder? Idiot.

„In deinen Hintern, deinen Mund oder noch anderen Stellen?“

„Nur Hintern“ Was der Arzt mit Letzterem meinte, wollte er lieber erst gar nicht wissen.

„Bis er gekommen ist?“ Katsuya nickte. „Hat er dabei Gleitgel oder etwas anderes benutzt?“ Kopfschütteln. „Hat er ein Kondom benutzt?“
 

Katsuya seufzte und wandte den Blick ab, bevor er murmelte: „Sonst wäre ich nicht hier.“

„Hast du dich da unten schon betrachtet oder betastet?“

„Alles heile“ Ein Wunder, wenn er so darüber nachdachte. Weder Kondom noch irgendein Gleitmittel … eigentlich war das einzige, was als Gleitmittel übrig blieb, sein eigenes Blut. „Denke ich.“

„Ich werde mir das nachher einmal ansehen“, kündigte der Arzt an, „Es ist möglich, dass du dort schwere Verletzungen hast. Besonders in deinem Körper.“

„Muss das sein?“ Katsuya hob zum ersten Mal den Blick und klang äußerst weinerlich.

„Ich kann auch eine weibliche Kollegin dafür rufen, wenn dir das lieber ist.“

„Nein!“ Katsuyas Lider weiteten sich. „Bloß nicht noch mehr Leute.“

„Wie du wünscht. Wurde an deinen Geschlechtsteilen Gewalt angewendet?“ Kopfschütteln. Auch hier wollte er nicht genau wissen, was dieser Arzt wohl schon alles gesehen hatte. „Waren noch irgendwelche Gegenstände mit ihm Spiel?“ Wieder Kopfschütteln – langsam wollte er wirklich nicht mehr wissen, was diesem Arzt meist so unterkam. „Hast du geblutet?“

„Keine Ahnung“ Katsuya zog den Kopf etwas ein. „Ab dem Punkt, wo er in mich eindrang, fehlt mir die Erinnerung. Am nächsten Morgen hatte mich ein anderer Kerl wieder angezogen. Da war Sperma und … ich glaube, da war auch Blut. Aber ich weiß es ehrlich nicht“ Er spürte Tränen in seinen Augen und atmete tief durch, damit sie nicht hervor traten. „Ich will nicht dran denken.“

„Wurdest du schon einmal vergewaltigt?“ Kopfschütteln. „Hast du regelmäßig Analverkehr?“ Katsuya schluckte. Hatte er? Er sah kurz zu Yami und der nickte für ihn. „Warum bist du da unsicher?“

„Was ist denn regelmäßig?“, fragte Katsuya nach.

„Nun, mindestens einmal die Woche“ Nun nickte er auch – das übertraf er ganz fraglos. „Verläuft das mit oder ohne Kondom?“

„Mit. Mit Kondom, mit Gleitgel und ganz klar ohne Schmerzen“ Und mit einem fantastischen Kerl, der vor der Tür saß und wahrscheinlich Panikattacken hatte, weil er sich nicht mit im Zimmer befand.

„Mit demselben Kerl oder verschiedenen?“

„Demselben. Meinem einzigen. Und er hat keine Krankheiten, garantiert.“

Der Arzt sah überrascht auf und blinzelte. Sein Blick glitt zwischen Yami und Katsuya hin und her. Yami erbarmte sich einer Antwort: „Nein, er ist nicht mein Freund, er ist auch kein Prostituierter und ich habe übrigens aufgehört.“

„Herzlichen Glückwunsch“ Ein breites Lächeln legte sich auf die Lippen des Arztes. „Das ist eine grandiose Neuigkeit. Ich wünsche dir alles Gute“ Er wandte sich wieder zu Katsuya. „Der Täter war also nicht dein Freund?“

„Nein!“ Erschrocken blinzelte nun Katsuya. „Seto würde so etwas niemals tun. Der Kerl war Amerikaner. Er sprach kein Wort Japanisch.“

„Weißt du etwas über diesen Mann? Aus medizinischer Sicht? Ist dir etwas an ihm aufgefallen?“, fragte der Arzt weiter.

Katsuya schüttelte nur den Kopf.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass er mehrere Geschlechtskrankheiten hatte, ist hoch“, warf Yami ein, „Er war ein Serienvergewaltiger.“

„War?“, rutschte es dem Arzt heraus, doch er schüttelte den Kopf, „nicht mein Gebiet.“

Yami lächelte nur.

„Ich würde dich nun gern untersuchen, Kaiba“, kündigte der Arzt an, „Das wird normalerweise allein gemacht. Möchtest du, dass Yami hier bleibt?“

„Nein“, murmelte er leise, „aber ich möchte gern Seto dabei haben.“

Der Arzt stockte kurz, sah zu Yami und zurück und fragte: „Sicher?“

Katsuya nickte nur.

Hepatitis C

Ich sag's euch, mein Hirn ist weich gekocht ~.~ Warum ist es so unendlich heiß? Ich schaffe es weder zu arbeiten noch zu schreiben noch sonst was... ich liege rum und schmelze T.T

Wer hat dieses Wetter erfunden?
 

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Die Untersuchung war unheimlich unangenehm, aber etwas anderes hatte Katsuya auch nicht erwartet. Sich zu entkleiden war schlimm. Sich hinzulegen schlimmer. Die Beine zu spreizen war die Hölle. Wenigstens hatte der Arzt ihn zwischen einem Gerät, was er gynäkologischen Stuhl nannte, und der Liege entscheiden lassen. Nach Anblick des Folterinstrumentes nahm er sehr gern die Liege.

Eigentlich war die Untersuchung okay. Er wurde berührt, aber nur kurz und nicht schmerzhaft. Der Finger in ihm war unangenehm, aber wenigstens gut mit Gleitmittel versehen. Wirklich gedemütigt kam er sich vor, als er erst einen Einlauf kriegte und danach eine Kamera an einem kleinen Schlauch in ihn gesteckt wurde. Andererseits durfte er mit auf den Bildschirm gucken, das war interessant. Er hatte wirklich einige Risse in sich. Der Arzt erklärte ihm, dass sie in wenigen Tagen verheilt sein würden und schon jetzt recht gut verheilt waren. Nichts, was bleibende Schäden hinterlassen würde.

Er erklärte jedoch auch, dass gerade solche Wunden Eintrittspforten für Krankheiten waren. Das kam kaum unerwartet. Katsuya wurden drei Medikamente aufgeschrieben und erklärt. Er hörte zwar zu, aber Seto schien das Wissen eher in sich aufzusaugen. Er wusste, wenn er Fragen hatte, konnte sein Freund ihm die spätestens morgen auf Universitätsniveau beantworten. Es konnten Schmerzen beim Stuhlgang auftreten – oh Wunder – sie sollten für eine Woche keinen Geschlechtsverkehr haben – Seto nickte einfach nur – und bei Brennen, Rötung, Jucken oder anderen Ungewöhnlichkeiten sollte er sofort wieder herkommen.

In vier Wochen ein Test auf Hepatitis C, in acht Wochen ein Test auf HIV.

Katsuya schluckte an dieser Stelle. Acht Wochen? Acht Wochen ohne zu wissen, ob er vielleicht positiv war? Seto griff seine Hand und drückte sie. In seinem Gesicht standen klar die Worte „Wir stehen das zusammen durch“ - bei dem Anblick ging es ihm marginal besser. Das verflog jedoch bei den nächsten Worten.

„HIV hat ein weit geringeres Risiko und ist weniger gefährlich. Solltest du so etwas haben – was unwahrscheinlich ist – wirst du genau dieselben Tabletten bekommen, die du jetzt auch nimmst. Unter ihnen bleibt die Viruslast gering und das Risiko, deinen Partner anzustecken, ist nahe null. Mit Kondomen und regelmäßiger Medikamenteneinnahme und Kontrolle gibt es bisher keinen Fall einer Übertragung“ Katsuya biss sich auf die Lippe – das große Aber schwebte im Raum. „Hepatitis C hingegen ist … unangenehm. Die Übertragungsrate ist hoch. Es löst eine Entzündung der Leber aus, die diese langsam zerstört, und kann sogar zu Leberkrebs führen. Es gibt zwar eine Therapie, aber die schlägt leider nicht immer an.“

Katsuya schluckte. Warum hatte man ihm sowas nicht im Sexualkundeunterricht erzählt?

„Das Virus ist in allen Körperflüssigkeiten. Blut, Sperma, Tränen, Schweiß, Speichel … allerdings wird es gesicherterweise nur über Blut übertragen. Vor allen Dingen beim Analverkehr, weshalb Sie keinesfalls je auf ein Kondom verzichten dürfen.“

Na, das war mit Seto auf jeden Fall kein Problem. Er lehnte sich gegen diesen, worauf er einen Arm um ihn legte und einen Kuss auf seine Schläfe setzte.

„Sie sollten auch nichts teilen, auf dem möglicherweise Blut sein könnte. Zahnbürsten, Rasierer, Handtücher … natürlich können Sie dieselbe Toilette benutzen, aber seien Sie vorsichtig, falls sie eine offene Wunde haben. HepC überlebt selbst in getrocknetem Blut.“

„Ich bin mit den Sicherheitsmaßnahmen vertraut“, sprach Seto leise – das erste Mal, dass er überhaupt sprach. Der Arzt zuckte zusammen ob der kalten, wohl kalkulierten Stimme.

„Gut … ich wünsche Ihnen beiden alles Gute. Sollten Sie irgendwelche Rückfragen haben, rufen Sie mich gern an oder kommen her.“

Seto nickte, erhob sich und bot Katsuya einen Arm an.
 

Yami wartete draußen auf dem Gang und nahm Katsuya als allererstes in den Arm, nachdem er ihn angesehen hatte. Er wusste, dass er wahrscheinlich mit Seto über seine Schulter hinweg diese komische wortlose Art der Kommunikation der beiden führte, aber ehrlich gesagt interessierte es Katsuya gerade nicht besonders. Er wollte einfach nur tun, was die beiden sagten und irgendwann wieder ein Bett sehen.

Er zuckte zusammen und schob Yami schon fast ruppig von sich. Ganz sein Hirn ausschalten dufte er aber auch nicht. Er war ansteckend. Daran musste er jetzt selbst denken. Er konnte nicht heulend irgendwelche Leute umarmen. Selbst in seinen Tränen war das Virus, wenn es in allen Körperflüssigkeiten war.

„Ganz ruhig“ Seto legte von hinten die Hände auf seine Schultern. „Was hast du?“

„Lass mich los“ Katsuya wich von ihm und legte die Arme um sich selbst.

Beide sahen ihn überrascht an.

„Was geht in deinem Kopf vor?“, fragte Seto ziemlich direkt.

„Gar nichts“ Aggressive Abwehr mischte sich in Katsuyas Ton.

„Wir können dir nicht helfen, wenn du nicht sagst, was los ist“, fügte Yami hinzu.

„Nichts ist los“ Katsuya richtete sich etwas auf. „Wir müssen diese Medikamente holen, richtig?“

Seto und Yami warfen sich einen Blick zu, bis Zweiterer mit einem Seufzen den Kopf schüttelte. Er ging an Katsuya vorbei und meinte: „Folgt mir. Ich bringe euch zur Apotheke.“

Sie gingen hinter Yami her durch mehrere Gänge zu einer in der Wand eingelassenen Theke. Dort drückte Katsuya ihm einfach nur den Zettel in die Hand und blieb mitten im Gang stehen, bis Seto ihn ein wenig zur Seite zog. Mit überkreuzten Armen lehnte er sich gegen die Wand.

„Ist dir kalt?“, fragte Seto vorsichtig.

Katsuya gab keinerlei Antwort. Vielleicht würden sie ihn in Ruhe lassen, wenn er sie ignorierte.

„Junger Mann“ Der Ältere griff einen Arm und zog ihn ruppig vor sich. „Das hier ist kein guter Tag, das ist mir klar. Dass deine Laune nicht die beste ist, ebenso. Aber das ist kein Grund alle Manieren fahren zu lassen, haben wir uns verstanden?“

„Ja“, murmelte Katsuya mit gesenktem Kopf. Anscheinend also nicht.

Seto erwartete jedoch keinerlei weitere Antwort und ließ ihn stattdessen los. Der Blonde widerstand dem Drang, den Arm wegzuschlagen und machte lieber selbst einen Schritt zurück. Sein Blick blieb auf dem Boden und hob sich nicht einmal, als Yami zurück kam und Seto einen Haufen Medikamente mit ein paar Erklärungen überreichte.

Sie sollten ihn in Ruhe lassen. Sie sollten Abstand von ihm halten. Sie sollten ihn nicht berühren. Sie sollten nicht einmal … besser, sie hätten nichts mit ihm zu tun. Besonders Seto. Warum tat er sich das an? Er hatte es verdient glücklich zu sein und nicht … nicht ihn. Was hatte er sich dabei gedacht, sich selbst einem anderen Menschen an zu tun? Er hatte immer gewusst, dass er nur Unglück brachte. Wie hatte er so dreist sein können, auch nur für einen Moment etwas anderes zu denken?

Jemand zog an seinem Handgelenk. Er sah gerade noch auf, als Yami schon ihre Finger ineinander verschlang und nicht so aussah, als wollte er in nächster Zeit wieder loslassen. Katsuya blinzelte noch verwirrt, als sich ein Arm über seine Schultern legte und ihn leicht gegen Seto drückte.

„Na komm, lass uns nach Hause fahren.“

Katsuya schluckte. Sie durften ihn doch nicht anfassen. Warum taten sie das? Sie wussten doch ... er schloss die Lider und sank von selbst etwas gegen Seto. Warum blieben sie bei ihm? Er seufzte und verbot sich die Tränen. Er hatte heute schon genug geheult und seine Tränen waren schließlich ansteckend. Ein guter Grund endlich mal etwas männlicher zu werden und mit der ewigen Heulerei aufzuhören.

„Sag mal, Seto“, wandte sich Yami über seinen Kopf an den Ältesten, „soll ich euch begleiten? Ich würde gern, aber ich muss mich bald für heute Abend fertig machen ...“

„Das geht trotz allem vor“ Seto klang sehr ernst. „Ich, nein, wir verlassen uns auf dich. Aber vielleicht besuchst du uns morgen?“ Bei der Frage sah er allerdings den Blonden in ihrer Mitte an.

„Was ist heute Abend?“, fragte Katsuya leise.

„Pegasus Festnahme. Yami spielt einen wichtigen Part dabei“ Seto sah sich um, als würde er vermuten, dass sie verfolgt und abgehört wurden ... nun, vielleicht wurden sie das. „Und das ist fraglos sehr wichtig gerade. Wir beide fahren nach Hause und vertrauen darauf, dass alles nach Plan läuft.“

Und wenn nicht? Katsuya schluckte. Was für ein Plan überhaupt? Es brauchte einen Plan, um Pegasus verhaften zu lassen? Das heißt, es bestand eine Chance, dass ... dass es nicht funktionierte? Sein zitternder Blick schnellte zu Yami.

„Keine Angst“ Dieser lächelte sanft. „Zwischen mir und ihm stehen neun Yakuzabosse. Du brauchst keine Angst um mich haben.“

Und das sollte ihn jetzt beruhigen?
 

„Was ... genau ... ist dieser Plan?“, fragte Katsuya sehr langsam, als Seto und er sich bereits im Auto befanden, „ich ... ich weiß nicht, ob ich es wirklich wissen will, aber ich mache mir Sorgen um Yami.“

„Brauchst du nicht. Er ist vielleicht nicht ungefährlich, aber sehr sicher. Yami hat alle Yakuzabosse überzeugt, dass es in ihrem besten Interesse ist, Pegasus auffliegen zu lassen. Er rennt heute Abend in eine Falle. Bakura hat die Kommunikation mit der Polizei übernommen, es stehen alle bereit.“

„Wir verlassen uns auf Bakura und einen Haufen Yakuzabosse?“

Ja, sehr beruhigend. Sehr sicher. Katsuya schnaubte. Und das war dann der große, lückenlose Plan. Es war einfach nur reiner Wahnsinn. Wie konnten sie glauben, dass das funktionieren würde?

„Die meisten Ringe werden von anderen Ringen oder Clanen aufgedeckt. Die Polizei kommt da nicht rein. Wenn du einen Mafiaboss willst, dann kriegst du ihn, indem du alle anderen dazu bringst, ihn ans Messer zu liefern. Das ist der einzig sinnvolle und schmerzarme Weg. Und da wir einen sehr einflussreichen Insider haben, war es nicht besonders schwer ...“

„Warum ... warum hat Yami eigentlich noch mit denen zu tun, wenn er die Prostitution aufgegeben hat?“ Katsuyas Stimme klang etwas brüchig. Eigentlich wusste er die Antwort, aber er wollte sie nicht hören.

„Nun ... Yami kann eine Menge seiner Kundschaft an Kollegen weiter empfehlen, aber ... nun, die Yakuza kann er nicht so einfach abgeben. Er kann aufhören mit ihnen zu schlafen, aber er war jahrelang Kurier, Diplomat und Vermittler. Er ist wichtig für die Clandynamiken in der Stadt. Das lässt man nicht einfach so hinter sich. Würde er das versuchen, würde ihn das sein Leben kosten.“

„Macht er auch noch weiter mit ... mit dem Befreien der Kinder?“ War er immer noch in ständiger Lebensgefahr? Jetzt noch mehr, weil er Unabhängigkeit von den Clanen zeigte?

„Ich vermute ... ich habe ihn nicht gefragt“ Seto sah kurz zu Katsuya rüber, doch wandte sich ebenso schnell wieder der Straße zu. „Yami ist da zu tief drin. Er weiß zu viel. Vielleicht lassen sie in ein paar Jahren gehen, aber derzeit ... das ist halt nicht möglich.“

„Warum können wir nicht einfach sicher leben? Ohne Yakuza und Alkohol und Drogen und ... all dem anderen Mist“ Katsuya seufzte. „Und Krankheiten.“

„Es tut mir Leid, dass ich dich nicht beschützen konnte. Ich wollte nicht, dass das alles ...“ Seto brach den Satz ab, da ihm die Stimme versagte.

Katsuya legte eine Hand auf dessen Schulter und ließ sie langsam den Hemdärmel runter gleiten, bis sie auf dessen Unterarm zu liegen kam. Seto löste seine Hand von Steuer, senkte sie, bis Katsuyas hinein geglitten war und hob sie zu seinen Lippen, um sie zu küssen. Er legte sie zurück auf Katsuyas Schenkel, um das Lenkrad wieder ordentlich zu greifen.

„Ich liebe dich“, schloss Seto stattdessen, „was dir geschehen ist, tut mir unglaublich Leid.“

„Ich weiß“, flüsterte Katsuya leise. Tief in sich wünschte er, Worte könnten alles wieder gut machen. Leider wusste er schon seit vielen, vielen Jahren, dass Worte nicht reichten. Bei dem, was ihn verletzte, reichten sie niemals.
 

„Da sind wir“ Seto schaltete den Wagen aus und lehnte sich zurück. Er drehte seinen Kopf zu Katsuya.

„Willst ... willst du wirklich, dass ich wieder mit rein komme?“ Seto schwieg einfach. „Was, wenn ich ... ich meine, ich koche dein Essen. Was, wenn ich mich schneide und es nicht bemerke? Wenn ich im Halbschlaf dein Handtuch nehme? Wenn ... auch Kondome sind nicht hundertprozentig sicher. Die Chance, dass ich dich anstecke, ist so hoch. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich will doch nur ... bitte schick mich nicht weg.“

Mit einem Seufzen griff Seto auf die Rückbank, nahm die Tüte mit den Tabletten und ließ sie über Katsuyas Schoß wieder fallen. Einen Moment lang herrschte Schweigen, bevor Seto zum Sprechen ansetzte: „Du hast Recht, ich will nicht krank werden. Der Gedanke ist fast unerträglich. Meine Leber ist schon stark geschädigt von meiner Alkoholsucht. Wenn jetzt Hepatitis C hinzukommt, war es das wahrscheinlich für mich.“

Katsuya zog den Kopf ein und legte die Arme um sich.

„Aber selbst wenn es dazu kommt, dann ist das meine eigene Schuld, denn es ist meine Entscheidung, dass ich mit dir zusammen bleiben will. Und nur ich habe ein Recht, diese Entscheidung für mich zu treffen. Ich bin mir des Risikos bewusst und ich möchte, dass du hier bleibst. Und wage es ja nicht, eine Entscheidung für mich treffen zu wollen und solch bescheuerte Aktionen zu bringen wie von zu Hause wegzulaufen.“

Katsuya nickte – zitterte eigentlich mehr in einer Auf- und Abwärtsbewegung – und sah unsicher auf.

„Allerdings verlange ich, dass du diese Tabletten ordentlich nimmst und vorsichtig bist. Du hast es selbst gesagt. Du hantierst mit den Messern in der Küche. Wenn du dich verletzt, sag sofort Bescheid. Und passe beim Schulsport auf. Wir werden deinem Lehrer erstmal nichts sagen, weil ja nicht einmal sicher ist, dass du irgendetwas hast, aber zumindest Ryou sollten wir informieren, damit er ein Auge auf dich hat.“

Katsuya nickte langsam. Klang alles sinnvoll. Auch wenn sich sein Magen umdrehte, wenn er daran dachte, Ryou zu erzählen ... andererseits, Bakura wusste es sicher längst. Er war weder blind noch blöd. Und er wusste auch von Ryou, dass dieser vergewaltigt worden war. Wenn der so etwas aussprechen konnte, konnte Katsuya das auch. Und Yami würde ihm sicher auch helfen.

„Können wir Sonntag alle zum Kaffee trinken einladen?“ Er richtete sich auf. „Bitte?“

„Nun ... wenn du willst“ Seto blinzelte etwas überrascht. „Allerdings sind Noah und Shizuka mit Isamu im Urlaub. Als du entführt wurdest, habe ich ihn gebeten, mit den beiden auf eine Reise zu gehen, damit sie nichts mitbekommen ... ich habe Shizuka am Telefon gesagt, du müsstest wegen Erkältung das Bett hüten und hättest keine Stimme.“

„Wann hat sie angerufen?“ Katsuya lehnte sich seitlich gegen seinen Stuhl.

„Nun ... zu Weihnachten. Ich habe ihr einfach mal in deinem Namen eine frohe Weihnacht gewünscht“ Setos Stimme war leise und sein Blick lag auf Katsuyas Händen.

„Danke“ Dieser lächelte und hob eben jene Hände, um mit ihnen über Setos Wangen zu streichen und sie danach auf dessen Schultern zu legen. „Du denkst immer an alles.“

„Nun ... ich hatte mir schon eine Menge Sorgen gemacht, bis Pegasus anrief. Ich hatte ehrlich gesagt Panik, als er dann anrief. Als ich erfuhr, dass du entführt wurdest ... ich dachte, ich müsste sterben. Es tat so weh. Ich hatte unglaubliche Angst um dich. Aber ...“ Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und unterbrach ihn damit. „Aber dann habe ich deine Stimme gehört und du hast mir ziemlich den Kopf gewaschen. Danach konnte ich wieder klar denken. Ich habe Yami und Bakura hergerufen, um mitten in der Nacht eine Notfallkonferenz abzuhalten. Und morgens habe ich direkt Noah angerufen ... er weiß nur, dass du entführt wurdest. Mehr habe ich ihm nicht gesagt. Er weiß nichts über Pegasus. Ich ... das konnte ich ihm nie sagen. Er wäre schrecklich enttäuscht.“

„Das heißt, zur Zeit wissen nur Yami und Bakura, was eigentlich wirklich war?“

Seto nickte. Ein Moment herrschte Schweigen, bis er meinte: „Ich überlasse die Entscheidung dir, wem du wie viel sagen willst. Wenn es sein muss, gestehe ich meinem Bruder auch, was ich damals getan habe.“

„Musst du nicht. Ich weihe Ryou ein, was passiert ist, aber nicht warum. Und das reicht dann. Es war eine gute Idee, meine Schwester im Dunkeln zu lassen. Ich will auch nicht, dass ... dass sie irgendetwas erfährt.“

„Es war also gut so?“

„Ja, danke“ Katsuya lächelte und betrachtete Seto dann einen längeren Moment. „Sag mal ... küsst du mich noch?“

Sein Gegenüber hob einfach nur eine Augenbraue und lehnte sich vor.

Zum zerreißen gespannt

Alle scheinen beschäftigt. Ich schaffe die Kapitel erst dienstags morgens, die Freischalter erst Tage später und die Kommentierenden kaum mehr. Das übliche Sommerloch eben. Ich hoffe, ihr habt alle schöne Ferien und seit nicht mehr völlig überhitzt. (Ich bin unglaublich froh, dass das Wetter umgeschwungen ist...)

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya vertrieb sich seine Zeit mit dem Kochen des Abendessens, auch wenn es erst vier Uhr am Nachmittag war. Sie hatten beide seit gestern Abend nichts gegessen und auch wenn Katsuya keinerlei Hunger verspürte, so reichte Setos Hinweis auf eine gesunde Ernährung, um ihn davon zu überzeugen, dass er etwas zu sich nehmen sollte. Also schälte, kochte und stampfte er Kartoffeln, wickelte Bohnen in Speck ein und briet sie an und servierte das zu Salat – es klang gesund genug in seinen Ohren. Er müsste weit mehr frische Früchte kaufen. Über den Tag verteilt war mindestens fünfmal Obst zu essen, um die Vitamin C Level hochzuhalten. Das half dem Immunsystem.

Während er arbeitete, durchstöberte er sein Wissen nach den Ernährungslehrestunden, die er in der Schule gehabt hatte. Er erinnerte sich an verschiedene Prozentsätze, wie Nahrungsbestandteile zusammen gesetzt sein sollten, aber da war es einfacher den Essensplan vom Arzt zu nehmen, der auf Unterernährung und Immunschwäche ausgelegt war. Ob es wohl auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Kochbücher gab?

Mit solchen und anderen Gedanken hielt Katsuya sich über Wasser und versuchte nicht daran zu denken, was außerhalb des Hauses und innerhalb seines Körpers vor sich ging. Es half, dass Seto sich mit seinem Buch in die Küche gesetzt hatte. Es half nicht, dass er seit einer halben Stunde nicht einmal umgeblättert hatte.

„Wenn ... wenn er verhaftet wird ... wann wissen wir das?“, fragte Katsuya über das Brutzeln des Specks.

Seto starrte weiter auf sein Buch und schien keine Reaktion zeigen zu wollen, bis er nach einigen Sekunden doch antwortete: „Vielleicht sofort, vielleicht erst morgen. Vielleicht als Sondernachricht im Fernsehen, vielleicht von Yami.“

„Und ... wenn er nicht verhaftet wird?“

„Wenn Yami anruft, wenn er tot aufgefunden wird, wenn das Haus unter Beschuss steht – die Möglichkeiten wollte ich nicht alle durchdenken.“

„Warum? Sollten wir nicht für alles eine Art Notfallplan haben?“ Katsuya drehte sich vom Herd weg und suchte Setos Augen mit ängstlichem Blick.

„Ehrlich gesagt sterbe ich lieber früher als später, wenn Pegasus nicht verhaftet wird. Je länger er Zeit hat, desto schmerzvoller wird der Tod. Und er findet uns. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“

„Beruhigend“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht sterben, Seto.“

„Ich auch nicht“ Der Brünette erhob sich, legte sein Buch zur Seite und trat zu Katsuya, um seine Arme um dessen Hüfte zu legen. „Aber ... ich vertraue Yami. Ich vertraue darauf, dass er uns hier raus holt. Es liegt alles in seinen Händen und an seinem Geschick und ich ... ich denke, dass er es schaffen wird.“

Katsuya blinzelte verwundert, lehnte sich nach hinten gegen den Herd und ließ sich von Setos Armen halten.

„Ist irgendetwas in meiner Abwesenheit passiert, wovon ich wissen sollte?“

„Wir haben uns wieder verstanden. Denke ich“ Setos rechter Mundwinkel hob sich. „Das passiert, wenn man zusammen um deine Sicherheit bangt.“

„Habt ihr das?“ Mit einem Lächeln lehnte sich Katsuya wieder vor und gegen seinen Freund. „Ich ... danke, dass du noch da bist. Trotz allem.“

„Müssen wir gleich in Kitsch ausbrechen, wenn wir emotional sind?“

Katsuya verdrehte einfach nur die Augen.
 

Katsuya seufzte und verschränkte die Arme.

„Ich kann nicht warten.“

„Das ist nichts Neues“, erwiderte Seto ruhig vom Sessel aus.

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“ Er schwang die Beine vom Sofa und setzte sich auf. „Da draußen entscheidet sich unser Leben und wir können nichts tun außer zu warten.“

„So ist das Leben.“

„Manchmal bist du unausstehlich, weißt du das?“

Seto schnaubte und erwiderte: „Leg dir einen Ego-Shooter rein und stell dir vor, es sei Pegasus.“

„Das ist nicht mehr lustig, nachdem du einem echten Kerl eine echte Waffe an den Kopf gehalten hast“, murmelte Katsuya leise.

„Entschuldige“ Die Stimme war auch etwas gesenkt. „Ein Autorennen vielleicht?“

„Ich spiel' Tekken“, entschied der Blonde und rutschte auf Knien über den Boden zur Spielekonsole. Das hier war zum verrückt werden. Warten, warten, warten … am liebsten würde er rausgehen und sich mit irgendwem schlagen. Konnte er das? Nein. Warum? Er könnte jemanden anstecken. Wenn Pegasus überlebte, würde er ihm einen Eimer seines eigenen Blutes über den Kopf kippen.

Seto legte sich auf das Sofa, wo Katsuya vorher gewesen war und legte das Buch geöffnet über sein Gesicht. Nach einem tiefen Seufzen fiel sein Arm von der Sofakante.

„Du glaubst nicht ehrlich, dass du jetzt schlafen kannst, oder?“

Seto hob seinen Arm wieder und legte ihn über seinen Bauch, während er antwortete: „Ich kann es zumindest versuchen.“

„Viel Glück.“

Jetzt mal ehrlich: Was sollten sie machen, wenn dieser Plan nicht klappte? Seto schien ja völlig aufgegeben zu haben. Aber es gab doch bestimmt Orte, wo man sie nicht finden würde. Wenn sie ein Flugzeug nehmen, dann mit dem Zug weiterreisen und schließlich in die Wildnis ziehen würden … sich ein paar Monate verstecken und dann irgendwo ein neues Leben beginnen. Okay, es gab Visaprobleme, Geldprobleme … man konnte schwer einfach verschwinden. Aber es war möglich. Sie mussten nur die erste Zeit über die Runden kommen. Es gab so viele endlegene Landstriche und als zwei junge Männer fand man doch immer Arbeit. Selbst als einfache Arbeiter.

Die Vorstellung, Seto als einfachen Arbeiter zu sehen, war vielleicht etwas ungewöhnlich, aber ... hey, er müsste seine Muskeln nicht mehr im Fitnessstudio trainieren, er könnte ... allein die Vorstellung, Seto auf dem Bau-

„Kay-oh“, warf der Fernseher ihm vor.

Katsuya blinzelte überrascht und stellte fest, dass er soeben einen Kampf verloren hatte. Irgendwie sollte er sich auf das Spiel konzentrieren und nicht auf die Vorstellung von Seto in zu großen Hosen und ohne Shirt und ... schwitzend unter der heißen Sonne-

„Katsuya? Alles in Ordnung mit dir?“

„Huh?“ Der Blonde sah über seine Schulter.

„Nun, du scheinst nicht wirklich konzentriert. Ich bin sicher, es wird alles funktionieren. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

Sorgen? Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Uhm ... Pegasus?“

Hatte er das laut gesagt? Worum ging es eigentlich nochmal? Ach ja, Pegasus. Gerade lief der Plan mit der Festnahme. Wie war er nochmal auf Seto ohne Shirt gekommen? Katsuyas Blick heftete sich auf das blau-weiß gestreifte Hemd.
 

„Katsuya? Du besorgst mich.“

„Was?“ Er hob den Blick.

Setos Stirn lag in Falten. Er lehnte sich nach vorn, stützte sich mit beiden Armen auf seine Beine und musterte Katsuya. Nach einem Moment streckte er einladend seine Hand aus.

Katsuya legte den Controller zur Seite und krabbelte auf allen Vieren zwischen Setos Beine. Dessen Hand fuhr sofort in das blonde Haar, sodass er nach einem Moment den Kopf gegen dessen Oberschenkel lehnte.

„Bist du ganz da? Hörst du mir zu?“, fragte Seto mit klarer Sorge in der Stimme.

„Nein“ Der Kniende lächelte. „Ich träume vom Sommer. Können wir in den Sommerferien an den Strand fahren?“

„Äh ... ja, natürlich. Von mir aus gern. Ich war lange nicht mehr am Strand“ Hörte sich sogar fast so an, als wäre er noch nie an einem Strand gewesen. „Ich bin etwas überrascht, wo deine Gedanken hin gewandert sind. In vier Tagen ist Silvester.“

„Dienstag, nicht?“ Katsuya seufzte und öffnete die Augen. Sein Blick jedoch richtete sich ins Leere. „Ist dir klar, dass der Kerl mich am Weihnachtsabend vergewaltigt hat?“

Die Hand an seinem Kopf griff einige Bündel seiner Haare. Nicht schmerzhaft, aber schon etwas ziehend. Setos andere Hand ballte sich zur Faust.

Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, als ihn das kurz in sich hinein horchen ließ. Das letzte Mal, dass er diese zwei Gesten gleichzeitig gesehen hatte, war kurz vor einer schweren Tracht Prügel gewesen. Aber bei Seto hatte er nicht die geringste Angst, dass sich diese Faust gegen ihn richten würde.

„Ich wünschte, ich könnte den Kerl gleich nochmal umbringen. Sehr schmerzhaft. Ein einzelner Schuss ist viel zu freundlich gewesen“, knurrte Seto, bevor er tief seufzte, „Ich wünschte, das alles wäre nie passiert. Die Entführung, die Vergewaltigung, selbst ... nun, die Ermordung. Nicht nur, weil ich ihm gerne selbst etwas tun würde, sondern weil es nicht vor deinen Augen hätte geschehen sollen.“

„Du hättest ihn gern still und heimlich gefoltert?“, fragte Katsuya und versuchte, Humor in seine Stimme zu bringen. Das wurde allerdings verhindert von den Tränen, die aufstiegen und seine Nase verstopften.

„Ich hätte das gemacht, was für dich das Beste wäre. Du brauchst mir nicht sagen, dass du dich schuldig fühlst, dass er tot ist. Das weiß ich, weil ich dich kenne. Du bist froh, ihn nie wieder sehen zu müssen, aber du willst nicht, dass er tot ist. Weil du denkst, es sei deinetwegen.“

„Er ist ja auch meinetwegen tot!“, rief Katsuya dazwischen und rutschte wieder etwas nach hinten.

„Ich hätte das gemacht, was für dich das Beste wäre. Ich hätte ihn einsam und allein auf einer verlassenen Insel ausgesetzt“ Ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen. „Wenn ich das in internationalen Gewässern mache, ist das meines Wissens nach nicht einmal strafbar.“

„Du hast mir versprochen, dass du nichts machst, was dich ins Gefängnis bringt“, erinnerte Katsuya ihn unter Tränen. Hatte er nicht aufhören wollen, so eine Heulsuse zu sein? Eine Hand strich über sein Gesicht und verwischte die Tränenspuren. „Pass auf ... das Virus.“

„Ist in Tränen kaum vorhanden. Vorsichtig sein heißt nicht gleich paranoid zu werden“ Seto lehnte sich vor und küsste ihn auf den Kopf. „Ich verspreche dir, nächstes Jahr schenke ich dir das schönste Weihnachten, was du je hattest.“

Katsuya nickte, da der Kloß im Hals keine Worte mehr zuließ.
 

Sie endeten zusammen auf der Couch, Buch und Spiel völlig vergessen. Seto unter ihm, die Arme sicher um seinen Oberkörper gelegt und er in kompletter Länge darüber, eine Hand zwischen ihnen, die die Knöpfe von Setos Hemd öffnete. Er zog den Stoff zwischen ihnen hervor und begann, mit einer Hand auf und ab zu fahren auf der weichen Haut. Er versuchte den Verlauf der Muskeln an Setos Seite auszumachen und ertastete irgendwann knapp unter dessen Brustmuskeln noch einen kleineren Muskel, der zu dessen Arm zog. Er fuhr die Linien des erfühlbaren Six-Packs nach, bis sein eigener Körper ihm im Weg war. Er zählte die Rippen, bis er erstaunt eine fand, die nur bis zu Setos Seite und gar nicht bis nach vorne zum Brustbein ging.

Seto blieb einfach tonlos liegen und ließ seinen Freund machen, was ihm gerade in den Sinn kam. Er hob den Arm, um ihm das Ertasten der Brustmuskeln leichter zu machen, er spannte den Bauch an und er drehte sich auch etwas zur Seite, damit Katsuya die kleine Rippe bis zur Wirbelsäule verfolgen konnte. Er selbst kannte die Besonderheiten wahrscheinlich von zahlreichen anderen Männern, aber für Katsuya war es das erste Mal, dass er jemanden außer sich selbst so genau abtastete.

Auch wenn sie schon oft miteinander geschlafen hatten, sie hatten sich selten die Zeit genommen, sich genauer zu erforschen. Zumindest Katsuya hatte das nicht. Seto war schon oft mit den Händen über jeden Teil seines Körpers gefahren, aber Katsuya hatte entweder nur dessen Haut berührt oder sich dort festgehalten. Er hatte selten gesucht, was eigentlich unter dieser schönen Haut war. Auch wenn er natürlich wusste, dass da gut trainierte Muskeln waren. Schließlich war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, Seto beim Aus- und Umziehen zuzusehen. Dieser Mann war echt überirdisch schön. Und je liebevoller und zärtlicher er wurde, desto schöner machte ihn das irgendwie. Selbst die kleinen Unperfektheiten wie die Narben an seinen Unterarmen und die Unebenheit mancher Rippen – nicht sichtbar, aber spürbar – waren in diesem Licht nur ein Teil, der zur Schönheit beitrug.

Seto war nicht perfekt. Bei weitem nicht. Sein Geist schwebte in einer kaum stabilen Balance, die jederzeit unerwartet kippen konnte. Die blauen Flecken im Gesicht und der Schnitt an seinem Hals mochten verblasst und verheilt sein, aber mindestens die dünnen Linien, die an seinen Armen noch zu erkennen waren, erinnerten daran. Mit dem Anblick hatte Katsuya lange leben gelernt, auch wenn er manchmal von Trauer und einem Hauch von besorgter Ängstlichkeit heimgesucht wurde, wenn er sie betrachtete.

Und auch, wenn man sie von außen nicht sah, so steckte in diesem Körper eine Geschichte, die seinesgleichen suchte. Katsuya sah man seine Wunden an, Seto jedoch kaum. Und doch würde Katsuya sein Leben jederzeit nochmal leben als Setos durchstehen zu müssen. All die Einsamkeit und die Angst, sie hatten Seto mürbe gemacht. Er verdiente so viel mehr als er besaß und er kämpfte verbissen um dieses kleine bisschen, das er sich erhalten wollte. Eigentlich war es gar nicht so verwunderlich, dass Seto trotz allem noch hier war. Katsuya war der erste fremde Mensch, den Seto in sein Leben gelassen hatte. Dem er Vertrauen geschenkt hatte. Natürlich waren da Yami und Noah, aber beiden hatte er erst ansatzweise vertraut, nachdem er sich bei Katsuya hatte fallen lassen können. Er war das Zeichen für Seto, dass es in dieser Welt etwas Gutes gab und dass er auch etwas von diesem Guten verdient hatte. Ohne ihn wäre Seto ein verbitterter, einsamer Mann, der nichts kannte als immer wieder betrogen und verlassen zu werden.

Darum würde Seto bei ihm bleiben, egal, was kam. Egal, wer ihn vergewaltigte, wer ihm nach dem Leben trachtete und ob er behindert, krank oder kaum mehr zurechnungsfähig war. Seto würde so lange bei ihm sein, wie er ihm vertrauen konnte. Auch wenn sie morgen früh fliehen mussten, sie würden zusammen bleiben.

Aufatmen

Hah, das Sommerloch endet! Freut mich, euch alle wiederzusehen ^v^ Ich bin auch wieder an der Uni und hoch motiviert - und hier ist meine neue FF:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/ffadmin/294142/

Außerdem gibt es neue Kapitel (okay, eins diese Woche, eins nächste) bei "Blonder Kater":

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/286778/

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Es hatte funktioniert. Dieser aberwitzige, halb wahnsinnige Plan hatte funktioniert. Pegasus war im Gefängnis bis zur Verhandlung, die frühestens nächstes Jahr sein würde. Nächstes Jahr war zwar nur wenige Tage entfernt, aber es hörte sich trotzdem himmlisch an.

„Danke, dass du angerufen hast … klar sehen wir uns morgen, nun ja, in ein paar Stunden eher. Und übermorgen, wenn du magst, Katsuya wollte gern alle zum Kaffee trinken einladen … nein, Noah wird nicht da sein, der ist noch im Urlaub … ja, ist gut … bis morgen“ Seto drehte sich mit einem Lächeln um, schmiss das Handy aufs Sofa und schnellte zu Katsuya. Die Arme um dessen Oberschenkel hob er ihn hoch und drehte sich einmal im Kreis, bevor er ihn wieder runter ließ. „Alles perfekt.“

„Perfekt“, wiederholte Katsuya und lächelte, während er die Arme um seinen Freund legte, „Und Yami ist nicht in Gefahr?“

„Ich denke nicht. Aber ich kann ihm einen Unterschlupf anbieten, wenn dich das beruhigt.“

„Eine dieser Sicherheitswohnungen, die über die Stadt verteilt sind?“

„Exakt“ Seto zog ihn in eine Umarmung. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Besser noch, wenn ich ihm gleich eine der Wohnungen überlasse. Er könnte sowieso einen Umzug in eine bessere Gegend vertragen.“

„Klingt gut“ Katsuya legte den Kopf an dessen Schulter. „Und … ist das jetzt sicher, dass er auch im Gefängnis bleibt?“

„Ziemlich, ja. So viele Leute kann nicht einmal Pegasus bestechen, erst recht nicht, weil sie bereits von der Yakuza bestochen werden. Er ist angezeigt wegen Menschenhandel, Waffenbesitz und noch einigen anderen Dingen“ Er strich mit einem Daumen über Katsuyas Wange. „Wenn du willst, können wir Mord mit auf die Liste setzen, aber dann müsstest du aussagen. Außerdem würde das eine Menge Aufmerksamkeit auf uns beide ziehen und ich möchte unser beider Namen da am liebsten nicht mit verbunden haben.“

„Würde es denn etwas ändern?“

„Nun … derzeit wird er für acht bis fünfzehn Jahre ins Gefängnis kommen. Mit der Mordgeschichte und der Entführung kannst du nochmal mindestens fünf weitere Jahre drauflegen. Im äußersten Fall die Todesstrafe.“

Katsuya schluckte. Todesstrafe … verdient hätte er es wahrscheinlich, aber der Gedanke, dass er dafür sorgen würde, dass ein Mensch umgebracht werden würde … und diesmal nicht, weil der das Opfer war sondern weil er wissentlich die Entscheidung getroffen hatte? Natürlich war er immer noch ein Opfer in dieser Sache, aber entscheiden zu können, ob der Täter dafür starb, das war nochmal eine ganz andere Ebene. Natürlich entschied es der Richter, aber er würde es aufgrund von Katsuyas Aussage tun. Und kaltblütiger Mord vor den Augen eines Minderjährigen – eine Hinrichtung genau genommen – war ganz sicher nichts, was man einfach so durchgehen lassen würde. Oder mit hoher Wahrscheinlichkeit nur mit einer Gefängnisstrafe vergüten würde. Nein, dafür würde Pegasus höchstwahrscheinlich sterben. Schließlich stand er unter amerikanischem Gesetz und das verhängte die Todesstrafe noch öfter als Japan.

„Ich … ich glaube nicht, dass … wenn es so aussieht, als ob er vielleicht frei kommen würde, kann man das dann nachlegen? Oder ist es dann zu spät?“

Seto schwieg einen kurzen Moment, bevor er antwortete: „Ich lasse Bakura einen entsprechenden Bericht vorbereiten. Falls es nicht gut aussieht, senden wir den der Staatsanwaltschaft. Okay?“

Katsuya nickte.
 

„Ich bin voller Adrenalin“, gab Seto zu, „Wollen wir irgendetwas unternehmen, bevor wir schlafen gehen? Zum Stadtpark joggen und dort die Bäume hochklettern?“

Katsuya kicherte und schlug mit einer Hand gegen Setos Schulter, bevor er murmelte: „Idiot.“

„Nein, jetzt mal ehrlich. Ich glaube, ich muss mich bewegen. Machst du mit oder willst du schlafen?“

„Du willst jetzt echt raus? Nachts?“ Noch während er das sagte, schlug sich Katsuya innerlich die Worte um die Ohren. Ehrlich, wie viele Jahre hatte er bereits die Nächte draußen verbracht? Und war jemals etwas passiert? Außer dass die Polizei sie jagte? Andererseits lebte er jetzt auf der anderen Seite – die Polizei ließ ihn zwar in Ruhe, aber die Gangs nicht. Er klopfte seine hinteren Hosentaschen ab. „Ich … gehe mir kurz Schuhe anziehen.“

Seto hob nur eine Augenbraue, dass er dafür nach oben ging – schließlich standen ihre Schuhe im Flurschrank – aber fragte nicht weiter. Als Katsuya wieder runter kam, hatte sein Freund bereits einen warmen Mantel und schwarze Lederschuhe an. Er selbst nahm sich einfach ein paar Turnschuhe und … hm. Er hatte nur zwei Jacken. Die seiner Schuluniform und die, die er freiwillig entsorgt hatte. Seine gute Lederjacke. Sechs Jahre hatte sie mitgemacht … nun, was fort war, war fort. Und da Bakura seinen Ledermantel schon vor Wochen wieder mitgenommen hatte, musste er wohl oder übel einen von Seto nehmen. Er griff sich den schwarzen Kurzmantel – den hatte er Seto erst einmal tragen sehen und das war am Tag ihrer Verlobung gewesen – und fragte: „Darf ich?“

„Sicher“ Seto beobachtete ihn, als er das gute Stück anzog. „Steht dir. Behalte sie.“

„Was?“ Katsuya blinzelte verwirrt.

„Ich habe sie damals gekauft, weil Mokuba meinte, ich sähe darin fesch aus. Allerdings habe ich keine große Liebe zu Jacken. Ich mag Mäntel lieber“ Während er sprach, hatte Seto die Tür geöffnet und ließ Katsuya vorgehen. „Und für mich ist das Ding praktisch hauteng. An dir sieht sie wenigstens so aus, als wäre es wirklich Winter und du wurdest noch etwas darunter tragen.“

„Hat es geschneit?“, fragte Katsuya mit einem Blick auf die Straße. Über die Jacke machte er sich besser keine Gedanken, sonst würde er nur Schuldgefühle kriegen, dass er schon wieder Sachen von Seto einsackte. Das tat er bestimmt nur, um nicht mehr Geld auf Katsuyas Schuldschein schreiben zu müssen. Andererseits … teilte man sich nicht eh das Geld, wenn man verheiratet war?

Sie waren wirklich verlobt. In Liebe und Treue, in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit … erst jetzt ging ihm auf, wie ernst Seto diesen Antrag gemeint hatte. Er wollte wirklich bei ihm bleiben, egal, was kam.

„Anscheinend“ Ein Schal legte sich um Katsuyas Hals. „Und denk daran, dass du auf dich Acht geben sollst. Eine Erkältung wäre jetzt wirklich nicht gut“ Dem Schal folgte eine Mütze, die Katsuya noch einmal gröbst zurecht rückte, nachdem Seto sie ihm aufgezogen hatte. Die Handschuhe wurden ihm wenigstens gereicht statt aufgedrängt.

„Danke, Mama“, murmelte der Blonde etwas trotzig, „das hört sich an, als wäre ich schwanger. Du musst auf dich Acht geben, Schatz.“

„Stimmt, du warst lang nicht mehr schwanger“ Seto legte einen Arm um seine Schultern. „Komm, mein gutes Weib, wir müssen einen Stall für deine Niederkunft finden.“

„Mann, Seto!“

„Pscht“ Dieser grinste. „Es ist mitten in der Nacht. Die Leute schlafen.“

„Dann mach' dich nicht über mich lustig.“

„Es war aber lustig, als du diese Hormonumschwünge hattest. Auch wenn ich froh bin, dass du jetzt ruhiger und ausgeglichener bist“ Seto küsste sein Haar – eher gesagt die Wollmütze auf seinem Haar. Es war trotzdem bis auf seine Kopfhaut zu spüren. „Hast du deine Identität gefunden?“

„Lass mich“, murrte Katsuya einfach nur.
 

„Boah, schau mal!“, rief der Blonde und winkte Seto heran. Die Oberfläche des Brunnens, den man aus irgendeinem Grund nicht abgelassen hatte, war gefroren und es hatte sich eine hauchdünne Lage Schnee darauf gelegt – im Licht des Mondes glitzerten die einzelnen Kristalle wie wild um die Wette.

„Sehr hübsch“, gestand der Ältere und legte einen Arm um Katsuya, „fast so schön wie du.“

„Welche Mücke hat dich denn gestochen?“ Eine blonde Augenbraue hob sich.

„Kann ich dir nicht einmal ein harmloses Kompliment machen?“

„Harmlos? Es ist schwer verstörend, wenn du aus dem Nichts heraus Komplimente machst. Ich muss mich immer umsehen und nachschauen, ob du wirklich noch wie der Kerl aussiehst, mit dem ich zusammen gekommen bin.“

„Jede Frau würde dich beneiden, dass sich dein Freund im Laufe der Beziehung verbessert hat“ Sie gingen einen der Seitenarme hinunter. „Männer tendieren dazu, in Beziehungen plötzlich alle Anstrengungen, um die Dame zu gewinnen, wieder fallen zu lassen. Hat man mir erzählt.“

„Da bin ich auch ganz froh drum. Deine Anstrengungen waren schließlich, es mir so schwer wie möglich zu machen. Ich habe dich gewonnen, nicht anders herum. Habe ich mich verändert?“

„Nicht wirklich“ Seto ließ den Blick schweifen. „Doch, eigentlich sehr. Aber das lag nicht an der Beziehung. Das lag eher daran, dass sich dein Umfeld verändert hat.“

„Klar lag das an der Beziehung“ Katsuya hielt ihn an und drehte Seto zu sich. „Natürlich, vieles hätte sich auch so verändert. Aber du hast mir erst die Sicherheit gegeben, dass ich mich verändern konnte.“

Seto sah einen längeren Moment in seine Augen mit sich als ihrem sich kristallisierenden Atem zwischen ihnen, bevor er sagte: „Und wer beschwert sich über unerwartete Komplimente?“

„Du kannst dir ruhig etwas mehr darauf einbilden“ Katsuyas humorvoller Ton brach zwischen den Sätzen. „Ich weiß nicht, wo ich heute wäre, wenn du mich nicht aufgenommen hättest.“

„Wahrscheinlich auch hier“ Seto nickte zu einer der Bänke. „Erfrierend“ Seine Lider verengten sich. „Oder das da. Obwohl man als Straßenhure auch nicht gerade warm lebt.“

Katsuya folgte seinem Blick. Ein gutes Stück abseits des Weges lehnte ein Mann gegen einen Baum, zwischen seinen Beinen eine kniende Person. Es war nicht zu erkennen, ob es ein er oder eine sie war. Sie waren ziemlich unauffällig und leise, das musste man ihnen lassen, auch wenn die Bewegungen recht unmissverständlich waren.

„Lass uns umdrehen. Da sieht man nicht zu“, entschied Katsuya, hakte sich bei Seto unter und zog diesen davon.

„Da habe ich schon oft zugesehen. Und schon oft Leute bei mir zusehen lassen“ Seto grinste. „Das gibt einen gewissen … Nervenkitzel.“

„Glaub bloß nicht, dass ich dir jemals in einem Stadtpark einen blasen werde“, erwiderte Katsuya trocken.

„Und wenn ich dir einen blase?“

Oh. Shit. Katsuya schluckte, aber spürte gleichzeitig die Röte auf seine Wangen schießen. Gefolgt vom Einsetzen seines Würgereflexes. Die Vorstellung allein schien gerade einfach nur ekelhaft. Wie hatte er Witze darüber machen können?

„Katsuya?“ Seto versuchte ihn sanft zu stoppen, aber ließ sich weiter mitziehen, als dieser nicht anhielt. „Es tut mir Leid.“

Er erwiderte nichts und zog den anderen zurück nach Hause.
 

Katsuya erwachte auf einem großen, warmen Körper, den er nach einem Moment der Verwirrung als Seto einordnen konnte. Er grummelte in sich hinein, bevor er zumindest an dessen Seite rutschte. Der Andere schien zum ersten Mal recht tief zu schlafen, denn er erwachte nicht davon. Katsuya seufzte leise.

Das zu seinem Versuch, mit etwas Abstand zu Seto zu schlafen. Der hatte sich wahrscheinlich vorbildlich verhalten und selbst schlafend völlig ruhig gehalten, während Katsuya von seinem eigenen Körper betrogen wurde. Er wollte Abstand. Er brauchte Abstand. Eigentlich. Irgendwie schien sein Unterbewusstsein etwas anderes zu denken. Scheiße.

Er schielte verstohlen unter die Bettdecke, nur um festzustellen, dass Seto keinerlei Morgenerektion hatte. Komisch. Aber irgendwie beruhigend. Ob Seto irgendwelche Hyperkontrollkräfte hatte, die es ihm sogar im Schlaf noch möglich machten, seinen Körper unter Kontrolle zu halten? Lächelnd kuschelte sich Katsuya etwas beruhigter an seine Seite. Eigentlich war es gar nicht so unangenehm in Setos Armen zu schlafen, wenn dafür nichts von ihm erwartet wurde.

Würde es früher oder später aber.

Katsuya erstickte die kleine Stimme in seinem Kopf. Jetzt war nicht bald. Jetzt war jetzt und jetzt war in Ordnung. Wenigstens verstand Seto wortlos, dass er Abstand brauchte. Er mochte ihn ja. Er berührte ihn gern, das konnte er eingestehen. Zu einem gewissen Grad wurde er sogar gern berührt. Küsse und Umarmungen waren okay. Gekrault werden auch. Aber schon das hier war echt schwer. Sie hatten zwar beide ihre Pyjamas an, aber trotzdem … mit mehr Lagen von Kleidung fühlte er sich sicherer.

Hatte er wirklich gestern beinahe mit Seto geschlafen?

Das war … wie hatte er sich so gehen lassen können? Es war schon beruhigend zu wissen, dass er es konnte, wenn er wollte, aber … es fühlte sich an, als würde über seiner kompletten Haut eine Schleimschicht liegen. Er war dreckig. Er war ekelhaft. Ja, klar, in seinem Kopf wusste er, dass es ganz normal war, Sex gut zu finden, aber konnte jemand bitte sein Herz davon überzeugen? Er versuchte die aufsteigende Übelkeit herunter zu schlucken und schloss die Augen.

Einfach weiterschlafen. Nicht daran denken. Sex klang gerade ekelhaft, obwohl er es gestern fast gemacht hätte. Nur ekelte ihn heute die Vorstellung an. Er ekelte sich selber an. Hatte er den Scheiß mit dem Kerl gemocht? Genossen? Hatte es ihn hart gemacht?

Er war ganz froh, dass er sich nicht erinnern konnte.

Er wollte sich nicht erinnern.

Niemals.

Wer wusste, was die Erinnerung beinhalten würde. Er wollte nicht wissen, wie er ausgesehen hatte. Er wollte nicht wissen, was er gefühlt hatte. Dieses Gefühl von Ekel, das war genug. Das war in Ordnung. Er musste keinen Sex haben. Genau, Seto konnte ja auch mit anderen … konnte …

Er ballte die Hände zu Fäusten.

Seto konnte gefälligst warten, wenn es ihm zu scheiße für Sex ging. Er wollte ihm schließlich ewige Liebe und Treue schwören. Andererseits hatte sich Katsuya da auch nicht dran gehalten. Er hatte mit Yami geschlafen.

Vielleicht war es nur fair, wenn Seto mit anderen … eigentlich hatte er ja gar kein Recht, so etwas zu fordern, oder? Für Seto war Sex mehr als nur eine körperliche Befriedigung. Er brauchte das, um stabil zu bleiben. Er … aber Katsuya wollte ihn nicht teilen. Endlich hatte er im Leben genau das, was er haben wollte und er war nicht gewillt, es wieder weg zu geben. Seto gehörte ihm.

Aber das hieß, dass er auch für Seto sorgen musste. Er konnte ihm doch nicht verbieten, Sex zu haben. Das würde ihn nur fortjagen. Aber … er wollte ihn auch nicht teilen. Das gestern hatte doch fast geklappt. Vielleicht konnte er ja Sex haben. Er musste es ja nicht unbedingt mögen, er musste nur … nur … er kniff die Lider zu und schlang sich enger um Seto.

Nicht daran denken.

Vergewaltigungen

Das Kapitel schrieb sich praktisch von selbst ^v^ Ich freue mich, mal wieder etwas Fachliches zu schreiben. Wisst ihr, dass es nur sehr wenige Psychologen gibt, die mit dem Thema Vergewaltigung gut umgehen können, obwohl es ein so häufiges Thema ist? Die Fachliteratur dazu ist ehrlich gesagt auch ziemlich mau. Es ist schon echt erstaunlich. Ich habe das Gefühl, das Problem wird in Medizin mehr erörtert als in der Psychologie ô.o (was übersetzt heißt: Wir hatten zwei Vorlesungen dazu - und das auch nur, weil Ärzte wegen der Nachuntersuchung oft verklagt werden)

Nun, viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Katsuya?“ Seto strich über seine Wange. „Was ist los?“

„Tut mir Leid“ Sein Körper bebte unter seinem unterdrückten Schluchzen. „Ich, hick, ich wollte dich nicht wecken.“

„Schon okay“ Dieser drehte sich zu ihm und zog ihn an seinen Körper, auf dem er vorher ja schon halb gelegen hatte. „Hattest du einen Alptraum?“

Ja. Nein. Er hatte sein Leben, war das Alptraum genug? Er schluchzte einfach nur statt irgendeine Antwort zu geben. Verdammt, alles ging einfach nur den Bach runter. Er konnte das hier nicht. Das hier alles. Bei Seto sein trotz seiner Angst, verletzt zu werden. In seiner Nähe sein trotz der Angst, ihn zu verletzen. Bei ihm bleiben, obwohl er nicht wusste, ob er jemals … jemals das sein konnte, was Seto sich wünschte. Was Seto verdiente.

Und trotzdem konnte er ihn nicht verlassen. Wo sollte er schon hin? Es gab kein Zuhause, in das er zurückkehren konnte. Keine Menschen, die ihn mit offenen Armen begrüßen würden. Seto war alles, was er hatte. Und Seto war alles, was er je gewollt hatte.

Dieser hielt ihn in seinen Armen, küsste seine Haut und murmelte irgendwelchen beruhigenden Nonsens. Er streichelte seine Haut und seine Seele. Katsuya zog sich an ihn. Am liebsten würde er tief in Seto sinken. Einfach mit ihm verschmelzen. Nie wieder von ihm getrennt sein. Den ganzen Tag lang seinen Herzschlag hören und sich sicher fühlen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er vor nichts mehr Angst als von Seto getrennt zu sein.

„Ich liebe dich“, flüsterte er leise, „Egal, was passiert, ich liebe dich.“

„Katsuya?“ Seto nahm seinen Kopf etwas weg, um ihn anzusehen, aber er zog sich nur näher, um wieder bei ihm zu sein. „Katsuya, du machst mir gerade ein wenig Sorgen. Was ist los?“

Er schwieg einfach nur und klammerte sich wie einer kleiner Affe um Seto. Das Schluchzen und auch die Tränen beruhigten sich langsam, aber die Gefühle blieben leider. Die Angst. Immerwährende Angst. Er begann zu verstehen, was Seto jeden Tag durchmachte. Immer nur Angst, immer nur kreisende Gedanken, nicht einen Moment Ruhe. Man schlief ein mit der Angst, man wachte auf mit Angst. Okay, gestern war er zumindest kurzzeitig immer mal wieder abgelenkt gewesen, aber da war trotzdem so viel Angst. Er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr. Das hier würde jeden wahnsinnig machen.

Seto seufzte und strich durch das blonde Haar. Er küsste Katsuya hinter dessen linken Ohr, da das der einzige Platz war, den seine Lippen erreichen konnten. Sie blieben einfach so liegen und er verlor jede Art von Zeitgefühl. Vielleicht waren es nur Minuten. Vielleicht waren es Stunden. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn es bereits wieder dunkel gewesen wäre, als Seto sich erhob und ihn dabei Richtung Dusche trug. Schließlich klammerte er sich immer noch an ihm fest. Nach ein paar Minuten, die das Wasser über sie gelaufen war, ließ er sogar die Beine sinken und stellte sich hin. Allerdings löste er sich nicht ansatzweise von Seto.

Da dieser seine Arme halbwegs frei bewegen konnte, übernahm er alles. Shampoo, Spülung, Duschgel – er schaffte es sogar eine Hand zwischen sie zu bringen, um sie beide einzuseifen. Nach ein paar weiteren Minuten trennte Katsuya sich ein Stück von ihm, damit der ganze Schaum auch abgespült werden konnte. Zum Abtrocknen später war er glatt so weit, Seto nicht mehr zu berühren, aber er blieb in seiner Nähe.
 

Yami klingelte, als sie sich gerade über ein Frühstück her machten. Katsuya hörte nicht wirklich hin, was die beiden sich im Flur erzählten, er richtete seine ganze Konzentration auf eine Schale Müsli.

„... gut, danke. Es ist spät geworden, aber wir haben ...“ Yami, der in die Küche spaziert war, verlangsamte gleichzeitig seine Schritte und seine Stimme. „Wir haben ja schon Nachmittag. Na ja. Ihr scheint auch länger geschlafen zu haben. Guten Nachmittag, Katsuya“ Er trat an ihm vorbei und stellte eine Plastiktüte in den Kühlschrank. „Ich hoffe, ich störe nicht.“

„Nein, kein bisschen“ Seto zog wie ein echter Gentleman einen Stuhl vor, damit Yami sich setzen konnte. „Möchtest du auch etwas?“

„Ein Glas Milch, bitte“ Der Rothaarige lehnte sich etwas vor und versuchte, Katsuyas Blick zu erhaschen. „Ist er in Dissoziationen?“

„So halb. Er bewegt sich, aber er antwortet nicht mehr. Wenn ich mich zu weit weg bewege, fängt er an zu wimmern“ Seto atmete tief durch, servierte Yami die Milch und trank einen Schluck Kaffee. „Das ist schon seit dem Aufstehen so. Er hat geweint, aber er wollte nicht sagen, was los ist.“

„Stress bewirkt so etwas“ Yami strich über seinen Oberarm und lächelte das gesenkte Gesicht an. „Genauso wie das Verlieren von Stress. Das könnte eine Entspannungsreaktion darauf sein, dass die Sache mit Pegasus jetzt vom Tisch ist.“

„Ja, aber gestern Abend hat er noch geredet. Er hat sogar gelächelt und Witze gemacht.“

„Seto, das nennt man Verdrängung“ Auch wenn Katsuya es nicht sehen konnte, er konnte praktisch spüren, wie Yami die Augenbrauen hob. „Dieser Zustand sagt zumindest, dass er es verarbeitet.“

„Oder dass er völlig überfordert ist“ Seto drehte seinen Stuhl etwas und legte die Füße auf einen weiteren – eine Pose, in der Katsuya ihn noch nie gesehen hatte. „Das hier wäre für jeden zu viel. Die Entführung, die … die Vergewaltigung, die Morde, die Erkrankungen, die Festnahme … das passiert alles ein bisschen schnell und unerwartet, weißt du. Vielleicht sollten wir einen Psychotherapeuten einschalten. Oder eine Klinik. Oder eine Kur, wie wäre das? Oder einfach nur ein Urlaub, irgendwo weit weg von hier. Ihn auf andere Gedanken bringen.“

„Ich weiß, du meinst es gut, aber mit diesen Problemen kannst du ihm nicht helfen. Das, was ihn auffrisst, ist mit seinem eigenen Körper passiert. Und davon kannst du ihn nicht trennen … zumindest nicht ohne größere Anstrengungen“ Yami lehnte sich über den Tisch und griff Setos Hand. „Eine Vergewaltigung ist etwas vollkommen anderes als eine Tracht Prügel. Natürlich tut beides weh und beides stört deine Integrität. Du fühlst dich schuldig, gedemütigt und betrogen. Allerdings auf ganz anderen Ebenen.“

Seto erhob sich mit einem Seufzen und trennte so den Kontakt zu Yami. Mit seinem Kaffeebecher in der Hand begann er auf und ab zu gehen.

„Vergewaltigt werden … weißt du, wenn jemand dich schlägt, dann weißt du meistens auch einen Grund. Entweder, du hast Mist gebaut – und dann hast du es meistens sogar verdient – oder der andere ist scheiße drauf und du warst zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn du vergewaltigt wirst, dann ist das eigentlich das gleiche, aber es fühlt sich zutiefst anders an. Es gibt ziemlich wenige Leute, die so psychisch gestört sind, dass sie Vergewaltigungen als Strafe benutzen. In den meisten Fällen ist jemand scheiße drauf und du bist zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber das glaubst du nie. Du glaubst immer, du seist schuld. Die Klamotten, die du getragen hast, die Worte, die du gesagt hast, dein Aussehen, dein Auftreten … alles. Du suchst immer zuerst Schuld bei dir selbst. Und das tust du sogar noch lange später, wenn du schon lang wieder heulst und schreist. Und weißt du warum?“

Einen Moment herrschte einfach Stille. Wahrscheinlich gab Seto irgendein Zeichen, aber Katsuya konnte es nicht sehen. Er wusste nicht einmal, was er überhaupt wahrnahm oder nicht. Alles schien unendlich weit entfernt.

„Weil die Tatsache, dass man nicht daran schuld ist und das nichts, was man hätte tun können, irgendetwas geändert hätte, bedeutet, dass man hilflos war. Und das ist die schlimmste Erkenntnis von allen: Zu erfahren, dass man hilflos war.“
 

Seto atmete tief durch, aber das Ausatmen hörte sich eher nach einem Seufzen an. Er ging mehrfach auf und ab, bevor er jedoch antwortete: „In Pädagogik haben wir ein bisschen was über Vergewaltigungen gelernt. Dass man niemals die Schuld beim Opfer suchen sollte. Das weiß ich. Ich weiß, dass absolut nichts, was Katsuya hätte tun können, etwas geändert hätte. Aber der Gedanke macht mich wahnsinnig und ich war nicht mal dabei“ So etwas wie ein Knurren verließ Setos Kehle, während er sich durchs Haar fuhr. „Ich werde wütend, wenn ich nur daran denke. Zu wissen, dass dieser … dieser schmierige Mistkerl meinen Verlobten angefasst hat! Ich wünschte, ich könnte ihn umbringen.“

Yami hob das Glas Milch vor seine Lippen und nippte daran. Er verfolgte Seto aufmerksam mit den Augen. Unter dem Tisch legte er ein Bein über das andere.

„Wut ist eine normale Verarbeitungsreaktion. Katsuya wird sie auch haben, sobald … er sich etwas gefestigt hat“ Yami ließ eine weitere Pause, um auf eine Reaktion zu warten, die nie kam. „Bis dahin kann deine Wut ihn sich beschützt fühlen lassen … oder bedroht.“

„Ich bin doch nicht wütend auf ihn!“, zischte Seto.

„Ja … aber er hat eine Vorgeschichte mit Erfahrungen, dass sich Wut unerwartet gegen ihn richtet“, versuchte Yami zu erklären.

„Scheiße“, knurrte Seto einfach nur und trat gegen einen Stuhl, sodass dieser mit lautem Poltern auf die Fliesen schlug.

„Und … ehrlich gesagt hast du keine Vorgeschichte, deine Wut immer gut unter Kontrolle zu haben“, warf der Sitzende vorsichtig ein, „ehrlich gesagt machst du mir gerade Angst. Magst du vielleicht ein paar Schlücke Kaffee nehmen und einmal tief durchatmen?“

Das Grollen, das für den Kommentar durch die Küche hallte, hätte sogar von einem echten Drachen kommen können. Einen Moment später hörte man Seto jedoch wirklich tief durchatmen, bevor er seinen Kaffeebecher zurück auf den Frühstückstisch stellte und den Stuhl aufhob.

„Danke“ Yami nahm einen größeren Schluck Milch. „Tief in dir drin weißt du, dass du hilflos warst. Deswegen suchst du als allererstes verzweifelt nach Sicherheit. Dieses Haus hier ist Katsuyas Sicherheit. Du bist Katsuyas Sicherheit. Er wird sich in den nächsten Tagen an dir festklammern wie an einem Rettungsseil.“

„Wäre mir nie aufgefallen“, erwiderte Seto mit vollem Sarkasmus.

„Und je sicherer er sich fühlt, desto mehr wird er sich mit seinen Gefühlen auseinander setzen. Allen voran den Schuldgefühlen und der Hilflosigkeit. Und dann dem Selbsthass. Eine Vergewaltigung gehört zu den größten Demütigungen überhaupt. Man fühlt sich schmutzig und kaputt und nicht ansatzweise liebenswert. Lange Duschphasen, wo man sich die Haut vom Leib schrubbt, das Wasser zu heiß dreht, sogar selbstverletzendes Verhalten … das ist für kurze Zeit ganz normal. Alles, was du tun kannst, ist ihn im Arm zu halten und ihm zu sagen, dass er schön ist, dass du ihn liebst und dass die Vergewaltigung daran nichts geändert hat.“

„So viel hat mir mein gesunder Menschenverstand auch schon verraten“, murmelte Seto leise, „nach den ersten zwei besorgniserregenden Duschattacken bin ich heute mit ihm duschen gegangen.“

„Vergiss bitte nicht, dass die Gefühle daher kommen, dass etwas Fremdes ungewollt in deinen geschützten Bereich eingedrungen ist. Egal, wie gut deine Intentionen sind, wenn du in seine Privatsphäre eindringst, wird ihn das retraumatisieren“, erklärte Yami.

„Ich soll ihn weiter seinen Körper zerstören lassen?“ In Setos Stimme mischte sich der altbekannte Sarkasmus.

„Wenn es nicht lebensbedrohlich wird – ja.“

Seto schnaubte nur und trank Kaffee.
 

„Es gibt noch einen letzten entscheidenden Unterschied“, setzte Yami nach einigen Momenten des Schweigens ein, „Und zumindest für mich war das der schwerste Teil.“

„Was kann man neben Schuld, Hilflosigkeit und Selbsthass denn noch mitmachen?“, erwiderte Seto schon fast flippig.

„Die guten Gefühle.“

Mit zwei Stäbchen wurden drei Bohnen im Schinkenmantel – ein Überbleibsel vom gestrigen Abendessen – von der Platte in der Mitte des Tisches genommen und zu Setos Mund geführt. Er kaute, schluckte und schwieg immer noch.

Irgendwann fuhr Yami von selbst fort: „Es mag denen, die eine Vergewaltigung nicht selbst erlebt haben, nicht unbedingt verständlich sein, aber sie lässt dich gut fühlen. Auf einer rein physischen Ebene bist du unglaublich erregt, auch wenn dein Herz etwas ganz anderes sagt. Und … das ist wirklich schlimm … das ist, als … als würde dein Körper gegen dich arbeiten. Als wäre das, was du fühlst, falsch … als wäre es falsch, dass es falsch ist.“

Yami lehnte sich vor und bedeckte sein Gesicht mit einer Hand. Sein Atem kam zittrig. Schließlich atmete er tief durch den Mund ein und aus – wahrscheinlich um die Tränen zurück zu halten. Katsuya kannte die Technik bei ihm.

„Du fragst dich, ob du es nicht doch wolltest. Ob es wirklich eine Vergewaltigung war, wenn du doch erregt warst. Ob du nicht einfach nur krank bist und drauf stehst, dass andere … wenn andere sich an dir vergehen. Und du hörst ihre Stimmen. Sie sagen das immer. Dass du es doch auch willst. Dass sie nichts Falsches tun. Und … du glaubst ihnen.“

„Shit!“ Mit einem lauten Krachen flog der Stuhl, den Seto wieder aufgestellt hatte, gegen die Wand. Die Stäbchen, mit denen er gegessen hatte, legte er dagegen schon fast andächtig auf den Tisch – nur waren sie beide zerbrochen und gesplittert.

Yami fuhr mit einer Hand über Katsuyas Oberarm. Wen auch immer er damit beruhigen wollte. Er nahm einen Schluck Milch mit der anderen, obwohl das Glas schon leer war. Ein einzelner Tropfen rang sich noch den Weg hinab.

„Bitte … ruhig … kontrolliert Wut ablassen“, flüsterte er und beobachtete Seto mit scharfem Blick.

„Sorry“, brummte Seto und versenkte sein Gesicht in seinen Händen, „Wie soll ich das je wieder gut machen?“

„Indem du den Gedanken verarbeitest, dass es auch nicht deine Schuld war, Seto. Du konntest das nicht voraussehen und nicht verhindern“ Yami ließ eine weitere Pause, um auf eine mögliche Reaktion zu warten. „Das ist wie mit Katsuya und der Vergewaltigung. Er konnte nichts tun, er war hilflos. Du, Seto … du konntest auch nichts tun. Du warst ebenso hilflos.“

„Ich war nicht hilflos! Ich hätte nur mehr nachdenken müssen. Ich hätte wissen müssen, dass dieser Dreckskerl uns nicht in Ruhe lässt“, fluchte Seto, „ich hätte Katsuya beschützen müssen. Es hätte mich treffen müssen, wenn überhaupt … und nicht ihn.“

Katsuya hob seinen Blick ein wenig, um Seto anzusehen. Gerade sah er aus, als hätte die Hölle ihn gefressen und wieder ausgekotzt. Sein Haar war wirr und seine Augen wie verfolgt … wie gejagt. Er streckte eine Hand aus und schloss die um Setos, die auf dem Tisch lag.

Setos blaugraue Augen flickerten zu ihm hoch.

„Scheiße“ Er wandte den Blick wieder ab. „Es tut mir so Leid, Katsuya.“

Verarbeiten

Müde =.= Morgen ist der letzte Tag meines Kurzurlaubs ... warum geht so etwas immer so schnell rum?

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya wurde von Seto ins Wohnzimmer getragen, da er nach dem Ergreifen seiner Hand jegliche Kontrolle über seine Muskeln verloren hatte. Na ja, nicht jegliche. Er war nur einfach wie eingefroren sitzen geblieben und hatte auf nichts mehr reagiert. Also hatten die anderen beiden entschieden, dass Zimmer zu wechseln. Seto ließ ihn neben Yami auf der Couch nieder, wo dieser die Arme um ihn schloss und ihn hielt. Seto selbst nahm den Sessel neben der Couch.

„Wie lange hast du gebraucht?“, fragte Seto in die Stille.

„Hm?“ Yami, der Katsuyas Kopf an seine Schulter gezogen und blonde Strähnen zwischen seinen Fingern gedreht hatte, sah auf.

„Um deine erste Vergewaltigung zu verarbeiten.“

Es folgte eine längere Pause, wo Yami seinen Kopf auf Katsuyas legte und die Augen geschlossen hielt, bevor er mit einer dennoch zitternden Stimme antwortete: „Das … das kannst du nicht vergleichen. Mein erstes Mal wurde gefolgt von meinem zweiten, dritten … hundertsten … mein Zuhälter hat mich darauf trainiert, ihm zu gehorchen. Vergewaltigung war eine Strafe, wenn ich mich Freiern gegenüber nicht gut genug benommen habe … oder wenn ich nicht genug Freier anschleppen konnte.“

„Entschuldige“, erwiderte Seto, als Yami ein paar Sekunden schwieg, „Es war eine dumme Frage.“

„Nein“ Der Jüngere wischte mit einer Hand über seine Lider und zog die Nase hoch. „Schon gut … die Fachliteratur sagt, dass bis zu acht Wochen völlig normal sind. Nur, damit die Leute oberflächlich wieder normal scheinen. Die meisten Vergewaltigungen hinterlassen Langzeitschäden. Mindestens das Gefühl der Wertlosigkeit oder sich selbst nicht wirklich zu trauen … davon bleiben oft Fragmente vorhanden. Selbst mit Therapie.“

„Was gibt es für Therapien?“, fragte Seto mit Resignation in der Stimme nach.

„Innerhalb der ersten zweiundsiebzig Stunden ist eine Notfallintervention sinnvoll. Es ging ausgebildete Notfallpsychologen … mit denen spricht man zum Beispiel auch nach Bränden oder schweren Gewaltverbrechen oder Banküberfällen oder so … ich glaube nicht, dass Katsuya das gerade helfen würde. Er braucht in aller erster Linie eine sichere Umgebung. Die kannst du ihm hier geben. Besser sogar als jede Klinik.“

„Zumindest solange ich nicht sauer werde“ Seto stützte sich auf seinen Knien ab und fuhr mit beiden Händen durch seine braunen Haare. „Oder verzweifelt. Was auf dasselbe raus kommt.“

„Seto, was auch immer los ist, ich bin da, Tag und Nacht. Du bist nicht allein. Ich … was auch immer du brauchst und sei es nur jemand, der zuhört, wenn du dich aufregst, ruf einfach an“ Yami schluckte und legte eine Hand auf den blonden Schopf. „Das hier ist vor allen Dingen für Katsuya. Wenn du mich anrufst, ist das für Katsuya.“

„Hm … okay … was dann?“

„Es ist Katsuyas Entscheidung, ob er einen Therapeuten sehen will. Es wäre wahrscheinlich gut … aber es ist kein Muss. Schlag es ihm immer wieder vor, aber erst, wenn er dazu bereit ist“ Yami ließ eine kurze Pause, in der Seto wahrscheinlich nickte. „Zwinge ihn nicht, überrede ihn nicht. Lege es ihm nur ans Herz.“

„Und wenn er wirklich nicht will?“

„Akzeptiere es. Jeder hat einen eigenen Weg, mit solchen Dingen fertig zu werden. Katsuya war mein Weg seit zwei Jahren. Ich habe ihn angerufen, wir haben uns zusammen gesetzt, ich hatte Dissoziationen, habe geflucht, habe geheult und mich wieder aufgerappelt. Das war … der Schnellprozess, wenn man so will. Er war einfach da und hat mich in den Arm genommen, wenn ich es brauchte. Er war mein Therapeut und er wusste genau, wann ich was brauchte.“

Katsuya drehte sich von selbst etwas in der Umarmung, um bequemer zu liegen. Yami war schön, aber bei weitem eckiger als Seto. Zufrieden mit der Position schloss er die Augen.
 

„Okay ... und was sagt die Fachliteratur, was als nächstes kommt?“ Seto wrang seine Hände. „Also ... hat er die ganze Zeit Dissoziationen? So wie jetzt? Oder ... du meintest, er würde irgendwann wütend werden?“

„Seto, gesunde Verarbeitungsprozesse haben immer dasselbe Schema. Sei es der Tod, sei es eine Verletzung des Körpers oder der Seele. Je nach Mensch und Grund ändert sich nur, wie stark und wie lang die einzelnen Phasen sind“, erklärte Yami ruhig und wieder gefasst. Es half ihm immer über etwas Fachliches zu reden, um seine eigenen Probleme wieder runter zu drücken. Und Yami drückte verdammt viel runter, das wusste Katsuya.

„Die vier Phasen der Trauer nach Kübler-Ross?“ Setos Stimme, die vorher seine Unsicherheit kaum verborgen hatte, wirkte etwas sicherer. Er war auch ein Mensch, der glücklich war, wenn er wusste, um was es ging und was er zu tun hatte. Oder war das etwas allgemein Menschliches? Der aufgekommene Gedanke erstickte wieder in Katsuyas Kopf, gefolgt von Leere.

Er spürte ein Nicken von Yamis Kopf, bevor dieser fortfuhr: „Der Verarbeitungsprozess besteht aus vier Phasen. Unglauben oder Verdrängung, Wut, Trauer und Resignation beziehungsweise Akzeptanz. Zuerst einmal will ein jeder das Böse oder Schlimme nicht wahr haben. Man sagt, es sei eine Lüge, übertrieben oder man verdrängt es ganz. Katsuya versucht sich gerade mit seinem ganzen Körper gegen diese Erinnerungen zu wehren. Allerdings hat er krankhafte Dissoziation, ähnlich wie du, daher verdrängt er es nicht sondern greift ungewollt nach dem stärksten Abwehrmechanismus, den er hat – normalerweise wäre das die Verdrängung, aber bei euch beiden ist es die Dissoziation. Er hat die Erinnerungen noch. Aber ich glaube ganz fest daran, dass er die Gefühle zu den Erinnerungen gerade nicht mehr hat. Die sind dissoziiert. Was du hier gerade siehst“ – Yami kniff ihn in die Seite, doch es folgte keine Reaktion – „ist ein dissoziativer Stupor.“

„Ja, da rein verfällt er, wenn er sehr angespannt war und sich dann sicher fühlt“ Seto betrachtete den Blonden nachdenklich. „Das ist das letzte Mal in den Herbstferien passiert. Warum hat er das?“

„Vielleicht, weil sein Kopf die extra Zeit braucht, um alles zu ordnen. Weil er nur Ruhe findet, wenn er sich in sich selbst zurück zieht. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, aber das wären so meine Vermutungen. Es gibt nicht viele Wissenschaftler, die bei Krankheiten nach dem Warum fragen“ Yami strich über Katsuyas Wange. „Aber meistens behält man ähnliche Muster bei. Genau das, was in den Herstferien passierte, passiert jetzt wahrscheinlich nochmal.“

„Heißt, er kommt heute Abend wieder raus und alles ist gut?“ In der Stimme schwang Hoffnung mit.

„Wenn dem so war, ja. Er könnte noch mehr solcher Stuporanfälle haben, aber solange sie weniger und kürzer werden und es ihm danach besser geht ... warum nicht. Im Zweifelsfall wird er aber einfach weiter machen, als wäre nie etwas geschehen. Auch Verdrängung ist im Endeffekt nur eine dissoziative Funktion unseres Gehirns – krankhafte Verdrängung nennt man dissoziative Amnesie.“

„Und ab wann wäre es krankhaft?“

„Sobald es ihn einschränkt, hat er einen krankhaften Verarbeitungsprozess. Das hier“ – Yami wies auf den an ihn Gelehnten – „ist krankhaft. So ist er nicht funktionsfähig. So ist er nicht zufrieden und lebensfroh. Aber wenn der Stupor vorbei ist und er wieder unser normaler Katsuya ist, ist er auf dem gesunden Weg.“

„Das ganze Ereignis oder die Gefühle daran zu verdrängen, das ist gesund?“ Setos rechte Augenbraue hatte sich stark gehoben, sodass sie seine Stirn in Falten legte.

„Am Anfang: Ja“ Yami unterbrach sich selbst, indem er einen Kuss auf Katsuyas Haar setzte. „Eine Vergewaltigung löst eine Menge Urängste aus. Bevor kein Gefühl der Sicherheit da ist, kann der Verarbeitungsprozess nicht weiter laufen. Daher sagte ich auch, es wird noch etwas brauchen, bis die Wut kommt.“
 

„Die Wut“ Die blauen Augen suchten einen Punkt irgendwo weit hinter Yami. „Ich hoffe doch, das wird ein größerer Teil des Verarbeitungsprozesses.“

„Möglich“ Eine längere Pause folgte, in der er Seto musterte. „Nach der Sache zwischen Katsuya und mir ...“ Beider Blicke trafen sich. Setos Lider leicht verengt, Yami mit gesenktem Kopf. „Nach dieser Sache hattest du auch einen Verarbeitungsprozess. Und du warst sehr wütend.“

Nach einem längeren Moment nickte Seto langsam.

„Es ... liegt in deiner Natur bisweilen sehr wütend zu werden. Katsuya eher nicht. Er ist selten wirklich wütend. Daher ist es möglich, dass er weit weniger wütend wird, als du es zu erwarten scheinst. Vielleicht wird er nicht einmal wütend ... vielleicht ist die Frage „Warum musste er mir das antun“ das einzige, was du je hören wirst“ Auch hier nickte Seto nach einem Moment bedacht. „Vielleicht wird er allerdings auch sehr wütend. Vielleicht wird er versuchen, Pegasus umzubringen oder umbringen zu lassen. Vielleicht wird er ihn im Gefängnis aufsuchen und anschreien. Solche Wutreaktionen auf Traumata entsprechen oft den normalen Wutreaktionen eines Menschen, aber manchmal ... manchmal werden sie unberechenbar. Aber ich denke, Katsuyas Reaktionen werden sehr milde bleiben.“

Auch hier nickte Seto erstmal langsam nach einiger Überlegung. Dieser Teil schien nicht einfach für ihn zu sein. Yami ließ ihm Zeit, bis er nachfragte: „Und wenn ... egal was für eine Reaktion kommt ... kommt die plötzlich? Hat die einen Auslöser? Einen Zeitpunkt?“

„Nein, die kommt ganz plötzlich. Manchmal haben solche Reaktionen einen Auslöser, aber oft auch nicht. Allerdings solltest du nicht versuchen, sie zu provozieren. Lass ihm die Zeit, die er braucht. Wenn bis Mitte Januar keine Wut gekommen ist, sollten wir vielleicht mit ihm reden, aber ansonsten weiß die Psyche sich meist selbst gut zu helfen.“

„Und wenn sie nicht kommt? Das schadet bestimmt, oder?“ Aus Setos Stimme sprach Sorge – er wollte auch wirklich jede Eventualität abdecken, oder?

„Die Reaktion kommt immer irgendwann. Im Zweifelsfall viele Jahre später. Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend Traumata erlitten und sie danach verdrängt oder dissoziiert haben, werden meist zwischen ihrem vierzigsten und sechzigsten Lebensjahr davon wieder eingeholt. Alles wird irgendwann verarbeitet. Nur wenige Menschen verarbeiten ihre Traumata nie.“

„Oh“ Seto schluckte hörbar. „Da wird Katsuya ja noch seine reine Freude mit mir haben ... und ich glaube auch nicht, dass er seinen Vater verarbeitet hat“ Seine Stirn legte sich in Falten. „Obwohl ... ich glaube, seinen Vater könnte er verarbeitet haben. Aber seine Mutter nicht. Nein ... nein, beide nicht. Sein Vater macht ihm noch immer Alpträume und seine Mutter lässt ihn vollkommen durchdrehen. Sie hat uns einmal hier besucht. Ich dachte, er jagt mir die Wände hoch.“

„Tja ... ihr habt euch beide nicht die unbelasteten aller Partner ausgesucht“ Yami seufzte tief. „Es ist nicht ungewöhnlich, wenn in der Verdrängungsphase verschiedene Dinge auftauchen ... Alpträume, plötzliche Angstattacken, plötzliche Tränen, plötzliche Erinnerungen ... und in euren Fällen plötzliche Dissoziationen.“

„Meine Dissoziationen haben stark nachgelassen“ Setos Stimme klang bizarr zufrieden. „Vor ein paar Monaten hatte ich ja noch mehrere am Tag. Jetzt habe ich fast gar keine mehr. Kleine, kurze Aussetzer während der Arbeit, manchmal kommt Klein-Seto raus in Katsuyas Nähe, aber ... sonst fast nichts.“

„Du hast auch genug anderes, was dich gerade beschäftigt. Wenn du jetzt Attacken bekommst, werden sie heftig“ Yamis Stimme enthielt leider nicht einen Funken Humor. „Was glaubst du, warum du ein Workoholic bist? Du lenkst dich selbst von dem ab, was in dir ist.“
 

Wäre Katsuya bei sich gewesen, wäre er aufgesprungen und hätte Seto umarmt. Hätte er auch nur einen Funken Kontrolle über seinen Körper gehabt, hätte er Yami zumindest beiseite stoßen können. So fiel er einfach nur nach links, da der warme Körper neben ihm über die Lehne des Sofas gerissen und zu Boden geschlagen wurde.

Zumindest stand keine Lampe und kein Tisch im Weg. Auf dem Boden war Teppich. Die Wand und das Bücherregal noch weit entfernt. Das stumpfe, hohle Aufschlagen des Kopfes, nur ansatzweise abgefedert durch die hoch gezogenen Arme. Das dumpfe Niederschlagen von Rücken und Beinen nach einer Rolle über sich selbst. Schließlich blieb der Körper reglos liegen.

Stille.

Ein schmerzerfülltes Einatmen, gemischt mit einem Stöhnen. Yami zog die Arme vor den Kopf, die Beine vor den Körper. Welch eine bekannte Position ... wie er damals. Wie er vor seinem Vater. Er wollte eine Hand nach Seto ausstrecken, aber zwei Arme zogen sich vor seinen Kopf.

Nach einem Moment des Nachdenkens schloss er, dass es wohl seine eigenen waren.

„Scheiße“, fluchte Seto, während er sich bewegte – von irgendwo vor Katsuya zu einem Punkt über ihn, „Yami, es tut mir Leid. Es ... bist du okay? Sag was ... Yami?“, fragte er etwas lauter, gefolgt von seinem schweren Atem, „Yami!“

„Drei Schritte weg“, flüsterte dieser.

Setos Schlucken konnte man bis zum Sofa hören. Das Rascheln seiner Kleidung bestätigte, dass er den Befehl befolgte. Er ging an Katsuya vorbei zum Fenster.

„Uuh“ Der Laut zog sich vom Fußboden in die Höhe. Wahrscheinlich richtete Yami sich auf. „Au ... scheiße ...“

„Kann ich dir etwas bringen? Aspirin?“ Schuld und Angst durchzog Setos Stimme.

„Niemals Aspirin bei Kopfverletzungen“, presste Yami zwischen aufeinander gedrückten Zähnen hervor.

„Ah, ja, stimmt, tut mir Leid, ich meine ... ähm ... Paracethamol? Oder Novalgin, das durfte man auch nehmen, richtig?“

„Novalgin.“

„Sofort“ Schritte folgten, schließlich das leichte Knacken der Treppe. Medikamente befanden sich oben im Badschrank.

Eine Hand auf Katsuyas Kopf ließ ihn zusammen zucken, aber sie legte sich nur auf sein Haar und strich darüber. Er konnte Yamis schmerzerfüllten Atem an der Lehne hören. Wahrscheinlich war er zum Sofa gerobbt.

Die Schritte entfernten sich zur Küche und näherten sich wieder. Setos Stimme war erschreckend nah, als er sprach: „Bitte. Noch etwas anderes? Eis?“

„Eine Zeitmaschine“, murmelte Yami, aber er hörte sich schon etwas besser an, „Hier.“

„Danke“ Die Stimme entfernte sich, also richtete sich Seto wahrscheinlich auf. „Bist du ... kannst du alles bewegen? Und spüren?“

„Mein rechter Arm kribbelt ... wird sicher wieder“ Yami stieß die Luft aus, was fast in ein Stöhnen überging, als er sich erhob. Er hob Kastuya an und legte dessen Kopf auf seinen Schoß, nachdem er sich gesetzt hatte. „Wird schlimmer unter Belastung ... sind meine Pupillen gleich groß?“

„Zur Zeit ja“ Seto machte ein schmatzendes Geräusch, bevor er die Luft einzog. „Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?“

„Passt schon“ An der Bewegung des Oberteils merkte Katsuya, dass Yami tief ein und aus atmete. Ihm wurde gewahr, dass keine Arme mehr seine Sicht versperrten. Er musste sie an irgendeinem Punkt wieder gesenkt haben. „Setz‘ dich. Keine schnellen Bewegungen, bitte.“

Seto folgte dem Befehl.

Reflektion

Da mein Bruder mich besucht, komme ich praktisch nicht zum Schreiben. Vom nächsten Kapitel steht weder Titel noch ein einziges Wort. Aber dieses hier habe ich rechtzeitig fertig bekommen ^.^

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Im Wohnzimmer herrschte Stille. Oder zumindest sprach keiner. Yami atmete tief ein und aus. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen. Die Situation schien surreal, gerade für Katsuya, für den alles, was er hörte, sah und fühlte gerade wie die Geschehnisse eines Films wirkten. Seto saß da mit gesenkten Kopf und wagte nur hin und wieder einen Blick zu ihnen hinüber.

Hatten sie wirklich vor nur fünf Minuten genau so hier gesessen und sich unterhalten?

„Es tut mir Leid“, flüsterte Seto schließlich in die Fast-Stille.

„Es tut dir immer Leid“, erwiderte Yami mit ruhigen, langsamen Worte, „Das hilft meinen rasenden Kopfschmerzen gerade auch nicht weiter.“

Seto ließ den Kopf weiter sinken und unterließ die Blicke in ihre Richtung, während die Stille erneut den Raum in Besitz nahm. Yamis linke Hand lag auf Katsuyas Haar. Die rechte auf seinem Oberarm, wo sie sich öffnete und schloss. Hoffentlich hatte Seto keine bleibenden Schäden angerichtet.

„Was hat diese Attacke hervor gerufen?“

„Ich weiß es nicht“, flüsterte Seto und sah nicht auf.

„Das trägt nicht gerade zu meinem Sicherheitsgefühl bei“ Yami atmete tief aus – sein Atem hatte sich so weit wieder beruhigt. „Du musst etwas gegen deine Aggressionen tun.“

„Ich ... ich könnte nur auf Benzodiazepine umsteigen. Gegen Angst und Aggressionen. Aber die machen abhängig und einen Alkoholrückfall ziemlich wahrscheinlich“ Seto legte die Arme um sich. „Es tut mir Leid, dass ich so ein Wrack bin.“

„Du bist kein Wrack. Du gibst dir sehr viel Mühe“ Yami schluckte. „Du hast weniger Aggressionen und Dissoziationen als früher. Nur – wie gesagt – heftigere.“

Diesmal blieb Seto sitzen. Katsuya konnte fühlen, wie die Anspannung von Yamis Körper nach einigen Momenten nachließ. Er hatte zwar wahrscheinlich mit keinem weiteren Anfall gerechnet – schließlich war Seto nach solchen Ausbrüchen ruhiger – aber jede Logik der Welt half nicht gegen das, was der Körper instinktiv dachte.

„Ich könnte ... gibt es etwas, was ich tun kann?“ Verzweiflung mischte sich in Setos Stimme. Seine Pose blieb dieselbe. Die Arme um sich gelegt, nach vorne gebeugt, den Blick zu Boden gesenkt.

„Es gibt Selbsthilfegruppen für Männer, die ihre ... Emotionen nicht immer unter Kontrolle haben. Möglicherweise solltest du mal eine aufsuchen. Dahin wird dir auch ganz sicher kein Reporter folgen.“

„Warum sicher?“ Seto hob seinen Blick.

„Weil es eine Gruppe von Männern mit Aggressionsstörungen ist. Es ... so etwas gibt einem eine gewisse Aura, vor der normale Menschen instinktiv zurückschrecken. So wie Leute vor dir instinktiv zurück schrecken.“

Setos Lider schlossen sich und sein Gesicht verzog sich, als hätten die Worte ihm physisch weh getan. Seiner Seele hatten sie bestimmt Schmerzen zugefügt. Es war nicht bestimmt nicht leicht, sich einzugestehen, dass man sich selbst nicht unter Kontrolle hatte. Dass man zu den Menschen gehörte, von denen man manchmal in der Zeitung las – die, die ihre Frau totgeprügelt hatten.

„Hilft das wirklich?“ Setos Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.

„Du hast Psychotherapie und Medikamente auf jeden Fall schon durch“ Die Hand, die auf Katsuyas Oberarm gelegen hatte, begann über diesen zu fahren. „Mein Gefühl kehrt zurück.“

Seto nickte nur langsam.
 

Sie hatten einige Minuten lang einfach nur still dagesessen, als Seto schließlich mit etwas festerer Stimme fragte: „Yami?“

Dieser machte ein bestätigendes Geräusch, ohne den Mund zu öffnen. Der eine Arm hing schlaff auf Katsuyas Oberkörper, der andere hatte mit seinen Haarsträhnen gespielt.

„Wenn diese Ängste … und Wutausbrüche … und meine Schlafstörungen“ Seto leckte über seine Lippen. „Wenn das … Übergangssymptome sind, bis ich mit der Verarbeitung beginne“ Er sah auf und fuhr erst fort, als Yami genickt hatte. „Dann wäre der nächste Schritt bei mir Wut, richtig?“ Erneut ein Nicken. „Heißt das … werde ich noch schlimmer? Noch aggressiver?“

In Setos Augen stand Schmerz. Die Augenbrauen zusammen gezogen, die Stirn in Falten, die Lider leicht gesenkt. Die blaugrauen Augen glänzten mit Tränen, die sich nicht hervor wagten. Das tiefe Heben und Senken seiner Brust hatte gestoppt.

Yami schüttelte den Kopf. Als er zu sprechen begann, hatte seine Stimme eine Menge der Härte verloren, die sie nach dem Schlag bekommen hatte: „All diese Symptome kommen aus einer inneren Grundspannung. Du reagierst viel heftiger und viel schneller auf Dinge als andere Menschen. Aber du weißt selbst, dass diese Spannung mit der Zeit immer mehr nachlässt. Damals … da konntest du dich ja fast gar nicht kontrollieren. Denk an deine Reaktionen, wenn ich dich im Kartenspielen besiegte. Vergleiche dein damaliges Ich mit heute. Es wird besser. Wenn ich von diesem Einholen spreche, dann ist das kein plötzlicher aggressiver Ausbruch. Bei Frauen kommt oft eine Depression, bei Männern eine Suchterkrankung. Beides beruht auf einer tiefen, inneren Unzufriedenheit. Wenn deine Alkoholgelüste irgendwann ohne jeden Grund stärker werden, dann bahnt sich irgendetwas an, was verarbeitet werden will. Wenn du dann eine Therapie machst, dann wird dein Therapeut dich durch diese Phasen führen. Durch die Wut, die Trauer und das endgültige Akzeptieren.“

„Woher soll ich denn wissen, was sich dann anbahnt? In meinem Leben ist so viel Scheiße … ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte“ Seto wandte den Blick ab. „Und es gibt Erinnerungen, die will ich nicht berühren … Menschen, an die will ich mich nicht erinnern.“

„Eines nach dem anderen, Seto“ Yami seufzte leise. „Du fängst mit dem an, was wehtut, aber was du ertragen kannst. Es muss kompliziert, aber möglich sein, darüber zu reden.“

„Allein der Gedanke an eine Therapie macht mir Angst“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich weiß, früher oder später würde es an Dinge gehen, die ...“

„Ich weiß, Seto“ Aus Yamis Ton konnte man sein Lächeln hören. „Du hast all das nie verarbeiten können. Katsuyas Eltern sind für ihn genau so. Würden wir ihn allein lassen, würde auch die Vergewaltigung irgendwo in ihm versinken. Das tut sie auch, wenn wir zu schnell sind. Darum nimm ihn bitte so, wie er ist. Er wird seinen eigenen Weg gehen.“

„Meinst du, er wird je wieder mit mir schlafen können?“

„Bestimmt“ Yami legte die Arme um Katsuyas Oberkörper und zog ihn in eine sitzende Position. „Er ist stark. Er wird nicht vor den Erinnerungen davon laufen wie wir zwei feige Hühner. Er wird das verarbeiten“ Die Mundwinkel sackten ein kleines Stück ab. „Aber es wird ein paar Wochen dauern. Vielleicht sogar ein paar Monate. Schaffst du das?“

„Sein Nein zu akzeptieren?“ Es herrschte einen Moment Stille. „Wenn nicht, dann kann ich mit mir selbst nicht leben. Auf das Niveau werde ich nie sinken.“
 

„Du hast dich verändert“, bemerkte Yami mit einem Lächeln.

„Ich war vielleicht nicht gerade nett, aber ich habe nie“ Seto stoppte sich selbst, als Zweifel in seinen Augen aufblitzten. „Ich habe dich nie gezwungen … richtig?“

„Nein, natürlich nicht. Entschuldige, das meinte ich nicht“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn früher ein Problem aufkam, dann hast du als Erstes abgeblockt. Dass man nichts von dir erwarten darf, dass du keine Versprechen geben wirst, dass du zu nichts verpflichtet bist … keinem einzigen Wort aus deinem Mund konnte man trauen. Manchmal warst du nett und einfühlsam, aber kaum entspannte man sich, da wurdest du wieder zu Eis“ Yami senkte den Blick. „Mein eiskalter Drache, der nur in seiner Wut seine Kälte verlor. Du hast mich beleidigt, mich nieder gemacht, mich geschlagen, meine Wohnung zerstört, meinen Körper benutzt wie es dir gerade passte … du warst genau das, was ich glaubte, zu verdienen. Zu jener Zeit.“

„Atemu“ Setos Lider schlossen sich.

„Der war ich im Herzen. Der, der glaubte, das zu verdienen. Yami war nur meine Hülle. Der, der glaubte, damit glücklich zu sein. Guter Sex, keine Bindung, keine Nachteile außer ein paar blauer Flecken, wenn du mal wieder zu fest zupacktest.“

„Es tut mir Leid“ Der Brünette senkte den Kopf.

„Das braucht es nicht. Ich wusste, auf was ich mich mit dir einlasse. Ich wusste, es würde schmerzhaft werden. Körperlich wie seelisch. Ich wusste, dass ich für dich mehr ein Ding als alles andere war und genau das brauchte ich zu jener Zeit. Katsuya weckte in mir das Gefühl, etwas wert sein zu können. Er machte mir Hoffnung. Ich konnte nicht mit Hoffnung leben, das hätte ich … das konnte ich nicht. Ich brauchte dich. Diesen Mensch, der du damals warst.“

Seto sah wieder auf. In seinen Augen stand noch immer Schmerz, doch die Falten auf seiner Stirn hatten sich geglättet. Mit einem Seufzen ließ er den Blick über Yamis Schulter in die Ferne gleiten und sprach: „Ich wollte nicht gemocht werden. Ich hatte Angst davor. In … in Yugi erkannte ich einen Menschen, der mich mochte, egal, wie sehr ich mich wehrte. Und in Katsuya … ich wollte geliebt werden. Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich ein Mensch sein, der es wert ist, geliebt zu werden. Ich wollte alles sein, was er braucht. Das Beste, was ich sein kann. Ich habe aus mir selbst jemanden gemacht, von dem ich glaubte, er könnte Katsuya verdienen“ Die Lider fielen zu und das Gesicht verzog sich in Schmerz. „Ich habe einen fehlerhaften, schwachen Menschen geschaffen. Dieses Wesen hat es zugelassen, dass das alles passiert ist. Wäre ich nicht, wer ich jetzt bin, hätte ich keinen Glauben an das Gute. Ich hätte Pegasus Auftauchen als die Gefahr wahrgenommen, die er darstellte. Ich hätte mich nicht so verschuldet, wie … wäre ich nur geblieben, wer ich war.“

„Dann hättest du nie Liebe erfahren“ Yami hatte seinen Blick auf Seto gerichtet und schien ihn mit seinen ausdrucksstarken Augen durchbohren zu wollen. „Katsuya war vielleicht angezogen von dem Mysterium und der Gefahr, die du darstelltest, aber verliebt hat er sich in deine Sanftheit und deine Verletzlichkeit. Heute liebt er dich für diese Eigenschaften, die du als Schwäche darstellst. Willst du den Menschen, der er liebt, wirklich verdammen und auslöschen?“
 

Seto suchte einige Sekunden nach einer Antwort, bis er schließlich zu Katsuya nickte und fragte: „Hat er das verdient?“

„Nein.“

„Ich hätte es ihm ersparen können. Hätte ich nicht alle Vorsicht in den Wind geschossen und mich in ihm verloren, hätte ich ihn davor bewahren können. Sag mir also, wie kann das, was ich tat, auch nur ansatzweise richtig sein?“

Katsuya spürte Tränen in seinen Augen. Er wollte zu Seto. Er wollte die Hand nach ihm ausstrecken. Er wollte nicht hier liegen und all das nur hören. Er wollte seinen Freund anschreien, was für einen Mist er da redete. Er wollte ihn schlagen, ihn küssen, ihn anflehen. Seto glitt ihm aus den Fingern und er konnte nichts tun, da sein verdammter Körper ihm nicht gehorchte. Er befahl seinem Gesicht zu funktionieren. Seinen Händen. Sein Körper war da, um ihm zu gehorchen. Er hatte keine Zeit, hier rum zu liegen.

„Für dich gibt es nur Gut und Schlecht. Es gibt nichts dazwischen. Glück ist für dich Sicherheit. Gefühle bedeuten dir erst seit kurzem etwas“ Yami sprach mit fester, vollkommen überzeugter Stimme. „Aber für Katsuya sind seine Gefühle das Wichtigste. Wenn er wählen könnte zwischen den vier Monaten mit dir und der Vergewaltigung, er würde sie eher nochmal durchmachen, als dass nicht zu haben, was zwischen euch war und ist“ Die Hand legte sich auf Katsuyas Schulter – ob im Schutz oder um ihn im Liegen zu halten, war kaum zu sagen. „Kannst du das verstehen? Oder zumindest akzeptieren?“

„Ich verstehe das nicht“, gab Seto zu.

„Deine Zuneigung bedeutet ihm mehr als der Schmerz, mit dem er jetzt lebt. Deine Unterstützung und Liebe wiegen schwerer als die Angst und der Hass, die durch seinen Körper peitschen. Ich sage das jetzt an seiner Stelle, aber frage ihn ruhig, wenn er wieder bei uns ist. Ich kenne ihn. Das ist es, was er denkt.“

„Aber … er … er hat noch nie etwas in die Richtung gesagt“ In Setos Stimme schwang die verzweifelte Hoffnung, dass Yamis Worte nicht wahr waren, mit.

„Seto, das kommt daher, dass das für die meisten Menschen selbstverständlich ist. Du verstehst einfach die meisten Selbstverständlichkeiten nicht“ Yami hob beide Hände. „Das ist nicht böse gemeint. Dein Kopf arbeitet einfach anders als der der meisten Menschen. Und während Katsuya auch hochbegabt ist, ist er dabei vollkommen sozial tauglich. Du wiederum bist für die meisten Menschen einfach unverständlich.“

„Auch, wenn ich nett bin?“ Setos Stimme hat plötzlich etwas Helles, Jugendliches.

„Auch dann. Genau so, wie du sie nicht verstehst, verstehen sie dich nicht. Das ist, als würden zwei Kulturen aufeinander treffen. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen und Moralsätze und diese unterscheiden sich teilweise drastisch. Genau so drastisch unterscheidest du dich von den meisten Menschen um dich herum.“

„Oh … versteht Katsuya mich auch nicht?“

„Er gibt sich Mühe“ Ein Lächeln legte sich auf Yamis Lippen. „Genau wie ich, seit ich weiß, wie völlig anders du tickst.“

Katsuya beobachtete Setos Mimik so genau wie möglich – er hatte sich leider aus seinem Stupor nicht befreien können. Wenigstens konnte er wieder halbwegs denken. Glaubte er zumindest, bis er mit völligem Unverständnis beobachtete, wie Seto begann, breit zu lächeln.

Tabletten

Sorry für die Verspätung, zur Zeit ist der Wurm drin. Alles schwankt zwischen zu viel und nichts zu tun. Irgendwie kein schönes Arbeitspensum. Ich bin ganz dankbar für den Feiertag und hoffe, ihr genießt ihn auch.

Sommerferien sind für die meisten schon wieder vorbei, oder?

Zu diesem Kapitel: Bitte probiert nie einfach irgendwelche Psychopharmaka, die euch nicht vom Arzt verschrieben wurden. Nicht einmal auf Empfehlung von irgendwem halbwegs kompetenten. Niemals! Macht Katsuya bitte bloß nicht nach.
 

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Katsuyas Dissoziationen hielten vorbildlich durch. Nicht nur war Yami gezwungen, Seto irgendwann Abendessen zu kochen – was er dank fehlender Kaubewegungen nicht einmal probieren konnte – nein, auch musste Seto ihn ins Bett zu tragen. Das Schlimmste war, dass Seto ihn zwischendurch sogar auf Toilette hatte bringen müssen.

Rein logisch wusste Katsuya, dass er an einem Punkt war, an dem er nie hatte ankommen wollen. So sehr seine Dissoziation ihm manchmal halfen, sie waren an einer Stelle angelangt, wo er sie nicht mehr dulden wollte. Nicht, wenn sie ihn dabei behinderten, normal zu leben. Nicht, wenn sie ihm verbaten, sich mit seinen eigenen Problem auseinander zu setzen. Er war zwar völlig weg gewesen und hatte Yamis Worte gehört, doch nicht verstanden, aber eins wusste er: Er wollte damit fertig werden.

Er wollte nicht hilflos rumliegen.

Er wollte keine Alpträume, keine Wutausbrüche, er wollte keine Angst davor haben, aus dem Haus zu gehen. Er wollte keine Angst davor, berührt zu werden.

Mit einem klaren Ziel vor Augen, doch immer noch unfähig auch nur einen Finger zu rühren, schlief Katsuya ein. Beschützt von Setos Armen, das stetige Heben und Senken seiner Brust unter dem Ohr, warm unter der Decke brauchte es nur achtundvierzig Minuten, bis er um sich schlagend und tretend wieder erwachte.

Seto quittierte es mit dem Kommentar, dass er sich zumindest wieder bewegen konnte. Katsuya schlug ihn dafür mit einem Kissen und schlief einen Meter von Seto entfernt. Zweieinhalb Stunden sogar, bis er leise weinend zurück in Setos Arme robbte, den er diesmal wenigstens nicht geweckt hatte. Das tat er dafür weitere zwei Stunden später. Und noch einmal um kurz vor sechs, wo sie beide entschieden, dass sie vielleicht so etwas wie einen Mittagsschlaf einplanen sollten.

„Ich bin froh, dass wir beide frei haben“, murmelte Seto mit wirklich müder Stimme über einem Becher Kaffee.

„Ja? Habe ich die richtige Zeit ausgesucht, um mich vergewaltigen zu lassen?“, blaffte Katsuya ihn an, doch drehte noch im selben Moment den Kopf weg, „sorry … ich habe wirklich schlecht geschlafen.“

„Das hoffe ich“ Seto rieb sich die Nasenwurzel.

„Was?“, zischte der Blonde.

„Dass es nur das ist. Yami hat mir das alles erklärt und … nun, ich glaube, deine Wutphase wird nicht gerade einfach. Also wäre es wohl gut, wenn ich mich bis dahin wieder unter Kontrolle habe. Ich versuche mein Bestes, aber mir schießen andauernd böse Worte in den Kopf, die ich runter schlucken muss.“

„Zum Beispiel?“ Katsuya fuhr sich selbst über die Augen.

„Nichts, was ich ernst meinen würde. Haltlose Vorwürfe, Anschuldigungen, Beleidigungen … es ist gerade verdammt schwer, den verständnisvollen Partner zu geben“ Er stellte den Kaffee ab. „Sorry, das hörte sich scheiße an. Kannst du das bitte vergessen?“

Katsuya, dem die Verletzung ins Gesicht stand, nickte langsam. Seto spielte ihm also den guten Partner vor, ja? Interessant, was so aus seinem Mund kam, wenn er sich nicht unter Kontrolle hatte. Arschloch.
 

„Ich versuche es nochmal … ich bin sauer“ Ach ne, welch eine Erkenntnis. „Auf mich selbst. Ich fühle mich schuldig und hilflos, da hat Yami vollkommen recht. Das Gefühl macht mich krank. Ich will am liebsten zum Gefängnis fahren und Pegasus persönlich erschießen. Keine Sorge, mache ich nicht“ Er hatte in Abwehr eine Hand gehoben. „Ich kann an nichts und niemandem meine Wut auslassen. Nicht einmal an mir selbst. Also sucht sie sich das nächstbeste Opfer und das bist du.“

Katsuya schluckte. Das hörte sich nicht gut an. Gar nicht gut.

„Aber ich will dir nichts tun. Weder physisch noch psychisch. Du bist der Letzte, der hier Schuld an irgendetwas hat. Ich weiß, dass ich die Worte in meinem Kopf nicht meine. Ihr einziger Sinn wäre, dich zu verletzen. Ich muss mich unglaublich zusammen reißen, um sie nicht zu sagen. Ich habe das Gefühl, dass jeden Moment etwas wirklich Böses aus meinem Mund kommen könnte“ Die blauen Augen suchten Katsuyas Blick. „Und du weißt, dass ich sehr böse Sachen sagen kann.“

„Fraglos“ Katsuya zog die Beine an und stellte die Füße auf die Stuhlkante. „Irgendetwas, was du meinst, aber nicht sagst?“

„Wie? Oh“ Seto vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Nein, nicht wirklich. Ich liebe dich. Ich will dir nicht wehtun. Ich will mir wehtun, weil ich so unheimlich bescheuert bin.“

„Krieg dich ein, du kannst nichts dafür. Du bist genauso wenig schuld wie ich“ Katsuya sah auf und bemerkte, dass sich Seto ob der Worte verspannt hatte. „Wir sollten nicht über so etwas reden, wenn wir müde sind.“

„Wahrscheinlich“, stimmte der andere zu.

Einen Moment lang nippten sie beide an ihren Getränken, bevor Katsuya doch nachfragte: „Willst du dir wirklich etwas antun?“

„Ich glaube, ich habe versprochen, es nicht zu machen“ Seto drückte den leeren Kaffeebecher von sich weg. „Oder weniger. Oder so. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich es nicht tun soll.“

„Du hast versprochen, nichts zu tun, was uns trennen könnte. Also darfst du weder Pegasus noch dich umbringen“ Katsuya legte die Arme um seine Beine. „Und auch nichts, was Herrn Sarowski glauben lässt, ich sei hier nicht glücklich.“

„Shit“ Seto seufzte.

„Was?“

„Dein Handy“ Er richtete sich auf. „Herr Sarowski meinte, er halte das hier für gut für dich und wird nicht weiter vorbei kommen. Er wollte dich anrufen, um dir zu sagen, dass er aber weiter dein Ansprechpartner ist, falls irgendetwas sein sollte.“

„Ruf ihn an und sag ihm, ich hätte mein Handy verloren“ Eine blonde Augenbraue hob sich. „Das passiert Jugendlichen andauernd. Warum nicht auch mir?“

„Hm … stimmt“ Seto sank wieder in sich zusammen. „Ich bin zu müde zum Denken.“
 

„Du könntest schlafen gehen“, schlug Katsuya nach einer halben Ewigkeit vor, die sie einfach nur schweigend verbracht hatten, „du hast schließlich keine Alpträume.“

„Ach, habe ich die nicht?“

Sie starrten sich einen Moment lang gegenseitig in die Augen, bevor Katsuya den Blick abwandte. Das war dumm gewesen. Normalerweise war Seto der, der nicht schlafen konnte. Nur weckte er Katsuya damit nicht.

„Ich packe meine Sachen und gehe trainieren, ja? Danach bin ich zum einen wacher und zum anderen weniger sauer.“

„Vögel keine Fremden in der Sauna oder den Duschen“, warf Katsuya nur ein und setzte sich bequemer auf den Stuhl.

„Im Trainingsraum ist erlaubt?“ Ein schiefes Grinsen legte sich einen Moment lang auf Setos Gesicht. Katsuyas Blick tötete den Ausdruck jedoch. „Vertraust du mir so wenig?“

Tat er das? Katsuya überlegte kurz. Er hatte es nur im Scherz gesagt, aber woher waren die Worte gekommen? Machte ihm das Angst? Jetzt, wo er … wo er nicht in der Lage war … scheiße! Darüber wollte er nicht einmal nachdenken. Seto würde nicht … würde er nicht, oder? Er hatte es versprochen. Aber in seiner letzten Wut – okay, das war wegen Yami, aber trotzdem – hatte er es auch mit anderen getrieben. In ihrem Bett. In Katsuyas Anwesenheit!

„Du baust regelmäßig Scheiße, wenn du wütend bist“ Seine Lider verengten sich. „Das letzte Mal war bescheiden genug.“

„Da habe ich mich ja auch nicht zurückgehalten, dir weh zu tun!“ Mit einem Mal stand Seto und schlug mit einer Hand auf den Tisch. „Für wen mache ich das hier eigentlich?“ Er stürmte an Katsuya vorbei in Richtung Treppe. „Fahr doch zur Hölle.“

„Geh und fick irgendwen, der drauf steht!“ Die zweite Gemeinheit, die seinen Mund verlassen hätte, wurde allerdings von einem Schluchzen erstickt. „Scheiße ...“

Er wollte das nicht … er wollte das alles nicht sagen. Warum tat er das? Genau so musste es Seto gehen. Kein Wunder, dass er weg wollte. Ihm doch egal, ob er Katsuya damit allein zuhause ließ. Die Tränen ließen Katsuyas ganzen Körper erbeben, sodass er nicht hörte, wie sich ihm Schritte näherten.

Er fuhr zusammen und fiel seitlich vom Stuhl in einem Versuch, vor seinem Angreifer wegzukommen, bevor er realisierte, dass Seto nur sein Haar geküsst hatte. Mit weit aufgerissenen Lidern starrte er nach oben.

In den blauen Augen stand Schmerz, bevor Seto diese schloss. Die Stirn in Falten, die Lider zugekniffen, das ganze Gesicht verzogen in stummer Agonie. Wortlos wandte Seto sich ab und verließ den Raum.

Katsuya sah ihm einen Moment lang stumm hinterher, bevor er erneut die Beine anzog, die Arme darum legte und den Kopf gegen seine Knie drückte. Das Schluchzen erfasste ihn nur Sekunden später. Währenddessen wippte er monoton vor und zurück.

„Katsuya?“, fragte eine Stimme sanft.

Es musste Seto sein, aber ehrlich gesagt war Katsuya das gerade scheißegal, solange er nur in Ruhe gelassen wurde. Er versuchte allerdings leiser zu schluchzen.

„Schatz, du bist völlig fertig“ Seto strich über seinen Rücken – Katsuya verstummte. Nicht wegen der Berührung. Eher wegen der Anrede. „Ich habe eine Schlaftablette geholt. Nimm sie und dann packe ich dich zurück ins Bett, ja?“

Noch immer sprachlos sahen die braunen Augen über die Knie hinweg auf. Er wehrte sich nicht, als Seto ihn an einem Arm hochzog und ihm eine Tablette in die eine und ein Glas Wasser in die andere Hand drückte.

„Das hilft?“, fragte der Blonde kleinlaut.

„Ich hoffe. Es ist ein bisschen gefährlich mit deiner Alkoholvorgeschichte, aber da du damit so wenig Probleme hattest, glaube ich nicht, dass du plötzlich auf dieses Zeug eine Abhängigkeit entwickelst. Und du brauchst sie wirklich.“

„Ist das eine von denen, die für dich zwar gut wären, aber die du nicht nehmen darfst, weil du dann vielleicht rückfällig wirst?“

Seto nickte nur.

Na ja … Versuch war's wohl wert.
 

Und was für ein Versuch das war!

Es dauerte einige Momente – wahrscheinlich Minuten – aber nach und nach löste sich die Anspannung. Die Wut, die Angst, alles floss irgendwie aus ihm hinaus. Es war zwar kein Kick, aber es kam einigen der Drogen, die er früher genommen hatte, äußerst nahe. Es war einfach nur … es war wie zurück im Sommer.

Die Wut, dass man ihn hatte sitzen lassen. Die Angst, es nicht zu schaffen. Die Furcht, doch noch zu fliegen. Sorgen über das neue Jahr. Der Hass auf seinen Vater. Am liebsten hätte er alles ertränkt und auf Wolken von sich weggeschoben. Aber er hatte nicht genug Geld für Drogen oder Alkohol gehabt. Er hatte ein paar Sachen gestohlen, hatte von anderen geschnorrt, hatten selbst seinem Vater Flaschen weggenommen – nicht für dessen Wohlergehen, nein, für sich selbst.

Dieses Bild von ihm bedeutete Elend. Versagen. Es war kein Problem gewesen, das wegzuschieben und ein neues Leben zu beginnen. Er hatte einfach nie wieder so am Ende sein wollen. Alkohol und Drogen passten nicht in sein neues Leben. Diese Tabletten wiederum … ja, er verstand die süße Verlockung. Die einfach öfter zu nehmen. Kein Wunder, dass Seto dabei Angst vor dem Rückfall bekam.

Sie waren auch süßes Nichts. Vergessen. Einfach nicht mehr zu sein.

Oder doch zu sein, aber in einer angenehmen und schönen Welt. Er hatte zwar keine Halluzinationen oder Glücksgefühle wie von einigen anderen Drogen, aber ohne diese Anspannung schien die Welt bei weitem nicht so schlimm zu sein.

Da war Seto. Sein warmer Körper. Sein tiefer Atem. Es war schön, an seiner Seite zu sein. Angenehm entspannt und frei von Sorge … Katsuya küsste sanft seinen Hals. Ein warmes, weiches Bett und starke Arme, die ihn hielten. Wäre er eine Katze, würde er sich schnurrend räkeln. Das alles schien so schön wie selten nicht. So unheimlich angenehm. Er wollte für immer hier bleiben. Sicher in Setos Armen auf dieser Wolke aus Wohlbefinden.

Seto …

„Schlaf“, murmelte dieser und strich weiter über Katsuyas Haare und Haut, „schlaf ein ...“

„Will nicht“, gab Katsuya in einem ähnlichen Ton zurück, „will dich.“

„Ich bin hier. Ich gehe auch nicht weg, versprochen. Ich versuche auch, noch ein wenig zu schlafen“ Ein Kuss wurde auf Katsuyas Stirn gesetzt.

„Nicht schlafen … mit dir schlafen.“

Ein kleiner elektrischer Schock schien durch Seto zu gehen, sodass er ein Stück von Katsuya weg rutschte. Dieser robbte nur hinterher, drückte sich erneut an den Körper und küsste das nächste Stück Haut, dass er finden konnte.

„Katsuya“ Die Stimme klang ernst, kalt, sogar ein wenig alarmiert. „Du stehst unter Drogen. Ich werde so nicht mit dir schlafen. Hast du das verstanden?“

„Will aber“ Katsuyas Hand fuhr Setos Seite hinab zu den Boxershorts, die er als einziges noch trug. Sie schlängelte sich unter dem Band her. „Will dich.“

Mit einem Seufzen zog Seto die Hand wieder hervor, drückte sie gegen Katsuyas Körper und rutschte von diesem weg. Ganz. Er verließ das Bett. Katsuya sah ihm halb schläfrig, halb sehnsüchtig hinterher, während Seto die Decke um ihn enger zog und ihn so einpackte.

„Schlaf ein wenig. Ich fahre trainieren. Ich bin in zwei Stunden wieder da.“

Was die Tabletten nicht aufsaugen konnten, war das Gefühl der Einsamkeit, das zurück blieb.

Unliebsame Wahrheit

Entschuldigt bitte die Verspätung. Mir ging es in letzter Zeit irgendwie nicht so überragend, aber jetzt ist alles wieder gut :) Voller Elan habe ich mich ins Schreiben gestürzt und das Kapitel für nächste Woche ist auch fast fertig (und da geht es heiß her...)

Ich wünsche erst einmal viel Spaß mit diesem Kapitel ^.^ Erschreckt nicht über die Medikamentennamen, wenn ihr sie nicht kennt, umso besser.
 

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Katsuya blinzelte die verklebten Augen auf, als er eine Hand durch sein Haar fahren spürte. Mit einem Geräusch irgendwo zwischen Murren, Knurren und Stöhnen drehte er sich auf den Rücken und verfolgte die Hand über den Arm bis zu dem entsprechenden Gesicht. Seto roch ganz leicht nach Minze.

„Hey … soll ich dich schlafen lassen? Unsere Gäste kommen bald.“

„Njei … nen“ Katsuya griff nach dessen Taille und zog sich auf seinen Schoß, „Bleib ...“

„Und wer begrüßt dann die Gäste?“, fragte der Andere mit Amüsement in der Stimme nach.

„Keine Gäste“, murmelte er.

„Jetzt vielleicht nicht, aber sie kommen in den nächsten Minuten“ Seto kraulte ihm trotzdem durchs Haar, „Soll ich dich schlafen lassen?“

„Nein“, erklärte er mit etwas festerer Stimme, „aber erst gleich.“

„Gleich schlafen lassen?“

Dafür drehte sich Katsuya auf dem Schoß und schnappte nach der Hand, die ihn kraulte. Natürlich erwischte er sie nicht, schließlich bewegte er sich in kaum mehr als Schneckentempo. Aber er fühlte sich unerwartet gut – was zwei, drei Stunden Schlaf doch ausmachen konnten. Er rieb mit der Wange an Setos Bauch. Dieser hob einfach nur seinen weiten Baumwollpullover und ließ ihn Katsuya aufs Gesicht fallen, der sich sofort gegen die warme Haut gedrückt hatte. Der Blonde atmete einfach nur tief ein und sog den warmen Geruch von Seto und Minze in sich auf. Die ganze Haut duftete danach … wahrscheinlich ein neues Duschgel.

„Soll ich dich wachkitzeln?“

„Böse!“, maulte Katsuya von unter dem Pullover her. Er versuchte in Setos Bauch zu beißen, nur leider war der zu gut trainiert dafür. Mit ein bisschen Bewegung auf dessen Schoß schaffte er es, ihn zumindest in die Seite zu beißen.

Irgendwie schien das nicht den gewünschten Effekt zu haben. Seto lachte nur. Katsuya zog die Umarmung zu, als wolle er Setos Bauch erwürgen – das machte aus dem Lachen zumindest ein Husten. Grinsend zog er den Kopf wieder unter dem Pullover hervor.

„Na, langsam wach?“

„Langsam, sicher“ Dieses Gefühl von Angst, Unsicherheit und Anspannung, dass ihn seit Tagen zu begleiten schien, dimmte sein Lächeln, aber zum Glück nicht das Wohlgefühl, dass Seto wieder da war. „Legst du dich zu mir?“

Der Ältere griff unter seine Arme, zog ihn zu sich hoch und legte sie beide zurück auf das Bett. Mit Sorgfalt schlang er die Arme um Katsuya und zog ihn an sich, bevor er sagte: „Es tut mir Leid, dass ich dich vorhin einfach liegen gelassen habe.“

„Huh?“ Katsuya blinzelte. „Oh … ich kann mich nicht mehr so ganz dran erinnern. Ich glaube, ich war traurig. Aber ich bin kurz darauf eingeschlafen. Kann nicht so schlimm gewesen sein.“

„O... kay. Wenn du meinst“ Seto strich ihm über die Wange, bevor sein Blick nachdenklich in die Ferne schweifte.
 

„Na, alles noch dran?“ Yami trat ein und umarmte Katsuya mit einem Arm.

„Alles wieder dran“ Er schloss die Tür und nahm dem Anderen die Tasche ab. „Gestern war echt hart. Das will ich nie wieder. Das war … zu heftig.“

„Ja“ Yami schlüpfte aus seinen Schuhen und folgte ihm in die Küche. „Ich war auch etwas überrascht. So was Heftiges kenne ich bei dir sonst gar nicht. Ich bin froh, dass Seto sich so gut um dich kümmert.“

Katsuya lächelte nur und nickte.

„Wie geht es dir jetzt?“ Er stellte den Kuchen in den Kühlschrank.

„Setz' dich doch erstmal, bevor du mit Fragen ins Haus fällst“ Katsuya legte eine Hand auf Yamis Haar, welcher dieser heute ungestylt trug. Es sah … erstaunlich normal aus. Erstaunlich menschlich.

„Du weißt doch, ich bin ein Sorgentier“ Der Andere zuckte mit den Schultern und ließ sich auf einen Stuhl nieder. „So, ich sitze.“

Es rang Katsuya ein müdes Lächeln ab, bevor er antwortete: „Ich weiß auch nicht. Alles ist so wirr. Ich hatte unendlich viele Alpträume diese Nacht. Dann war ich sauer und gereizt und jetzt … jetzt geht es mir fast gut. Okay, Seto hat mir eine Tablette gegeben, kann daran liegen, aber … gerade will ich einfach nur, dass es genau so bleibt. Ich will nicht wieder absacken.“

„Was würde dich wieder absacken lassen?“ In Yamis Stimme klang die Sorge in jedem Wort mit. Während er bei Seto fast emotionslos sprach, war er bei ihm immer sehr gefühlvoll. Irgendwie war das schöner.

„Keine Ahnung. Alles. Die Erinnerung. Bakura. Ryou. Ich weiß es nicht … ich habe das Gefühl, ich stehe auf einem Seil und könnte jederzeit fallen.“

„Was passiert, wenn du fällst?“

Katsuya, der sich auch gesetzt hatte, stand wieder auf und begann, auf und ab zu gehen. Er durfte sich nicht entspannen. Wenn er sich entspannte, war da dieses schwarze Loch, was ihn einsaugen wollte. Das wäre, sich fallen zu lassen. Los zu lassen. Sich einsaugen zu lassen. Er erwiderte: „Schlimmes. Anspannung. Angst. Wut. Tränen und Dissoziationen. Ich weiß es nicht. Ich will da nicht hin. Ich will nicht daran denken. Ich will nicht darüber reden.“

„Früher oder später wirst du dahin müssen“ Yami erhob sich und ging zum Türrahmen hinüber. „Schaffst du den Besuch von Bakura und Ryou?“

Bakura und Ryou? Ja, das Kaffeetrinken. Sie waren eingeladen. Sie würden gleich kommen. Katsuya wollte nicken, aber es kam keine Bewegung zustande. Er schluckte, schloss die Lider, atmete tief durch und nickte schließlich doch.

„Wenn es dir zu viel wird, kannst du dich entschuldigen und etwas hinlegen. Das wird dir keiner übel nehmen“ Yami beobachtete ihn von der Tür aus, obwohl er mit dem Körper dem Flur zugewandt war.

„Ich-“ Brauche das nicht? Bin nicht zerbrechlich? Katsuya schloss den Mund einfach wieder. Am liebsten wollte er wegrennen und weinen, dabei war noch nicht einmal etwas passiert. Ob er wohl noch so eine Tablette bekommen konnte? Noch vor fünf Minuten hatte er sich viel besser gefühlt.
 

„Hi, Yami“ Seto drückte sich an diesem vorbei in die Küche. „Habe ich was verpasst?“

„Ich habe nur festgestellt, dass Katsuya sehr angespannt ist“ Yami lächelte, drehte sich um und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Was hattest du ihm heute morgen gegeben?“

„Äh … Midazolam“ Seto bereitete die Kaffeemaschine vor.

„Midazolam … warte mal … ist das nicht Dormicum?“ Yamis Stirn hatte sich in Falten gelegt. „Ist es?“

Seto gab keine Antwort.

„Seto?“ Er stieß sich vom Türrahmen ab. „Hast du Katsuya Dormicum gegeben?“

„Es ging ihm wirklich schlecht, weil er nicht schlafen konnte“ Seto stützte einen Arm gegen seine Hüfte und wandte sich halb zu dem Anderen um. „Die Situation heute morgen war … ein wenig gefährlich.“

„Seto, ihn mit Drogen abzuschießen, ist keine Lösung“, zischte Yami und sah zu Katsuya, „Kats, würdest du uns bitte einen Moment allein lassen? Ich muss mit Seto reden.“

„Die Tablette tat gut. Mittlerweile ist die Wirkung zwar verflogen, aber vorhin ging es mir gut“, erklärte er und machte mit den Händen eine Bewegung nach unten, um Yami zu beruhigen.

„Katsuya, diese Tabletten sind illegal. Sie werden nur von Anästhesisten vor Operationen benutzt. Sie machen einen zwar schön ruhig und lassen einen schlafen, aber sie haben so verdammt hohes Abhängigkeitspotential, das schon das zweite oder dritte Mal fatal sein könnte. Besonders, wenn man sie in einer akut ängstlichen Phase benutzt“ Der scharfe Blick wechselte zu Seto. „Und ich wüsste sehr gern, warum so etwas überhaupt hier zu finden ist.“

Dieser richtete seine blauen Augen gen Fußboden.

„Ich bin nicht abhängig, Yami. Ich hätte zwar gern noch eine, aber ich hänge kaum oben im Bad rum und schleiche vor dem Medikamentenschrank hin und her. Und ich werde auch keine mehr nehmen, wenn ich nicht wieder so scheiße schlafe.“

„Du wirst keine mehr nehmen, egal, was die Umstände sind. Sich in Medikamente zu flüchten ist dasselbe wie sich in Dissoziationen zu flüchten. Nur noch schädlicher“ Yami trat zu Seto und griff nach dessen Unterarm. „Und wir beide werden jetzt hoch gehen und den Medikamentenschrank ausräumen. Alle Benzodiazepine verschwinden, ist das klar?“

„Das hast du nicht zu bestimmen“ Seto zog ruppig seinen Arm weg und drehte sich wieder zur Kaffeemaschine. „Meine Sachen bleiben, wo sie sind.“

„Seto, du darfst sie sowieso nicht nehmen. Und Katsuya gefährdest du damit. Warum hast du diese Tabletten? Was soll das?“ Yami packte ihn erneut und zog ihn zu sich herum. „Antworte.“

„Lass mich in Ruhe! Hör auf, dich in meine Sachen einzumischen!“ Mit einem Mal zog Seto die Arme zurück und stieß sie gegen Yamis Brust. „Das hat nichts mit dir zu tun.“

Yami blinzelte und ging von selbst noch einen weiteren Schritt zurück, bevor er fragte: „Seto, ich möchte die Wahrheit: Nimmst du irgendwelche Benzos?“

Stille.

Katsuya beobachtete seinen Freund. Dieser schien erstarrt. Nein, nicht ganz. Er wandte den Blick ab. Er leckte sich kurz über die Lippen. Jedoch verharrte er schließlich so.

„Danke für die Wahrheit“ Yami atmete tief durch. „Was nimmst du?“

Seto nahm Drogen? Also, nein, Tabletten … aber diese Tabletten, die er eigentlich nicht nehmen durfte? Warum? Immer noch? Katsuya schlang die Arme um sich. Wie konnte es sein, dass er nie etwas davon mitbekommen hatte? Natürlich, Seto nahm jeden Morgen Tabletten, aber die waren doch vom Arzt verschrieben, oder? Das konnte doch alles nicht wahr sein. Nicht auch noch das.
 

„Nichts mehr. Ehrlich“ Seto atmete tief durch. „Ich weiß, Junkies sollte man das nie glauben, aber ich schwöre, ich nehme nichts mehr. Ich … ich habe Midazolam genommen, wenn ich schlafen wollte. Oder vergessen. Dann manchmal auch Flunitrazepam. Aber … das habe ich meist eher anderen gegeben. Früher. Manchmal“ Er brach ab, aber Yami schwieg einfach, sodass er nach mehreren Sekunden doch weiter sprach. „Und Lorazepam. Das haben sie mir bei meinem ersten Aufenthalt gegeben und … manchmal habe ich mir das besorgt. Wenn es zu schwer wurde.“

Katsuya schüttelte den Kopf. Das war nicht wahr. Das war alles nicht wahr. Seto war tablettenabhängig? Auch noch? Warum?

„Lass mich kurz sehen, ob ich das richtig verstehe … du nimmst Antabus, Seroquel und nebenher diese Latte an Benzos?“ Wieder keine Antwort. „Bist du noch ganz bei Sinnen, Seto?“

„Ich schwöre, ich nehme es nicht mehr. Flunitrazepam und Ecstasy war auf Partys, das war nur bis letztes Jahr. Und Midazolam habe ich nur im September genommen, weil ich nicht mehr schlafen konnte. Ich nehme das nicht mehr. Versprochen.“

„Mhm“ Yami wartete einen Moment, bis er nickte. „Da ich weiß, was Versprechen für dich bedeuten, glaube ich dir das. Auch wenn ich nicht fassen kann, dass du Flunies eingesetzt hast. Gerade du … habe ich dir nicht gereicht?“

„Es gab ein paar Dinge, die wollte ich dir nicht antun“, flüsterte Seto.

„Also benutzt du Drogen, die deine Opfer vergessen lassen, was du mit ihnen gemacht hast? Seto … das nennt man-“ Yami warf einen schnellen Blick zu Katsuya. „Du weißt, was ich meine. Hast du ihm jemals was gegeben?“

„Natürlich nicht!“ Setos Faust landete zum Glück nur auf dem Kühlschrank hinter sich.

„Ruhig“ Yami hob beide Hände. „Ein Schlag gestern hat mir gereicht. Ich will dich nicht provozieren.“

„Dann halt endlich die Fresse“ Setos Augen funkelten. „Ich habe das seit Jahren nicht mehr gemacht, okay? Ich bin sicher nicht stolz drauf.“

„Ist gut, ist gut“ Der Andere machte eine beschwichtigende Bewegung. „Ich mache mir nur Sorgen um Katsuya, okay? Du bist leider nicht immer ganz zuverlässig.“

„Ich würde Katsuya nie etwas gegen seinen Willen antun!“, schrie Seto.

Katsuya ließ sich an der Schrankwand, gegen die er lehnte, herunter rutschen. Hieß das, Seto hatte Leute vergewaltigt? Seto? Früher … warum? Wie hatte er … nein, das hatte er nicht. Das konnte er nicht. Das konnte Seto nicht getan haben.

„Das war alles früher, ist okay, ich habe verstanden“ Yami nickte langsam. „Alles vorbei, richtig?“

Seto schnaubte nur und funkelte den Anderen mit seinem eiskalten Blick an.

„Dann macht es dir auch nichts, wenn diese Tabletten jetzt verschwinden, richtig?“

Täterintrojekt

Willkommen zurück aus dem Sommerloch ^.^ Ich sehe, das neue Semester hat bei den meisten begonnen. Vielen Dank für die tollen (auch nachgeholten) Kommentare.

In diesem Kapitel erwartet euch, was im Titel steht, macht euch also auf eine emotionale Achterbahnfahrt gefasst. Without further ado - viel Spaß beim Lesen :)
 

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Seto schloss die Lider und atmete tief aus. Er verharrte einen Moment, bevor er sich aufrichtete und erneut tief durchatmete. Als er die Lider wieder hob, war sein Blick kalt. Abwehr, versteckte Wut, vielleicht sogar Hass.

Katsuya begann bei dem Anblick zu zittern, obwohl dieser Blick nicht einmal auf ihn gerichtet war.

„Seto, ich will dir nichts Böses. Ich bin nicht dein Feind. Ich mache mir Sorgen. Benzos sind nicht gut für dich und das weißt du. Diese Tabletten sind gefährlich. Bitte gib sie mir, bevor damit noch ein Unglück geschieht, ja?“ Yami redete fast mit Engelszungen, auch wenn er noch einen halben Schritt zurück gegangen war.

Was für ein Unglück? Bisher war doch auch nichts Schlimmes damit passiert, oder? Okay, wenn Seto eine Tablettensucht hätte, wäre das schlecht, aber wenn er die nicht mehr nahm, dann hatte er keine, oder? Und irgendwo für hatte er sie schließlich genommen. Vielleicht brauchte seine Krankheit manchmal Hilfe. Verdammt, er nahm jeden Morgen Tabletten, warum sich über die einen, aber nicht über die anderen aufregen? Nur, weil sie mehr Abhängigkeitspotential hatten? Seto wusste sicher, was er tat. Und ihm hatten die schließlich auch gut getan.

„Ich weiß nicht, ob ich das hinkriege“, flüsterte Seto und ließ eine lange Pause, „Ich weiß rein logisch, dass du Recht hast. Ich nehme die Lorazepam nur im Notfall. Wenn ich starke Dissos kommen spüre oder wenn ich Panik kriege ...“

„Und wie oft ist für dich so ein Notfall?“

„Ein paar Mal in der Woche“ Seto wandte den Blick wieder ab. „Katsuya kriegt nur die Anfälle mit, wo ich es nicht mehr schaffe.“

Katsuya schluckte. Das klang schlecht. Seto unterdrückte seine Anfälle mit Medikamenten?

„Aber früher hast du die doch auch durchgestanden … ich dachte, du seist auf einem guten Weg“ Yami trat näher und strich über Setos Oberarme. „Was ist denn passiert?“

Seto schwieg dazu.

Wie konnte er das nicht bemerkt haben? Dass Seto mehrmals die Woche Tabletten nahm, die er gar nicht einnehmen sollte? Warum hatte er damit angefangen, wenn er früher seine Attacken einfach ausgestanden hatte? Das war sicher nicht gut, wenn man seine Anfälle mit Tabletten abblockte. Besonders nicht mit illegalen Beruhigungsmitteln. Jetzt verstand er Yami … Seto machte sich süchtig mit Mitteln, die seine Psyche veränderten.

Er war so tief in Gedanken, dass er fast gar nicht bemerkte, dass Yami eine Kopfbewegung in seine Richtung machte und Seto darauf leicht nickte.

Katsuyas Lider weiteten sich.

Nein … nein … er schüttelte den Kopf.

Das konnte, das durfte nicht wahr sein. Seto konnte nicht wegen ihm … er kniff die Lider zusammen und drückte sein Gesicht zwischen seine Knie. Seto unterdrückte seine Anfälle mit Medikamenten, um ihn weniger zu belasten.
 

„Es tut mir Leid ...“

Katsuya sah auf.

Seto saß mit einem Ausdruck schierer Verzweiflung vor ihm, biss auf seine Lippe und hatte die Hände in seine Richtung gehoben, ohne ihn jedoch zu berühren. Er wiederholte: „Es tut mir Leid … wirklich. Ich wollte nur … ich wollte dich nicht belasten. Ich wollte einfach nur, dass du mich liebst. Dass du nicht abhaust, weil … weil ich unerträglich bin.“

Bei allen Göttern. Bei allen verdammten Göttern. Katsuya ballte die Hände zu Fäusten.

„Es tut mir Leid!“ Seto packte seine Knöchel und legte seine Stirn gegen Katsuyas Schienbeine. „Es tut mir Leid … bitte … bitte verlass mich nicht. Ich höre auf. Ich schwöre es. Ich lerne, ohne Tabletten auszukommen. Ich werde dir nicht zur Last fallen. Bitte ...“

Katsuya unterdrückte den Drang, angeekelt seine Füße wegzuziehen. Zusammenreißen. Irgendetwas hier war völlig falsch. Nur nicht falsch reagieren. Er wandte seinen Blick von Seto – war das wirklich Seto? – der da wimmernd zu seinen Füßen lag. Seine braunen Augen richteten sich auf Yami.

Dieser schrieb erst den Buchstaben T, dann I in die Luft. Bitte was? TI?

Katsuya kniff die Augenbrauen zusammen. TI … halt, das Täterintrojekt? Setos dritte Persönlichkeit? Mit schockgeweiteten Augen sah er wieder auf dieses Wesen hinab, was da zu seinen Füßen kauerte. Das war das TI?

Aber … sollte das TI nicht aggressiv sein? Das da war ein jämmerlicher Haufen Scheiße, selbst wenn er eine freundliche Beschreibung wählte. Das da war absolut anwidernd. Das hatte nicht den geringsten Hauch von Selbstwert, Stolz oder …

Bei allen Göttern. Das da war das TI. Das da war alles, was Setos Persönlichkeit noch fehlte und sonst nur unterschwellig zu spüren war. Setos TI war sein Selbsthass, seine Angst, seine Schuldgefühle und alles andere, was er sonst zutiefst unterdrückte. Das TI war Setos tiefster Abgrund und sie hatte gerade jeden anderen Teil seiner Persönlichkeit verdrängt.

„Bitte verlass mich nicht. Bitte verlass mich nicht. Bitte verlass mich nicht“, wiederholte dieses … Ding … wie ein Mantra.

Dass es aussah wie Seto, half gar nichts. Es weckte in Katsuya nur das Bedürfnis, zuzutreten und es auszulachen. Es war alles, was Katsuya in einem Menschen als schwach ansah. Nie im Leben würde er das da lieben können. Katsuya atmete tief durch. Ruhe … das da war nur eine von Setos Persönlichkeiten. Das da war nur ein kleiner Teil von ihm. Das da war normalerweise tief versteckt und kam nicht ansatzweise raus. Katsuya schloss die Augen.

Aber das da kam nicht raus, weil Seto es ihre komplette Beziehung lang mit Tabletten unterdrückt hatte. Das da hatte die ganze Zeit in Seto existiert, er hatte es nur so gut wie möglich unterdrückt.

Warum?

Tja, einfach. Katsuya schnaubte innerlich. Die Antwort war simpel: Weil er das da nie lieben könnte.
 

„Lass mich los.“

„Nein!“ Die Arme des Dings schlangen sich um Katsuyas Unterschenkel. „Bitte nicht! Ich tue alles! Verlass mich nicht. Oh bitte, verlass mich nicht ...“

Ach scheiße … selbst, wenn das nicht ansatzweise nach seinem Freund klang, da steckte auch sein Freund irgendwo drin. Genau genommen war das ein Teil seines Freundes. Vielleicht einer, den er nicht gerade mochte, aber auch ein Teil. Er konnte nicht nur die positiven Seiten lieben, er musste dieses Ding zumindest akzeptieren. Er schluckte und sagte mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte: „Ich verlasse dich nicht. Aber ich möchte, dass du mich jetzt los lässt und dich auf einen Stuhl setzt. Tust du das für mich?“

Bei allen Göttern. Katsuya sog scharf die Luft ein, als Seto aufsah. Ja, es war Seto. Eine Seite von Seto, die fremd war, aber Seto. Er schluckte und versuchte, sein eigenes Zittern unter Kontrolle zu kriegen. Die Augen, die ihn ansahen, waren strahlend blau. Das Erschreckende jedoch war die Pupille, die kaum größer als ein Stecknadelkopf war. Dieses skurrile Wesen, das ansatzweise nach Seto aussah, legte den Kopf zur Seite.

„Du hasst mich.“

Oh scheiße. Es sprach. Okay, es hatte vorher gesprochen, aber das war mehr wie das Jaulen eines gequälten Tieres gewesen. Das hier war eher wie ein tiefes Grollen, ein schier unendlicher Bass. Das war ganz fraglos angsteinflößend – das TI war also doch auch die Aggression. Wie konnte das eine einzelne Persönlichkeit sein, die gerade von heftigster Angst in extreme Abwehr umschlug?

„Ich hasse dich nicht. Ich mag den gesamten Seto. Ich liebe ihn“ Wie war das? Niemals die Persönlichkeiten auftrennen, auch wenn es schwer war. „Ich liebe dich.“

„Du lügst.“

Tja, kein Wunder, dieses Ding vor ihm liebte er bestimmt nicht. Hatte er gerade noch angewidert die Beine wegziehen wollte, wollte er sich jetzt eher in Sicherheit bringen. Aber Seto hielt noch immer seine Knöchel fest.

„Ich liebe dich, Seto. Gerade machst du mir allerdings Angst.“

Oh scheiße, scheiße – Katsuyas Atem kam zittrig. Ein bestialisches Lächeln gepaart mit diesen hellblauen, riesigen Augen war einfach nur gruselig. Dieses Wesen genoss es, ihm Angst zu machen. Dieses Wesen liebte seine Antwort gerade.

„Du willst mir weh tun“ Seto beugte sich vor, sodass er gegen Katsuyas Knie lehnte und sein Gesicht nur Zentimeter entfernt war. „Ich lasse mir nicht weh tun. Ich werde dich zerquetschen.“

Katsuya versuchte dem Blick zu entkommen, aber er wagte es nicht, weg zu sehen. Er wagte gar nichts mehr. Er atmete nicht einmal mehr. Er zitterte am ganzen Körper.

„Ich hasse dich. Ich lasse mir nicht weh tun. Verschwinde.“

Bei allen Göttern. Katsuya schloss die Augen. Er war nicht hier. Er war sicher. Seto war sein geliebter, liebevoller Freund. Sein Ein und Alles, seine Stütze im Leben. Das da war nicht Seto.

Aber es war Seto.

Setos innerstes Selbst. Setos Angst. Setos tiefste Wünsche. Katsuya öffnete die Augen. Das alles saß vor ihm. Er atmete tief ein, hob eine zittrige Hand und legte sie auf Setos Wange. Die Wange war kalt. Dennoch strich er darüber und erwiderte mit fast brechender Stimme: „Ich liebe dich. Ich verlasse dich nicht. Ich bleibe bei dir.“
 

Die Stille wurde vom Klingeln der Haustür unterbrochen.

Die Reaktion hätte heftiger nicht sein können. Das TI schrie. Ein kurzer, schnell erstickender, aber ein von tiefstem Terror erfüllter Schrei, bevor es sich in die Ecke drückte, wo eine Küchenzeile auf die andere traf.

Katsuya währenddessen schmiss sich von diesem Wesen weg. Er sprang auf seine Beine und nahm einen meterweiten Abstand. Egal, ob Seto oder nicht, ob verletzt und und hilflos oder nicht, das Ding machte ihm eine Scheißangst und er wollte einfach nur weg davon.

„Ich denke, wir sollten uns alle beruhigen“, warf Yami ein und trat zwischen sie, „Katsuya, sag doch bitte Ryou und Bakura, dass sie sich noch einen Moment gedulden müssen. Ich spreche währenddessen mit Seto, ja?“

Zu gerne. Katsuya machte auf der Stelle kehrt und verließ die Küche. Er machte ja jeden Scheiß mit. Die Dissoziationen, egal welche verdammte Form sie bekamen, die ganzen Süchte, die umschlagende Persönlichkeit und auch die Ängste und die Aggressionen – aber die nur, wenn Setos Persönlichkeit noch dazwischen stand. Es war, wie er lange befürchtet hatte: Setos TI war zu heftig für ihn. Damit wollte er nichts zu tun haben.

Er öffnete die Tür, trat nach draußen und schloss sie hinter sich.

„Werdet ihr abgehört?“, flüsterte Bakura und suchte mit dem Blick den Türrahmen nach etwas ab.

„Nein, Seto ist völlig ausgetickt“ Katsuya trat auf den Rasen, um mehr Abstand zu dem Kerl zu kriegen, der ihn trotz allem mit einem mulmigen Gefühl erfüllte. „Ich habe Yami drin gelassen. Er macht das schon … hoffe ich.“

Bakura hatte dieselben Augen wie das TI. Dasselbe Blau. Dieses unglaubliche helle Blau mit dem stechenden Blick. Auch seine Pupillen schienen eher klein. Und sie fixierten Katsuya gerade. Vielleicht hätte er doch drinnen bleiben sollen?

Traurig, aber wahr, Bakura war sehr viel beherrschter als Setos TI. Hier draußen war er sicherer. An welcher Stelle hatte Bakura begonnen, ihm weniger Angst als Seto zu machen? Die Welt war voll verkehrt. Bizarr.

Ein heftiges Scheppern war aus dem Haus zu hören. Katsuya zuckte zusammen und drehte sich um die eigene Achse, um zum Küchenfenster zu sehen. Es hatte sich groß und gläsern angehört. Eine Schüssel? Ihr Glastisch?

Oh scheiße, Yami … seine Hand fuhr zu seiner Hosentasche.

„Scheiße!“ Fanatisch klopfte er seine Taschen ab.

Bakura verdrehte nur die Augen, zog etwas aus seiner Mantelinnentasche und stellte sich vor die Haustür. Aus seinen Murmeln war etwas zu hören, was ungefähr „inkompetenter Idiot“ entsprach.

Doch noch bevor er etwas hatte tun können, wurde die Tür bereits aufgerissen. Yami stieß in ihn, drückte ihn nach hinten und zog dabei die Tür wieder hinter sich zu. Sein Atem ging schwer und mit fast irren, geweiteten Augen starrte er das weiß lackierte Holz an. Er trat nach hinten, wobei er Bakura zwischen sich und die Tür zog.

Dieser fragte nur mit einer gehobenen Augenbraue: „Kam das wirklich unerwartet?“

Verwüstung

Eure Vermutungen, wie es weiter geht, waren sehr spannend. Alle völlig verschieden und alle nicht das, was passieren wird, aber spannend :) Ich präsentiere: Wie es wirklich weiter geht XD

Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Katsuya mit Blick auf die Tür, hinter der nichts mehr zu hören war.

„Wie lange dauern seine Wutanfälle denn normalerweise?“ In völliger Ruhe drehte Bakura sich zur Seite und sah zwischen dem Blonden und Yami hin und her.

„Sekunden“, meinte dieser im selben Moment, wo Katsuya mit „Halbe Stunde“ antwortete.

Bakura verdrehte nur die Augen, trat mit einem Schritt an die Tür und legte das Ohr gegen das Holz. Nach einem Moment schloss er die Augen. Yami warf einen unsicheren Blick zu seinem besten Freund. Dieser beobachtete Bakura, während er einen Arm um die kleine Gestalt legte, die sich gegen seine Seite drückte.

Keiner wagte es, auch nur zu atmen. Nichts, was Bakura stören konnte. So lange dieser ruhig war, waren sie bestimmt sicher. Zumindest sicherer als mit zwei Durchgeknallten gleichzeitig. Als sicherlich zehn Sekunden vergangen waren, löste er sich von der Tür und hob die Hand, in der er noch immer ein kleines, metallisches Etwas hielt. Von der Zeit her wirkte es nicht länger, als hätte er die Tür einfach nur aufgeschlossen, allerdings war Katsuya sich sicher, dass Bakura keinen offiziellen Schlüssel hatte.

Er trat einfach ein und ließ die Tür für sie offen. Keine zwei Schritte später blieb er bereits stehen und pfiff mit einem Blick in die Küche. Mit Anerkennung in der Stimme meinte er: „Ich hoffe, ihr habt eine gute Versicherung.“

Er wandte sich jedoch ab und warf einen Blick ins Wohnzimmer, bevor er die Treppe erklomm. Beim ersten Schritt nach oben schüttelte sich Katsuya aus seiner Starre und folgte ihm. Eigentlich wollte er nicht in die Küche sehen, aber natürlich hörte sein Kopf nicht ganz auf ihn: Der komplette Boden war mit Glasscherben bedeckt, die wahrscheinlich von der zersplitterten Tischplatte kamen, deren Gestell grotesk in die Luft ragte.

Er ging weiter. Wenn Seto oben war, hatte er sich entweder ins Bad gesperrt und verwüstete das Arbeitszimmer. Beides Situationen, zu denen er Bakura eigentlich nicht hinzuziehen wollte. Sei es, um ein schweres Massaker zu verhindern oder Seto zu schützen.

„Lass mich“ Er legte Bakura eine Hand auf die Schulter, den er am Ende der Treppe eingeholt hatte. Sich an diesem vorbei drückend probierte er die Tür des Flurbades, bevor er durch das Schlafzimmer zu ihrem privaten Bad ging.

Beide waren offen – beide waren leer.

Etwas konsterniert trat er auf den Flur zurück und sah zum Arbeitszimmer, dessen Tür geschlossen war. Allerdings war rein gar nichts zu hören … nun ja, Seto war zumindest kein Raubtier, das irgendwo lauerte, um ihn anzuspringen. Wenn er noch wütend wäre, würde er immer noch zerstören. Wenigstens darin war er berechenbar. Etwas selbstsicherer schritt Katsuya also auf den Ende des Flurs zu und betätigte dort die Klinge.

Das erste, was zu hören war, war ein erschrockenes Aufatmen. Er war sich dennoch sicher, vorher ein ganz leises Schluchzen gehört zu haben. Das Öffnen der Tür bestätigte die These. Einen Moment lang musste Katsuya inne halten, um nicht vor Erleichterung – und Amüsement – zu lächeln.

Seto war wirklich im Arbeitszimmer. Mit großen, verweinten Augen sah er über die Schulter des riesigen Teddys zu Katsuya auf. Aus dem ausdrucksvollen Gesicht war die Angst genau so sehr wie die Bitte heraus zu lesen. Wie ein Kind, das wusste, dass es etwas wirklich Blödes getan hatte.
 

Katsuya ging sofort hinüber, um Klein-Seto – samt Teddy – in den Arm zu nehmen.

„Katsuya“ Der übergroße Teddy wurde losgelassen und etwas zur Seite gedrückt, als Klein-Seto an ihm vorbei die Arme nach diesem ausstreckte und sie um ihn schlang, sobald er das Kind erreicht hatte.

„Ist ja gut“ Er kniete sich hin und zog den eigentlich Größeren auf seinen Schoß. „Alles gut. Ich bin ja da.“

„Hab... habe ich den Tisch kaputt gemacht?“ Die hohe Stimme zitterte.

„Ja, aber das ist okay. Du hast niemandem weh getan. Oder hast du dich verletzt?“ Katsuya lockerte die Umarmung ein Stück und prüfte alles, was er sehen konnte.

„Nein“ Klein-Seto zog die Nase hoch. „Aber ich hatte Angst. Ich war noch nie allein. Wo warst du?“

„Ich ...“ Oh Hilfe, was jetzt? „Ich war draußen. Ich habe die Gäste begrüßt“ Super Antwort, ganz toll. „Es ist sehr gut, dass du zu Teddy gelaufen bist.“

„Teddy ist für mich da, wenn du nicht da bist“ Klein-Seto drückte sich wieder an ihn. „Katsuya?“ Er gab ein bestätigendes Geräusch, damit der Kleine weiter sprach. „Wer ist das da?“

Der Blonde drehte seinen Kopf etwas und folgte dem ausgestreckten Arm. In seinen Gedanken war er klein und dünn, auch wenn vor seinen Augen klar definierte Muskeln waren. Seto zeigte auf Bakura, der an der Tür stehen geblieben war. Er nahm lieber erstmal Setos Arm runter und erklärte: „Man zeigt nicht auf andere Menschen. Das ist unhöflich.“

„Entschuldigung“, meinte dieser in aller Ehrlichkeit, doch nahm die wieder etwas dunkler blauen Augen nicht von dem Kerl, der schweigend gegen den Türrahmen lehnte.

Das wäre langsam eine sehr gute Zeit, um zurück zum normalen Seto zu mutieren. Vertraute Klein-Seto ihm so sehr, dass er mittlerweile nicht mal mehr Probleme damit hatte, in seiner Nähe Fremde zu treffen? Das war ja zum einen wirklich schön, aber gerade echt nicht praktisch.

„Das ist Bakura, einer unserer Gäste. Er und sein Bruder sind zum Tee eingeladen.“

„Darf ich Schoki trinken?“, fragte Klein-Seto begeistert nach.

„Äh … ja, sicher“ Katsuyas Blick lag allerdings gerade mehr aus Bakura als auf dem überdrehten Fünfjährigen neben ihm. „Warum gehen wir nicht alle erstmal runter und setzen uns?“

Völlig wortlos drehte Bakura sich zur Seite und ging den Flur hinab. Katsuya entließ die Luft, die er seit mehreren Momenten angehalten hatte. Der Andere hatte sich fabelhaft zurückgehalten. Oder das alles hier hatte ihn gar nicht interessiert. Oder … irgendetwas anderes. Bei Bakura wusste er wirklich nicht ganz, woran er war. Seto war dagegen ganz leicht in diesem Zustand. Na ja, so leicht wie ein Fünfjähriger im Körper seines fast dreißigjährigen Freundes halt sein konnte.

„Darf ich Teddy mit runter nehmen?“

Und zum Glück war er für einen Fünfjährigen sehr wohlerzogen.
 

Mit einem Arm um seinen riesigen Teddy und dem anderen an Katsuyas Hand drückte sich Seto hinter den Blonden, sobald sie am Ende der Treppe angekommen waren. Was er kaum brauchte, da Bakura seinen Bruder aus Yamis Armen und hinter sich her ins Wohnzimmer zog, bevor dieser eine Frage stellen konnte.

„Ich … vermute, ich erklär' es ihnen?“, fragte Yami mit einem Seufzen.

„Und ich räume die Küche auf“ Katsuya warf einen Blick über die Schulter. „Ich möchte nicht, dass du dich an den Glassplittern verletzt, Seto. Würdest du mit Yami gehen?“

Dieser sah nur mit großen, tiefblauen Augen zwischen ihnen hin und her und blinzelte. Katsuya zog ihn an der Hand, die er hielt, nach vorne und gab sie in Yamis Hand. Seto schwieg einfach nur und beobachtete sie, als hätte das nicht viel mit ihm zu tun. Dass er ins Wohnzimmer geführt wurde, während Katsuya – rückwärts mit Blick auf ihn – in die Küche ging, ließ ihn zwar sehnsüchtig über die Schulter sehen, aber er blieb leise.

Katsuya drehte sich zu der Katastrophe um, die ihre Küche darstellte. Der geflieste Boden war völlig übersät mit Scherben. Splitterteile, kaum größer als ein Fingernagel oder ein Würfel, doch davon abertausende. Seufzend drehte er sich wieder um, um einen Besen aus dem Keller zu holen.

Beim ersten Blick ins Wohnzimmer saßen Bakura und Ryou auf der Couch, während Seto sich in den Sessel kuschelte und Yami sich ein Sitzkissen genommen hatte. Auf dem Rückweg hatte sich das Bild insoweit geändert, dass Ryou auf Bakuras Schoß saß und Setos Kopf auf den seines Teddys gesackt war. Er schien nicht mehr ganz wach … wahrscheinlich war es das Beste.

Er zog sich Schuhe an und ging zurück in die Küche. Das Gestell des Tisches schien so weit in Ordnung, darum befreite er es von Splittern und trug es erstmal in den Flur. Das ganze Glas aufzukehren würde fraglos dauern.

„Sollen wir das da erstmal in den Keller tragen?“, fragte er dunkle, aber relativ emotionslose Stimme hinter ihm.

Etwas erschrocken drehte Katsuya sich um, obwohl er wusste, wen er da sehen würde. Das Wer war ja nicht so schrecklich unerwartet, aber das Warum schien ihm irgendwie nicht gerade nahe zu liegen. Er konnte das wertneutrale Entsetzen kaum aus seiner Stimme verbannen, als er fragte: „Bakura?“

„Ich habe keinen Bock auf Kinderspiele“ Er verdrehte die Augen. „Ryou erklärt dem Alter Ego Mau-Mau.“

„Oh“ Mehr konnte Katsuya nicht wirklich hervor bringen. Sie spielten Karten? Klar, das würde Klein-Seto Spaß machen und Ryou hatte sicher kein Problem, etwas mit einem Kind zu unternehmen, aber … hatten die Zwei denn gar kein Problem damit, das hier einfach so zu akzeptieren? „Was denkst du darüber?“

„Mau-Mau?“ Eine weißsilberne Augenbraue hob sich. „Kaiba flößt einem Respekt ein. Irgendetwas musste wohl dahinter stecken, dass er so eine Autorität ist. Dass ihm alle anderen Persönlichkeitsanteile fehlen … tja, das ist wohl eine der Erklärungen.“

„Bist du … enttäuscht?“, fragte Katsuya vorsichtig. Bakura war stets eine tickende Zeitbombe, auch wenn er zumindest gerade nicht das Gefühl ausstrahlte, jeden Moment explodieren zu können.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Mir ist so'n Emotionskram egal. Ist halt so. Scheiße für Kaiba, denke ich mal. Du hast es dir selbst ausgesucht, also erwarte kein Mitleid.“

„Ich … wollte auch kein Mitleid. Ich komme mit ihm aus“ Wahrscheinlich. Bisher zumindest. Kam wahrscheinlich drauf an, wie oft er dem TI gegenüber stehen müsste. Das war echt eine schreckliche Persönlichkeit …

„Bringen wir das da nun in den Keller oder den Müll?“ Bakura nickte über seine Schulter.
 

„Ähm … Bakura?“, fragte Katsuya vorsichtig, nachdem sie das Gestell gerade im Keller verstaut hatten, „sag mal … diese Persönlichkeitsspaltung … hast du die auch?“

„Seh' ich so aus?“ Dieser schnaubte und drehte sich zur Treppe, um wieder hoch zu gehen. „Ich hab' keine Schrauben locker. Ich mag keine Menschen und ja, meinetwegen bin ich etwas aggressiver als andere“ - etwas? - „aber mein Geist ist noch beisammen. Und so eine Pussy wie du bin ich auch nicht.“

„Ich bin keine Pussy“, knurrte Katsuya beim Hochgehen.

„Kaiba ist mein Leben. Ich liebe ihn“, äffte Bakura mit hoher Stimme, „Mir ist egal, ob er mich schlägt oder mordet oder mich betrügt, solange wir nur zusammen sind. Denn er ist mein Ein und Alles – Pussy.“

„Wenn ich eine Pussy bin“, sprach Katsuya etwas leiser, da sie bereits im Flur angekommen waren, „was ist dein Bruder dann?“

Dass Bakura herumfuhr, ließ ihm noch genug Zeit, sich selbst zu sagen, dass der Kommentar eine echt schlechte Idee gewesen war. Im nächsten Moment explodierten Sterne vor seinen Augen und ein heftiger Schmerz zog von seinem Hinterkopf in seine Schultern. Seine alten Kämpferreflexe ließen ihn das Messer an seiner Kehle vor der Wand in seinem Rücken wahrnehmen. Half leider nicht viel.

„Katsuya?“, schallte Yamis besorgte Stimme aus dem Wohnzimmer.

Er schluckte, aber wagte es nicht zu antworten. Sein Blick fixierte den Kerl vor sich, um keine Regung zu verpassen. Wenigstens hatte er gestoppt. Es war zwar sicher nicht gut, dass er sich nicht zurückgezogen hatte, aber zumindest gestoppt hatte er.

Warum? Warum konnte er nicht einmal seine Klappe halten? Warum hatte er den Kerl jetzt wieder sauer machen müssen? Es fehlte nur noch, dass Setos Kinderpersönlichkeit dazu kam, um wieder ins TI umzuschlagen. Danke, sein Leben war scheiße, er wusste es, er brauchte keine Erinnerung!

„Ich kümmere mich gut um meinen Bruder“ Das Messer wurde weg gezogen. „Wag' es nie wieder, etwas anderes zu behaupten.“

Katsuyas Hand fuhr zu seinen Hals und er atmete erleichtert aus. Nein. Nie wieder. Er würde Bakura nie darauf ansprechen, dass er in seinem Beisein seinen Bruder vergewaltigt hatte. Wenn Ryou das als normal empfand, würde er ihn nicht daraus holen. Denn dann war es keine Vergewaltigung, egal, wie brutal. Er atmete zitternd aus. Zu einer Vergewaltigung gehörte das Gefühl, gegen den eigenen Willen benutzt worden zu sein. Das wusste er nun, auch wenn er es gerade nicht spüren konnte. Wenn Ryou das nicht hatte, würde er ganz sicher nicht so seinen Kopf riskieren. Egal, was er jetzt und in Zukunft über die beiden dachte.

„Geh und kümmere dich um dein Ein und Alles“ Bakura schnaubte mit einem Nicken Richtung Wohnzimmer. „Und schick mir meins in die Küche.“

Zu gerne. Allzu gerne. Katsuya drückte sich die Wand entlang, bis er an Bakura vorbei war und verschwand mit zwei Schritten ins Wohnzimmer.

Panik

Die jährliche Konferenz, die ich organisiere, ist mal wieder vorbei und ich bin zutiefst entspannt :) So entspannt, dass ich gestern bereits das Kapitel für nächste Woche getippselt habe und gleich mit dem für übernächste anfange.

Ich muss dabei aber gleich schonmal vorweg nehmen, dass das hier zwei Menschen sind und nicht das Musterbeispielpaar für "Wie gehe ich mit meinem kranken Partner um". Die nächsten paar Kapitel werden nicht sehr hübsch, auch wenn sich beide erstaunlich viel Mühe geben (Betroffene können euch sicher Schauergeschichten erzählen, wo ihr nur den Kopf schütteln werdet). Das Leben ist leider nicht immer schön - dennoch viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya ging wortlos direkt zum Sessel und setzte sich hinter Seto, der an der Vorderkante saß, um es bis zum Tisch nicht so weit zu haben. Teddy stand bereits neben dem Sessel auf dem Boden.

„Bist du fertig mit Saubermachen?“, fragte Seto – Klein-Seto – fröhlich.

„Nein, Bakura wollte lieber ohne mich weitermachen. Äh … er würde gern mit dir reden, Ryou.“

„Okay“ Lächelnd, als könnte das niemals eine schlimme Nachricht sein, legte dieser seine Karten zur Seite. „Ich verliere eh gerade. So kann ich mit Würde gehen.“

„Und was machen wir dann?“, wandte sich Seto an Yami.

„Katsuya sieht so aus, als würde er dich gern etwas im Arm halten. Und du warst vorhin schon müde, nicht?“

„Ich bin nicht müde“ Seto ließ sich trotzdem nach hinten fallen – was Katsuya husten ließ, weil er doch ziemlich schwer war. „Aber kuscheln ist toll“ Er drehte sich zur Seite, ließ die Beine über die Lehne hängen und legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter. Es dauerte nur Sekunden, bis er die Augen schloss und sein Atem sich beruhigte.

Katsuya legte die Arme um ihn und flüsterte zu Yami: „Das ist nicht gut. Ruhe ist nicht gut. Wirklich, ich … kannst du ihn nehmen?“

„Du bist kurz vor dem Ausrasten, oder?“ Der Andere stand auf, ging zur Tür – er wollte jetzt nicht ehrlich gehen, oder? –, schloss diese und kam wieder zu ihnen hinüber. „Lass mich ihn wecken, ja? Kannst du dich so lange zurückhalten?“

Zurück halten? Seto anzuschreien? Er wollte ihn doch nicht anschreien! Er … okay, vielleicht wollte er ihn anschreien. Aber es war doch gar nicht Setos Schuld. Er hätte es ihm trotzdem sagen können. Ihn vorwarnen können. Oder zumindest … hätte er sich nicht zusammenreißen können, bis es ihm etwas besser ging? Musste er unbedingt jetzt auseinander brechen? Okay, das war vielleicht selbstsüchtig, aber Seto war hier der Erwachsene, also hatte er auch … nein, er hatte nicht, aber es fühlte sich so an, als müsste er. Scheiße. Was für ein Chaos. Was auch immer aus seinem Mund kommen würde, er würde es bereuen.

Yami schüttelte währenddessen Setos Schulter und sagte dessen Namen. Es öffneten sich graublaue Augen, ganz die Farbe, die er normalerweise hatte. Nicht dieses stechende, kalte Hellblau des TI und auch nicht das kindlich funkelnde Blau der EP. Einfach das trübe Graublau, was so zutiefst Seto war. Katsuya drückte ihn in eine aufrecht sitzende Position und stand auf. Besser als das Bedürfnis, ihn vom Sessel zu werfen und zuzutreten.

„Seto? Wach auf.“

„Was?“ Der Brünette blinzelte, als hätte man ihn aus dem Tiefschlaf geholt. „Was ist … Yami?“

„Du warst ein bisschen weggetreten. Woran kannst du dich noch erinnern?“

Seto jedoch sah sich nur ihm Raum um, während sich sein Blick klärte. Er schielte im Augenwinkel auf seine Uhr und atmete scharf ein, als er die Zeit sah. Ja, Seto, genau das waren Blackouts. Und woher kamen die? Wohl das TI etwas zu lange mit Tabletten unterdrückt.

Katsuya ballte die Hände zu Fäusten und brachte mit verhaltener Wut hervor: „Okay, hört zu. Ich kann das nicht. Ich flippe gleich aus, wenn ich hier bleibe. Seto, ich liebe dich, aber gerade fehlt mir die Erinnerung daran. Ich gehe … spazieren. Bis dann.“

Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum. Auch wenn er es nicht wollte, die Tür knallte hinter ihm zu.
 

Scheiße, was war das für ein Auftritt gewesen? Was musste Seto jetzt nur denken? Wahrscheinlich war das letzte, an das er sich erinnerte, der Streit mit Yami. Wenn überhaupt. Wenn da nicht schon das TI so weit durch war, dass ihm jetzt … andererseits erinnerte er sich doch normalerweise, was er in seinen anderen Persönlichkeiten getan hatte, oder? Außer dem einen Mal, wo er ein paar Stunden Klein-Seto gewesen und dann über dem Hackfleisch wieder zu sich gekommen war. Wo er diesen Krampfanfall gehabt hatte … scheiße, hoffentlich ging es ihm gut. Hoffentlich konnte Yami ihn beruhigen. Hoffentlich …

Warum zur Hölle war er so wütend? Warum hatte Setos TI ihn angeekelt? Warum hatte er diese Gefühle, die er nicht wollte? Er wollte doch nur, dass Seto und er in Ruhe leben konnten. Ohne diese Anfälle, ohne all diese Probleme, ohne die immer wieder hochkommenden Erinnerungen a-

Katsuya erstarrte. Er war einfach in irgendeine Richtung losgegangen. Er war auf einer Straße mitten in einem Wohngebiet. Genau so eine Straße wie die, auf der- er fuhr herum. Sein Atem ging schnell. Waren hier Leute? Ein Laster? Ein Transporter? Konnte hier irgendwer versteckt sein? Er rannte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Er war doch immer geradeaus gelaufen, oder? Nein, irgendwo war er abgebogen. Wo? Wo war Setos Haus? Sein Atem ging panisch, während er lief, als wären sie noch immer hinter ihm.

Er musste in Sicherheit. Zurück in Sicherheit. Wo war Seto? Wo war ihr Haus? Warum hatte er noch nie die Gegend erkundet? Er jaulte auf wie ein gequältes Tier. Wo war er? Wo war Seto? Er bog um eine Ecke und rannte fast in eine ältere, dickliche Dame.

„Du!“ Sie war ihm ausgewichen und nach hinten gegen einen Gartenzaun gekippt. „Du kleines Ungeheuer! Du bist doch dieser Junge, der ...“

Den Rest ihres Gezeters hörte er nicht mehr, da er weiter gerannt war. Das Bellen ihres Hundes – irgendetwas Kleines, er war fast darüber gestolpert – war noch länger zu Hören, aber er konnte nur an zuhause denken. Er wollte hier weg. Er musste sich in Sicherheit bringen. Vielleicht hatte Pegasus neue Leute auf ihn angesetzt. Sie waren hier sicher irgendwo. Warteten nur darauf, ihn allein zu kriegen.

Warum war er raus gegangen?

Warum?

Er rannte um eine weitere Ecke und erkannte die Häuser. Sie sahen alle aus wie Reihenhäuser. Reihenhäuser wie ihres. Er musste richtig sein. Sein Haus musste hier irgendwo sein. Er musste es nur finden. Er rannte, seine Seiten brannten, sein Atem ging unregelmäßig und stoßweise. Irgendwo hier. Er musste nur-

Da! Da war Setos Auto. Ihr Haus! Er sprintete über den Vorgarten, ganz egal, auf was für Blumen er trampelte. Er schmiss sich gegen die Tür, klingelte, klopfte, schrie und es dauerte trotzdem endlos, bis Bakura öffnete.

Er stolperte hinein, fiel gegen diesen und nur Sekunden später war alles schwarz.
 

Stimmen. Getuschel. Ein Knurren. Sich entfernende Schritte.

Katsuya blinzelte, aber selbst mit offenen Augen war alles verschwommen. Ah … langsam klärte es sich. Wohnzimmer, wenn er nicht allzu falsch lag. Und die Haare konnten nur Yami gehören.

„Wajisch pajiert“ Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich. „Was ist passiert?“

„Du warst kurz ohnmächtig, weil du nicht mehr genug Sauerstoff hattest“ Yami strich ihm über den Kopf. „Denke ich … du scheinst gerannt zu sein.“

Gerannt? Ja … er griff nach Yamis Hand und drückte diese. Er war in Sicherheit. Er war im Haus. Hier würden sie ihn nicht finden. Hier würden sie sich nicht rein wagen. Er war sicher. Er atmete tief durch.

„War da draußen jemand?“, fragte der Andere vorsichtig.

Katsuya schüttelte nur den Kopf und erwiderte: „Nein … ich dachte nur, es könnte jemand da sein … und plötzlich hatte ich Angst.“

Das Wort Angst war milde untertrieben. Panik oder nackter Terror würden es eher treffen. Yami hob ihre sich umklammernden Hände und setzte einen Kuss auf Katsuyas Handrücken. Er flüsterte fast, als er erklärte: „Er hat keine Besuchsrechte. Seine Anrufe werden überwacht. Selbst, wenn er wollte, er könnte niemanden schicken. Du bist sicher da draußen“ - die violetten Augen wandten sich zu Boden - „ich weiß … das hilft der Angst nicht viel. Du wirst sie trotzdem haben. Aber sag es dir immer wieder, wenn die Panik kommt.“

Katsuya nickte langsam, bevor er sich vorsichtig aufsetzte. Anscheinend war er wirklich nur körperliche Ermüdung gewesen, die ihn kurz umgeschmissen hatte, denn sein Körper gehorchte einwandfrei. Er legte die Arme um den neben ihm auf der Couch Sitzenden und flüsterte zurück: „Die Angst … sie kommt nur, wenn ich allein bin. Mit Seto hatte ich keine Angst. Aber wenn ich jetzt daran denke, da raus zu gehen ...“

„Die Angst wird nachlassen. Du musst nur immer wieder üben. Seto hilft dir bestimmt.“

Nach einem müden Nicken richtete er sich auf und setzte sich richtig hin, um sich gegen die Lehne zurückfallen lassen zu können. Mit dem Blick über dem Kaminsims fragte er: „Wie geht es ihm?“

„Seto? Tja“ Yami seufzte, lehnte sich ebenfalls zurück und legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter. „Er hat alles einfach nur abgenickt. Keine einzige emotionale Reaktion … keine Ahnung, ob die noch kommen und ob seine anderen zwei Persönlichkeiten seine Emotionen für die nächste Zeit erstmal aufgebraucht haben“ Die violetten Augen sahen zu ihm auf. „Wenn du ein objektives Gespräch ohne jede Verlustangst seinerseits führen willst, wäre das jetzt wohl der richtige Moment.“

Katsuya schüttelte den Kopf, bevor er auch nur darüber nachgedacht hatte. Wäre das denn nicht gut? Man konnte gut mit ihm schwierige Dinge klären, wenn seine Emotionen dazu nicht da waren. War vielleicht nicht das Beste, aber hatte bisher immer gut geklappt. Er fühlte in sich hinein.

Und stieß auf ein schwarzes Loch.

„Ich bin am Ende“, teilte er dem Anderen mit, „ich kann heute gar nichts mehr. Weder Seto noch Bakura noch Ryou. Ich bin völlig fertig.“

„Manchmal ist es gut, sich einfach zurück zu ziehen“ Yami richtete sich auf und nickte. „Soll ich dich hoch bringen? Und ins Bett packen?“

Whatever … Katsuya nickte einfach nur. Gerade würde er alles machen, wenn am Ende nur das Wort Ruhe stand.
 

Dachte er. Glaubte er. Wie täuschend konnte der eigene Glaube sein.

Katsuya seufzte. Er drehte sich auf seinen Rücken und starrte die Decke an. Zurück auf die Seite mit den zugezogenen Gardinen im Blick. Er seufzte erneut und schloss die Augen. Es brachte ihm nur das Bild des Wellblechdaches, das er stundenlang betrachtet hatte. Die Arme um sich selbst gelegt zog er die Beine an und die Decke höher.

Schlaf entzog sich ihm.

Mit tiefen Falten zwischen seinen Augenbrauen hob er die Lider wieder. Warum sollte er sich Schlaf wünschen? Schlaf brachte nur Alpträume. Aber nicht zu schlafen brachte ihm die Erinnerungen. Was sollte er denn tun, um dem allen zu entkommen? Würde es ihn je allein lassen? Sein Vater hatte ihm nur Alpträume beschert. Warum machte ihm diese eine kurze Erfahrung solche Schwierigkeiten? Warum konnte er seinen Blick nicht von der Vergangenheit abwenden und ihn die Zukunft schauen? Warum zog ihn seine Erinnerung wie ein schwarzes Loch immer zurück an die Punkte seines Lebens, die er nie wieder sehen wollte? Er wollte doch wie ein Sturm sein. Aber die Erinnerung holte ihn immer wieder ein.

Wie seine Mutter auf ihn zeigte. Wie sein Vater die Tür vor seiner Nase schloss. Die Kälte des stählernen Balkens, der sich zwischen seinen Schulterblättern in seinen Rücken brannte, während … er kniff die Lider zusammen, riss sie wieder auf, aber nichts konnte die Bilder vor seinen Augen verbannen. Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle.

Er wollte sich in Setos Arme flüchten. Wollte sicher gehalten werden von dem einzigen Menschen, der ihn beschützen konnte. Er wollte zurück zu diesem Mann, der mit klarer, überzeugter Stimme sagte, dass alles gut werden würde. Dass sie das zusammen durchstehen würden. Dass er an seiner Seite war, egal, was kam.

Nur war dieser Mensch eine Lüge gewesen. Eine Illusion durch das Verbannen all der Ängste, Gedanken und Wünsche, die jeder Mensch mit sich trug. Eine Konstruktion einer Persönlichkeit, die Seto für sich selbst wünschte oder zumindest für das passendste für ihn hielt. Was konnte romantischer und hingebungsvoller sein als ein Mensch, der seine Persönlichkeit spaltete, um perfekt zu sein für den einen Menschen, den er über alles liebte?

Aber was konnte trauriger und kranker sein als genau dieser Fakt?

Dass Seto das, was er ihm nicht zeigen wollte, mit Tabletten unterdrückt hatte, damit es niemals hervor brach? Dass er die Tiefen seines Selbst versteckt hatte, um Katsuyas Hass zu entgehen? Es war wohl nur natürlich für ihn. Aus Angst vor Ablehnung das zu verstecken, was in ihrer beider Augen schwach war. Was ihn beim ersten Anblick mit Hass und Abscheu erfüllt hatte.

Und was waren das für Gedanken … den einen Menschen, den man über alles liebte, zu verachten? Vielleicht nur eine Seite, eine Eigenschaft, aber wie konnte er behaupten zu lieben, wenn in diesem Gefühl Ablehnung wie auch Wut mitschwamm? Wie konnte er sagen, er würde lieben, wenn er seinem Freund das nicht hatte sagen können, wenn es darauf ankam?

Was sollte er tun?

Nicht in der Lage zu schlafen, nicht in der Lage wach zu sein. Nicht in der Lage zu lieben und auch nicht zu hassen. Nicht in der Lage, zu Seto zu gehen und nicht imstande dazu, ohne ihn zu bleiben. Nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen und nicht einmal in der Lage zu erkennen, was seine Entscheidung sein könnte.

Die Tränen rannen seine Wangen hinab und durchnässten das Kissen, das unter seinem Kopf kalt blieb.

Ein Wunsch nach Heimat

Ich habe eine neue FF ^.^ Letzte Woche hat mich die Muse gepackt und ich habe zwei Tage durchgeschrieben (statt zu arbeiten...). Hier ist das Ergebnis:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/298332/
 

Ansonsten wünsche ich viel Spaß mit diesem Kapitel. Seto wird mal wieder ein wenig psycho, allerdings auf seine Seto-Art.
 

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Katsuya schlich die Treppenstufen hinab. Es war so still im Haus, dass er das Knacken eines Holzscheites hören konnte, der wahrscheinlich im Kamin brannte. Das leicht flackernde Licht, das aus dem Wohnzimmer drang, bestätigte seine These.

Er wusste nicht einmal, wie spät es war. Ob die anderen noch da waren. In welch einer Laune oder Zustand Seto war. Ob er überhaupt einen Seto finden würde oder nur ein Stück Papier, auf dem Worte des Abschieds zu finden waren. Yami hatte ihn doch nicht allein gelassen, oder? Allein mit den Gedanken und vor allem den Ängsten, ob Katsuya … auf Zehenspitzen ging er bis zum Türrahmen und krallte seine Finger in das Holz.

Seto war da. Der Seufzer der Erleichterung war still, aber da. Sein Geliebter saß auf der Couch vor dem Feuer mit gesenktem Blick. Da er an der dem Flur zugewandten Couchseite saß, konnte Katsuya das Buch in seinem Schoß sehen. Ein dicker Wälzer, sicherlich mit schwerer Kost. Das Licht des Kamins tanzte gespiegelt in seinen blaugrauen Augen.

Katsuya, dessen Tränen noch immer Gräben in sein Gesicht malten, zog die Nase hoch, was Setos Blick sofort auf ihn zog. Die Lider weiteten sich, ein Blinzeln, gefolgt von tiefen Falten auf seiner Stirn. Er legte wortlos das Buch zur Seite, erhob sich und kam langsam herüber. Gut einen Meter von Katsuya, der sich noch immer gegen den Türrahmen drückte, blieb er stehen und hielt ihm einladend eine Hand hin.

Katsuyas Blick wechselte zwischen den bis auf einen Hauch von Sorge ausdruckslosen Augen und der ausgestreckten Hand, bevor er sie vorsichtig ergriff. Noch immer ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, zog Seto ihn zur Couch und setzte ihn auf die dem Flur abgewandten Seite. Aus der Schale auf dem Couchtisch zog er eine Packung Taschentücher, nahm eines daraus und begann – vor der Couch kniend – Katsuya die Tränenspuren von den Wangen zu tupfen. Nach einem Moment nahm der Jüngere es ihm ab und putzte sich die Nase.

Ihre Blicke trafen sich und hielten einander, während keiner von ihnen die Worte zu finden schien, die sie einander sagen wollten. Katsuya hätte gern gesagt, dass ihm dieser Blick mehr als tausend Worte sagte, aber Setos Augen schien kein Gefühl inne zu wohnen. Ganz wie Yami gesagt hatte: Die zwei anderen Persönlichkeiten schienen seine Gefühle aufgebraucht zu haben. Oder er war so verängstigt, dass er Katsuyas Verbindung zu seiner Gefühlswelt wieder vollkommen geschlossen hatte.

Katsuya hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, bis Seto sich erhob und zum Bücherregal herüber ging. Mit einem Finger fuhr er eine Reihe ab und zog einen kleineren Band heraus. Sein Pfad führte ihm hinter dem Sofa her, bis er sich auf dem anderen Ende der Couch niederließ und das kleine Büchlein aufschlug.

„Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke“, kündigte Seto an.

Katsuya zog seine Beine auf die Couch und wandte sich seinem Freund zu.

„Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Misstrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben.“

Gefahren und Abgründe lieben … wie sollte er das TI je lieben? Was Seto da verlangte, das war unmöglich. Und das wusste er auch, wenn man sich ansah, was er selbst getan hatte. Wozu hätte er diese Seite an sich sonst unterdrücken sollen?
 

Seto jedoch fuhr fort, ohne aufzublicken: „Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, daß wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.“

Katsuya fehlte der Atem. Ihm fehlte die Stimme, um Seto zu antworten. Ihm fehlten die Tränen, um die Sehnsucht auszudrücken, die diese Worte in ihm erweckten. Ja, er wusste, dass Setos TI seine tiefsten Ängste darstellte. Dass es sowohl Opfer als auch Täter einer Vergangenheit war, von der er sich nicht befreien konnte. Eine Vergangenheit wie die, die Katsuya mit sich trug. Ja, vielleicht würde er auch das TI einst akzeptieren können. Er würde es versuchen. Er wollte es versuchen. Egal, was Seto alles getan hatte, er war immer noch der Mensch, der Katsuyas Herz schneller schlagen ließ. Auch jetzt. Gerade jetzt.

„Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, dass etwas an Ihnen geschieht, dass das Leben Sie nicht vergessen hat, dass es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen.“

Katsuya nickte nur, da ihm noch immer die Stimme fehlte. Zumindest sein Atem kehrte zu ihm zurück. Er wünschte, er könnte Seto umarmen, aber sein Körper wollte nicht auf ihn hören. Diese eine Mal missgönnte er es ihm nicht.

Seto schlug das Buch zu und legte es neben den dicken Wälzer auf den Couchtisch. Nach einem Moment der Stille sagte er: „In mir ist so viel, dass ich es mit meinen eigenen Worten nicht beschreiben kann. Ich suche meine Gefühle in den Worten anderer, die die Sprache besser beherrschen als ich.“

Katsuya nickte erneut und nach weiteren Sekunden fiel sein Blick zurück auf den Wälzer. Er zwang seine Zunge, seinen Gedanken Worte zu geben: „Was hast du darin gefunden?“

Die blauen Augen richteten sich ebenso auf das Buch. Mit einem Seufzen nahm Seto es auf und schlug es relativ weit hinten auf, suchte kurz nach einer Seite und kündigte an: „Sonnett sechsundsechzig, William Shakespeare.“

Ganz wie er gedacht hatte, schwere Kost. Hoffentlich würde er es verstehen. Er lehnte sich seitlich gegen die Couchlehne, um Seto zu lauschen.
 

„Tired with all these, for restful death I cry.“

Katsuya schloss die Augen und zog scharf die Luft ein. Hatte es ihn wirklich verwundert? Hätte er es nicht erwarten sollen? Er hob die Lider wieder und spürte erneut Tränen seine Sicht behindern.

„As, to behold desert a beggar born, and needy nothing trimmed in jollity, and purest faith unhappily foresworn“ - Katsuya schloss die Augen und eine Träne rann seine Wange hinab - „and gilded honour shamefully misplaced, and maiden virtue rudely strumpeted, and right perfection wrongfully disgraced, and strength by limping sway disabled, and art made tongue-tied by authority, and folly, doctor-like, controlling skill, and simple truth miscalled simplicity, and captive good attending captain ill“ - Seto holte kurz Luft - „Tired from all these, from these would I be gone, save that – to die – I leave my love alone.“

Bei allen Göttern. Katsuya kniff die Lider zusammen und verzog sein Gesicht in Schmerz. Seto wollte sterben. Alles, was ihn hier hielt, war er: Katsuya. Es sollte ihn kaum verwundern, bei einem Mann, der so weit ging, ihn an sich zu binden und doch … doch schnitt der Gedanke wie eine Klinge in sein Herz.

Er konnte den Menschen, den er liebte, nicht verlieren. Nicht noch mehr, als er es sowieso schon getan hatte. Noch war da ein Rest des Menschen, den er geliebt hat. Wie eine glühende Kohle die Erinnerung an ein warmes Feuer war.

„Ich will nicht, dass du stirbst“, flüsterte Katsuya.

Eine zweite Tränenspur bildete sich auf seiner Wange und er wischte beide mit dem Taschentuch weg, das er noch immer in der Hand hielt. Mit Augen, die nicht mehr kurz davor standen, jederzeit neue Tränen zu verschütten, sah er zu Seto hinüber.

„Ich weiß“ Dieser schloss das Buch und legte es zurück auf den Tisch. „Ich vermute, darum sage ich es … ich weiß, dass du es nicht ertragen könntest, wenn ich mich töte. Es würde dich zerstören. Darum drohe ich damit, damit du mich nicht verlässt“ Er schloss die Augen. „Ich weiß, dass ich mich auf ein Niveau herab lasse, auf das ich nie kommen wollte. Dir mit meinem Selbstmord zu drohen, um dich an mich zu binden. Ich hasse mich dafür, dass ich es tue und kann es doch nicht lassen … Selbsthass ist mir nicht allzu fremd, aber der Gedanke, ohne dich zu leben ...“ Setos Stimme erstarb und er schüttelte nur den Kopf.
 

Erstaunlich, wie er das so ruhig sagen konnte. So völlig objektiv, als würde er all seine Gefühle ganz genau kennen und würde gar nicht von ihnen bewegt werden. Als wären seine Gefühle nur ein interessantes Individuum, das es zu analysieren galt.

Katsuya hätte ihm am liebsten eine rein gehauen. Ganz toll, dass er wusste, was er da fühlte und warum er es fühlte. Was eigentlich hinter dem steckte, was ihn diese Worte sprechen ließ. Diese grässlichen Worte. Konnte er nicht wenigstens ansatzweise so aussehen, als würde er die Scham, von der er sprach, auch empfinden? Er schnaubte und schüttelte den Kopf.

Wut gab ihm erstaunliche Kräfte.

„Eigentlich war ich runter gekommen, um dir zu sagen, dass ich dich keinesfalls verlassen will. Ich wollte hören, dass wir das irgendwie in den Griff bekommen“ Er musste schlucken, um den Knoten aus seinem Hals zu bekommen. „Jetzt kann ich an beides nicht mehr glauben.“

Setos Lider weiteten sich in Panik. Sollten sie doch. Sollte er doch mal genau die Angst empfinden, von der er die ganze Zeit sprach. Die Angst, die Panik, den absoluten Terror davor den Menschen zu verlieren, den man über alles liebte.

Genau den Menschen, den Katsuya bereits verloren hatte.

„Weißt du eigentlich, was für ein Arschloch du bist?“ Katsuya stieß sich von Sofa ab und kam zu stehen. „Mir zu verschweigen … mir vorzuenthalten, wie tief gestört du eigentlich bist“ Er schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. „Eigentlich kann ich dir das nicht vorwerfen, denn du hast es mir gesagt. Ich hatte nur keine Ahnung, wie schlimm dieses schlimm eigentlich ist und du hast nicht einmal versucht, mich darauf vorzubereiten. Du hast das alles vor mir versteckt. Du hast mit Tabletten Teile deiner Persönlichkeit unterdrückt, nur um mir einen Menschen vorzulügen, der du nicht bist“ Erneut traten Tränen in seine Augen und seine fast schreiende Stimme beruhigte sich etwas. „Dieser Mensch, den ich liebe, gibt es den überhaupt? Sollte mich deine Selbstmorddrohung wirklich beunruhigen, wenn du gar nicht der Mensch bist, den ich liebe?“

Seto schluchzte auf, zog die Beine an seinen Oberkörper und drückte sein Gesicht dagegen.

Aber es hielt Katsuya nicht auf: „Lass mich raten … du bist das Opfer und ich der Idiot, der dich einfach nicht verstehen kann. Der zu doof war, um deine Worte zu entziffern und dich als den Mensch zu sehen, der du eigentlich bist. Du bist ein egoistisches Arschloch. Du hast mir einen Menschen vorgelogen, um mich an dich zu binden. Und jetzt hast du ihn mir weggenommen und lässt mich mit den Scherben zurück, die von dir noch übrig sind. Und schlussendlich verlangst du von mir, dass ich sie aufsammle, zusammensetze und lieb habe? Meinst du nicht, dass du ein bisschen viel verlangst?“

Dieses heulende Ding auf der Couch löste ihn ihm nicht den geringsten Funken Mitgefühl aus, aber die Erinnerung, was für ein Mensch Seto sein konnte, gab seiner Wut einen Schlag in die Seite.

„Wer bist du, Seto? Was für ein Mensch bist du wirklich? Und sei ehrlich – glaubst du, ich könnte diesen Menschen lieben?“

Der wahre Seto

Ich mag eure Weltuntergangsszenarien sehr :) Um zu spoilern, man kann diese Situationen auch entschärfen. Auch die hoffnungsloseste Situation lässt sich mit wenigen Worten retten. Das hat Seto schon ein paar mal getan und wir haben hier schließlich eine lerngierigen Jugendlichen, der noch jung genug ist, um seine Verhaltensweisen bei Bedarf zu ändern.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Seto schluchzte leise. In sich selbst zusammen gerollt tat er nichts, als zu weinen. Hin und wieder durchbrach sein Atmen, sein Luft einziehen die Stille, aber keine Worte kamen über seine Lippen.

Mit jeder weiteren Sekunde wuchs die aufgestaute Wut in Katsuya mehr und so war es wohl kein Wunder, dass er schrie, als Seto schließlich doch einen Satz mit „Es tut mi-“ begann: „Du verdammter Mistkerl! Wenn du so eine scheiß Angst hast, dann steh gefälligst dazu und verhalte dich auch so. Aber anständig und nicht mit diesem jämmerlichen Rumgeheule. Als du sauer warst, hattest du auch kein Problem, 'nen anderen Kerl in unserem Bett oben zu vögeln, also flenn' hier nicht rum, dass ich dich nicht verlassen soll. Du hast wieder und wieder dein Bestes getan, um mich loszuwerden und ich habe dich trotzdem nicht verlassen. Also kratz endlich ein bisschen von dem Ego zusammen, was du sonst an den Tag legst und vertrau' mir, dass ich dich liebe! Dann brauchst du mir weder mit Selbstmord zu drohen noch dazusitzen wie das letzte Häufchen Elend und mich anzubetteln, dass ich bleibe.“

Der braune Schopf hob sich langsam und blaue Augen sahen scheu über Setos Knie hinweg.

Katsuya atmete tief durch, schloss für einen kurzen Moment die Augen und fragte dann sehr viel ruhiger: „Das ist ziemlich inkonsequent, oder? Dir zu sagen, dass du du selbst sein sollst und nicht ein ängstlicher Jammerlappen, wenn dein wahres Selbst wahrscheinlich dieser ängstliche Jammerlappen ist.“

Seto blinzelte nur.

„Okay, ängstlicher Jammerlappen ist ziemlich scheiße von mir. Ich weiß ja, warum du so Angst hast. Ist ja auch irgendwie gerechtfertigt, wahrscheinlich wäre jeder andere dir schon längst davon gerannt“ Katsuya ließ sich mit einem Seufzen zurück auf das Sofa fallen. Er klopfte auf sein Knie und benutzte eine Stimme, als würde er einen Hund befehlen. „Komm her, Seto.“

Der Kopf zog sich zurück zwischen die hoch gezogenen Schultern.

„Komm her, ich bin nicht mehr sauer“ Er streckte die Hand in Setos Richtung aus. „Na los. Ich will dich nur in den Arm nehmen.“

Die blauen Augen betrachteten ihn argwöhnisch. Er blieb einfach ruhig und erwiderte den Blick. Nach sicherlich einer halben Minute des gegenseitigen Anstarrens fiel Setos Blick auf die ausgestreckte Hand und er ließ sich nach vorne fallen, bis er kniete. Ganz langsam einen Arm oder ein Bein bewegend krabbelte er die Couch hinunter, die Augen dabei stets auf Katsuyas Gesicht gerichtet. Als er nah genug war, schloss Katsuya ebenso langsam – er wollte ihn bloß nicht erschrecken – die Arme um ihn und zog Seto auf seinen Schoß.

Wieder einmal musste er bemerken, dass Kerle von über zwei Meter Stockmaß keine Fliegengewichte waren.

Egal, er zog dessen Oberkörper an sich und bettete Setos Kopf auf seine Schulter. Der Körper unter seinen Händen war zutiefst angespannt, jeden Moment bereit zur Flucht. Daher legte er einfach nur die Arme locker um Setos Taille und hielt ihn, bis er sich langsam entspannte. Das dauerte zwar einige Minuten, aber diesmal wollte er sich Zeit lassen. Er hatte diese Situationen mit Seto heute oft genug verkackt, wenigstens diese hier sollte er richtig machen.

Die komplett angespannten Muskeln schmiegten sich nach und nach an seine Haut und das Gewicht auf ihm wurde schwerer. Setos Atem, den er auf seiner Haut spüren konnte, wurde tiefer und langsam und der Herzschlag, den er mit dem Arm an Setos Bauchdecke spüren konnte, beruhigte sich nach und nach.

Er setzte einen Kuss auf das braune Haar.
 

„Hör zu“ Er holte tief Luft und raste noch einmal durch die Worte, die er sich zurecht gelegt hatte. „Ich möchte, dass du ehrlich bist. Ich möchte, dass du du selbst bist. Auch wenn ich diesen Menschen vielleicht weniger mag. Aber ich will nicht angelogen werden.“

Seto nickte an seiner Schulter. Natürlich hatte er sich mit dem ersten Wort wieder angespannt, doch zum Glück nicht so schlimm.

„Ich ziehe jedoch eine Linie“ Er ließ eine Pause, um Setos Reaktion zu beobachten. Da er sich nicht total verspannte, fuhr er fort. „Ich möchte, dass du dich nie wieder für den Menschen entschuldigst, der du bist. Ja, du hast ein Recht, dich scheiße zu finden, aber nein, das brauchst du mir nicht sagen. Ich liebe diesen Menschen nämlich und deine Worte machen mich wütend“ Seto atmete tief aus und die Verspannung wich sogar wieder ein Stück. „Auch will ich nie wieder hören, dass du alles tun würdest, damit ich bei dir bleibe. Das erweckt in mir nur die Lust, auf dich einzuschlagen, weil ich das jämmerlich finde. Und weil es mir Angst macht, dass du mir nie sagen würdest, wenn dich etwas an mir stört. Wir sind gleichberechtigte Partner. Alles andere will ich nicht. Stell dich nie wieder unter mich“ Ein weiteres Nicken. Anscheinend hörte Seto ihm wirklich aufmerksam zu. „Und drittens wirst du mir nie wieder mit Selbstmord drohen oder sagen, dass du ohne mich nicht leben kannst. Ich bin freiwillig hier und das will ich auch bleiben. Nicht, weil ich mich gezwungen fühle, bei dir zu bleiben, weil du dir sonst etwas antust. Denn dafür würde ich dich nur hassen.“

Diesmal brauchte es einen Moment, bis Seto nickte, doch er tat es.

„Gut. Wiederhole, was du verstanden hast“, befahl Katsuya. Irgendwie war das hier verkehrte Welt. Er hörte sich an, wie Seto sonst und Seto so wie er. Nein, schlimmer als er je gewesen war.

„Ich sage nie wieder, dass ich scheiße bin oder entschuldige mich für mich. Nur für meine Handlungen, nicht für meinen Charakter. Ich sage nie wieder, dass ich alles tue, damit du bei mir bleibst. Ich versuche, mir selbst zu sagen, dass wir gleichberechtigt sind und ich nicht alles irgendwie Mögliche tun muss, damit ich deine Gefühle wert bin“ - wow, das zeugte ja wirklich von Verständnis … das hatte er gedacht? - „Ich drohe dir nie wieder mit Selbstverletzung, um dich an mich zu binden. Und ich versuche weiterhin, mich wirklich nicht zu verletzen.“

Katsuya hob Setos Gesicht und küsste ihn als Belohnung. Drachendressur gelungen. Oder Prinzessinnendressur, wenn er an vorhin dachte. Lächelnd umarmte er den anderen richtig und zog ihn fest an sich.
 

„Katsuya?“ Setos Stimme klang wieder nach seinem normalen Selbst, wenn auch unsicherer als sonst. „Ich … ich weiß, das ist vielleicht etwas dreist und viel zu schnell, aber für den Fall, dass es dir vielleicht doch nichts ausmacht, also … das ist nur eine Frage, keine Aufforderung-“

„Seto, du brabbelst“, in Katsuyas Stimme schwang Amüsement mit. Ihre vertauschten Rollen waren irgendwie interessant.

„Ja, aber ich habe Angst, dass die Frage dich ausflippen lässt“ Das klang schon eher nach dem normalen Seto. „Würdest du mit mir schlafen?“

Katsuya verlor sein Lächeln mit einem Schlag. Das war doch wohl nicht sein Ernst, oder?

„Ich, ich meine, ich dachte … wenn du oben liegst, vielleicht macht dir das dann nichts. Nur ein Gedanke. Ich weiß nicht, wie das ist … ich wollte es nur vorschlagen. Wenn es eine dumme Idee war, sag es einfach.“

Wenn er oben lag … Katsuya schluckte die Übelkeit wieder runter, die in ihm aufgestiegen war. Okay. Seto hatte nicht vorgeschlagen, es einfach auszuprobieren. Er hatte nur vorgeschlagen, dass sie es in einer Position machten, die Katsuya nicht an seine … nicht daran erinnerte. Er atmete tief durch. Sex … aber oben liegend … Sex … Seto brauchte das jetzt, aber wenn er da versagte, wäre das doch um so schlimmer, oder? Er wusste wirklich nicht, ob er das konnte. Andererseits hätte er am Freitag kein Problem gehabt, wenn er sich nicht an die … scheiße.

„Was ist mit den Infektionen? Ich will dich nicht anstecken.“

„Dafür gibt es Kondome“ Die Angst, die vorher Furchen in sein Gesicht gezeichnet hatte, wurde durch verhaltene Hoffnung ersetzt. „Das klappt schon. Wir können vorsichtig sein“ Er biss doch wieder auf seine Unterlippe. „Hast du heute morgen an deine Tabletten gedacht?“

„Ja“ Katsuya schloss die Augen und seufzte. „Sie stehen im Bad. Da denke ich dran.“

Die Unterlippe schnellte unter Setos Zähnen hervor und schmiegte sich wieder an ihr Gegenstück. So schöne, küssbare Lippen. Seto war wirklich schön, aber ob er bei dem Anblick wirklich einen hoch bekam? Er wusste es ehrlich nicht. Gerade regte sich gar nichts. Vielleicht war es zu früh.

„Ich … ich weiß nicht, ob ich es hinkriege. Bist du mir böse, wenn es dann doch nichts wird?“

Seto schüttelte fast wild den Kopf und lächelte.

„Sag mal … könnte es sein, dass nicht nur deine Ängste und Wut stärker sind, wenn du die Tabletten nicht nimmst, sondern auch deine Freude?“

Ein Nicken mit demselben strahlenden Lächeln.

„Nimm mir das nie wieder weg“, murmelte Katsuya und zog Seto an sich, um ihn zu küssen. Sein ehrliches Lächeln war schön. Seine strahlenden Augen, wenn er sich freute. Und irgendwie war es cool, mal der erwachsene, dominante Part zu sein. Oder so. Seto in seinen Armen, der mit Hoffnung zu ihm aufsah … scheiß auf seine Angst, er wollte es zumindest ausprobieren. Wenn Seto ihn so ansah, wer könnte denn da schon nein sagen?

Er leckte über dessen Lippen, gab ihm einen tiefen Zungenkuss und flüsterte, nachdem er sich wieder ein Stück gelöst hatte: „Nach oben?“
 

An Seto gab es verschiedene Dinge, die ihn anmachten. Vor allen Dingen seine Augen. Wenn er erregt war, war da ein Brennen in seinem Blick, das einen in Flammen setzte. Die Bewegungen seiner Zunge ließen Katsuya auch öfter mal an Dinge denken, die nicht immer zur Situation passten. Das Spiel seiner Muskeln unter seiner Haut, besonders die seiner Schultern und seiner Beine waren auch mindestens eine Sünde wert. Aber das Heftigste war normalerweise seine Stimme, wenn er Sex wollte. Sie war tief und schien bis in seine Knochen zu dringen und sie vibrieren zu lassen.

Diesmal war das alles anders. Setos Stimme hatte etwas Schüchternes und Aufgeregtes. Katsuya hatte keine Ahnung, wie sich Leute bei ihrem ersten Mal anhörten, aber ungefähr so hätte er sich das vorgestellt. So hätte er selbst sich angehört, wenn sie damals gesprochen hätten. Seine Lippen zeigten ein ebenso unsicheres Lächeln und seine Augen hatten zwar ein inneres Scheinen, aber eher so, als könnte er noch nicht glauben, dass er etwas bekam, was er sich sehr gewünscht hatte.

Eigentlich hätte es Katsuya abschrecken müssen. Eigentlich hätte das nicht erregend wirken sollen. Aber irgendwie … das war einfach so völlig anders. Fast in Endlosspule fragte sein Kopf, ob er das wirklich wollte, ob ihn der Gedanke an Sex nicht ekelte, ob er nicht erschrocken, ängstlich oder ablehnend sein sollte, aber irgendwie … es war halt so verdammt anders.

Das war ihr Schlafzimmer.

Das hier war sein Freund – irgendeine neue und andere Version seines Freunds, aber immer noch sein Freund.

Und er schien nicht den Hauch irgendeiner Erwartung zu haben. Eher schien er vorfreudig auf alles, was kommen würde und konnte. Die komplette Selbstsicherheit, die er sonst immer in dieser Angelegenheit gehabt hatte, schien völlig weggeblasen, aber das war irgendwie … es war anders, aber es war gut. Es war ein gutes Anders. Irgendwie. Scheiße, er konnte es nicht erklären, aber er wollte mit diesem Seto schlafen.

Vielleicht wollte er nicht einmal mit ihm schlafen, aber er wollte, dass er sich gut fühlte. Er wollte ihn küssen und streicheln und im Arm halten. Seto hatte in ihm sonst immer den Wunsch ausgelöst, sich an seine Brust zu drücken und dort für immer zu bleiben. Dieser Seto … der löste eher den Wunsch aus, ihn hier einzusperren und nie wieder rauszulassen. Nicht in einem bösen Sinne. Eher in einem beschützenden Sinne. Es war komisch, aber es war gut. Katsuya hatte schon manchmal für Seto stark sein müssen, aber dieser Seto ließ ihn einfach stark fühlen.

Es war komisch, weil das gar nicht der Seto war, den er liebte. Aber mit diesem Seto fühlte er sich noch verbundener, obwohl er ihn erst ein paar Stunden kannte. Eher sogar ein paar Minuten.

Der Unterschied war, dass dieser Seto Unsicherheit zuließ und das wirkte zutiefst menschlich. Diesen Seto konnte er zwar sicher nicht bewundern, aber dieser Seto … der fühlte sich wie seiner an. Sein Seto. Ein Seto, der ihn brauchte. Und zwar wirklich brauchte. Wo es sich auch so anfühlte.

Das Gefühl war scheiße gut.

Er zog den Größeren an sich und küsste ihn lang und tief. Und vor allen Dingen langsam. Aber zu wem sollte er jetzt gehen, wenn er Angst hatte? Ihre Zungen spielten miteinander. Konnte dieser Seto noch für ihn da sein? Lächelnd lösten sie ihre Münder voneinander und rieben ihre Nasen aneinander. Würde dieser Seto noch in der Lage sein, sich emotional auf seine Bedürfnisse einzustellen oder würde er nur noch brauchen?

Sie lösten sich ein Stück voneinander und Katsuya blickte erneut in die graublauen, hoffnungsschimmernden Augen. So offen, so gutgläubig, so liebevoll. Katsuya spürte, wie sein Hals sich verkrampfte und kein Atemzug mehr durch seine Kehle wollte. War dieser Mensch noch in der Lage, ihn zu stützen?

Eine neue Welt

Mandarinen und Schokolade, Mandarinen und Schokolade *feier*

Ich liebe den Winter. Es ist so schön, mal dieselbe Jahreszeit wie in meiner FF zu haben. Viel Spaß mit den Osterhas-, äh, Protagonisten *hüstel*
 

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Es hatte funktioniert. Er war nicht vollkommen schrottreif. Mit Erleichterung küsste Katsuya den unter ihm Liegenden und löste sich von ihm, nachdem sich sein Atem beruhigt hatte.

„Aber … du bist nicht … Katsuya?“ Das entspannte Lächeln wurde durch tiefe Sorgenfalten weggewischt.

„Ruhig, Seto“ Er legte sich neben ihn und zog seinen Kopf in eine einarmige Umarmung, während er mit der anderen nach einem Tuch griff, um Seto abzutupfen. Er wusste schließlich aus eigener Erfahrung, dass das relativ schnell unangenehm wurde. „Alles gut. Liegt nicht an dir.“

„Sicher?“ Wenigstens klang seine Stimme ansatzweise überzeugt. Katsuya legte das Tuch kurz weg und zog sich das Kondom ab. Wie schaffte Seto das immer, ihn sofort in seine Arme zu ziehen und nebenher bis zum Mülleimer zu kommen? Seto ließ ihn sich auf den Rücken drehen, um über die Bettkante zu greifen, aber legte sich dafür auch mit dem Oberkörper diagonal über Katsuya. „Du bist noch nie nicht … ich meine … ist das wegen …“

„Ja, deswegen“, murmelte Katsuya etwas unwirsch, schob den Älteren von sich, aber zog ihn auch wieder zu sich, als er sich zur Seite gedreht hatte, „lass uns nicht drüber reden.“

Sonst würde nur dieses Gefühl von Ekel wieder hoch kommen, das die ganze Zeit in seinem Hinterkopf gewesen war. Das war schon echt bizarr gewesen. Seto nicht zu begehren, aber mit ihm schlafen zu wollen, hart zu werden durch die Stimulation, aber sich vor der eigenen Erregung zu ekeln. Es war nicht schlecht, aber auch nicht gerade gut. Erst recht nicht, wenn er Seto damit extrem verunsicherte, schließlich war der gerade labil genug.

„Wenn du wünscht“ Der Größere versuchte näher an ihn zu rücken, aber Katsuya wich zurück. „Ich … habe ich wirklich nichts … Katsuya?“

„Ich … ich hole mir meine Pyjamahose, ja? Ich will dich wirklich nicht mit irgendetwas anstecken. Ich würde mich sicherer fühlen“, gab er leise zu.

„Ich hol' sie“ Seto küsste ihn kurz und schwang sich aus dem Bett, wobei er nach dem Aufstehen kurz inne hielt. Nach einem Blick über die Schulter schlug er kurz seinen Hintern, bevor er das Zimmer verließ.

Tja, auch wenn Seto unsicher war, er war trotzdem besser gelaunt. Katsuya seufzte und schloss die Augen. Und, wie fühlte er sich? Außer, dass er sich schmutzig fand, weil es sich nicht schlecht angefühlt hatte? Und wie widersinnig war das … Sex mit Seto sollte sich gut anfühlen. Da war nichts Schlechtes dran. Aber er dachte es trotzdem. Bei allen Göttern, warum hatte es unbedingt eine Vergewaltigung sein müssen? Hätte man nicht wenigstens einen Bereich von ihm intakt lassen können?

„Arschloch“, zischte Katsuya und öffnete die Lider wieder, „Und ich kann's trotzdem noch.“

„Hast du etwas gesagt?“, fragte Seto, der gerade wieder herein kam.

„Nichts Wichtiges“ Katsuya fing die Hose, die der andere ihm zu warf. Während er sie anzog, verfolgte er mit dem Blick, wie Seto zum Schrank ging, sich selbst auch eine Pyjamahose raus holte und anzog.

„So gut?“ Er blieb unsicher neben dem Bett stehen.

„Alles gut“, bestätigte Katsuya mit einem Lächeln.

Seto rutschte neben ihn, griff die Decke vom Fußende und zog sie über sie beide, während er Katsuya in seinen Arm zog. Auf Seto war es doch echt am bequemsten. Sein Freund griff noch schnell nach dem Lichtschalter, bevor er endlich still liegen blieb.

„Willst du wirklich nicht drüber reden?“, flüsterte er in die Dunkelheit.

„Nein“ Nicht jetzt. Nicht heute. Am liebsten nie.

„Dann schlaf' gut.“

Schön wär's. Katsuya seufzte leise.
 

„Schhh … ich bin hier … ich bin hier“ Seto umarmte ihn fest und wiegte ihn hin und her.

„Nein“ Katsuya drückte halbherzig gegen den anderen. „Lass mich los … ich bin krank … meine Tränen …“

„Weder meine Brust noch meine Schulter hat offene Wunden. Alles ist gut“ Eine Hand begann Katsuyas Rücken auf und ab zu fahren. „Du bist sicher. Es ist alles gut. Ich bin hier.“

Bei allen Göttern. Bei allen Göttern. Katsuya klammerte sich an den anderen. Wirklich klammern. Er schlang sogar die Beine um ihn. Seto war da. Sein Seto. Der gute Seto. Der Seto, der ihn beschützte.

„Ich liebe dich. Ich liebe dich!“

„Ich dich auch“ Seto küsste sein Haar, sein Ohr, alles, was er gerade erreichen konnte mit einem Freund, der mit ihm verschmelzen wollte. „Du bist sicher. Keiner wird dir hier weh tun.“

Katsuyas panischer Atem beruhigte sich langsam wieder und mit einem tiefen Seufzer ließ er die Spannung aus seinem Körper fließen. Es war nur ein Traum. Es war nicht echt. Nur ein Traum.

Einige Minuten hielt Seto ihn einfach nur fest, bevor er schließlich ein Bein griff und seinen Freund so etwas von sich löste. Langsam und vorsichtig ließ er sie zurück auf die Matratze sinken, wodurch Katsuya halb auf ihm zu liegen kam. Nach einem Moment zog Seto ihn etwas mehr neben sich, bis nur noch sein Kopf auf dessen Schulter lag. Er flüsterte in die Dunkelheit: „Bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst?“

Katsuya, der sich einfach nur fühlte, als sei ein Lastwagen über ihn gerollt, schüttelte nicht einmal mehr den Kopf. Er gab einfach gar keine Antwort. Seto sollte das wissen … er hatte bestimmt auch lange mit Alpträumen gelebt.

„Jedes Mal, wenn ich um eine Ecke biege, sehe ich Mokuba auf dem Boden“, flüsterte Seto in die Dunkelheit – Katsuya zuckte zusammen, „nicht so, wie ich ihn fand. So, wie er am Ende war. Als er nur noch dalag und der ganze Boden voller Blut war. Eigentlich kniete ich da bereits am Boden und schrie wie wahnsinnig um Hilfe, aber trotzdem sehe ich dieses Bild, wenn ich um Ecken biege. Jedes Mal.“

Katsuya presste die Lippen zusammen und seinen Kopf in die Kuhle zwischen Setos Schulter und seinem Hals.

„Keine Sorge, ich weiß, dass es ein Unfall war. Du bist nicht schuld“ Die große, warme Hand legte sich über sein Haar, sein Ohr und ein Stück seines Gesichts. „Weißt du, warum ich dich immer zur Schule gefahren und nicht einmal die Bahn habe nehmen lassen? Das war nicht nur, weil ich selbst hin musste. Für unsere Tarnung wäre es viel besser gewesen, wenn ich dich nicht mitgenommen hätte. Aber die Angst davor, dich durch die Haustür gehen zu sehen, die hat mich fast überwältigt.“

„Du hast Angst vor Türen“, flüsterte Katsuya. Das hatte Seto ihm schon mal gestanden.

„Besonders zufallenden Türen. Besonders, wenn sie hinter Leuten zufallen. Jedes Mal ergreift mich die tiefe Panik, dass ich diesen Menschen als nächstes tot auffinde.“

„Wie schaffst du es, mich gehen zu lassen? Wie schaffst du es, selbst raus zu gehen?“, fragte er mit unheimlich müder Stimme.

„Ich sage mir jedes Mal, dass es nicht echt ist. Dass es meine Angst ist wegen dem, was mit Mokuba passiert ist. Dass das Ereignis fünf Jahre her ist und ich nicht mehr daran ändern kann. Dass ich mich nicht von unbegründeten Ängsten überwältigen lassen darf.“
 

Ein Stahlpfeiler.

Er kannte diesen Stahlpfeiler. So endlos lange Tage war er an ihn gefesselt gewesen. Jetzt stand er davor. Nein, kniete davor. Warum? Er sah an sich herunter. Warum war er nackt?

Oh.

Weil sein Schwanz in dem Kerl steckte, der an den Pfeiler gebunden war. Bitte nicht Seto. Bitte nicht Seto! Er sah auf zum Gesicht.

Und schrie.

Er fuhr aus dem Bett, fiel auf den Boden, krabbelte weg, bis er sich in eine Ecke zwischen Schrank und Wand drücken konnte, die Augen starr in die Dunkelheit gerichtet. Doch er sah es immer noch. Immer noch.

Die durchgeschnittene Kehle.

Das Grinsen auf den Lippen.

Die blonden Haare.

Er hatte seinen Vater vergewaltigt, nachdem er ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Katsuya fuhr auf, rannte um die Kommode herum, knallte gegen der Türrahmen zum Bad, suchte fanatisch die Klinke, bis er sie endlich runter gedrückt und in den Raum gefallen war. Auf Knien robbte er bis zu Toilette, zog den Deckel hoch und spie hinein.

Zweimal. Dreimal.

Erst nachdem er tief Luft ein und aus zog, wurde er den Händen gewahr, die über seine Schultern strichen. Den beruhigenden Worten. Der Wärme hinter sich. Ohne einen Gedanken über seinen Zustand drehte er sich um, schwang die Arme um Seto und schluchzte auf. Scheiße ... scheiße!

„Ich bin hier, Kats. Ist ja gut ... du bist sicher. Ganz ruhig“ Seto zog ihn mit sich hoch und stützte ihn, da Katsuyas Beine unter ihm fast wegbrachen. „Ich glaube, wir lassen das mit dem Schlafen. Du hast vier Stunden geschafft. Das reicht erstmal“ Vier Stunden? Das hieß, es war was – zwei Uhr morgens? „Ruhig ... erschrick nicht, ich ziehe dir jetzt die Hose aus. Und dann gehen wir erstmal duschen. Du bist völlig durchgeschwitzt.“

Duschen ... duschen klang gut. Katsuya, dessen Schluchzen sich langsam wieder beruhigt hatte, konzentrierte sich darauf, gerade stehen zu bleiben, während Seto ihn auskleidete. Er packte zur Sicherheit jedoch trotzdem dessen Schulter, als er aus den Hosenbeinen stieg. Seto hob ihn in die Dusche, da er seiner Koordination gerade auch nicht wirklich zu trauen schien. Katsuya lehnte sich dort einfach gegen ihn und ließ Seto machen.

Erst, als er im Bademantel in der Küche saß und auf seinen Kakao wartete, wurde ihm klar, was ihn an der Szene gestört hatte. Obwohl gestört das falsche Wort war. Schließlich war es eher eine positive Überraschung: Trotz aller Unsicherheit und Angst war Seto noch ganz perfekt dazu in der Lage, sich auch um ihn zu kümmern.
 

„Danke“, murmelte Katsuya leise und ließ sich den warmen Becher mit Kakao geben, „sag mal ... hast du eigentlich auch Alpträume?“

„Meistens“ Seto ging zurück zur Theke, nahm sich auch einen Becher und füllte ihn mit Kaffee, was die noch nicht fertige Maschine zu einem furiosen Zischen bewegte, bis er die Kanne zurück stellte. „Aber ich erinnere mich nicht an sie.“

„Glücklicher ... ich habe das Gefühl, meine werden immer ekelhafter“ Wollte er wirklich darüber reden? „All der Mist, den ich erlebt habe ... all das vermischt sich in meinen Träumen und spuckt echt kranke Sachen aus.“

„Wie zum Beispiel?“ Seto zog sich einen Stuhl von der Seite der Küche neben Katsuya. Es war schon irgendwie komisch, plötzlich keinen Tisch mehr zu haben.

„Ähm ... also im letzten habe ich ... ich ... ich kann da nicht drüber reden“ Katsuya wandte den Kopf ab. „Mir wird schon wieder übel. Frag nicht, ja?“

„Erzähl mir von einem, der schon etwas her ist. Der dich nicht mehr so mitnimmt“, bat Seto leise.

„In einem wurde Isamu von Satanisten misshandelt. Und in einem anderen beging meine Schwester Selbstmord. Und einmal wurdest du von Krokodilen gefressen.“

Seto nickte langsam und nahm einen Schluck Kaffee, bevor er sagte: „Das sind alles deine Verlustängste. So etwas kenne ich gut. Wir drei sind praktisch deine ganze Familie.“

Hm ... machte Sinn. Ja, er hatte extreme Angst, jemanden zu verlieren. Yami und Ryou gehörten auch dazu. Das waren einfach unheimlich wichtige Menschen in seinem Leben.

„Worum gehen die Träume, die mit der Vergangenheit zu tun haben? Nur ganz grob. Wer kommt darin vor?“

„Meistens mein Vater. Manchmal meine Mutter. Ganz, ganz selten auch dein Bruder. Er ist meistens eher als eine Wunde oder Blut vertreten, nicht als Mensch. Und“ Katsuyas Stimmte versagte und er musste schlucken. „Der Kerl ... der kommt nicht vor. Aber die Fesseln. Der Stahlbalken, an den ich gefesselt war. Und die Kälte. Der Ort hat sich tiefer eingeprägt als die Person.“

„Du wurdest dort tagelang festgehalten. Das ist wohl nicht so ungewöhnlich“ Seto ließ einen Moment des Schweigens. „Komme ich auch in diesen Alpträumen vor?“

Katsuya schüttelte müde den Kopf. Er trank Kakao, aber es wärmte ihn auch nicht gerade. Vielleicht war der Bademantel zu dünn, vielleicht war es die Erinnerung, aber ihm war eiskalt.

„Meinst du, das Feuer ist noch an?“, fragte er leise.

„Es dürfte noch glühen“ Seto hielt ihm eine Hand hin, die er gerne nahm, um ins Wohnzimmer geführt zu werden.

Der Kamin glühte wirklich noch. Seto legte zwei Holzscheite nach, bevor er den Couchtisch hoch hob und zur Seite stellte, um ihren Couchteppich vor den Kamin zu ziehen.

Spaziertherapie

Na, schon voll im Weihnachtsstress? Lasst euch die Zeit versüßen mit einer neuen Nebensequenz:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/119235/

Hier liegt sogar noch eine rum, aber ich habe sie noch nicht abgetippt. Bei Drachenbrut lade ich auch gerade ein neues Kapitel hoch und "Eine Nacht in Bangkok" (http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/298332/) kann ich euch immer noch ans Herz legen.

Genug der Werbung, viel Spaß beim Lesen ^v^
 

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„Ist mein Flauschteppich noch nicht da?“, fragte Katsuya mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen und setzte sich auf den hingezogenen.

„Liegt im Möbelhaus. Ich war nicht ganz sicher, ob Lieferung eine gute Idee wäre“ Seto zog seine Armbanduhr aus der Tasche seines Bademantels. „Ich kann ihn in viereinhalb Stunden abholen fahren.“

„Hm“, murmelte Katsuya nur ohne große Betonung. Er legte sich auf den Teppich, den Kopf in Setos Schoß und zog die Beine an, um sie näher an das hoffentlich bald wieder flammende Feuer zu kriegen. „Seto? Geht das wieder weg?“

„Die Träume?“

„Und die Angst ... bei jedem fremden Geräusch fahre ich zusammen und wenn mich irgendetwas erinnert, dann klopft mein Herz wie wild und mir wird übel. Das ist doch nicht normal.“

„Nein, ist es nicht“ Seto schlängelte eine Hand zwischen Katsuyas Brustkorb und seinen Arm und wärmte diese so. „Das ist das intrusive Syndrom, das Haupterkennungsmerkmal einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das habe ich auch. Seit ... seit Gozaburo.“

„Das hatte Yami mir irgendwann mal erklärt, als er mir erzählte, was du hast ... was war das nochmal?“, fragte Katsuya nach.

„Das intrusive Syndrom besteht aus drei Dingen. Flashbacks und Alpträumen, dem Hyperarousal, also dem Erschrecken durch die kleinsten Dinge, und dann je nach Buch die Triggervermeidung oder die körperlichen Symptome, die man auch bei Panikattacken haben kann. Herzklopfen, Übelkeit, kaltes Schwitzen und zuckende, schnelle Bewegungen. Du hast es gerade wunderbar selbst beschrieben“ Seto ließ eine Pause. Wahrscheinlich, falls Katsuya Fragen hatte. Hatte er nicht, er erinnerte sich wieder, was Yami erzählt hatte. Trigger waren Gegenstände oder Situationen, die an das Trauma erinnerten. Diese vermied man. Wenn man auf sie traf, kam es zu Flashbacks. Flashbacks lösten die körperlichen Symptome aus. „Nach einem Trauma, besonders einem schweren Trauma, ist das ganz normal. Manchmal hält es nur Minuten, manchmal Stunden, selten Tage. Wenn es länger anhält ... erst dann ist es krankhaft. Bei mir hält es seit über vierzehn Jahren.“

Tja. Zumindest rannte Seto nicht plötzlich wie ein Wilder durch ein völlig harmloses Wohngebiet, weil er die Mafia hinter jedem Auto vermutete. Bei allen Göttern, jeder Psychiater würde ihn sofort in die Klapse stecken. Er erwiderte nur: „Man merkt es dir nicht an.“

„Danke“ Seto lächelte ohne jede Freude dahinter. „Am Anfang war es auch nicht einfach. Ich ging den Flur entlang und dachte jeden Moment, dass ein Schlag von hinten kommen wird. Ich habe mich alle zwei Meter umgedreht. Ich zuckte zusammen, weil ich bemerkte, dass ich nicht auf allen Vieren krieche, bis mir wieder einfiel, dass es ich nicht mehr muss. Wie du selbst weißt, meide ich Keller wie die Pest. Ich kriege Panikattacken, wenn ich in den Keller gehe. Die Wände kommen auf mich zu und ... die Erinnerungen kommen wieder. Die Angst zu ersticken. Die Angst zu erfrieren. Mich erschreckt auch jedes kleine Geräusch. Auch heute noch. Es hat etwas nachgelassen, aber es ist immer noch da. Mit der Zeit ist alles weniger geworden. Heute bemerke ich es kaum noch. Ich weiß, dass die dunkle Vorahnung nur meine alte Angst ist und ich weiß, dass die Mokubas und das Blut alles nicht echt sind. Ich weiß, dass der Chlorgeruch gar nicht da ist, weil ich alle Putzmittel selber kaufe und keines davon Chlor enthält. Ich weiß, dass die Gesichter von Gozaburo, die ich manchmal im Fenster sehe, auch nicht echt sind. Sie machen mir zwar Angst, aber ich kann mir sagen, dass es nicht real ist.“

Katsuya, dessen Augenbrauen mittlerweile zusammen gezogen waren, meinte vorsichtig: „Du hast ganz schön viele Halluzinationen.“

„Deine Angst kann eine Menge Dinge real werden lassen. Bei mir sind die meisten meiner Schutzmechanismen leider völlig außer Kontrolle geraten“ Seto schluckte und drehte Katsuya etwas auf den Rücken, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ich hoffe, dass es bei dir nie so weit kommt.“
 

Je mehr Seto von sich verriet, desto schockierender war es irgendwie, dass er wirklich noch lebte. Allein die Halluzinationen – überhaupt welche zu haben, aber dann auch noch von dem Menschen, den man am meisten hasste und fürchtete – hätten Katsuya schon lange zu drastischen Maßnahmen getrieben. Natürlich hatte er verstanden, dass Seto ständig Angst hatte, aber was das für Formen annahm, das war schon ... das war echt krass.

Kein Wunder, dass er Sex so liebte. Wahrscheinlich war es das einzige, wo er sich entspannen konnte, ohne Angst zu haben. Einfach weil ihm das noch nie jemand vermiest hatte. Wenn man den ganzen Tag lang Halluzinationen und Panikattacken in Abwechslung mit Dissos hatte, würde wahrscheinlich jeder froh sein über eine Oase, weit weg von all dem.

Eigentlich war es mehr ein Wunder, dass Seto überhaupt noch etwas anderes tat, als Sex zu haben. Also, klar, irgendwie musste man Geld verdienen, um zu überleben, aber ... bei allen Göttern, er würde nie und nimmer mit Seto tauschen wollen. Und warum hatte es unbedingt eine Vergewaltigung sein müssen? Diese Beziehung war ziemlich fest, solange sie beieinander blieben, Sex hatten und gegenseitig ihre Aussetzer versorgen konnten. Aber Sex war ... war jetzt ziemlich kompliziert für ihn. Nur wegen dieser scheiß Vergewaltigung. Wenn ihre Beziehung doch daran kaputt gehen würde, würde er den Kerl ... Erschießen war viel zu nett gewesen. Er hätte wahrlich Schlimmeres verdient, einfach nur für das, was er Seto jetzt weggenommen hatte.

„Woran denkst du?“, fragte dieser leise.

„Dass ich dem Kerl, der mich vergewaltigt hat, die Augen raus reißen und den Schwanz abhacken will“, erwiderte Katsuya mit einem Knurren, „er ... ich weiß, wahrscheinlich sollte ich sauer sein, was er mir angetan hat, aber ich bin viel wütender, was er dir damit angetan hat. Ich habe ja verstanden, dass ich die Mühen wert bin, solange ich dafür für dich da bin, aber ... jetzt kann ich das nicht mehr. Also, nicht mehr so wie vorher. Es tut mir weh, dass es dir schlecht geht, weil jemand mich kaputt gemacht hat.“

„Du bist nicht kaputt. Wenn du nicht hören willst, dass ich kaputt bin, dann fange nicht an, dasselbe über dich zu erzählen“, wies Seto ihn zurecht, „Ich weiß, was du durchmachst. Okay, nicht genau dasselbe, aber wie man sich nach einem Trauma fühlt, das weiß ich. Das habe ich oft genug gehabt. Ich weiß, wie das ist, wenn man nicht glauben kann, dass das je wieder gut oder zumindest besser wird. Knapp an der Linie dazu, dass man sich selbst und die Welt nicht aushält“ Katsuya traten Tränen in die Augen. Bei allen Göttern, das klang genau nach dem, an das er die ganze Zeit nicht hatte denken wollen. „Aber als jemand, der das alles mehr als einmal durchgemacht hat, lass dir eins sagen: Es wird besser. Auch wenn es gerade nicht so aussieht. Es wird besser“ Katsuya drehte sich in Setos Schoß, sodass er sein Gesicht in Setos warmen Bademantel drücken konnte. „Ich weiß, dass du Angst hast. Auch um mich. Besonders nach gestern. Aber du bist und bleibst alles, was ich will und brauche, auch so. Unter der Angst bist du immer noch der Mensch, den ich liebe. Glaubst du mir das?“

Wenn Seto anfing, von Gefühlen und Liebe zu reden, glaubte Katsuya ihm alles. Er sagte es selten genug. Seine Arme zitterten, obwohl er sie fest um den anderen geschlungen hatte. Am liebsten hätte er Danke gesagt, aber er brachte kein Wort hervor. Egal, wie viel Angst da war, Seto blieb auch derselbe.

Das war alles, was er wollte.
 

„Du rutschst also langsam in die Wut“ Seto schien mehr zu sich selbst als zu Katsuya zu sprechen, während er ihm mit einer Hand durch das Haar fuhr, das nicht mehr völlig klatschnass war. „Jetzt, wo ich ohne Panik um dich und uns über das alles wieder nachdenken kann, kann ich mich auch daran erinnern, wie ich diese Phasen manchmal durchlief. Zumindest ... bei den kleineren Traumata“ Er atmete tief durch. „Wut ... Wut war eine sehr starke Phase. Wut war eine Phase, wo man sich mit Triggern beschäftigen konnte. Und eine Phase, wo man begann, über das Ereignis zu reden“ Er strich den blonden Pony aus Katsuyas Gesicht. „Ich glaube nicht, dass ich dich gerade zum Ereignis selbst befragen sollte, aber könntest du mir sagen, was für Dinge oder Situationen dich daran erinnern?“

Katsuya schloss die Augen und drückte seinen Kopf wieder in den Bademantel. Er wollte nicht ... er wollte es einfach nicht. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass er irgendwann sowieso musste. Vielleicht war das ein guter Einstieg.

„Der Stahlpfeiler. Er ist in jedem meiner Träume. Und ... die Handschellen an meinen Händen. Das Gefühl, gefesselt zu sein. Mich nicht bewegen zu können. Dann ... menschenleere Wohngebiete. Allein auf einer Straße zu sein. Diese Autos, in denen man Dinge ausliefert. Mit dem großen Heck. Und ... ich will nie wieder Bagel mit Ei.“

„Also du gestern so panisch rein gerannt kamst, war das-“

„Wohngebiet. Als ich feststellte, dass ich allein war ... die Erinnerungen kamen hoch. Und die Angst. Ich weiß, das macht gar keinen Sinn, aber ich hatte eine scheiß Angst.“

„Es macht Sinn für deinen Kopf“ Seto strich über das blonde Haar. „Er will dich nur davor schützen, dass so etwas nochmal passiert. Du darfst keine Angst vor deiner Angst bekommen. Dein Kopf sendet einfach nur Warnsignale. Dass sie etwas übertrieben sind ... das muss dein Kopf erst wieder lernen.“

„Es geht wirklich wieder weg?“, flüsterte Katsuya leise.

„Wenn du dich dem langsam stellst und es verarbeitest, ja“ Seto zog seine Hände weg, legte dafür die Arme um Katsuya und zog ihn hoch, sodass er gegen seine Brust lehnte. „Ein Teil geht dadurch weg, je sicherer du dich fühlst. Je mehr Zeit einfach vergeht. Ein anderer Teil muss aktiv bekämpft werden, indem du nicht vor deinen Triggern davon rennst.“

Katsuya seufzte tief. Er hatte den Teil ja erwartet, aber ... er wollte nicht. Triggern treffen hieß, das Erinnerungen kamen. Er murmelte: „Yami meinte schon, ich muss wieder lernen, allein nach draußen zu gehen.“

„Ja, das ist essentiell wichtig. Aber wir gehen das langsam an. Nicht mit Bakuras Brachialmethoden“ Seto lächelte schief.

Stimmt, Ryou hatte nach seiner Vergewaltigung auch Angst gehabt, nach draußen zu gehen. Weil große Männer ihn daran erinnerten. Deswegen hatte Bakura ihn durch Menschenmassen getragen.

„Heißt das, du wirfst mich nicht mitten im Wohngebiet aus dem Auto und fährst weg?“, Katsuya legte seinen Kopf auf Setos Schulter.

„Ganz bestimmt nicht. Wir gehen zusammen raus und wenn das kein Problem ist, dann gehst du allein. Erst eine ganz kleine Strecke wie bis zum Ende der Straße und dann immer Größere“, erklärte Seto.

Katsuyas Magen rotierte bei der Vorstellung, aber sein Kopf sagte, das hörte sich ganz okay an. Mit Seto schaffte er. Bis zum Ende der Straße auch, das war in Rufreichweite. Seto würde es hören, wenn er schrie.
 

Katsuya, der die Hände in die Taschen des von Seto geliehenen Mantels gepresst hatte, kickte missmutig einen Stein vor sich her und murrte: „Hätten die mich nicht im Sommer entführen können? Es ist arschkalt hier draußen. Wenn wir jetzt wirklich vier oder fünf therapeutische Spaziergänge pro Tag haben, erfriere ich eher statt heile zu werden.“

Seto trug einfach nur ein Halblächeln auf den Lippen und ertrug die Tirade stumm.

„Die Kälte erinnert mich auch dran. Nicht so schlimm, aber ich hatte echt Angst, zu erfrieren. Ich war da festgebunden und hatte nicht einmal eine Decke. Irgendwann haben sie mir eine gegeben, aber nach der ersten Nacht, da ... ich bin echt froh, dass mir nichts erfroren ist. Hätte der eine mich nicht irgendwann-“ Katsuyas Stimme versagte.

„Ja?“, hakte Seto nach einem Moment nach.

„Dean hat Jason weggeschickt, damit er für mich wärmere Klamotten und mehr Decken holt. Aber weil ich allein mit ... mit ihm war ...“ Katsuya atmete tief durch. „Sonst hätte Jason ihn aufgehalten.“

Seto legte einen Arm um seine Schultern und zog ihn an sich. Da Katsuya stehen blieb, wandte er sich zu ihm, küsste sein Haar und zog ihn weiter. Katsuya seufzte nur, doch ließ sich mitziehen. Tja, was sollte Seto auch sagen?

„Ich meine, hätten sie sich das nicht denken können? Dass Ted das tun würde? Warum haben sie mich mit ihm allein gelassen? Dean oder Jon hätten doch noch da bleiben können. Sie hatten ihn doch eh schon verdächtigt. Sie haben ihn ja gewarnt, aber ... warum?“ Erneut versagte ihm die Stimme.

„Sie haben nicht geglaubt, dass er es wirklich tut. Ihnen war klar, dass ihn das wahrscheinlich das Leben kosten würde. Der Kerl war nicht mehr ganz beisammen, das ist fraglos.“

„Ich weiß nicht ... er war vielleicht ekelhaft, aber er hat ganz normal geredet. Er hat ja auch gearbeitet. Wie konnte er so den Faden zur Realität verlieren?“

„Er war Menschenhändler, richtig?“, fragte Seto nach.

„Ja. Er hat wohl normalerweise die Frauen aus den armen Länder in die reichen geschmuggelt. Jason hat ein bisschen was erzählt, nachdem Ted ... tot war. Die beiden waren wohl Freunde gewesen.“

„Wenn du so einen Beruf machst, musst du deine Gefangenen als Ware ansehen. Als Objekte. Je näher du an den Opfern dran bist, desto mehr. Du hattest für diesen Kerl ungefähr den Wert von einem Sack Kartoffeln. Während die anderen wohl verstanden, dass du etwas Besonderes bist, hat er dich wie alle anderen behandelt ... in seinen Augen.“

„Meinst du, er hat auch die Frauen vergewaltigt, die er transportiert hat?“ Katsuya, der mittlerweile an Seto gelehnt ging, legte die Arme um ihn.

„Auf jeden Fall. Die Welt ist wahrscheinlich nicht allzu traurig, ihn los zu sein“ Seto warf ihm einen resignierten Blick zu. „Du hast hunderten von Frauen dein Schicksal erspart.“

„Mir wär' trotzdem lieber, es wär' nie passiert“ Katsuya verzog das Gesicht. „Ich wünsche mir schon fast, er wär' noch am Leben, damit ich ihn leiden lassen könnte.“

„Den Wunsch teilen wir“, erwiderte Seto mit einer erschreckend tiefen Stimme. Katsuya sah auf, aber der andere blickte in die Ferne. Vielleicht war es auch besser so. Seine Augen waren ungewöhnlich hell.

Ein neuer Teppich

Ich bin sehr froh, dass ich so viele Kapitel bereits fertig geschrieben habe. Ich war seit Wochen nicht mehr in der Lage zu schreiben, weil einfach gar keine Zeit ist. Diese Woche werde ich meine Doktorarbeit abschließen (zumindest den ersten Entwurf), dann werde ich hoffentlich wieder einen Moment haben.

Zumindest habe ich bereits alle Weihnachtsgeschenke beisammen ^v^ Ich hoffe, ihr versinkt nicht im Weihnachtsstress. Frohes Lesen!
 

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Katsuya schwieg lieber. Er hatte eh gerade mehr erzählt, als er je gedacht hatte, zu erzählen. Seto hatte recht, Wut beflügelte die Zunge. Dabei war das gerade mal ihr dritter Spaziergang heute. Er sah noch einmal hoch. Setos Augen wurden langsam wieder dunkler. Kuschelte er sich hier gerade wirklich an einen Seto-TI-Mix? War erstaunlich wenig aggressiv. Mit Seto davor war das Ding wirklich erträglich.

Warum war sein TI auf den Kerl sauer, der Kats vergewaltigt hatte? War das TI nicht das Wesen, was nur die negativen Emotionen aus Setos Traumata trug? Oder trug es Setos komplette Wut? Wenn ja, hieß das, dass jedes Mal, wenn Seto wütend wurde, das TI rauskam? Katsuya wollte gerade zur Frage ansetzen, als eine Dame um die Ecke bog und ihnen entgegen kam.

„Du!“ Sie blieb stehen und richtete den Finger auf Katsuya, welcher nur verwirrt blinzelte. „Ist das Ihr Sohn, Herr ...?“

„Kaiba. Ja, ist er“, bestätigte Seto und befand es anscheinend für völlig unnötig, Katsuya aus seiner Halbumarmung zu lösen.

„Sie sollten ihn wirklich besser erziehen. Gestern hat er mich umgerannt, sodass ich in einen Busch gestürzt bin und hat sich nicht einmal entschuldigt. Fiffy hat sich schrecklich erschrocken!“

Irgendwie klang der letzte Satz nach dem schlimmsten Vorwurf. Katsuyas Blick fiel auf den Cockerspaniell, der bis zu ihnen vor getappst war und ihn mit großen Augen ansah. Er ging in die Knie und begann, den Hund zu streicheln. Mit einer Stimme, als könnte ihn kein Wässerchen trüben, sagte er zu dem Hund: „Es tut mir sehr Leid, dass ich dich erschrocken habe, Fiffy.“

„Auch bei Kindern hilft es stets, erst nachzufragen, ob es vielleicht einen Grund für ihr Benehmen gab. Zu wettern, dass sie schlecht erzogen sind, hilft meist keinem. Ihr Hund hat anscheinend einen guten Spürsinn, wer ein guter Mensch ist“ Seto fuhr mit einer Hand über das blonde Haar. „War das gestern bei deiner kleinen Eskapade?“

„Wahrscheinlich“ Er sah auf. „Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht mehr.“

„Das rettet einen auch nicht“ Seto tippte seine Schulter an und nickte zu der Dame.

Ach, scheiße ... er hatte keine Lust, sich bei der blöden Kuh zu entschuldigen. Er erhob sich trotzdem, beugte sich artig vor und sagte: „Es tut mir sehr Leid, dass ich Sie umgerannt habe.“

„Nun gut“ Sie blinzelte verwirrt. „Gut ... bitte schau nächstes Mal, wo du hinläufst. Fiffy, komm“ Sie nickte Seto zu und ging an ihnen vorbei.

Katsuya steckte die Hände in seine Jeanstaschen und ging weiter. Mit einem leisen Seufzen folgte Seto ihm.

„Musste das wirklich sein?“, grummelte Katsuya nach ein paar Metern, „Sie war scheiße unhöflich.“

„Und du kannst dich nicht daran erinnern, sie umgerannt zu haben. Wer weiß, wie heftig du sie erwischt hast. Sie hat wahrscheinlich allen Grund, auf dich wütend zu sein. Außerdem ist sie älter. Du magst schlauer, schöner, erfolgreicher und sonst was alles sein, aber Alter zählt in unserer Welt noch immer viel. Auch wenn man es vielen Menschen nicht anmerkt, Erfahrung ist schon ein großer Faktor im Leben. Bei vielen Problemen kann einem die Perspektive eines alten Menschen helfen. Es rechtfertigt ihre Unhöflichkeit nicht, aber deine, dich nicht zu entschuldigen, würde es auch nicht rechtfertigen.“

„Hmpf“ Katsuya drückte sich rabiat in Setos Seite und schlang die Arme wieder um ihn. „Menschen müssen sich ihren Respekt erst verdienen.“

„Weißt du, wie schwer es ist, Dinge zu predigen, die ich selbst nicht vertrete?“ Seto seufzte. „Ich versuche es trotzdem: Jeder Mensch hat Respekt verdient. Ob er ihn durch seine Handlungen verliert, ist eine andere Sache, aber prinzipiell solltest du andere nicht grundsätzlich minderbewerten.“
 

Katsuya griff nach dem klingelnden Handy, das auf dem Couchtisch lag, ließ es aufschnappen und meldete sich mit: „Katsuya Kaiba für Kaiba am Apparat.“

„Guten Nachmittag, Katsuya“ Ein erleichtertes Seufzen war von Yami zu hören. „Na, alles in Ordnung bei euch da drüben?“

„Bestens. Hast du dir Sorgen gemacht?“ Blöde Frage, natürlich hatte er das. „Seto duscht gerade. Er meint, er wäre voller Flusen vom Teppichtragen. Der Teppich hat nicht einmal Flusen!“

„Teppichtragen?“

„Ja, ich habe ihn dazu verdonnert, mein Weihnachtsgeschenk abholen zu fahren. Ich habe mir einen Flauschteppich für vor den Kamin gewünscht.“

„Und was hat er gekauft? Einen Eisbären?“ Yami klang amüsiert.

„Keine Ahnung. Aber ist weich und passt perfekt hierhin.“

„So wie ich Seto kenne, hat er einen Teppich maßanfertigen lassen. Er ist da etwas eigen.“

„Soll er doch. Teppiche stehen nicht auf der Liste der gefährdeten Möbel. Nicht so wie der Büroschreibtisch oder Küchentische. Anbei, ich durfte mir den Küchentisch aussuchen. Wir haben jetzt einen etwas kleineren metallischen Tisch mit verschiedenen Inlays“ Katsuya legte sich mit dem Rücken auf den neuen Teppich. „Übrigens, du kannst stolz sein. Ich war heute viermal mit Seto spazieren.“

„Das ist ... entschuldige, wenn ich ein bisschen überrascht bin, aber als ich gestern ging, war Seto dissoziativ und du hattest gerade eine Panikattacke hinter dir. Ich bin etwas erstaunt, wie harmonisch das gerade klingt“ In Yamis Stimme schwang Sorge mit.

„Tja, er hat mir mit Selbstmord gedroht, ich habe ihn angeschrien, wir haben uns beruhigt, drüber geredet und ich habe ihn in die Matratze gevögelt“ Katsuya lächelte schief. „So weit, so gut, denke ich. Seitdem verzeichnen wir keine Dissos, Panikattacken oder aggressiven Schübe bis jetzt.“

„Ich ... das ... geht es dir gut?“ Der Andere klang noch besorgter als vorher. „Wegen ... du weißt schon ...“

„Es ist selten, dass du um Worte verlegen bist“ Katsuya lächelte, doch seufzte nach einem Moment und ließ die Mundwinkel fallen. „Yami? Du ... wurdest doch recht oft vergewaltigt. Kannst du ... kann man das je wieder wirklich genießen?“

„Sex?“ Yami ließ eine Pause, die mit einem langen Seufzen endete. „Ich würde sehr gerne sagen, dass man das kann. Manche Menschen können das. Die meisten wie auch ich haben einfach eine Grundvorsicht, die nie nachlässt. Ich kann Sex schon genießen, aber ich vermute, es könnte noch schöner sein, wenn ich mich fallen lassen könnte. Das ... nun, ich kann mich leider nicht mehr erinnern, ob ich das je konnte. Wenn, dann habe ich es lange vergessen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich Sex genießen kann. Ob so wie vorher ... das weiß ich nicht.“

„Hm“, brummte Katsuya und seufzte, „es war halt echt komisch. Ich wollte es schon, aber ... ich weiß nicht. Es war irgendwie ... nicht eklig, es war schon gut, aber ... ich fand mich irgendwie selbst eklig. Dass ich es tat nicht, aber irgendwie ... ich fand es eklig, dass ich es nicht eklig fand. Macht das Sinn?“

„Macht es“ Man hörte ein Rascheln und ein Knacken. „Deine Angst sagt, dass es wehtut und dass du es nicht mögen kannst. Deine Erinnerung sagt, dass es schön ist. Und in deiner Realität kämpfen beide Impulse in deinem Kopf. Bei mir ist es kein Ekel ... eher dass ich am liebsten weinen würde. Das erste Mal danach macht mich immer traurig. Aber ... nun, ich hatte das ja öfters. Ich bin wahrscheinlich nicht der beste Vergleich.“

„Ich vermute, die Therapie ist einfach weitermachen?“, fragte Katsuya mit einem Tonfall zwischen Resignation und Wut.

„Kats, die Therapie ist die richtige Geschwindigkeit. Mach nur das bis zu der Grenze, wo es noch angenehm ist. Nicht das, was du zwar kannst, aber was dir nicht wirklich gefällt. Man muss nicht immer bis zum Äußersten gehen, weißt du? Hand und Mund oder etwas ohne Orgasmus ist auch okay.“

Ja, aber ... Seto war nicht gerade ... okay, Seto würde wahrscheinlich nehmen, was er bekam. Aber wie zur Hölle würde er reagieren, wenn er ihn bat, ihm einen zu blasen? Seto hatte es ein paar Mal gemacht, aber eher als Vorspiel, nicht ... und gerade mit Kondom war das echt doof. Und nur mit der Hand? War das nicht ... irgendwie ... klang nicht wirklich erregend.

„Hm ... ich denk mal drüber nach“, meinte Katsuya nur.
 

Scheiße. Er wollte sich nicht darum Gedanken machen. Er wollte sich nicht darum Gedanken machen müssen. Warum hatte der Wichser seinen Schwanz nicht einmal in der Hose behalten können? Viel Hirn konnte Pegasus ihm nicht aus dem Kopf geschossen haben.

Er drehte sich auf die Seite und starrte in die Flammen. Vergewaltigern sollte man wie früher einfach den Schwanz abhacken. Das war doch eine passende Bestrafung. Es war schmerzhaft, zutiefst widerwärtig und eine lebenslange Erinnerung. Außerdem war es eine wunderbare Prävention für die Zukunft.

Misshandelnde Eltern waren meist nur überfordert, so viel hatte er mittlerweile verstanden. Ihnen musste man helfen. Aber Vergewaltiger gehörten bestraft. Nichts entschuldigte so eine Tat. Niemand konnte ihm erzählen, dass Vergewaltiger so etwas taten, weil sie hilflos waren. Okay, wenn er sich recht erinnerte, hatte Yami mal erzählt, dass sie ihre eigenen Traumata nachlebten, aber ... das war Mist. Nur weil er vergewaltigt worden war, würde er das niemandem antun. Ganz egal, was er plötzlich für Träume hatte. Er würde Seto niemals gegen seinen Willen nehmen – nicht dass das überhaupt möglich wäre –, jetzt noch weniger als zuvor. Nein.

Ted war einfach nur ein verachtenswerter Sadist. Er war weniger als Dreck. Er war nicht einmal Verachtung wert.

„Gefällt dir der neue Teppich?“, fragte Seto gut gelaunt.

Katsuya zuckte zusammen, fuhr auf und richtete seinen Blick auf Seto. Dass dieser fast einen Satz nach hinten machte, ließ ihn inne halten. Er atmete tief durch und schloss die Augen, bevor er seiner Stimme traute: „Entschuldige ... ich war in Erinnerungen.“

„Ah ... okay“ Der Mann im Bademantel beobachtete ihn einen Moment, bevor er sich wieder entspannte. „Ich dachte schon, ich hätte irgendetwas angestellt.“

„Nein, nein, keine Sorge“ Katsuya lies sich mit einem Seufzen zurück sinken. „Und der Teppich ist klasse. Yami fragt, aus was er gefertigt ist.“

„Polarfuchs.“

„Was?“ Katsuya fuhr auf. „Echter?“ Er strich mit einer Hand über den flauschig weichen Teppich. „Du verarscht mich, oder?“

„Nein?“ Seto setzte sich zu ihm. „Ich hatte über Eisbär nachgedacht, aber der nimmt zu viel Platz weg. Ein paar Polarfüchse sind auch ganz nett.“

„Ist sowas nicht verboten? Sind die nicht geschützt oder so?“ Konnte er sich da wirklich drauflegen? Der war doch sicher unglaublich teuer. Nicht, dass er sich abnutzte oder schmutzig wurde. Polarfüchse konnte man sicher nicht gut waschen. Bei allen Göttern, lag er hier auf echten Tierfellen?

„Alles legal“ Seto legte einen Arm um ihn und küsste seinen Hals. „Aus glücklichen Polarfüchsen, die alt oder bereits tot waren. Alle nach dem Jägerkodex erjagt und nicht gewildert.“

Okay ... wie immer hatte er keine Ahnung, aber es hieß wohl, dass es okay war, sich auf ihnen auszubreiten. Sie waren aber auch wirklich weich. Er legte sich langsam wieder hin.
 

„Seto?“ Er drehte sich gegen den hinter ihm Sitzenden und sah auf – die blauen Augen blieben stumm auf das Feuer gerichtet. „Seto?“ Er zog die Augenbrauen zusammen. Warum reagierte der andere nicht? „Hey, Seto!“ Er wedelte mit der Hand durch dessen Blickfeld.

Seto wich blinzelnd zurück und sah zu Katsuya runter.

„Wo warst du denn gerade? Tagträume?“ Der Blonde grinste schief.

„Dissos“, gab Seto zu und beugte sich hinab, um ihn zu küssen, „das ... dürfte jetzt häufiger passieren. Die Tabletten haben diese kleinen dissoziativen Phasen unterdrückt.“

„Damit kann ich ganz fraglos leben“ Katsuya seufzte leise. „Habe ich irgendetwas gemacht oder ...“

Seto schüttelte schon den Kopf und erklärte: „Das hat nichts mit dir zu tun. Oder eher nur indirekt. Ich dachte daran, wie schön es ist, mit dir vor dem Kamin zu liegen und hatte direkt wieder einen Flashback. Das kommt ganz plötzlich. Den ganzen Tag lang.“

„Und wirft dich in Dissos?“ Auch wenn das gerade gegen Setos sonstige Attacken ja schon fast niedlich gewesen war. Wenn er an das eine mal dachte, wo Seto keine Luft mehr bekommen oder das andere, wo er einen Krampfanfall gehabt hatte ... da war abwesend in die Gegend starren doch ganz erträglich gegen.

„Jedes Mal, wenn etwas triggert oder wenn ich mich entspanne“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich weiß, ich soll nicht ... aber es tut mir Leid, dass ich so kaputt bin. Das ist ... früher hatte ich einen Flashback nach dem nächsten, meist mit heftigen Attacken. Es ist besser geworden mit den Tabletten und der Therapie, aber ... ich fürchte, besser als das hier wird es nicht mehr. Nicht, solange ich mich nicht an eine Traumatherapie wage. Und ... das ... nicht jetzt“ Er wandte den Blick ab.

„Ist okay“ Katsuya setzte sich auf und gab Seto noch einen Kuss. „Dann bist du halt ein Drache und ein Traumtänzer. Solange du nicht irgendwann in deinen Dissos verschwindest und nie wieder rauskommst ...“

„Ich versuch's“ Seto stuppste ihn mit der Nase an. „Dass Leute in Dissos verschwunden sind, ist übrigens sehr, sehr selten. Und meistens direkt nach Trauma, nicht Jahre später.“

„Klingt gut“ Katsuya legte den Kopf zur Seite. „Ich erinnere mich schwach, dass Yami über Traumatherapie gesprochen hat, als ich dissoziativ war. Was ist das eigentlich?“

„Nun ja ... im Endeffekt spricht man ein Trauma nach dem nächsten durch. Man bringt die Erinnerung mit den Gefühlen zusammen.“

„Und das ... warum willst du das nicht?“ Klang doch eigentlich ganz sinnvoll. Besonders, wenn das diese dissoziativen Attacken reduzierte.

„Macht dir der Gedanke, jede deiner Traumata noch einmal in Gedanken zu durchleben, keine Angst?“ Setos Stirn lag in tiefen Falten.

„Schön ist es nicht, klar, aber wenn das hilft“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Wenn ich es in echt überlebt habe, wie schlimm kann dann die Erinnerung daran sein?“

Seto blinzelte mit einem entgeisterten Blick, als hätte er noch nie daran gedacht. Na ja, vielleicht hatte er das auch nicht. Angst konnte das Blickfeld ziemlich eng ziehen. Wahrscheinlich kannte er außer absoluter Panik bei dem Gedanken nicht so viel andere Gefühle.

„Möchtest du vielleicht eine Therapie machen?“

Katsuya zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Wenn Pegasus sicher hinter Gittern ist. Wenn all meine Tests durch sind und ich weiß, an was ich bin. Und wenn der Gedanke, allein nach draußen zu gehen, mich nicht mehr in absolute Panik versetzt.“

„Klingt gut“ Seto seufzte tief. „Du bist so unglaublich stark, dass es mich immer wieder erstaunt. Ich weiß, ich könnte das nicht. Ich würde mich in meinem Bett verkriechen und nicht mehr raus kommen, bis ich mich selbst für zu erbärmlich halte“ Er schnaubte. „Oder arbeiten gehen muss. Ich bin froh, dass ich eine stetige Arbeit habe. Sonst würde ich sicher nur noch um meine Ängste rotieren.“

„Wir haben beide noch bis ... welchen Tag haben wir eigentlich heute? Wann muss ich wieder zur Schule?“ Katsuya legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

„Wir haben Montag, den neunundzwanzigsten Dezember. Donnerstag ist Neujahr und ab Montag müssen wir beide zurück ins Leben“ Seto biss auf seine Unterlippe. „Ich hatte theoretisch für Mittwoch Abend einen Tisch im Sky Palace reserviert ... soll ich den absagen?“

„Ist das ein Restaurant?“ Er nickte. „Dann nicht. Ausgehen klingt gut“ Katsuya lächelte. „Mit dir habe ich schließlich keine Angst.“

Sex

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Sex - die geschnittene Fassung

Kommt sehr überraschend, dass ein Kapitel mit diesen Titel "adult" ist, was? Ich hoffe, die meisten von euch sind in der Weihnachtsvorfreude und nicht endlos gestresst. Denkt immer daran, das ist ein Fest der Besinnung und der Liebe, nicht der Verausgabung und Konsumfrönung.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^v^
 

P.S.: Ja, ich plane, auch Heiligabend ein Kapitel hochzuladen ^.-
 

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„Was wolltest du eigentlich vorhin sagen?“ Seto zog ein wenig an Katsuyas Oberteil, sodass er mehrere Küsse auf die freigelegte Schulter setzen konnte. „Als ich weggetreten war.“

„Du stellst Fragen“ Dieser legte den Kopf zur Seite, um Seto mehr Platz zu geben. „Was wollte ich ... oh, ja“ Katsuyas vorher genießender Ton sackte auf etwas Ernstes. „Wegen ... ähm ... also ich hatte ja mit Yami telefoniert.“

Seto setzte noch einen Kuss und sah auf mit einem Hauch von Unsicherheit im Gesicht. Er meinte leise: „Das klingt wie der Beginn von etwas, was ich nicht mögen werde.“

„Ja ... das ist möglich“ Katsuya atmete tief durch. „Ich ... ich habe ihm ein paar Fragen zu“ Er brach ab und atmete erneut tief durch. „Zu Vergewaltigungen gestellt. Zu ein paar meiner Gefühle, Gedanken und ... und so halt. Weil ... weißt du, ein paar Dinge sind jetzt ... komisch halt.“

Seto nickte langsam.

„Es fühlt sich anders an. Auch wenn ich oben liege. Das ist ... es ist nicht schrecklich oder so, aber ... es ist schon komisch. Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich ... also, das liegt nicht an dir-“

„Ich habe mitbekommen, dass es für dich nicht optimal war“, unterbrach Seto ihn.

„Gut“ Katsuya zog das Wort. Und wie machte er von hier aus weiter?

„Wenn du mir sagen willst, dass es zu schnell war, dann verstehe ich das. Ehrlich“ Seto legte eine Hand an Katsuyas Wange. „Ich war ehrlich erstaunt, dass du zugestimmt hast.“

„Bei allen Göttern, was bin ich dankbar, dass du so verständnisvoll bist“ Katsuya fiel fast in sich zusammen, so hart schlug die Erleichterung zu. „Ich kann's einfach noch nicht. Und Yami meint, es ist nicht gut, wenn ich mich zwinge.“

„Ich glaube, du bist der einzige Mensch, der mich für verständnisvoll hält“ Seto hob eine Augenbraue. „Ehrlich, wer dafür kein Verständnis hat, verdient es nicht, als Mensch zu zählen“ Er lehnte seine Stirn gegen Katsuyas. „Und was ist das vorgeschlagene Vorgehen?“

„Nur das zu machen, was ich als gerade noch angenehm empfinde. Nicht das, was ich zwar kann, aber nicht als schön empfinde.“

„Und was ist das?“ Seto küsste ihn, lehnte sich zurück und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ähm ... keine Ahnung?“ Katsuya grinste mit der Unschuld eines Kindes, das heimlich die Kekse geklaut hatte.

Seto hob erst eine Augenbraue, dann einen Mundwinkel und meinte schließlich, als er sich vorbeugte und die Stimme senkte: „Mir scheint, das müssen wir ausprobieren.“

„Oh shit“ Ein Zittern ging durch Katsuyas ganzen Körper. „Weißt du eigentlich, dass ich allein von deiner Stimme manchmal kommen könnte?“

Setos Augenbraue zuckte nach oben und irgendwo sehr tief aus seinem Brustkorb kam ein „U-hum“, das Katsuya tief durchatmen ließ. Er fuhr fort: „Ich glaube, mit dem Teppich war ein Versprechen verbunden. Du sagst, was du möchtest und ich tue genau das. Abgemacht?“

Katsuya, der mittlerweile durch den Mund atmete, sah mit verhangenen Augen auf. Sagen ... tun ... sagen ... shit, könnte er Seto echt befehlen, ihm einen zu blasen? Würde er es tun? Er leckte über seine Lippen. Er könnte ja mal fragen, oder? Er schluckte und ließ sich zurück auf den Teppich sinken.

Seto tat wirklich gar nichts außer ihn mit seinen funkelnden Augen anzusehen. Er wartete auf einen Befehl. Katsuya schluckte und unterdrückte das nervöse Kichern. Shit ... durfte er wirklich?

„Uhm ... küss mich.“
 

Wow, das prickelte. An den Lippen und im Bauch. Katsuya lachte in den Kuss hinein. Das hier war auch etwas ganz anderes. Seto sagen, was er machen sollte ... Katsuya fühlte sich wie ein kleiner Junge in einem riesigen Spielzeugland ganz für sich allein. All die Möglichkeiten!

Voll cool. Er flüsterte gegen die sich kurz lösenden Lippen: „Küss meinen Hals.“

Seto nahm sich die Freiheit, sich über Katsuyas Kinn hinunter zu küssen. Ebenso nahm er sich die Freiheit, Katsuyas Tattoo mit der Zunge nachzufahren. Oh Hilfe, das war echt zu schön. Aber auch komisch. Sonst wäre Seto schon längst mit seinen Händen irgendwo unter Katsuyas Klamotten gewesen, aber jetzt stützte er sich ganz artig links und rechts von diesem ab.

„Zieh mir mein Shirt aus ... und du darfst mich berühren“ Katsuya leckte sich über die Lippen. Er könnte jede geheime Phantasie mit Seto ausleben. Okay, er hatte nur die eine, aber wenn ihm noch mehr einfielen, könnte er die auch nehmen. Das hier war einfach unglaublich cool.

Und Seto erstaunlich erfinderisch. Er fuhr mit beiden Händen unter Katsuyas Shirt und strich ihm über Bauch und Brust bis zu den Schultern hinauf, wobei das Shirt von ganz allein mit nach oben gezogen wurde. Katsuya drückte sich vom Boden ab, damit Seto es leichter hatte. Dieser knetete seine Schultermuskeln von vorne, bevor er über die Arme zu den Händen fuhr und Katsuya so von seinem Oberteil befreite.

„Küss ... meine Brust“ Katsuya errötete etwas. Das klang echt schräg. Aber er wusste, wie gut sich das anfühlte. Seine Schlüsselbeine, die Linie zwischen Brustmuskeln und an deren Unterkante entlang. Währenddessen massierten Setos warme Hände seine Arme und Schultern abwechselnd. Nach sicherlich zwei Minuten wechselten sie zu Katsuyas Seiten und fuhren diese auf und ab, stets im respektvollen Abstand vor seiner Hose stoppend.

Katsuya währenddessen biss sich auf die Unterlippe. Einen Bereich schien Seto ganz gezielt auszulassen und er konnte sich einfach nicht dazu bringen, darum zu bitten. Das ... das brachte er einfach nicht über die Lippen. Aber ... shit, er wollte es. Und wie er es wollte. Sein Körper schien da ganz einer Meinung und bisher hatte noch keine Stimme eingesetzt, um ihn zu fragen, ob ihn das hier nicht anekelte. Die Antwort wäre auch denkbar einfach. Das hier war verdammt heiß. Seto war ... das konnte man gar nicht beschreiben.

Seto Kaiba, seinen Befehlen hörig.

Scheiße, das war echt ein Kick für seine Libido. Er schluckte und wagte es, die Worte auszusprechen: „Küss meine ... Nippel.“

Bei allen Göttern, danke. Er tat es einfach. Kein Kommentar, kein Lachen. Und oh ... er tat es gut. Katsuya stöhnte einmal leise und begann, durch den Mund zu atmen. Wenn er nichts mehr sagte, wie lang würde Seto wohl weitermachen?

Aber so langsam hatte er eigentlich auch das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Seto war ... er wollte irgendwie Danke sagen. Katsuya strich mit beiden Händen über den Bademantel. Hm ... nicht gut genug.

„Zieh dich aus ...“, flüsterte er leise.

Seto sah von seiner Brust aus auf und blinzelte überrascht. Allerdings befolgte er auch das ohne ein weiteres Wort. Er richtete sich kurz auf, löste den Knoten und ließ den Stoff einfach hinter sich fallen.

Katsuya keuchte, setzte sich auf, legte seinen Mund an die erstbeste Stelle, die er erreichen konnte und begann, die Haut dort zwischen seine Lippen zu saugen. Seine Hände fuhren Setos muskulöse Oberschenkel hinauf, über seine Hüfte zu seiner Taille und zog den warmen Körper an sich. Mit dem Mund suchte er eine neue Stelle.

Seto kraulte mit einer Hand durch sein Haar. Da Katsuya ihn an sich gedrückt hielt, konnte er sehr genau spüren, wie erregt auch sein Gegenüber war. Und das war nicht gerade wenig. Er biss spaßhaft in eine Brustwarze und sah zu Seto auf.
 

„Euer Wunsch, Milady?“ Dieser hob neckend einen Mundwinkel.

Katsuya schluckte und atmete tief durch. Er ließ sich wieder zurück auf den Teppich sinken. Er biss auf seine Unterlippe, doch hob dabei eine Hand und lockte Seto mit einem Finger an. Dieser beugte sich hinab und küsste Katsuya. Dieser allerdings griff ganz gezielt nach Setos Bein und zog es zwischen seine. Seto folgte ohne den Kuss zu brechen. Auch beim zweiten Bein. Er löste sich erst, als Katsuya die Arme um seinen Oberkörper legte und ihn langsam nach unten zog.

Ihrer beider Blick verhakte sich ineinander. Seto blieb ausdruckslos, während Katsuya noch immer tief atmete – diesmal jedoch, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Aber er wollte das. Seto, der auf die stumme Bitte nicht eingegangen war, senkte erstmal nur seinen Unterleib, sodass Katsuyas Jeans noch zwischen ihnen war. Erst als Katsuya nickte, ließ er Bauch und Brust langsam folgen.

Katsuya ließ seinen Atem fahren und entspannte sich. Es ging. Es ging nicht nur, es fühlte sich sogar gut an. Setos Gewicht auf ihm war schon immer etwas, was er genossen hatte. Auch wenn es hieß, dass er nicht weg kam, wenn er wollte, bei Seto war es wohl okay. Lächelnd vor Freude verlangte Katsuya etwas keck: „Küss mich.“

Bei allen Göttern. Bei allen Göttern. Das hier war auf so vielen Ebenen besser als alles, was sie je vorher gemacht hatten, das war ... er wollte nie wieder damit aufhören. Seto zu küssen, sein sicheres Gewicht über den ganzen Körper verteilt, der Teppich, der Kamin, diese unglaubliche Zunge ... Katsuya stöhnte auf. Setos Hände fuhren frei über seine Seiten und Arme, streichelten die Haut, die Muskeln darunter – Katsuya krallte in Wollust die Nägel in Setos Schultern.

Von selbst küsste Seto auch seinen Kiefer, seinen Hals und auch seine Ohren. Immer wieder unterbrochen von Küssen auf Katsuyas Lippen, die zunehmend von einer Zunge begleitet wurden. Erneut musste der Blonde durch den Mund atmen, solange dieser nicht beschlagnahmt wurde, und hob dabei Seto auf und ab. Eine Hand drückte sich zwischen ihre Körper und begann, Katsuyas Brustwarze zu malträtieren.

Katsuyas Atem kam stoßweise und Seto vermied seine Lippen, um ihm genug Luft zu lassen. [...] Sein Atem war kaum mehr als ein Keuchen, immer wieder unterbrochen von Setos Namen oder einzelnen Wortfetzen, die kaum Sinn ergeben konnten.

Seto verschloss seine Lippen mit einem Kuss und unterdrückte so auch das tiefe Stöhnen, das Katsuyas Orgasmus angekündigt hätte, hätte er noch die Möglichkeit zum sprechen gehabt. So fiel er nur wie ein nasser Sack zurück auf den Teppich und atmete, als hätte er einen Marathon hinter sich.

Dass Seto nicht mehr auf ihm lag sondern kniete und mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf ihn hinab sah, merkte er erst bedeutend später. Der Anblick dieses Lächelns ließ ihn jedoch prompt erröten – wehe, das würde wieder zu einer Häufigkeit werden – und den Blick zur Seite wenden.
 

Da Seto einfach gar nichts tat, sah er nach einem Moment wieder auf, doch der Fokus wanderte wie von selbst von Setos Gesicht zu seinem Unterleib. Katsuya blinzelte. Seto war schon erstaunlich. Mit so etwas würde er sicherlich nicht regungslos herum sitzen können. Mit so etwas würde er vor allen Dingen nicht völlig selbstbeherrscht auf die Reaktion seines Freunds warten. Bei allen Göttern, Seto war schon echt ein Fall für sich.

„Ups?“, murmelte Katsuya.

„Guter Sex ist immer ungeplant, schmutzig und ziemlich unordentlich“, informierte Seto ihn süffisant.

„Ähm ... ja“ Katsuya blickte auf seine Hose. Außen waren ein paar vereinzelte Spermatropfen von Seto und an innen wollte er gar nicht denken. Sein Blick wurde wieder auf Setos Erektion gelenkt. „Ähm ... kann ich ... irgendwie ...“

„Ich kann duschen. Ich habe erstaunlich lange nicht mehr masturbiert“ Das Lächeln mutierte zum Grinsen. „Außer natürlich, du möchtest irgendetwas mit mir anstellen?“

Katsuya leckte über seine Lippen. Verdammt, er hatte das Ding in sich drin gehabt. In seinem Hintern und seinem Mund. Wie schwer konnte es da sein, es einfach nur anzufassen? Er schluckte. Bei allen Göttern, es war helllichter Tag. Das war das Wohnzimmer. Jemand müsste nur zum Fenster rein sehen und ... er leckte erneut über seine Lippen und streckte langsam die Hand aus.

Das war wie Masturbieren. Nur bei jemand anderes. Er sah kurz in Setos Gesicht und stöhnte einfach nur durch den Anblick. [...]

Er sah zu Setos Gesicht auf, doch dieser hatte einfach nur die Augen geschlossen und den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt. Kein Stöhnen. Kein schnelles Atmen. Eher, als würde er meditieren. [...]

Hah! Seto war doch nicht aus Stein. Sein Atem wurde tiefer. Er öffnete sogar leicht die Lippen, obwohl er noch immer durch die Nase atmete. Katsuya allerdings keuchte leise. Das hier war auf einer rein geistigen Ebene extrem erregend.

Schließlich war es Seto.

Und Seto gehörte ihm.

[...] Ihr immer heftigerer Atem mischte sich, sorgte für scharfes Lufteinziehen zwischen kurzen Küssen mit viel Zunge. Seto griff seine Schultern und hielt sich daran fest.

[...]

Seto, der noch immer seine Schultern hielt, atmete mit geschlossenen Augen tief durch, bis er sich wieder gefangen hatte. Mit einem Grinsen wie kein zweites je zuvor hob er den Kopf und fragte: „Auch wenn ich da gerade her komme, was hältst du von einer Dusche?“

Silvester

An Heiligabend ein Kapitel über Silvester hochzuladen ist irgendwie ... apart. Nun ja, ich wünsche sehr schöne Feiertage, hoffe, dass es euch allen gut geht und melde mich zu Silvester wieder ^.-

Viel Spaß beim Lesen! Und ich freue mich sehr, dass es wieder mehr Kommentare gibt ^.-
 

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„Wow“ Katsuya, der sofort zum Fenster herüber gegangen war, sah auf die Nachtbeleuchtung der Stadt hinab. „Das ist so cool.“

„Schön, dass es dir gefällt“ Seto legte von hinten eine Hand an seine Hüfte und eine an seinen Oberarm. Der Kellner hinter ihnen räusperte sich. „Von unserem Tisch kann man die Stadt aber auch sehen. Komm.“

Ups. Katsuya grinste den Kellner etwas schuldbewusst an. Wahrscheinlich rannten die Gäste normalerweise nicht wie aufgescheuchte Hühner durchs Restaurant, um sich an die Scheibe zu kleben. Oder ihn störten die Gesten zwischen Seto und Katsuya, die jedem, der auch nur einen längeren Blick zu ihnen wandte, verriet, was sie füreinander waren. Wahrscheinlich konnte es jeder sehen, der Katsuya auch nur ins Gesicht sah. Seit ein paar Stunden nannte Seto ihn liebevoll hyperactive puppy. Nach dem ersten Schmollen hatte Katsuya sich auch dran gewöhnt und beschwerte sich nicht mehr.

Vor ein paar Monaten hatte ihn das Hündchen aufgeregt, aber jetzt klang es irgendwie niedlich. Besonders in dem Ton, in dem Seto es sagte. Katsuya grinste noch immer, als Seto ihm einen Stuhl hervor zog, damit er sich setzen konnte. Sie hatten wirklich einen Tisch direkt am Fenster.

„Was kann ich Ihnen bringen?“, wandte sich der Kellner an Seto, „Ein Wein oder einen Apperetif?“

„Haben Sie Crodino alkoholfrei?“ Der Kellner verneinte mit einer Entschuldigung. „Dann wünsche ich zu meinem eigenen Leidwesen zwei Cola, bitte.“

Katsuya legte eine Hand vor seine Lippen, um nicht ob Setos Gesichtsausdruck laut loszulachen und fragte: „Verletzt die Bestellung dein Stilempfinden?“

„Zutiefst“ Der Ältere seufzte. „Kein einziger Tropfen Alkohol heißt, dass ich keine Apperetifs, keinen Wein und keinen Sekt bestellen kann. Alkoholfreie Cocktails sind mir zu süß und über alkoholfreien Sekt will ich erst gar nicht nachdenken.“

„Das war wegen der Tabletten, die du jetzt nach dem Entzug noch nimmst, oder?“ Die, die ihn auf eine Intensivstation bringen würden, wenn er wirklich Alkohol trinken würde. Manchmal hatten Ärzte komische Behandlungsmethoden. Na ja, wenn's half ...

Seto nickte nur und wechselte das Thema: „Wie geht es dir eigentlich jetzt?“

„Ich gehe allein spazieren, oder?“ Katsuya versuchte unbekümmert zu klingen, aber seine Stimme verriet ihn sicher.

„Das tust du. Und du weinst nachts.“

„Ich dachte, du hättest geschlafen!“ Katsuya senkte die Stimme. „Habe ich dich geweckt?“

Seto winkte nur ab und meinte: „Mehr Sorgen als mein Schlaf machen mir deine Tränen. Bin ich so unausstehlich geworden?“

„Würdest du das denken, würdest du nicht so ruhig fragen“, neckte Katsuya ihn, um das Zittern seiner Hände zu überspielen, „ich ... ich träume jetzt auch von ... von ihm. Und ... dann wache ich auf und fühle mich so unendlich hilflos. Und dann ... dann muss ich weinen.“

Seto lehnte sich vor und griff eine der zitternden Hände.

„Sorry“ Katsuya wandte den Blick ab.

„Alles okay“, versicherte Seto ihm, „gibt es etwas, was ich tun kann oder nicht tun soll, damit es dir besser geht?“

Katsuya schüttelte den Kopf.

„Gut“ Seto zog die Hand zu sich und setzte einen Kuss darauf. „Wenn dir etwas einfällt, zögere nicht, es zu sagen“ Er ließ eine Pause. „Meinst du, du kannst Montag wieder in die Schule?“

„Wenn ich Menschen aushalte“ Katsuya sah sich um. „Können wir am Wochenende nochmal alle zum Kaffeetrinken einladen? Diesmal ... ohne irgendwelche Anfälle?“

„Zweiteres kann ich nicht versprechen“ Seto hob einen Mundwinkel. „Ich kann nur versprechen, dass ich Yami nicht anfallen werde, weil er alle meine Tabletten eingesackt hat.“

„Alle?“, fragte Katsuya überrascht.

„Alle Psychopharmaka. Außer meinem Seroquel, das ich ja verschriebenerweise nehmen soll“ Seto schnalzte mit der Zunge. „Er hat sogar meine Schlaftabletten mitgenommen.“

„Die, die abhängig machen?“ Katsuya legte die Stirn in Falten. „Klingt nach keiner schlechten Idee.“

Der Brünette grummelte nur in seinen nicht vorhandenen Bart.
 

Der Kellner trat an ihren Tisch und reichte ihnen die Karten. Katsuya zuerst, Seto danach. Bei Seto beugte er sich etwas vor und sagte: „Der Restaurantchef bittet Sie, derlei Verhalten zu unterlassen.“

„Dann sollte der Restaurantchef nachsehen, auf wessen Name dieser Tisch reserviert ist“, erwiderte Seto nur und sandte dem armen ein kurzes, zutiefst boshaftes Lächeln.

„Seto ... ich denke nicht, dass wir die Leute hier verärgern sollten“, meinte Katsuya leise und schielte zum Kellner hoch. Auch alter Ruhm brachte Seto nicht weiter, wenn er die Leute auf die Palme trieb.

„Ich habe diese Hotelkette vor elf Jahren gekauft“, erwiderte Seto nur und hob eine Augenbraue, „Ich habe keine Lust, mir in meinem eigenen Hotel Vorschriften machen zu lassen.“

Man sah den armen Kellner sichtlich schlucken.

„Meines Wissens nach hast du es deinem Bruder geschenkt, also ist es nicht mehr dein Hotel. Wer weiß, vielleicht hat er es weiter verkauft?“ Allerdings lächelte Katsuya. Seto wusste das wahrscheinlich ganz genau. Gehörte ihm eigentlich die ganze Stadt?

„Selbst wenn, dann habe ich immer noch dreißig Prozent der Aktien. Dann ist es zwar nicht mehr mein Hotel, aber von mehr als einem Drittel des Restaurants sieht man uns auch nicht, oder?“

Katsuya prustete doch los und meinte nur: „Manchmal bist du unfassbar.“

„Ich habe mein Geld nicht mit Höflichkeit verdient“ Seto nahm ihm die noch ungeöffnete Karte wieder ab und reichte sie mit seiner zurück an den Kellner. „Die Lammhaxe mit Rosmarin und ein argentinisches Steak von dreihundert Gramm mit Kräuterbutter, medium.“

Dieser sah fraglos so aus, als wäre er nicht sehr traurig, das Weite suchen zu können. Mal sehen, ob er sich nochmal her traute. Seto verdrehte gespielt die Augen.

„Sind wir mal wieder bestimmfreudig?“ Katsuya lächelte trotz seiner Worte.

„Meine natürliche Überlegenheit lässt mich deine Gedanken lesen“ Eine blonde Augenbraue hob sich als Antwort. „Na gut, die Lammhaxe ist außergewöhnlich gut hier und ich denke, du wirst sie mögen.“

Katsuya grinste, betrachtete Seto einen Moment lang und meinte: „Je länger du von diesen Tabletten weg bist, desto mehr mutierst du wieder zu dem sarkastischen Bastard, den ich kennen gelernt habe.“

„Schlimm?“ Seto lächelte, als wäre er vollkommen von sich überzeugt. Unfassbar, wie gut er diese Maske tragen konnte. Und wie natürlich sie wirkte, obwohl Seto währenddessen innerlich zitterte und alle paar Minuten Flashbacks hatte.

„Ich weiß nicht ... wenn ich recht entsinne, habe ich mich in diesen Bastard verliebt.“

„Und trauern Sie Ihrem überfürsorglichen Ehemann nicht hinterher, Mister Kaiba?“ Seto lehnte sich zurück und legte die verschränkten Finger in seinen Schoß.

„Ich weiß nicht, Mister Kaiba ... der Sex scheint mir trotz widriger Umstände viel besser. Sei es mit meinem schier besessenen Liebhaber oder meinem etwas unsicheren Freund, der eine extreme Vorliebe für sehr lange Kussorgien zu entwickeln scheint.“

Mit einem Lächeln und einem Hauch von Rot auf den Wangen wandte eben jener den Kopf ab und murmelte: „Erwischt.“

„Manchmal wundert es mich allerdings, dass das ein und dieselbe Person ist“, gab Katsuya etwas leiser zu. Er atmete tief durch. Das Thema hatte er seit Tagen schon anhauen wollen. War das hier wirklich der richtige Ort?
 

Seto sandte ihm einen fragenden Augenaufschlag.

„Ich meine ... das EP ist deine Freude, Liebe und dein Vertrauen. Das TI ist deine Angst und deine Wut. Dass das TI zwei ganz extreme Seiten hat, die einander abwechseln können, das habe ich so weit verstanden. Dass das eine Persönlichkeit ist, obwohl sie zwei ganz verschiedene Verhaltensweisen hat. Aber ich verstehe nicht so ganz, wie der egomanische Inkubus und der schüchterne, unsichere Kerl, der du manchmal bist, eine Person sind“ Katsuya legte den Kopf schief. „Oder verschwindet dieser Unsichere wieder, sobald du wieder ganz der sarkastische Bastard bist, in den du jetzt zurück rutschst?“

Was echt schade wäre. Er mochte diesen Seto, der seine Angst zeigte und ihn fühlen ließ, als wäre er der einzige Kerl im ganzen Universum für ihn. Nicht, dass der sexbesessene Bösewicht nicht auch cool war. Es fühlte sich immer gut an, wenn Seto seine komplette Expertise auf ihn anwandte.

„Der Unterschied ist nur, ob ich meine Ängste zulasse oder nicht“ Seto schluckte und leckte über seine Lippen. Er nahm einen Schluck von der Cola, die ihnen mit den Karten gebracht worden war. „Es ist einfacher, wenn ich eine Rolle spiele, die ich gut beherrsche ... das hier“ Seto deutete auf sich selbst. „Das kann ich. Seto Kaiba, das arrogante Arschloch, das kann ich gut. Meine Ängste zuzulassen und mich damit verletzlich zu machen ... das ist sehr viel schwerer. Ich kann es in deiner Nähe, aber ... auch da ist es leichter, wenn ich einfach in die Klamotten schlüpfe, die mir gut passen. Ich mit all meinen Ängsten, offen und verletzlich ... das ist ein Mensch, den ich nicht kenne. Er ist neu und er ist unheimlich“ Seto seufzte. „Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt sein will“ Katsuya blinzelte. Wow ... das war ... wow. Seto war selten so offen mit Gefühlen. Und er war nicht einmal fertig. „Außerdem weiß ich, dass du diese Persönlichkeit magst, auch wenn sie eine Menge Probleme mit sich bringt. Und bei diesem neuen Seto ... da weiß ich das nicht.“

„Das, was ich bisher von ihm gesehen habe, mag ich sehr“ Katsuya lächelte sanft. „Es hat mir etwas Angst gemacht, dass da möglicherweise niemand mehr ist, an den ich mich lehnen kann, aber ich habe auch kein Problem damit, der dominante Part zu sein. Ehrlich gesagt genieße ich die Momente, in denen ich es bin.“

„Dann ... versuche ich mal nicht, es zu unterdrücken“ Seto sah auf und lächelte schüchtern. „Auch, wenn es wirklich komisch ist.“

Der Gesichtsausdruck wurde leider innerhalb von Millisekunden wieder von dem kalten Seto ersetzt, da der Kellner ihnen Brot brachte. Nach dem Abstellen des Korbs und der Butter beugte er sich erneut vor und sagte: „Der Restaurantchef entschuldigt sich sehr für seine Worte. Sie und Ihr Partner sind uns stets willkommen.“

„Schickt er Sie immer vor, wenn er ein Problem hat?“, fragte Seto ohne den Hauch von Freundlichkeit in der Stimme nach, „Mich würde es ja stören, die Fehler anderer ausbaden zu müssen.“

Der Kellner zuckte etwas zurück und man sah klar, wie er sich anspannte, um keine Miene zu verziehen. Er verbeugte sich und erwiderte: „Das gehört zu meinem Job.“

„Ich weiß nicht, ob ich die Einstellung bewundern oder Sie auslachen soll“ Seto schnaubte. „Sie dürfen gehen.“
 

Der Mann verschwendete keine Sekunde, um sich umzudrehen und zu verschwinden. Katsuya schüttelte nur den Kopf und fragte: „Und wie hätte der schüchterne Seto diese Situation gemeistert?“

„Gar nicht“ In Setos Ton schwang Verachtung mit. „Er hätte sich entschuldigt und dich den Rest des Abends nicht einmal mehr angesehen.“

Hm ... schwer. Kein Wunder, dass Seto keine Unsicherheit zulassen wollte. Nicht nur machte ihn das verletzlich, er mochte den Menschen auch nicht, der er dann war. Was Katsuya auch verstehen konnte ... er verachtete Schwäche auch. Andererseits war der schüchterne Seto irgendwie ... es war schon komisch, Seto Kaiba schüchtern und unsicher zu sehen und er hätte ja auch nie erwartet, dass er so etwas angenehm oder gar erregend finden könnte, aber irgendwie ... es war halt Seto. Er war Hals über Kopf in den Kerl verliebt. In den kalten Bastard, den fürsorglichen Ehemann, den schüchternen Freund, das kleine Kind und alles, was ihm sonst noch über den Weg laufen würde. Seto war halt einfach Seto. Die Vielfalt an Persönlichkeiten gehörte dazu.

„Ich hätte dich schon dazu gebracht, mich wieder anzusehen“ Katsuya lächelte. „Das falsche Selbstbewusstsein abzulegen ist keine Schande.“

Seto seufzte und lehnte sich vor, um ganz leise sprechen zu können und dennoch verstanden zu werden: „Gozaburo hat fünf Jahre damit verbracht, mir meine Weichheit auszuprügeln. Ich ... ich kann nicht dahin zurück. Ich ... vielleicht kann ich nach und nach immer ein bisschen zulassen, aber ... ich könnte mit mir selbst nicht leben, wenn ich das einfach zulassen würde.“

„Nach und nach ist auch okay“, flüsterte Katsuya zurück und lehnte sich ebenfalls vor, „Ich habe dich lieb, egal, wie du bist. Ich weiß, der Mensch dahinter ist derselbe. Genau, wie du gesagt hast.“

Seto ließ seinen Blick über Katsuyas Gesicht fahren, als suche er nach einem Zeichen, dass er log. Jedoch schien er keins zu entdecken, da er nach einem Moment langsam lächelte. Er zog mit einem Finger unter Katsuyas Kinn diesen noch näher und küsste ihn über den Tisch hinweg.

Mit einem Hauch von Rot auf den Wangen lehnte Katsuya sich zurück und sah sich vorsichtig um, bevor er fragte: „Wenn wir so weiter machen, werfen sie uns doch raus oder evakuieren sie das Restaurant?“

Seto zuckte einfach nur mit den Schultern, als wäre es ihm einerlei.

„Sollten wir uns nicht eigentlich wegen dem Jugendamt zurückhalten?“

„Sie sind ganz rechtmäßig mein, Herr Katsuya Kaiba. Im Januar kommt dein neuer Personalausweis an“ Seto lächelte, doch ein Schimmer von Unsicherheit schwang in seinem Blick mit. „Bis du volljährig bist, gelte ich als dein Pflegeberechtigter und übernehme alle Rechte und Pflichten eines Sorgeberechtigten.“

„Kein Verstecken mehr?“ Katsuya grinste.

Seto nickte und entspannte sich.

„Oh shit“ Der Blonde hob die Hände vor sein Gesicht.

„Was?“, fragte Seto alarmiert.

„Die Mädchen“ Katsuya wandte den Blick zur Decke. „Aus meiner Klasse. Du hast mich von der Schule abgeholt und seitdem bin ich verschwunden in ihren Augen. Die ganze Schule wird vor Gerüchten brodeln, wenn sie am Montag wieder anfängt.“

„Habe ich Erlkönig dich geraubt?“ Setos Mundwinkel zuckte in die Höhe.

„Wahrscheinlich“ Katsuya seufzte tief. „Ich hasse tratschende Weiber. Sie werden mir keine Ruhe lassen, bis sie nicht jedes Detail kennen.“

„Ich will keine Zentimeterangaben zu meiner Länge“, erwiderte Seto staubtrocken, „dann habe ich nämlich nie wieder Ruhe.“

Katsuya rollte mit den Augen. Shit, er hatte den sarkastischen Bastard echt vermisst.

Ein zweiter Versuch

Verbrennt euch nicht heute Nacht und habt einen guten Rutsch ins neue Jahr! Und viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Katsuya!“ Shizuka schlang die Arme um seinen Hals. „Frohes neues Jahr!“

„Frohes neues, Kleine“ Er umarmte sie fest, hob sie hoch, drehte sich und stellte sie wieder auf den Boden. Allerdings ließ er sie nicht los. Ganz selbstsüchtig behielt er sie einfach erstmal in seinem Arm, sodass Seto erst Noah begrüßte.

„Geht es dir wieder besser?“, fragte Shizuka, der das nicht so viel auszumachen schien.

„Wie?“ Besser? Sie wusste doch gar nicht … oh, ja, Seto hatte ihr erzählt, dass er krank war und keine Stimme hatte. „Ah, ja, klar. Geht eigentlich wieder. Ich fühle mich immer noch ein bisschen schlapp, aber ich bin nicht mehr ansteckend“ Oder doch? Er könnte ansteckend sein. Sollte er sie vorwarnen?

„Dann kannst du dir ja deinen Lieblingsneffen schnappen. Er greift nach allem, was er in die Finger kriegt. Heute morgen hatte er es auf mein Auge abgesehen“ Sie löste sich von ihm und machte einem Schritt zum Kinderwagen. „Er müsste wach sein … ja, wer ist denn da? Hast du gut geschlafen, Isamu?“

Ins Auge? Hepatitis C konnte durch Tränen übertragen werden. Durfte er Isamu überhaupt noch anfassen? Kinder achteten nicht auf so etwas ... er schluckte. Konnte er ihr das alles wirklich verschweigen? Würde sie ihm Isamu noch geben wollen, wenn sie es wüsste? Noah legte ihm währenddessen eine Hand auf die Schulter, beugte sich hinab und fragte: „Ist Seto irgendwie schlecht gelaunt?“

„Nein, wieso?“

„Nun … war nur ein Gefühl“ Noah winkte ab und zog sich die Schuhe aus, bevor er Seto in der Küche zurief, dass er gern einen Cappuccino hätte.

„Hattet ihr ein schönes Neujahrsfest?“, fragte Shizuka und gab ihm das Baby.

„Klasse“ Katsuya grinste und sicherte Isamu in seinem Arm. Er musste ihn einfach weit genug weg halten, damit er nicht an seine Augen kam. „Kennst du das große Hotel in der Innenstadt, das Sky Palace? Seto hat mich zum Essen ausgeführt und dann sind wir bis morgens in der Kaisersuite geblieben. Und beim Tempel waren wir natürlich auch. Auch wenn Seto mich später noch in eine christliche Messe geschleppt hat.“

„Nett“ Sie grinste. „Noah und ich waren in Hongkong. Das Feuerwerk dort war einfach fantastisch. All die Lichter … der ganze Himmel war von Gold und Rot und Grün übersät. Aus allen Hochhäusern kamen Funken geschossen“ Sie hatte die Arme gehoben und zog einen großen Kreis. „Das war wunderschön. Nächstes Jahr sollten wir alle zusammen da hin.“

„Klingt gut“ Katsuya lächelte. Hongkong … er war noch nie außerhalb von Japan gewesen. Er war auch noch nie mit einem Flugzeug geflogen. Das klang alles verdammt cool. Wenn er sich das wünschte, würde Seto mit ihm bestimmt die Welt bereisen, oder?
 

„Hi, Yami!“ Shizuka, mit der er ins Wohnzimmer gegangen war, grüßte den dort Sitzenden, der für sie aufstand. „Frohes neues Jahr.“

„Frohes neues Jahr und Segen über deine Familie“ Er winkte ihr und strich Isamu über die Stirn, als Katsuya sich zu ihm setzte. „Ich hörte, ihr ward in Hongkong?“

„Ja, das war klasse“ Sie grinste und ließ sich in den Sessel sinken, den eigentlich Seto immer besetzte. „Ich hatte es Katsuya gerade schon erzählt, sie hatten ein wunderschönes Feuerwerk. Und auf einem Platz war ein riesiger Tannenbaum aufgebaut, der war mit unendlich vielen Kristallen behangen. Einfach toll!“

„Klingt schön“ Yamis Blick wechselte zwischen Katsuya und Isamu, bevor er mit einem leichten Seufzen auf Isamu liegen blieb. „Darf ich ihn dir abnehmen?“

Was er wirklich sagen wollte, war Katsuya klar. Also besser doch nicht. Mit einem traurigen Brummen gab er Yami das Kind, der dafür einen Kuss auf seine Wange setzte. Seto strich ihm im Vorbeigehen über das Haar, da er gerade eine Kanne Kaffee und Tee hinein trug.

„Kommen Ryou und sein Bruder auch noch?“, fragte Shizuka lächelnd. Anscheinend hatte sie an all dem nichts Ungewöhnliches bemerkt.

„Ich denke“ Der Blonde seufzte. „Ich vermute, Bakura ist mal wieder schlecht auf mich zu sprechen.“

„Mal wieder? Kommt das oft vor?“ Sie legte den Kopf schief. „Ich gebe zu, er ist etwas eigen, aber ich dachte immer, ihr wärt Freunde.“

„Ich habe keine Ahnung, was wir sind. Er ist kompliziert.“

„Im Gegensatz zu mir?“ Seto, der gerade Becher brachte, hob eine Augenbraue. „Noah fragt, welchen Kuchen ihr gern hättet.“

„Käse!“, meldete Yami sich als erster.

„Erdbeer“ Shizuka lächelte. Noch so ein Themenwechsel, den sie einfach so hinnahm. Wenigstens taten Yami und Seto alles, um ihm zu helfen.

„Irgendetwas“ Katsuya sah zu Isamu und kitzelte ihn am Bauch, was ihn freudig quietschen ließ. Scheiße ... er wollte nicht krank sein. Er wollte sorglos mit seinem Neffen spielen können. Selbst wenn Seto doch irgendwann zustimmen würde, Kinder zu haben, es wären fraglos nicht seine. Biologisch. Wenn, dann müssten es Setos werden. Er wandte sich von dem Kind ab.

„Wie hat Isamu Hongkong gefallen?“, lenkte Yami ab, indem er Shizuka ansprach.

„Gut, denke ich“ Sie lächelte. „Er ist ein Stadtkind, Lärm macht ihm kaum etwas aus. Das ganze Feuerwerk durch hat er einfach geschlafen.“

„Mir hatte das am Anfang Sorgen gemacht“, warf Noah ein, der zwei Teller mit Kuchen und ein paar Gabeln mitbrachte, „wir waren beim HNO- und beim Augenarzt, aber mit Isamu ist wohl alles in Ordnung.“

„Warum beim Augenarzt?“ Yami beugte sich über das Baby und sah ihm in die Augen.

„Noah meint, nach der U2 muss man mit Kindern zum Augenarzt“ Sie seufzte. „Er ist überbesorgt.“

„Ich bin nicht überbesorgt. Ich will nur, dass Isamu die beste Versorgung hat, die er haben kann. Ein zu spät entdeckter Augendefekt bei Kindern kann schwere Folgen haben“ Noah setzte sich neben Yami und strich über Isamus weiches Haar. „Ich will nur, dass es ihm gut geht.“

„Vorsicht, wenn du so weiter machst, nennt er dich irgendwann Papa“, neckte Yami den anderen.
 

Fast erschrocken sah Noah auf, wandte den Blick zu Shizuka, zu Isamu und zurück zu Yami. Nach ein paar Sekunden der Stille seufzte er und murmelte: „Eher Opa. Manchmal fühle ich mich, als wäre ich Shizukas Vater.“

„Manchmal?“ Sie verschränkte die Arme. „Du hast mir letztens verboten, mit meinen Freundinnen weg zu gehen.“

„Ihr wolltet ja auch in einen Club! Du bist minderjährig.“

„Na und?“ Sie schien noch immer reichlich angefressen. „Kimi ist volljährig. Du hättest nur eine Erlaubnis schreiben müssen. Bei einem Club ist doch nichts dabei.“

„Entschuldige, aber ich halte von Kimi wirklich nicht sehr viel“ Noah massierte seine Schläfe, während er sprach. Wahrscheinlich hatten sie dieses Gespräch schon ein paar mal geführt. „Ich glaube nicht, dass sie ausreichend auf dich geachtet hätte.“

„Ich kann auf mich selber aufpassen!“

Isamu begann zu murren. Anscheinend war ihm Schreierei dann doch zu laut. Katsuya seufzte nur. Vielleicht war es ganz gut, dass er nie ein „normales“ Leben geführt hatte. Solche Probleme hatte er noch nie gehabt. Das war es wohl, was Noah vor Weihnachten so aufgeregt hatte. Shizuka ging lieber aus statt Zeit mit Isamu zu verbringen.

„Noah meint das nicht böse“ Seto, der die restlichen Teller mit Kuchen servierte, sprach ruhig und unbesorgt. „Du bist wirklich noch jung und – ich hoffe, das nimmst du mir nicht böse – deine Menschenkenntnis ist noch nicht ausgeprägt. Wenn jemand es böse mit dir meint, wäre da niemand, der auf dich aufpasst. Ein paar K.O.-Tropfen in einem Drink sind schnell gemacht.“

„Ihr tut so, als würde mich jeder Kerl vergewaltigen wollen. Erwachsene sind so paranoid“ Sie schnaubte. „Von ein mal feiern gehen wird mir schon nichts passieren.“

„Einmal reicht schon, damit dir jemand etwas antut“ Katsuya merkte, wie seine Stimme während des Sprechens brach, aber er sprach trotzdem weiter. „Und wenn etwas passiert, kann man das nie wieder rückgängig machen.“

Darauf schwieg selbst Shizuka. Ihre Stirn lag in Falten und sie fragte mit unsicherer Stimme: „Großer Bruder?“

„Ewig kann man sie aber auch nicht zuhause einsperren“, ging Yami dazwischen, bevor irgendwelche unangenehmen Fragen aufkommen konnten, „Menschenkenntnis bekommt man nur unter Menschen. Wie wäre es, wenn ich mit Shizuka ausgehe? Ich kenne mich in der Clubszene gut aus und bin hoffentlich noch nicht zu alt, dass das peinlich werden würde.“

„Du würdest mit mir ausgehen?“ Shizuka grinste breit. Anscheinend hatte Yami ihre vorherige Sorge recht effektiv verfliegen lassen.

Katsuya lehnte sich zur Seite gegen Seto, der auf der Armlehne des Sofas saß. Dieser legte lose einen Arm um ihn, beugte sich hinab und küsste Katsuyas Kopf. Er hätte echt nicht gedacht, dass die Nicht-Wahrheit so schwer sein würde.

„Darf ich?“ Sie sah Noah mit hoffnungsvollen Augen an.

Dieser schien Yami erdolchen zu wollen. Mit einem sehr tiefen Seufzen sah er über dessen Kopf hinweg zu Seto und fragte: „Was denkst du darüber?“

„Yami lebt praktisch in Clubs. Diese Expertise ist für unsereins unerreichbar. Wir Dinosauerier wissen schließlich nichts über die heutige Jugend“ Sarkasmus tropfte nur so aus Setos Stimme. „Nein, im Ernst, das ist eine gute Idee.“

„Katsuya, kommst du auch mit?“, fragte seine Schwester begeistert.

„Öh“ Er sah zu Seto auf.

„Mich brauchst du nicht anzusehen. All meine Liebe reicht nicht, dass ich mich freiwillig in einen überfüllten, dunklen Raum mit schlechter Musik begebe“ Dieser hob eine braune Augenbraue. „Und nach einer Erlaubnis brauchst du nicht zu fragen. Dass du auf dich aufpassen kannst, weiß ich.“
 

„Jetzt weiß ich, was anders ist“ Noah schlug mit der Faust auf die offene Hand. „Du hörst dich an wie Bakura. Das hast du seit Monaten nicht mehr gemacht.“

„Ah“ Seto schluckte. „Ja, das ... meine Medikamente wurden umgestellt. Sorry, ich bin jetzt wieder etwas ... gemeiner.“

„Ah, ach so“ Noah nickte. „Morgen geht die Schule für dich wieder los, oder, Katsuya? Shizuka murrt schon seit ein paar Tagen.“

„Och, ich freu' mich drauf. Ich find' Schule ganz lustig“ Sie wäre fraglos eine willkommene Ablenkung. Jetzt, wo er jeden Tag eine Runde um den Häuserblock lief und keine Flashbacks bekam, freute er sich eigentlich darauf, wieder unter Menschen zu kommen.

„Wirklich? Ich fand Schule schrecklich. Aber seit ich arbeite, habe ich mir immer mal wieder gewünscht, ich würde noch zur Schule gehen. Eigentlich war sie ganz schön, wenn ich zurückdenke. Ich wusste das damals nicht zu schätzen.“

„Ich vermisse Seto“ Katsuya grinste. „Er ist ein echt cooler Lehrer. Ich finde es schade, dass ich keinen Unterricht mehr bei ihm habe“ Er griff nach dessen Hand, drückte sie und sah auf.

Seto sah seinen Bruder etwas perplex an. War es so komisch, sich zurück in die Schule zu wünschen? Oder ging es um das Thema davor? Wahrscheinlich kam er noch nicht darüber hinweg, dass Noah das mit der Medikamentenumstellung einfach so als Erklärung hinnahm.

„Mag mal jemand Ryou und Bakura anrufen?“, fragte Yami in die entstandene Stille, „der Kuchen wird zwar nicht kalt, aber er sieht sehr verführerisch aus.“

Shizuka und Noah wandten ihren Blick zu Katsuya.

„Mein Handy habe ich ... verloren. Guckt Seto an und nicht mich“ Aller Blick hoben sich um ein paar Zentimeter. „Seto?“ Katsuya stuppste diesen an. „Aufwachen, Tagträumer. Man will was von dir.“

„Wie?“ Seto blinzelte.

„Könntest du Bakura anrufen, ob wir ohne sie mit dem Kuchen anfangen sollen?“

„Sicher“ Er zog sein Handy, stand auf und ging in den Nebenraum.

„Er scheint ein bisschen ... abgelenkt“, warf Noah ein.

„Das sind die neuen Medikamente. Äh ... seine Dosis wurde sozusagen reduziert. Er soll ja irgendwann ohne sie auskommen“, formulierte Katsuya vorsichtig.

„Ah“ Noah nickte und schien das wieder einfach zu akzeptieren. „Ich habe die Unterlagen gelesen, die Yami mir gegeben hat. Da stand, dass manchmal Persönlichkeiten verschmelzen und das Ergebnis dann manchmal wie eine neue Persönlichkeit wirkt. Ich hatte schon Angst, so etwas sei passiert.“

„Das braucht nicht ängstigen, das wäre klasse. Das hieße, dass er heilt“ Yami sah auf und seufzte. „Aber das wird noch ein paar Jahre dauern, bis er das angeht. Er ist noch zu unsicher. Aber die Tablettenumstellung ist ein guter Schritt.“

„Wenn ihr das sagt“ Noah zuckte mit den Schultern. „Solange er vom Alkohol weg bleibt und keine Leute schlägt, ist mir alles recht.“

Ha ... ha ... ach ja. Tja, zumindest vom Alkohol war er ja jetzt gerade weg. Und geschlagen hatte er seit ... anderthalb Wochen niemanden? Ne, einer Woche. Katsuya seufzte leise. Nun ja, der vorherige Tablettencocktail hatte Seto auch nicht davon abgehalten. Das schien mit keinen Tabletten behebbar zu sein.

Das Projekt

Animexx sprengt gerade Formatierungen ô.o Na, hoffentlich sieht es am Ende normal aus.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ryou und Bakura kommen später. Anscheinend kränkelt Ryou etwas und Bakura will ihn so nicht nach draußen lassen. Ich konnte ihn überzeugen, dass sie vorbei kommen“ Seto, der beim Gehen sein Handy in seiner Hintertasche verstaute, fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. „Ich denke, wir sollten trotzdem mit dem Kuchen anfangen.“

„Wunderbar“, murmelte Noah und griff nach seinem Teller.

„Pass auf, dass du nicht fett wirst“, neckte Yami ihn.

„Pass auf, dass du mal endlich fetter wirst“, konterte der Andere und schob Yamis Teller an die Tischkante, „soll ich dir Isamu abnehmen?“

Das Kind wechselte von einem Arm in den anderen, sodass Yami seinen Teller nehmen und etwas essen konnte. Noah aß trotz Kind im Arm weiter, er schien recht geübt darin. Das tägliche Babysitten hinterließ also doch Spuren. Katsuya lächelte traurig.

Seto, der mit Genuss sein Tortenstück verschlang, bemerkte zur Abwechslung mal gar nichts. Er merkte erst auf, als Shizuka fragte: „Gehst du in gar keine Discos, Seto?“

„Absolut nicht“ Seine Torte schien allerdings interessant genug, dass er sich aus der Frage nichts machte.

„Nicht alle haben schlechte Musik. Was magst du für Musik?“

„Klassik.“

„Hm ... ich glaube, Klassik-Discos gibt es nicht“ Sie legte den Kopf schief.

„Die klassischen Discos nennt man gemeinhin Philharmonie“, warf Noah ein und hielt ein Stück Kuchen zu lange in Isamus Reichweite – es endete zerquetscht und zwischen dessen Fingern hervor quellend, „Ach, Mist ... Kleiner, du wirst zu schnell und zielsicher.“

„Du wirst nur senil“ Yami grinste.

„Sag mal, planst du irgendeine Vendetta gegen mich? Habe ich dir etwas getan?“ Noah klang halb amüsiert, halb ernst.

„Nein, gar nicht. Freundschaft merkt man daran, wie sehr ein anderer Mensch auf dir rumhackt“ Yami legte beide Hände auf Noahs Schulter und sein Kinn darauf, sodass sich ihre Gesichter sehr nahe kamen. „Ich drücke nur meine Zuneigung aus.“

„Ich wäre ganz dankbar, wenn sich deine Neigung jetzt mal umkehrt und du auf deinen Platz zurück kehrst“ Noah, etwas gefangen durch das Kind im einen Arm und dem Teller in der anderen Hand, lehnte sich von ihm weg und wich mit dem Kopf zurück.

„Meine Neigungen umkehren? Mein lieber Noah, da verlangen Sie aber viel. Und ich weiß gar nicht, was meine Sexualität mit Ihnen zu schaffen hat.“

„Kann mir mal jemand helfen?“

Katsuya, der über den ernsthaft verzweifelten Gesichtsausdruck des Firmenbosses nur lachen konnte, griff seinen besten Freund an der Schulter und zog ihn zurück. Seto schüttelte nur amüsiert den Kopf und stellte die bereits geleerten Teller auf dem Tisch zusammen.

„Ehrlich, seinen Chef verführen zu wollen, ist keine gute Sitte“ Noah schüttelte mit einem Seufzer der Erleichterung den Kopf. „Muss ich mir das auf meine alten Tage wirklich antun?“

„Ja, die dreißig war schon ein schwerer Schritt“ Yami schielte zu Seto rüber. „Nicht, dass einer von uns das bald erleben muss. Das wäre ja schlimm.“

„Vermaledeite Giftspritze“ Seto kniff ihn dafür in die Seite.

„Zuneigung, Seto – das ist wahre Zuneigung.“
 

„Guten Mittag“, murmelte Ryou, der unsicher über Bakuras Schulter sah, der in schwarzen Mantel und mit Sonnenbrille vor der Tür stand. Hilfe, was für ein Aufzug … hatte Bakura erwartet, erneut von einem gewalttätigen Seto gegrüßt zu werden?

Katsuya seufzte tief und meinte: „Er ist prinzipiell harmlos, weißt du?“

Bakura senkte nur den Kopf und warf ihm einen abschätzigen Blick über den Rand seiner Brille. Mit einem Schnauben verdrehte er die Augen und trat ein. Ryou lächelte entschuldigend und zuckte mit den Schultern.

„Wir haben Kuchen für euch aufbewahrt“ Katsuya strich mit einer Hand über Ryous Haar, bevor er in die Küche ging, um den Kuchen zu richten. „Kann ich euch noch etwas bringen? Kaffee oder Tee?“

„Tee, bitte“ Ryou griff sich den Arm seines Bruders und zog diesen ins Wohnzimmer. „Dank' dir.“

Mord und Totschlag und so weiter. Na ja, nach letztem Wochenende war es selbst Bakura nicht zu verübeln, dass er nicht wieder her kommen wollte. Irgendwo war Katsuya die Erkenntnis abhanden gekommen, dass die meisten Menschen – selbst die mit Problemen – so jemanden wie Seto als zu viel empfanden. Dass er Bakura zu viel wurde ... das führte es dann doch wieder vor Augen. Er wollte halt Ryou schützen. In Isamus oder Shizukas Nähe würde Katsuya diese auch immer als wichtiger als Seto empfinden.

Als er ins Wohnzimmer kam, beugte sich Ryou gerade über Isamu in Noahs Arm. Bakura, der auf dem Teppich saß, betrachtete Seto aus dem Augenwinkel – dieser ignorierte ihn dafür. Shizuka, die nichts von der Antipathie sah, und Yami, der sie gekonnt nicht sehen wollte, unterhielten sich über verschiedene Clubs in der Stadt. Katsuya stellte Kuchen und Tee – auch für Bakura – auf dem Tisch ab und setzte sich auf dem Teppich neben diesen, sodass er zwischen ihm und Seto saß.

„Seto, wie war das eigentlich mit unserem Projekt? Ich habe seit letzten Monat nichts mehr gehört“, fragte Noah.

„Meine Schuld“, meldete sich Yami stattdessen, „ich hatte wegen der Jobumstellung die Planung etwas vernachlässigt.“

„Verzeihlich“ Seto, der auf einem herein getragenen Küchenstuhl saß, legte einen Arm auf die Lehne und stützte den Kopf darauf. „Natürlich nur, wenn du jetzt weiter planst.“

„Keine Sorge, ich stürze mich gern wieder in Arbeit“ Yami verdrehte die Augen. „Wir sollten einen Termin ausmachen, damit ich schonmal die Einladungen verschicken kann. Noah, was ist ein guter Termin?“

„Frag das am besten meine Sekretärin, die hat einen Überblick über so etwas“ Noah gab Isamu an Ryou weiter. „Und über die Verfügbarkeit der Räume. Du bist ja eh im Haus.“

„Du meinst, ich soll einfach in dein Vorzimmer gehen, deine Sekretärin über deinen Zeitplan ausfragen und deinen Hauptsaal mieten ... ohne jede Art von ... keine Ahnung, Legitimation?“

„Wäre doch interessant, meinst du nicht? Mich würde interessieren, ob du es schaffst“ Noah hob herausfordernd eine Augenbraue. „Du hast Charisma. Ich frage mich, wie weit du damit kommst.“

„Hm“ Yami betrachtete den anderen einen Moment lang. „Warum nicht? Aber keine bösen Anweisungen, die es mir erschweren, ja? Ein fairer Test.“

Noah hielt ihm die Rechte hin und sie schüttelten. Katsuya verdrehte nur die Augen.
 

Als Yami zur Toilette ging, setzte sich Ryou auf die Mitte der Couch neben Noah, um weiter mit Isamu zu spielen. Keine zwei Sekunden später erhob Bakura sich und ging hinter Setos Sitz vorbei zur Couch, um sich neben seinen Bruder zu setzen. Ganz zufällig war das der Platz zwischen diesem und Seto und Bakura machte sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, seine Intentionen zu verbergen. Er fixierte Seto mit einem halb kalkulierenden, halb feindseligen Blick. Dieses Mal starrte dieser jedoch zurück.

„Katsuya?“, flüsterte Shizuka leise und winkte ihn heran.

Er krabbelte die zwei Meter über den Teppich und kniete sich neben den Sessel, auf dem sie saß. Sie beugte sich herunter und fragte leise: „Sag mal, ist zwischen Bakura und Seto etwas passiert?“

Argh … shit. Und jetzt? Konnte er ihr die Wahrheit sagen oder erschreckte sie das zu sehr? Sie wusste wahrscheinlich mittlerweile, dass Seto nicht immer leicht war, aber ihr hatte seines Wissens nach niemand von seiner Krankheit erzählt. Sie wusste, dass sie sich gegenseitig mal geschlagen hatten, aber das war in ihren Augen Monate her und würde nie wieder vorkommen. Aber was sollte er sagen, wenn er ihr nicht die Wahrheit sagte? Belügen wollte er sie auch nicht.

„Seto ist letztes Wochenende wegen einer Sache ziemlich sauer geworden und hat aus Versehen etwas fest auf den Küchentisch geschlagen. Der ist dabei kaputt gegangen. Seitdem ist Bakura etwas … vorsichtig.“

Na, das war doch die Wahrheit, nicht? Vielleicht maßlos untertrieben, aber zumindest die Wahrheit. Shizuka brauchte nicht wissen, wie gewalttätig Seto werden konnte. Und wie unberechenbar. Sie würde nur Angst bekommen. Katsuya stoppte seine Gedanken und ging sie selbst noch einmal durch. Sie würde Angst bekommen, wenn sie die Wahrheit wüsste? Sie würde nicht mehr her kommen und ihn hier raus haben wollen im schlimmsten Fall. Und das Schlimmste war, sie hätte Recht damit. Seto war gefährlich. Während Katsuya das für sich selbst als okay empfand, war es wirklich richtig, Shizuka und Isamu einzuladen? Was, wenn er in ihrer Nähe gewalttätig wurde?

Er schluckte. Irgendwie konnte er es Bakura doch nicht verübeln, dass er Ryou nicht hier haben wollte. Der war sogar noch jünger als seine Schwester und konnte sich ähnlich schlecht wehren. War es wirklich richtig, was sie hier taten? Andererseits konnte er Seto auch nicht ewig von Menschen trennen, nur weil er gefährlich war. Aber vielleicht von Minderjährigen und Kindern? Und Frauen. Und … gegen Seto konnten sich die meisten Menschen nicht wehren. Er war ein zwei Meter Muskelpaket, das seit Jahren kickboxte. Wenn man danach ging, wer sich vielleicht wehren könnte, gäbe es kaum mehr Menschen, die man in Setos Nähe lassen könnte.

„Gerade der“ Shizuka schüttelte den Kopf. „Am Anfang habt ihr mir ehrlich gesagt alle ein bisschen Angst gemacht. Dass du mir nichts tust, das wusste ich. Aber dass du anderen nichts tust, da war ich nicht sicher. Als du den einen Tag so sauer warst wegen dem, was ich gesagt habe, da … da hatte ich echt Angst, was du machen würdest. Seto hat mir am Anfang auch Angst gemacht. Ich war immer schrecklich angespannt. Ich weiß gar nicht warum, er ist doch sehr nett. Ich kann gar nicht glauben, dass er wegen etwas wirklich sauer gewesen sein soll“ Katsuya wandte den Blick zu Boden. Sie spürte es. Ihr Unterbewusstsein wusste ganz genau, dass die freundliche Ruhe nur eine Fassade war, auch wenn ihr Bewusstsein das nicht registrierte. „Aber bei Bakura ist mir richtig übel geworden. Er hat eine sehr gewalttätige Aura. So, als könnte er jederzeit aufspringen und auf jemanden einschlagen. Und gerade wäre sein Ziel Seto.“

Nicht, dass Bakura das nicht schon gemacht hätte. Sowohl mit Katsuya als auch mit Yami. Wenn er jetzt gegen Seto gehen würde, dann … Katsuya schluckte und sah zu den beiden. Wenn sich die beiden an die Kehle gingen, dann sollten sie einfach nur so schnell wie möglich wegrennen. Warum setzte er Shizuka und Isamu solch einer Gefahr aus?
 

Yami kam gerade wieder herein und steuerte auf den Teppich zu, wo als einziges noch freie Sitzfläche war, als Seto sich erhob und mit einem sehr herabfallenden Blick und Ton zu Bakura sagte: „Wenn du mich kurz begleiten würdest?“

Katsuya zog scharf die Luft ein. Yami hob eine Augenbraue und machte einen größeren Bogen um Setos Stuhl, um zum Teppich zu kommen. Ryou sah auf und blinzelte verwirrt. Noahs Blick schnellte zwischen den beiden sich Anstarrenden hin und her.

Bakura, der weder Mantel noch Sonnenbrille ausgezogen hatte, erhob sich, ohne dabei den Blick von Seto zu nehmen. Er gab kein Geräusch von sich, nicht einmal ein Muskel zuckte, nichts, was auch nur den geringsten Hinweis auf seine Gedanken gab.

Katsuya griff fast reflexartig nach Yamis Hand, als dieser sich neben ihn gesetzt hatte. Shizuka zog ihre Beine auf den Sessel. Ryou hob eine Hand, um nach Bakuras zu greifen, aber mitten in der Luft erzitterte sie und sank wieder herab.

Seto drehte sich um – ja, sodass er Bakura den Rücken zudrehte – und verließ das Zimmer. Dieser folgte ihm schweigend. Im Wohnzimmer war es vollkommen still, sodass sie die Schritte bis zur Haustür verfolgen konnten und am Öffnen und Schließen eben jener Tür hörten, dass beide das Haus verlassen hatten.

Noah seufzte tief und laut hörbar.

Yami drückte Katsuyas Hand einmal fest, bevor er aufstand und ans Fenster trat. Nach mehreren Sekunden, in denen alle ihn beobachteten, zog er Setos Stuhl heran und setzte sich so auf diesen, dass er das Fenster im Blick behalten konnte.

„Was machen sie?“, fragte Shizuka mit zitternder Stimme.

„Rauchen und sich leise unterhalten“ Yami warf einen kurzen Blick in die Runde. „Bisher haben sie jede Konfrontation gewaltlos gelöst. Das ist eine wirklich gute Statistik.“

Besonders für die zwei. Zumindest fügte Katsuya das in Gedanken hinzu. Sie waren beide gefährlich und eigentlich sollte man keine Minderjährigen und Kinder in ihre Nähe lassen. Beide Ryou konnte man das nicht verhindern. Für Shizuka und Isamu trug Noah die Verantwortung. Aber für seinen Fall konnte man es. Katsuya blinzelte. Häh? Was war das denn für ein Gedanke? Für seinen Fall? Was war denn … oh.

Sein Kopf war mal wieder schneller als sein Verstand. Die Erkrankungen. Außer Yami wusste hier keiner davon und konnte sich entsprechend schützen. Während die Gewalttätigkeit der zwei da draußen bekannt war und alle das Risiko für sich einschätzen konnten – zumindest die Verantwortlichen – wusste über ihn keiner Bescheid. Und keiner konnte es einschätzen. Und das war nicht fair.

Geständnisse

Ich liebe Medizin. Ich lerne alle Vorlesungen auswendig, lese zwei Lehrbücher, öffne die Beispielfragen für Prüfungen und stelle fest, dass ich 20% der abgefragten Krankheiten nicht kenne, von den Antworten 30% noch nie gehört habe (also nur die Begriffe) und dementsprechend stolz berichten kann, dass ich ganze 10% der Fragen sicher weiß und weitere 20% richtig rate. Macht 30% richtig. Herzerwärmend -.- Ich hasse dieses Studium aus tiefsten Herzen. Wieder einmal werde ich die Prüfung nur bestehen, weil ich alle Fragen, die vorkommen können, auswendig gelernt habe. Und das macht mich dann zu einem guten Arzt, ja?

Ich hoffe, euer Leben ***** euch gerade nicht so an wie meins mich. Habt ihr alle brav Frühjahrsputz gemacht? Wen es interessiert, in DS ist es gerade 10 Jahre und 10 Tage früher als in unserer Originalzeit ^.- Ich finde das einen sehr lustigen Fakt. Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya seufzte und sprach in die Stille: „Ich muss euch drei etwas sagen.“

Yami, der seinen Blick wieder nach draußen gewandt hatte, sah zu ihm. Katsuya bemerkte es im Augenwinkel, aber richtete seinen Blick eher abwechselnd auf die drei vor sich. Da alle ihn ansahen, fuhr er fort: „Die Ärzte vermuten zur Zeit, dass ich ein oder zwei ansteckende Krankheiten haben könnte. Da diese noch nicht sicher ausgeschlossen sind, soll ich den direkten Kontakt zu Menschen meiden. Also … anfassen nicht, aber Küssen zum Beispiel. Meine Tränen und mein Blut könnten ansteckend sein. Also … seid bitte nicht böse, wenn ich mich etwas von euch fernhalte und erstmal nicht mehr mit Isamu spiele. Und falls etwas in der Schule passiert, schau, dass niemand mich anfasst, ja, Ryou?“

„Also … wenn du blutest oder so etwas? Ein Sportunfall?“, kombinierte dieser.

Katsuya nickte.

„Okay“ Ryou lächelte zaghaft und sah zu den anderen beiden. Noah hatte jeden Ausdruck verloren – nun ja, wahrscheinlich wusste er genug über Medizin, um zu wissen, von was Katsuya sprach. Shizuka legte Katsuya eine Hand auf die Schulter. „Ähm … wann wissen die Ärzte das denn?“

„Eh … öh“ Katsuya warf einen hilfesuchenden Blick in Yamis Richtung, der gerade mehr die anderen als seinen besten Freund beobachtete.

Allerdings antwortete er trotzdem nach einem Moment: „Er hat einen Test in drei Wochen, da wird die Schlimmere ausgeschlossen. Und noch einen in sieben Wochen, da wird die andere ausgeschlossen. Vorher kann man das leider nicht sicher sagen.“

Noahs Gesicht verzog sich mit jedem Wort mehr. War es am Anfang noch Misstrauen und Mitleid in Katsuyas Richtung, spiegelten seine Züge mittlerweile Trauer und Entsetzen, als er leise fragte: „Gilt dasselbe für Seto … oder dich?“

Katsuya schloss die Augen. Okay, Noah wusste wirklich ganz genau, um was es ging. Und er wusste, dass Katsuya Seto mit Yami betrogen hatte. Und nach Yamis Antwort würde er auch genau wissen, was mit ihm passiert war. Aber Yami schwieg. Als er die Augen wieder öffnete, spürte er dessen Blick auf sich liegen. Also antwortete er nach einem Seufzen: „Nein, tut es nicht.“

Entgegen all seiner Ängste hob er den Blick und sah Noah direkt in die Augen. In dessen Gesicht spiegelte sich Verwirrung, bis er Katsuyas Ausdruck deuten konnte und schluckte. Er wandte den Blick ab und murmelte: „Das tut mir Leid.“

„Du hattest kaum etwas damit zu tun“ Katsuya hob einen Mundwinkel und schnaubte. Echt, das Mitleid konnte er sich sparen. Er legte seine Hand auf Shizukas, die noch immer auf seiner Schulter lag und drückte diese.

„Ähm“ Ryous Stimme klang klein und brüchig. „Wovon redet ihr gerade?“

„Noah wollte nur wissen, ob Katsuya diese Krankheiten von irgendwem hat, den wir kennen, wo wir also vorsichtig sein sollen, aber dem ist nicht so. Niemand anderes ist möglicherweise ansteckend“ Ohne eine Sekunde für Nachfragen zu lassen, wechselte Yami sofort das Thema. „Die zwei da draußen sind sich übrigens immer noch nicht an die Kehle gegangen. Ich vermute, sie kriegen das in Ruhe geregelt.“

„Sie verstanden sich doch immer gut“, murmelte Ryou leise und starrte in seinen Tee.

Shizuka drückte Katsuyas Schulter und sandte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Noah lehnte sich mit geschlossenen Lidern zurück.
 

„Shit“ Yami erhob sich plötzlich.

Wie auf Kommando fuhren alle zusammen und sprangen auf – mit Ausnahme von Noah, der Isamu hielt. Ihr aller Blick richtete sich auf Yami, der noch immer aus dem Fenster sah und keine Anstalten machte, raus zu rennen.

„Rargh!“, hörten sie einen Wutschrei von draußen.

Für Katsuya war das genug Grund, in den Flur zu laufen und die Haustür aufzureißen. Statt der erwarteten brutalen, sehr blutigen Szene stapfte ihm allerdings ein wutschnaubender Bakura entgegen und ging an ihm vorbei nach drinnen mit den Worten: „Mach du das!“

Wenige Schritte von der Tür entfernt stand Seto noch immer da, wo sie wahrscheinlich geraucht hatten, da ausgetretene Zigarettenstummel zu seinen Füßen lagen. Auf den ersten Blick war er nicht verletzt. Äußerlich. Allerdings hatte er beide Hände vor sein Gesicht gezogen und heulte bitterlich.

Das war ganz klar Klein-Seto, der weinte.

Katsuya blinzelte und schüttelte den Kopf, aber das Bild verschwand nicht. Ohne Schuhe anzuziehen tappste er nach draußen und zog Seto in seine Arme. Dieser wirkte erst gar nicht, als würde er ihn registrieren, allerdings kam nach einigen Schluchzern aus seinem Mund ein gar jämmerliches, lang gezogenes „Katsuya ...“

Der Blonde stand einfach nur da mit tief in Falten gezogener Stirn. Das machte doch keinen Sinn … überhaupt keinen Sinn! Klein-Seto kam raus, wenn er sich sicher fühlte, bei Leuten, denen er vertraute, oder? Erst nur bei Katsuya, dann auch bei Yami, dann auch bei Noah. Letztes Wochenende bei Ryou, aber auch nur, weil Katsuya und Yami auch da waren.

Was hatte Klein-Seto mit Bakura zu schaffen?

Gar nichts! Allein daran zu denken, wie geschockt Bakura letzte Woche gewesen war. Er hatte das mit der gespaltenen Persönlichkeit nicht gewusst. Es gab keine Verbindung zwischen Bakura und Klein-Seto. Und Bakura war ganz sicher nicht vertrauenswürdig genug, dass er raus gekommen wäre.

Also warum hielt er Klein-Seto im Arm? Warum war dieser draußen? Während all diese Gedanken durch seinen Kopf rasten, strich er mit einer Hand über Setos Rücken und zog ihn langsam wieder ins Haus. Das Schluchzen war zum Glück schnell abgeebbt. Seto weinte zwar noch immer, aber es war mehr ein Wimmern und Schniefen. Yami, der in der Tür stand, griff nach Setos Oberarm, zog ihn ins Haus und gab ihm dort ein Taschentuch.

Lautstark schnäuzte sich Seto die Nase und Katsuya musste trotz der Situation lächeln. Der erwachsene Seto war zu unglaublich still und bedacht. Klein-Seto dagegen war ein typischer Fünfjähriger. Laut und ausdrucksstark.

„Sehr gut“, lobte Yami ihn, „Komm, gehen wir in die Küche und ich mache dir einen Kakao, ja?“
 

Dass Klein-Seto sofort aufhörte zu weinen, als er den Küchentisch sah und sich kindlich für diesen begeisterte, versetzte Katsuya auch nicht in bessere Stimmung. Nach den obligatorischen zwei Sekunden, die er Seto in die Küche geführt hatte, stürmte er rüber ins Wohnzimmer, wo alle schwiegen.

Seine Hand hatte praktisch schon nach Bakuras Kragen gegriffen, als Ryou sich vor seinen Bruder stellte und mit klarer Stimme forderte: „Ihr klärt das in Ruhe. Keine Gewalt.“

Katsuya hielt inne und ließ die Worte dreimal durch seinen Kopf gehen, bevor er nickte. Bakura währenddessen erhob sich hinter seinem Bruder und schob diesen sanft, aber bestimmt, aus dem Weg.

„Ich habe absolut keine Ahnung“, sagte er nur und sah Katsuya direkt in die Augen, „Ich habe ihn nicht beschimpft. Ich habe nichts Ungewöhnliches gesagt. Wie aus dem Nichts heraus rannen Tränen seine Wangen herab und er fing an zu schluchzen. Von einer auf die andere Sekunde, mitten im Gespräch.“

„Worum ging es?“ Katsuyas Spannung wich nicht aus ihm, wohl jedoch die Wut. Anscheinend war Bakura ebenso überrumpelt und hatte ihn zumindest nicht mit Absicht verletzt.

„Dass er seine Persönlichkeiten nicht unter Kontrolle hat und ich das ziemlich bedrohlich finde“, antwortete dieser mit ruhiger, sehr ehrlich klingender Stimme, „Bedrohlicher als mich. Ich bin sehr aggressiv, das weiß ich, aber ich verfüge auch in Wut noch über all meine Sinne. Ich kann mich stoppen. Er nicht.“

Stimmte. Katsuya blinzelte. Hallo, ging's noch? Es gab niemanden, der sich besser kontrollierte als Seto! Wie konnte sein Kopf Bakura zustimmen? Er fuhr sich durchs Haar.

„Wie kommst du darauf, dass er sich nicht stoppen könnte?“

„Aus seinen eigenen Worten“ Bakura verschränkte die Arme. „Diese … Persönlichkeiten. Die agieren ziemlich unabhängig. Dieses Kind richtet sich nach keinen Normen, die ihm als Erwachsener wichtig sind. Was lässt dich glauben, dass seine aggressive Persönlichkeit es tut?“

„Weil sie – selbst unter starker Provokation – normalerweise nur unter Kontrolle der erwachsenen Persönlichkeit raus kommt und durch diese gelenkt wird. Deswegen hat er letzte Woche den Tisch zerschlagen und nicht Yami. Denn das hätte sein TI fraglos gemacht, hätte er keine Kontrolle darüber.“

Aber Klein-Seto brach auch bisweilen ohne Kontrolle aus. Und diese bettelnde TI-Version war auch unkontrolliert gewesen. An verschiedenste Episoden konnte Seto sich nicht erinnern. Er kontrollierte sich oft, aber er konnte sich nicht immer kontrollieren.

Bakura, der den Blick abgewandt hatte, nickte langsam. Einige Sekunden des Schweigens vergingen, in denen niemand auch nur zu atmen schien. Nicht einmal Isamu. Bakuras blaue Augen richteten sich auf den Türrahmen und er fragte langsam: „Und diese … Kinderpersönlichkeit … die ist gerade durch sein erwachsenes Ich kontrolliert?“

Katsuya seufzte tief. Bakura wirkte vielleicht nicht immer wie die hellste Leuchte, aber er war scharf im Kombinieren, wenn etwas nach Verbrechen oder Gefahr roch. Er gab leise zu: „Nein, ist sie nicht. Aber Klein-Seto ist harmlos. Wir haben festgestellt, dass man Setos Ängste bekämpfen kann, indem man Klein-Seto dazu bringt, sie zu überwinden. Deshalb darf Klein-Seto frei rumrennen, ganz ohne Kontrolle. Aber deswegen darf er auch niemals verletzt werden, weil er am leichtesten zu treffen ist.“
 

„Dann tut es mir Leid, dass ich ihn verletzt habe.“

Katsuya spürte einen Schlag gegen die Brust. Keinen echten. Es war eher die Überraschung, die ihn völlig ungeschützt traf. Er blinzelte und nahm einen tiefen Atemzug, als er merkte, dass ihm die Luft knapp wurde. Sein Blick, der noch immer in Bakuras lag, wich nicht ab, als er wie von selbst nickte.

Bakura unterbrach den Kontakt selbst, indem er sich setzte, seine Teetasse griff und mit einem Zug leerte. Ryou setzte sich neben ihn und schenkte ihm lächelnd nach.

Katsuya wandte den Blick zu Noah und fragte stumm, ob er das gerade wirklich gehört hatte. Dieser aber sah gar nicht zu ihm sondern zu Shizuka. Katsuya folgte der Richtung und sah seine Schwester mit Verwirrung im Gesicht den Kopf schütteln.

Ihr Blick traf seinen und nach einem tiefen Atemzug fragte sie: „Was scheinen alle hier zu wissen, was ich nicht weiß? Was bedeutet das mit den Persönlichkeiten?“

Oh shit. Katsuya schloss die Lider. Natürlich. Sie war letzte Woche nicht da gewesen, als Yami es Ryou und Bakura erklärte. Sie wusste von nichts. Sie war noch nie einer anderen Persönlichkeit als der ANP begegnet.

Und er kein sehr großer Erklärer.

„Komm, ich zeig' es dir“ Er winkte sie heran. Blinzelnd erhob sie sich und trat zu ihm. „Seto hat aufgrund seiner Erkrankung verschiedene Persönlichkeiten. Seine normale, ein Kind und eine aggressive. Sehr selten bricht eine komplett durch. Also … das Kind oder die aggressive. Sieh einfach selbst.“

Er führte sie Richtung Küche, aber hielt sie auf dem Flur noch einmal an und flüsterte: „Denk daran, er ist gerade ein Kind. Ein sehr verletzliches Kind.“

Trotz Unglaube, Verwirrung und Sorge auf ihrem Gesicht nickte sie. Sie nahm noch einen tiefen Atemzug, als würde sie sich vor etwas Schrecklichen wappnen. Zusammen betraten sich die Küche, wo Seto mit einem Finger die Muster auf dem Küchentisch nachfuhr. Yami stand vor einem dampfenden Kochtopf und rührte mit einem Schneebesen.

„Seto?“ Große, blaue Augen wandten sich in ihre Richtung. „Ich möchte dir meine Schwester Shizuka vorstellen.“

„Hallo, Shizuka“ Seto winkte von seinem Stuhl aus und sah lächelnd zu Katsuya. „Aber ich kenne sie doch schon. Sie ist immer da, wenn es Kuchen gibt“ Er drehte sich zu Yami. „Gibt es noch Kuchen?“

„Der ist leider alle, Spatz“ Yami warf ein Lächeln über seine Schulter. „Aber dein Kakao ist gleich fertig.“

„Kakao!“ Seto streckte eine Faust in die Luft.

„Ihr könnt ja ins Wohnzimmer kommen, wenn du den ausgetrunken hast“ Katsuya ging die drei Schritte zu Setos Stuhl, setzte einen Kuss auf seinen Kopf und trat zurück zu seiner Schwester. „Bis gleich.“

Das verbotene Thema

Ich habe meine letzte Prüfung fertig! Yay! Und ich bin recht sicher, sie bestanden zu haben ^v^ Jetzt brauche ich nur noch mein zweites Staatsexamen und das ist erst in zwei Jahren (über den Stoff der letzten zwei Jahre ... nun ja ... egal).

Ich bin fröhlich und tanze durch die Gegend und singe und springe und- okay, ich komm ja wieder auf den Teppich. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und ich danke den treuen Seelen, die auch nach so langer Zeit noch Kommentare schreiben ^v^
 

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„Ähm, ja, das war die Kurzversion“ Katsuya kratzte sich am Hinterkopf, während er mit Shizuka wieder zu dem Sessel trat, in dem sie den Nachmittag gesessen hatte.

In diesen ließ sie sich fallen, zog die Beine an und wandte ihren Blick von irgendwo im nirgendwo ihrem Bruder zu. Sie setzte zum Sprechen an, schloss den Mund jedoch wieder und nahm einen zweiten Versuch: „War das schon immer so?“

„Seit du ihn kennst, ja. Seit er geboren ist, nein. Das ist eine Reaktion auf schwere Traumata als Kind“ Das durfte er doch verraten, oder? Ansonsten war das schwer zu erklären.

„Ist das das, was man multiple Persönlichkeit nennt? Darüber habe ich einen Film gesehen.“

„Ähm ...“ Er setzte sich auf die Lehne des Sessels. „Nicht ganz. Aber es ist etwas sehr Ähnliches.“

„Okay … also er hat seine normale Persönlichkeit, dieses Kind und eine aggressive Persönlichkeit? Und die normale kontrolliert die anderen beiden, aber das Kind darf manchmal ohne Kontrolle rumrennen, richtig?“

Katsuya nickte nur.

Noah schüttelte den Kopf und murmelte: „Ich wünschte, ich wäre noch jung. Warum akzeptieren Kinder so etwas so einfach?“

„Wir lernen noch“ Shizuka grinste ihn frech an. „Warum hast du mir das nicht gesagt?“ Sie sah wieder zu ihrem Bruder.

„Weil Seto das peinlich ist“ Nun ja, unter anderem. Das war nicht gerade der wichtigste Grund. „Und weil er Angst hat, dass Leute sich nicht mehr in seine Nähe wagen, wenn sie das wissen“ Er sah dabei ganz gezielt Bakura an, der die Arme verschränkte.

„Ist das denn wirklich gefährlich?“

„Nur, wenn man ihn so sehr stresst und provoziert, dass sein TI, äh, die aggressive Persönlichkeit ausbricht. Und selbst dann kann er sich meistens noch beherrschen und greift eher Möbel an als den Auslöser“ Bis auf wenige Ausnahmen. Yami und Katsuya hatten sich beide schon Schläge von ihm eingefangen, einige sogar recht bedrohlich. „Ich finde ihn nicht sehr gefährlich. Auch wenn ich ihm mittlerweile zustimme, dass er zur Zeit noch in keiner Verfassung ist, wo man sicher Kinder hier übernachten lassen könnte.“

„Na dann“ Sie zuckte mit den Schultern. „Was ist denn sehr provozieren? Gibt es irgendwelche Themen, die man nicht ansprechen sollte? Reagiert er auf irgendetwas sensibel?“

„Auf eine Menge“ Katsuya grinste und legte einen Arm um ihre Schultern. „Aber keine Sorge, Seto ist sehr gut beherrscht. Er sagt etwas, bevor er überlastet wird. Normalerweise“ Er warf einen Blick Richtung Küche. „Das heute hat mich jetzt etwas überrascht. Allerdings hat er letzte Woche schonmal plötzlich auf Kind umgeschaltet, um sein TI zurück zu halten. Vielleicht ist das so etwas gewesen.“

„Das ist gut, oder?“ Ryou lächelte. „Lieber zum Kind zu werden als jemanden zu verletzen“ Er legte die Arme um Bakura und sah lächelnd zu diesen auf. „Dann ist er nicht gefährlich.“

Jener brummte nur und starrte in den Kamin.

„Und er ist ein sehr süßes Kind“ Shizuka lächelte breit. „Ich gebe zu, es ist verstörend, ein zwei Meter großes Kind zu sehen, aber nach den ersten paar Worten habe ich bereits ein kleines Kind gesehen. Alle seine Gesten waren so kindlich“ Sie sah zu Isamu herüber. „Wenn er so bleibt, können Isamu und er in ein paar Jahren zusammen spielen.“

Noah schüttelte noch immer ganz leicht den Kopf.
 

„Och“ Shizukas Schultern sackten herab und sie verzog die Lippen in einen Schmollmund.

Seto, der nur zwei Schritte in den Raum getreten war, blieb stehen und legte den Kopf zur Seite. Nach einem Moment fragte er: „Ist … was … habe ich etwas getan?“

„Nein“ Sie seufzte und senkte den Blick. „Ich hatte mich nur darauf gefreut, mit deiner Kinderpersönlichkeit zu spielen. Du warst so niedlich.“

„Äh … na ja“ Er zog den Küchenstuhl vom Fenster wieder Richtung Couchtisch und nahm Platz. „Ich bin nicht so schrecklich begeistert davon, als Fünfjähriger durch die Gegend zu laufen.“

„Schade“ Sie ließ sich ihren Sohn von Noah reichen. „Ich fände es toll, mehr Kinder hier zu haben. Fünf ist ein tolles Alter. Da kann man mit Kindern jede Menge Mist anstellen.“

„Ist dir Isamu zu langweilig?“, neckte Katsuya sie.

„Ach was“ Sie grinste. „Aber man kann halt nur so und so oft mit Rasseln spielen und mit Folie knistern. Man muss die ganze Zeit Sachen aus seinem Mund nehmen. Das ist viel mehr aufpassen als spielen. Mit fünf kann ein Kind grundlegend auf sich selber aufpassen.“

„Sie ertränken sich nur in der Badewanne und ziehen in der Küche die Messer aus den Schubladen“ Katsuya seufzte und setzte sich zurück auf den Teppich. Besser, er kam Isamu nicht zu nahe. „Rennen wild durchs Haus und schneiden sich an Glasscherben die Finger auf.“

Seto verschränkte nur die Arme und wandte den Blick aus dem Fenster.

Shizuka giggelte. Yami lächelte ob des Anblicks, als er mit neuem Tee und Kaffee ins Wohnzimmer trat. Er schenkte allen nach und setzte sich neben Katsuya auf den Teppich. In der Gruppe breitete sich ein angenehmes Schweigen aus, als die meisten ihr Getränk genossen.

„Dein blonder Terror meint, du bist nicht gefährlich“, wandte sich Bakura an Seto, „ich werde das vorerst mal so glauben.“

Ryou setzte ihm dafür einen Kuss auf die Wange.

Seto sah nur zu beiden und schien keinen Kommentar darauf geben zu wollen. Wirkte zumindest so. Nach einigen Moment öffnete er jedoch den Mund und sagte: „Ich bin gefährlich. Ich habe mein TI nicht unter Kontrolle, genau wie du gesagt hast. Es ist fraglos das Sicherste, Abstand von mir zu halten.“

Katsuya seufzte tief. Danke, Seto. Sollte er doch alles wieder kaputt machen. Idiot. Yami und er warfen sich einen Blick zu, der sagte, dass sie gerade genau dasselbe dachten.

„Bei allem Pessimismus kann ich mir allerdings nicht vorstellen, Ryou jemals zu verletzen. Es gibt nicht so schrecklich viele Menschen, die ich auf den ersten Blick als absolut unbedrohlich einstufe und ich vermute, da geht es dir ähnlich. Dein Bruder gehört aber fraglos dazu. Ich kann mir beim besten Willen keine Situation vorstellen, wo er mich wütend machen würde“ Seto seufzte leise. „Das wollte ich zu unserer Diskussion beitragen, bevor mein eigener Kopf mich ausschaltete.“

Bakura nickte nur.

Katsuya lächelte schief. Irgendwie war das schon reichlich verquer mit Seto. Er erhob sich und küsste seinem Freund – seinem Verlobten – auf die Schläfe. Nun ja, er liebte den Wirrkopf genau so, wie er war.
 

„Yami?“

„Hm?“ Der Angesprochene zog sich gerade seine Schuhe an, nachdem er für die Hilfe beim Abwasch noch einen Moment länger geblieben war.

„Warte“, bat Seto und legte eine Hand auf seine Schulter, „hast du noch einen Moment?“

„Klar“ Er zog die halb angezogenen Schuhe einfach wieder aus und folgte Seto ins Wohnzimmer.

Was auch immer das jetzt wieder werden würde … Katsuya folgte den beiden etwas unsicher und fragte: „Darf ich mich zu euch setzen?“

„Ich bitte darum“ Seto wies auf die Couch, während er selbst seinen eigentlich angestammten Platz im Sessel einnahm. „Ich glaube, ich brauche eure Hilfe. Ich sehe gerade den Wald vor lauter Bäumen nicht“ Sie nickten nur, um zu bestätigen, dass sie zuhörten. „Warum kam vorhin meine EP raus?“

Seine … ach ja, emotionale Persönlichkeit hieß das eigentlich. Klein-Seto in seinen Worten. Katsuya sah zu Yami. Auf die Frage hätte er auch gern eine Erklärung.

„An was kannst du dich denn erinnern? Wie hast du das Gespräch verstanden und was hast du dabei gefühlt und gedacht?“, fragte dieser ruhig nach.

Seto seufzte tief. Sein Blick wandte sich erst zu Boden, dann zum Fenster. Mit Schulter und Kopf kippte er gegen die Seitenlehne des Sessels. Nach einigen Sekunden schloss er die Augen und sprach leise: „Ich war ziemlich aufgeregt. Das weiß ich, denn ich war verspannt. Ich vermute, ich hatte Angst, dass Bakura mich ablehnt. Ich weiß nicht genau, warum, aber seine Meinung ist mir wichtig. Ich glaube … ich denke, wenn er mich ablehnt, fühle ich mich endgültig wie ein Monster. Ihr wisst schon, ein Raubtier, vor dem die Schafe wegrennen, kann immer noch bei einem anderen Raubtier schlafen. So in der Art.“

„Du wolltest nicht abgelehnt werden. Das ist verständlich“, warf Yami in die Pause ein, die Seto nach diesen Worten ließ.

„Ja … während er sprach, wurde ich immer verspannter. Ich wusste, auf was das hinaus laufen würde und ich wusste einfach nicht, was ich tun soll. Ich fühlte mich vollkommen hilflos“ Seto schlang die Arme um sich. „Normalerweise dämmen dann die Dissoziationen meine Gefühle und mir kommt irgendein genialer Gedanke, wie ich das Blatt wende. Aber diesmal nicht. Diesmal … diesmal haben die Dissoziationen nicht meine Gefühle weggeschaltet sondern mich. Das macht keinen Sinn … nein, das macht keinen Sinn.“

Tja … exakt. Es machte keinen Sinn. Katsuya seufzte leise und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er könnte mal wieder zum Frisör. Mit einem Kopfschütteln verbannte er alle Gedanken, die nichts mit der Situation zu tun hatten und erhob sich. Wenn er schon keine sinnvollen Antworten geben konnte, konnte er Seto zumindest beistehen. Er ging um den Couchtisch und trat zu dessen Sessel, setzte sich auf seinen Schoß und zog Setos Oberkörper an seine Brust. Der Ältere ließ sich bewegen, als wäre er eine Marionette mit abgeschnittenen Fäden.

„Du hast schon recht, es macht nicht so wirklich Sinn … außer natürlich … aber nein. Nein, das würd-“ Yami stockte und sah auf. „Seto, kannst du dich immer an das erinnern, was deine EP und das TI tun?“

Katsuya schluckte. Yamis geweitete Lider missfielen ihm. Dieser alarmierte Blick konnte nichts Gutes bedeuten. Er schnippte gegen Setos Schulter, um ihn aus seinen Dissoziationen zu holen.

Nach einem weiteren Moment antwortete Seto: „Nein, nicht immer.“

„Und bist du dir sicher, dass die zwei die einzigen weiteren Persönlichkeiten in deinem Kopf sind?“

Seto zuckte. Sein ganzer Körper. Katsuya griff überrascht nach der Lehne, um sich zu halten. Der Ältere, der gerade noch zusammen gesunken auf seiner Brust gelegen hatte, saß aufrecht, zutiefst angespannt und richtete einen eiskalten Blick in Yamis Richtung. Dass Katsuya noch halb auf ihm hing, schmälerte den Effekt nicht. Yami schluckte und sank auf dem Sofa etwas in sich zusammen.

„Was willst du damit sagen?“
 

Einen längeren Moment herrschte Stille. Yami rutschte sehr langsam und vorsichtig auf der Couch weiter, bis der Couchtisch zwischen ihm und dem Sessel stand. Katsuya schluckte und rutschte von Setos Schoß zu Boden. Er kniete sich neben den Sessel und griff lieber nur Setos Hand.

Die Luft schien elektrisch geladen. Wie von einem Ticken erfüllt, das von Seto ausging. Wie eine Zeitbombe, die nur auf den richtigen Moment wartete. Die wenigen Worte hatten ihn von eher EP-betont zu zutiefst TI-betont wechseln lassen. Yami sollte bloß vorsichtig sein. Was hatte er überhaupt gefragt? Ob es nur die zwei Persönlichkeiten gab? Nun ja, das TI hatte zwei ziemlich unterschiedliche Seiten und diese neue schüchterne Persönlichkeit hatte er für ein Zusammenspiel aller drei gehalten, aber … hm … verschiedene Persönlichkeiten würden mehr Sinn machen. Fraglos. Aber wenn, dann wüsste Seto das, oder? Es war nicht so, als würde er irgendetwas davon haben, nicht die Wahrheit zu sagen, oder?

„Die … die peritraumatische Dissoziation ist eine inkomplette dissoziative Identitätsstörung. Man hat sehr schwankende Stimmungen, die manchmal wie verschiedene Menschen wirken. Aber es sind keine verschiedenen Menschen. Grundlegende Gesten sind noch dieselben, wenn auch auf einer Skala von recht kindlich zu recht aggressiv verteilt. Der wichtige Punkt ist, dass es keine komplette dissoziative Identitätsstörung ist. Es treten keine komplett eigenen Persönlichkeiten mit eigenem Mannerismus, eigener Sprache, eigener Schrift und vor allem eigenen Wissen auf. Das ist die Abgrenzung von komplexer posttraumatischer Störung mit peritraumatischer Dissoziation in ihrer schwersten Form zur dissoziativen Identitätsstörung. Komplette Persönlichkeiten, die autonom agieren, die sich an Dinge erinnern können, an die sich andere Persönlichkeiten nicht erinnern können, die konstant ein ähnliches Verhalten, eine ähnliche Sprache und andere konstante Eigenschaften haben … das liegt nur vor bei einer dissoziativen Identitätsstörung“ Yami sprach sehr langsam und vorsichtig und beobachtete Seto äußerst genau. Allerdings saß dieser nur schweigend und sehr angespannt da und fixierte Yami, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. Yami öffnete den Mund, um weiter zu sprechen, stoppte sich selbst allerdings und schloss ihn wieder. Er fuhr fort, Seto zu beobachten.

Seto hatte Katsuyas Hand sehr fest gegriffen. Es war unangenehm, aber es tat noch nicht weh. Mit jeder Sekunde des Schweigens jedoch wurde der Griff fester, sodass Katsuya nach einigen Momenten aufwimmerte und an seinem Arm zog. Seto schien es nicht einmal zu registrieren, er war wie eine Statue.

„Seto“ Katsuya legte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die festhaltende Hand. „Seto, das tut weh. Lass los“ Sein Atem ging schwerer und schneller. „Seto, bitte, hör auf. Seto!“

Genialität und Wahnsinn

Kurz zum letzten Kapitel: Wenn Yamis Monolog nicht direkt klar und verständlich war, ist das GANZ NORMAL. Die Erklärungen kommen erst noch ^.- Do not worry.
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

P.S.: Habe jetzt ein Praktikum in einer Redaktion. Habe heute meine ersten zwei Artikel geschrieben ^.^
 

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Er stemmte seine Beine gegen den Sessel. Tränen rannen aus seinen Augen. Mit einem Schrei und schierer Gewalt zog er seine Finger aus dem schraubstockartigen Griff und wich zurück. Heftig atmend, die Hand schützend an seine Brust gepresst, kroch er hinter das Sofa. Er konnte das Wimmern ob der heftigen Schmerzen nicht unterdrücken.

Scheiße … warum musste Seto immer aggressiv werden, wenn er unsicher wurde? Das wäre ein passenderer Moment gewesen, um in Tränen auszubrechen. Katsuya biss die Zähne zusammen.

Yami, noch immer Seto im Blick habend, rückte zu Katsuya ans Ende des Sofas und flüsterte: „Geht es?“

Katsuya atmete tief, um den Schmerz unter Kontrolle zu bringen. Nach einigen Momenten konnte er die Hand vorsichtig von seinem Körper wegziehen und hielt sie Yami hin. Er hatte mehr Ahnung von so etwas.

„Beobachte Seto für mich“, wies dieser ihn an und wagte erst dann, den Blick abzuwenden. Er legte eine Hand unter Katsuyas als Widerlager. Mit der anderen tastete er sehr vorsichtig über den Handrücken, drückte praktisch gar nicht sondern legte nur die Finger auf die Haut. Die Finger tastete er ab, indem er mit zwei Fingerspitzen seitlich gegen die Glieder drückte. Katsuya zog immer wieder scharf die Luft ein, aber er war beruhigt, dass sich unter der Haut keine Knochenteile zu bewegen schienen.

Seto schien das alles nicht einmal zu bemerken. Wenn man seinen Blick genau verfolgte, sah er dahin, wo Yami zuerst gesessen hatte – am anderen Ende der Couch. Er schien die Bewegung um sich herum nicht wahrzunehmen. Katsuya blieb dennoch aufmerksam.

„Es muss geröntgt werden, aber vorerst fühlt es sich nicht gebrochen an. Aber es ist möglich, dass einige Gelenkkapseln gerissen sind. Das wird sicherlich stark anschwellen und weh tun.“

„Das tut es jetzt schon“, presste Katsuya zwischen seinen Zähnen hervor.

„Habe ich dir weh getan?“

Yami und Katsuya, der einen Moment lang auf seine Hand gesehen hatte, zuckten simultan zusammen und wandten den Blick zu Seto. Dieser lehnte sich vor, die Lider leicht geweitet. Da war kein Funken Aggression in seinem Gesicht. Sorge, ein Hauch von Angst. Eine Menge Unsicherheit, denn sein Blick huschte über ihre Gesichtszüge und Körper.

„Wie heißt du?“, fragte Yami nach und legte einen Arm um Katsuya.

„Was … wie? Seto natürlich“ Die braunen Augenbrauen wurden zusammen gezogen. „Okay, ehrlich … ich glaube, mir fehlt gerade ein Teil meiner Erinnerung. Was immer ich getan habe, tut mir Leid. Ich wollte niemanden verletzen.“

„Das willst du nie“, murmelte Katsuya leise und wandte den Blick ab.

Scheiße! Das konnte doch nicht wahr sein! Er presste die Lider zusammen. Die Tränen vom Schmerz mischten sich mit denen der Verzweiflung. Es reichte langsam. Konnte Seto nicht wenigstens auf einem Stand einer Krankheit bleiben? Wenigstens vorerst? Bis er selbst etwas heiler war? Musste er plötzlich alle möglichen Symptome auf einmal entwickeln? Es reichte langsam, verdammt! Das war nicht fair. Das war alles nicht fair.

Er machte ja jeden Scheiß mit Seto mit, aber langsam wurde es echt zu viel. Er schluchzte auf und legte die Arme um sich selbst. Das schmerzhafte Pochen seiner Hand war kaum mehr schlimmer als der Schmerz in seiner Brust.

Es reichte.

Bakuras und Setos Streit, seiner Schwester Setos Krankheit erklären, die anderen über seine eigene Krankheit aufklären und dann noch plötzlich Bakuras ernste, schon fast reflektierte Seite – das war genug für einen Tag. Es brauchte jetzt nicht auch noch einen Anfall von Seto!
 

„Warte mal bitte einen Moment, ja?“ Zwei Arme legten sich um ihn und Yamis warmer Körper drückte sich in seine Seite. „Hey, Kats … komm her. Na komm“ Die Arme drehten ihn in der Umarmung und zogen seinen Kopf an Yamis Schulter. „Ganz ruhig, Kleiner … Seto, du bleibst da sitzen“ Der letzte Halbsatz war ziemlich scharf gesprochen.

Bei allen Göttern … Seto. Der war auch noch im Raum. Er konnte es sich nicht leisten, hier so rumzuheulen. Seto ging es schlecht. Und er könnte jederzeit wieder aggressiv werden. Er musste sich zusammen reißen! Aber es ließ ihn nur noch mehr schluchzen.

„Was hat er?“, fragte Seto leise.

„Akute Überforderung“ Yami hielt ihn einfach und machte ein paar beruhigende Laute. „Ich glaube, dass ist das erste Mal, dass er weint statt aggressiv zu werden“ Eine Hand strich durch das blonde Haar. „Ist gut, Kats … ruhig. Beruhige dich bitte.“

Die Schluchzer, die langsam abebbten, versiegten nach einer halben Minute wieder und gingen in ein tiefes, beherrschtes Atmen über. Atmen half immer. Gegen Schmerz, gegen Verzweiflung und gegen Dissoziationen. Einfach atmen. Katsuya sagte sich selbst im Kopf den Rhythmus vor. Nachdem auch sein Atem sich langsam wieder beruhigte, setzte er sich auf und sah mit müden Augen erst zu Yami, dann zu Seto, aber im Endeffekt doch wieder zu Yami.

„Willst du schlafen gehen?“, fragte dieser mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Katsuya schüttelte nur den Kopf und zeigte auf Seto. Seine Stimme würde gerade nicht mitmachen, das wusste er. Also doch Dissos. Na ja, egal, besser Dissos als heulen.

„Na gut. Aber bei Überlastung ist mehr Stress nicht gut.“

Katsuya seufzte und hob eine Augenbraue.

„Ich mach' ja schon“ Yami schüttelte lächelnd den Kopf. „Okay, Seto … was ist deine letzte Erinnerung?“

„Uhm … der Abwasch?“ Seto schluckte. „Ich glaube, wir sind danach ins Wohnzimmer gegangen, aber … ich weiß nicht, warum.“

„Du wolltest mich fragen, warum bei dem Streit mit Bakura deine EP raus gekommen ist.“

„Beim … ach so, ja, heute Nachmittag. Ja, das interessiert mich. Aber … warum habe ich gerade eine Amnesie?“

„Weil wir auf ein Thema kamen, was dir nicht recht war. Katsuya hat deine Hand gehalten, aber die hast du ihm ziemlich gequetscht. Der Arzt sollte das bei eurem Termin morgen röntgen.“

Seto nickte nur und entschuldigte sich erneut. Katsuya interessierte es nicht wirklich. Yami sollte seinen Teil sagen, Seto das akzeptieren und dann schlafen gehen. Mehr wollte er heute nicht mehr.
 

„Mittlerweile vermute ich, dass dein Kopf auch ohne dein Bewusstsein recht geniale Pläne aufstellt“ Yami lehnte sich zurück und legte einen Arm auf die Couchlehne. „Du warst dir vollkommen sicher, dass Bakura dich ablehnen würde. Egal, was du sagen würdest. Stimmen wir so weit überein?“

Seto nickte nur stumm. Er sah immer noch ein wenig überfahren aus. Nein, eher als würden gerade riesige Mengen Informationen auf ihn einprasseln. Na ja, vielleicht war das auch so. Katsuya fühlte sich zu müde, um wirklich darüber nachzudenken.

„Aber Bakura hat eine Schwäche und das weißt du.“

„Ryou?“ Setos Stirn legte sich in Falten.

„Und alles, was ihn an Ryou erinnert. Kinder, Weinen, Ängstlichkeit, ein Gefühl von Zerbrechlichkeit … das heißt, du konntest die Situation nicht zufrieden stellend lösen, aber deine Kinderpersönlichkeit schon. Also hat dein Kopf gegen deinen bewussten Willen Klein-Seto raus geworfen. Und wie du siehst, hat das ja auch funktioniert. Du hast Bakura völlig aus dem Konzept gebracht.“

Katsuya schloss die Lider. Raffiniert. Sehr raffiniert. Aber auch sehr berechnend und vollkommen gegen Setos bewusste Ansicht, dass seine anderen Persönlichkeiten eher weggeschlossen gehörten. Das hörte sich so gar nicht nach Seto an. Katsuya kniff die Lider zusammen und drückte sich innerlich gegen Müdigkeit und Dissoziationen, die ihm seine Gedanken rauben wollten. Es klang nicht nach Seto. Es klang danach, als würde jemand bewusst die Personen ins Bewusstsein schicken, die mit der Situation am besten fertig werden konnten. Sogar das TI und seine Aggression könnten berechnet sein. Nicht immer, aber manchmal. Es klang, als würde da noch jemand Viertes hinter Seto sitzen und puppenspielerartig das Bewusstsein lenken. Ohne, dass ANP-Seto davon irgendetwas wusste.

Er schüttelte langsam den Kopf. Vielleicht sah er Gefahren und Probleme, wo gar keine waren, aber bei Seto konnte man nie wissen … wer sagte eigentlich, dass es nur drei Persönlichkeiten gab? Es gab nur drei, die sie bisher kannten. Das alles hatte Yami vorhin innerhalb von einer Minute realisiert, als er über Setos Verhalten nachdachte. Dass die vielen neuen Seiten, die Seto langsam zeigte, einfach nicht mit dem übereinstimmten, was sie bisher wussten. Was sie bisher dachten. Katsuya hatte die drei von Anfang an als verschiedene Persönlichkeiten wahr genommen, die sich manchmal überlappten. Nicht als eine Person mit ziemlichen Extremen im Verhalten. Nein, als drei. Also warum nicht auch mehr?

Er öffnete müde die Lider und legte seinen Blick auf Seto. Dissoziative Identitätsstörung also. Er sollte Yami bei seinem nächsten Besuch bitten, ihm die Krankheit zu erklären. Auch wenn er es jetzt in diesem Moment lieber gar nicht wissen wollte, morgen würde es ihn sicher brennend interessieren.

Er schnaubte.

Warum machte er all diesen Mist mit?
 

„Tja … klingt ziemlich genial“ Seto lächelte halbherzig. „Und scheint ja auch funktioniert zu haben.“

Es ließ Katsuya doch noch mal den Blick heben. Selbst in seinem mittlerweile halb vernebelten Hirn wusste er, dass diese Worte ihn irgendwie beunruhigen sollten. Oder so. Irgendetwas war falsch, auch wenn er gerade keine Lust mehr hatte, darüber nachzudenken, was das sein könnte.

„Richtig“ Yami legte eine Hand auf Katsuyas Schulter. „Es hat funktioniert. Dafür mussten wir zwar Shizuka deine Krankheit erklären, aber sie hat es sehr gut aufgenommen. Jetzt wissen es alle deine Freunde und keiner lehnt dich ab.“

Das Lächeln auf Setos Lippen wirkte mit jedem Wort etwas echter. Er schlug in die Hände, stand auf und streckte sich mit den Worten: „Perfekt … dann werde ich jetzt wohl mal Katsuya ins Bett scheuchen. Er sieht aus, als würde er gleich von Sofa kippen.“

Katsuyas Stirn legte sich in Falten, wenn auch nur leicht. Irgendetwas stimmte so gar nicht … aber es wollte ihm nicht auffallen, was. Viel zu müde. Er schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit heraus zu kriegen. Aber natürlich wich sie nicht.

„Könntest du seinen Schlafanzug holen? Er sieht nicht so aus, als wäre er noch groß zu etwas fähig“ Yami zwinkerte Seto zu.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und verließ den Raum. Nach wenigen hörbaren Schritten auf der Treppe kniff Yami Katsuya plötzlich in den Arm – ziemlich schmerzhaft. Zumindest, wenn er nicht fast in Dissos versunken wäre. In seinem Zustand ließ es ihn nur blinzeln und aufsehen.

„Hörst du mir zu?“, zischte Yami hastig.

Katsuya nickte. Zuhören. Konzentrieren. Nicht der Müdigkeit nachgeben. Nicht den Dissoziationen nachgeben. Aufpassen.

„Er kann sich nicht mehr erinnern. Das mit der Krankheit war zu viel für ihn, deswegen hat sein Kopf es ihn vergessen lassen. Mittlerweile weiß er wahrscheinlich nicht einmal mehr, dass er irgendetwas vergessen hat. Wahrscheinlich hat sein Kopf die verlorene Zeit mit irgendwelchen falschen Erinnerungen gefüllt.“

Katsuyas Stirn legte sich in Falten. Moment mal … Seto hatte vergessen, dass er etwas vergessen hatte? Verhielt er sich deshalb so … ach so. Deshalb fragte er nicht nach, warum er etwas vergessen hatte. Warum er jetzt diese Amnesie hatte, obwohl ihn Yamis Worte jetzt überhaupt nicht aufregt hatten. Deswegen ging er ganz normal mit Katsuya um, obwohl er ihm gerade fast die Hand gebrochen hatte und sich eigentlich noch immer schuldig fühlen müsste. Er hatte vergessen, dass er etwas vergessen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, dass er eine Amnesie erlitten hatte. Er konnte sich nicht erinnern, dass er Katsuya weh getan hatte. Nicht einmal, dass sie danach darüber sprachen, dass er etwas vergessen und Katsuya weh getan hatte.

Denn wüsste er das, würde er darüber nachdenken, warum er die Amnesie hatte. Würde er darüber nachdenken, würde er nachfragen. Würde er nachfragen, würde er das, was seinen Kopf anscheinend überforderte, hören müssen. Also lieber so viel wie möglich unter Amnesie stellen und mit anderen Erinnerungen füllen. Oder ihn vergessen lassen, dass überhaupt Zeit vergangen war zwischen dem Hinsetzen und Yamis Erklärung über heute Nachmittag. Genial. Äußerst genial. Und äußerst krankhaft.

Katsuya schloss die Lider und seufzte. Er murmelte leise: „Und was mache ich jetzt?“

„Dich wie immer benehmen. Das wird er auch. Ich erkläre es dir übermorgen, wenn du bei mir bist, ja? Und sag dem Arzt morgen, dass er deine Hand röntgen soll. Das wird Seto wahrscheinlich auch vergessen haben.“

Bei allen Göttern.

Katsuya ließ sich nach vorne sinken, im klaren Vertrauen, dass Yami ihn auffangen und halten würde. Natürlich tat er das auch. Von der Treppe her konnte er Schritte hören.

Bei allen Göttern …

Zu viel

Huch? Ist es nicht Samstag? Warum ein neues Kapitel?

Nun, ich würde ja gern sagen, weil mich eure Kommentare zum letzten Kapitel extrem begeistert haben (was natürlich stimmt), aber der wahre Grund ist, dass ich morgen Abend in Köln/Bonn und am Montag auf Zypern bin und wahrscheinlich kein Internet haben werde. Ich verabschiede mich also mit diesem Kapitel in den Urlaub ^.-

Das nächste gibt es regulär wieder am Montag (übernächste Woche) :) Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya schloss mit einem Seufzen die Lider wieder. Wollte er wirklich aufstehen? Seto hatte nur das Licht angeschaltet und war wieder gegangen. Er könnte es auch ignorieren. Er könnte einfach sagen, dass er sich krank fühlte.

Mit einem Seufzen setzte er sich auf und betrachtete mit schlaftrunkenem Blick den Raum. Mokubas Zimmer. Mokuba … kein Wunder, dass er Drogen genommen hatte. Vielleicht war das der einzige Weg, Seto auf Dauer auszuhalten. Katsuya schüttelte den Kopf ob seiner morbiden Gedanken.

Nein, er war harmlos. Krank, aber prinzipiell harmlos. Die Krankheit ließ einen nur völlig verzweifeln. Sein Blick wandte sich zur Tür. Andererseits machte sie Seto zu einem wirklich liebenswürdigen Kerl. Wie Yami gesagt hatte, er hatte sicher schon irgendwo eine Krankschreibung bereit liegen. Katsuya könnte einfach sagen, dass er sich scheiße fühlte und er dürfte zuhause bleiben.

Aber das war auch nur wegrennen. Nur, weil er gerade das Gefühl hatte, dass ihm alle Probleme über den Kopf wuchsen, konnte er sich nicht einfach zusammen rollen und hoffen, dass sie vorbei gehen würden. Früher oder später müsste er sich seinen Mitklässlern stellen. Früher oder später musste er sich den Tests für seine Gesundheit stellen. Und dem Gedanken, irgendwann wieder richtigen Sex zuzulassen, davon mal ganz zu schweigen.

Und irgendwann musste er sich Seto stellen. Er hatte verunsichert genug ausgesehen, als Katsuya gestern angekündigt hatte, in seinem eigenen Zimmer zu schlafen. Seto wusste einfach nicht, dass irgendetwas falsch war. Er konnte sich nicht daran erinnern. Mit einem weiteren tiefen Seufzen vergrub Katsuya sein Gesicht in seinen Händen.

Seto war ein Problem, das er absolut nicht haben wollte.

Seine Klassenkameraden waren okay. Das bekam er hin. Die Krankheiten, ja, das packte er. Selbst den Sex, wenn es denn sein musste. Aber Seto war zu viel. Klein-Seto gern, das TI, wenn es sein musste, aber nicht noch mehr. Okay, der schüchterne Seto war auch noch in Ordnung, aber nicht noch mehr. Nicht noch mehr Persönlichkeiten. Diese bettelnde Opfer-TI-Form war ihm schon zu viel gewesen. Was, wenn Seto wirklich noch mehr Persönlichkeiten hatte? Was, wenn er noch irgendetwas Gruseligeres als diese zwei TI-Formen zu bieten hatte?

Er schnaubte und schüttelte den Kopf über sich selbst.

Tja, schreiend wegrennen war gerade nicht drin.

Musste er halt irgendeine Lösung finden. Vielleicht sollte er doch schon heute zu Yami gehen. Einfach, damit das weg war. Damit irgendwer ihm sagte, dass egal, was noch kommen würde, er das Schlimmste langsam hinter sich hatte. Selbst, wenn es eine Lüge war. Bei allen Göttern, warum war sein Leben so scheiße?

Eine sarkastische Stimme in seinem Kopf meinte, weil alles Gute seinen Preis hatte. Katsuya grinste nur. Wenn Seto Persönlichkeiten haben durfte, durfte er auch sarkastische Stimmen haben, die erstaunlich nach Seto klangen.

Mit einem Lächeln stand er auf und ging duschen.
 

Seto war wirklich wie immer. Sogar fröhlicher als sonst. Er servierte Katsuya lächelnd einen Kakao und packte die Frühstücksbox selbst in Katsuyas Tasche. Vielleicht wusste er irgendwo ganz tief im Hinterkopf doch noch, dass er Mist gebaut hatte, auch wenn sein Bewusstsein das nicht mehr wusste. Katsuya sah dem Ganzen lächelnd zu. Er ließ sich küssen, jedes Mal, wenn Seto an seinem Stuhl vorbei kam. Alles in allem war alles wie immer, hätten sie keine Probleme.

Aber wann hatten sie mal keine Probleme? Ehrlich, war dieses „wie immer“ nicht nur seine Wunschvorstellung, wie es wäre, wären da keine Probleme? Katsuya seufzte tief.

„Lässt dich der Gedanke an deine Klassenkameraden so seufzen?“, fragte Seto nach, der auf der anderen Seite des Frühstückstisches saß.

„Ach was“ Katsuya schloss die Lider und nahm einen Schluck Kakao. „Das wird schon. Haben wir heute einen Arzttermin?“

„Eigentlich nicht, wieso?“ Ganz leichte Fältchen legten sich zwischen Setos Augenbrauen.

„Mach bitte einen aus. Ich bin gestern irgendwie mit der Hand falsch aufgekommen und es tut immer noch weh“ Und war das nicht traurig, wie leicht ihm diese Lüge von den Lippen ging? „Und wenn wir sowieso unterwegs sind, können wir einkaufen gehen. Unsere Vorräte neigen sich mal wieder. Schreibst du eine Einkaufsliste?“

„Während ich das alles gern tue, oh du mein Schatz, mag ich dich daran erinnern, dass du vor mir aus hast und eher hier bist als ich“ Und wie Seto gar nicht nachfragte, was mit seiner Hand war … interessant, was für Kleinigkeiten einem auffielen, wenn man darauf achtete. Setos Unterbewusstsein steuerte sein komplettes Handeln. In jeder anderen Situation hätte er nachgefragt.

„Ja, aber ich habe Hausaufgaben“ Katsuya seufzte. „Und Schreiben und Kunst wird mit der schmerzenden Hand schlimm genug. Ich hoffe, bis heute Nachmittag lässt das langsam nach.“

Seto nickte nur und schlug die Zeitung auf.

Katsuya ließ seinen Blick zum Fenster schweifen. Über Nacht schien es geschneit zu haben, denn ihm strahlte jede Menge Weiß entgegen. Ein Glück, dass er mit der U-Bahn fahren konnte. Der restliche Verkehr würde bestimmt ein einziger Horror sein. Er nahm sein Brot mit der Linken und biss etwas lustlos hinein. Welch eine paradoxe Idylle. Ein Frühstückstisch voller Köstlichkeiten, ein glücklicher Freund, weißes Neujahr und er konnte nicht einmal lächeln.

Und Seto, dem sonst jede kleinste Regung auffiel, würde nicht nachfragen. Sein Unterbewusstsein befahl es ihm. Und natürlich konnte er sich dagegen nicht wehren. Vielleicht würde er es nicht einmal bemerken, würde Katsuya den Tränen freien Lauf lassen, die er aufwellen spürte.

Er atmete tief durch und biss ein weiteres Stück Brot ab.
 

Katsuyas Mundwinkel zuckte in die Höhe. Ging er nicht mittlerweile zur Oberschule? Er schüttelte den Kopf über die drei Schüler, die sich eine Schneeballschlacht lieferten. Na ja – andererseits war das Problem, das ihn erwartete, ja auch eine Horde Schüler, die ihn mit Fragen zu seiner Beziehung mit Seto bestürmen würden. Den Begriff erwachsen sollte man da wohl eher relativ nehmen.

Das leichte Heben seiner Mundwinkel wurde zu einem echten Lächeln, als er den Gang entlang ging. In jeder Klasse saßen Schüler in kleinen Gruppen zusammen und berichteten begeistert über ihre Ferien. Die einen über Ausflüge, die anderen über Einkäufe, ein paar über schmutzige Details ihrer Weihnachtsfestivitäten. Katsuya seufzte. Sein Weihnachten war auch ziemlich schmutzig gewesen. Nur leider nicht ansatzweise angenehm.

Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen, als er sein eigenes Klassenzimmer betrat. Es sprang jedoch wieder ansatzweise auf seine Züge, als er Ryou bei den vier Mädchen sitzen sah. Hatte er sich also doch getraut. Katsuya ging zu ihnen hinüber.

„Guten Morgen, allerseits.“

„Morgen!“, grüßten sie ihn im Chor, als hätten sie es einstudiert.

„Ich entschuldige mich sehr, dass ich euch vor zwei Wochen habe sitzen lassen“ Er zog sich einen Stuhl ran. „Können wir das mit dem Karaoke nachholen?“

„Sicher“ Ayumi grinste. „Ryou erzählt, du lagst die Ferien erkältet im Bett. Stimmt das oder willst du uns nur irgendwelche interessanten Details verschweigen?“

Katsuya schluckte. Danke für den Versuch, Ryou … er seufzte. Natürlich wollte er etwas verschweigen. Aber das waren sicher keine Details über Seto. Er antwortete mit müder Stimme: „Nein, ich war krank. Ich fühle mich immer noch nicht wieder ganz auf der Höhe.“

„Oh … sorry“ Ayumi seufzte. „Wäre auch zu schön gewesen. Keine tolle Weihnachtsfeier?“

Was hatte er eigentlich für ein Glück heute? Er schluckte die Wut und antwortete stattdessen: „Nein, keine tolle Weihnachtsfeier. Wie waren denn eure Ferien?“

Wenigstens waren sie ablenkbar. Und weiblich. Das Vorurteil stimmte, Frauen konnten sehr viel mehr reden als Männer. Er ließ sich mit einem Halblächeln ein Ohr abkauen über Blind Dates, neue Schminke und Festessen, bis ihre Lehrerin ihn erlöste. Nun ja, es war selten genug, dass er froh über Lehrer war. Und Unterricht. Man konnte so schön abschalten.

Er schlürfte zu seinem Platz und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Nachdem er Heft und Schreibzeug raus gekramt hatte, bemerkte er etwas Weißes in seinem Pultfach. Während die Lehrerin vorne den Unterricht begann, zog er einen Zettel hervor und faltete diesen auf.

„Du wirst bluten, Schwuchtel!“

Katsuya seufzte. Na super. Auf der einen Seite begeisterte Mädchen, die ihm jetzt wenigstens glaubten, dass er nicht zu haben war und auf der anderen Seite irgendwelche homophoben Idioten. Katsuya sah über die Schulter und richtete seinen Blick auf Hijiri. Hatten sie sich nicht ausgesprochen nach der letzten Aktion? Reichte es ihm nicht im Krankenhaus gelandet zu sein? Hijiri, der den Blick bemerkt zu haben schien, runzelte die Stirn und wechselte den Blick zwischen Tafel und Katsuya hin und her. Er hob nur den Zettel, den der andere eigentlich von seinem Platz aus noch müsste lesen können.

Nach nur einer Sekunde weiteten sich Hijiris Lider, er sah auf und schüttelte vehement den Kopf. Gut. Er hatte also doch ein Gehirn gefunden. Katsuya nickte und wandte sich selbst der Tafel zu. Wen ließ das übrig? Die anderen in der Klasse waren eher Mitläufer gewesen. Einer hatte mal diesen Kommentar Le-Long gegenüber gegeben, aber das wirkte nicht feindselig genug, um so eine Aktion zu bringen. Das ließ nur die Schüler anderer Klassen.

Zum Beispiel seine alte Klasse. Nein … das würde sich keiner trauen. Aber die, die ihn nicht kannten, vielleicht. Die oberste Klassenstufe. Ja, die könnten blöd genug sein. Er griff in die Hintertasche seiner Hose. Gut, sein Messer war da. Drei oder vier würde er in Schach halten können. Mehr, wenn sie unerfahren waren. Allerdings gab es auch gangähnliche Verbünde an der Schule. Keine in seiner Preisklasse, aber immer noch lästig genug.

Er musste den Anführer dieser Aktion finden und ausschalten. Er hatte keine Lust auf Überraschungsangriffe. Er hatte keine Lust, Angst zu haben. Erst recht nicht vor Kindern.
 

Der Tag war ein halbes Desaster, aber irgendwie meinte es jeder gut. Seiner Kunstlehrerin musste er gestehen, dass er all seine Kunstsachen – und damit auch ihre Hausaufgabe – verloren und noch nicht einmal neue gekauft hatte. Aber statt sauer zu werden, seufzte sie nur tief und fragte ihn, ob es etwas Künstlerisches gab, was er schon immer machen wollte. Er bat um Kohle und bekam diese auch, sodass er die Doppelstunde extrem gut gelaunt verbrachte. Kohlezeichnen war nicht einfach, aber es bot eine Menge Möglichkeiten, die ihm sehr gefielen.

In der Mittagspause fragte eine schüchterne, weibliche Stimme, ob sie sich zu ihnen setzen durfte. Es war sogar Mina, die fragte. Ayumi hatte sich einfach einen Stuhl ran gezogen und sich gesetzt. Sie hatten zwar noch nie zusammen gegessen, aber anscheinend sah die junge Chinesin in der ganzen Sache gar kein Problem. Allerdings tat er das auch nicht und lud die drei anderen Mädchen ein, sich zu setzen. Es war schon irgendwie spannend, wie sowohl Karin, Mitsuki als auch Ryou allesamt den Boden anstarrten, als alle Platz nahmen.

„Guten Appetit“, wünschte Katsuya und machte sich über seine Lunchbox her.

„Guten Appetit“ Minas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Katsuya?“ Er sah mit vollem Mund auf. „Macht dir Herr Kaiba das Essen?“

Ah ja. Los ging es also. Er nickte und aß weiter, als wäre das nichts Großes. Ja, sein Freund machte ihm Frühstück und Essen zum Mitnehmen. Dafür kochte er Abendessen. So war das Leben, wenn man zusammen lebte. Aber das war wahrscheinlich meilenweit von dem entfernt, was sich diese Mädchen vorstellen konnten. Ihre Realität waren Händchenhalten und verbotene Küsse in aller Heimlichkeit. Liebesbriefe waren schön und gut, aber leider nur das Produkt jugendlicher Übermütigkeit. Auch wenn ein Liebesbrief von Seto schon etwas hätte …

„Uhm … heißt das, ihr lebt zusammen?“ Mina war hochrot und ihre Stimme ein halbes Stottern, aber ihre Neugier schien weit größer als ihre Scham zu sein.

Irgendwie brachte ihn das zum Lächeln. Vielleicht sollte er ihnen einfach die Wahrheit sagen statt sich alles aus der Nase ziehen zu lassen. Er antwortete: „Ich bin zuhause nicht so schrecklich gut behandelt worden. Er war der erste Mensch, dem ich seit langer Zeit wieder vertraut habe. Ich habe ihm erzählt, was damals geschah und er war einverstanden, mich aufzunehmen. Er hat das Jugendamt informiert und war bei mir bei der Verhandlung gegen meinen Vater. Und irgendwo dazwischen haben wir uns ineinander verliebt.“

Das zog selbst den Blick der schüchternen Mitsuki auf ihn. Auf den Gesichtern der Mädchen mischte sich Unglaube, Schrecken und Unsicherheit. Damit hatten sie augenscheinlich nicht gerechnet. Katsuya seufzte leise. Hatte er es übertrieben?

„Die … die blauen Flecken … und …“, stotterte Mina leise.

„Sind von meinem Vater. Ja“ Er strich den mittlerweile fast bis zum Kinn reichenden Pony zur Seite, sodass seine Narbe kurz sichtbar wurde. Er musste wirklich zum Frisör. Andererseits würde man sie dann immer sehen. „Alle.“

„A- aber … welche Eltern würden so etwas tun?“ Karins Blick hatte vom vorherigen Schwanken in Unglauben gewechselt.

Katsuya seufzte. Bei allen Göttern, wie er das hasste. Natürlich, wie sollten sie sich das auch vorstellen können? Sie lebten in einer schönen Welt. Der guten Welt. Wie er diese Gören hasste.

Beziehungsmuster

Ich merke, ich habe Ferien ô.o Ich bin im Text bereits fast zehn Kapitel weiter. Gerade bin ich etwas entsetzt, wie viel ich bereits geschrieben habe. Ich habe fast den ganzen Urlaub nur mit Schreiben verbracht (und weil DS leider so spannend war, nicht viel an Drachenbrut, obwohl ich das wollte).

Mein Urlaub war auf jeden Fall toll ^v^ Und ich habe eine wichtige Sache gelernt: Zypern ist ein eigenes Land. Es gehört zur EU. Die Hälfte wird von der Türkei illegal besetzt. Wir tun nicht gerade viel dagegen. Und keiner sieht darin ein Problem?
 

Nun ja, zurück zum Thema: Viel Spaß beim Lesen! Und vielen Dank für eure tollen Kommentare ^.^
 

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„Katsuya“ Ryou griff seine Hand und lenkte so seinen Blick auf sich. „Du machst ihr Angst.“

Er schnaubte. Er machte ihr Angst? Sollte sie doch mal seinen Vater sehen. Oder Ryous. Wie konnte er sich auf die Seite dieser blöden Schnepfen stellen? Hatte er nicht auch gelitten? Wie konnte ihn diese naive Engstirnigkeit nicht wütend machen? Das waren Kinder, die nichts von der Welt wussten und trotzdem glaubten, alles zu können. Die sich ein Recht heraus nahmen, ihn zu beurteilen, obwohl sie nicht ansatzweise wussten, was er erlebt hatte. Was für ein Recht hatten sie, ihm vorzuwerfen, er würde lügen?

„Jetzt machst du mir Angst“ Ryou zog den Kopf ein, aber behielt den Blick auf ihm. „Bitte atme tief durch. Bitte.“

Seine Augenbraue zuckte. Er machte Ryou Angst? Ja … Wut gab ihm eine schier mörderische Aura. Nicht so schlimm wie Bakura, aber auch nicht viel besser. Er schloss die Lider und atmete tief aus. Er hatte es geschworen. Keine Aggressionen. Keine Leute mehr verletzen. Keine Möbel mehr zerschlagen. Das tat Seto genug für sie beide zusammen. Er atmete tief durch und öffnete die Lider wieder.

„Danke“ Ryou lächelte ihn an. „Besser?“

„In Kontrolle“ Solange er diese Gören nicht sehen musste. Er schloss die Lider wieder. Er wusste, dass sie noch immer da saßen. Das reichte. „Wenn einen die eigenen Eltern misshandeln, dann tut das echt weh. Aber noch schlimmer ist, es jemandem zu sagen und auf Unglauben zu stoßen. Mein Grundschullehrer hat mir gesagt, ich darf keine Lügen erzählen und mir einen Aufsatz zur Strafe mit nach Hause gegeben. Das tat mehr weh als jede Narbe an meinem Körper. Also haltet lieber die Klappe, bevor ihr einem mit euren unbedachten Worten noch mehr weh tut.“

„Es tut mir Leid“, murmelte Karin leise, „es tut mir wirklich Leid.“

Katsuya seufzte. Es waren nur kleine Mädchen. Kein Grund, sich so aufzuregen. Er atmete noch einmal tief durch und öffnete die Lider wieder. Ja, einfach nur drei kleine Mädchen, die sich gerade schrecklich schämten. Dabei hatte Mitsuki nicht einmal ein Wort gesagt, sie hatte trotzdem ihren roten Kopf gesenkt. Niedlich. Sogar ihre Ohren waren rot.

„Schon gut“ Er tippte gegen Mitsukis Stirn, worauf sie aufsah. „Jetzt wohne ich ja bei Seto.“

Die anderen beiden hoben auch vorsichtig den Kopf und Mina fragte: „Da geht es dir besser?“

„Viel besser“ Er lächelte. Es war schließlich keine Lüge. Bei Seto war es besser als bei seinem Vater. Auch wenn er immer wieder ein bisschen zweifelte, ob er es wirklich als gut bezeichnen konnte.

„Und … wie lange seid ihr schon zusammen?“ Sie entspannte sich als Reaktion auf sein Lächeln.

„Uhm … drei Monate? Dreieinhalb? Etwas um die Kante“ Er schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt kommt es mir sehr viel länger vor.“

„Aber“ Karin biss sich auf die Unterlippe. „Ich hoffe, ich mache dich nicht wieder wütend, aber … ist das nicht … verboten? War er da nicht noch unser Lehrer?“

„Ja, da war es verboten“ War es immer noch, aber das mussten sie ja nicht wissen. „Deswegen haben wir es ja auch geheim gehalten. Wir wussten ja eh beide, dass er die Schule im November wieder verlässt. Ist ja nicht so, als wäre er sehr lange unser Lehrer gewesen.“
 

„Und das ist so schade“, mischte sich Ayumi mit einem Seufzen ein, „er war so klasse! Ich vermisse ihn. Warum gibt es nicht mehr Lehrer, die so sind wie er?“

So schwer krank wie er? Katsuya hob nur einen Mundwinkel. Wahrscheinlich meinte sie sein Charisma und seine Fähigkeiten. Ja, als Lehrer war er schon echt einmalig gewesen. Ab von der Tatsache lenkte Ayumi gerade geschickt davon ab, dass er etwas mit einem Lehrer gehabt hatte. Tat sie das extra? Und wenn ja, warum? Natürlich, sie hatte es vorher gewusst, aber … warum hatte es sie eigentlich nie gestört?

„Aber … aber wenn das raus kommt … ist das nicht schlecht für Herrn Kaiba? Auch nachträglich?“ Karin schien auf dem Thema beharren zu wollen. „Ich meine, eine Beziehung mit einem Schüler angefangen zu haben … wird man dafür nicht gekündigt als Lehrer? Auch, wenn man nur kurz Lehrer dieses Schülers war? Was, wenn Herr Kaiba seinen Job verliert?“ Ihre Stirn lag in Falten. War sie ehrlich besorgt um ihn? Er hätte ja gedacht, dass die ganze Lehrer-Schüler-Sache die drei mehr stören würde. Oder wollten sie darüber lieber nicht nachdenken?

„Dann macht er halt etwas anderes. Seto mag seinen Job eh nicht wirklich. Ich glaube, es würde ihn gar nicht mal stören, wenn man ihn feuert“ Vielleicht wollte er ja sogar gefeuert werden. Vielleicht war seine neue Offenheit nur ein Wunsch danach, seine komplette alte Haut abzulegen. Ja, vielleicht war ihm seine Arbeit mittlerweile nur noch lästig – jetzt, wo er Katsuya gefunden hatte. „Er wollte nie Lehrer werden. Sein Bruder hat ihn dazu gebracht, etwas zu studieren und er hat einfach mal das Erstbeste auf Lehramt studiert. Wahrscheinlich will er gefeuert werden.“

„Aber er ist so ein toller Lehrer“ Ayumi sah ihn mit schreckgeweiteten Lidern an. „Wir haben ihn schon als zukünftigen Ehemann verloren. Er kann uns doch jetzt nicht auch noch als Lehrer verloren gehen.“

„Er arbeitet doch eh nicht mehr hier“ Katsuya grinste ob ihres Kommentars. Als zukünftigen Ehemann verloren? Er drehte mit seinem Daumen den Ring an seinem Ringfinger. Genau genommen hatten sie ihn nicht einmal als Ehemann verloren. Er war länger schwul, als sie überhaupt ihren Mund für mehr als Happahappa benutzen konnten. Und sie hatte schon wieder vom Thema abgelenkt. Vielleicht machte sie das wirklich extra … nur warum?

„Trotzdem“ Sie zog beleidigt einen Schmollmund und stützte das Kinn auf beide Handgelenke. „Was will er denn lieber machen?“

„Die letzte Angabe war Spiele zu programmieren“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das ändert sich noch ein paar Mal in seinem Leben. Aber was soll's? Er ist ein Genie, er kann alles machen.“
 

„Gib noch mehr an“ Der Schmollmund wurde zu einer echten Schnute. Entschieden wandte sie den Blick von ihm ab und sah nach einem Moment der Stille zu dem Jungen neben ihm. „Ryou, ist dein Freund wenigstens normal?“

Noch so ein Themenwechsel!

„Wie?“ Der Junge lief feuerrot an. Katsuya grinste. Das konnte Ryou noch besser als die drei Mädels neben ihm. „Äh … ähm … er … er ist Polizist“ Er wrang mit den Händen. „Er … ähm … er ist ganz normal … glaube ich.“

Bakura? Ganz normal? Ja, klar … was könnte an Bakura schon nicht normal sein? Katsuya unterdrückte das Schnauben trotzdem. Ryou wollte wahrscheinlich nicht allzu viel erzählen. Auch wenn die drei die Lehrer-Schüler-Sache überraschend gut aufgenommen hatten, die Bruder-Bruder-Sache würde bestimmt nicht gut laufen. So oft konnte Ayumi das Thema dann auch nicht wechseln. Und von der Sache wusste sie nichts.

„Lebt ihr auch zusammen?“, fragte Mina aufgeregt. Anscheinend hatte Ayumi ihnen wirklich gar nichts erzählt. Schon erstaunlich. Gegen ihre drei Freundinnen war sie sehr erwachsen.

„Uhm … ja“ Ryou lächelte mit sichtbarer Freude.

„Und deine Eltern sind damit einverstanden?“, fragte Karin nach.

Katsuya seufzte. Nächste Mine. Irgendwie konnte sie einem ja leid tun. Sie schien jedes Fettnäpfchen mitzunehmen, das sie treffen konnte. Er griff unter dem Tisch nach Ryous Hand und drückte diese.

„Nein“ Dieser atmete einmal tief durch. „Sie sind tot.“

„Oh- oh … das … oh Mist … ich hab' schon wieder … das tut mir so Leid“ Karin hob verzweifelt beide Hände. „Das tut mir unglaublich Leid … ich … entschuldige, das … oh Hilfe.“

„Schon gut“ Ryou lächelte vorsichtig. „Das ist länger her.“

Länger? Katsuyas Augenbraue zuckte unwillkürlich nach oben. Ryous Mutter war vor dreieinhalb Jahren gestorben und sein Vater vor einem. Das war nicht wirklich lang. Aber wenn er das so empfand … vielleicht ließ Bakura ihn das alles wirklich langsam vergessen. Trotz allem schien er ja gut für Ryou zu sein. Er drückte die Hand trotzdem noch einmal.

„Erinnert ihr euch noch an den Kerl, der mal eine Stunde da war, um danach mit Herrn Kaiba zu reden? Das war sein Freund“ Ayumi grinste die anderen Mädchen an. „Hab' ich erst letztens heraus gefunden.“

„Echt? Der?“ Mina wandte sich enthusiastisch an Ryou. „Der war total gutaussehend! Diese hellen Haare und Augen, genau wie du“ Sie legte die Hände auf die Wangen. „Und so männlich. Richtig selbstsicher und erwachsen.“

„Ja, er sah dir erstaunlich ähnlich“ Karin lächelte. „Ich dachte, er sei vielleicht dein Bruder. Aber dein Freund … warum ist er damals in die Schule gekommen?“

Hatten sie Bakura damals vorgestellt? Natürlich nicht offiziell, aber … doch, sie hatten sicher erwähnt, dass er Ryous Bruder war. Besonders Bakura sprach über Ryou normalerweise als „mein Bruder“ und nicht „mein Freund“. Wie gut, dass das Gedächtnis formbar war.

„Ähm … weil … wegen … dem Mobbing, wisst ihr? Die Jungs ziehen mich oft auf und … na ja … er wollte helfen. Also hat er ein Gespräch mit Herrn Kaiba geführt.“

Alle vier Mädchen nickten erstaunt. Ja, auch Ayumi. Das war anscheinend ein Detail, über das sie wenig nachgedacht hatte. Katsuya beobachtete sie im Augenwinkel. Hatte sie absichtlich die Diskussion so sehr gelenkt?
 

Die Schulglocke hatte ihr weiteres Gespräch leider effektiv unterbunden. Aber vielleicht war es besser so. Wahrscheinlich würden die Mädels erst wieder Fragen stellen, wenn sie sich eine Meinung gebildet hatten. So viel hatte Katsuya über Mädchen schon verstanden – sie dachten meist erst darüber nach, bevor sie jemanden verurteilten. Allerdings waren sie dann von ihrer Meinung auch kaum mehr abzubringen.

Er seufzte.

Das war das, was er bei seiner Schwester so fürchtete. Natürlich hatte sie die ganze Sache mit Setos Krankheit einfach so angenommen. Aber das letzte Wort war sicher noch nicht gesprochen. Allerdings würde sie wahrscheinlich nicht mit ihren Freundinnen sondern mit Noah darüber diskutieren, also war die Chance groß, dass sie das annehmen würde. Wer weiß, vielleicht würde sie es sogar mit Yami diskutieren, wenn die beiden tanzen gingen. Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Auch ohne die Prostitution schien Yami immer noch ein Clubgänger zu sein. Wahrscheinlich hatte ihm das Tanzen immer mehr Spaß gemacht als die Möglichkeit, dort Kunden aufreißen zu können. Ja, Tanzen war wahrscheinlich etwas, was ihm viel Spaß machte. Er schien so langsam zu entdecken, was er eigentlich mochte und was nicht. Das stylische Auftreten und die gut gewählten Klamotten gehörten auf jeden Fall auch zu dem neuen Yami. Ebenso wie der Helferkomplex.

Katsuya schaltete für den Unterricht auf Durchzug. Was hatte Seto so aufgeregt? Warum diese heftige Amnesie? Es konnte doch nicht die Tatsache sein, dass es sich bei seiner Krankheit wahrscheinlich doch um eine dissoziative Identitätsstörung handelte, oder? Hatte er es nicht manchmal sogar selbst so genannt? Seine jetzige Diagnose schien doch eh etwas sehr ähnliches zu sein, oder? Er seufzte. Ohne mehr Informationen würde er dem ganzen nicht auf die Spur kommen. Yami hatte versprochen, es zu erklären, also sollte er bis dahin einfach nicht daran denken. Normal weiter machen, genau wie Yami empfohlen hatte. Hand röntgen, einkaufen, vielleicht zum Frisör, Abendessen kochen und schlafen. Vielleicht sogar bei Seto schlafen. Schließlich spielten sie immer noch Ich-mache-alles-was-Katsuya-sagt. Und er war das Spiel sicher noch nicht müde.

Hey, er war heute morgen ganz allein zur Schule gegangen. Katsuya blinzelte. Hätte er nicht Angst haben müssen? Irgendwie hatte er gar nicht mehr daran gedacht. Er unterdrückte das Kichern, weil das im Unterricht doch aufgefallen wäre und lehnte sie nur lächelnd nach vorne. Er war ganz alleine zur Schule. Und er hatte gar keine Angst gehabt. Das Lächeln wurde zum Grinsen. Gar keine Angst, gar keine Angst – sein Kopf begann, ein Lied daraus zu machen. Im Endeffekt kicherte er doch.

Ein paar seiner Mitschüler warfen ihm schiefe Blicke zu.

Die neue Persönlichkeit

Gerade will mein Leben mich echt ver******* T.T Ist ein funktionierender Computer mit einer funktionierenden Internetverbindung denn so viel verlangt? Erst stürzt das Internet ab, dann fahre ich woanders hin für Internet, dort stürzt der Computer ab. Jetzt sitze ich mit fremden PC an fremden Internet, weil einfach nix bei mir funktioniert. Alles doof!

Viel Spaß mit diesem Kapitel ^.- Wie der Titel schon sagt, es wird interessant!
 

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Seto war da.

Katsuya spürte es in jeder Zelle seines Körpers, noch bevor er den Wagen am Schultor sah. Es waren die Blicke, das Getuschel, die Aufregung im Gesicht der Mädchen, die ihn begleiteten. Auch, wenn er sich fragte, was zur Hölle sein Freund hier machte – musste er nicht arbeiten? –, hob er lächelnd den Kopf und legte seinen Blick auf die hochgewachsene Gestalt, die gegen die Beifahrertür des Mercedes lehnte. Dieses Mal wurde der Anblick sogar noch durch eine Sonnenbrille verfeinert.

„Ich will auch so einen Freund“, flüsterte Mina mit einem sehnsüchtigen Seufzen.

Ich nicht – Katsuya grinste bei dem Gedanken. Wäre Seto rund um die Uhr so drauf, wäre er ein unerträglicher Macho. So, wie er gerade war, dafür brachte Seto nur für ein paar Minuten, vielleicht Stunden, das Selbstbewusstsein auf. Er beschleunigte seinen Schritt, bis er grinsend vor Seto ausjoggte.

Er hätte erwartet, dass Seto mit einem Griff seitlich ans Brillengestell die Brille heben und ihn halb amüsiert, halb abschätzend angrinsen würde. Wie das Ebenbild arroganter Selbstsicherheit, was er in solchen Momenten sein eigen nannte. Allerdings senkte er den Kopf ein Stück, fasste die Brille frontal und zog sie etwas hastig von seinem Gesicht, als hätte er gerade erst bemerkt, dass er sie versehentlich noch trug. Er sah unsicher lächelnd auf, leckte über seine Lippen und grinste mit einem schalkhaften Glänzen in den Augen. Auch klang er nicht selbstsicher sondern eher wie jemand, der etwas Verbotenes getan hatte und bei dem die Aufregung darüber noch nicht wirklich in Scham umgeschlagen war: „Ich wollte dich sehen. Also hab' ich Arbeit geschwänzt.“

Katsuya stockte kurz und blinzelte. Okay … das hier war nicht Setos ANP, sein Alltagsgesicht. Weder die einfühlsame noch die kalte Version. Das war auf jeden Fall nicht sein TI, denn er war weder aggressiv noch flehend. Er hatte etwas Junges, Frisches, aber war nicht so jung wie Klein-Seto. Diese Persönlichkeit war … jugendlich. Ja, jugendlich traf es. Noch unsicher, noch etwas regelbrecherisch und mit einem eher aufgeplusterten als selbstsicheren Ego. Das hier könnte der schüchterne Seto sein, den er letzte Woche mal im Bett gehabt hatte. Ja, Seto hatte doch gesagt, dass er versuchen wollte, seine Ängste durchkommen zu lassen. Aber andererseits erinnerte er ziemlich an den Lausbub, den er in der Psychiatrie getroffen hatte. Der Seto, der Schwester Martha zur Verzweiflung gebracht hatte. Na ja, vielleicht waren die zwei ja dieselbe Persönlichkeit. Ja, der Lausbub und der schüchterne Seto könnten sehr gut ein und dieselbe Person sein.

Egal, ob es Seto mit offenen Ängsten oder eine jugendliche Persönlichkeit war, es war ein eher unsicherer Mensch, der Bestätigung wollte. Katsuya lächelte und sandte ihm diskret einen Luftkuss, was Seto breit grinsen ließ. Er lehnte sich vor, tippte Seto auf die Nase und meinte: „Trotzdem darfst du nicht einfach die Arbeit schwänzen, verstanden?“

Noch immer grinsend wandte Seto den Blick zu Boden und ein Hauch von rot schlich sich auf seine Wangen. Der Anblick schlug direkt in Katsuyas Herz wie ein Messer durch die Brust. Er sog scharf die Luft ein und lehnte sich zurück, um Seto nicht auf der Stelle die Lippen wund zu küssen. Ja, das war auf jeden Fall der schüchterne Seto von letztens. Erneut schrie Katsuyas Kopf das Wort süß und schrieb es vor seinen Augen in Neonschrift über Setos Kopf. Und im gleichen Moment schlug ihn seine Libido fast von den Füßen.
 

„Guten Nachmittag, Herr Lehrer Kaiba“, grüßte Ryou artig.

Oh shit. Die anderen. Die Mädchen. Frauen waren viel zu sensibel für ihr eigenes Wohlbefinden. Und für seines auch, er wollte nämlich nicht, dass irgendeine von ihnen merkte, dass Seto nicht so ganz im Lehrermodus war.

„Hey, Ryou“ Der Brünette sah lächelnd an Katsuya vorbei.

Hey? Hey! Katsuya kniff die Lider zusammen. In welcher Dimension sagte so ein Mann wie Seto Kaiba zur Begrüßung hey? Ehrlich, das war fast so schlimm wie … wirklich, pinke Helly-Kitty-Socken, okay, eine gewichtsgefährdende Vorliebe für Sacher-Torte, okay, aber eine Begrüßung mit hey war nun wirklich zu viel. Das war der ultimative Beweis, dass das hier nie und nimmer ANP-Seto war.

„Sie sehen gut aus“, merkte Ryou an.

Katsuya warf einen verstohlenen Blick Setos Körper herab. Roter Pullover und beige Hose unter einem offenen braunen Mantel mit Pelzbesätzen. Es erinnerte Katsuyas Libido daran, dass sie neuerdings auf freche Jugendliche mit wankelmütigem Selbstbewusstsein stand. Oder zumindest einen aus der Gattung.

„Danke“ Seto, der mittlerweile versetzt neben ihm stand, griff seine unverletzte Hand und drückte diese. „Wollen wir?“

Der Blonde nickte nur stumm. Alles, um diese Situation zu entschärfen. Im Auto würden sie nicht mehr von viel zu aufmerksamen Augen verfolgt werden. Er öffnete die Beifahrertür selbst, da Seto wie von der Hummel gestochen ums Auto schnellte.

„Bis morgen“ Er lächelte den anderen zu. Ryou winkte. Die Mädchen hatten verdächtig die Köpfe zusammen gesteckt. Ein Seufzen verließ seine Lippen, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Na, das konnte morgen ja heiter werden.

„Wo fahren wir hin?“ Seto hatte eine Pose inne, die Katsuya vorher noch nie bei ihm gesehen hatte. Die Arme stützten sich auf den Sitz, wobei die Hände zwischen seinen Beinen waren. Er schien mehr auf seine Armen als auf seinen Hintern gestützt zu sein, was dem Ganzen etwas fast Künstlerisches gab.

Er wusste schon, dass er am Steuer saß, oder? Wenn Seto wirklich mehrere Persönlichkeiten hatte, dann hieß das, dass manche vielleicht überhaupt nicht Auto fahren konnten, oder? Katsuya wandte sich zu dem anderen, der ihn erwartungsvoll ansah: „Kannst du Auto fahren?“

„Natürlich kann ich Auto fahren“ Selbstsicheres Grinsen. Selbst, wenn er es nicht konnte, wäre die Antwort dieselbe gewesen.

„Weißt du den Weg nach Hause?“

„Zum Haus?“ Katsuya nickte als Bestätigung. „Okay. Aber ist das nicht öde? Ich bin kein Stubenhocker. Lass uns was unternehmen.“

Stubenhocker? Katsuyas Mundwinkel hob sich. Er meinte: „Ich muss schauen, was wir einkaufen müssen. Hast du einen Termin beim Arzt ausgemacht?“

„Hab‘ ich. Drei Uhr sollen wir da sein.“

Katsuya schloss die Augen. Das hier war absolut nicht Seto. Er hob die Hand und drehte die Uhr an deren Gelenk in Setos Richtung, ohne selbst darauf zu sehen und sagte: „Das ist schon vorbei, Schlaumeier.“

„Dafür kriegt er Geld“ Der Brünette zuckte mit den Schultern.

„Dann fahr‘ jetzt erstmal zum Arzt, bitte“ Seto machte den Mund auf, aber Katsuya unterbrach ihn. „Jetzt sofort.“

„Okay“ Der Andere zog etwas den Kopf ein. Zumindest ließ er dennoch schweigend den Motor an und fuhr los. Im Seitenspiegel sah Katsuya, dass die Mädels und Ryou sich nicht vom Fleck bewegt hatten.
 

Setos Fahrstil als Jugendlicher war interessant. Er fuhr nur mit einer Hand am Lenkrad und klickte sich mit der anderen durch die Programme. Normalerweise lief klassische Musik von der CD, jetzt eröffnete sich eine ganze Bandbreite von Radiosendern verschiedenster Richtung. Katsuya schwor sich, so bald wie möglich einen Führerschein zu machen.

Der Arztbesuch verlief erstaunlich angenehm. Der Hauptfaktor dieses Gefühls war wohl, dass ihm kein Blut abgenommen werden musste. Der Herr drückte und zog an ein paar Stellen, röntgte die Hand zweimal und kam nach einiger Zeit zu dem Ergebnis, das keine bleibenden Schäden zu erwarten seien. Hand schonen und langsam wieder anlernen.

Dass er sie heute für die Schule benutzt hatte, war Anlernen, oder? Es hatte zwar weh getan, aber das tat sie nach falsch gesetzten Schlägen auch. Als er das dem Arzt sagte, schüttelte dieser nur den Kopf und betonte das Wort Schonen. Keine Schlägereien und so wenig wie möglich schreiben. Was zur nächsten Situation des Tages führte: Er meinte zu Seto im Spaß, dass dieser dann die Hausaufgaben für ihn schreiben müsste und sein Freund antwortete treudoof mit Okay.

Spätestens an dem Punkt wusste Katsuya, dass er diese Persönlichkeit auch lieb hatte. Überdreht, überzogen, bisweilen schüchtern, bisweilen frech, bisweilen einfach viel zu gut für diese Welt. Irgendwie erweckte er das Bedürfnis, ihm einen Namen geben und behalten zu wollen.

Und beim Frisör durfte er feststellen, dass ein kleiner Anteil Verrücktheit auch dabei war. Auf die positive Art und Weise. Während die arme Friseuse eigentlich nur wissen wollte, wie kurz er die Haare gern hätte, ob gestuft oder nicht und wie sie den Verlauf schneiden sollte, plapperte Seto andauernd dazwischen. Ob er nicht lieber Iro tragen wollte, ob rote oder schwarze Strähnen in dem blonden Haar besser aussahen oder ob nicht eine „fesche“ Frisur mit Gel ihm viel besser stehen würde. Das Schlimmste war, dass er die Friseuse mit seinem Enthusiasmus ansteckte und beide begannen, über seine Haare zu fachsimpeln. Zehn Minuten später stellte sie sich erneut als die Meisterin vor und fragte Seto, ob er nicht gerne mal ein Praktikum hier machen wolle. Er hätte einen unglaublich guten Geschmack und ein scharfes Auge.

Wahrscheinlich fand die Dame etwas ganz anderes scharf als sein Auge, daher schritt Katsuya in das Gespräch ein, bevor Seto auf komische Ideen kam. War sicherlich besser so, weil er über das Nein zu schmollen begann. Wer wusste schon, was er geantwortet hätte. Gerade war sich der Blonde nicht so sicher.

Dafür erzählte die Friseuse Katsuya, er solle nicht so eifersüchtig sein und seinem Freund mehr Freiräume lassen. Er verschränkte einfach nur die Arme und funkelte sie über den Spiegel böse an. Also wandte sie sich zurück an Seto und fragte ihn, in welche Klasse er ging.

Dass Katsuya laut loslachte, machte dessen Schmollen irgendwie nicht besser.
 

Der Einkauf war ein weiteres Abenteuer. Als Katsuya beim Bezahlen der Friseuse feststellte, dass Seto das Bargeld ausging, machten sie sich auf zum Bankautomaten. Dort allerdings standen sie vor einem echten Problem: Der jugendliche Seto hatte keine Ahnung, wie die PIN der Kreditkarte lautete. Aber Not machte bekanntlich erfinderisch, also holte Katsuya Blatt und Stift aus seiner Tasche und ließ Seto so lange seine eigene Unterschrift fälschen, bis er sie halbwegs akzeptabel drauf hatte, um mit ihm direkt am Bankschalter Geld abzuheben.

Gegen Abend hatte der eigentlich Jüngere so gute Laune, dass er Seto vor dem Auspacken der Einkaufstaschen in seine Arme zog und küsste. Ihn danach dazu zu kriegen, wenigstens die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank zu räumen, bevor sie diesen Part fortsetzten, war allerdings erstaunlich schwierig. Während ANP-Seto ziemlich sexgeil und Kinder-Seto ziemlich kuschelbedürftig war, schien der jugendliche Seto eine Mischung aus beidem, allerdings nicht ansatzweise weniger bedürftig.

Was darin endete, dass er Seto Sachen in die Arme drückte, während er ihn küsste, ihn dann ein paar Schritte mit sich zog und dort weiter küsste, während er die Lebensmittel aus Setos Armen in den Kühlschrank packte. Nicht gerade der schnellste, aber ein ganz angenehmer Weg. Not machte erfinderisch und so.

„Sind das nicht langsam alle Lebensmittel?“, maulte Seto leise.

„Milch noch“ Katsuya gab ihm einen schnellen Kuss, griff die zwei Packungen und trug sie hinüber, bevor sich die besitzergreifenden Arme um ihn schlangen.

„Jetzt?“

„Ja, jetzt“, gab Katsuya grinsend zu.

„Dann ... gehen wir hoch?“ Seto hatte sich etwas gebückt, um Katsuya über dessen Schulter von unten nach oben mit bittenden Augen anzusehen.

„Ins Bett?“

Mit einem Hauch Rot auf den Wangen nickte der andere.

Katsuya lächelte nur, griff Setos Hand und ging voraus. Er lächelte weiter, obwohl er sich dabei selbst die Frage stellte, ob er nicht heute morgen gedanklich kurz vor der Trennung gestanden hatte. Aber wenn da wirklich noch mehr Persönlichkeiten waren und irgendwer steuerte, wer da immer raus kam, dann hatte dieser Jemand zumindest heute genau Katsuyas Geschmack getroffen. Der jugendliche Seto war exakt die richtige Mischung, wo er sich nicht völlig bevormundet, aber auch nicht völlig verantwortlich fühlte. Das war schon irgendwie okay so. Seto war halt Seto. Von allem etwas.

Wenn da noch mehr waren, würde er mit denen auch fertig werden. Obwohl ... wenn das mehrere Persönlichkeiten waren, betrug er Seto eigentlich mit sich selbst, wenn er auch mit dem jugendlichen Seto schlief? Im Endeffekt war er eine Person, aber dann auch irgendwie nicht, oder?

Egal, das konnte er alles morgen Yami fragen.

Eine Lösung

Anderthalb Wochen Grippe, man erstickt fast, freut sich, dass sie endlich weg ist, fährt zurück nach Hause und dort ist was? Allergieanfall wegen Pollen -.- Ey, Leute, meine Nase macht mich feddisch.

Ab davon genieße ich mein Leben ^.^ Nächste Woche Samstag geht es nach Amerika! Ich weiß noch nicht, wie es da mit Internet wird, aber ich werde mein Bestes geben ^.- (gerade jetzt, was? Ja, gerade jetzt...)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und danke noch einmal für die anregenden Kommentare!
 

P.S.: Das Gespräch mit Yami ist für Dienstag Abend vorgesehen, da, wo Seto trainieren geht - das heißt in time ist das morgen Abend :)
 

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„Kuss?“, fragte Seto leise.

Katsuya lächelte, griff faul nach dessen Hand und zog den Handrücken an seine Lippen. Mit einem Seufzen erhob er sich einen Moment später aber doch und murmelte: „Kleinen Moment, bitte.“

Mit schon fast routinierten Handgriffen zog er das Kondom ab, machte sich mit Tüchern sauber und wandte sich Seto mit ein paar frischen zu. Während er diesen abtupfte, bekam der auch seinen gewünschten Kuss. Umso größer war das Murren, als Katsuya es wirklich wagte, aufzustehen und das Bett zu verlassen.

„Bin ja sofort wieder da“ Er schüttelte lächelnd den Kopf und zog eine Schlafhose aus Setos Schrank, deren Bund man zuziehen konnte. „So ... bitte.“

Seto rollte sich sofort zur Seite und kroch in seine geöffneten Arme. Mit einem dunklen Glucksen bettete Katsuya dessen Kopf auf seiner Brust und wehrte sich nicht, als ein Arm und ein Bein sich um ihn schlang. Er zog die Decke unter ihnen beiden her und über sie.

„Danke“ Setos Stimme klang müde und äußerst zufrieden. Fast wie das glückliche Grummeln eines Drachen. Oder so, wie Katsuya sich das vorstellte. Es vergingen Minuten des Schweigens, die ihn vermuten ließen, dass sein Freund eingeschlafen war. „Katsuya?“

Dieser schloss die Lider. Seto brauchte eigentlich gar nicht weiter sprechen. Die Stimme war viel dunkler und kälter. Der Ton ernst. Spätestens die plötzliche Anspannung, die Setos ganzen Körper erfasste, verriet Katsuya, dass er es hier nicht mehr mit dem jugendlichen Seto zu tun hatte. Das war ANP-Seto.

Katsuya seufzte, drückte den Größeren von sich und setzte sich auf.

„Du ... bist immer noch sauer?“, fragte der Andere vorsichtig, wenn auch nicht ängstlich oder schüchtern, wie der jugendliche Seto es getan hätte.

„Was ist deine letzte Erinnerung?“

„Wie?“ Setos Stirn legte sich in Falten und ein Mundwinkel hob sich. „Sex natürlich. Als würde ich das vergessen.“

„Ehrlich?“ Katsuya sah mit plötzlicher Müdigkeit auf seinen Freund hinab. Bei allen Göttern, fing er jetzt auch schon an, wie Seto plötzlich umzuschalten?

Seto schluckte und wandte den Blick ab. Er schien bemerkt zu haben, dass das hier nicht ziehen würde. Nicht noch einmal. Mit einem Seufzen griff er nach einem Kissen, lehnte es gegen die Rückwand und setzte sich auch auf, bevor er sprach: „Ja, ehrlich. Ich erinnere mich an den kompletten Tag. Ich stand neben mir selbst und konnte mein Verhalten überhaupt nicht beeinflussen, aber ich erinnere mich an alles.“

„Seto, wer war das?“ Katsuya ließ den Kopf nach hinten gegen die Wand sacken. „Mit wem habe ich den heutigen Tag verbracht?“

„Mit mir“, antwortete er sofort, bevor seine Stimme unsicherer wurde, „mit ... einem meiner mirs.“

„Seto, wie viele mirs gibt es? Ehrliche Antwort, bitte.“

Es half, dass sie sich nicht ansahen. Katsuya hatte keine Ahnung, was Seto für einen Gesichtsausdruck hatte, aber zumindest war seine Stimme ernst und ruhig. Wenn sich auch ein leichtes Zittern hinein gemischt hatte, als er erwiderte: „Ich weiß es nicht.“
 

Katsuya schloss die Lider. Na wunderbar. Zumindest verneinte Seto nicht, dass da noch mehr waren. Also mindestens vier verschiedene Persönlichkeiten. Auf, auf, der Zähler lief – mal sehen, bei wie viel sie am Ende ankommen würden.

„Wie wahrscheinlich ist es, dass es noch mehr gibt?“

„Ich ... weiß nicht“ Die Stimme klang den Tränen nahe. Obwohl es ANP-Seto war. Der, der fast nie weinte. Der, der fast immer stark war. Wahrscheinlich überlastete Katsuya ihn. Er sollte irgendwie einlenken, bevor die Angst ins TI umschlug.

„Na gut“ Er griff nach Setos Hand und schloss seine fest darum. „Wir werden es wohl nach und nach heraus finden.“

„Du ... du bleibst bei mir?“ Aus Setos Stimme sprach absolute Verwunderung. Hatte er erwartet, dass das ihr Trennungsgespräch werden würde? Kein Wunder, dass er den Tränen nahe war! Für die Angst hatte er sich formidabel gehalten. Er hatte Katsuya nicht ansatzweise angefleht, ja bei ihm zu bleiben. Hatte er das TI also wirklich früh genug gestoppt.

„Sicher“ Katsuya hob die Hand und küsste den Handrücken, wie er es vorhin beim jugendlichen Seto gemacht hatte. „Keine Sorge, mich wirst du nicht mehr los. Zumindest, wenn ich noch ein paar ehrliche Antworten kriege.“

„Jederzeit“ Seto zog die ineinander verschlungenen Hände auf seinen Schoß und legte seine zweite darüber. „Warst ... warst du sauer, weil ich so viele Persönlichkeiten habe?“

„Warum zur Hölle sollte mich das sauer machen?“ Katsuya legte lächelnd die Stirn in Falten und sah zu dem Anderen hinüber. „Warum glaubst du überhaupt, dass ich sauer war?“

„Weil ... du hast ja letzte Nacht drüben geschlafen. Ich dachte, das sei vielleicht wegen der Sache mit Bakura. Mit meiner EP. Vielleicht hat es dich geschockt, dass ich mich irgendwie nicht unter Kontrolle zu haben scheine und ... und dann war dir das zu viel. Dachte ich.“

„Du hast dir eine Menge Gedanken gemacht, was?“ Katsuya lächelte sanft und beließ seinen Blick auf Seto, welcher eher sporadisch zu ihm hinüber sah. „Nein, der Grund war ein ganz anderer. Meine Hand hast du mir verletzt“ Katsuya hob besagte, die mittlerweile nur noch dumpf schmerzte. „Aber du hast das vergessen. Und nachdem wir darüber sprachen, hast du es erneut vergessen.“
 

„Oh“ Das war alles, was Seto im ersten Moment hervor brachte. Er legte seinen Blick auf Katsuya und sah diesen mit geweiteten Lidern an. Man konnte die Rädchen in seinem Kopf praktisch rattern sehen. „Oh! Oh shit ... ich ... ich habe dir weh getan?“

Katsuya nickte nur stumm.

„Das ... oh Hilfe, das tut mir unglaublich Leid. Nicht schon wieder. Ich ... ich dachte, zumindest das hätte ich langsam unter Kontrolle ... der Arzt sagte, es sei alles in Ordnung, oder? Ich habe dir nichts gebrochen?“

„Alles heile, tut nur weh“ Irgendwie war er ja schon süß, oder? Auch wenn er sich wirklich wie der Mittvierziger anhörte, den er als sein Alter angab. „Und du hast dich schon mehrfach entschuldigt. Das ist längst vergeben und vergessen.“

„Gut“ Die Luft wich aus seiner Lunge. „Dann ... was hat dich denn dann sauer gemacht?“

„Ich war nicht sauer, ich war vollkommen fertig. Ich wusste, dass du dissoziativ bist. Ich wusste, dass das manchmal zu Amnesie führt. An dem Abend, wo du dich von mir getrennt hast“ Katsuya unterbrach sich selbst, indem er tief schluckte. „Bei unserem Streit ... da wusstest du am nächsten Morgen auch nicht mehr, was geschehen war. Woher die Narbe auf deiner Wange kam. Aber das war auch wirklich eine ziemlich extreme Situation. Ich dachte, wenn du amnestisch wirst, dann nur bei diesen wirklich extremen Situationen. Nicht ... nicht einfach so.“

Seto schluckte hörbar. Sein Blick blieb starr auf die gegenüber liegende Wand gerichtet. Nach einigen Momenten schloss er die Lider und atmete tief durch. So verharrte er einen Moment, bevor er erstaunlich ruhig erwiderte: „Du hast recht, ich kann mich absolut nicht erinnern. Aber ich habe dir anscheinend weh getan und die Situation zweifach verdrängt. Also war sie für mich wirklich extrem, sonst hätte ich nicht so heftig reagiert. Auch, wenn ich gerade selbst etwas zweifle, ich bin sicher, dass ich mich zumindest so weit unter Kontrolle habe, dass mein TI nicht frei herum rennt.“

Katsuya nickte. Ja, in Endeffekt stimmte das schon. Auch wenn vielleicht nicht ANP-Seto diese Kontrolle war. Die Sache mit der dissoziativen Identitätsstörung hatte ihn so aufgeregt. Andererseits sprach er jetzt ganz ruhig darüber, dass da vielleicht noch mehr Persönlichkeiten waren. Vielleicht war es gar nicht die Sache mit der Krankheit, die ihn aufgeregt hatte? Vielleicht war es etwas ganz anderes gewesen. Etwas Unscheinbareres. Etwas ganz anderes. Er konnte ja kaum behaupten, dass er bereits alle Macken von Seto kannte.

Katsuya nickte langsam und meinte: „Ja ... ja, das macht Sinn. Ich weiß nur nicht, was dich aufgeregt hat. Es hat mich geschockt. In meinen Augen bist du aus dem Nichts heraus gewaltätig geworden und hattest von einer Sekunde auf die andere alles vergessen. Das ... das war ein bisschen gruselig.“

„Tut mir Leid“, flüsterte Seto und ließ erneut eine längere Pause, „weißt du ... manchmal sind es auch die Halluzinationen. Manchmal sehe, spüre, höre, schmecke oder rieche ich Dinge, die eigentlich gar nicht da sind und es wirft mich in Flashbacks. Gerade jetzt, wo die Tabletten das nicht mehr unterdrücken. Vielleicht war es so etwas. Vielleicht habe ich plötzlich etwas gesehen, das ... das mich verstört hat.“
 

Scheiße.

Die Halluzinationen und Flashbacks. Das hatte er ja vollkommen vergessen! Seto sah alle paar Minuten irgendwie erschreckende, verängstigende Erinnerungen. Immer mehr, je weiter weg er von den Tablettenwirkungen war. War es wirklich sinnvoll gewesen, ihm die weg zu nehmen?

„Kann man da nichts gegen machen?“ Katsuya festigte den Griff um Setos Hand. „Irgendwelche Tabletten ... irgendwelche, die dir nicht schaden? Die nicht gefährlich sind?“

„Hah!“ Seto lachte trocken. „So etwas gibt es nicht. Alle Tabletten sind gefährlich. Die Dosis macht das Gift, Katsuya. Erinnerst du dich noch an Natsuki aus der Psychiatrie? Oder Herrn Yagutsi?“

Er nickte nur. Natsuki war das Mädchen mit den Vergiftungsängsten. Herr Yagutsi der nette Herr, der seine Frau mit einer Kettensäge bedroht hatte. Die beiden hielt er immer noch für weit verrückter als Seto.

„Die haben auch beide Hallzuniationen. Einige Schizophrene – wenn auch bei weitem nicht alle – haben solche Sinnestäuschungen. Auch sie sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen Sachen, die gar nicht da sind. Bei ihnen kommt das durch Fehlschaltungen im Hirn und falsch feuernde Neurone. Bei mir sind das Vorboten meiner Flashbacks. Produkte meiner Angst. Daher wirken die Medikamente, die bei Schizophrenen diese Sinnestäuschungen unterdrücken, bei mir nicht. Denn meine haben einen ganz anderen Grund“ Seto wagte es, den Blick etwas länger auf Katsuya zu legen. Ähnlich wie bei Yami schienen fachliche Themen ihm Stärke zu geben. „Es gibt Medikamente gegen Schizophrenie, die gegen diese Sinnestäuschungen extrem wirksam sind. Wenn man die mir gibt, drehe ich dagegen völlig ab. Sie schalten nämlich als allererstes die Kontrolle über meine inneren Persönlichkeiten aus. Wutausbrüche des TIs wechseln mit Heulattacken meiner EP und ich kann nichts mehr steuern. In den Momenten, wo ich ich selbst bin, versuche ich mich umzubringen, um dem ein Ende zu machen“ Seto ließ eine kleine Pause. „Das passiert, wenn man mir Medikamente gegen Halluzinationen gibt.“

„Shit“, murmelte Katsuya nur.

„Haldol ist das einzige, das halbwegs normal wirkt. Das ist eigentlich auch eines dieser Medikamente gegen Halluzinationen und zur Beruhigung. Aber bei mir wirkt es ganz normal, so wie es sollte. Allerdings hast du mich schonmal unter Haldol gesehen ... bevor ich in die Psychiatrie kam.“

„Das, was dir unser Hausarzt gespritzt hat?“

Seto nickte und fuhr fort: „Unter Haldol kann ich nichts mehr außer Rumliegen. Okay, ich kann mich noch minimal bewegen, aber denken oder arbeiten ist einfach nicht mehr möglich. Es gibt mir zwar Ruhe, aber der Preis ist zu hoch.“

Katsuya nickte nur stumm.

„Die ganzen anderen Tabletten, die ich genommen habe, die waren größtenteils angstlösend. Denn wenn ich wenig Angst habe, dann kommen auch nicht so viele Flashbacks. Aber ... sie machen halt abhängig und verändern die Persönlichkeit.“

Einen weiteren Moment herrschte Schweigen, in dem Katsuya darauf wartete, ob Seto noch etwas hinzufügen wollte. Da dem nicht so schien, fragte er schließlich: „Bist du Yami böse, dass er sie mitgenommen hat?“

Setos Blick wandte sich wieder zur Wand und er seufzte leise. Sein Kopf sackte in Richtung seiner rechten Schulter, bis er in fünfundvierzig Grad gehalten wurde. Nach einem tiefen Einatmen antwortete er: „Nein ... nein, ich glaube, es ist besser so. Aber wenn es dir zu viel wird, halte ich mich lieber mit illegalen Tabletten stabil, als dass ich dich verliere.“

Katsuya schluckte.

„Bitte versteh doch“ Seto wandte sich ihm ruckartig zu, zog sogar die Beine an und drehte sich komplett zu ihm. „Ich ... das ist auch für mich nicht einfach. Das macht mich auch fertig. Andauernd irgendwelche Erinnerungen, die ich nicht haben will. Bilder, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie wahr sind oder ob sie nur ein Produkt von zu viel Angst und einer blühenden Phantasie sind. Was ich sehe, macht mir Angst. Es verstört mich. Ich halte das nur aus, weil du bei mir bist. Aber wenn du nicht da wärst ... ich würde sowieso direkt wieder alle Tabletten in mich pumpen, die ich finden kann, denn allein halte ich das nicht aus. Also, wenn es zu viel wird, dann sag das bitte. Vielleicht muss ich erst stabiler werden, bevor ich mit all dem umgehen kann. Vielleicht brauche ich die Betäubung einfach noch etwas länger. Wenn ich jetzt absolut außer Kontrolle laufe, dann kann das nicht der richtige Weg sein. Und dann ist es besser, wenn ich die Tabletten wieder nehme.“

Bei allen Göttern. Was jetzt? Seto durfte die Tabletten nicht wieder nehmen. Aber wenn er sonst völlig abdrehte ... was wusste er denn schon davon? Er konnte das doch gar nicht beurteilen! Er war doch kein Arzt. Katsuya blinzelte. Aber natürlich! Das war die Lösung!

„Wenn du völlig aus dem Ruder läufst, dann gehen wir zu deinem Arzt und du erzählst ihm all deine Tabletteneskapaden. Und wenn er dann sagt, dass du dann diese oder jene Tablette doch nehmen sollst, dann nimmst du sie auch. Aber wenn nicht, dann nicht.“

Seto betrachtete ihn stumm. Katsuya wich dem Blick nicht aus. Er wusste nicht, wie lange es dauerte, ob Minuten oder Stunden, aber schließlich nickte Seto. Erleichtert zog Katsuya ihn in seine Arme.

Rüpel

Wie war das noch mit "diese Woche noch regelmäßig"? Ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe total verschlafen, dass gestern Montag war. Aber als mir auffiel, dass heute Dienstag ist, konnte ich diese logische Schlussfolgerung dann doch ziehen XD Ich entschuldige mich für das verspätete Kapitel.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuyas Tag verlief äußerst angenehm. Erwachen in Setos Armen – dem ANP-Seto, der so überhaupt keine Lust hatte, seine morgendliche Erektion zu ignorieren, auch wenn Katsuya zu mehr als Händen nicht bereit war – ein leckeres Frühstück und ein weiterer Morgen, wo der Schulweg ihm keine Angst machte. Wenn das so weiter ging, würde er sicherlich bald auch wieder den Ekel vor Sex verlieren. Zumindest mit dem jugendlichen Seto hatte er ja nicht ansatzweise Probleme, so lange er oben lag. Und genoss es. Kein Wunder bei den Geräuschen, die der Kerl machte. Das würde selbst einen Impotenten kurieren.

Die Mädchen kicherten, als er das Klassenzimmer betrat. Er grinste einfach nur und setzte sich zu ihnen. Ayumi versuchte, ihm in die Wange zu kneifen, aber er schlug die Hand spielerisch weg.

„Hattest du einen guten Morgen?“, fragte Ryou unschuldig.

„Vertragen nach Streit ist etwas Schönes“ Auch wenn das eine ziemliche Dehnung der Tatsachen war. „Das dürfte der einzige Nachteil daran sein, dass du und dein Freund euch nie streitet. Ihr könnt euch auch nie wieder versöhnen.“

„Sind die Mythen wahr, dass Versöhnungssex der beste ist?“, fragte Ayumi in völliger Offenheit, was absolut allen außer Katsuya die Röte ins Gesicht warf. Obwohl es ihn doch interessiert hätte, wie er aussah. Die Frage machte selbst ihn für einen Moment sprachlos.

„Nicht der beste ... aber ziemlich gut“, gab Katsuya zu.

Mitsuki schlug die Hände vor ihr Gesicht. Karin legte ihre auf Mitsukis Ohren und starrte Katsuya mit schreckgeweiteten Lidern an. Mina murmelte nur: „So viel wollten wir nicht wissen ...“

„Ups“ Katsuya grinste die drei trotzdem an. „Irgendwann habt ihr auch eine ernste Beziehung und redet mit. Und dann ist euch das auch nicht mehr peinlich.“

„Dann sind wir hoffentlich sicher verheiratet“, hauchte Karin nur.

Katsuya hob die Hand mit dem Ring und hielt sie mit dem Handrücken zu den Mädchen auf Höhe seines Gesichts. Er sagte: „Ich wohne bei ihm. Ich trage seinen Namen. Wir mögen nicht verheiratet sein, das darf man in diesem Land nicht, aber wir sind so nah dran, wie es nur möglich ist.“

Mitsuki, die die Finger gespreizt und trotz Karins Händen auf ihren Ohren anscheinend zugehört hatte, griff nach Katsuyas Hand und zog diese schweigend zu sich. Sie betrachtete den Ring einige Sekunden, während alle anderen schwiegen und sagte die ersten Worte, die Katsuya sie außer ihrem Namen und Hallo je hatte sprechen hören: „Der ist hübsch.“

Karin und Mina stand nur der Mund offen, sie sagten gar nichts dazu. Ayumi fragte nach einem weiteren Moment der Stille allerdings: „Ist das ... also echt jetzt? Sieht Herr Kaiba das genau so? Hat er dir einen echten Antrag gemacht?“

„Vor zwei Monaten schon“, erwiderte Katsuya leise und entzog Mitsuki sanft seine Hand, „uns ist das wirklich sehr, sehr ernst.“

Was hoffentlich seit gestern Abend auch seinem Verlobten klar war. In guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit wie in Krankheit – er hatte diese Worte oft genug im Fernsehen gehört. Sie hatten sich tief in seine kleine Kinderseele gebrannt und ihn mit dem tiefen Wunsch zurück gelassen, dass eines Tages auch einem Menschen zu schwören. Ein Ehebund war für immer und ewig und bedeutete, dass man gerade auch die schweren Zeiten zusammen meisterte. Und im Gegensatz zu anderen Menschen nahm er so einen Schwur verdammt ernst.
 

Aber auch ein schöner Tag musste vorüber gehen. Schade nur, wenn er das bereits zur Mittagspause tat. Gegen deren Ende, wo ihre Hauswirtschaftlehrerin sich bereits von dannen gemacht hatte, öffnete sich die Tür und eine Gruppe von vier Drittklässlern stand in der Tür. Katsuya, der eher uninteressiert aufgesehen hatte, spürte die Blicke sehr schnell auf sich liegen. Vier junge Männer, die in der Mittagspause nach ihm suchten – klang nach Ärger. Klang nach den Schreibern des gestrigen Briefes.

„Ayumi, setz dich doch bitte zu Ryou“, wies er das Mädchen an und erhob sich.

„Nein“ Sie erhob sich auch und fasste seinen Arm. „Was wollen die von dir?“

„Höchstwahrscheinlich mich zusammen schlagen. Das ist kein Anblick für Mädchen“ Er legte seine Hand auf ihre, um sie sanft zu lösen.

„Du willst sie doch nicht etwa lassen?“

„Nein“ Er grinste. „Aber vielleicht kommt es zu Verletzungen. Nur zur Vorsicht.“

„Ich pfeif‘ auf deine Vorsicht“ Sie legte ihren Arm um seinen, als würde er sie ausführen, aber zog ihn daran Richtung Tür. „Das wird jetzt auf humane Art und Weise geregelt.“

Die vier, die vorher gegrinst hatten, wirkten jetzt etwas verwirrt ob der auf sie zustampfenden Chinesin. Der eine stuppste seinen Kumpel mit einem erneuten Grinsen an und meinte: „Der Pisser versteckt sich hinter Mädchen.“

„Er versteckt sich nicht, ich habe nur keine Lust auf eure barbarischen Problemlösungsstrategien. Wir leben hier doch nicht mehr im Mittelalter. Solltet ihr Kerle euch nicht langsam auch mal weiter entwickeln und aufhören, alles mit Gewalt zu lösen?“ Sie hatte Katsuyas Arm losgelassen, der etwas belustigt lächelte und sich so hinstellte, dass er bei Gefahr Ayumi wegziehen konnte.

Die Jungs lachten leise über sie, warfen sich dabei allerdings unsichere Blicke zu.

„Was? Habt ihr eure Zunge verschluckt? Habt ihr irgendein Anliegen oder wolltet ihr nur mal wieder irgendwo blöd in der Gegend rumstehen? Ihr stört beim Essen, falls ihr das noch nicht bemerkt habt.“

Was für eine herzerwärmende Zimtziege. Das war fast, als würde man Seto zusehen, wie er systematisch Leute fertig machte. Sehr amüsierend. Einer der Jungen schnaubte und meinte: „Mach dich vom Acker, Schwester.“

„Weder bin ich deine Schwester noch ist hier ein Acker. Das hier ist ein Klassenzimmer, falls eure Spatzenhirne das noch nicht registriert haben. Und wir essen hier gerade. Also euch noch eine schöne Pause und lasst euch hier nie wieder blicken“ Sie griff nach der Tür und schlug diese zu, bevor einer der vier noch einen einzigen Ton sagen konnte. „Komm, lass uns weiter essen.“

Katsuya zuckte mit den Schultern und folgte ihr mit einem lautlosen Kichern. Egal, ob das Problem jetzt gelöst war oder nicht, lustig war es auf jeden Fall gewesen. Ayumi war echt lebhaft. Und erstaunlich selbstbewusst für ein junges Mädchen. Er legte einen Arm um ihre Schultern und grinste sie an.

„Siehst du? Das geht auch friedlich.“

Nun, wenn sie das friedlich nannte ...
 

Nachdem Katsuya das Haus aufgeschlossen hatte, ging er erstmal suchen, ob er Seto irgendwo finden würde. Auch wenn dieser theoretisch bei der Arbeit war, hieß das ja bei weitem nicht, dass die Realität auch so aussah. Allerdings schien er wirklich zur Abwechslung mal da zu sein, wo er sein sollte.

Katsuya ließ seinen Rucksack an der Wohnzimmercouch fallen und ging mit einem Seufzen zum Fenster. Hilfe ... allein sein war er gar nicht mehr gewohnt. Seto war absolut immer da. Irgendwie hatte ihm das nie etwas ausgemacht, aber jetzt ... nun ja, war ja nur für eine Stunde. Zeit, um seine Hausaufgaben zu erledigen. Er ging zum CD-Spieler und legte etwas Rockiges auf.

Hausaufgaben von gestern und heute. Das Leben konnte schrecklich sein. Na ja, eins nach dem anderen. So schien derzeit seine Devise für alles zu heißen. Erst Hausaufgaben, dann Seto-Zeit, dann Yamis Erklärungen, die seine ganze Weltsicht wahrscheinlich wieder verdrehen würden und schließlich Essen für Seto kochen. Klang doch ganz einfach.

Katsuya seufzte erneut und holte seine Sachen aus der Tasche. Frisch ans Werk und so – zwei Stunden später schloss er mit Wasser und Keksen an seiner Seite sein Geschichtsbuch und warf mit einem langen Seufzer einen Blick auf die Uhr. Wo blieb Seto? Ihm war doch nichts passiert, oder? Angetan hatte er sich doch nichts nach dem Gespräch von gestern, oder? Heute morgen war er ganz normal gewesen. Hatte er sich durch irgendeinen Flashback vor einen Baum gesetzt? Hm ... war es überhaupt sicher für ihn, in diesem Zustand Auto zu fahren? Katsuya griff nach seiner Tasche, bevor er sich erinnerte, dass sein Handy ja bei jener Eskapade zu Weihnachten verloren gegangen war.

Ein weiteres Seufzen und einen Keks später stand er wieder am Fenster und sah nach draußen. Ach, Seto ... er sollte heim kommen. Katsuya hatte keine Lust auf Sorgen. Vielleicht sollte er eine Kleinigkeit kochen? Etwas Leichtes, was Seto vor dem Training essen konnte? Vielleicht ein Salat. Ja, ein Salat war gut.

Er räumte seine Sachen zusammen und stellte die Tasche ordentlich in den Flur. Die Musik drehte er lauter, nachdem er bemerkte, dass in der Küche kein CD-Spieler oder Radio stand. Er zog einen Salatkopf und ein paar andere Gemüse aus dem Kühlschrank, wusch sie und machte sich ans Schneiden. Ein weiteres Seufzen. Normalerweise ließ er Seto das Gemüse schneiden. Dann fühlte er sich nützlich. Und meistens redeten sie. Über dies und das, manchmal erklärte Seto etwas, manchmal schwiegen sie auch nur. Es war schön mit ihm. Auch das Schweigen.
 

Der Schlüssel an der Tür ließ Katsuya lächeln. Er legte das Küchenmesser zur Seite, wusch die Hände und wischte sie an seiner Uniformhose ab, während er Richtung Flur ging. Seto stieg gerade aus seinen Schuhen und sah mit einem Lächeln auf.

„Entschuldige, dass ich spät bin.“

„Kein Problem“ Katsuya legte die Arme um seine Schultern und küsste ihn. „Konntest dich ja auch schlecht melden.“

„Genau deswegen bin ich spät“ Lächelnd griff Seto in seine Jacketttasche und zog ein Handy hervor. „Ich habe dir ein neues besorgt.“

„Perfekt“ Katsuya nahm es und rief das Telefonbuch auf. „Du hast gleich alle Nummern eingespeichert? Danke!“

„Ich hoffe, dir gefällt es“ Seto lächelte. „Dein altes hatten sie leider nicht da.“

„Macht nix, ich habe nicht schrecklich dran gehangen“ Katsuya stahl noch einen Kuss, bevor er zurück in die Küche ging. „Ich mache einen Salat. Ich dachte, du möchtest vielleicht etwas Leichtes vor dem Training.“

„Gern“ Seto hängte sein Jackett über einen Küchenstuhl. „Kann ich dir helfen?“

„Nö, danke, bin fast fertig. Kannst Walnussöl, Multivitaminsaft und eine Kräutermischung rausholen.“

„Äh ... was?“ Seto blinzelte. „Multivitaminsaft ist im Kühlschrank“ Während er das murmelte, ging er in die Richtung und holte die Packung hervor. „Kräuter ... bei den Gewürzen?“ Er wühlte etwas im Schrank. „Seit wann haben wir Walnussöl? Was ist das überhaupt? Öl von Walnüssen wahrscheinlich, gut ... habe ich das schonmal gegessen?“ Er zog eine Flasche hervor. „Das hier?“

„Genau das“, erwiderte Katsuya und grinste.

Bei allen Göttern, in der Küche war der Kerl echt verloren. Wie hatte er hier allein überlebt? Katsuya konnte sich nicht einmal vorstellen, dass er Pizza in den Ofen geschoben hatte. Dafür war Seto nicht der Typ. Wahrscheinlich hatte der Herd außer zum Braten von Spiegelei und Eierrolle – das konnte Seto, das wusste Katsuya – vor seiner Zeit nicht viel Benutzung gesehen.

Ihrer beider Leben waren mittlerweile echt aufeinander abgestimmt. Die Vorstellung, ohne Seto zu leben, war einfach nur zutiefst gruselig. Das wollte und konnte er nicht. Können vielleicht schon, aber wollen nicht. Andererseits machte die Vorstellung, was alles kommen konnte, Angst. Was, wenn Seto seinen Job verlor? Finanziell würde es vielleicht nichts ausmachen, aber es würde mindestens ANP-Seto zerstören, wenn er arbeitslos wäre. Und bei noch mehr Persönlichkeiten oder mehr Flashbacks ... wie wäre es, wenn Seto länger in die Psychiatrie müsste? Würde er so lange allein durchhalten? Obwohl, bei Yami war es ganz lustig gewesen. Solange er Seto besuchen konnte, würde er das schon irgendwie machen.

Trotzdem war die Vorstellung nicht schön. Er wollte bei Seto sein. Seto war doch ... Seto halt. Völlig in Gedanken hob er den Salat unter und füllte Seto und sich auf. Wenn es Seto half, konnte er ruhig in die Psychiatrie. Aber was, wenn es eher schlimmer wurde? Wenn es bei der Psychiatrie nur rein und raus ging und Seto irgendwann überhaupt nicht mehr lebensfähig war? Er wollte doch nur ... Seto musste nicht gesund sein, aber er sollte zumindest da sein. Und halbwegs zurechnungsfähig.

Katsuya warf seinem Freund ein Lächeln zu.

Sie würden das schon irgendwie machen.

Irgendwie.

Setos Krankheit

Nein, das Kapitel wartet nicht auf Freischlachtung -.- Irgendwie ist hier in Amiland mein Deutsch etwas verlustig gegangen. Ich bitte bereits den Rest der deutschen Delegation mit mir einfach Englisch zu sprechen *drop* Nun ja, ich "konferenziere" hier vor mich hin und habe ehrlich gesagt viel Spaß. Ich hoffe, euch geht es auch so :)

Liebe Grüße vom anderen Ende der Welt und viel Spaß beim Lesen!
 

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„Herein spaziert“ Yami trat zwei Schritte zurück, warf einen Blick auf Katsuyas Gesicht und drehte sich mit einem Lächeln um, um zurück in die Küche zu gehen.

Katsuya währenddessen runzelte die Stirn und besah den Flur. Warum stapelten sich an der Wand Kisten? Er zog die Schuhe aus und trat etwas näher an diese seltsame Erscheinung. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bücher ... Umzugskartons?

„Ziehst du um?“

„Jepp!“, schallte es nur aus der Küche, „am Samstag! Hilfst du?“

„Klar“ Er schlenderte in den Raum und setzte sich an den Esstisch. „Warum ziehst du plötzlich um? Du hast gar nichts gesagt.“

„Ich weiß es auch erst seit gestern“ Yami, der mal wieder am Herd hantierte, zuckte mit den Schultern. „Seto rief letzte Woche mal an, dass er mir die eine Fluchtwohnung vermachen will. Er hat keine Lust, dass du mich in so einem herunter gekommenen Stadtteil besuchst. Er meinte, er müsse das noch mit Noah klären und der sagte mir Sonntag, dass das klar geht. Zu einem von mir gewünschten Zeitpunkt ändern wir die Verträge und ich kann sofort einziehen. Also habe ich gestern meinen Vermieter angerufen und der meinte, er löst den Vertrag gerne sofort auf. Ich solle einfach nur verschwinden. Gesindel wie mich wolle er schon lange aus seiner Wohnung raus haben. Mein Vertrag wurde hiermit rückwirkend zu diesem Monat gekündigt im gegenseitigen Einverständnis. Bis Sonntag muss ich räumen.“

„Freundlich“ Aus Katsuyas Stimme sprach Ironie. „Na gut, wenn es für alle so in Ordnung ist. Dann machen wir am Wochenende Umzugsparty? Wer hilft alles?“

„Bisher du und ich. Wenn du dabei bist, ist Seto sicher auch da. Ansonsten ... keine Ahnung. Soll ich Bakura und Ryou anrufen?“ Yami rührte in einem großen Topf und betrachtete die herauf steigenden Nebelschwaden.

„Ryou beim Kisten schleppen dürfte lustig sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Bakura freiwillig hilft.“

„Der macht eine Menge. Er mag schroff sein, aber er ist wirklich sehr hilfsbereit. Das sollte man nicht unterschätzen. Er macht praktisch alles, um was man ihn bittet.“

„Gegen den entsprechenden Preis“ Katsuya seufzte.

„Der meist mehr als fair ist“ Yami drehte sich halb. „Hast du dich wieder beruhigt? Du klingst unbeschwert, was Seto angeht.“

„Jo, hat sich eingerenkt“ Katsuya hob einen Mundwinkel. „Wir haben gestern Abend geredet. Er ist sich nicht sicher, wie viele Persönlichkeiten er hat, aber er gesteht ein, dass es mindestens vier sind. Dass er diese andere Krankheit hat, das hat ihn anscheinend gar nicht geschockt. Er meinte, er hätte wahrscheinlich eher einen Flashback gehabt, den er dann wieder verdrängt hat. Gestern hatte er auf jeden Fall kein Problem, über verschiedene Persönlichkeiten zu reden“ Er atmete tief durch. „Okay, kein Problem ist übertrieben ... er sah nicht allzu glücklich damit aus. Aber heute morgen konnte er sich an das Gespräch erinnern, ich habe extra gefragt.“

„Vier Persönlichkeiten?“ Yami, der sich noch nicht wieder zum Topf gedreht hatte, warf einen schnellen Blick hinein und rührte, während er weiter zu dem Blonden sah.

„Kümmer‘ dich mal lieber um dein Essen. Wir haben genug Zeit, bis Seto wieder kommt. Er wird seine Angst schließlich an einem Sandsack auslassen.“
 

Das stetig zu Rührende erwies sich nach ein paar Minuten als eine orangebraune Suppe, der Katsuya einen längeren Blick zuwarf, bevor er sie probierte. Aber was auch immer es war, es schmeckte so wie alles aus Yamis Kelle – extrem gut. Nur wollte er lieber nicht fragen, was er da überhaupt aß.

„Vier Persönlichkeiten?“, wiederholte dieser nach dem ersten Löffel Suppe.

„Die drei bekannten und eine jugendliche Persönlichkeit. Schätzungsweise sechzehn oder siebzehn, läuft auch unter dem Namen Seto. Aufgeblasenes Ego, ziemlich frech und extrovertiert gegenüber Fremden, in Wahrheit aber eigentlich recht schüchtern und unsicher. Und bisweilen ein wenig treudoof. Sehr anhänglich und auch fordernd, aber auch unsicher in der Beziehung. Ich habe ihn letzte Woche das erste Mal getroffen und gestern den ganzen Tag mit ihm verbracht.“

„Was sind so die Unterschiede zwischen ihm und Seto?“ Yami aß nur sehr wenig, obwohl er eigentlich nicht sprach. Er schien hoch konzentriert.

„Na ja ... das Gebahren ist halt total anders. Er grüßt Leute mit hey und beißt öfter mal auf seine Unterlippe. Er überlegt einen Takt länger, dem sieht man glatt an, dass er manchmal nachdenkt. Er kannte die Kreditkarten-PIN nicht und konnte Setos Unterschrift nicht. Was sonst? Er ist halt allgemein sehr begeisterungsfähig. Er hat eine volle Viertelstunde mit der Friseuse gequatscht, sodass sie ihm ein Praktikum angeboten hat. Und sie fragte auch, in welcher Klasse er sei, also empfinde wohl nicht nur ich ihn als jung. Er fährt Auto mit einer Hand und hört Pop und Rock. Er macht so einiges, was cool und in ist bei der derzeitigen Jugend. Schlürft so ein bisschen beim Gehen, die Hände in den Taschen und sagt halt sowas wie Alter, hey oder ... er verschluckt irgendwelche Buchstaben, sodass es sich wie Slang anhört. Es ist ziemlich lustig, ehrlich gesagt.“

„Ich hoffe, sein Musikgeschmack ändert sich nicht zu HipHop. Das würde Setos ANP wahnsinnig machen“ Yami lächelte leicht.

„Das dachte ich mir auch. Anscheinend hat ANP-Seto alles miterlebt. Er meint, es war, als hätte er neben sich gestanden und einfach nur miterlebt, wie ein anderer seinen Körper steuert. Er konnte anscheinend gar nicht eingreifen.“

„Das bestätigt die Diagnose dann. So etwas passiert bei KPTBS nicht. Also, nicht ohne DID dazu“ Der Rothaarige nickte.

„Gut ... kannst du mir das dann nochmal auf eine mir verständliche Sprache übersetzen? Ich schmeiße nicht so selbstsicher mit Buchstabensalaten um mich. Was ist dieses DID und was ist jetzt der Unterschied zu dem, was er vorher hatte? Oder wovon man glaubte, dass er es vorher hatte?“
 

„Das ist eigentlich ganz einfach.“

Alle Erklärungen, die so begannen, hatten ein hohes Potenzial, alles andere als das zu sein. Katsuya schaufelte Suppe in sich hinein. Hoffentlich hatte Yami genug Beispiele parat.

„KPTBS ist die komplexe posttraumatische Belastungsstörung, früherer Name DESNOS“ Katsuya nickte. So weit erinnerte er sich. „Das sind diese Flashbacks, Angst, Selbstwertstörung, Selbstverletzung, schnelle Aggressionen und Stimmungsumschwünge, halt diese extreme Reaktion auf ein Trauma, beziehungsweise mehrere Traumata“ Das, was Seto und Bakura hatten. Seto die gemischte Form mit Selbstverletzung und Fremdverletzung, Bakura die vor allem fremdverletzende Form. So weit er sich erinnerte. „Und Seto hat dazu eine peritraumatische Dissoziation. Das heißt, er hat verschiedene dissoziative Erkrankungen. Depersonalisation, das sein Körper fremd wird, Derealisation, dass die Umwelt weggeschaltet wird, die dissoziative Amnesie, die wir am Sonntag sahen und so weiter. Und die heftigste Form dieser peritraumatischen Dissoziation ist die Spaltung in ANP, EP und TI“ ANP, die anscheinend normale Persönlichkeit, der Lehrer Seto. EP, die emotionale Persönlichkeit, das war Klein-Seto. Und das TI, das Täterintrojekt, die absolut selbstwertlose und aggressive Persönlichkeit. „Klar soweit?“

Katsuya nickte. Ja, so weit alles klar. Das hatte Yami ihm ja schonmal ausführlich erklärt. Und das hatte er auch noch in Erinnerung, auch wenn es schon Monate her war.

„Das wichtige, was diese peritraumatische Dissoziation von der dissoziativen Identitätsstörung trennt, ist Folgendes: Auch, wenn es diese drei Persönlichkeitsanteile gibt, handelt es sich immer noch um eine Person. EP und TI sind nur zwei gegensätzliche Extreme, in deren Richtung die ANP rutschen kann. Mal ist die Persönlichkeit mehr EP-betont, mal mehr TI-betont. Aber niemals sind dies eigene Persönlichkeiten mit eigenem Verhalten und eigenen Erinnerungen.“

„Beispiel?“, warf Katsuya dazwischen.

„Wenn es eine peritraumatische Dissoziation wäre, dann könnte Seto in Richtung EP rutschen. Mal hätte er nur eine höhere Stimme, mal würde er sich kindlich freuen, mal mit Kreide spielen. Je nach Situation wäre die Ausprägung des EP unterschiedlich. Nie wäre es möglich, dass ANP-Seto ganz verschwindet und man sich mit einem vollen Kind konfrontiert sieht. Selbst wenn, dann wäre es nicht immer das gleiche Kind sondern nur Verhaltensweisen, die man eher einem Kind zuordnet. Zumindest, solange die EP überhaupt ein Kind darstellt. Theoretisch sagt die Theorie nur, dass es sich um eine emotionale, nicht um eine kindliche Persönlichkeit handelt. Er könnte auch weibliche Verhaltensweisen annehmen. Man hätte den normalen Seto, der sich manchmal einfach übermäßig freut oder übermäßig traurig ist, bei dem manchmal einfach Emotionen ziemlich ... dramatisch aussehen.“

„Aber dass wir da wirklich plötzlich einen Fünfjährigen stehen haben und zwar immer denselben Fünfjährigen, das ist ungewöhnlich?“, fragte Katsuya nach.

„Ja, das ist ungewöhnlich. Besonders ab dem Punkt, wo ANP-Seto nicht weiß, was das Kind gemacht hat, ist die Diagnose der peritraumatischen Dissoziation sehr fragwürdig. Denn dann ist es nicht eine Persönlichkeit mit großen Extremen im Verhalten, dann sind es mehrere Persönlichkeiten. Und mehrere Persönlichkeiten heißt, es handelt sich um eine dissoziative Identitätsstörung, also eine DID.“
 

Mehrere verschiedene Persönlichkeiten in einem Körper waren eine dissoziative Identitätsstörung. Also verschiedene, konstante, immer wieder auftretende Persönlichkeiten. Der kuschelige Klein-Seto, der jugendliche Mister Supercool, der sarkastische Lehrer, das waren alles Persönlichkeiten, die er schon öfter getroffen hatte und die immer gleich zu bleiben schienen.

„Aber manchmal treffe ich doch auch eine Mischung. Manchmal ist Seto einfach ... übermäßig. Ohne, dass er gleich vollkommen kindlich ist. Und das TI schaut auch meist nur durch und taucht nicht ganz allein auf“ Das wäre doch dann ungewöhnlich für diese dissoziative Identitätsstörung, oder? Dass Persönlichkeiten sich mischten.

„Das ist ja das Schwierige beim Diagnostizieren. Es gibt Übergangsformen“ Oh bloß nicht. Das klang kompliziert. „In Theorie ist der Unterschied einfach. Ist es eine Person mit emotionalen, aggressiven und anderen Extremen im Verhalten, ist es eine peritraumatische Dissoziation. Sind es mehrere Persönlichkeiten, die unabhängig voneinander sind, die oft gar nicht wissen, was der jeweils andere mit dem Körper gemacht hat, die oft nicht einmal wissen, dass es überhaupt andere in ihrem Körper gibt, dann ist es eine dissoziative Identitätsstörung.“

„Uh-hu ...“ Katsuya hatte beide Augenbrauen gehoben. So schlecht ging es Seto dann aber auch nicht. Er wusste, dass da mehrere waren, dass er manchmal in sie wechselte und ihm damit manchmal die Erinnerung fehlte. Ihm schien halbwegs klar, was mit ihm passierte.

„Mittlerweile unterscheidet man die dissoziative Identitätsstörung bereits in zwei Formen. Mit und ohne Ko-Bewusstsein. Es gibt Multiple, also das alte Wort für die Störung, das war multiple Persönlichkeit, heute heißt das dissoziative Identitätsstörung ... also, Leute mit mehreren Persönlichkeiten, da gibt es wirklich welche, die haben über zehn Persönlichkeiten, die wechseln alle paar Minuten, aber trotzdem wissen die meisten gar nicht, dass sie eine Störung haben. Da spricht eine Persönlichkeit mit einer Verkäuferin im Supermarkt, blinzelt und ist in ihrer Wohnung, als sie die Augen wieder öffnet.“

„Und wie genau nimmt man so etwas nicht als Störung wahr? Ich würde sofort in eine Psychiatrie rennen, wenn mir das passiert. Oder zumindest zu dir.“

Yami lächelte kurz, bevor er weiter sprach: „Ja, aber für diese Menschen ist das nicht ungewöhnlich. Sie haben das schon, seit sie Kleinkinder sind. Viele glauben, es gehe jedem Menschen so, dass er Zeit verliert.“

„Zeit verlieren?“ Katsuya schüttelte den Kopf. „An dem Punkt, wo ich rausfinde, dass es anderen nicht so geht, würde ich mich für unrettbar wahnsinnig halten.“

„Das tun manche auch. Das ist die äußerste, die schwerste Form einer dissoziativen Identitätsstörung. Die dissoziativ Identitätsgestörten mit Ko-Bewusstsein, da kriegen manche, manchmal sogar alle Persönlichkeiten mit, was die anderen tun. Sie sehen praktisch mit durch ihre Augen, während andere Persönlichkeiten agieren. Seto scheint eine Zwischenform zu haben. Er kriegt vieles, aber bei weitem nicht alles mit, was die anderen Persönlichkeiten machen.“

Seto hatte also verschiedene Persönlichkeiten. Eine war draußen und die anderen sahen zu. Wie durch ein Fenster oder so. So wie ANP-Seto gesagt hatte, er stand daneben, während der jugendliche Seto den Körper beherrschte.

„Das erklärt immer noch nicht, wie manche Persönlichkeiten sich mischen können“, warf Katsuya ein.

Die Prognose

Ich habe Internet! Eure Kapitel sind gesichert ^.-

Sorry, dass ich es erst jetzt habe und das Kapitel daher recht spät kommt, aber zumindest kommt es, nicht? Ich habe gestern an der Klinik in Boston begonnen und schon einige interessante Patienten getroffen. Unter anderem eine mit DID heute ^.-

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Seto stellt wie immer eine Kategorie für sich dar“ Yami schob den leeren Teller Suppe von sich. Irgendwie hatte Katsuya nicht die geringste Ahnung, wie er die neben den Erklärungen gegessen hatte. „Diese Mischformen zweier Persönlichkeiten, das passiert, wenn zwei – manchmal sogar mehr – Persönlichkeiten gleichzeitig einen Körper beherrschen.“

Ganz einfach, ja, ja ... was Yami für einfach hielt, ging bisweilen über den Kopf normaler Menschen hinaus. War ja schön, dass er sich auskannte, aber für Katsuya war das klares Neuland. Also Seto hatte jetzt eine dissoziative Identitätsstörung. Das hieß, er hatte mehrere Persönlichkeiten. So weit alles klar. Mehrere Persönlichkeiten in einem Körper. In seinem Fall bekamen die auch teilweise mit, was die anderen taten, weil sie dabei zusehen konnten. Daher konnte Klein-Seto die vielen Fachbegriffe und daher konnte der jugendliche Seto mit dem Auto fahren. Auch klar. Und jetzt konnten diese einzelnen Persönlichkeiten anscheinend auch noch gleichzeitig den Körper steuern.

„So etwas ist selten. In der Literatur habe ich das nur gefunden, wenn die Leute mit dieser Störung bereits in Therapie sind. Zwei Persönlichkeiten, die zusammen einen Körper steuern, die müssen sich ziemlich gut verstehen, sonst geht das nicht. In der Therapie tritt das kurz vor dem Verschmelzen dieser zwei Persönlichkeiten auf. Sie agieren praktisch auf Probe zusammen, bevor sie merken, dass sie das auch als eine Persönlichkeit hinkriegen. Dann verschmelzen zwei Persönlichkeiten zu einer neuen, die aus beiden besteht. Ich habe nur einen Fall gefunden, wo das vor der Therapie schon funktionierte … aber diese Person hatte noch ganz andere Probleme.“

„Das heißt, sowohl ANP-Seto und Klein-Seto als auch ANP-Seto und das TI stehen sich recht nahe, aber sind noch nicht verschmolzen?“ War eigentlich gut, oder? Das hieß, Seto war bereits im Heilungsprozess.

„So sieht es aus. Aber würde er mit Klein-Seto verschmelzen, würde er sich vom TI entfremden. Würde er mit dem TI verschmelzen, würde er sich von Klein-Seto entfremden. Da er beides nicht will, geht es nicht voran“ Yami nahm einen Schluck Saft. „Denke ich. Allerdings ist das nicht mehr als eine Vermutung. Bevor ich nicht weiß, welche Persönlichkeiten es eigentlich alles gibt, kann ich nur raten.“

„Okay“ Katsuya nickte langsam. „Derzeit wissen wir von vier Persönlichkeiten. Weil wir dachten, er hätte eine peritraumatische Dissoziation, haben wir die ersten drei ANP, EP und TI getauft. Obwohl das für dissoziative Identitätsstörung so gar nicht stimmt, richtig?“

„Richtig, die Bezeichnungen gibt es bei der dissoziativen Identitätsstörung nicht. Die Persönlichkeiten von dissoziativ Identitätsgestörten geben sich meist eigene Namen“ Yami nahm die Teller und trug sie zur Spülmaschine. „Deswegen habe ich am Sonntag Seto nach seinem Namen gefragt. Wenn solche Persönlichkeiten spontan antworten, fällt manchmal ihr richtiger Name. Also der, den sie sich gegeben haben.“

„Klein-Seto sagt, er hieße Seto. Und er sagt, er habe ANP-Seto den Namen Seth gegeben“, informierte Katsuya seinen besten Freund, „und dem TI will er keinen Namen geben. Er sagt, der sei böse. Und er sagt, er höre böse Stimmen, denen wollte er auch keinen Namen geben.“
 

Mit einem tiefen Seufzen setzte Yami sich wieder. Diesmal auf den Stuhl direkt neben Katsuya. Er griff sein Glas und nahm einen weiteren Schluck. Nach einem Moment des Schweigens sprach er leise und bedacht: „Hast du Seto mal darauf angesprochen?“

„Ja“ Katsuya trank auch einen Schluck seines bisher unangerührten Getränks. „Er fand es ... er nahm es zur Kenntnis. Und sagte irgendetwas davon, er sei ein Konstrukt und das Kind die Kernpersönlichkeit oder so, das habe ich nicht ganz verstanden.“

„Das hat er gesagt?“ Yami sah mit Überraschen im Gesicht auf. „Das ... dann hat ihn das mit der Diagnose wirklich nicht geschockt. Dann wusste er es vorher“ Er seufzte. „Kannst du dir das vorstellen? Wie es ist zu realisieren, dass in deinem Kopf mehrere Persönlichkeiten sind? Und dass ihr alle Teile eines Ganzen seid? Dass du nicht geboren wurdest sondern nur ein Splitter eines Menschen bist, der an dem, was er erlebte, kaputt ging?“

„Weiß Seto das alles?“, flüsterte Katsuya.

„Wenn er von Konstrukten und Kernpersönlichkeiten redet, dann hat er die Fachbücher über die Krankheit gewälzt. Dann weiß er, was das für eine Krankheit ist. Theoretisch zumindest. Ob er das wirklich verinnerlicht hat ... kein Wunder, dass ihm eine Therapie so eine Angst macht“ Yamis Augen glänzten, als er aufsah. „All diese Persönlichkeiten, die du jetzt kennen gelernt hast ... am Ende der Therapie sollten sie alle verschmolzen sein. Sie sind zwar dann noch da, aber ... sie sind nur Teile eines Ganzen. Am Ende steht ein Mensch, der ist sarkastisch, kindlich, jugendlich und aggressiv in einem. Das ist ... kein neuer Mensch, aber ein anderer Mensch. Eine neue Persönlichkeit im Endeffekt. Eine ganze Persönlichkeit.“

Bamm.

Schlag aufs Herz.

Katsuyas Lider weiteten sich. Das hieß ... Seto würde verschwinden? Der sarkastische Bastard? Das Kind? Der Jugendliche? Sie würden alle ... sie würden zu einer Person werden? Einer neuen Person?

„Viele mit dieser Krankheit haben Angst davor. Sie leben seit Kinderzeit mit diesen getrennten Persönlichkeiten. Jede hat ein eigenes Leben, eigene Interessen, oft sogar eigene Freunde. Manchmal sogar eigene Jobs. Viele haben eigene Talente. Manche sind talentierte Maler, manche begnadete Musiker – mit dem Verschmelzen geht das manchmal verloren“ Yami seufzte. „Ein paar entscheiden sich, lieber getrennt weiter zu leben. Mit Kontrolle, wer wann draußen ist, aber getrennt.“

„Ich weiß auch nicht, ob ich will, dass Seto ...“ Katsuya starb die Stimme.

„Sich integriert. Man nennt diesen Heilungsprozess Integration“ Yami griff Katsuyas Hand und sah vorsichtig auf. „Selbst wenn Seto das irgendwann will, es wird Jahre brauchen. So etwas passiert nicht von heute auf morgen. Das braucht extrem viel Therapie.“

Katsuya atmete tief durch und meinte: „Gut.“
 

„Es wird trotzdem nicht einfach“ Yami sah ihm direkt in die Augen. „Früher oder später muss Seto seine Traumata verarbeiten, sonst wird er immer mehr Flashbacks haben. Und die Traumata, die es braucht, damit eine Persönlichkeit zersplittert, die sind heftig. Bei vielen der Traumata, die DID-Patienten durchlebt haben, fragt man sich nachher, wie ein Kind so etwas je überleben konnte. Vergewaltigungen von Kleinkindern, irgendwelche operationsähnlichen Situationen, wo Kinder aufgeschlitzt und ihnen ohne Narkose Organe aus dem Körper gezogen wurden, Foltergeschehen ... da kann wirklich eine Menge echt verstörender Dinge hinter stehen. Das wird heftig. Für euch beide“ Yami ließ eine Pause, aber Katsuya fehlten die Worte. „Da Seto keine Narben hat und – so weit ich das beurteilen kann – keinerlei rituellen Missbrauch oder Foltersituationen als Kind durchlebt hat, ist sexueller Missbrauch am wahrscheinlichsten.“

Katsuya schnaubte und wandte den Kopf ab. Mit abfälligem Ton meinte er: „Davon habe ich ja jetzt Ahnung.“

„Entschuldige, wenn ich das sage, aber das hast du nicht“ Yamis Stimme klang erstaunlich hart. „Wenn du Seto im Bett küsst und eine hohe Kinderstimme sagt „Bitte nicht, Papa“, dann hast du absolut gar nichts in deiner Erfahrung, was dir helfen kann.“

Katsuya schluckte. Nicht nur für den plötzlich trockenen Hals, auch die Tränen und die Wut, die aufstiegen. Was wusste Yami schon? Aber er wusste alles. Er kannte seine Geschichte von vorne bis hinten. Und Vergewaltigungen hatte er oft genug am eigenen Leib erfahren. Yami wusste genau, wovon er sprach.

„Meinst du ... Gozaburo Kaiba ...“

„Zu spät. DID entwickelt sich im Kindesalter. In fast allen Fällen vor dem fünften Lebensjahr. Wir reden von der ominös verstorbenen Mutter und dem nie erscheinenden Vater. Zumindest in Setos Erinnerung nie erscheinend. Wenn du genau fragst, hat er nicht eine einzige Erinnerung an seinen Vater. Das hat mich schon immer stutzig gemacht.“

„Du denkst, sein Vater hat ihn vergewaltigt? Als ... als er vier war? Und früher?“ Aus Katsuyas Stimme sprach Entsetzen. Okay, er wusste, so etwas gab es. Aber Seto? Sein Seto? Er spürte, wie seine Hand sich zur Faust ballte. Stimmte Setos Erinnerung, dass sein Vater tot war? Oder war er irgendwann doch erwischt worden? Lebte er möglicherweise noch?

„Es könnte auch die Mutter gewesen sein. Es könnte auch etwas anderes gewesen sein. Wenn Eltern DID haben, kriegen Kinder das in seltenen Fällen auch, wenn die Eltern nicht therapiert sind. Einfach, weil die Eltern so oft Persönlichkeiten wechseln, dass das Kind irgendwann eigene entwickelt, die dazu passen. Ich habe einen Fall gelesen, da hatte die Mutter eine unbehandelte Schizophrenie und hat deswegen immer wieder für das Kind komische Anwandlungen gehabt. Und in ein paar Prozent ist es – in Anführungszeichen – nur schwerer Missbrauch. Also körperlicher und emotionaler Missbrauch“ Yami seufzte. „Das sind alles nur Möglichkeiten. Und da Seto die entsprechenden Erinnerungen fehlen, werden wir es auch nicht so bald rauskriegen. Aber vorerst ist davon auszugehen, dass alles in seinen Flashbacks so auch passiert ist, egal, wie grotesk oder unwahrscheinlich. Da beide Eltern tot sind, können wir nichts überprüfen.“
 

„Bist du sicher, dass sie tot sind?“ Aus Katsuyas Stimme sprach kaum verhaltene Wut. Beide Hände waren zu Fäusten geballt. Die Züge hart, die Lider verengt betrachtete er seinen besten Freund, als würde er seinem ärgsten Feind in die Augen sehen.

Yami zog scharf die Luft ein und rutschte mit seinem Stuhl zurück. Er beobachtete Katsuya einen Moment mit in Falten gelegter Stirn, bevor er sagte: „Warum sonst sollte er ins Waisenhaus gekommen sein?“

„Vielleicht fand man etwas heraus. Vielleicht wurde der Vater verurteilt“ Die Antwort war ruhig, aber klang eher wie die Ruhe vor dem Sturm. „Wenn ich richtig rechne, reden wir von den Achtzigern. Wie gut war da die Versorgung mit psychologischer Betreuung und Pflegefamilien?“

Yami nickte langsam. Sein Blick wandte sich auf den Tisch, als suche er in dessen Muster eine Antwort. Er erwiderte: „Du hast schon recht. Selbst, wenn es eine gab, dann hat Seto das wahrscheinlich verdrängt. Denn sonst müsste er sich ja fragen, warum er die hatte. Wie die Sache am Sonntag.“

Katsuya schwieg einfach nur. Er fixierte Yami noch immer.

„Ich werde es heraus finden“, schloss dieser, als er den brennenden Blick auf sich spürte.

Katsuya nickte. Nach einem tiefen Ein- und Ausatmen fragte er: „Also ... was hat Seto jetzt? Was muss ich erwarten?“

„Themenwechsel, okay ... Seto hat aufgrund irgendwelcher extremer Traumata eine dissoziative Identitätsstörung entwickelt. Wir wissen nicht, wie viele Persönlichkeiten er hat, aber es sind mindestens vier. Die Hauptpersönlichkeit, die die meiste Zeit draußen ist, heißt Seth und hat Ko-Bewusstsein. Und er kann zusammen mit Seto und ... dem Bösen agieren. Wir sollten übrigens einen Namen finden, denn wenn wir verinnerlichen, dass es sich um etwas Böses handelt, werden wir dem ablehnend begegnen. Und alle Persönlichkeiten brauchen ihre entsprechende Anteilnahme, denn alle sind nur durch Traumata so. Alle Persönlichkeiten wurden so gemacht durch andere“ Yami atmete tief durch. „Was ist zu erwarten ... tja ... ich habe noch nicht so viele dissoziativ Identitätsgestörte getroffen. Genau genommen nur einen und der hat vor meinen Augen Selbstmord begangen“ Er schloss die Lider. „Aber ... von dem, was ich gelesen habe“ Seine Stimme versagte, sodass er schluckte und die Lider wieder öffnete. „Was ich las: Jeder mit dieser Krankheit lebt in einem gewissen Stadium, das meist gleich bleibt. Durch Stress kann es sich verschlechtern, aber die Person kehrt in dieses Stadium zurück, wenn der Stress nachlässt. So eine nach außen wirkende Verschlechterung, wo neue Persönlichkeiten durchbrechen, die frühere Kontrolle verloren wird und es scheint, als würde alles ins völlige Chaos sinken, sind eigentlich meist die ersten Zeichen von Heilung. Die erkrankte Person entspannt sich das erste Mal im Leben, woher die inneren Persönlichkeiten den Riegel der Kontrolle zur Seite schieben und hervor kommen. Und dann kann man sie oft auch nicht mehr eindämmen. Alle wollen Aufmerksamkeit, alle wollen leben und Zeit in der Realität verbringen und vergessen dabei, dass sie alle nur einen Körper haben“ Yami atmete kurz durch. „An dem Punkt suchen die meisten nach Therapeuten. Viele verlieren ihren Job, weil die Persönlichkeiten, die ihn ausführen können, nicht mehr raus können oder weil ihr verändertes Verhalten auffällt. Ehen werden geschieden, Freunde verlassen die betroffene Person ... und richtige Therapeuten sind sehr schwer zu finden. Die Krankheit ist selten, damit kennen sich nicht so viele Menschen aus. Bei Ärzten, Psychologen und Freunden treffen die Erkrankten oft auf Unverständnis“ Eine kurze Pause setzte ein. „Nun ja, wir wissen, was er hat. Wir werden zumindest nicht wegrennen, weil wir sein verändertes Verhalten komisch finden.“

„Unter dem Strich werden jetzt völlig ohne Kontrolle Persönlichkeiten seinen Körper übernehmen und sich ohne Vorwarnung abwechseln, ja? Und du nennst das Heilung“ Aus Katsuyas Stimme sprach Spott.

Yami seufzte tief und schloss die Lider. Mit müde wirkender Stimme fuhr er fort: „Der Schritt ist meist notwendig für die Einsicht, dass absolut gar nichts an der Therapie vorbei führt.“

„Das heißt, es wird so lange schlimmer, bis er sich seiner Krankheit stellt, ja?“

Yami betrachtete ihn kurz, bevor er nickte.

Bei allen Göttern – das konnte ja heiter werden.

Kann man das lieben?

Woran merkt man, dass man in Amerika ist?

a) Es gibt keine Bürgersteige (okay, die gab es in Afrika und vielen Teilen Asiens auch nicht)

b) Alte Ömmecken von 80 Wintern tragen verwaschene T-Shirts mit Sportaufdrucken

c) Zum Feierabend antwortet der noch vor dem Computer hängende Arzt auf dein "Bis morgen!" mit "Ja, dir auch eine gute Nacht."
 

Viel Spaß beim Lesen ^.^ Übrigens ist mir hier bereits ein DID-Patient (generisches Masculinum) über den Weg gepurzelt.
 

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„Und wie therapiert man so eine dissoziative Identitätsstörung?“ Katsuya atmete tief durch, stand auf und holte die Saftpackung aus dem Kühlschrank, um nachzuschenken. „Muss das mit einem Psychiater sein? Oder einem Psychotherapeuten?“

„Normalerweise therapiert man das über mehrere Jahre mit einem Psychotherapeuten. Mit Aufenthalten in der Klinik, wenn es zwischendurch zu Krisen kommt“, erklärte Yami, „manchen geht es so schlecht, dass sie die meiste Zeit in einer Klinik zubringen. Und anscheinend gibt es auch Leute, die sich erfolgreich selbst therapiert haben. Allerdings ist das ... wirklich sehr selten. Es braucht normalerweise einen erfahrenen Therapeuten und eine Selbsthilfegruppe. Den meisten DID-Patienten hilft es sehr, zumindest einmal zu sehen, dass sie nicht allein sind. Denn das ist ja das Problem bei seltenen Krankheiten ... die Betroffenen glauben meist, sie seien völlig andersartig und abstrus. Da helfen Selbsthilfegruppen sehr.“

„Haben wir so eine in der Stadt?“, fragte Katsuya mit Interesse. Seto war ja schonmal in einer Selbsthilfegruppe gewesen. Zwar war diese doofe Reporterin aufgetaucht, aber er hatte ja schon gesagt, dass das heute wahrscheinlich nicht mehr passieren würde. Und hatte überlegt, vielleicht noch mal eine zu besuchen. Eine DID-Gruppe würde ihm sicher helfen.

„Das gehe ich auch gern suchen. Wenn ich umgezogen bin und sie mein Internet umgeschaltet haben, mache ich mich ans Recherchieren.“

„Gut“ Der Blonde nickte. Mit einem Blinzeln wandte er sich mit geweiteten Lidern um. „Danke! Hilfe, bin ich so abgestumpft, dass ich es als völlig selbstverständlich nehme, dass du mir alles mögliche erklärst und Zeug für mich heraus findest?“

Yami grinste nur.

„Ja, okay, ich bin schrecklich“ Katsuya schüttelte lächelnd den Kopf und setzte sich wieder. „Während ... der Therapie ... wie geht es ihm da?“

„Wenn er vorher noch arbeiten konnte, kann er es da auch. Wenn nicht, dann vielleicht nicht. Wie schnell er stabil wird, hängt von seiner Mitarbeit, der Erfahrung des Therapeuten und der Extensivität seiner Traumata ab. Aber die erste Stabilisierung kommt meistens, sobald ein guter Therapeut gefunden ist, dann wird es nochmal ganz schlimm, weil alle Persönlichkeiten durchgegangen werden müssen und dann wird es – bis auf ein paar Stolpersteine – immer besser. Normalerweise.“

„Und von was für ungefähren Zeiträumen reden wir?“ In Katsuyas Stimme schwang ein Hauch Verzweiflung mit. „Ich meine ... ich weiß, das kann ich alle Richtungen abweichen, aber was ist so der Durchschnitt?“

„Der Ausbruch zwischen dreißig und fünfzig, dann zwölf Jahre, um einen Therapeuten zu finden und zwischen drei und sieben Jahren Therapie“, antwortete Yami völlig gnadenlos, „aber wir wissen nicht einmal, ob das jetzt Setos Ausbruch ist. Vielleicht ist es nur eine Stressphase, weil jetzt die Medikamente weg sind. Vielleicht legt sich das auch wieder, die neue Persönlichkeit verschwindet zurück hinter den Riegel und wir sitzen hier erst in zehn Jahren und besprechen dasselbe nochmal.“

„Wenn du nach Setos Eltern und der Selbsthilfegruppe suchst, kannst du direkt auch einen Therapeuten suchen? Damit wir die zwölf Jahre sparen?“ Trotz des eigentlich ernsten Themas lächelte Katsuya fast amüsiert. Wer wusste schon, vielleicht entwickelte er langsam Galgenhumor. Anscheinend hatte er ein paar komplizierte Jahre vor sich.

Yami nickte nur und schlug ihm mit einer Hand freundschaftlich auf die Schulter.
 

„Was hältst du eigentlich von der Sache?“ Yami machte es sich auf seinem Stuhl bequem und lehnte sich zurück. „Du hast dir da keinen leichten Menschen aufgebürdet.“

„Wusste ich doch vorher schon“ Katsuya seufzte. „Ich hatte nur nicht erwartet, dass es schlimmer wird, bevor es besser wird“ Er stützte sich mit einem Arm auf den Tisch und hing so recht schräg über seinem Stuhl. „Auf jeden Fall fühle ich mich sehr viel besser, jetzt, wo ich weiß, was auf mich zukommt.“

„Denk daran, es ist Seto. Er hat schon immer alle Erwartungen gesprengt. Als nächstes wartet er mit einer Persönlichkeit auf, die einen Geist sieht, der drogenabhängig ist. Seto kann alles“ Yami grinste breit.

„Gar nicht. Als nächstes kommt ein kleines Mädchen und ich stecke ihn in rosa Kleider.“

„Oder spricht nur russisch. Bei Setos Sprachrepertoire kann alles Mögliche passieren.“

„Könnte er eine taubstumme Persönlichkeit haben? Dann müsste ich Gebärdensprache lernen.“

„Katsuya, es kann absolut alles auftreten“ Yami trank einen Schluck Saft. „Ein dreijähriges tibetanisches Mädchen mit halbseitiger Lähmung und plötzlichen Wutanfällen, wenn es denn sein muss. Persönlichkeiten bilden sich aus Traumata oder weil sie gebraucht werden, um das Gesamtgebilde aufrecht zu erhalten. Entweder sie sind da, um Erinnerungen zu tragen oder weil sie eine Funktion haben. Seth ist zum Beispiel ganz klar da, um den Alltag zu bewältigen.“

„Er sagte, er sei ein Konstrukt, geschaffen, um den Rest zu schützen“, murmelte der Blonde. Bei allen Göttern, die Erkenntnis nur ein Seelensplitter zu sein war eine Sache, aber die Erkenntnis, dass man ein von einem kranken Geist geschaffenes Konstrukt war, das nur für die Bewältigung einer Aufgabe existierte? Kein Wunder, dass er sich bisweilen scheiße fühlte.

„Er ist erstaunlich weit“ Yamis Stirn legte sich in Falten. „Vielleicht heilt er bereits. Zumindest scheint er nicht das große Problem einiger Erkrankter zu haben, dass er jahrelang nicht glauben will, dass er diese Krankheit hat.“
 

„Yami?“ Katsuyas Stimme zitterte leicht.

Dieser nickte, aber er sah es kaum, da er aufsprang und begann, durch die Küche zu tigern. Es brauchte eine Nachfrage von Yami, bevor er sagte: „Mein Verlobter ... also die Persönlichkeit, die ich liebe. Nein, die Persönlichkeiten ... das sind Seth und der Jugendliche. Was, wenn sie beide Konstrukte sind? Liebe ich dann überhaupt einen Menschen?“

Er ging zum Kühlschrank, zur Tür und zurück. Erst, als er die Tür erneut erreichte, drehte er sich ruckartig zu Yami. Dieser sah ihn an, aber ... Katsuya schluckte. Was sollte ihm dieser Ausdruck sagen?

Der Andere atmete tief durch und sagte: „Seto wird sich ändern. Egal, was noch passiert, er wird sich ändern. Und diese Änderung verlangt, dass du seine Persönlichkeiten alle liebst, sei es leidenschaftlich oder fürsorglich wie für Klein-Seto, oder sie zumindest tolerierst. Aber es verlangt auch, dass du sie gehen lassen kannst, wenn es zu einer Integration kommt. Und dass du der neuen Persönlichkeit dann offen gegenüber stehst.“

Katsuya atmete tief durch. Gehen lassen? Wie sollte er Seth gehen lassen? Er liebte ihn. Und er merkte, wie er begann, sich in den Jugendlichen zu verlieben. Aber selbst wenn diese zwei sich integrierten, könnte er diese neue Persönlichkeit lieben? Das war doch eigentlich keiner von beiden mehr. Und gleichzeitig waren es beide zusammen. War das wirklich Liebe? Den geliebten Menschen aufzugeben, möglicherweise immer wieder, weil immer neue Persönlichkeiten integriert werden würden? Er lehnte sich gegen die Wand und ließ sich daran herunter sacken, bis er auf dem Fußboden saß.

Yami wechselte den Stuhl, um in seiner Nähe zu sitzen, aber er sagte nichts.

Diese Krankheit war scheiße kompliziert. Sie veränderte einen Menschen nicht zeitweise. Sie veränderte ihn auf ewig. Und zwar nicht so, dass ein Arm oder ein Bein fehlte, sondern die Persönlichkeit änderte sich. Auch wenn er Setos Körper sicherlich auch liebte, ein Arm oder ein Bein weniger, das würde er verkraften. Aber sein schwarzer Humor oder sein kindliches Lachen weniger, würde er das verkraften? Wenn Seto sein Interesse am Diskutieren verlor oder seine schier unendliche Sorge und Umsicht, würde er damit nicht etwas Essentielles verlieren?

Menschen veränderten sich mit der Zeit, so war der Lauf der Dinge. Wäre Seto nicht krank, vielleicht würde er trotzdem mit den Jahren einige Sachen verlieren, die ihn ausmachten und dafür andere dazugewinnen. Aber es machte einen Unterschied, ob das eine Sache in drei Jahren oder mehrere essentielle Eigenschaften in wenigen Monaten waren. Würde er in den integrierten Persönlichkeiten nicht nur den Geist derer suchen, die er geliebt hatte? Oder war Liebe so formbar, dass sie sich den neuen Gegebenheiten einfach anpasste? Dass er sich in den jugendlichen Seto verliebte, das akzeptierte er ja auch einfach so, obwohl er Seth über alles liebte. Oder war das nicht vergleichbar? Er konnte mehrere gleichzeitig lieben, das wusste er. Er konnte auch Veränderungen lieben. Seth war von sarkastisch unnahbar zu fürsorglich und wieder zu sarkastisch gewechselt und er liebte ihn in jeder Form. Aber reichte das, um jemanden mit dieser Krankheit wirklich überzeugt sagen zu können, dass man ihn liebte?
 

„Aber es kann auch sein, dass Seto keine Integration will. Er kann höchstwahrscheinlich auch recht harmonisch mit mehreren Persönlichkeiten leben. Vielleicht wird es nie zu einer Integration kommen“, sagte Yami leise.

„Ich werde das nehmen, was kommt“ Katsuya lächelte kurz. „Und ich glaube, ich sollte aufhören, über Liebe nachzudenken. Das macht bei mir und Seto ja richtig depressiv.“

Yami lächelte nur und meinte nach einem Moment: „Weißt du, das mit dem Kerl damals ... der, der mich in die Prostitution brachte ... da habe ich auch viel über Liebe nachgedacht. Ist das Liebe, wenn du einem Menschen hinterher rennst, den es eigentlich gar nicht gibt? Jemand, der dir nur vorgespielt wird? So groß anders ist das nicht zu der Frage, ob Liebe zu einer erschaffenen Persönlichkeit nun Liebe ist oder nicht. Meine Antwort für mich selbst war, dass dieser Mensch für mich nun einmal echt war. Ich habe diesen Menschen geliebt. Und ich habe auch um ihn getrauert, als ich ihn verlor. Auch, wenn es nur ein Schauspiel war. Für mich war es echt.“

„Wenn Seth sich mit dem TI oder Seto vereint, werde ich auch trauern, oder?“

„Mich würde es wundern, wenn nicht. Und ich hoffe, dass Seto deine Trauer verstehen wird. Und nicht darauf hin wieder spaltet, weil er nicht will, dass du traurig bist“ Yami seufzte. „Deswegen ist es so wichtig, dass du auch den neuen Persönlichkeiten gegenüber offen bist. Denn sonst wird Seto sich selbst wieder zerstören ... für dich.“

„Manchmal macht es mir Angst, wie wichtig ich für ihn bin“ Katsuya seufzte.

„Gerade bist du sein Morgen- und Abendstern. Selbst, wenn er sich nicht umbringt, wenn du ihn verlässt, ist gleichzeitig deine Trauer, sollte er es tun, der einzige Grund, warum er es lassen würde“ Yami lehnte sich vor und griff Katsuyas Schulter. „Aber auch das wird sich mit der Zeit ändern. Je sicherer und stabiler er wird, desto mehr Freude wird er aus seinem eigenen Leben ziehen und desto weniger wichtig wirst du.“

„Bis ich irgendwann gar nicht mehr wichtig bin?“ Katsuya hob mit traurigen Augen einen Mundwinkel.

„Die Gefahr besteht, ja. Aber die besteht in jeder Beziehung. Man geht zwangsläufig auseinander, so ist das Leben. Die Frage ist immer nur, ob man sich die Mühe macht, auch wieder zusammen zu kommen.“

„Hmpf“ Katsuya konnte das Grinsen nicht unterdrücken. „Eines Tages wirst du einen Mann sehr glücklich machen.“

„Oder eine Frau. Man weiß ja nie. Vielleicht komme ich irgendwann mit Noah zusammen. Man kann nie wissen“ Yamis Blick verlor sich in der Küchenwand. „Er ist so ein schrecklicher Snob. Ich hasse es, wie er auf mich herab sieht.“

„Ihr scheint euch da gegenseitig nicht viel zu geben“ Eine blonde Augenbraue hob sich.

„Es hat mich allerdings überrascht, wie sehr er mich bei dem Ausstieg unterstützt hat. Ich habe jetzt einen echten Arbeitsvertrag. Das geht weit über das Maß der Hilfsbereitschaft hinaus. Selbst, wenn sich Seto für mich eingesetzt hat, was ich nicht ganz glauben kann, ist das sehr korrekt. Ich meine, okay, er hat ein Heidengeld, er kann es sich leisten, jeden Monat mein Gehalt zum Fenster raus zu werfen, aber trotzdem ... das ist ein Vertrag über ein ganzes Jahr. Das ist eine Menge Geld für ein bisschen Wohltätigkeit.“

„Er hat Shizuka und Isamu aufgenommen, da kannte er sie gerade mal ein paar Stunden. Dafür hat er sogar dieses Training gemacht ... warte mal, sollte das nicht acht Wochen gehen? Ist Shizuka nicht schon nach zwei oder drei Wochen bei ihm eingezogen?“ Yami zuckte mit den Schultern. „Na ja, auch egal. Was ich meine, ist: Er hat anscheinend einen ziemlichen Hang zur Wohltätigkeit. Wahrscheinlich nimmt er jedes verlassene Kätzchen auf, was er findet. Und warum auch nicht? Du bist doch dankbar, oder? Ich vermute, du machst ziemlich gute Arbeit in dieser Abteilung. Dankbare Mitarbeiter sind loyale Mitarbeiter. Und die sind meist auch fleißig.“

„Hm ...“ Yami nickte langsam, der Blick dabei auf den Boden gerichtet. „Trotzdem ... es hat mich sehr überrascht. Er mochte mich nicht, aber er hat trotzdem geholfen. Mehr als nur geholfen. Und das, wo sein Bruder ihm sicherlich erzählt hat, du hättest ihn mit mir betrogen. Da hat er sich gar nichts draus gemacht und geholfen“ Er sah auf, ein Ausdruck von Unglauben und Erstaunen auf seinen Zügen. „Je mehr ich darüber nachdenke, desto erstaunlicher finde ich die ganze Sache.“

„Ich habe Gefühl, Noah ist einer der wenigen Menschen, der andere mit Freundlichkeit zermürben kann“ Katsuya lächelte. „Oder er hat einen noch schlimmeren Helferkomplex als du.“

Ikar

*Trommelwirbel*

Ich präsentiere...

*Crescendo der Trommeln*

...die Auflösung!

*absolute Stille*

Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

WARNUNG: Kein gut verdaulicher Inhalt!
 

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Nach einer weiteren halben Stunde Gespräch klingelte es an der Tür. Yami und Katsuya warfen sich ein Lächeln zu, erhoben sich gleichzeitig und schlenderten in den Flur. Der Blonde lehnte sich leger gegen einen Kistenstapel, während Yami öffnete.

„Guten Abend“ Mit dem Ansatz eines Lächelns trat Seto, nun ja, Seth hinein, bevor dieses plötzlich in ein breites Grinsen umschlug und zwei Arme von beiden Seiten auf den Jüngeren zuflogen. „Katsuya!“

„Hi, Seto“ Der Jugendliche. Wie auch immer sein Name war. Katsuya legte seine Arme ebenfalls um ihn und drückte einmal, bevor er sich löste. „Zieh erstmal die Schuhe aus.“

„Wir gehen nicht nach Hause?“ Die Enttäuschung und ein Hauch von Vorwurf waren klar aus der Stimme zu hören. Vom Ausdruck her fehlten Seto eigentlich nur Häschenohren, von denen eins auf Halbmast hing.

„Gemach, gemach“ Katsuya packte dessen Oberarme und massierte sie. „Zieh die Schuhe aus, wir setzen uns ins Wohnzimmer und trinken etwas. Magst du Orangensaft?“

„Na gut“ Sein Gegenüber klang eine Spur beleidigt, trat allerdings aus seinen Schuhen – wortwörtlich, er trat mit einem Fuß hinten auf die Sohle und zog den Fuß heraus, als würde er einfache Turnschuhe und keine Designer-Anzug-Schuhe tragen. Ganz klar der jugendliche Seto.

Yami währenddessen holte Getränke für alle und trug sie an ihnen vorbei ins Wohnzimmer. Katsuya folgte mit Seto, nachdem dieser auch seinen Mantel ausgezogen hatte. Jeans mit schwarzem Anzughemd. Katsuya erwischte sich bei dem Gedanken, einen Abstecher zum Schlafzimmer einzubauen. Mit einem leisen Seufzen zog er seinen Freund stattdessen auf die Couch, wo dieser die Arme um ihn legte und sein Haupt auf seine Schulter bettete. Katsuya fühlte sich wie ein ziemlicher Pascha, als er sich zurücklehnte.

„Kennst du mich überhaupt?“, fragte Yami ihn, der sich in einem Meter Entfernung nieder ließ.

„Klar, ich habe gegen dich Magic&Wizards gespielt. Du bist einer der wenigen, der mich geschlagen hat“ Seto grinste.

„Ach, du warst das? Du hast ein ziemlich gutes Pokerface.“

„Das habe ich Se-“ Er stoppte plötzlich. „Das war ... das habe ich geübt.“

„Das war Seth?“, vervollständigte Yami das, „Keine Sorge, ich weiß schon von euch.“

„Weißt du?“ Seto sah mit fast panisch geweiteten Lidern zu Katsuya auf. „Aber wer ... wie ... es ist doch verboten, das Geheimnis zu verraten!“

„Keine Angst, keiner von uns ist böse auf dich“ War das das richtige? Katsuya hielt Seto fest in seinem Arm und versuchte Ruhe in seine Stimme zu legen. „Keiner hat etwas verraten. Wir wissen es, weil wir dich gut kennen.“

„Oh“ Der Brünette blinzelte langsam und nickte schließlich. „Dann ist das okay ... oder?“

„Mit uns beiden kannst du frei sprechen“, versicherte Katsuya ihm und schwieg einen Moment, „Magst du mir jetzt vielleicht deinen richtigen Namen sagen?“

„Darf ich?“ Obwohl Seto ihn ansah, schien er ihn doch nicht zu fixieren. Genau genommen hatte Katsuya nicht einmal das Gefühl, dass die Frage an ihn gerichtet war. Nach einem Moment verengten sich Setos Pupillen und er schien ihn wieder anzusehen. „Mein Name ist Ikar.“
 

Einen Moment lang wurde Katsuyas Mund staubtrocken. Er versuchte zu schlucken, aber irgendwie schien keine Spucke dafür da zu sein. Er drückte Seto an sich, ein Arm um seine Brust, einer um seinen Kopf, sodass er ihm nicht mehr in die blaugrauen Augen sah.

Es stimmte also. Seto hatte DID. Damit war es bewiesen.

Er atmete tief durch. Mit der Hand an Setos Kopf kraulte er das braune Haar, das er einen Moment betrachtete, bevor er mit etwas brüchiger Stimme sagte: „Ikar also. Hat der Name eine Bedeutung?“

„Er stammt von Ikarus“ Seto drückte sich gegen die Hand, um wieder aufzusehen. Er grinste breit. „Kennst du die Legende?“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Ikarus war mit seinem Vater auf eine Insel verbannt worden, aber sie wollten zurück aufs Festland. Sie waren jedoch verflucht, sodass Schwimmen und Schifffahrt unmöglich war. Ikarus fasste also den Plan, ans Festland zu fliegen. Er bastelte und probierte und irgendwann schaffte er es, echte Flügel zu bauen. Und damit flog er Richtung Festland“ Seto zog beide Arme zu sich, legte sie auf Katsuyas Brust und den Kopf darauf. „Allerdings hatte er als Klebestoff für die Federn Wachs und Honig benutzt. Da er der Sonne beim Fliegen zu nahe kam, schmolzen die Flügel und er stürzte in den Tod.“

Katsuya blinzelte. Das klang ... nicht wirklich erbauend. Was sagte man denn auf so etwas?

„Hast du dir den Namen ausgesucht?“, fragte Yami als Rettung.

„Ne, den hat Seto mir gegeben“ Ikar lächelte. „Ich bin ein Sonnenfanatiker. Ich mag es nicht, wenn es dunkel ist.“

„Wegen der Kellerräume?“, platzte es aus Katsuya hervor, bevor er sich stoppen konnte. Idiot! Das war ein echt schweres Trauma für Seto! Wie konnte er das einfach so in den Raum schmeißen?

Wie nicht unerwartet verschwand Ikars Lächeln sofort. Er senkte den Blick und murmelte: „Zum Beispiel ... ich ... ich war immer draußen, wenn wir irgendwo eingesperrt wurden ... das war immer meine Aufgabe.“

„Ist dir das Licht hell genug?“, fragte Yami mit sanfter Stimme nach. Der Raum lag nämlich im Halbdunkeln, da das Wohnzimmer gedimmt war.

„Passt schon“ Mit einem Lächeln griff Ikar eine von Katsuyas blonden Strähnen. „Meine Sonne ist doch hier.“
 

Sonne ... so hatte ihn Seth auch mal genannt. Waren Ikar und er wirklich verschiedene Personen? Wie kam es, dass Ikar seinen Namen genau kannte, Seth aber nicht? Warum war Seth nicht klar gewesen, dass er DID hat, obwohl er anscheinend drei weitere Persönlichkeiten kannte? Er hatte Erinnerungen an die Kartenspiele und die Einsperrungen bei Gozaburo. Er hatte anscheinend schon vor dreizehn Jahren mit Ikar zusammen agiert. Wie konnte er nicht bemerkt haben, dass da mehrere waren?

„Weißt du, wann du geboren wurdest?“, fragte Yami den Brünetten.

Das Lächeln verschwand wieder. Ikar nickte nur, den Blick fixiert auf Yami. Seine Augen schienen zu bitten, dass dieser nicht weiter nachfrage. Yami erwiderte den Blick stumm. Nach einem Moment seufzte Ikar und sagte sehr leise: „Sehr früh. Wenn die Mutter uns nicht mehr haben wollte, sperrte sie uns in einen Schrank. Aber unser Geschrei war ihr zu laut. Also sperrte sie uns in die Mülltonne hinter dem Haus. Das erste Mal in dieser Mülltonne ... es war so unsäglich heiß. Es stank bestialisch. Es ist dunkel, fast völlig dunkel. Da ist ein Spalt oben, ein ganz kleiner Lichtschein. Er wird immer schwächer. Die Hände verschwimmen vor den Augen. Und es ist dunkel. Es ist so dunkel.“

Ikars Atem ging immer schneller, plötzlich stieß er einen Schrei aus, fuhr auf. Er schlang die Arme um sich. Er hockte auf seinen Fersen, atmete rasend, wippte vor und zurück. Er schrie: „Ich kann nichts sehen! Ich kann nichts sehen!“

„Halt ihn fest und rede!“, befahl Yami und sprang auf. Mit wenigen Schritten war er am Dimmer und drehte auf.

Katsuya währenddessen packte Ikar an den Schultern. Was sollte er denn sagen? „Ruhig ... ganz ruhig ... du bist in Sicherheit. Hier ist keine Mülltonne. Du bist in einem hellen Wohnzimmer“ Yami setzte sich wieder neben ihn. „Hier ist überall Licht. Du kannst es auch sehen. Du musst nur die Augen aufmachen. Hier ist ganz viel Platz und Licht. Vertrau mir.“

Ikar blinzelte kurz auf, sofort wieder zu. Er atmete tief ein. Die Lider öffneten sich einen Spalt. Ganz vorsichtig blickte er auf, sah sich um. Es schien, als würde er den Raum zum ersten Mal sehen. Nach fast einer halben Minute kam sein Blick auf dem schweigenden Katsuya zu liegen. Mit einem breiten Lächeln meinte er plötzlich: „Stimmt.“

Katsuya konnte das kurze Lachen nicht unterdrücken. Oh Hilfe ... der war echt zu gut. Seth war nach seinen Flashbacks geschafft, Seto kuschelig. Ikar hingegen schien einfach nur froh, dass es vorbei war. Lächelnd kroch er wieder näher und legte sich zurück auf Katsuyas Brust. Seine Welt schien in Ordnung, solange er an Katsuya hängen konnte. Kein Wunder, dass er sich gerade Hals über Kopf in Ikar verliebte.

„Du bist jetzt sicher“, murmelte Katsuya noch mal und küsste ihn auf den Kopf, „Verrätst du mir als nächstes, wie alt du bist?“

„Fünfzehn.“
 

Ups.

Katsuya schluckte. Fünfzehn? War das nicht irgendwie ... im Endeffekt war Ikar minderjährig. Nicht körperlich, aber geistig. Wahrscheinlich war das letzte Woche effektiv sein erstes Mal gewesen. Kein Wunder, dass er unsicher und schüchtern war. Andererseits hatte er als Frechdachs schon Schwester Martha geärgert, das war einige Wochen mehr her und hatte immer auf gewisse Ereignisse gefolgt.

„Hast du Schwester Martha geärgert?“

Ikar grinste nur breit. Seto hatte verdammt schöne Zähne. Wie konnten die so weiß sein, obwohl er rauchte? Bleichte er die? Nun ja, auf jeden Fall schien er der Frechdachs zu sein.

„Das war mit Seth zusammen. Ich tauche fast immer nur mit Seth zusammen auf. Jetzt, wo ich ... nicht mehr eingesperrt werde“ Ikar atmete tief durch. „Als du anfingst mit Romantik, kam der ziemlich ins Rudern. Er hat sich Beziehungstipps bei mir geholt, kannst du dir das vorstellen?“

Katsuya prustete los. Selbst Yami biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick ab. Oh Hilfe, die Vorstellung war gut ... der große, unnahbare Seth, der Beziehungstipps bei einem Fünfzehnjährigen holte. Na klasse.

„Viele von uns haben Angst gehabt, als er Gefühle für dich entwickelte“ Ikar legte den Kopf seitlich auf Katsuyas Brust, sodass er ihm nicht mehr in die Augen sehen konnte. „Wir dachten immer, er hat keine Gefühle. Er ist doch nur unser Gefäß. Unsere Verbindung zur Außenwelt. Wir haben ihm immer Gefühle geschickt, die er dann umsetzen sollte. Er war wie eine Leinwand, die wir bemalt haben. Dass er plötzlich selbstständig wurde ... das hat uns sehr verängstigt. Alle dachten, es seien meine Gefühle. Sie haben mich beschimpft ... alle waren böse auf mich.“

„Wer sind denn alle?“, fragte Yami vorsichtig nach.

Ikars Blick legte sich auf ihn und wieder schwieg er einige Momente. Sein Blick defokussierte und fokussierte erneut. Vielleicht sah es so aus, wenn er sich mit allen anderen beriet. Er antwortete mit einigen Sekunden Versatz: „Seth, unser Gefäß. Seto, Mutters Liebling. Angst. Es heißt einfach nur Angst. Ein ziemlich verstörtes Kind. Imalia, unsere Pflegemutter. Und der Wächter, der die Erinnerungen verwaltet“ – er atmete tief durch – „Angst schreit immer. Angst ist immer wegen irgendetwas sauer und sieht alles prinzipiell als schlecht. Das geht mir echt auf die Nerven. Angst hat mich die ganze Zeit angeschrieen, wie ich so etwas Dummes tun konnte wie mich zu verlieben, also bin ich mit Seth raus, um dich kennen zu lernen. Und du warst voll cool“ – er grinste – „Seitdem unterstütze ich Seth.“

Katsuya hob die Hand, um Ikar zu kraulen. Das waren mit ihm sechs Persönlichkeiten, wenn er richtig zählte. Und Angst dürfte der sein, den er als TI kennen gelernt hatte. Die Vorstellung, dass ein Kind ihm die Narbe an seiner Stirn gegeben und beinahe seine Hand gebrochen hatte, war ein wenig verstörend. Angst schien ihn echt nicht leiden zu können.

Und Imalia und der Wächter waren zwei Unbekannte für ihn.

Nun ja, zumindest klangen sie freundlich.

Und keiner schien aus Tibet zu kommen oder halbseitig gelähmt zu sein.

Ein kompliziertes Konstrukt

So, hier ein Schwenker aus Setos Leben. Wie immer mit Flashbackgefahr (das hätte ich zum letzten Kapitel auch sagen sollen, oder?). Aber keine große. Mich würde wundern, wenn der Zufall eintrifft, das jemand etwas ähnliches erlebt hat und auch noch so stark traumatisiert ist, dass diese sehr oberflächliche Beschreibung Flashbacks hervor ruft. Aber besser sicher, was?

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen! Nächste Woche Montag fliege ich übrigens über den großen Pott und komme erst dienstags an, also kommt das Kapitel einen Tag später.
 

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Katsuya hielt Ikar sicher in seinem Arm und ließ seinen Gedanken erstmal freien Lauf. So etwas musste schließlich verarbeitet werden.

Seto hatte also DID. Er hatte sechs Persönlichkeiten. Die eigentliche Persönlichkeit Seto war ein fünfjähriges Kind. Ein weiteres Kind war Angst, der die Aggressionen und die Verlassensängste trug. Höchstwahrscheinlich die Persönlichkeit mit den meisten Traumata. Und Ikar war im Endeffekt mit fünfzehn auch noch ein Kind. Allerdings war dieser in ihn verliebt und anscheinend stolz auf die Beziehung mit Katsuya. Und er trug auch einige Traumata. Dann war da eine Frau namens Imalia, über die er noch nichts wusste. Und ein Verwalter der Erinnerungen namens Wächter. Und schließlich Seth – Seth, der geschaffen worden war, um mit der Welt umzugehen. Seth, der die Verbindung der anderen fünf mit der Welt darstellte. Der eigentlich ohne Gefühle geschaffen worden war und einfach nur die Gefühle und Bedürfnisse der anderen fünf umsetzte. Bis zu dem schicksalhaften Tag, wo er sich in Katsuya verliebt hatte.

Vielleicht war das nicht der richtige Moment, aber Katsuya fand das heillos romantisch. Seths allererstes eigenes Gefühl war Liebe zu Katsuya gewesen. Jetzt mal ehrlich, wenn das kein Liebesbeweis war ... anscheinend hatte Seth ja keine Ahnung von Romantik und hatte sich dafür sogar Tipps bei einem Fünfzehnjährigen geholt, aber mit all diesen neuen Informationen erschien er Katsuya gerade der Inbegriff von Romantik.

„Kannst du mir mehr über euch erzählen?“ Yami rückte näher, aber nicht so nah, dass er Katsuya berührte.

„Was willst du denn wissen?“ Ikar, der eng an Katsuya gekuschelt lag, schien rundum zufrieden und lächelte. Ihm machte das mit den vielen Persönlichkeiten im Kopf anscheinend nichts aus. Andererseits lebte er schon recht lange mit ihnen, nicht wahr?

„Nun ... wann wurden die anderen alle geboren? Und warum?“

„Tja“ Ikars Blick wandte sich zur Decke. „Ich weiß nicht, wie alt der Körper war, als ich geboren wurde. Zeit ist etwas sehr schwer fassbares ... wenn ich messe, wie alt Mokuba war mit welcher Größe, dann waren wir wohl so zwei.“

Katsuya schloss die Lider. Bei allen Göttern. Setos Mutter hatte ihr zweijähriges Kind in die Mülltonne geschmissen, weil es ihr zu laut schrie, wenn sie es in den Schrank sperrte? Dieses Drecksvieh hatte ihren Tod verdient. Seine eigene war ja nicht gerade eine Ausgeburt an Mütterlichkeit gewesen, aber das hier sprengte alle Grenzen. Sein Atem zitterte vor Wut, aber er versuchte, ruhig zu atmen. Ruhig bleiben. Es half niemandem, wenn er wütend wurde. Die Mutter war recht sicher tot.
 

„Seto und Angst gab es da schon. Ich vermute, eins ist die erste Seele und das andere Kind daraus gespalten. Ich weiß aber nicht, wann das war. Das weiß nicht einmal der Wächter. Imalia entstand, als Mutter starb. Weil sich jemand um Mokuba kümmern musste und keiner von uns das konnte. Sie ist toll. Sie ist groß und stark und super lieb“ Ein Grinsen war aus dem Ton heraus zu hören. „Ich habe sie von Anfang an gern gehabt. Wenn sie sich nicht um Mokuba gekümmert hat, hat sie mit den zwei Kleinen gespielt. Und ich bin zur Schule gegangen. Sie kam raus und hat sauber gemacht und gekocht und ist mit Mokuba zum Arzt. Sie ist eine viel bessere Mama als Mutter“ Katsuya spürte Bewegung an seiner Brust, sah hinunter und erblickte einen Schmollmund in Ikars Gesicht. „Nur Seto will das nicht hören. Er hat ja auch keine schlechte Erinnerung an Mutter. Ich sage ihm manchmal, dass sie nicht nett war, aber er sagt, ich lüge. Das ist doof.“

Huh ... schon irgendwie cool, wenn man Mutter und Kind zugleich war. Wenn eine Persönlichkeit raus kam, Essen kochte und dann ein Kind raus kam, um es zu essen. Und es hieß, Seto konnte doch kochen! Also, nun ja, Imalia konnte kochen. Aber Imalia war ein Teil von Gesamt-Seto. Sich so etwas praktisch im Alltag vorzustellen war schon echt schräg. Hatte es das betrunkene Kindermädchen auf der Couch wirklich gegeben? Was musste sie gedacht haben, als ein fünfjähriger Junge ein Neugeborenes durch die Gegend trug und in den Schlaf wiegte? Nur um im nächsten Moment als Frechdachs Randale zu machen? Hatte sie es überhaupt bemerkt? Hatte es ihr irgendwelche Gedanken gemacht?

„Größtenteils haben Imalia und ich uns abgewechselt. Ich wollte schnell groß werden. So groß wie sie. Ich hab‘ gebüffelt ohne Ende und sie hat sich um Mokuba gekümmert. Sie wollte immer raus aus dem Waisenhaus, ich wollte erwachsen sein und arbeiten. Wir wollten die Kleinen schützen. Und Mokuba. Und als dann ... nach der Adoption ... da ging alles den Bach runter“ Ikar schluckte und festigte seinen Griff um Katsuya. „Das meiste ist totales Chaos. Andauernd kam Angst raus. Ich weiß nicht, warum. Angst hat immer den ganzen Schmerz genommen. Ich bin so oft wieder raus gekommen und irgendwo hat irgendetwas weh getan. Seto fürchtete sich und verstand das alles nicht. Wir haben ihn zur Sicherheit eingesperrt. Und Mokuba sahen wir nicht mehr. Imalia hat den ganzen Tag geweint. Ich wusste einfach nicht, was ich tun soll ... und dann war der Wächter da. Ganz plötzlich. Er hat sozusagen das Steuer übernommen.“

Das Steuer übernommen? War das der freundliche Ausdruck dafür, dass er Gozaburo Kaiba in den Tod getrieben hatte? Wenn ja, dann war der Wächter eine extrem gefährliche Person. Natürlich war sein Handeln irgendwo verständlich, aber ... gut war es nicht. Selbst, wenn es die einzige Möglichkeit gewesen war. Was war der Wächter wohl für ein Mensch?
 

„Nach dem Mord hat er sich zurück gezogen. Er sagte, er will nie wieder nach draußen. Dass das alles sei, was er für uns tun würde. Er wollte mit uns nichts zu tun haben“ Ikars Stimme zitterte ein wenig, aber es schien, als würde er eine Geschichte erzählen, die er sich schon oft selbst erzählt hatte. Wie gut eingeübt. „Aber die Freiheit ... das war etwas sehr Beängstigendes. Also war Angst draußen. Wenn Angst draußen ist, wissen wir oft nicht, was geschieht. Aber Noah und Mokuba waren verletzt und hatten Angst vor mir, also konnte ich es mir denken. Ich war so froh, Mokuba wieder zu sehen, ich wollte nur mit ihm spielen, aber ... er lief schreiend vor mir weg. Imalia war verzweifelt. Sie braucht ihre Kinder. Angst konnte sie nicht mehr erreichen, es war zu ... kaputt. Seto wollte von der Welt nichts mehr wissen, nachdem wir ihn so lange eingesperrt hatten. Und Mokuba hatte Angst vor ... vor Angst. Ich wachte andauernd wieder im Krankenhaus auf. Angst versuchte, sich umzubringen. Uns umzubringen. Imalia und ich wussten, was in unserem Kopf passiert. Wir versuchten das dem Wächter zu erklären. Das wir alle eins sind und nur überleben, wenn wir zusammen arbeiten. Und irgendwann stimmte er zu. Er ... das ist schwer zu beschreiben. Er schaute in Imalias Kopf und dann in meinen. Er nahm die Erinnerungen und teilte sie mit uns. Setos auch. Nur Angst konnte er nicht erreichen. Er nahm einige Erinnerungen und Gefühle und Eigenschaften und machte daraus eine neue Persönlichkeit namens Seth. Seth bekam ein bisschen von uns allen. Und dann warfen wir ihn raus. Seitdem war er draußen und wir alle waren sicher hinter ihm. Imalia konnte sich wieder um die zwei Kleinen kümmern und ich ... ich hatte endlich Ruhe. Ich wollte nicht mehr groß sein. Ich habe Seth all dieses Großsein gegeben.“

Einen langen Moment herrschte Schweigen. Yami betrachtete Ikar und dieser sah zurück. Der mittlerweile Schwarzhaarige nickte langsam. Das war ein reichlich bescheidenes Leben. Die Misshandlung der Mutter – außer der schlimmsten, die wohl Angst erlebte – dann nur Leistung und Lernen, dann all diese Verwirrung in der Zeit bei dem alten Kaiba und schließlich die noch schlimmere Zeit nach dem Mord. Kein Wunder, dass Ikar nicht mehr gewollte hatte. Der Wächter hatte für alle ihm gestellten Probleme ziemlich effektive Lösungen gefunden, aber ... moralisch war er reichlich fragwürdig. Doch die Erschaffung von Seth war gut gewesen. Für alle.

„Tja ... Seth war die ganze Zeit draußen. Bis Seto plötzlich raus wollte. Allein. Keiner hatte das geahnt, er war plötzlich ... plötzlich war er draußen und Seth drinnen bei uns. Seth ist fast durchgedreht. Dafür war er nicht gemacht. Wächter hat ihn schlafen gelegt und ihm die Erinnerungen genommen. Wächter hat ziemlich viel in Seths Erinnerungen manipuliert, damit dieser zwar grob weiß, wer er ist, aber nicht weiß, dass es uns gibt. Er wusste es schon irgendwie, aber ... es war ihm nicht wirklich bewusst. Wächter hat immer wieder Erinnerungen gesperrt oder ihm Gedanken entzogen. Seth musste stabil sein. Und Wächter hielt ihn die vielen Jahre stabil“ Ikar seufzte. „Wächter ist gerade ziemlich sauer. Weil Seto sich immer wieder an Seth vorbei mogelt. Und ich mittlerweile auch. Ich bin all das Gemaule und Geschrei Leid. Ich will einfach nur hier sein ... bei Katsuya.“
 

Und zu Anfang der Heilung drängten sich alle Persönlichkeiten nach vorne und vergaßen, dass sie sich den Körper teilen mussten. Das hatte Yami erzählt. Das hörte sich ziemlich nach dem an, was Ikar da sagte. Er stahl den Körper und Seth konnte nicht arbeiten gehen. Jetzt gerade wieder. So wie Seto heraus gekommen war, wann immer es sicher schien. Der Wächter musste das alles irgendwie organisiert kriegen, dass Seto und Ikar sich nicht an die Regeln hielten. Und irgendwer kontrollierte die ganze Zeit, dass Angst nicht nach vorne stürmte. Das hörte sich nicht gerade sehr harmonisch an.

„Danke, Ikar“ Yami nickte entschieden. „Ich denke, jetzt verstehe ich, was da in dir vorgeht. Hast du alle um Erlaubnis gefragt, uns das zu erzählen?“

„Wächter hat ja gesagt. Und Wächter entscheidet“ Ikar schloss die Lider und machte es sich auf Katsuya bequem. „Er befiehlt, ich soll wieder rein kommen. Bis bald, Katsuya.“

„Bis bald“, murmelte Katsuya leise. Mehr aus Gewohnheit als aus klarer Antwort. Ikar ging? In den Kopf? Und heraus kam ... ah. Der Brünette richtete sich auf und sah zwischen Yami und Katsuya mit kalkulierendem Blick hin und her.

„Seth?“, fragte Katsuya nach, obwohl er recht sicher war.

„Ich ... ja“ Er seufzte und setzte sich auf. Katsuya tat es ihm nach. „Kannst du mich weiter Seto nennen? Ich gehöre nicht zu diesem Kabinett von … Verschwörern. Ich bin einfach nur ... da. Und ich kann mich nur daran erinnern, wie man mich Seto nennt. Dieser andere Name ist mir fremd.“

„Sicher“ Katsuya rutschte heran und setzte einen Kuss auf Setos Wange. „Wollen wir nach Hause fahren?“

Seto nickte nur und sah zu Yami. Beide sahen sich einen Moment lang an, sagten aber kein Wort. Zur Abwechslung schien Yami mal ziemlich sprachlos. Was sollte er auch sagen? Tut mir Leid für dich? Da schien irgendwie überhaupt nichts angemessen. Seth war ein Konstrukt. Das hatte er vorher geahnt, jetzt wusste er es sicher. Er hatte DID. Dafür galt dasselbe.

„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte Yami schließlich.

„Keine Ahnung“ Seth schnaubte. „Wer weiß schon, ob es mein eigenes Bedürfnis ist.“

Bei allen Göttern ... Katsuya schluckte. So viel Bitterkeit. Was sollte er bloß tun? Er schwang ein Bein über Setos, setzte sich auf seinen Schoß und sagte: „Wir wissen auf jeden Fall, dass du mich liebst. Also kann ich etwas tun, was auf jeden Fall dein Bedürfnis betrifft.“

Er lehnte sich vor und küsste Seth.

Seto.

Die Persönlichkeit, mit der er verlobt war. Zumindest würde es wohl nicht mehr komplizierter werden. Sie schienen anscheinend nun den Boden erreicht zu haben. Katsuya löste den Kuss und legte seinen Kopf auf Setos Schulter. Seths Schulter. Egal.

Er wusste nicht, ob er Seth hielt oder Seth ihn, aber auf jeden Fall hielten sie sich gegenseitig.

Skrupellosigkeit

So, sitze am Flughafen von New York und werde seit drei Stunden mit Neuigkeiten über den Terroranschlag in Boston beschallt. Die neueste Idee ist alle Ausreisenden zu checken. Ich hoffe, sie haben nicht vor, uns jetzt alle zu befragen, bevor wir abfliegen...

Kommentarantworten kommen morgen, sobald ich gelandet bin :)

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Dein Blick wirkt abwesend“, bemerkte Katsuya leise.

Seto, der den Wagen fuhr, sah kurz zu ihm, bevor er den Blick wieder auf die Straße legte. Irgendwie schaffte er es manchmal, auf den Verkehr zu achten, aber dabei trotzdem auszusehen, als wäre es mit den Gedanken ganz woanders. Vielleicht war er das auch. Er schnaubte und schüttelte den Kopf.

„Ich hasse das“ Sein Ton klang ziemlich kalt. „Das alles. Diese Krankheit. Meine Rolle darin. Ich weiß sowieso nie, was ich fühle, was ich wirklich denke und jetzt ... jetzt weiß ich erst recht nicht, ob das, was ich irgendwann mal definieren kann, überhaupt mein Gefühl ist. Ich hasse es, wie die anderen mich missbrauchen. Ich bin doch im Endeffekt nur der Prügelknabe in diesem Konstrukt meiner Psyche. Von der einen Seite schlägt die Realität auf mich, von der anderen mein eigener Kopf“ Seto verzog den Mund, sodass es schon fast wirkte, als würde er die Zähne fletschen. „Ich hasse das. Ich will unabhängig sein. Ich habe keine Lust, mich kontrollieren zu lassen – am wenigsten von meinem eigenen Kopf.“

Katsuya seufzte lautlos. Ja, das war Seto ... also, Seth. So, wie er ihn kennen gelernt hatte. Herrisch, unabhängig, stets in Kontrolle. Kalt mit einer dahinter schwehlenden Wut. Nur richtete sie sich nun nicht gegen den Rest der Welt sondern gegen sich selbst.

Er sollte irgendetwas sagen, um Seto davon abzubringen.

Das konnte nicht gut ausgehen.

Katsuya schloss die Lider. Ihm fiel nichts ein. Er wäre auch sauer an Setos Stelle. Geschaffen und dann ohne Unterstützung rausgeworfen zu werden, von innen irgendwelche Wünsche aufgedrückt zu bekommen – es klang nicht nach dem freundlichsten Umgang miteinander.

„Weißt du, was das Schlimmste ist?“ Katsuya hob den Blick und sah zu Seto, dessen Augen mit einem wütenden Funkeln die Straße fixierten. „Der Wächter kontrolliert meine Erinnerungen und Gedanken. Wenn ich zu sehr aufmucke, wenn ich all diesen irren Gestalten einfach nur sage, dass sie mich freundlich gesagt mal kreuzweise können – dann nimmt er mir einfach meine Erinnerung. Oder meine Wut. Ich kann mich nicht einmal darüber aufregen!“

„Dann mach doch einen Deal mit ihm. Du erfüllst weiter deine Aufgabe, dafür hört er auf, dich zu kontrollieren“, schlug Katsuya vor.

Seto sah zu ihm. Ganze drei Sekunden. Zum Glück war es einfach nur eine gerade Straße, auf der gerade kein anderer fuhr. Er atmete tief aus, fast wie ein Seufzen und legte den Kopf nach rechts und links, sodass es knackte. Nach einigen Momenten murmelte er: „Vielleicht. Ich muss darüber nachdenken. Und so lange ich nachdenke, lässt du meine Gedanken in Ruhe, ist das klar?“

Der letzte Satz war ein einziges wütendes Knurren, dass er laut gegen den Rückspiegel richtete. Wahrscheinlich hoffte er, den Wächter damit zu erreichen. Konnten die anderen Persönlichkeiten ihn hören? Seth hatte ja anscheinend Ko-Bewusstsein, also bekam er – fast – alles mit. Hatte der Wächter das auch? Wenn er der großer Steuermann war, würde das Sinn machen.

„Ich will meine Kontrolle. Ich will meine eigenen Gedanken“ Die Wut schwand langsam aus Setos Stimme – er sagte jetzt einfach Seto zu Seth und nannte den echten Seto weiterhin Klein-Seto – und wurde durch Melancholie ersetzt. „Ich glaube, ich will auch die Erinnerungen ... wenn ich das richtig verstehe, habe ich ein paar Erinnerungen von Seto, ein paar von Ikar, von Imalia und die des Wächters. Aber von allen nur ein paar. Ich wurde anscheinend mit achtzehn oder neunzehn geschaffen ... es kann nicht sein, dass mir so viele Jahre meines Lebens praktisch fehlen. Ja, ich habe ein paar Erinnerungen, aber es sind wirklich nur Ausschnitte. Das merke ich jetzt. Es ist genug, damit ich mir eine Geschichte daraus basteln kann, aber mehr auch nicht. Da sind ... ich habe keine Einzelheiten. Keine Details. Wenn ich versuche, mir Mokuba als Kind vorzustellen, ist da nur Nebel“ Seine Stimme wurde immer leiser, als würde er mit sich selbst reden und gar nicht merken, dass er laut sprach. „Früher hat mich das nicht besorgt. Aber jetzt will ich mehr ...“
 

Katsuya schwieg einfach. Das musste Seto ehrlich mal mit sich selbst ausmachen. Und am besten, wenn er nicht gerade Auto fuhr. Er war recht erleichtert, als sie die Auffahrt erreichten und sicher das Haus betraten. Da Seto nach dem Ausziehen der Schuhe regungslos im Flur stehen blieb, führte er diesen ins Wohnzimmer, setzte ihn in seinen Lieblingssessel und warf eine Decke über ihn. Also, über seine Beine.

Hm ... und jetzt? Etwas zu trinken? Zu essen?

„Seto?“

...

Keine Reaktion. Er zuckte mit den Schultern und setzte sich mit einem Seufzen auf den Teppich vor dem Kamin. Er könnte ... mit der Konsole spielen. Irgendwann würde Seto bestimmt wieder zu sich kommen. Gerade gönnte Katsuya ihm seine Dissoziationen ehrlich gesagt. Er musste eine Runde mit sich selbst fertig werden.

Also spielen. Irgendetwas mit einer möglichst nervigen Musik und vielen Farben und Bildwechseln, um damit Setos Aufmerksamkeit zu fangen, sobald er wieder zu sich kam. Katsuya suchte sich durch den Schrank und stellte schließlich eins an, dessen Hüllenrücken ziemlich farbig ausgesehen hatte. Und ein Fantasy-Rollenspiel klang gerade genau nach der Harmonie, die er brauchte.

Warum hatte er das alles eigentlich? Waren es Mokubas Spiele? Wahrscheinlich. Katsuya warf einen Blick zu Seto. Ikar würde sicherlich auch gern mit so etwas spielen, aber er war erst vor einer Woche wieder aufgetaucht. Irgendwie konnte Katsuya sich nicht vorstellen, dass der Junge vorher viele Bedürfnisse an Seto geschickt hatte.

Genau genommen konnte er sich nicht vorstellen, dass irgendwer Bedürfnisse an Seto geschickt hatte – außer Angst vielleicht. Der Seto am Anfang, der, den er kennen gelernt hatte – der hatte nichts Kindhaftes, nichts Jugendliches und auch nichts weiblich Fürsorgendes gehabt. Er hatte die Wut von Angst und die Kälte des Wächters besessen. Er hatte seine eigenen Anforderung an Perfektion gehabt. Zumindest war das etwas, was Seto gehörte, wenn Katsuya das richtig verstanden hatte. Ikar hatte gesagt, er habe Seto sein ganzes „Großsein“ gegeben. Kaum vorstellbar, dass demnach Ikar der gewesen war, der all diese Sprachen gelernt hatte. Diese Geschichte, wo Seto Geld verzehnfacht hatte, das musste demnach auch Ikar gewesen sein. Bevor der Wächter auftauchte ... der Wächter war wahrscheinlich auch ein Teil von Ikar gewesen. Also hatte Ur-Ikar erst seine Berechnung und sein enormes Wissen abgespalten und den Wächter daraus gemacht. Danach hatte er seine Kälte, seinen Welthass, seine Erfahrung, seine äußerliche Ruhe und Abgeklärtheit an Seth gegeben. Und jetzt war nur noch ein Jugendlicher da.

Ein Jugendlicher, dem man nicht mehr anmerkte, dass er mal die Skrupellosigkeit eines Mörders und die Kälte eines strengen Konzernchefs besessen hatte. Das war kaum mehr vorstellbar. Ikar war lebenslustig, anhänglich und schüchtern. Es war nicht mit dem Bild des Strebers in der Schule vereinbar. Und erst recht nicht mit dem des Ziehsohns, der systematisch darauf hingearbeitet hatte, seinen Adoptivvater in den Selbstmord zu treiben.

Nun ja, es hatte wirklich die Spaltung zum Wächter gebraucht, um eine Person zu schaffen, die skrupellos genug dafür war. Eine Person, nur geschaffen, um zu morden ... Ikar hatte es anders beschrieben, aber im Endeffekt war das der Grund, nicht wahr? Nun gut, heutzutage war er ja anscheinend ein anderer. Er teilte die Erinnerungen mit allen anderen. Er schien immer noch sehr berechnend, aber gefährlich war er nicht mehr, oder? Solange man nicht gerade auf die Idee kam, Seto etwas wirklich Schlimmes antun zu wollen. Dann würde er sicher wieder einschreiten.
 

Mord.

Im Spiel schlug er gerade Stadtgarden mit seinem Breitschwert nieder. Das machte ihm gar nichts. Im Spiel war er ein Held, der für eine gerechte Sache kämpfte. Dass sein Weg Opfer forderte, das war halt so. Im Spiel sah man eh nicht, wie sie starben. Man sah nicht einmal, dass sie wirkliche Wunden hatten. Sie hatten nur Lebensbalken, deren Energie mit jedem Schlag sank.

Das war im echten Leben nicht so. Der Tod war endgültig. Ein jeder Mensch, egal, was er einem antat, egal, was er für einen bedeutete, jeder Mensch hatte eine Geschichte. Jeder hatte eine Familie, hatte Freunde, Bekannte, eine Bedeutung für die Welt. Selbst der unscheinbarste Mensch hinterließ ein Loch, wenn er verschwand. Mokuba war Vollwaise und ein Junkie gewesen, als er starb. Er hinterließ trotzdem einen schwer beschädigten Bruder und einen Stiefbruder mit einem extremen Helferkomplex.

Auch, wenn Gozaburo Kaiba für Seto nur ein Tormentor gewesen war, er war Noahs Vater gewesen. Der, der ihn von klein auf aufgezogen hatte. Wusste Noah überhaupt, dass Seto seinen Vater in den Tod getrieben hatte? Mit einem Seufzen fuhr Katsuya sich mit einer Hand durch das blonde Haar.

Setos Persönlichkeit hatte das alles möglich gemacht. Den systematischen Mord an Gozaburo. Den Missbrauch von Noah und Mokuba. Die wirtschaftlichen Morde, die er Pegasus befahl. Die dort agierende Persönlichkeit – entweder Ikar, der das „Großsein“ noch nicht an Seto gegeben hatte oder der Wächter – war nicht besser als Pegasus gewesen.

Nicht anders wie der Mensch, der vor Katsuyas Augen seinen eigenen Mann erschossen hatte.

Katsuya legte den Controller vor sich hin, lehnte sich vor und legte das Gesicht in die offenen Handflächen. Ein Teil von Seto – losgelöst von all den guten Teilen – war ein wahres Monster. Hatte gemordet, Morde angeordnet, Leute in den Selbstmord getrieben und rücksichtslos ausgenommen. Er schluchzte auf.

Wie sollte er all diese Teile lieben?

Wie sollte er diesen ... diesen Nicht-Menschen lieben? Angst war eine Sache. Wut, Aggressionen, selbst andere zu verletzen aus Angst, ja, das konnte er verstehen. Wenn man Angst wieder in die Gesamtpersönlichkeit brachte, war das alles okay. Angst war ein isolierter Teil und hatte nichts zum Ausgleich seiner eigenen Ängste. In einer Gesamtpersönlichkeit war Angst wahrscheinlich ganz okay. Aber diese mörderischen Gedanken? Diese Skrupellosigkeit? Würde die durch die Gesamtpersönlichkeit auch ausgeglichen werden?

Seto hatte so viel Schreckliches getan. Sehr beeinflusst durch seine Krankheit, aber dennoch ... natürlich, Katsuya hatte das die ganze Zeit gewusst. Aber es war so eine abstrakte Sache gewesen.

Mord.

Morde befehlen.

Es war ein Fakt gewesen, aber nichts, über das Katsuya je groß nachgedacht hatte. Nichts, in das er sich hatte versetzen können. Aber jetzt ... Jason war so unglaublich verstört gewesen. Der Blick in Teds Augen. Wie Leben sich in Tod gewandelt hatte. Pegasus hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Hatte den Arm gehoben und geschossen.

Seto hatte der Mord an Gozaburo ähnlich viel mitgenommen.

Nämlich absolut gar nicht.
 

Warme Arme legten sich um ihn und zogen ihn nach hinten gegen einen ebenso warmen Oberkörper. Setos Lippen setzten warme Küsse auf seine Schläfe, während eine Hand seine Arme hinab strich, sodass er sie sinken ließ. Mit einem Taschentuch würde über sein Gesicht gestrichen, um die verwischten Tränenspuren zu entfernen.

Er nahm Seto das Tuch ab und putzte sich damit die Nase. Nach ein paar Schnaufern knüllte er es zusammen und fragte kleinlaut: „Hast du noch eins?“

„Kann ich zaubern?“, fragte Seto im Gegenzug und seufzte, „ich kann eins holen gehen.“

Katsuya murrte, als die Wärme ihn verließ. So dringend brauchte er jetzt auch kein zweites Taschentuch. Seto hätte auch noch einen Moment bleiben können. Er warf einen Blick über die Schulter. Seto drehte sich gerade Richtung Küche.

„Ich soll was?“ Er blieb stehen, drehte sich um und sah zwischen Katsuya und dem Sessel hin und her. Mit einem fast widerwilligen Grummeln trat er zurück neben Katsuya, hob die Decke auf, die der Blonde vorhin über seine Beine geworfen hatte und legte sie um Katsuyas Schultern.

Wow. Er lächelte dankbar und zog die warme Decke um sich. Das ... was auch immer Setos Kopf diesmal wieder tat, anscheinend machte es ihn noch höflicher und umsorgender als sonst. Lächelnd lehnte Katsuya sich gegen den Sessel und sah Seto hinterher, der für ihn ein Taschentuch holen ging.

Er hätte nicht gedacht, dass der Mann noch umsorgender sein konnte, aber anscheinend war es möglich. Katsuya seufzte und schüttelte über sich selbst den Kopf. Skrupellosigkeit und Besorgnis würden sich wahrscheinlich gegenseitig ausgleichen und anscheinend hatte Seto doch genug, um daraus wirklich eine Gleichheit zu machen. Er hätte sich nicht so viele Gedanken machen sollen. Ehrlich, warum verfiel er immer wieder in solche Sorgen? Wenn Seto da war, wenn er mit ihm sprach, dann verschwanden all diese dunklen Gedanken. Nur, wenn er nicht in seiner Nähe war oder wenn Seto dissoziierte, dann bekam er plötzlich solche Ängste.

Er nahm das Taschentuch entgegen und putzte sich die Nase ordentlich. Seto währenddessen sank zurück in den Sessel und legte eine Hand auf das blonde Haar, als dieser fertig war. Katsuya ließ sich gegen die Beine sacken und legte seine Stirn gegen Setos Knie.

„Ich vermute mal nicht, dass dich das Spiel vor Verzweiflung zum Weinen gebracht hat.“

Ein Lächeln zog Katsuyas Mundwinkel in die Höhe. Doch, eigentlich schon. Er hatte ein paar Wachen getötet und war in Tränen ausgebrochen. Vor Verzweiflung über Seto, aber das Spiel war fraglos der Auslöser gewesen.

„Und mit wem redest du neuerdings doch wieder?“, fragte Katsuya im Gegenzug.

„Imalia“ Die Hand in seinem Haar hielt einfach still. „Sie ... hat gefragt. Ob sie helfen darf. Ich habe es nicht so mit weinenden Menschen.“

„Nicht?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten. „Hast du mit ihr zusammen agiert, als es mir im Oktober und November so schlecht ging?“

„Ich ... vermute“ Die Hand setzte ihre Zärtlichkeiten fort. „Ich bin anscheinend nicht sehr gut im Trösten.“

Nun, das haute jetzt nicht wirklich von den Socken. Katsuya lächelte und schlang seine Arme um ein Bein von Seto. Also kannte er Imalia auch schon so halbwegs. Und sie meinte es gut mit ihm. Das waren doch gar keine schlechten Neuigkeiten.

Zurück in die Normalität

Yeah! Ich bin in Japan! Wer alles in Japan ist, bitte melden ^.^

Es hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen, dass alles wirklich wie in den Mangas aussieht, aber ich war positiv überrascht. Bis zu dem Punkt, wo ich Oberstromleitungen anfangirle (don't ask...). Das ist alles so toll *.* Erst Amerika und jetzt Japan! Das wollte ich schon immer bereisen!

Ähm, ja, zurück zum Kapitel: Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya fühlte sich langsam wirklich wie ein Alien. Er betrat den Schulhof, sah Jugendliche im Schnee spielen, sah Freunde miteinander lachen, sah Mädchen übereinander lästern. All diese Menschen lebten einen Alltag. Sie saßen gelangweilt im Unterricht, machten ihre Hausaufgaben und gingen abends mit Freunden aus.

Warum? Wie konnte das sein? In dieser Stadt, vielleicht nur ein paar Meter entfernt, gab es Kinder, die so lebten, wie Seto es getan hatte. Es gab Babies, die von ihren Eltern liegen gelassen wurden, weil sie ihnen zu viel schrien. Es gab Jugendliche wie ihn, die von ihren Eltern verprügelt wurden. Es gab Kinder wie Ryou, deren eigene Verwandten sich an ihnen vergriffen.

Es gab all diese Menschen, die Hilfe brauchten. Trotzdem gingen diese Menschen hier einfach nur einem Alltag nach. Wussten Sie überhaupt, dass es diese Menschen gab, die Hilfe brauchten? Wenn sie wüssten, was sie tun könnten, würden sie dann immer noch einfach so ihrem Alltag nachgehen? Würden Sie immer noch über den neuen Haarschnitt einer Mitschülerin oder die Brille eines Mitschülers lachen? Wäre so etwas wirklich noch wichtig?

Die Gedanken lenkten jedoch nicht von der Gruppe junger Männer ab, die mehr oder weniger zielstrebig auf ihn zuhielten. Mitten auf dem Schulhof? Erst eine volle Klasse, jetzt hier? Egal, was sie im Endeffekt wollten, sie schienen es sehr öffentlich zu wollen. Also entweder waren sie strunzdumm oder sie wollten sich nicht mit ihm schlagen. Eine recht überraschende Erkenntnis.

„Guten Morgen“, grüßte Katsuya die vier mit einem Lächeln.

„Komm uns nicht mit guten Morgen, Alter.“

„Doch, tue ich. Ihr wollt nicht von mir zusammen geschlagen werden und ich will euch nicht zusammen schlagen. Also könnten wir es mit Höflichkeit versuchen“ Wie sagte Seto? Freundlichkeit siegte. „Der Unterricht beginnt in fünf Minuten. Also sagt, was ihr zu sagen habt, damit wir danach getrennter Wege gehen können.“

„Hör mal, Alter, so läuft das nicht“ Okay, er sprach schon ein zweites Mal. Anscheinend hatten sie einen Redeführer. Irgendwie kam der Kerl ihm bekannt vor … dritte Stufe, recht groß, aber ansonsten unauffällig. Wo hatte er den schonmal getroffen? „Dein Macker ist nicht mehr stellvertretender Schulleiter. Es gibt jetzt niemanden mehr, der dich aus der Scheiße zieht.“

„Euch ist schon klar, dass er in der Schulaufsichtsbehörde arbeitet?“ Katsuya versuchte, nicht zu viel Genervtheit in seiner Stimme durchkommen zu lassen. Freundlichkeit war die Lösung. „Selbst wenn nicht, sind homophobe Angriffe immer noch gesetzlich verboten. Das ist wie Rassismus oder Sexismus. Beleidigungen, Übergriffe und öffentliche Denunziation sind nicht erlaubt“ Mal gucken, ob sie all die Fachbegriffe überhaupt kannten.

„Kein Grund, dieses ekelhafte Zeug in der Öffentlichkeit zu machen!“ Die anderen drei nickten zustimmend.

„Seid ihr irgendwie eifersüchtig, dass eure Freundinnen nicht auf euch am Tor warten? So ihr überhaupt welche habt“ Er hob eine blonde Augenbraue. „Ich wüsste nämlich nicht, was Seto und ich gemacht haben sollen, was ihr nicht genauso mit eurer Freundin tun würdet.“

„Das kann man ja wohl kaum vergleichen!“

„Doch, genau das kann man“ Diesmal ließ Katsuya jedes Quäntchen Genervtheit in seiner Stimme durchscheinen. „Ihr könnt euch gerne beschweren, wenn ich ihm öffentlich die Zunge in den Hals stecke. Das würde ich auch tun, wenn ihr das mit eurer Freundin macht. Aber bis dahin kriegt euch ein und fragt euch selbst, was wirklich euer Problem ist“ Mit einem wütenden Schnauben ging Katsuya an ihnen vorbei Richtung Klassenzimmer.
 

„Du siehst besorgt aus“, murmelte Ryou, als er sich in der Mittagspause zu ihm setzte. Die Mädels waren wegen irgendeiner Sache beim Lehrerzimmer, daher waren sie zur Abwechslung mal allein.

„Es ist nichts Wichtiges“, erwiderte Katsuya nur. Im Endeffekt war es das, nicht wahr? Seto war immer noch derselbe. Nur hatte sich die Prognose noch weiter verschlechtert. Nichts Neues im Rückblick auf die letzten Monate, nicht wahr?

„Sicher?“

Katsuya seufzte nur und sah zu dem anderen. Sein Leben war eigentlich gar nicht so schlecht, oder? Er war sich relativ sicher, dass Seto ihn nicht verlassen würde. Zumindest nicht, bis er anfing, Persönlichkeiten zu verschmelzen. Ryou hingegen konnte sich sicher sein, dass sein Bruder eines Tages einfach so verschwinden würde. Wer war er eigentlich, sich über sein Leben beschweren zu wollen? Im Endeffekt lief es doch ganz gut.

„Ich weiß auch nicht“ Katsuya seufzte leise. „Ich habe Angst um Seto. Wie das weiter geht. Ob er jemals gesund wird. Und ob ich überhaupt will, dass er gesund wird.“

„Wieso würdest du das nicht wollen?“ Ryou blinzelte mit klarem Erstaunen.

„Na ja … wenn Bakura nicht mehr aggressiv und eifersüchtig und so übermäßig besitzergreifend wäre, würdest du ihn dann trotzdem lieben? Wäre er nicht … einfach zu anders?“

„Er ist mein Bruder“ Der Jüngere legte den Kopf schief. „Ich habe nie etwas anderes gelernt als ihn zu lieben. Ich … ich kann mir das nicht vorstellen, ihn nicht zu lieben. Egal, wie er ist.“

„Huh ...“ Nun, das traf auf Seto nicht ganz zu. Es gab andere Menschen für Katsuya. Andererseits hatte Seto ihn aus all diesem Mist gezogen, hatte ihm ein Leben gegeben und ihn die Liebe gelehrt. Seto war … er war einfach alles. Selbst ein völliger Charakterwechsel würde an Katsuyas Dankbarkeit nichts ändern. Aber galt das auch für seine Liebe? Liebe konnte nicht ewig auf alter Dankbarkeit aufbauen. Liebe brauchte mehr als das.

Seto war interessant und ein paar seiner Persönlichkeiten waren Leute, die Katsuya sehr mochte, aber war er der Richtige für eine stabile Beziehung? Jemand, der Katsuya stützen konnte? Und wenn er ihn nicht stützen konnte, war er trotzdem jemand, der ihn vervollständigte? Den er als seinen Partner wollte, obwohl er nicht stabil war? Brauchte er jemanden, der ihn stützen konnte? Oder war Seto auch so genug?

Selbst jetzt, wo er auseinander brach, war er irgendwie perfekt. In der Situation selbst war er alles, was Katsuya brauchte. Aber war er der Richtige für die Zukunft? War es wichtig, darüber nachzudenken? Sollte er nicht lieber im Hier und Jetzt leben, wo er glücklich war? Jeden Tag für sich selbst nehmen und vergessen, dass die Zukunft eher schwärzer als schwarz aussah? Denn Seto würde es nicht besser gehen. Seto würde es immer schlechter gehen.

Konnte er das tragen?

„Katsuya?“ Ryou hatte sich näher gelehnt. „Willst du … denkst du darüber nach, Seto zu verlassen?“

Autsch. Ein emotionales Messer bohrte sich durch Katsuyas Brust. Er schloss die Lider und wandte den Kopf ab. Das war … ja, schon, das tat er, aber doch nicht so. Nicht so konkret. Nicht so … endgültig. Er seufzte und sah zurück zu Ryou. Nach einem Moment der Stille antwortete er: „Ich will es nicht. Aber es ist möglich, dass ich es muss, wenn ich es nicht mehr schaffe, mit ihm zu leben.“
 

„Da sind wir wieder“ Ayumi ließ sich auf einen der heran gezogenen Stühlen fallen. „Mission erfüllt. Haben wir etwas verpasst?“

„Nicht wirklich“, murmelte Katsuya. Zumindest nichts, was er mit den Mädels besprechen wollte. Dafür wussten sie zu wenig über seine Situation. Und irgendwie glaubte er auch nicht, dass sie es verstehen würden. Erst recht nicht, nachdem er sich gestern erst für praktisch verheiratet erklärt hatte. In guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit wie in Krankheit … nun, er würde es versuchen.

„Wie ist es eigentlich mit unserem Karaokeausflug?“ Sie sah in die Runde.

„Wann könnt ihr denn?“ Mina sah Katsuya an.

„Freitag?“, schlug er vor.

„Klingt gut“, erwiderte Karin lächelnd. Mina und Ayumi nickten.

„Ich muss meinen Freund fragen“, murmelte Ryou leise.

Ach ja, Bakura … ob er eine Gruppe Mädchen wohl als bedrohlich für Ryou ansah? Oder der Gedanke, dass dieser abends weg ging? Möglich war es schon. Eher sogar wahrscheinlich. Vielleicht würde er mitkommen wollen.

„Ich auch“, flüsterte Mitsuki in ihrer kaum hörbaren Stimme.

„Was musst du auch?“, fragte Ayumi.

„Ihren Freund fragen“ Karin lächelte. „Die beiden sind schon zwei Jahre zusammen. Er ist sehr … beschützend.“

Woah … Mitsuki? Ihr kleines Anhängsel, das nie sprach? Sie war in einer bereits zweijährigen Beziehung? Stille Wasser waren wirklich tief. Genau genommen war sie damit länger als jeder andere Anwesende in einer Beziehung. Kaum fassbar … tja, jeden Tag etwas Neues. Katsuya lehnte sich vor und meinte: „Erzähl.“

Anstatt eines einzigen Wortes errötete Mitsuki aber nur. Hilfe, was für ein schüchternes Ding … wie würde sie so bloß durchs Leben kommen? Ehrlich, Seto mit seiner völlig zerschlagenen Psyche war im Alltag funktionsfähiger als sie. Katsuya sah sie einfach schweigend an. Vielleicht würde sie ja noch antworten?

Nach sicherlich einer halben Minute tat sie das auch: „Er heißt Hatsu.“

„Woher kennst du Hatsu denn?“ Ob er es wohl schaffen würde, sie das erste Mal zu so etwas wie einem Gespräch zu bringen?

„Wir waren in derselben Klasse.“

Katsuya verkniff sich das Seufzen. Leute, die nichts erzählten, waren echt komplizierte Gesprächspartner. Er fragte: „Bist du glücklich mit ihm?“

Sie errötete nur – ihre einzigartige Fähigkeit, rot zu werden, wenn sie bereits rot war – und legte die Hände auf die Wangen. Katsuya lehnte sich kopfschüttelnd zurück und lächelte. Nach einem Moment fragte er: „Willst du ihn zum Karaoke mitbringen?“

Sie sah zwischen ihren Fingern hindurch und schüttelte nach einem Moment den Kopf.

„Dann alle ohne Freund, okay?“

Alle anderen nickten.
 

„Bin wieder da!“

Katsuya, der schon den Schlüssel gehört hatte, stolperte gerade in den Flur und stoppte erst, als er praktisch an Seto klebte. Mit seinen Lippen, seinen Armen und Brust an Brust.

„Mhm … werde ich jetzt immer so begrüßt?“ Setos Mundwinkel hob sich.

„So lange, wie ich dich vermisse“ Katsuya legte den Kopf zur Seite und auf Setos Schulter. „Ich mag es nicht, allein zuhause zu sein. Ich … ich weiß, dass ist kindisch, aber ich fühle mich echt einsam, wenn du nicht da bist.“

„Ich fühle mich auch einsam, wenn ich nicht da bin“ Seto grinste ihn mit einem … nein … Ikar? Das war ein ziemlich schelmisches Grinsen. Aber der Ton klang nach Setos schwarzem Humor.

„Okay, rede ich mit Seto, Ikar oder beiden?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Du verletzt mich“ Setos Ton klang absolut nicht danach. „Wir experimentieren ein bisschen. Dankbarkeit, Lust und Anbetung zugleich macht eine interessante Art der Liebe.“

Katsuya blinzelte kurz, doch lächelte dann. Also Seto und Ikar zusammen. Dankbarkeit und Lust kam von Seto, die Anbetung von Ikar. Schon ungewöhnlich, wie schnell Seto nachgegeben hatte und nun mit den anderen kooperierte … nun ja, wer wusste schon, wie viel Einfluss der Wächter genommen hatte. Vielleicht hatte er Seto mal wieder ein paar Erinnerungen oder Gefühle genommen. Katsuyas Lächeln dimmte etwas. Er wollte sich nicht gegen den Wächter stellen, aber war das richtig? Seto war sein Geliebter. Und seine Psyche wurde wie von einem Back-Up-System täglich neu überspielt anstatt Erfahrungen machen zu können. Zumindest wirkte es so.

„Ist das in Ordnung?“ Zwischen Setos Augenbrauen wölbten sich kleine Falten.

„Was? Oh, ja, klar. Sorry, ich bin gerade mit den Gedanken irgendwie … ich war gerade nicht ganz da.“

„Das ist mein Job“ Seto kniff ihm spaßhaft in die Nase. „Das war übrigens gerade ein schief gegangener Versuch, romantisch zu klingen.“

„Wirklich?“ Katsuya grinste, um nicht laut los zu lachen. „Sorry, ja. Ähm … ah! Du betest mich also an?“

„Aus ganzem Herzen“ Der Größere lehnte sich vor und küsste ihn. „Wie komme ich jetzt von diesem romantischen Innuendo dazu, dich ins Bett zu kriegen?“

Bei allen Göttern. Katsuya biss in Setos Schulter, um nicht loszulachen. Diese Mischung aus Seto und Ikar war verdammt schräg. Erfahrene Verführer und unerfahrene, romantische Jugendliche in Kombination machten sich anscheinend nicht gut darin, jemanden zu etwas zu kriegen, was sie wollten.

„So schlecht, dass du mich beißen musst, bin ich auch nicht“ Die Stimme klang fast schmollend. „Okay, ich bin so schlecht. Darf ich dich ins Bett tragen?“

Ein Gespür für Liebe

Heute geht es zum Strand *v* Hier ist Sonne und schön warm! Nur gerade ist noch ein bisschen bewölkt, aber das ändert sich bestimmt noch. Hach ... ich hab' Ferien! Das ist so klasse! Ich habe mich lang nicht mehr so gut gefühlt. Ich merke so langsam erst, wie unglaublich mich dieses Studium runter zieht. Als Arzt arbeiten ist interessant, versteht mich nicht falsch, aber Medizin zu studieren ist der Horror.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ja, ja“ Katsuya festigte den Griff um Setos Schultern und ließ sich hochheben. „Aber wenn ihr wollt, dass das in eine sexuelle Richtung geht, solltet ihr euch für einen von euch entscheiden. Meinetwegen hintereinander, aber wenn ihr zusammen bleibt, werde ich euch nur auslachen. Den gemeinsamen Verführermodus solltet ihr nochmal üben.“

„Aber wir haben nur dich zum Üben“ Bei allen Göttern, Ikars treudoofes Verhalten mit Setos tiefer Stimme … er gab auf und lachte einfach lauthals los. „Du bist doof.“ Setos Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Das Lachen stoppte trotzdem eine Sekunde später, da Seto Katsuyas Lippen mit seinen eigenen versiegelte.

„Du hast ein dickeres Fell, wenn ihr zwei zusammen seid“, murmelte Katsuya zwischen zwei Küssen.

„Das liegt an Ikar“ In der Stimme lag kein schelmischer Unterton mehr. Seto klang ernst, sogar etwas traurig. „Er ist als Jugendlicher zwar unsicher, wie er sich zu verhalten hat und was du von ihm denkst, aber er ist mit vollkommener Sicherheit davon überzeugt, dass du ihn liebst. Ihm fehlt jede Art von Misstrauen über deine Gefühle. Wenn du auslachen sagst, dann ist er sicher, irgendeinen Blödsinn angestellt zu haben, aber nicht, dass du ihn deswegen weniger magst. Das ist … es ist sehr erstaunlich, so etwas zu fühlen. Und sehr angenehm. Es betäubt die zweifelnden, misstrauischen Gedanken.“

„Ikar hat die Selbstsicherheit, die dir fehlt?“

„Im Bezug auf unsere Beziehung, ja“ Seto drehte sich herum, setzte sich aufs Bett und Katsuya damit auf seinen Schoß. „Ich will glauben, dass du mich liebst. Und dass du mich nicht einfach verlässt. Aber … ich schaffe es nicht. Jeden Tag glaube ich, dass das der Tag ist, wo ich dir endgültig zu viel bin. Der Gedanke will einfach nicht aus meinem Kopf. Und ich kann nicht ansatzweise einschätzen, wie viel meine Angst und wie viel davon Realität ist.“

Mit einem leisen Seufzer lehnte Katsuya sich nach vorne gegen Seto und ließ sich einfach von diesem halten. Er flüsterte: „Ich liebe dich. Über alles. Ich habe das Gefühl, dass ich ohne dich einfach nicht sein kann. Du bist echt kompliziert und … bitte, nimm das nicht falsch, aber ich habe auch Angst, dass du mir zu viel wirst. Ich versuche, das Ganze nicht so ernst zu nehmen, wie es ist und lieber über all diese interessanten Menschen in deinem Kopf zu lachen. Es macht mir Spaß, mit ihnen Zeit zu verbringen. Und auch die Kombinationen sind interessant. Aber manchmal weiß ich nicht, ob ich aus Freude oder aus Verzweiflung lache.“

Seto schloss die Arme fester um ihn und küsste das blonde Haar. Den Druck der Arme und Lippen war nicht schmerzhaft, aber auch nicht gerade sanft.

„Mir ist das wirklich fast zu viel. Und … es ist komisch, gerade dir das zu erzählen, weil du eigentlich der Auslöser bist, aber andererseits hast du damit auch das meiste Recht, es zu wissen, nicht? Ich will dich nicht verunsichern, aber ich will dich auch nicht belügen. Ich liebe dich, aber … ich weiß nicht, ob Liebe für dich ausreicht.“
 

Wasser? Huh? Das fühlte sich an, als hätte Regen … shit, Tränen! Katsuya schnellte zurück, richtete sich auf und zog den stumm weinenden Seto an seine eigene Brust. Mit einem Hauch von Verzweiflung sprach er weiter: „Das heißt nicht, dass ich dich verlassen will! Keinesfalls! Bitte, Seto … scheiße, ich erkläre das wirklich schlecht. Ich werde mein aller, aller Allerbestes geben, damit wir zusammen bleiben, ja? Wenn es eine Selbsthilfegruppe für Partner von DID-Kranken gibt, bin ich sofort dabei. Ich will nicht sagen, dass ich glücklich bin, dass du diese Krankheit hast, aber sie macht dich zu dem Menschen, der du bist. Der Mensch, den ich liebe. Und ich habe ehrlich gesagt viel Spaß daran, all diese Menschen zu treffen, solange ich nicht daran denke, was dahinter steckt. Nein, das klingt auch wieder falsch … ich meine ...“

Er stoppte, da Setos Hand sanft über Katsuyas Wange strich. Er lockerte seine halb tödliche Umarmung, damit Seto aufsehen konnte. Seine Augen glänzten noch ein wenig, aber zumindest war keine neue Träne auf seiner Haut zu finden. Und seine Lippen umspielte ein kleines Lächeln.

„Habe ich doch nicht so viel Mist erzählt, wie ich dachte?“, fragte Katsuya etwas kleinlaut.

„Doch“ Das leichte Lächeln, dass Seto trug, wenn er andere bei vollem Bewusstsein beleidigte, legte sich auf dessen Züge. „Aber ich mag darüber hinweg sehen, wenn du zu deinem Wort stehst und an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von DID-Kranken teilnimmst.“

„So was gibt es?“ Katsuya blinzelte überrascht.

„Hat Yami mir vorhin am Telefon erzählt. Er hat seine Pause illegal für Internetrecherchen benutzt und Selbsthilfegruppen für uns zwei rausgesucht. Wir sind zum Glück eine ziemliche Großstadt, daher haben wir welche. Selbst für etwas so Seltenes wie DID. Die Gruppe für die Erkrankten ist zur selben Zeit wie die der Angehörigen … damit sie zusammen kommen können.“

„Das ist … das ist echt gut“ Katsuya nickte langsam. „Doch, wirklich … ja, klar. Vielleicht hilft es. Lass uns zusammen hinfahren.“

„Sicher?“ Seto wandte den Blick ab. „Ich … ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Für mich zumindest. Was, wenn … was, wenn alle die ganze Zeit Persönlichkeiten wechseln und ich mir das abgucke? Oder … ich weiß nicht, was passieren könnte, aber was, wenn es schlimmer wird?“

„Yami hat gesagt, es wird immer erst schlimmer, bevor es besser wird. Also ist es wahrscheinlich gut, wenn es schlimmer wird“ Und was für eine komische Logik war das? „Deshalb verzweifle ich auch nicht, obwohl ich hier täglich neue Persönlichkeiten treffe. Also lass uns hinfahren. Wann treffen die sich das nächste Mal?“

„Jeden Mittwoch um neunzehn Uhr“ Seto hatte den Blick noch immer abgewandt.

„Heute ist Mittwoch“, erwiderte Katsuya recht tonlos. Wäre Seto bereit, da in – er hob seinen Arm hinter Seto – ungefähr einer halben Stunde hinzufahren?

„Ich weiß“ Seto atmete tief durch. „Vielleicht sollten wir eine Woche warten.“

„Vielleicht solltest du nicht vor dir selbst wegrennen“ Katsuya presste die Lippen zusammen. Scheiße. Das hatte er nicht sagen wollen. Seto hatte ein gutes Recht, Angst vor dieser Krankheit zu haben.
 

Seto seufzte nur tief und nickte. Nach einem Moment hob sich sein Blick und fixierte Katsuyas Augen. Er richtete sich wieder auf, hob eine Hand und fasste damit Katsuyas Kinn, um ihre Lippen zusammen zu führen.

Sie umschlossen Katsuyas Oberlippe, als wollten sie sanft ein paar Fäden aus einem Zuckerwatteball ziehen. Während Katsuya die Lippen einladend öffnete, nippten Setos Zähne kurz an seiner Unterlippe. Er ließ den Kopf etwas zur Seite fallen, sodass der nächste Kuss Lippe auf Lippe gesetzt wurde und sie erst nach mehreren Momenten wieder löste. Setos linke Hand legte sich auf Katsuyas Wange und der Daumen strich über seine Haut, während sie weitere Küsse tauschten. Eben jene Hand führte ihn mit sanften Druck zur Seite, bis er – von Setos Arm gehalten – auf der seidenen Bettwäsche zu liegen kam und Seto sich über ihn rollte.

„Schlaf mit mir“, hauchte dieser in ihren Kuss.

Katsuyas Lider flogen auseinander. Mit einem Zucken verspannte sein ganzer Körper. Seine Lippen schlossen sich und die Mundwinkel zogen wie automatisch nach unten. Seto lehnte sich zurück, blinzelte und seufzte tief.

„Falsch ausgedrückt“ Er griff den völlig verspannten Körper und hob ihn, als wäre Katsuya nur ein paar Kilo schwer. Er drehte sie beide, sodass Katsuya auf ihm zu liegen kam. „Schlaf mit mir.“

Katsuya schluckte. Okay … er atmete tief durch, um sich wieder zu entspannen. Seto unten. Nicht er. Das war … das klappte mit Ikar. Es sollte auch mit Seto klappen. Selbst, wenn er bei Ikar nicht kam, er konnte ihn zumindest befriedigen. Und es fühlte sich nicht schlecht an. Wenn das genug für Seto war, sollte er es haben. Er atmete noch einmal tief durch, um auch die restliche Anspannung aus seinem Körper zu scheuchen. Er sah Seto in die Augen und nickte wortlos.

„Du zwingst dich“, stellte dieser recht tonlos fest.

„Ich zwinge mich auch bei Ikar und da funktioniert es.“

„Bei Sex geht es nicht ums Funktionieren“ Die Hand, die auf Katsuyas Wange gelegen hatte, kehrte zurück und strich über diese. „Es geht darum, gemeinsame Gefühle in Taten zu wandeln. Das hast du mir beigebracht. Früher ging es mir nur darum, dass ich komme. Mein Partner war mir in den meisten Fällen egal. Aber während das rein körperlich erfüllend sein mag, ist es nichts, was die Psyche auch befriedigt. Wenn du nicht glücklich bist bei dem, was wir tun, werde ich das auch nicht … ich glaube, die Phase, wo ich andere für meine Befriedigung missbrauchen kann, ist vorbei.“

Katsuya schluckte, aber es reichte nicht, um die Tränen zu unterdrücken. Er wusste gar nicht, woher sie kamen. Plötzlich waren sie da. Wie ein Schlag in den Hinterkopf, worauf Tränen einfach seine Wangen herunter rannen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

„Was habe ich jetzt gemacht?“, fragte Seto irritiert.

„Du hast mich glücklich gemacht“, flüsterte Katsuya gegen sein Oberteil.
 

„O... kay“ Setos Arme legten sich zaghaft um ihn. „Ich weiß nicht, ob dich das wirklich glücklich machen sollte. Ich vermute, die meisten Menschen haben diese Erkenntnis nicht erst mit neunundzwanzig.“

„Egal“ Katsuya drückte sein Gesicht in Setos Pullover, um seine Tränen zu trocknen. „Ich liebe dich.“

„Mich oder uns alle?“ Setos Stimme war nur ein Flüstern.

„Idiot“ Katsuya sah auf und wischte den Rest der Tränen mit seinem Ärmel weg. Er robbte Setos Brust hinauf, bis er diesen küssen konnte. „Euch alle und jeden einzelnen noch mal auf seine oder ihre ganz spezielle Art und Weise. Okay?“

„Gut gerettet“ Seto setzte noch einen Kuss nach. „Entschuldige bitte, die Frage wollte ich nicht stellen. Ich weiß, dass es falsch ist, in Ich und die Anderen zu denken. Ich … das muss ich noch verinnerlichen. Die Theorie der Krankheit und die Praxis sind leider zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.“

Hey, das klang, als hätte der Wächter doch nicht alles geklaut. Seto hatte anscheinend darüber nachgedacht, was das jetzt für ihn bedeutete. Vielleicht war seine neue Offenheit gegenüber den anderen doch nicht das Werk des Wächters. Oder zumindest nicht vollkommen. Genau genommen klang Seto erstaunlich weit. Das alles hatte er in nur einem Tag realisiert? Und hatte sich bereit erklärt, Hilfe zu suchen? Das ging erstaunlich schnell. Andererseits war es ja anscheinend schon Monate, vielleicht sogar Jahre in seinem Hinterkopf gewesen. Vielleicht war das Ansprechen genau der Schritt gewesen, den Seto gebraucht hatte. Vielleicht würde es gar nicht mehr schlimmer werden, bevor er besser wurde.

„Keine Chance, dass ich dich jetzt noch überreden kann, oder?“ Seto grinste mit einem Mundwinkel.

„Wie du zwischen deiner Krankheit und Sex springen kannst, ist erstaunlich“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Komm, ich mache dir noch schnell etwas zu essen, bevor wir fahren.“

„Du springst gerade von Sex zu Abendessen“ Seto klang fast anklagend. „Ich habe zwei Persönlichkeiten, die du sexuell magst. Wie viel Sex hat dagegen Abendessen zu bieten?“

„Nun, solange ich nicht Erdbeereis von deiner Haut nasche, nicht viel“ Katsuya grinste und stand auf. „Na komm. Ein leerer Magen ist schlimmer als sexuelle Frustration.“

„Sagst du“ Seto spitzte die Lippen.

„Ja, sage ich. Nun steh auf, du Faultier“ Katsuya half ihm hoch.

„Faultier? Ich war den ganzen Tag arbeiten. Bist du schon mit deinen Hausaufgaben fertig?“, konterte dieser.

„Bin ich. Sogar mit Physik und das war heute echt nicht einfach“ Katsuya griff Setos Hand und zog ihn hinter sich her nach unten. „Freitag Abend bin ich übrigens nicht da. Die Mädels wollen den Karaokeabend nachholen.“

„Musstet ihr unbedingt einen Abend nehmen, wo ich nichts zu tun habe? Was soll ich mit mir selbst anfangen?“ Seto hob Katsuyas Hand zu seinen Lippen und küsste sie, bevor er sie los ließ, um im Flur Mantel und Schuhe auszuziehen, die er noch immer trug. „Ich werde Noah besuchen. Nein, ich werde Noah mich besuchen lassen. Dann kann er mit meinem Kinder-Ich spielen.“

„Klein-Seto?“ Katsuya lächelte. „Es wird ihn freuen.“

„Der Wächter meint, wenn wir alle kooperieren, können wir die einzelnen Persönlichkeiten davon abhalten, einfach durchzubrechen. Imalia unterstützt den Plan. Wir wissen nur nicht, was wir mit Angst anstellen sollen. Keiner weiß so recht, was Angst eigentlich will.“

„Vielleicht kannst du es heute Abend heraus finden“ Katsuya lächelte Seto entgegen, als dieser sich in der Küche setzte.

„Vielleicht schlage ich heute Abend eine Kinderpersönlichkeit einer DID-Patientin zusammen“ Seto wandte den Blick ab. „Ich habe Angst, Katsuya. Das ist das eine Gefühl, was ich wirklich gut kenne. Ich habe eine scheiß Angst, diese Menschen zu treffen.“

Katsuya, der gerade Joghurt aus dem Kühlschrank genommen hatte, stellte dieses auf der Arbeitsfläche ab und trat stattdessen zu Seto. Im Stehen legte er einen Arm um diesen und küsste seine Schläfe.

„Du bist direkt nebenan, ja?“ In Setos Stimme lag ein leichtes Zittern.

„Versprochen.“

Die Gruppe

Selbsthilfegruppen sind cool - kleine Werbung am Rande. Auch wenn sie oft wie ein sinnlos zusammengewürfelter Haufen ohne Regeln aussehen :)

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Bist du sicher, dass es hier ist?“ Katsuya sah etwas überrascht zu dem Haus, auf das Seto gezeigt hatte.

Sie standen vor einem herunter gekommenen Altbau, der etwas neue Farbe sicherlich verdient hätte. Ach, wen belog er? Eine komplett neue Fassade wäre eher der richtige Ausdruck. Oder ein komplett neues Haus in einer anderen Gegend. Sie befanden sich gefährlich nah am Stadtrand für Katsuyas Geschmack. Er legte seine Hand in Setos.

„Tja, ehrenamtliche Vereine haben nunmal kein Geld“ Seto zuckte mit den Schultern. „Sollen wir wieder fahren?“

Katsuya schüttelte nur wortlos den Kopf und machte einen Schritt nach vorne, um weiter auf das Gebäude zuzugehen. Er konnte selbst kaum fassen, wie viel Mut dieser Schritt ihm abverlangte. Es war nur ein Treffen, nicht wahr? Er warf einen Blick zu Seto, welcher stoisch geradeaus sah.

Hier zu sein, das hieß anzuerkennen, dass es ein Problem gab. Dass Setos Krankheit ein Problem war, das ihn belastete. Dass er Hilfe brauchte, um Seto auf Dauer auszuhalten. Es war kein sehr beruhigender Gedanke. Aber Seto war es wert, da war er sicher. Und wenn er hier Hilfe finden konnte, sollte er besser seinen Stolz schlucken und sie annehmen.

Sie gingen eine halb vergrünte, etwas morsch klingende Holztreppe hinauf. Nach einem wortlosen Blickwechsel drückte Katsuya die wenig standhafte Tür auf. Der sich dahinter erstreckende Flur wurde von einer an Drähten aus der Decke hängenden Lampe beleuchtet und war so schmal, dass man darauf achten musste, nicht im Vorbeigehen die an der Wand hängenden Broschüren runter zu reißen.

„Das Selbsthilfezentrum ist im ersten Stock“, informierte Seto ihn leise.

„Hier bist du wirklich schonmal hingegangen?“ Katsuya hob ungläubig eine Augenbraue.

„Mein Psychiater hat mich überredet“ Während er sprach, las Seto die Vorderseiten der Broschüren, aber schlug keine auf.

„Tja … dann lass uns hoch gehen“ Katsuya zog mehr symbolisch an Setos Hand und ging voraus. So schlimm würde es schon nicht werden. Vielleicht war es oben ja hübscher.

„Katsuya?“ Seto blieb mitten auf der Treppe stehen, sodass der Blonde sich zu ihm umdrehte. „Bist du sicher … nein, schon gut. Lass uns gehen.“

„Bin ich sicher?“, bohrte er nach.

„Nein, ehrlich. Lass uns hoch gehen.“

„Seto?“

Dieser sah halb genervt, halb bittend auf. Katsuya seufzte nur und ging weiter. Seto war groß, der würde schon etwas sagen, wenn ihm wirklich etwas auf dem Herzen lag. Nicht so wie andere Gestalten in seinem Körper.

In der ersten Etage befand sich eine Tür, die aussah wie der Eingang zu einer Wohnung. Ein improvisiertes Schild in Form eines A4-Blattes bestätigte, dass es sich hier wirklich um das Selbsthilfezentrum handelte. Katsuya seufzte nur und trat ein. Drinnen formten seine Lippen jedoch ein überraschtes O.

Die Beleuchtung war gut. Die Wände waren bunt bemalt. Und der Boden war aus echtem Parkett gemacht. Es war … angenehm. Ja, doch, angenehm. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Vom Flur gingen fünf Türen ab, die alle – bis auf die am Ende des Ganges – offen standen. Die erste rechts führte in eine Küche, wo eine Frau gerade Tee zu kochen schien. Links ging es in einen Raum mit einem Stuhlkreis. Die zwei anderen Türen schienen zu weiteren Räumen zu führen – aus einem davon war Kinderlachen zu hören.
 

„Ähm … hallo?“, fragte Katsuya vorsichtig in Richtung Küche.

„Huh?“ Die Dame drehte sich um und lächelte. „Oh, guten Tag. Kommen Sie herein.“

Er erwiderte das Lächeln und zog Seto hinter sich her in die Küche. Dieser blieb allerdings an der Tür stehen, während Katsuya die Frau begrüßte und ließ sich von seinem Freund vorstellen. Frau Aurora – und war das nicht mal ein schöner Name? – bat ihnen Tee an, den Katsuya gern annahm.

„Ist das Ihr erstes Mal bei uns?“, fragte sie ihn.

„Ähm, ja, ich war noch nie hier“ Er zeigte Richtung Flur. „Es ist hübsch hier. Das hatte ich bei der Fassade gar nicht erwartet.“

„Die Wohnung ist alt“ Sie lächelte und pustete ihren Tee. „Früher war das hier eine angesehene Gegend. Sie ist in den letzten zwanzig Jahren leider immer schlechter geworden.“

„Leben Sie hier?“ Er lehnte sich gegen die Spüle. Auch, wenn die Wohnung alt war, sie war immer noch eher klein.

„Nein, wir leben auf dem Land. Nene, meine Schwester, und ich. Sie ist drüben im Spielzimmer“ Sie wies grob in die Richtung, aus der hin und wieder ein kindliches Lachen kam. „Sind Sie hier für die DID-Gruppe?“

„Ja“ Katsuya warf einen Blick zu Seto, der noch immer bei der Küchentür stand. „Möchtest du Nene kennen lernen, Seto?“ Dieser schwieg nur und verschränkte die Arme. Katsuya seufzte leise und wandte sich wieder zu Frau Aurora. „Ich nehme an, Ihre Schwester hat DID?“

Sie nickte nur und fixierte ihren Tee. Eine Sekunde des Schweigens verging, bevor sie sprach: „Sie war immer für mich da. Sie hat alles ganz allein eingesteckt, damit mir nichts passierte. Sie … es hat sie zwar krank gemacht, aber sie ist meine große Heldin. Jetzt bin ich für sie da, während sie heilt.“

Katsuya schluckte. Durfte er nachfragen? Sollte er nachfragen? Was war angemessen? Oder sollte er selbst etwas erzählen? Durfte er überhaupt von Seto erzählen? Dieser löste sein Dilemma, indem er sagte: „Ich gehe sie kennen lernen.“

Katsuya lächelte Seto an, der in den Flur trat und nach zwei Schritten nicht mehr zu sehen war. Er traute sich also doch. Hoffentlich würde ein kleines Kind im Körper einer sicherlich vierzigjährigen Frau ihn nicht schocken.

„Ist er Ihr Bruder?“, fragte Frau Aurora.

„Äh … nein. Mein Verlobter“ Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Schock und Überraschung an. „Ist das problematisch?“

„Wie? Nein, nein. Ich bin nur … ich kenne keinen einzigen DID-Patienten in einer festen Beziehung. Viele, die mal verheiratet waren oder gerade in der Scheidung stecken, aber niemanden, der noch aktuell mit jemandem zusammen ist. Das freut mich sehr. Wie schaffen Sie das?“

Er seufzte und schloss die Lider.

Danke.

Das beantwortete alle Fragen.
 

Katsuya las gerade Regel Nummer siebzehn, als Frau Aurora alle bat, sich zu setzen. Mittlerweile hatten sich noch drei weitere Frauen eingefunden, alle im Alter zwischen zwanzig und vierzig. Ein paar andere hatte er gegrüßt, aber sie waren ins Spielzimmer weiter gegangen. Anscheinend war das der Treffpunkt für die DID-Kranken. Nach der sechsten Frau hatte es ihn sehr beruhigt, auch einen Mann zu sehen – anscheinend waren bei dieser Krankheit Frauen in der Überzahl. Oder Männer gingen einfach nicht zu Selbsthilfegruppen.

Er setzte sich neben Frau Aurora und klammerte sich an seinen Becher Tee. Wenn er sie vorhin richtig verstanden hatte, waren das hier demnach alles Verwandte oder Bekannte von DID-Kranken. Und alle schienen sich gut zu kennen. Zwei Damen tauschten sich über ihre Kinder aus, während Frau Aurora hin und wieder eine Frage einwarf. Die letzte Damen kam gerade aus der Küche und setzte sich mit ihrem Becher in der Hand.

„Guten Abend, meine Lieben“ Frau Aurora lächelte allen zu. „Ich eröffne hiermit unsere Sitzung für eröffnet. Wir ihr sehen könnt, haben wir ein neues Mitglied: Katsuya Kaiba.“

Die drei Frauen applaudierten lächelnd.

„Ich werde eine Redeliste führen. Wer etwas sagen möchte, melde sich einfach, bitte“ Frau Aurora sah lächelnd zu Katsuya. „Wir beginnen unsere Sitzung normalerweise damit, dass jeder von seiner letzten Woche erzählt. Sie können natürlich gern mehr erzählen, wenn Sie möchten, aber Sie müssen nicht. Sie können auch nichts sagen und einfach nur zuhören. Das ist alles in Ordnung, ja?“

„Sicher“ Katsuya nickte. „Ähm … würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu duzen? Ich fühle mich nicht alt genug, um gesiezt zu werden.“

„Natürlich“ Frau Aurora nickte. „Was meint Ihr, wollen wir alle zu Vornamen wechseln?“

Zwei der Frauen nickten sofort, die Dritte zeigte überhaupt nicht, was sie davon hielt.

„Mein Name ist Leyla“, stellte sie sich erneut vor, „und die anderen heißen Kimi, Tomoko und Misa.“

„Es freut mich, Sie kennen zu lernen“ Katsuya deutete eine Verbeugung an. „Ich bin Katsuya.“

Die Jüngste der drei – Misa – winkte ihm zu und lächelte. Die anderen beiden nickten nur.

„Möchte jemand anfangen?“

Tomoko, eine etwas ältere Dame mit rabenschwarzem Haar und strenger Miene, hob eine Hand und begann kurz darauf zu sprechen: „Die letzte Woche war schlecht. Hayato“ - sie sah kurz zu Katsuya - „er ist mein Ex-Mann und nun ein guter Freund. Eine seiner Persönlichkeiten hat sich betrunken und eine andere ist Auto gefahren. Er ist anscheinend recht ordentlich gefahren, allerdings trug er nur Unterwäsche. Als die Polizei ihn anhielt, wechselte er in eine aggressive Persönlichkeit und griff einen Polizisten an. Der andere schoss auf ihn, um ihn aufzuhalten. Zum Glück wurde nur sein Arm getroffen, er wurde am Montag operiert und wird wohl bald wieder genesen.“

Ihre Stimme hielt kaum Emotion, aber Tränen schwammen in ihren Augen. Katsuya schluckte. Bis auf den Unterwäschepart hätte Seto das auch passieren können. Er sah in die Runde. Keine der Damen schien etwas sagen zu wollen. Allerdings schien auch keine von ihnen ansatzweise geschockt oder überrascht.

„Meine Woche war anstrengend“, sprach Misa, als ihre Sitznachbarin einige Sekunden nichts gesagt hatte, „Eri hat sich ja vor zwei Wochen die Pulsadern aufgeschnitten. Gestern war ihr erster Tag zurück in ihrer eigenen Wohnung. Das war … also, das ist das erste Mal, dass ich das so miterlebt habe. Sie ist in Tränen ausgebrochen, als sie ihre Katze gesehen hat. Sie hat sich minutenlang bei ihr entschuldigt. Dass sie sie allein gelassen hat und dass sie gar nicht an sie gedacht hat, als sie so verzweifelt war. Dass sie die Katze ganz allein gelassen hätte, wenn sie gestorben wäre. Mir hat sie nur gedankt, dass ich die Katze gefüttert habe, während sie nicht da war. Das war … ich habe echt geschluckt. Ich wollte sie am liebsten anschreien, dass es mich auch verletzt hätte, wenn sie gestorben wäre. Aber ich habe einfach gar nichts gesagt.“

Sie wandte sich lächelnd zu Katsuya. Anscheinend war er dran.
 

„Ähm … ja. Hallo allerseits. Ähm … mein Verlobter hat DID. Das weiß ich seit gestern. Ich habe vorher schon vier seiner Persönlichkeiten kennen gelernt, aber … ich habe nicht so wirklich Ahnung von der Krankheit. Also, ich hatte keine. Bis gestern. Da wurde mir das alles erklärt. Ähm … ich bin derzeit noch ein bisschen durcheinander und überfordert. Der Gedanke an die Zukunft macht mir Angst. Aber ich hoffe, dass es ihm irgendwann gut gehen wird. Wie auch immer gut dann bei ihm aussieht.“

„Oh“ Misa zog den Kopf ein. „Dann waren unsere zwei Geschichten sicher nicht aufbauend.“

„Bitte keine Unterbrechungen“ Leyla nickte bedeutungsvoll.

„Ich war fertig“, erwiderte Katsuya schnell.

„Gut“ Sie nickte Katsuya lächelnd zu. „Vielleicht können wir dir nachher ein paar Fragen beantworten, wenn du welche hast“ Sie sah in die Runde. „Oh, ich bin dran. Nun … meine Woche war auch anstrengend, aber nicht wegen Nene. Unsere Heizung ist ausgefallen und wir hatten mehrere Tage Handwerker da. Nene ist die meiste Zeit reiten gegangen. Es war nicht so stressig, wie ich befürchtet habe.“

Reiten? Erst eine Katze, jetzt Pferde … vielleicht sollte er Seto einen echten Teddybären schenken. Vielleicht einen kleinen Schwarzbär. Die Frau mit dem Cockerspaniel würde Augen machen, wenn er mit einem Bären Gassi ging.

„Bei mir ist nichts passiert“ Kimi lächelte freundlich. „Meine Cousine ist regelmäßig zu ihrer Therapie gegangen. Keine Katastrophen.“

Alle anderen lächelten. Diesmal stand amüsierte Überraschung auf allen Gesichtern. Anscheinend stimmte es, dass das Leben mit DID-Patienten nie langweilig wurde. Schießereien überraschten sie nicht, aber eine Woche Ruhe schon? Dagegen war Seto handzahm.

„Wunderbar“ Leyla lächelte. „Gibt es Fragen oder Wünsche für den heutigen Abend?“

Tomoko und Misa zeigten beide auf, sodass sie der Älteren das Wort gab, die sagte: „Wegen Hayato … das ist ja nun nicht das erste Mal, dass so etwas vorgefallen ist. Nun, dass es zu einer Schießerei kam, ist neu, aber dass sich jemand betrinkt oder dass jemand Auto fährt, der es nicht sollte, das … das passiert oft. Ich habe ihn letztes Jahr viermal von der Polizei abgeholt und er befand sich mehrere Wochen in Gefängnis. Sein Therapeut denkt, wir sollten ihn stationär behandeln lassen und hat mich gefragt, was ich davon halte … was denkt ihr?“

Leyla lehnte sich mit einem Seufzen zurück, sodass Kimi das Wort ergriff: „Wenn er eine Gefahr für sich oder andere ist, sollte er in einer Klinik behandelt werden, bis er in der Lage ist, auf sich und andere Acht zu geben.“

„Wenn wir danach gehen, müssen wir alle im Nebenraum einsperren“, merkte Misa an, „Eri versucht jeden Monat, sich umzubringen.“

Tja … Seto hatte einen Selbstmordversuch zu Beginn ihrer Beziehung gehabt. Am Morgen nach ihrer ersten Nacht. Seitdem hatte er nur damit gedroht, aber keinen Versuch mehr gestartet, richtig? Keinen ernsthaften. Alkohol, Tabletten, ein Psychiatrieaufenthalt, aber keinen Suizidversuch. Aber eine Gefahr für andere … das war er. Der Angriff auf Yami, auf Katsuya und eine Menge auf Möbelstücke. Ja, Seto fiel wahrscheinlich unter die Kategorie Selbst- und Fremdgefährdung.

Ein Kindergarten für Erwachsene

Moin ^.- Bin wieder im guten, alten (kalten) Deutschland. In den letzten drei Tagen wurde ich jetzt dreimal von Regen komplett durchnässt (trotz theoretischem Schirm). Meine Gesundheit hält sich wacker :) Muss am neuen Talisman für gute Gesundheit liegen.

Auf MarieSoledads Kommentar zum letzten Kapitel möchte ich gern eine öffentliche, für alle zugängliche Antwort schreiben. Da Mexx ja neuerdings diese "Antwort"-Funktion hat, werde ich diese mal ausprobieren. Ihr findet die Antwort demnach unter den Kommentaren des letzten Kapitels. An dieser Stelle noch mal: Vielen Dank für eure großartigen Kommentare! Und wenn es Kritik gibt, nicht zurückhalten, bitte ^.-

Ich wünsche euch jetzt viel Spaß beim Lesen!
 

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„Meine Schwester hat noch nie versucht, sich umzubringen. Und sie hat auch noch nie jemanden gefährdet“ Leyla sprach sehr ruhig, sodass jedes Rascheln und Rücken erlosch, um sie zu hören. „DID-Patienten sind alle sehr … individuell. Deswegen muss man bei jedem individuell abwägen, was das Beste ist. Wie reagiert Hayato denn auf die Klinik?“

„Die meisten Persönlichkeiten halten die Klinik für eine Bedrohung“ Tomoko legte den Kopf zur Seite. „Er war in vielen Psychiatrien, bevor man ihn richtig diagnostizierte und wurde dort nicht sehr gut behandelt. Er würde sich mit Händen und Füßen wehren“ Sie seufzte und senkte den Kopf. „Sie werden ihn nun erst einmal wieder einweisen. Sie sagen, das ist so die Regel. Weil ihnen nicht klar ist, ob dieser Angriff auf den Polizisten in suizidaler Absicht war. Weil er erschossen werden wollte“ Sie fuhr sich mit einer Hand über ihre Stirn. „Ich weiß nicht, was ich den Ärzten sagen soll. Außerdem sagen sie mir, dass sie eigentlich nicht mit mir sprechen dürfen, weil ich nur seine Ex-Frau bin“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe versucht, ihnen zu erklären, was er hat und ich habe ihnen die Nummer seiner Therapeutin gegeben. Aber sie sagen, sie dürfen sie wegen der Schweigepflicht nicht anrufen. Ich weiß einfach nicht weiter“ Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab und sie wischte sie fast im selben Moment weg.

„Dass Menschen, besonders Ärzte, die Krankheit nicht verstehen und nicht richtig mit DID-Patienten umgehen, ist leider häufig“ Leyla nickte, während sie sprach. „Das gilt für viele psychische Erkrankungen. Manchmal hilft nur, immer und immer wieder dasselbe zu sagen, bis einem Gehör geschenkt wird. Du scheinst alles versucht zu haben, was du konntest.“

Während sie sprach, hatte Kimi Tomokos Hand gegriffen und Misa ein Taschentuch hervor geholt. Katsuya sah unsicher hin und her.

„Aber wie erkläre ich denn einem Menschen, dass jemand etwas getan hat, weil er nicht zurechnungsfähig ist, aber es trotzdem die falsche Entscheidung ist, ihn wegzusperren? Manchmal zweifle ich meinen eigenen Verstand an … Hayato richtet so viel Schaden an, aber trotzdem kann man ihn nicht einfach wegsperren. Es gibt alles, um gesund zu werden. Er geht zweimal die Woche zur seiner Therapeutin, er kommt hierher, er arbeitet von zuhause aus, er geht zum Orchester, wir gehen in die Oper … mit jedem Monat wird er stabiler. Und dann geht eine seiner Persönlichkeiten wieder trinken oder beginnt Streit mit Fremden oder irgendetwas erschrickt ihn und eine aggressive Persönlichkeit kommt hervor, um ihn zu schützen. Er bekommt Probleme mit dem Gesetz, er landet im Krankenhaus, man sperrt ihn wieder in die Psychiatrie-“ Ihr eigenes Schluchzen unterbrach sie. Sie senkte den Kopf und hob beide Hände vor ihr Gesicht. Ihre beiden Sitznachbarinnen hatten je eine Hand auf ihre Schultern gelegt.

„Dagegen ist Eri ganz in Ordnung“, murmelte Misa in das betretene Schweigen, „sie versucht immer nur, sich selbst zu töten. Sie gefährdet keine anderen dabei. Außer ihrer Katze mit ihrer Abwesenheit.“

„Ja, meine Cousine gefährdet auch immer nur sich selbst“ Kimi seufzte.

„Ich bin von einer Persönlichkeit bedroht worden“ Leyla legte den Kopf zur Seite und stützte ihn auf eine Hand. „Aber sonst ging es immer nur um Selbstverletzung.“

„Seto macht beides“, gestand Katsuya leise, „er … bei Angst oder Wut kommt eine sehr heftige Persönlichkeit hervor, die andere angreift. Aber er kontrolliert sie normalerweise so weit, dass er nur Möbel zerstört. Und bei Schuldgefühlen verletzt er sich selbst. Aber er hat versprochen, dass er versucht, es zu lassen.“
 

Tomoko setzte sich auf, atmete tief durch und tupfte die Tränen von ihren Wangen. Mit einem tiefen Seufzen öffnete sie die Lider, wandte sich Katsuya zu und fragte: „Verletzt er dich?“

„Körperlich?“ Er wandte den Blick ab. Wollte er das wirklich erzählen? Was, wenn sie Seto einsperren lassen wollten? Okay, dieser Hayato schien noch etwas extremer zu sein, aber … andererseits, wer würde ihn verstehen wenn nicht diese Frauen? „Selten. Er hat mich zwei- oder dreimal geschlagen. Aber nur einmal war wirklich gefährlich.“

„Ist die Narbe von ihm?“ Ihr Blick war von Sympathie erfüllt. Eine mittelalte Dame, die ihn mit Sympathie und Verständnis ansah … er fühlte Tränen aufwallen, aber er schluckte sie.

„Nein“ Er atmete tief durch, um seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen. „Die ist von meinem Vater“ Er drehte den Kopf zur Seite. „Die hier ist von Seto.“

Sie seufzte, schloss kurz die Lider, doch lächelte dann tapfer, bevor sie erwiderte: „Ich habe mich vor ein paar Jahren von Hayato scheiden lassen, weil er völlig unberechenbar wurde. Ich verstand nicht, warum er plötzlich wütend wurde, warum er mich bedrohte. Er machte mir unsägliche Angst. Und als er wirklich zuschlug, bin ich weggelaufen … heute weiß ich, was dahinter steckt. Er hat sich sogar entschuldigt. Ich wünsche mir fast, ich hätte mich nicht von ihm getrennt … aber damals wusste ich es nicht besser. Ich hatte einfach schreckliche Angst. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich heute mit ihm leben könnte. Man hat nie Ruhe. Immer kommt eine neue Katastrophe … ich habe mittlerweile einen automatischen Nachrichtendienst im Krankenhaus, sodass ich informiert werde, wenn Hayato mal wieder dort ist. Dasselbe bei der Polizei … manchmal erscheint mir die Welt wirklich verrückt.“

„Das mit den Katastrophen macht mich auch fertig“ Katsuya seufzte und fuhr mit einer Hand in sein Haar. „Vor ein paar Wochen hatte Seto einen Rückfall mit Alkohol, dann war er deswegen in der Klinik, dann kam letztens seine Tablettensucht raus, jetzt hat er davon einen kalten Entzug und deswegen Flashbacks und Halluzinationen, gestern hat eine seiner Persönlichkeiten das mit der DID gestanden, seitdem weiß ich, dass er sechs Persönlichkeiten hat und jetzt … ich weiß auch. Es wird immer mehr. Jedes Mal denke ich, schlimmer kann es nicht kommen und dann wird es schlimmer.“

„Manchmal will man schreiend weglaufen, was?“ Misa lächelte schräg.

„Ich bin schreiend weggelaufen“ Tomoko schüttelte den Kopf. „Warum machen wir das hier? Was für eine Störung haben wir, dass wir uns das antun?“

„Ich liebe meine Schwester, das bezeichne ich nicht als Störung“ Leyla klang recht ungehalten. „Und ich möchte dezent an die Redeliste erinnern.“

„Beruhige dich, Leyla“ Kimi strich ihr über die Schulter. „Deine Schwester belastet dich auch. Du bleibst bei ihr, weil du sie liebst und ihr dankbar bist, aber das ändert nichts daran, dass sie dich belastet. Die anderen drei hier sind mit ihren DIDlern nicht verwandt. Sie können ein Leben ohne sie führen und niemand würde ihnen einen Vorwurf machen. Meine Cousine hat auch jeder andere in der Familie aufgegeben. Natürlich fühlen wir uns alle verantwortlich, sonst wären wir nicht hier, aber die Wahl, das hier nicht zu tun, steht uns allen offen.“

Katsuya atmete tief durch. Ja … er hatte die Wahl. Er konnte sich auch gegen Seto entscheiden. Aber diese Wahl hatte er schon getroffen. Er würde bei Seto bleiben. Nur warum? War es wirklich nur Liebe? Wie viel seiner Entscheidung war Verantwortungsgefühl für Seto? Und wenn er schon dabei war … wie viel war Angst vor dem Leben, was er ohne Seto führen würde?
 

Sie sprachen gerade über Misas Freundin Eri, als aus dem Nebenraum das sirenenartige Weinen eines Kindes zu hören war. Sie alle wandten sich besorgt der offenen Tür zu, aber nur Katsuya erhob sich. Er lauschte einen Moment, bevor er meinte: „Das hört sich nach Seto an. Darf ich rüber gehen?“

„Ich denke, wir sollten alle schauen, was los ist“ Leyla erhob sich ebenso. „Wenn einer weint, beeinflusst das alle.“

Mit einem Nicken erhoben sich auch die anderen und folgten Katsuya, der in den Flur trat und an der Tür der anderen Gruppe klopfte, bevor er diese – ohne auf eine Antwort zu warten – öffnete. Das Spielzimmer war ein gut beleuchteter Raum, der halb mit einem offenen Stuhlkreis und halb mit einer Matte gefüllt war, auf der Kinderspielzeug ausgebreitet lag. Ein Mann und fünf Frauen saßen auf den Stühlen und beobachteten mit unsicheren, ablehnenden oder gelangweilten Gesichtsausdrücken die drei Individuen auf der Spielmatte.

Eine junge Frau hatte sich mit weinerlich verzogenem Ausdruck in die hinterste Ecke der Decke zurückgezogen und drückte sich ängstlich gegen einen Stuhl. Das laute, sirenenartige Weinen kam wirklich von Seto – Klein-Seto natürlich –, dem gegenüber eine dickliche Frau mit einem wutverzogenen Ausdruck saß. Sie drückte einen kleinen roten Feuerwehrwagen an ihre Brust und schimpfte: „Du bist doof! Ruf doch nach deiner Mama! Kommen wird sie sicher nicht. Keiner kommt, wenn wir rufen. Also hör auf zu heulen, du Idiot.“

„Ich komme sehr wohl“, ging Katsuya dazwischen und trat zu Seto.

„Kats!“ Zwei Arme schlangen sich um seine Hüfte und ein reichlich schwerer Körper für eine fünfjährige Seele riss ihn fast von den Füßen.

„Warum beschimpfst du Seto?“, wandte er sich an die Frau, während er eine Hand auf Setos braunes Haar legte.

Irgendwie fühlte er sich in die Vergangenheit zurück katapultiert. Das war wie mit seiner Schwester auf dem Spielplatz früher. Nur war sein Gegenüber kein kleiner Junge, der seine Schwester wegen ihrer Zahnspange beschimpfte. Auf der Matte saß eine Frau von sicherlich vierzig Jahren mit völlig zerschnittenen Armen, die mit dem offenen Hass eines Grundschulkindes im Gesicht Spielzeug an ihre Brust drückte. Ihr sackartiges Blümchenkleid war voller Flecken und ihr Haar fettig und strähnig. Ihr Anblick erregte Ekel, aber Katsuya rief sich in Erinnerung, dass diese Person die exakt selbe Krankheit wie sein Verlobter hatte.

„Er hat mein Lü-la-Auto genommen!“

„Hast du das, Seto?“ Er strich beruhigend über dessen Kopf.

„Ich wollte nur damit spielen“ Der Brünette sah mit einem Schmollmund auf.

„Hast du gefragt, ob du damit spielen darfst?“ Katsuya seufzte innerlich. Was war er eigentlich? Eine sechzigjährige Großmutter? Diese Krankheit war echt verrückt.
 

Seto schmollte einfach nur statt eine Antwort zu geben. Keine Antwort war wohl auch eine Antwort, nicht?

„Das nächste Mal fragst du, bevor du ein Spielzeug nimmst, verstanden?“ Er wartete, bis Seto mit einer guten Portion Widerwillen im Gesicht nickte. Warum hatte er nie gemerkt, wie egoistisch und verzogen sein Freund als Kind war? Kein Wunder, wenn Angst jede einzelne Strafe eingesteckt hatte. Er wandte sich zu der Frau. „Das ist trotzdem kein Grund, so gemeine Dinge zu Seto zu sagen. Ich weiß, dass niemand hier gute Erinnerungen an seine oder ihre Eltern hat. Du würdest auch nicht wollen, dass ich über deine Eltern spreche.“

„Du weißt einen Scheiß über meine Eltern“ Das Feuerwehrauto fiel aus ihren Armen, während ihre Hände sich zu Fäusten ballten. Sie senkte den Kopf und ihre Lider zogen sich zu einem schmalen Spalt über ihren Augen zusammen.

„Genau das meine ich. Das ist gemein und du hast Seto damit zum Weinen gebracht.“

„Ist mir doch scheiß egal, ob die kleine Ratte heult“ Sie erhob sich, trat einen Schritt auf Katsuya zu und packte den Kragen seines Sweatshirts.

Sie war kleiner, aber Katsuya kannte das Gefühl. Das war ein gewalttätiger Teenager. Niemand, mit dem man scherzen sollte. Innerlich schaltete er auf Verteidigung. Hoffentlich würde das hier nicht blutig werden.

„Lass meinen Katsuya in Ruhe!“ Seto löste die Arme von Katsuyas Hüfte, drückte sie gegen die der Frau und ließ sie damit nach hinten in herum liegende Bauklötze und Spielzeugautos stürzen.

„Seto!“ Katsuya schnappte sich einen Arm und zog den Knienden mit einem Ruck zu sich. Sein anderer Arm schnellte in die Höhe, als wolle er ihn schlagen, doch er stoppte die Bewegung mit purer Willenskraft. „Du wirst hier niemanden je wieder schubsen, hast du verstanden? Damit kannst du Menschen wirklich verletzen.“

„Au ...“ Seto verzog das Gesicht. Sein Blick schnellte zwischen der erhobenen Hand und der um seinen Oberarm hin und her.

„Entschuldige“ Mit einem tiefen Durchatmen ließ Katsuya den erhobenen Arm wieder sinken und lockerte den Griff mit der anderen Hand. Wenn er so weiter machte, würde er Angst heraus rufen. „Aber das war wirklich, wirklich böse. Hast du das verstanden?“

Seto nickte mit tief in Falten liegender Stirn und zitternder Unterlippe.

Noch einmal durchatmen. Katsuya wandte seinen Blick zu der auf dem Boden liegenden Frau. Sie hatte sich zu einer Kugel zusammen gerollt. Er schloss kurz die Lider. Die Pose kannte er nur zu gut. Jedes Mal, wenn sein Vater ihn zu Boden gebracht hatte, hatte er sich so versucht, vor den Tritten zu schützen. Mit einem tiefen Einatmen öffnete er die Augen wieder. Und was jetzt? Er kniete sich neben sie und sah nach, worauf sie gelandet war und ob sie schwere Wunden hatte.

„Ist sie verletzt?“, fragte Leyla von der Tür aus, wo die vier Damen standen.

„Sie scheint nicht zu bluten“ Er seufzte und sah zu ihnen. „Irgendeine Idee, was ich tun soll?“

„Nicht anfassen“, flüsterte jemand hinter ihm. Er sah über die Schulter und erblickte eine Frau von ungefähr Mitte dreißig, deren Lider extremst geweitet waren. Sie sah aus wie ein Kaninchen, das in den Lauf einer Schrotflinte sah.

„Doch.“

Katsuyas Blick schnellte zu Seto. Dieser erhob sich in einer grazilen Bewegung, trat die zwei Schritte zu ihnen und kniete sich hinter der Frau nieder. Das war … nicht Klein-Seto. Auch nicht Ikar, dafür war der Gesichtsausdruck zu ernst. Wahrscheinlich der normale Seto. Dieser streckte die Finger aus und legte sie sehr vorsichtig auf die Schulter des zusammen gerollten Etwas. Hinter Katsuya zog jemand scharf die Luft ein. Seto ließ sich nicht beirren und drückte seine ganze Hand auf ihre Schulter, bevor er damit über ihren Rücken strich.

„Warum?“ Es war kaum mehr als ein Wimmern. Die Frau mit den geweiteten Lidern starrte Seto mit Panik im Gesicht an.

„Weil wir lernen müssen, dass Berührungen auch angenehm sein können.“

Katsuya schluckte und wandte den Kopf ab. Was hatte Yami gesagt? Die meisten hier hatten ihre Krankheit, weil sie als Kleinkinder vor allem sexuell missbraucht wurden? Auch wenn dieses Etwas im Körper der – wie er jetzt merkte – auch stinkenden Frau eher wie jemand wirkte, der mit physischem Missbrauch zu tun gehabt hatte. Er erhob sich, um etwas mehr Abstand von ihr zu bekommen. Er wusste nicht, ob er sie ohne Zögern überhaupt hätte anfassen können. Seto schien kein Problem mit ihrer miserablen Hygiene zu haben.

Er ging um sie herum, legte eine Hand auf Setos Schulter und fragte: „Kommt ihr hier allein klar?“

„Natürlich.“

Katsuyas Mundwinkel zuckte in die Höhe. Natürlich sagte er. Seto, der Mann, der alles wusste und alles konnte. Der, den er über alles liebte. Der, der sich seinen Kopf mit mindestens fünf anderen teilte. Der, der diese Selbstsicherheit nur hatte, weil seine Angst eine andere Persönlichkeit war. Kopfschüttelnd verließ Katsuya das Zimmer.

Die andere Seite der Münze

Deutsche Lande, kalte Lande. Ich war extrem dankbar für die Sonne auf der Dokomi. Lasst uns alle hoffen, dass Japantag genau so wird. Wenn ich das so mit Japan vergleiche ... andererseits, da ist es jetzt so warm, dass es schon zu warm für mich ist und Monsumzeit. Also ist Deutschland wohl doch nicht so schlimm.

Und ab morgen gehe ich wieder arbeiten ^v^ Vorbei ist die lange Urlaubszeit. Sie war schön, aber jetzt freue ich mich mal wieder auf geregelten Alltag. Und euch wünsche ich nun viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya fand seinen Verlobten in der Küche, als ihre Gruppe geendet hatte. Neben einer laufenden Kaffeemaschine wusch er seine Hände mit Spülmittel.

„Bis nächste Woche“ Misa schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und trat zu der jungen Frau, die immer noch leicht nach einem verängstigten Kaninchen aussah und jetzt an der Tür wartete. Sie musste also Eri sein.

Er winkte ihr kurz nach, bevor er zu Seto trat, der sich nach einem Handtuch umsah. Er reichte es ihm wortlos, da er durch Leyla wusste, wo es versteckt war.

„Danke.“

„Kein Problem“ Er lehnte sich gegen den massiven Holztisch, der im Raum stand. „Wie … geht es dir?“

„Frag nach dem Kaffee“ Seto schmiss das Handtuch achtlos auf die Theke, lehnte sich gegen diese und verschränkte die Arme.

Katsuya stieß sich von dem Tisch ab und schlenderte zu seinem Freund hinüber. Er lehnte sich gegen dessen Seite, sodass dieser seine Arme wieder löste und einen um Katsuya legte.

Nach einem Seufzen sagte Seto leise: „Du solltest das alles hier nicht mitmachen müssen.“

„Du solltest diese Krankheit gar nicht erst haben“, erwiderte Katsuya ebenso leise, „vieles sollte nicht so sein, wie es ist. Wir müssen trotzdem mit der Realität leben.“

„Wann bist du plötzlich erwachsen geworden?“ Setos Stimme war noch immer kaum lauter als ein Hauchen, das fast im Gurgeln der Kaffeemaschine unterging.

„Ich bin nicht erwachsen“ Katsuya legte die Arme um Setos Taille. „Ich versuche verzweifelt gegen eine Flut anzusteuern.“

„Das klingt synonym“ Seto setzte einen Kuss auf das blonde Haar. „Nur habe ich das Gefühl, als wäre ich schon untergegangen. Und ich glaube, ich ziehe dich mit mir in die Tiefe.“

„Ganz objektiv kriegst du dein Leben besser auf die Reihe als ich“ Katsuya hob den Blick und sah in Setos blaugraue Augen. „Ich gehe noch zur Schule, obwohl ich damit längst hätte fertig sein sollen. Und … du hast dich nicht vergewaltigen lassen.“

„Wer weiß?“ Seto hob seinen Kopf und legte sein Kinn auf Katsuyas Schopf. „Vielleicht fehlt mir nur die Erinnerung daran. Wenn ich es wurde, dann kann ich dafür genau so viel wie du für deine.“

„Du warst ein Kind.“

„Du warst ebenso hilflos wie ich damals“ Seto drehte sich zu ihm und legte auch seinen anderen Arm um ihn. „Es war nicht deine Schuld.“

Katsuya fühlte ein Schluchzen aus seiner Kehle brechen. Bei allen Göttern, er war verdammt schwach. Er hatte Seto nach seinem Wohlbefinden fragen und nicht schon wieder in Tränen ausbrechen wollen. Er war echt jämmerlich. Konnte er nicht auch mal für seinen Freund da sein statt immer nur selbst Hilfe zu brauchen? Aber Eris Augen … dieser Blick purer, nackter Angst. Es war wie das, was er in sich spürte. Diese absolute Panik vor der Welt. Kein Funken gespielter Selbstsicherheit konnte davon ablenken, wie viel Angst er hatte. Wie viel Angst ihm all diese neuen Situationen machten.

Er drückte sein Gesicht gegen Setos Oberteil und erlaubte sich einen Moment der Verzweiflung.
 

„Es tut mir Leid, dass ich Klein-Seto verletzt habe“, murmelte er ein paar Momente später, als er sich wieder gefangen hatte.

„Ja … das“ Seto räusperte sich und lockerte die Umarmung, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen.

„Bist du sauer?“ Katsuya schluckte und sah auf.

„Natürlich bin ich sauer“ Die Arme verließen ihn ganz und die Hände ballten sich zu Fäusten. „Dieses verwöhnte, kleine Blag. Ich kann solche Kinder nicht ausstehen. Er hat nicht einen Funken Demut.“

Katsuya blinzelte verwundert. Seto war sauer auf … sich selbst? Nicht auf ihn?

„Er ist völlig verzogen. Ich würde ihn am liebsten mit Angst zusammen stecken, um ihm Manieren beizubringen“ Seto wandte schnaubte und setzte sich auf einen Stuhl am Tisch.

„Er ist erst fünf“ Katsuya trat hinter ihn, legte seine Hände auf dessen Schultern und massierte sie. „Er … er ist Strafen nicht gewöhnt. Ich vermute, die hat Angst eingesteckt. Und Ikar.“

„Umso schlimmer“ Seto legte den Kopf in den Nacken. „Ich habe keine Lust zu verschwinden. Aber dieses Kind will ich verschwinden lassen. Sogar Angst stört mich weniger als dieses kleine, egoistische Mistvieh.“

„Seto!“ Katsuya wich erschrocken zurück.

„Ich kann glückliche Menschen nicht ausstehen“ Er senkte den Kopf wieder, sodass er Katsuya nicht mehr sehen konnte. „So ein naives Kind ohne jede Erinnerung an Schmerz in meinem Kopf zu haben … ich würde es am liebsten schlagen, um ihm zu zeigen, wie die Welt wirklich ist.“

„Das kannst du nicht meinen!“ Katsuya trat neben seinen … was auch immer. „Reicht es nicht, dass all deine Persönlichkeiten auf die eine oder andere Art verstört sind? Kannst du dir nicht einen Kern zugestehen, den ihr vor Schmerz schützt?“

„Warum sollte ich?“ Seto erhob sich und drehte sich zu Katsuya. „Warum sollte ich für ein Kind leiden? Warum sollte ich für irgendwen leiden? Warum sollte ich mich einfach damit abfinden, dafür da zu sein, damit es anderen besser geht? Ich habe auch ein Recht zu leben!“

Okay. Durchatmen. Hier ging es nicht um Klein-Seto. Hier ging es darum, dass die Persönlichkeit Seth seine Rolle als der, der die Realität auszuhalten hatte, verachtete. Schien, als hätte Klein-Seto ihn nur daran erinnert. Wahrscheinlich meinte er das alles, was er über Klein-Seto sagte, nicht wirklich so. Zumindest hoffte Katsuya das inständig.

„Das hast du, Seto. Aber du hast kein Recht, anderen die Schmerzen zuzufügen, die du fühlst. Du darfst andere nicht verletzen“, erwiderte Katsuya mit ruhiger und ernster Stimme.

Seto seufzte tief und wandte den Kopf ab.

Katsuya wartete einige Sekunden, ob er noch etwas sagen wollte, aber es schien nicht so. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich ab, zog einen Becher aus einem Regal und schenkte seinem Freund Kaffee ein. Er reichte ihm das Gefäß wortlos.

Statt eines Danks nickte Seto nur und setzte sich wieder.
 

„Dürfen wir herein kommen?“, fragte Leyla vorsichtig, die im Türrahmen stand.

Seto wandte den Kopf zu ihr, was sie zusammen zucken und einen Schritt zurück machen ließ.

„Seto ...“, moserte Katsuya, griff dessen Ohr und zog daran, „sei lieb.“

„Ich bin kein Kind, ich muss nicht auf dich hören“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Knurren. Er legte seinen Blick trotzdem auf seinen Becher und massakrierte stattdessen den Kaffee mit Blicken.

„Ich behandle dich wie ein Kind, wenn du dich wie eins benimmst. Das schließt alle Arten von Beleidigungen und Einschüchterungsaktionen mit ein. Du bist nicht so böse, wie du andere glauben lassen willst.“

Leyla trat wieder vor, blieb aber trotzdem lieber am Eingang der Küche stehen. Eine der Frauen, die vorhin im Stuhlkreis gesessen hatte, trat hinter sie und drückte sich an ihre Seite. Wahrscheinlich Nene, ihre Schwester.

„Was sollte es mich interessieren, was andere über mich denken?“, murmelte Seto nur.

„Lässt du gerade Ikar sprechen? Das klingt nämlich ziemlich nach einem schmollenden Jugendlichen. Du weißt, dass dein Job, unser Zusammenleben und unser Freundeskreis davon abhängen, was andere über dich denken.“

„Ich hab' keine Lust, mir das von dir anzuhören“ Seto nahm einen tiefen Schluck von seinem Kaffee, während er aufstand. Er ließ den Becher stehen und verließ die Küche. Die zwei Frauen wichen ihm ängstlich aus.

Katsuya seufzte nur tief und schloss die Lider. Das blendete leider nicht das Zuschlagen der Tür aus, die ankündigte, dass Seto gegangen war. Er atmete tief durch. Was zur Hölle war jetzt wieder in ihn gefahren?

So schlimm war er – mit Ausnahme der kurzen Trennung – seit Beginn ihrer Beziehung nicht gewesen. So hatte er sich Isis gegenüber verhalten. Einmal sogar Yugi gegenüber. Yami auch mal, wenn er sich richtig erinnerte. So war Seto drauf, wenn er extrem angespannt war. Katsuya seufzte tief. Die Gruppe hatte ihn wahrscheinlich mitgenommen und er hatte zu sehr gebohrt. Er hätte schweigen sollen, nachdem Seto gesagt hatte, dass er nicht über sein Befinden reden wollte.

Er öffnete die Lider wieder und sah zu Leyla und Nene herüber. Waren die beiden geblieben, um mit ihm zu sprechen? Leyla schien die erfahrenste hier zu sein … vielleicht wollte sie ihn ausschimpfen? Verdient hätte er es wahrscheinlich. Er stählte sich innerlich für die kommende Tirade.
 

„War das dieselbe Persönlichkeit, die vorhin nach der Kinderpersönlichkeit raus gekommen ist?“, fragte Leyla vorsichtig, während sie die Küche betrat.

„Ja“ Katsuyas Stimme klang erschöpft. Wenn er genau darüber nachdachte, war nicht nur seine Stimme fast am Ende. Er sank tiefer in den Stuhl. „Das ist Seth, seine … nun, die Persönlichkeit, die den Alltag bewältigt. Will aber Seto genannt werden.“

„Ist er eine eigene Person oder ist er eine Strukturpersönlichkeit?“ Sie nahm den Stuhl, von dem Seto aufgesprungen war. Nene hielt sich hinter ihr und fixierte Katsuya, ohne zu blinzeln.

„Mir wurde beschrieben, dass er lange Zeit wie eine Leinwand für alle anderen war. Er hat erst in den letzten Monaten eine eigene Persönlichkeit entwickelt.“

„Hm … er ist überraschend inkonsistent. Als er diese Frau berührt hat, war ich wirklich zutiefst beeindruckt. Ein so fürsorgender Charakter … aber das gerade war ja sehr abwehrend“ Ihr Blick lag auf dem stehen gelassenen Becher.

„Er ist gemein und sarkastisch und nur denen gegenüber nett, die er für würdig hält. Darunter fallen vor allem misshandelte Kinder. Der fürsorgende Teil könnte aber auch eine andere Persönlichkeit sein, die durch ihn gehandelt hat.“ Imalia. Seine ganze Fürsorge könnte Imalia sein. Der sarkastische Seto war nur so lange lustig, wie man wusste, dass sich die spitze Zunge nicht gegen einen selbst richten würde. Katsuya liebte ihn vor allem für seine unvergleichliche Fürsorge … was, wenn das alles Imalia gewesen war? Was, wenn er eigentlich die Mischung aus Seth und Imalia liebte?

Was, wenn ein Monster unter dem Tisch lauerte? Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Er dachte zu viel nach. Wenn er schon seine Gedanken um etwas kreisen lassen wollte, könnte er sich vielleicht mal darauf konzentrieren, dass er Seto beinahe geschlagen hatte. Was war in ihn gefahren? Es war eine wie automatische Reaktion gewesen. Begann er jetzt, wie sein Vater zu werden? Jetzt, wo Seto eine immer schwächere Position in seinen Augen bekam? Würde er ihn irgendwann mit Gewalt unter Kontrolle halten?

„Danke“, sagte eine fremde, weibliche Stimme.

Er sah auf. Leyla sah zu Nene. Nene sah noch immer ihn an. Hatte sie gesprochen? Wahrscheinlich, nicht wahr? Er waren nur noch sie drei da.

„Für was?“, fragte er sie etwas überrascht.

„Dass du ihn nicht geschlagen hast.“

„Das ist kein Grund mir zu danken, das ist selbstverständlich“ Er schnaubte. „Ich fasse es nicht, dass ich es fast getan hätte. Ich benehme mich wie meine Mutter.“

Er presste die Lippen zusammen. Er … was? Wie seine Mutter? Sein Vater schlug doch immer zu … aber ja, sie auch. Sein Vater schlug grundlos zu. Seine Mutter schlug ihn, wenn er in ihren Augen nicht manierlich war. Hatte ihn geschlagen. Vergangenheitsform. Wie konnte ihn das heute noch beeinflussen? Das war doch zehn Jahre her!

„Du solltest mit Kimi sprechen“ Leyla lächelte traurig. „Ihre ganze Familie ist … etwas gestört. Sie beklagt sich auch immer, dass sie ihren eigenen Eltern immer ähnlicher wird, obwohl sie es nie wollte. Tomoko hatte gute Eltern. Die beiden unterhalten sich oft über ihre Kinder.“

„Tomoko hat Kinder?“ Katsuya sah auf. „Von Hayato?“

„Ein elfjähriger und eine fünfjährige“ Leyla lächelte, aber ihr Lächeln war von Schmerz durchzogen. „Sie hat die beiden vor zwei Jahren mitgebracht, nachdem sie sich von Hayato geschieden hatte. Wir haben den beiden erklärt, an was ihr Vater leidet und warum sie ihn erstmal nicht wiedersehen können.“

Er betrachtete sie schweigend. Er hatte eine vage Ahnung, dass hinter dieser Geschichte noch mehr steckte, aber er wollte ehrlich gesagt nicht nachfragen.

Aufwühlende Fakten

Titel sagt alles, dieses Kapitel wird nicht so schrecklich harmonisch, also seid gewarnt.

Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Hey“ Katsuya öffnete die Autotür und sah hinein.

Seto, der hinter dem Steuer saß, schwieg und warf ihm einen müden Blick zu. Ihre Augen trafen sich für einen Moment, bevor er den Kopf abwandte. Der Blonde stieg vorsichtig ein, nahm Platz und schnallte sich an. Dass Seto nicht reagierte, hieß wohl, dass das okay war.

„Danke, dass du gewartet hast.“

Seto schnaubte nur, startete den Wagen und fuhr los.

Katsuya biss auf seine Unterlippe. Seto schien sauer … ziemlich sauer. Ob er sich entschuldigen sollte? Hatte er sich wirklich so unmöglich verhalten? Es war echt schwer, einfach von Klein-Seto auf den normalen Seto umzustellen. Natürlich hatte er Seto nichts zu sagen, aber … na ja, es war auch nicht okay, seine schlechte Laune an anderen auszulassen. Trotzdem … hätte er als Freund unterstützend sein sollen? Statt auch noch negativ zu reagieren? Andererseits tat es ihm nicht wirklich Leid. Er fand es nicht okay, wie Seto bisweilen mit anderen umging.

Vielleicht sollten sie sich in einer ruhigen Minute nochmal darüber unterhalten.

Für die Zeit der Fahrt schwieg Katsuya einfach nur. Da Seto die Musik komplett ausgeschaltet hatte und selbst auch nichts sagte, war es ein äußerst unangenehmes Schweigen. Katsuya verschränkte die Arme und sah aus dem Fenster. Er hasste das … diese Wut zwischen ihnen. Das Unverständnis. Und die Angst. Streiten … stritten sie sich öfter als andere Paare? Oder weniger? War eine gute Beziehung eine, in der man viel stritt oder wenig? Oder gar nicht? Er konnte sich nicht vorstellen, wie man nie streiten konnte. Andererseits … vielleicht konnte man das. Wenn man sich immer erklärte, wenn man wütend war.

Aber das half der Wut auch nicht unbedingt. Es machte ihn nur bedingt weniger wütend. Und oft wusste er sowieso nicht, was ihn eigentlich wütend gemacht hatte. Warum hatte ihn Setos Verhalten eigentlich aufgeregt? War es nicht Setos Entscheidung, wie er mit anderen umging? Hatte er das Recht, sich dort einzumischen? Er seufzte tief.

„Ich hab' dich lieb“, meinte er einige Minuten, bevor sie ankommen würden.

Seto warf ihm einen schnellen Blick mit zusammen gezogenen Augenbrauen zu. Nach vier Sekunden des Schweigens fragte er: „Warum sagst du das?“

„Um dich daran zu erinnern. Dass ich dich lieb habe, auch, wenn ich sauer bin.“

Seto schnaubte. Allerdings nicht abwertend. Eher … keine Ahnung, ausdruckslos. Ja, er hatte ausdruckslos geschnaubt. Besser war es nicht auszudrücken. Katsuya lächelte. Seto warf ihm einen weiteren Blick zu und lächelte dann auch.

„Du bist unmöglich.“

„Damit sind wir zwei“ Katsuyas Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Und mögen uns trotzdem.“

„Darüber muss ich nochmal nachdenken“ Seto löste eine Hand vom Steuer und kniff Katsuya damit in die Seite.

„Hey!“

„Selbst hey.“

„Keine Gewalt in der Beziehung“ Katsuya streckte dem Fahrer die Zunge raus.

„Es ist erst Gewalt, sobald es dich stört“ Setos rechter Mundwinkel hob sich, sodass er Zähne zeigte. „Das Angebot steht immer noch, du kannst mich gern an der Decke aufhängen, um mich zu vögeln.“

„Wah!“ Katsuya schlug die Hände vor die Augen und senkte den Kopf. Ganz schlechte Bilder!
 

Seto warf ihm über die Schulter ein Lächeln zu, als er seine Schuhe auszog. Katsuya erwiderte mit einem Grinsen, auch wenn er bei weitem nicht so elegant aus seinen Sneakern kam und deshalb den Blick senken musste, um nicht umzufallen. Seto schnaubte nur – diesmal amüsiert.

„Nicht jeder ist akrobatisch begabt“, murmelte Katsuya leicht eingeschnappt.

„Deine Unfähigkeit nennt man Tollpatschigkeit, Hündchen.“

„Boah, wann hörst du damit endlich auf?“ Er schlüpfte in seine Hausschuhe und stellte sich mit verschränkten Armen neben Seto.

„Ich habe es seit Monaten nicht gesagt“ Seto lehnte sich nur völlig unbesorgt gegen die Wand und lächelte gespielt herablassend.

„Willst du 'ne Auszeichnung?“ Katsuya verengte die Lider.

„Ja“ Sein Freund hob eine Hand, legte sie unter Katsuyas Kinn und den Daumen an seine Wange. Seine Stimme war kaum mehr als ein erotisches Flüstern. „Gib mir eine Auszeichnung.“

Er folgte dem Lockruf, lehnte sich gegen Seto und küsste dessen Lippen, bevor er mit den Lippen den Hals hinab wanderte, um sich nicht strecken zu müssen. Seine Arme fielen wie von selbst um Setos Hüfte.

„Hah“ Er legte mit geschlossenen Lidern den Kopf zurück und hob eine Hand, um durch das blonde Haar zu fahren. „Ich bin doch nicht schlecht.“

„Schlecht?“ Indem Katsuya sein Kinn auf Setos Brust legte, sah er auf.

„Vorhin mit Ikar … da war ich schlecht im Verführen“ Seto grinste. „Ich dachte schon, ich kann es nicht mehr.“

„Bei allen Göttern“ Katsuya stieß sich von Seto weg und rollte mit den Augen. „Du hast Probleme.“

„Nun, das hat meinen Stolz wirklich verletzt“ Der Größere legte einen Arm um ihn. „Mein Sexappeal ist eines der wenigen Dinge, auf die ich stolz bin.“

„Schon klar ...“, murmelte Katsuya und ging Richtung Wohnzimmer. Halb in der Tür sah er zur Seite, ob Seto ihm folgte.

Dieser zeigte stumm mit einem immer noch sehr erotischen Lächeln nach oben Richtung Schlafzimmer. Katsuya schüttelte nur lächelnd den Kopf und betrat das Wohnzimmer. Einen Moment später erschien Seto im Türrahmen.

„Teppich?“, fragte er suggestiv.

„Du hast es heute echt nötig, oder?“ Katsuya ließ sich auf die Couch fallen. „Ich möchte immer noch wissen, wie die Selbsthilfegruppe für dich war.“
 

Das wischte leider das Lächeln von Setos Zügen. Nun, Katsuya hatte nichts anderes erwartet. Das Bedürfnis, nicht noch mal nachzufragen, war groß gewesen. Aber er musste, das wusste er. Bei Seto war es nie gut, Dinge unangesprochen zu lassen. Und zumindest wusste er ja, wie er ihn später wieder aufmuntern könnte.

Mit einem ernsten Gesichtsausdruck kam Seto zu ihm hinüber und setzte sich neben ihm auf die Couch. Sein Blick kam auf dem nicht angezündeten Kamin zu liegen und für einige Momente herrschte Schweigen. Katsuya sah ihn an und wartete. Irgendwann würde er schon reden.

„Die Gruppe ist ein einziges Chaos“ Setos Stimme klang ziemlich flach. „Jeder sollte sich mit Namen, Anzahl der bekannten Persönlichkeiten und einer Kurzzusammenfassung der letzten Woche vorstellen. Wir waren noch nicht mal zur Hälfte durch, da hat die erste Person geswitcht – also die Persönlichkeit gewechselt – und begann zu maulen, wie langweilig das ist und ob wir nicht hinne machen könnten“ Das klang nach den originalen Worten, Seto benutzte solch eine Sprache nicht. „Keiner wusste, was wir sagen sollen. Es gibt keine Gruppenleitung und niemanden, der wirklich Ahnung hat. Eigentlich sollte diese Gruppe von einem Therapeuten geleitet werden.“

„Und was habt ihr gemacht?“, fragte Katsuya nach.

„Nichts. Eine andere Person ist geswitcht und hat die erste Person angefahren, eine weitere Person hat geswitcht und in Kinderstimme darum gebeten, dass nicht gestritten wird … pures Chaos.“

Nun … das klang nicht so wirklich gut. Katsuya seufzte leise und fragte: „Und wie geht es dir, nachdem du das gesehen hast?“

„Tja“ Seto fuhr mit einer Hand über sein Gesicht. „Ich weiß nicht so ganz … vorhin fand ich es schrecklich. Jetzt denke ich mir, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war. Ich habe erkannt, dass ich nicht so schlimm bin. Ich habe zwar DID, aber ich wechsle nicht alle paar Minuten oder unpassend – meist.“

Betonung auf meist. Die Reaktionen von Angst waren immer unpassend. Und Klein-Seto bei Bakura vorzuschicken, das war riskant gewesen. Aber ja, Seto war noch recht okay. Katsuya lächelte leicht, als Seto sich auf das Sofa und den Kopf in Katsuyas Schoß legte. Er strich mit einer Hand über das braune Haar.

„Ich glaube, ich hatte noch nie das Gefühl, dass ich eigentlich nicht so schlimm bin und es sich mit mir zumindest aushalten lässt … selbst entgegen dem Kerl, der einfach nicht aufhören konnte, Frauen zu vergewaltigen. Oder dem, dessen Schizophrenie sich in Liebeswahn und krankhafter Eifersucht ausdrückte. Ich dachte immer, dass es mit mir trotzdem schrecklicher sein muss. Aber … ein paar von denen waren fraglos schlimmer als ich.“

Gut. Vielleicht half es Setos Angst. Andererseits schlecht. Es wirkte einer Therapie entgegen, wenn er sich für ganz umgänglich hielt. Katsuya schluckte trocken. Nichts in diese Richtung wollte über seine Lippen kommen. Etwas anderes drängte in sein Bewusstsein. Die Szene, die er am liebsten für einen Halbtraum hielt und weit in seinen Hinterkopf schieben wollte. Die, die ihm bei der kleinsten Erinnerung einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Die Worte brachen fast unkontrolliert aus ihm hervor: „Weil du selbst Menschen vergewaltigt hast?“
 

Stille.

Katsuya strich noch ein paar Mal über Setos Haar. Mit jeder vergehenden Sekunde sackte seine Muskulatur weiter in sich zusammen und sein Gesicht verlor jeden Ausdruck. Sein Atem vertiefte sich. Die Zeichen kannte er. Dissoziationen. Wollte er Setos Antwort doch nicht hören?

Die Hand auf Setos Haar stillte. Er konnte Seto schlucken spüren. Er zog den Arm zurück. Nach einem Moment erhob der Ältere sich, aber Katsuya stoppte ihn mit einer Hand auf seiner Schulter. Seto verharrte einen Moment, bevor er sich ganz vorsichtig wieder hinlegte und den Kopf auf Katsuyas Schoß bettete.

„Du hast doch zugehört“, flüsterte Seto leise.

„Hattest du gehofft, ich hätte es vergessen?“ Katsuyas Stimme war fast tonlos.

Der Andere seufzte nur. Er drehte sich langsam, um nach oben sehen zu können. Der Anblick von Katsuyas Gesicht ließ ihn erneut schlucken. Er wandte den Kopf zur Seite, um doch wieder wegzusehen.

„Du bereust es. Du bereust all deine schlimmen Taten. Es dürfte der einzige Grund sein, warum ich noch hier bin“ Irgendwo hinter dieser kalten, bösen Maske zitterte Katsuya vor seinen Worten. Wie konnte er so mit Seto reden? „Gozaburo zu ermorden war notwendig. Alle anderen Menschen danach nicht. Mit hunderten von Leuten zu schlafen war eine notwendige Ablenkung. Einige von ihnen zu vergewaltigen nicht. Also warum?“

Seto atmete kontrolliert. Es schien Minuten zu dauern, bis sich eine Antwort wie eine klebrige, zähe Flüssigkeit von seinen Lippen löste: „Die Morde … war ich nicht. Das war der Wächter. Vor meiner Zeit“ - Katsuya nickte, obwohl Seto eh nicht zu ihm sah - „Als sie mich schufen, war ich … leer. All diese Bedürfnisse in mir, die ich nie verstand, es waren die Bedürfnisse all der anderen. Mokuba hat vieles davon abgefangen. Ich suchte nachts nach Sex, aber … das war ganz normal. Irgendein Kerl, eine Nacht, nichts Wildes.“

Katsuya spürte Kälte um sein Herz. Nicht die Kälte von Dissoziationen. Eher die Kälte von Schmerz, von Schuld. Mokuba konnte es abfangen … das hieß, nachdem Mokuba tot war … nachdem Katsuya Setos Bruder getötet hatte …

„Nach diesem Psychiatrieaufenthalt war ich noch leerer. Da war wie ein Loch in mir, das mich auffraß. Ich glaube, es … ich denke, das war Einsamkeit. Ich hatte keinen Kontakt zu Noah. Keine Freunde. Nicht einmal Yami. Aber … ich wusste nicht, dass ich einsam war. Das andere in mir einsam waren. Ich … ich glaube ja auch nur, dass es das war, wenn ich zurückdenke. Ich weiß nur, dass ich erstmal immer mehr Sex brauchte. Einmal die Woche wurde zu jeder Nacht. Jede Nacht zu mehrfach täglich … immer nur Sex.“

Die letzte Wahrheit

Pollen x.x Allergie ist etwas schreckliches ... aber noch mehr desensibilisieren geht jetzt auch nicht mehr. Muss wohl doch nach Finnland ziehen.

Euch wünsche ich nun ein paar schöne Sonnentage, dass ihr gerade nicht in Bayern lebt und frohes Lesevergnügen!
 

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Katsuya schluckte. Ganz vorsichtig hob er die Hand und kam Seto damit wieder näher. Da kein Zucken, kein Zittern kam, legte er seine Finger wieder auf das braune Haar und strich darüber. Fuhr eher darüber, ohne es wirklich zu berühren.

„Ich weiß nicht, wie ich eigentlich noch funktioniert habe. Ich habe jede Fünfminutenpause einen anderen Lehrer gevögelt. Ich bin andauernd zu spät zum Unterricht gekommen. Von der Schule aus bin ich zur nächsten Bar, habe da Kerle aufgerissen, bis nachts die Clubs aufmachten. Ich bestand nur noch aus Arbeit und Sex“ Seto drehte ganz vorsichtig den Kopf und wagte einen schnellen Blick auf Katsuya. „Ich … ich weiß auch nicht. Es war wie ein Zwang. Ich bin meist nicht einmal gekommen. Ich weiß gar nicht, ob ich die meiste Zeit überhaupt hart war. Keine Ahnung. Es hatte schon lange nichts mehr mit sexueller Befriedigung zu tun.“

Klang nach einer Sexsucht. Nicht, dass Katsuya da irgendetwas drüber wissen würde, aber in Setos Suchtschema würde es fraglos passen.

„Es ging so weit, dass man mich feuern wollte. Nicht, weil irgendetwas rauskam. Nur, weil ich oft spät zum Unterricht war. Manchmal erschien ich gar nicht … ich musste irgendetwas anderes tun. In mir war ein unheimlicher Drang, diesen Job zu behalten.“

Rache. Seto wollte Rache. Für Mokuba. Es war sein Lebenssinn zu dieser Zeit gewesen. Natürlich war der Drang, den Job zu behalten, größer als der Drang zu allem, was ihm sonst am Leben hielt.

„Und dann … ich weiß nicht. Ich kann das alles nicht erklären. Ich verstehe es selber nicht. Ich wurde einfach immer extremer. Über Orte und Positionen hatte ich mir schon lange keine Gedanken mehr gemacht. Aus einfacher Fesselung wurden S-M-Geschirre, aus Gerten Peitschen, schließlich Schlagstöcke, Gürtel … das hatte nicht mal mehr etwas mit S-M zu tun. S-M tut nicht wirklich weh und es geht vor allem um Vertrauen und sich fallen lassen. Ich vertraute nicht. Ich brauchte einfach nur mehr Kick. Ich wusste, Drogen würden mich kaputt machen. Krankheiten wollte ich auch nicht. Aber Schmerzen … Schmerzen klangen okay.“

Katsuya löste die Hand aus Setos Haar, fuhr mit ihr über seine Brust zu seinem Arm und schnappte sich eine von Setos Händen. Er verschränkte ihre Finger und drückte leicht.

„Alles danach … verstehe ich gar nicht mehr. Ich hatte meistens unten gelegen. Aber plötzlich sah ich nicht mehr Menschen, die mir weh tun konnten und wo ich es genießen würde … ich sah Menschen, denen ich weh tun kann. Das war zuerst noch harmlos. Nichts gegen ihren Willen. Ich fühlte mich gut und mächtig. Diese Menschen waren dankbar, wenn ich sie verletzte. Es war komisch, aber es war okay. Nur ...“ Seto leckte über seine Lippen und sah auf. Seine Pupillen zitterten leicht. „Das machte mir Angst. Diese Menschen. Die, die mir dankten, weil ich ihnen weh tat. Obwohl ich es vorher selbst genossen hatte, hatte ich etwas anderes als sie genossen. Ich mochte Schmerz … sie … sie waren anders. Für sie war es Zuneigung. Es machte mir schreckliche Angst. Ich wollte nicht in ihre Gesichter sehen. Ich wollte nicht hören, was sie sagen. Ich wollte stille Puppen, die … einfach still sind. Vor meinen Augen wurden ihre Worte zu höhnendem Gelächter und ihr Lächeln zu dämonischen Fratzen. Sie mischten sich mit Erinnerungen und Halluzinationen, die mir Angst machten. Ich wollte nur Stille. Ich wollte all diese Angst nicht. Ich … ich hatte Angst vor ihnen. Also musste ich sie still kriegen.“
 

Katsuya schluckte. Still? Es hörte sich fast so an, als hätte Seto sie nicht betäubt sondern … er schloss die Lider. Darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Er hatte keine Leute getötet und dann vergewaltigt. Das konnte Seto nicht getan haben. Nein, das war ausgeschlossen.

„Ich bin kein Psychopath. Ich wusste, dass das, was ich mache, falsch ist. Ich fühlte mich schlecht, dass ich es tat. Aber es sorgte nur dafür, dass ich es öfter tat. Ich weiß nicht, wieso, aber ich konnte nicht aufhören. Erst mit Yami … erst da konnte ich langsam aufhören. Er hat nie gelacht. Er hat keine Bedingungen gestellt. Er hat mich einfach gehalten und … dann habe ich mich langsam beruhigt.“

Katsuya drückte noch einmal Setos Hand.

Sein Freund drehte sich zur Seite und vergrub sein Gesicht in Katsuyas Shirt.

Der Blonde seufzte. Innerlich schnippte er das kleine Flämmchen der Eifersucht weg, was bei Setos Worten über Yami aufgeflammt war. Das hatte hier gerade gar nichts zu suchen. Wenn er gerade ein Gefühl für Yami haben sollte, sollte das Dankbarkeit sein. Höchstwahrscheinlich hatte er Seto gerettet. Erst er, dann Yugi und schließlich Katsuya selbst. Seufzend legte er den Kopf nach hinten auf die Couchlehne.

Seto hatte recht.

Er war nicht wie diese Männer … er war nicht wie Ted. Es war nur seine Angst gewesen, die ihn zu immer schlimmeren Dingen getrieben hatte. Jener Mensch hingegen ... Katsuya fletschte die Zähne. Das war nicht ein Funken Angst gewesen. Nichts, was auch nur ansatzweise verständlich wäre. Nichts als brutale Gewalt. Nichts anderes als sein Vater, der kontrolllos auf ihn eingeschlagen hatte. Nur ein weiteres Wesen, was ihn als Gegenstand, als wertlos angesehen hatte.

Seto war anders.

Selbst, wenn er ihn eines Tages vergewaltigen würde, dann nicht, weil er ihn als wertlos sah. Als Gegenstand oder Eigentum. Seto tat all das aus Wut oder Angst. Wut und Angst … die zwei Gefühle, die Angst vereinigte. Die zwei Gefühle, die eng verwoben tief in seinem Körper schlummerten. Das einzige, vor dem Katsuya bei Seto wirklich Angst haben musste. Und es war nicht wirklich so, als müsste wirklich Katsuya Angst vor ihm haben. All seine aggressiven Auswüchse bisher waren im Endeffekt gut verständlich. Gut genug, dass er sie jetzt vorhersehen konnte. Angst war eine berechenbare Persönlichkeit.

Und in dieser Beziehung anscheinend ruhig genug, dass Seto weder Drogen, noch Alkohol, noch Tabletten, noch sexuelle Exzesse mit Vergewaltigungen brauchte.

Katsuya hob seine zweite Hand und kraulte damit Setos Nacken. Sein Drache war doch im Endeffekt erstaunlich zahm.
 

Als Seto sich wieder regte, war es dunkel. Die einzige Beleuchtung im Raum war das Licht der Straßenlaterne, das von draußen herein schien. Somit war sein Gesichtsausdruck nicht wirklich zu erkennen, aber Katsuya konnte das Lächeln praktisch fühlen, das sich auf Setos Züge schlug, als Katsuyas Magen knurrte.

„Und wie soll ich bei diesem monsterhaften Knurren schlafen?“, fragte er neckend und setzte sich auf.

„Gar nicht. Du sollst dein Haustier regelmäßig füttern“ Katsuya küsste Seto auf die Wange und erhob sich, um seine eingeschlafenen Beine auszuschütteln. „Ich hab' keine Lust zum Kochen … hast du Fertigpizza oder so?“

„Fertigpizza?“ Seto hob eine Augenbraue. „Soll das ein Witz sein? Ich habe das im Haus, was du auf den Einkaufszettel schreibst.“

„Righto … nächstes Mal kommt Fertigpizza drauf. Was hat denn jetzt noch offen?“ Katsuya beugte sich zur Seite und schnippte Seto in die Seite. „Hey, großer Mann … geh jagen und bring Essen.“

„Ich könnte Pizza bestellen“, schlug dieser vor.

„Mach' das“ Katsuya gähnte und streckte sich dabei. „Ich brauch' erstmal was zu trinken … möchtest du auch Saft?“

„Grapefruit“ Seto erhob sich auch und nahm im Flur die Treppe nach oben. „Was für Pizza magst du?“

„Keine Ahnung. Irgendetwas. Ich habe seit Jahren keine gegessen“, gab Katsuya zu.

„Dann mach trotzdem einen Vorschlag. Ich habe noch nie Pizza gegessen. Mokuba mochte Salami am liebsten“ Seto, der auf der Treppe stehen geblieben war, zuckte mit den Schultern. „Wenn ich bestelle, kriegst du Calamari-Pizza.“

„Was zur Hölle sind Calamari?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten. „Nun … probieren wir Salami aus?“

„Wie sagt man das? Righto?“ Setos rechter Mundwinkel hob sich mit Amüsement.

„Nicht jeder redet Calamari und Kaviar“ Kopfschüttelnd setzte Katsuya den Weg in die Küche fort. „Und ich will Pizzabrötchen!“

„Das heißt möchten!“, kam es aus dem oberen Stockwerk zurück.

Der Blonde grinste nur. Seto, wie er leibte und lebte. Bei allen Göttern, er liebte den Kerl. Egal, was er alles angestellt hatte – jetzt war er wieder in Ordnung. Menschen konnten sich ändern. Seto war der wandelnde Beweis, dass sie sich bisweilen sogar sehr schnell ändern konnten.

Ein paar Minuten später kam Seto grummelnd herein und schnappte sich das Glas vom Küchentisch, was Katsuya für ihn hingestellt hatte. Nach einem Schluck Saft murmelte er: „Wenn sie schon jemanden für Telefondienst haben, dann sollten sie jemanden nehmen, der auch dieser Sprache mächtig ist.“

„Du hast zu hohe Ansprüche.“

„Das sagt man mir öfters“ Seto zog einen Stuhl vor und setzte sich Katsuya gegenüber. „Obwohl die meisten es nicht aussprechen … aber man sieht es in ihrem Blick. Sie halten mich für verrückt, weil ich Ansprüche haben. Wenn sie wüssten, welch bessere Gründe sie haben, mich für verrückt zu halten ...“
 

„Gibt es eigentlich eine Definition?“ Katsuya legte den Kopf schief. „Ich meine … ist ein Mensch verrückt, wenn er mehrere Persönlichkeiten im Kopf hat?“

Seto zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Vielleicht, vielleicht nicht. Aber meine Hallzuniationen fallen bestimmt unter Verrücktheit. Geisteskrank bin ich auch. Wahnsinnig … manchmal vielleicht. Ich vermute, mein Selbsthass und meine manchmal paranoiden Ängste könnten unter Wahn zählen. Wenn ich bestimmte Aspekte etwas mehr betone und die Vorgeschichte weglasse, kriege ich den durchschnittlichen Psychiater bestimmt zu jeder Diagnose für mich verführt, die ich haben will. Ohne gelogen zu haben.“

„Lass uns das wann anders als mitten in der Nacht besprechen. Im Gegensatz zu dir habe ich zwischendurch nicht geschlafen.“

„Ich habe nicht geschlafen“ Setos Nase reckte sich in die Höhe. „Ich habe geruht.“

Katsuya versuchte das Lachen erst gar nicht zu unterdrücken. Manchmal war Seto erstaunlich kleinlich, wenn es um seinen Stolz ging. Er schüttelte den Kopf und nahm einen weiteren Schluck Saft.

„Wie war es eigentlich für dich?“ Seto leckte über seine Oberlippe und wandte den Kopf ab.

„Hm? Was?“

„Die Gruppe. Deine Gruppe. Oder meine. Allgemein … die ganze Sache vorhin“, murmelte Seto langsam zusammen.

„Weiß nicht“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Schon spannend. DID scheint von Person zu Person anders. Nur Tomoko hat ansatzweise ähnliche Erfahrungen wie ich, aber ihr Ex-Mann … nun, da sind die Persönlichkeiten irgendwann nach und nach raus gebrochen und er wurde gefährlich. Und da hatte sie bereits zwei junge Kinder … da ist schon recht anders. Alle haben ganz andere Erfahrungen. Keiner scheint irgendetwas wie ich erlebt zu haben, habe ich das Gefühl. Ich weiß nicht wirklich, ob sie mir helfen können. Leyla meinte, ich bin die erste Person, die sie trifft, die mit einem DID-Kranken zusammen ist. Die Diagnose scheint recht automatisch das Ende der meisten Beziehungen zu sein.“

Seto seufzte nur und nickte leise.

„Ich vermute, ich bin trotz der Gruppe auf mich allein gestellt“ Katsuya stand auf, umrundete den Tisch und setzte sich auf Setos Schoß. „Sie sind alle nett und wollen helfen … ich weiß nur nicht, ob sie es können. Ich werde wohl meinen eigenen Weg finden müssen.“

„Willst du das wirklich?“, flüsterte Seto leise, den Blick noch immer abgewandt, obwohl Katsuyas Kopf nur noch Zentimeter entfernt war.

„Mir bleibt nichts anderes übrig, oder?“ Katsuya legte seinen Kopf auf Setos Schulter.

Seto schnaubte und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht verzog sich … in Trauer? Katsuya legte eine Hand auf seine Wange, aber der Kopf drehte sich von ganz allein zu ihm. Heiße Lippen hauchten einen Kuss auf Katsuyas Stirn, während sich zwei starke Arme um ihn legten.

„Darf ich selbstsüchtig sein?“ Setos Stimme an Katsuyas Ohr war kaum mehr als ein Hauchen.

Tja … ja? Nein? Was konnte Seto wollen? Was meinte er wohl mit der Frage? Etwas unsicher erwiderte Katsuya: „Solange es andere Menschen nicht verletzt.“

„Ich fürchte, es könnte dich verletzen“ Er wurde an Setos Körper gezogen. „Aber … ich möchte trotzdem, dass du bei mir bleibst.“

„Ich bleibe hier“, versicherte Katsuya noch einmal und küsste seinen Freund – Verlobten – auf die Wange. Seto antwortete nur mit einem kurzen festen Drücken der Umarmung.

Mal sehen, wohin diese Beziehung noch führen würde. Vielleicht war das hier nicht die beste Entscheidung, aber mal ehrlich … wann war Katsuya Kaiba für gute Entscheidungen bekannt gewesen?

Tag für Tag

Gebt mir 'nen Strick. Ein inkompetenter Arzt ist eine Sache. Nur inkompetente Ärzte eine andere.

Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Guck mal, er lächelt“ Ayumi grinste zur Begrüßung.

„Geht es dir besser?“, fragte Ryou besorgt nach.

„Nach meinem Morgensport geht es mir blendend“ Katsuya schmiss seine Schultasche neben seinen Tisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Selbst die Aussicht auf eine Doppelstunde Religion mit ihrer Ödigkeit von Lehrerin konnte seine gute Laune gerade nicht bremsen.

„Zu viel Information“ Ayumi hob eine Hand und sah weg.

„Was für Sport hast du denn gemacht?“

Ayumi seufzte nur und legte eine Hand auf Ryous Haar, während Katsuya sich das Lachen verbiss. Bisweilen war Ryou so süß kindlich, es war zum Brüllen. Dieser warf Ayumi einen fragenden Blick zu.

„Ehrlich, Katsuya, ich will über das Sexleben von Herrn Kaiba nichts wissen“, bestimmte sie.

„Sexleben? Was … oh! Oh ...“ Röte schoss auf Ryous Wangen. „Die Art von Sport.“

„Ich gebe zu, für mich war es nicht sehr ertüchtigend-“

„Katsuya Kaiba! Halt den Rand!“ Ayumi schlug ihre Hände allerdings nicht sich selbst auf die Ohren sondern Ryou, was Katsuya eine weitere Welle der Erheiterung einbrachte. Als sein Lachen verebbte, war ihre Stimme mehr ein Zischen als ein Sprechen. „Und sei froh, dass die Mädels gerade nicht zuhören. Du würdest sie verstören!“

„Aber dich nicht?“

„Natürlich nicht“ Sie senkte die Hände wieder und sprach mit gemäßigter Stimme. „Nur, weil ich Jungfrau bin, heißt das nicht, dass ich auch unwissend bin. Mich schockst du nicht.“

„Auch nicht, wenn ihr dir sage, dass Seto will, dass ich ihn an die Decke hänge und-“

„Katsuya!“ Sie schloss die Augen und atmete tief durch. „Ich will wirklich nichts über das Sexleben meines Lehrers wissen. Selbst, wenn er jetzt nicht mehr mein Lehrer ist. Erzähl mir so etwas nicht.“

„Bist du wirklich mit Herrn Lehrer Kaiba zusammen?“, fragte ein Junge von der Seite.

Katsuya warf mit einem leichten Seufzen einen Blick zur Seite. Ah … der Kerl, der den Vorsitz der Homophoben nach Hijiri übernommen hatte. Oh Freude.

„Ja.“

„Immer noch gemein“ Ayumi zog eine Schnute. „Ich wollte ihn doch heiraten.“

„Äh“ Der Junge blinzelte verwirrt und starrte Ayumi an. „Wie?“

„Wie wie? Ich wollte den Kerl. Ich weiß, du bist wahrscheinlich hetero, aber du wirst doch zustimmen, dass er gut aussieht, oder?“ Sie ließ ihm drei Sekunden, in denen der verwirrt Dreinblickende einfach nur schwieg. „Siehst du? Finde ich auch. Also wollte ich ihn haben. Aber er wurde mir vor der Nase weggeschnappt.“

„Ich hoffe, ich zerstöre deine Träume nicht, aber du hättest nie eine Chance gehabt“ Katsuya grinste wieder.

Ayumi war einfach nur eine Wucht. Jeder homophobe Kerl zerschmetterte an ihr. Eines Tages würde sie eine super Frau abgeben, da war Katsuya sich sicher. Die Welt brauchte mehr Menschen mit Zivilcourage.

„Und wie ich die hätte. Ich habe letztens ein Buch gelesen, in dem stand, dass wahrscheinlich achtzig Prozent der Menschen bisexuell sind. Nur weil Herr Kaiba Männer vorzieht, heißt das nicht, dass er zwingend nur auf Männer steht. Sexualität ist ein Kontinuum, auf dem jeder mehr oder weniger zu einer Geschlechtsausprägung tendiert.“

„Man hat aber bereits herausgefunden, dass die Verteilung nicht Gauß folgt“, warf Ryou ein.

Der Junge neben ihnen zog sich in den Hintergrund zurück und verschwand zu seinem Platz. Katsuya konnte es ihm nicht ganz verdenken. Nach ein paar Worten der zwei wild Diskutierenden schaltete er auch ab.
 

Katsuya gab Seto einen Kuss zum Abschied, bevor er sich aus dem Wagen schwang und seine Schultasche über die Schulter warf. Donnerstage waren doof … warum mussten die Lehrer so viel aufgeben? Erwarteten die, dass jeder Schüler sein Wochenende mit Freuden mit Hausaufgaben füllte? Illusorische Idioten. Er schnaubte und nahm die Treppe, um zu Yamis Wohnung zu kommen. Dort begrüßten ihn noch mehr Kartons als vorgestern und ein äußerst ungewöhnlich angezogener bester Freund – er trug Jeans und einen weiten Baumwollpullover.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Katsuya etwas überrascht.

„Der Rest der Klamotten ist schon eingepackt“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „Das hier sind meine Winter-Gammel-Klamotten. Der Aufzug, in dem mich eigentlich nie jemand sehen sollte.“

„Die Klamotten stehen dir“ Katsuya trat aus seinen Schuhen und stellte seine Schultasche auf einen Karton. Hausaufgaben konnte er auch später machen. Oder ganz wann anders. Als er aufsah und ihm verwirrt geweitete, violette Augen entgegen sahen, legte er eine Hand auf Yamis kurzes, nun schwarzblondes Haar und verwuschelte es.

„Hey!“ Mit einer Schnute wich dieser zurück.

„Das konnte ich noch nie machen. Früher wärst du mir an die Gurgel gegangen, hätte ich deine perfekt gestylte Frisur zerstört“ Er ging an Yami vorbei in die Küche. „Es steht dir, mal etwas lockerer zu sein. Pullover, ungeschminkt und ohne Gel in den Haaren ist auch okay.“

„Das ist nur wegen des Umzugs … ich mag das nicht“ Yami blieb im Türrahmen stehen und legte die Arme um sich selbst. „Ich fühle mich nackt.“

„Ach, Yami“ Katsuya, der am Tisch Platz genommen hatte, drehte sich mit dem Stuhl Richtung Tür. „Du hast doch früher schon deine Maske vor mir abgelegt. Bei mir brauchst du deine Kriegsbemalung nicht.“

„Schon, aber ...“ Yami sah blinzelnd auf. „Hast du gerade Kriegsbemalung gesagt? Geht's noch? Ich schminke mich mit Stil!“

Katsuya lachte nur aus vollem Halse, während sein bester Freund beleidigt in seinen nicht vorhandenen Bart murmelte und zum Kühlschrank schritt.

„Glaub bloß nicht, dass ich dir jetzt noch Essen koche … echt, Kriegsbemalung … kannst ein Joghurt haben, aber mehr kriegst du nicht“ Eben jenes zog er hervor und knallte es mit einem Löffel vor Katsuya auf den Tisch. „Ich ziehe doch nicht in den Krieg, sobald ich das Haus verlasse … also wirklich.“

„Nicht? Hast du mir nicht irgendwann mal erzählt, die Welt sei ein Schlachtfeld?“

„Das ist jetzt völlig aus dem Kontext genommen“ Er setzte sich und verschränkte die Arme. „Kriegsbemalung ...“
 

„Und wie läuft es bei dir so?“, fragte Katsuya, während er sich das Joghurt schnappte.

„Hm ...“ Yami, der noch immer eine Schnute zog, sah widerwillig auf, doch lächelte nach einem Moment doch. „Bei mir läuft alles bestens. Mein Chef ist zufrieden mit mir. Nur die Kollegen … ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie mögen mich nicht.“

„Wieso?“

„Nun ja … sie reden nicht wirklich mit mir. Also, sie grüßen mich zwar schon und antworten auf Fragen, aber nicht gerade ausgiebig. Und manchmal werfen sie mir so Blicke zu … ich weiß auch nicht. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.“

„Zumin'est sin' sie nich' offen fein'lich wie die in der letz'en Abteilung“, sagte Katsuya mit dem Löffel im Mund.

„Hatte Seto dir nicht Benehmen beigebracht?“ Yami schüttelte lächelnd den Mund. „Wie geht es ihm?“

„Hm ...“ Der Blonde zog den Löffel aus seinem Mund. „Er ist … keine Ahnung. Wir waren gestern bei diesem Selbsthilfezeug. Ihn hat das aufgewühlt. Aber er hat schon recht, dass er noch ziemlich gut ist im Vergleich zu den anderen. Er ist der einzige da, der aktuell eine Beziehung hat, wenn ich das richtig verstanden habe. Das war … schon irgendwie heftig.“

„Und was denkst du gerade über ihn und eure Beziehung?“ In Yamis Stimme lag einiges an Vorsicht.

„Ich bleib' trotzdem. Er ist scheiße kompliziert, aber ich denke, er ist es wert“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe nur, dass jetzt nicht allzu bald noch mehr Neuigkeiten kommen. Ich will mich gerade echt nicht mit dem Wächter rumschlagen müssen. Diese Persönlichkeit scheint einen ernsthaften Schaden zu haben“ Er seufzte. „Der Rest ist ganz okay … Klein-Seto habe ich schon länger nicht mehr einfach so gehabt, Ikar und Seth verstehen sich einigermaßen und Imalia ist mir gut gesinnt. Klingt eigentlich nicht schlecht.“

„Aber?“ Yami lehnte sich vor und stützte sich mit einem Arm auf den Tisch.

„Aber“ Katsuya stellte den leeren Joghurtbecher ab und lehnte sich zurück. „Aber … ist es schlimm, wenn ich mir wünsche, er würde die Krankheit trotzdem nicht haben?“

„Solange ihm dieser Wunsch keine Schuldgefühle gibt“ Yami schloss die Lider und atmete tief durch. Er sprach weiter mit geschlossenen Augen. „Du nimmst das alles gerade wirklich überirdisch gut. Wärst du nicht so offen und verständnisvoll, würde das mit Seto wahrscheinlich schon lange nicht mehr klappen … aber du darfst ihm auch zeigen, dass dich das belastet. Sein Wunsch muss bleiben, sich besser unter Kontrolle zu kriegen. Wenn er das Gefühl hat, dass er so okay ist und dass du bei ihm bleibst, selbst wenn er sich nicht ändert, dann wird er weiter vor seinen Ängsten davon rennen.“

„Und wie sage ich ihm, dass ich ihn auch liebe, so wie er ist, aber ich ihn gleichzeitig nicht lange aushalten kann, so wie er ist?“ Katsuya seufzte tief. „Ich habe es ihm schon gesagt … und ich hatte das Gefühl, es ist angekommen. Er ist überbesorgt, dass ich das nicht lange aushalten werde.“
 

„Er kennt dich besser als du dich selbst“ Yami sah auf und lächelte mit einem Mundwinkel. „Ein sehr guter Zug an ihm ist sein Realismus. Er redet sich die Welt nicht schön.“

„Ja, er ist ein recht dankbarer Kranker“ Katsuya richtete seinen Blick auf den Kühlschrank, auf dem ein buntes Wirrwarr von Magneten klebte. „Er heilt von selber. Als ich die anderen sah, bin ich richtig erschrocken … erst im Vergleich zu denen sehe ich, wie extrem sich Seto zusammen reißt. Wenn ich nach einer anderen Person frage, wechselt er sofort und ohne Widerrede. Er erkennt von selbst, welche Person in einer Situation gebraucht wird und stellt mir die bestmögliche Unterstützung an die Seite. Man merkt genau, dass er vollkommen fixiert ist, was für mich in dem Moment das Beste ist. Danach scheint sich sein ganzes Seelenkonstrukt auszurichten“ Sein Blick sank zu Boden. „Und außer Angst ist keine Persönlichkeit zerstört … die anderen in dieser Selbsthilfegruppe wirkten teilweise sehr zerstört auf mich.“

Eris Augen. Die zusammengekauerte Frau, die sich nicht wusch. Und die Frau, die sich kindlich weinend gegen ein Stuhlbein gedrückt hatte. Das waren alle keine fröhlichen Kinderpersönlichkeiten gewesen. Das waren terrorisierte Kinder.

„Mir scheint, dir hat die Erfahrung viel gebracht.“

„Meinst du?“ Katsuya sah überrascht auf. „Tja … ja, eigentlich schon. Meine Gruppe nicht. Aber die DID-Gruppe. Die alle zu sehen … das war heftig. Wenn ich jetzt zurück denke, das war sogar sehr heftig.“

„Du neigst dazu, deine Überforderung zu verdrängen“ Yami ließ eine Pause, in der er ihn einfach nur ansah. „Andererseits ist das wohl der einzige Weg, wie du so gut mit Seto zurecht kommst. Dadurch reagierst du instinktiv auf ihn.“

„So instinktiv, dass ich ihn gestern Abend beinahe geschlagen hätte“ Katsuya wandte den Blick ab. Ja … auch etwas, was er schon wieder verdrängt hatte. Hätte er es nicht selbst ausgesprochen, hätte er nicht dran gedacht.

„Was hast du?“ Yami klang mehr besorgt als entsetzt.

„Die Hand gegen Klein-Seto erhoben. Er hat eine andere geschubst“ Katsuya atmete tief ein und seufzte. „Ich habe mich entschuldigt, aber ich habe ihn trotzdem erschrocken … wenigstens habe ich nicht zugeschlagen.“

„Stell nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Seto wird sich eigene Fehler erst eingestehen können, wenn er sieht, wie du mit deinen umgehst. Da ist er wie jedes andere Kind dieser Welt“ Yami lächelte unbeschwert.

„Schockt dich das gar nicht? Was, wenn ich jetzt zum gewalttätigen Teil der Beziehung mutiere? Was, wenn ich wie mein Vater werde?“

„Dann wird Seto etwas sagen. Er hat gute Schutzmechanismen gegen Leute, die ihm wehtun“ Yami legte den Kopf zur Seite. „Und wie dein Vater wirst du sowieso nicht werden. Ähnlich, sicherlich … aber du hast aus seinen Fehlern gelernt. Fang einfach nicht an zu trinken oder Drogen zu nehmen.“

„Ich will ihm nicht ähnlich sein“ Wut mischte sich in Katsuyas Stimme.

„Du bist das Kind deiner Eltern. Du hast von ihnen gelernt und sie als Vorbilder gehabt. Du wirst zwangsläufig einige ihrer Macken haben“ Yamis Stimme war sehr ruhig, aber die Worte wenig beruhigend. „Das muss nichts Negatives sein. Dass du so okay bist, wie du bist, das können dir viele Menschen bestätigen.“

„Aber ich will nicht wie sie sein.“

„Ich will sicherlich auch nicht wie meine Eltern sein“ Yamis Blick verhärtete sich. „Aber … wir können unserer Herkunft nicht entkommen. Wir können nur lernen, mit ihr umzugehen.“

Katsuya verschränkte mit einem Seufzen die Arme. Lernen zu müssen, mit seiner Geschichte umzugehen, war wohl das grasierende Problem in seinem Bekanntenkreis, was?

Karaoke

Lange nicht mehr gesehen, aber ja, das gibt es noch: Ein ganz normales Kapitel.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Wann war aus einem Jugendlichen, der sein Leben nicht auf die Reihe bekam, ein Jugendlicher geworden, der ein Vorbild, fast ein Elternteil für seinen kranken Freund war? Und wie brachte man es unter einen Hut, dass besagter Freund Verlobter, Geliebter, Kind und noch viel anderes gleichzeitig war? Es war gerade mal Januar. Im September war er noch von Seto und Yami abhängig gewesen und war knapp am Rand der Suizidalität vorbei gerauscht. Jetzt sorgte er irgendwie für Seto und … na ja, bisweilen für Yami auch. Aber Yami sorgte sich eigentlich mehr um ihn. Selbst Seto sorgte sich bisweilen mehr um ihn als er sich um seinen Freund.

Und er sorgte sich um Ryou. Nicht im Sinne von kümmern, eher im Sinne von Sorgen machen. Manchmal würde er ihn am liebsten packen, wegsperren und vor der Welt schützen. Den Klassenkameraden mit ihrem Mobbing und Bakura mit … Bakura-sein. Er wollte Ryou helfen, aber er hatte keine Ahnung, wie. Ryou wirkte so zerbrechlich und klein. Es weckte ganz extrem Katsuyas Beschützerinstinkt. Wie damals seine kleine Schwester …

Shizuka. Er wollte am liebsten gar nicht daran denken. Was hatte er in den drei Monaten gemacht, seit er sie wieder getroffen hatte? Sie zum Kaffee gesehen – und? Was noch? Nichts und. Zehn Jahre hatte er seine kleine Schwester nicht gesehen und das einzige, was er ihr in all diesen Monaten von Einsamkeit, Angst und Hilflosigkeit gegeben hatte, waren ein paar Einladungen zum Kaffee.

Wie sollte er da für Seto sorgen? Wie sollte er einem Menschen genug Hilfe stellen, der Eltern, Berater, Freunde und einen Partner brauchte – und außer einem psychisch angeknacksten Partner und einem Freund, der in besagten Partner verliebt war, nichts hatte. Noah hatte Hilfe angeboten, aber wo war er? Seto musste man Hilfe praktisch aufdrücken, er war es gewohnt, alles allein zu schaffen. Und Yami … telefonierten die zwei überhaupt noch? Oder lief alle Kommunikation über Katsuya und Kaffeetrinken? Sprach sich Seto irgendwo aus? Ließ er irgendwo außer beim Kickboxen seine Ängste aus? Wie verarbeitete er die Dissoziationen, Halluzinationen und Flashbacks, von denen Katsuya kaum etwas mitbekam außer halbabwesende Blicke?

Und was passierte gerade in Setos Kopf? Warum traf er auf die Persönlichkeit Seto? Warum drängten Ikar und Klein-Seto nicht mehr nach vorne? Was machte der Wächter? Was machte Angst? Er hatte dieses Konstrukt ja halbwegs verstanden, aber irgendwie dann doch nicht. Warum wollten Ikar und Klein-Seto raus? Warum wollten Imalia und der Wächter nicht raus? Und was machte und dachte Angst? Was machten die Persönlichkeiten, wenn sie nicht draußen waren?

Und … war es wirklich okay für Seto, dass sie keinen echten Sex mehr hatten? Weder mit Seto noch mit ihm oben? Brauchte Seto das nicht? Oder reichten alle Arten von … intim sein? War der Orgasmus das Wichtige oder etwas anderes? Oder war Sex nun nicht mehr wichtig, da sich dieses Konstrukt so … nun, nicht auflöste, aber zeigte. Dass die Persönlichkeiten eher einzeln als geschlossen durch Seto agierten. Also, durch Seth. Durch ihre Leinwand zur Realität. Wie wichtig war Sex nun? Gab Seto das nur vor, dass alles okay war? Aus Angst, Katsuya sonst zu verlieren? Oder war es wirklich okay?

Konnte ihm irgendwer sagen, was er tun sollte?
 

„Gehen wir direkt nach der Schule zum Karaoke?“, fragte Ayumi mit einem aufgeregten Grinsen.

Mina und Karin wandten sich erwartungsvoll zu Katsuya, welcher nach einem Nicken die Blicke auf Ryou lenkte. Dieser lächelte vorsichtig und meinte: „Bakura möchte euch kennen lernen, wenn er mich vom Karaoke abholt.“

„Cool!“ Ayumi drehte den Kopf zu Mitsuki, die wie immer den Kopf gesenkt hielt. „Wir können seinen Freund besser kennen lernen.“

„Er will uns treffen?“ Mina strahlte vor Begeisterung.

Katsuya hob nur einen Mundwinkel. Bakura wollte die Mädchen überprüfen, ob er sie für einen guten Umgang befand. Nicht, dass das allgemein schlecht wäre … aber er könnte Ryou auch einfach vertrauen. Wenn nicht Ryou, dann Katsuya. Bei ihm hatte er doch auch nicht so einen Terz gemacht … nun ja, er war auch am Abend des ersten Treffens erschienen. Vielleicht war das Bakuras normales Vorgehen.

Seto hatte noch nie verlangt, dass er ihm seine Freunde vorstellte. Andererseits kannte Seto auch all seine Freunde. Selbst zur Arbeit war er mitgekommen, um Katsuyas Kollegen zu treffen. Vielleicht war dieses Vorstellungszeug normal in Beziehungen. Obwohl er vielleicht weder Bakura noch Seto als Standard für irgendetwas nehmen sollte, erst recht nicht für Beziehungen.

„Was sagt dein Freund, Mitsuki?“, fragte Karin das stumme Mädchen gerade, als Katsuya sich wieder auf das Gespräch konzentrierte.

Alle wandten ihr den Blick zu, allerdings zeigte sie keine Reaktion. Ryou sah mit fragendem Blick zu Katsuya, aber der schüttelte nur mit gehobenen Augenbrauen den Kopf. Wie sollte er denn wissen, was man hier machen musste? Er hatte keine Ahnung, wie man nicht sprechenden Menschen helfen konnte.

Karin stupste ihr mit einem Finger in die Seite, worauf Mitsuki etwas von ihr wich und nach einigen Sekunden den Kopf ein wenig von rechts nach links wandte. Mit einer Engelgeduld in der Stimme fragte Karin: „Was denn nein?“

Mit erröteten Wangen wandte Mitsuki das Gesicht zur Seite, sodass ihr Blick ungefähr in Richtung von Ayumis Beinen gehen musste.

Nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens fragte Karin: „Aber du kommst mit, oder?“

Mitsuki nickte ganz leicht.

Katsuya währenddessen seufzte nur innerlich. Ohne Karin hätte Mitsuki wahrscheinlich gar keine Freunde … nur weil Karin sie mitzog, saß sie hier überhaupt bei ihnen. Ob sie mit ihrem Freund mehr sprach? Oder ihren Eltern?

„Mein Freund sagt, ich muss aus mir heraus kommen und auf Leute zugehen, wenn ich Freunde will. Dass ich nicht warten darf, dass irgendwer zu mir kommt und mich an die Hand nimmt. Und dass ich meine Angst überwinden muss“, sagte Ryou mit einem unsicheren Zittern in der Stimme, „du kannst gerne mit uns sprechen.“

Katsuya griff nach Ryous Hand und drückte diese rückversichernd. Der Jüngere schenkte ihm dafür ein Lächeln. Würde irgendwie schon richtig sein … so wirklich schlimmer konnte Mitsuki nicht werden, oder?

„Ich … versuche es“, flüsterte Mitsuki leise.

Ein Grinsen schlug sich auf Katsuyas Gesicht. Der Gedanke machte vielleicht gar keinen Sinn, aber er hatte das Gefühl, wenn es eine Chance gab, dass Mitsuki irgendwann sprach, dann gab es auch eine Chance, dass Seto irgendwann glücklich wurde.
 

Katsuya betrachtete mit Erstaunen den Raumplan des Karaoke-Centers. Dass es eine ganze Etage einnahm, war schon überraschend, aber dreißig Räume? Sie waren doch nicht mitten im Vergnügungsviertel. Nur in einem kleinen Einkaufsgebiet am Stadtrand. Wie konnten die hier überleben? Ohne völlig horrende Preise zu verlangen?

„Raum dreiundzwanzig“, verkündete Ayumi und hielt einen Schlüssel hoch. Trotz der Ankündigung ging sie in eine völlig andere Richtung als der Raum eigentlich lag.

Katsuya, der ebenso unwissend wie Ryou war, folgte ihr einfach mal. Sie stoppte an einer Theke, wo es Getränke und Eis gab und bediente sich, ebenso wie die anderen Mädchen. Ryou und Katsuya warfen sich einen kurzen fragenden Blick zu, bevor sie es ihnen einfach gleichtaten. Da niemand irgendwo Geld einwarf, schien das wohl im Preis inbegriffen zu sein. Echt ein Service … Matcha-Eis? Katsuya sah auf die Tabletts der anderen, ob irgendwer grünes Eis hatte. Ja, Ayumi … sollte er es ausprobieren? Mit einem Schulterzucken zapfte er sich auch etwas von der grünen, kalten Paste. Fertig bestückt mit Getränken und Eis folgten sie Ayumi in die Richtung, in der Katsuya dank Plan den Raum vermutete. Besagter Raum stellte sich als relativ großes Zimmer mit zwei Bänken an den Seiten, einem Tisch und zwei Quadratmetern Bühne heraus, in dem oben von der Decke bunte Lichter strahlten.

„Cool“, entfuhr es Ryou neben ihm.

Katsuya nickte nur und drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er seine Sachen auf den Tisch stellte.

„Seid ihr das erste Mal beim Karaoke?“, fragte Ayumi, die sie zwei wohl beobachtet hatte.

Der Blonde nickte nur, rutschte neben sie auf die Bank und meinte: „Und wie geht das jetzt? Wie wählt man Lieder aus? Was gibt es hier überhaupt?“

Sie zog ein Gerät in der Größe eines kleinen Laptops heran und erklärte ihm und Ryou, der neben ihn gerutscht war, das System. Mina und Karin währenddessen hatten sich ein zweites Gerät geschnappt und tippten dort die ersten Songs ein, sodass schnell ein paar bekannte Lieder den Raum beschallten.

Ryou und Katsuya hörten drei Lieder erstmal nur zu. Mitsuki natürlich ebenso. Zum vierten Lied wurde ihr allerdings ein Mikro vor die Nase gehalten und Karin bat sie zu singen. Katsuya musste seinen Unterkiefer unter Kontrolle halten, als sie das sogar wirklich tat. Leise, ja, aber sie sang. Und sie hatte eine schöne, recht hohe Stimme. Man merkte, dass die beiden ihr extra ein Lied aufgesucht hatten, was zu ihr passte.

Während Ayumi als nächstes einen Schlager schmetterte – sie sang nicht gerade schön, aber auch nicht unbedingt unaushaltbar – berieten Mina und Karin sich, was sie ihnen beiden wohl geben sollten.

„Kannst du rappen?“, wandte Mina sich in ihren Überlegungen an Katsuya.

„Keine Ahnung“, erwiderte dieser recht wahrheitsgetreu. Er hatte es noch nie versucht.

„Kennst du das hier?“ Sie hielt ihm das Aussuchgerät vor die Nase, wo gerade ein ausländischer Song angezeigt wurde.

„Kann sein … ich erinnere mich an Sachen eher, wenn ich sie höre, nicht mit Namen“ Er zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Ich kenne nur sehr wenig Musik.“

„Hm … wir sollten irgendetwas richtig Bekanntes nehmen“, entschloss Karin und zog das Gerät wieder an sich. „Wie wäre es mit etwas von Gackt?“

„Da hat er doch gar nicht die Stimme zu“, konterte Mina.

„Hey, Ryou, kennst du Gackt?“

Katsuya musste erstaunt feststellen, dass Ryou ziemlich viel kannte und unerwartet gut singen konnte. Für ihn allerdings fanden sie außer einem Lied von Sting in den nächsten zwei Stunden nichts, was er kannte.
 

Während Ryou, der richtig Feuer gefangen hatte, ein Duett mit Mina sang, sah Katsuya im Augenwinkel, wie Mitsuki am Ärmel von Karins Oberteil zog. Diese wandte sich ihr lächelnd zu und bekam von ihrer Freundin das Handy vorgehalten.

„Dein Freund kommt? Cool. Den habe ich lang nicht mehr gesehen“ Sie sah hoch und betrachtete einen Moment lang Mitsukis Augen, bevor sie auf die nicht ausgesprochene Frage antwortete. „Natürlich ist es okay, wenn er vorbei kommt. Oder, Ayumi?“

„Höh?“

„Kann Mitsukis Freund vorbei kommen?“

„Klar, den will ich kennen lernen“ Ayumi grinste. „Wenn Ryous Freund dazu kommt, haben wir vier Kerle und vier Frauen. Dann ist es ausgeglichen.“

Klar, machte Sinn. Katsuya legte die Stirn in Falten. Halt mal, was daran machte Sinn? Warum sollte es wichtig sein, dass es gleich viele Jungen wie Mädchen gab? Er sah zu Ayumi und schüttelte leicht den Kopf. Diese grinste nur frech zurück.

Mitsuki währenddessen tippte bereits auf ihrem Handy und zeigte Karin wenige Sekunden später wieder das Display.

„Er ist in zehn Minuten hier“, sagte diese für ihre Freundin.

Im nächsten Lied sangen alle vier Mädchen mit, bevor Ryou und Katsuya eins zusammen bestritten. Das dritte, das sie alle kannten, sangen sie einfach ohne Mikros. In der zweiten Wiederholung des Refrains klopfte es – wahrscheinlich klopfte es, so genau achtete keiner darauf – bevor ein Junge in der Uniform einer anderen Schule eintrat.

„Hey, Mi“ Er beugte sich zu Mitsuki hinab, hob ihr Kinn mit einer Hand und küsste sie.

Katsuya lächelte. Unerwartet … Japaner küssten sich selten öffentlich. Also wirklich kein so stilles Wasser, wie er immer gedacht hatte. Hätte er echt nicht von Mitsuki erwartet, aber so ganz vertraute er auch noch nicht auf seine Menschenkenntnis. Seto hatte er ja auch nicht so ganz durchschaut am Anfang.

Mitsuki und Karin rutschten auf, sodass der Junge Platz auf der Bank hatte. Im nächsten Refrain sang er bereits mit und stellte sich erst vor, nachdem das Lied geendet und Ayumi auf Pause gedrückt hatte: „Guten Abend miteinander. Ich bin Yuji.“

Ayumi begrüßte ihn zuerst, bevor sich Katsuya und schließlich auch Ryou – letzterer mit sehr leiser Stimme – vorstellten. Mina und Karin währenddessen winkten nur, sie kannten ihn anscheinend. Bevor jemand noch etwas weiteres sagen konnte, hatte Ayumi schon wieder die Musik angestellt und reichte Yuji den Auswahlcomputer rüber. Mit dem Opening eines Animes, den Katsuya nicht kannte, brachen sie also ihre dritte Stunde an.

Schwierige Beziehungen

Sorry, ich habe gestern verschlafen. So ... den ganzen Tag. Heute bin ich wieder wach :) Damit kommt das Kapitel etwas später. Möchte vielleicht jemand Freischalter bei Mexx werden? Zur Zeit brauchen sie zwei Tage zum Hochladen, die können sicher Unterstützung gebrauchen ^.^

Vielen Dank für eure Kommentare und eure Lesertreue und viel Spaß beim Lesen!
 

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„Lass uns noch ein Duett singen!“, forderte Mina und schob Ryou den Auswahlcomputer zu.

„Ich versuch´s“ Er hustete einmal und nahm das Glas Cola entgegen, das Katsuya ihm hinhielt, bevor er sich über die Maschine beugte.

„Was nehmen wir denn als Abschiedssong? Unsere Zeit ist bald rum“, fragte Karin nach.

Ayumi und Yuji machten beide einen Vorschlag, allerdings sagten Katsuya beide Songs überhaupt nichts. Wie die meisten. Obwohl er feststellen durfte, dass er einige der Lieder bei Isis auf der Krankenstation gehört hatte. Sie hatte oft leise das Radio an gehabt.

Ryou, dessen Stimme mittlerweile wirklich angekratzt war, und Mina, der drei Stunden Singen kaum etwas auszumachen schienen, brachten noch ein Lied, bevor sie alle zusammen ein Abschiedslied sangen. Es beruhigte Katsuya sehr, dass Yuji sich nicht so schrecklich viel besser als er selbst anhörte.

„Schon vorbei“, murmelte Ayumi in die Stille nach dem Lied, „lasst uns das irgendwann nochmal machen, ja?“

Alle nickten nur lächelnd, auch wenn Ryou sich dabei den Hals hielt. Er strahlte allerdings über das ganze Gesicht. So schlimm konnte der Schmerz also nicht sein. Wahrscheinlich hatte er seine Stimme einfach nur überanstrengt, er redete ja auch nicht so viel, wenn es nicht gerade um Philosophie oder Walfang ging.

„Ist dein Freund auch schon irgendwo?“, fragte Karin aufgeregt, während sie sich erhob.

„Ich schreibe ihm“, erwiderte Ryou heiser und zog sein Handy hervor.

Katsuya griff in seine Hosentasche und zog sein eigenes heraus. Was Seto wohl machte? Eine SMS geschrieben hatte er nicht. Sollte er ihm wohl schreiben, dass sie fertig waren? Würde das Seto interessieren? Tja … er könnte ja fragen, ob er noch irgendetwas aus dem Supermarkt mitbringen sollte. Vielleicht hatte Seto ja einen plötzlichen Heißhunger auf irgendetwas … er sollte sich nicht so einen Kopf machen sondern einfach schreiben. Während sie alle langsam Richtung Kasse gingen, tippte er also auf sein neues Handy ein.

„Ist das das neue von Blackberry?“, fragte Yuji ihn von der Seite.

„Hm?“ Er blinzelte. „Wie?“

„Das ist doch ein Blackberry, oder? Welche Version ist das?“ Yuji, der einen Kopf kleiner war, lächelte interessiert.

„Öh … keine Ahnung“ Katsuya drehte es in seiner Hand. „Blackberry steht drauf … keine Ahnung, was das genau ist. Hat mein Freund mir geschenkt.“

„Wer verschenkt denn ein brandneues Blackberry?“ Er begutachtete das Gerät, als würde er einen Fehler suchen. „Hast du reiche Freunde?“

„Gewissermaßen“ Katsuya schickte schnell die fertig getippte SMS ab.

„Sein Freund ist beim Schulamt“ Ayumi, die wie immer ihre Ohren überall hatte, nickte mit wichtiger Miene. „Und er ist stinkreich.“

„Gar nicht wahr. Er verdient nur gut“, verteidigte er Seto.

„Mein Freund sagt, er ist in zehn Minuten da“, warf Ryou leise ein.
 

„Wollen wir noch etwas essen gehen?“, fragte Ayumi in die Runde.

„Oh ja, ich habe Hunger“ Yuji rieb sich seinen Bauch. „Ich bin dafür.“

Die anderen nickten mehr oder weniger enthusiastisch.

Katsuya seufzte nur leise. Seto würde doch nie im Leben Imalia raus lassen, damit sie ihm etwas Ordentliches zu essen machte … ob er ihn fragen sollte, ob er kommen wollte? Andererseits würde er diese Gruppe praktisch sprengen. Ikar passte vielleicht noch in ihre Mitte, aber Seto? Für den waren das hier Kinder. Und für die anderen war Seto eine Autoritätsfigur. Wahrscheinlich wären sie begeistert über den Vorschlag, aber ob sie ihn wirklich begrüßen würden? In diese Gruppe passte er nicht unbedingt. Aber andererseits … wollte er Seto nie einladen, wenn sie weg gingen? Nur weil er nicht in diese Gruppe passte? Er war älter, er war ernster … nun ja, Seto war das. Ikar nicht. Aber könnte er Seto schreiben, ob Ikar kommen konnte? Würde ihn das nicht beleidigen? Und wie sollte er den Mädels die doch sehr auffällige Charakteränderung erklären? Nein, er sollte es einfach lassen. War eine dumme Idee. Er zog sein Handy hervor und schrieb Seto, dass sie noch etwas essen gehen würden. Was Seto daraus machen wollte, könnte er ja selbst entscheiden.

Sie betraten das Restaurant, zu dem Ayumi sie geführt hatte. Der Küchenchef hinter den Tresen grüßte sie freundlich mit Vornamen und winkte sie in den hinteren Bereich des eher kleineren Raums durch, wo sie zwei Tische zusammen schoben. Während sie noch die Stühle richteten, sprachen er und Ayumi über ihre Eltern, wie ihr Restaurant lief und ob Ayumis Schwester ihre Aufnahme auf eine bestimmte Mittelschule, deren Namen Katsuya nicht erkannte, geschafft hatte.

Sie sprachen noch immer, während sie alle einfach nur die Karte studierten, die an der Wand hing. Es gab sowohl Nudel- als auch Reisgerichte zu wirklich fairen Preisen. Yuji fragte Mitsuki, ob sie auch Teriyaki-Hühnchen auf Reis wolle und sie nickte nur. Karin und Mina diskutierten, was sie nehmen sollten, sodass die jeweils andere auch das probieren konnte, was sie auch haben wollte.

Ryou währenddessen wandte sich zu Katsuya und fragte: „Meinst du, Bakura will mit uns essen? Soll ich für ihn auch etwas bestellen?“

„Tu das besser“ Katsuya sah zur Tür, als könnte eben Genannter dort bereits stehen. „Er will die anderen ja kennen lernen. Wenn er mit Essen beschäftigt ist, ist die Chance nicht so groß, dass er irgendwen angreift.“

„Hm … das ist eine gute Idee“ Ryou lächelte. „Am besten etwas, wo er viel kauen muss. Also etwas mit Rindfleisch.“

Katsuya unterdrückte das Seufzen. Warum machte er sich eigentlich so viele Gedanken um Seto und wie die anderen auf ihn reagieren könnten? Ryou schien es gar keine Gedanken zu machen, dass eine hohe Chance bestand, dass Bakura jemanden schlagen oder beleidigen könnte. Und das wäre fraglos störender als Setos Persönlichkeiten oder etwas distanziertes Verhalten.

Oder war es falsch, dass er sich Gedanken machte? Sollte er Seto einfach fragen herzukommen und wenn die anderen ihn nicht mochten, war das ihr Problem? Es wirkte ja schon, als würde er sich für seine Beziehung schämen. Oder für Seto. Oder war es gut und recht, dass er die Konsequenzen so ernsthaft bedachte? Oder machte er sich zu viele Gedanken?
 

„Hier drüben!“ Ryou streckte einen Arm und winkte Bakura, der sie bereits entdeckt hatte und zu ihnen ging.

Katsuya atmete einfach tief ein. Bakura trug eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Shirt und seinen Ledermantel. Dasselbe Outfit hatte er auch getragen, als … als das an Weihnachten passierte. Er stand auf, um Bakura neben sich auf die Bank zu lassen und wandte dabei den Blick ab.

Bakura hob nur die Sonnenbrille in seine Haare, schlug Katsuya freundschaftlich auf die Schulter und nahm neben Ryou Platz mit einem gebrummten: „N'Abend.“

„Das ist mein Freund, Bakura“, stellte Ryou ihn vor.

Sein Bruder legte nur einen Arm um ihn, griff mit der anderen Hand nach Ryous Kinn und zog ihn in einen Kuss. In diesem Fall hielt Katsuya sein Seufzen nicht zurück. Musste das mitten in der Öffentlichkeit sein? Kein Wunder, dass diese Oberklässler so sauer gewesen waren, dass er Seto am Schultor geküsst hatte. Es war wirklich … verstörend.

„Was soll das denn?“, fragte Yuji entsetzt nach und konnte das Verziehen seines Gesichts nicht unterdrücken.

Mitsuki senkte errötend den Blick, während Karin an ihr vorbei Yujis Arm griff und sagte: „Das ist schon okay so. Die beiden sind ein Paar.“

„Ein Paar?“ Das Entsetzen mischte sich mit Wut und Ekel. „Sind die nicht beide Jungen? So etwas ist nicht mal ansatzweise okay!“

„Das finde ich auch“ Der Koch war hinter den Tresen hervor getreten und stand plötzlich an ihrem Tisch. „Ayumi, was sind das für Leute?“

„Freunde von mir“, antwortete sie vollkommen selbstbewusst und sah dem Koch dabei in die Augen, „sie sind beide sehr nett und werden Ihnen keinen Ärger machen.“

„Ich will so etwas in meinem Laden nicht sehen“ Der Koch wich ihrem Blick aus und sah zu Bakura. „Unterlasst das oder ihr fliegt hier raus.“

Einen Moment später zuckte er zusammen, als hätte er plötzlich in eine Steckdose gefasst. Katsuyas Blick schnellte zur Seite. Bakura hatte sich dem Koch zugewandt, die kalten blauen Augen mit den stecknadelkopfgroßen Pupillen eine einzige Drohung. Er atmete gerade tief ein, sodass er sich aufrichtete und die Muskeln sich unter dem Shirt abzeichneten.

Ryou legte ihm eine Hand auf die Schulter. Kaum eine Millisekunde später stoppte Bakura und wandte den Blick zur Hand, bevor er sich zurück lehnte. Mit der sanften – wenn auch heiseren – Stimme eines Engels sagte Ryou zum Koch: „Wir werden Ihnen keinen Ärger machen.“

Bakura währenddessen wandte sich Katsuya zu, als wäre nichts gewesen: „Seto nicht dabei?“
 

Katsuya musste kurz schlucken, um überhaupt Worte aus seinem Mund bekommen zu können. Die Spannung schnürte ihm die Kehle zu. Seine Stimme zitterte leicht, als er sagte: „Nein, der ist zuhause.“

„Schade“ Die blauen Augen gingen der Reihe nach jeden Jugendlichen am Tisch ab. „Kennt er alle hier schon?“

„Ayumi, Mina, Karin und Mitsuki hier sind in unserer Klasse“ Katsuya wies auf die jeweiligen Mädchen. „Yuji ist Mitsukis Freund. Der ist auch gerade erst dazu gekommen.“

„Yuji“ Bakuras Blick kam auf ihm zu liegen. Der Koch wich zurück zu seinem Tresen, auch wenn er ihnen dabei nicht den Rücken zuwandte. „Du wurdest anscheinend nicht von deiner Freundin vorgewarnt, auf wen du hier treffen würdest.“

„Bist du ein Yakuza?“, fragte dieser mit mittlerweile sichtbarer Verängstigung.

Katsuya verdrehte nur die Augen. Wäre Bakura das wirklich, wäre das eine selten dämliche Frage gewesen. Allerdings war Yuji wahrscheinlich ein recht unbedarfter Junge ohne viel Erfahrung. Hoffentlich würde Bakura ansatzweise sanft mit ihm umgehen. Gerade sah er recht entspannt aus.

„Wäre ich das, würde ich es dir bestimmt nicht sagen. Nur Idioten verkünden so etwas. Zum Glück gibt es so etwas wie natürliche Selektion und die überleben nicht lange“ Er griff nach Ryous Tee, der bereits serviert worden war, und roch daran. Er trank nichts, allerdings hielt er ihn auf Höhe seiner Lippen. „Aber nein, ich bin kein Yakuza. Nicht mehr.“

Nur Auftragsmörder und Gelegenheitseinbrecher. Katsuya wandte den Blick ab. Beim Kaffeetrinken strahlte Bakura nur einen Fitzel seiner angsterregenden Aura aus. Hier wiederum war sie ebenso stark wie damals, als sie sich kennen gelernt hatten. Er biss auf seine Unterlippe. Bakura kontrollierte andere mit Angst. Und er war scheiße gut darin. Wenn Katsuya genau darüber nachdachte, dann kontrollierte diese Angst auch ihn … durch die verschiedensten Konfrontation würde er einiges gegenüber Bakura nicht wagen.

Wie die Vergewaltigung anzusprechen.

Er wandte den Blick zu Ryou. Dieser lächelte fröhlich zu Bakura auf. Bemerkte er gar nicht, was sein Bruder hier tat? Wie er die anderen verstörte? Oder war es ihm egal?

„Und was machst du stattdessen?“, fragte Ayumi vorsichtig.

„Polizei“ Mit einem Mal lächelte Bakura, als wäre vorher nichts gewesen. Katsuya konnte spüren, wie plötzliche Entspannung jeden seiner Muskeln durchflutete. „Sicherheitsanlagen, Computersicherheit und Fahndung digitaler Kriminalität.“

„Ah“ Sie erwiderte das Lächeln etwas unsicher. „Du bist zu den Guten gewechselt.“

„Das ist etwas zu einfach gesehen“ Bakura ließ sich etwas tiefer in den Sitz sinken. Katsuya, der ihn sehr genau beobachtet hatte, konnte sehen, wie sich die Muskeln unter der Haut entspannten. Die lässige Pose vorher war nur gespielt gewesen. Aber weder seine Haltung noch seine Stimme hätten das verraten. Nur der eine Muskel an seinem Hals, der nun nicht mehr sichtbar war, verriet ihn. „Die Polizei und auch die Yakuza halten Ordnung auf den Straßen. Beide verfolgen Kriminelle, regulieren den Drogen- und Waffenhandel und gehen Verbrechen nach. In vielen Fällen tauschen sie Informationen aus und arbeiten bisweilen auch zusammen. Die Polizei ist dabei an legale Mittel gebunden, die Yakuza nicht. Sicherlich wirft es kein gutes Licht auf die Polizei, wenn sie Kriminelle, denen sie nicht genug nachweisen können, der Yakuza überlassen. Andererseits ist diskutabel, ob es wirklich besser ist, sie dann einfach laufen zu lassen.“

„Warum bist du dann überhaupt zur Polizei gewechselt?“, fragte Ayumi, während sich ernsthaftes Interesse in ihre Stimme mischte. Hoffentlich würde ihre Neugierde Bakura nicht wieder anstacheln, gefährlich werden zu müssen.

Yuji währenddessen hatte noch immer beide Arme um Mitsuki geschlungen und drückte sie an sich. In seinem Gesicht mischten sich Misstrauen und Abscheu. Würde er Mitsuki sagen, sie solle nie wieder mit Ryou ausgehen, würde diese bestimmt gehorchen. Genau so, wie Ryou Bakura bedingungslos gehorchte.

„Ich brauchte einen legalen Job für unseren Mietvertrag“ Mit der Hand des Armes, der immer noch um Ryou lag, strich Bakura diesem über die Wange. Weder der Koch, der sie aus dem Augenwinkel beobachtete noch Yuji sagten etwas dazu.

Interne Streitigkeiten

Habe jetzt doch die Weisheitszähne raus bekommen T.T Zum Glück habe ich nur zwei. Jetzt laufe ich mit einem pinken Schal um den Kopf und einem Kühlpack im lila Waschlappen an der Wange durch die Gegend. Hoch stylisch das Ganze. Wenigstens tut Lächeln nicht weh ^.^

Ich wünsche euch eine wenig schmerzhafte Woche und viel Spaß beim Lesen des Kapitels!
 

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„Du hast aber nichts mit der Yakuza zu tun, oder?“, wandte Ayumi sich an Katsuya.

Ein bester Freund, der sich regelmäßig mit allen Yakuza-Bossen dieser Stadt traf? Ein Verlobter, der früher die Mafia beauftragt hatte? Selbst mit Bakura bekannt zu sein, machte ihn nicht gerade unschuldig. Ganz zu schweigen davon, dass er selbst mit Jugendbanden herum gerannt war, von denen einige mittlerweile für die Yakuza arbeiteten. Und seien es nur die, die dealten, um ihren eigenen Konsum zu finanzieren. Er schüttelte trotzdem den Kopf.

Bakura hob nur wissend eine Augenbraue und lächelte abfällig.

„Hm … wie lange seid ihr zwei denn schon zusammen?“, wechselte Ayumi das Thema und sah zu Yuji. Dieser sah sie nur mit geweiteten Lidern an, als hätte sie gerade gestanden, auch ein ehemaliges Mitglied der Yakuza zu sein. Sie wandte sich also wieder Bakura zu. „Und ihr beiden?“

„Ein halbes Jahr“ Ryou lächelte glücklich. „Sogar fast genau auf den Tag.“

„Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“

Oh nein. Die berüchtigte Frage. Katsuya sah im Augenwinkel zu den beiden.

Bakura hatte den Kopf zur Seite gelegt, um Ryou anzusehen. Ryou währenddessen sah mit gehobenen Augenbrauen, in Falten liegender Stirn und geweiteten Lidern zu seinem Bruder auf. Angst? Unsicherheit? Bitte? Nach einem Moment biss er auf seine Unterlippe und senkte den Blick. Hieß das, Bakura sollte entscheiden?

„Das ist eine lange Geschichte“, meinte Bakura nur und richtete die Augen wieder auf Ayumi.

Ryous Kopf schnellte hoch mit einem verwirrten Blinzeln. Katsuya währenddessen drehte sich weg und überspielte sein überraschtes Keuchen mit einem Husten. Einen Moment später schlug ihm Bakura mit solcher Wucht auf den Rücken, dass er fast von der Bank flog. Mit Schmerz kontrollierendem Atem lehnte Katsuya sich zurück und funkelte den neben sich Sitzenden böse an.

„Tee?“, fragte dieser mit einem maliziösen Lächeln und reichte Katsuya seine Tasse.

Mit einem Schnauben nahm dieser sie entgegen und gönnte sich einen Schluck. Könnte man Bakura nicht wenigstens für einen Tag mal auf normal oder einfach schalten? Oder Seto, wenn er schon dabei war?

„Und was machst du neben der Schule?“, wandte sich Bakura an Ayumi.

„Kellnern“ Sie lächelte. „Meine Eltern führen ein Restaurant.“

„Eine Kellnerinnenuniform steht dir bestimmt gut“ Unter dem Tisch strich er mit einer Hand über Ryous Oberschenkel. Katsuya sah dem Koch zu, um nicht hinzusehen. „Ich habe früher auch gekellnert. Allerdings immer nur als Aushilfe.“

Die Kunden waren ja auch bestimmt vor ihm weggerannt. Wer wollte schon von Bakura bedient werden?

„Die wollten mich immer weiter beschäftigen“ Er legte den Kopf zurück und sah zur Decke. „Hat mich stets wieder gewundert. Ich bin nicht gerade für mein Freundlichkeit bekannt.“

„In was für Restaurants warst du denn?“ Katsuya hob eine blonde Augenbraue.

„Die, für die sich ein Rausschmeißer vielleicht gelohnt hätte“ Bakura grinste, diesmal aber nicht so, dass man zitternd wegrennen wollte. „Neunzig Prozent kellnern, zehn Prozent Leute festhalten, die die Zeche prellen wollten.“

„So oft?“, fragte Mina überrascht, die sich langsam wohl doch in das Gespräch traute, „wie oft kommt das denn bei euch vor, Ayumi?“

„Vielleicht einmal im Monat … eher weniger. Wo hast du denn gearbeitet?“
 

Katsuya sah dem Gespräch während des Essens mit steigender Verwunderung zu. Bakura war jetzt nicht gerade ein strahlender Konversationalist, aber durch Ayumi, Mina und später auch Karin gerieten sie in keine Momente betretenen Schweigens. Auch wenn sie einmal gefährlich nah daran kamen, als Ayumi fragte, was Bakura bei der Yakuza gemacht hatte und er sagte, dass man ihm die Finger abhacken würde, wenn er das erzähle.

Alles in allem war die Situation sehr viel weniger gespannt als erwartet. Auch wenn Yuji außer einer gemurmelten Verabschiedung vor der Tür nichts heraus brachte und Mitsuki mit sich zog, bevor sie auch nur versuchen konnte, tschüss zu sagen. Bakura und Katsuya schlugen seitlich die Fäuste zusammen zur Verabschiedung, während Ryou sich verbeugte und für den schönen Nachmittag bedankte. Sein Bruder verdrehte nur die Augen, als jedes Mädchen den Kleinen dafür in den Arm nahm.

„Können wir jetzt?“, motzte er etwas übellaunig, sodass Ryou mit einem schnellen Lächeln zu Katsuya hinter Bakura herlief, der ein paar Schritte vorgegangen war.

„Bis morgen!“, rief Katsuya ihnen noch nach.

„Morgen ist Samstag“, meinte Ayumi schulmeisterisch.

„Wir helfen einem Freund beim Umzug“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Ich hätte euch für Bakura vielleicht eine Vorwarnung geben sollen … tut mir Leid. Er ist nicht immer ganz einfach.“

„Ist Ryou wirklich glücklich mit ihm?“, fragte Karin besorgt.

„Keine Ahnung“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber er ist glücklicher als ohne ihn. Ich vermute, das ist der springende Punkt. Außerdem wohnt er bei ihm und Bakura zahlt seinen kompletten Lebensunterhalt und die Schule.“

„Hat Ryou keine Eltern mehr?“ Minas Stimme zitterte.

Katsuya schüttelte nur den Kopf und sagte: „Beide nicht. Bakura hat sich auch ziemlich durchs Leben geschlagen. Er ist rau und hart, aber dass Ryou das nicht ist, liegt wahrscheinlich nur daran, dass Bakura es für ihn ist.“

„Also sehen wir an Ryous Lachen, was für ein guter Mensch Bakura ist … selbst, wenn er auf uns nicht so wirkt“ Ayumi nickte langsam. „Kein leichtes Konzept.“

Katsuya blinzelte verwirrt. Nun ja … so konnte man es schon irgendwie sehen. Hieß das, dass es vielleicht wirklich keine Vergewaltigung gewesen war? Nur etwas, was danach aussah … von seiner Perspektive aus? Das mit Seto war nicht unbedingt Blümchensex, aber er hatte ihm noch nie auch nur ansatzweise weh getan. Und er wusste jetzt, auf was Seto alles mal gestanden hatte …

„Nächstes Mal nehmen wir Herrn Kaiba mit, ja? So, wie Bakura von ihm sprach, scheinen sie ja Freunde zu sein. Vielleicht lernen wir auch mal die guten Seiten von Bakura kennen, wenn wir einfach was zusammen machen“ Ayumi lächelte.

„Ähm … ich frage ihn mal“ Ob er oder Ikar oder keiner mitwollte. „Ich muss dann auch mal los. Bis Montag, ja?“

Die drei Mädels winkten lächelnd.
 

„Bin wieder da-ha!“, rief Katsuya ins Haus.

„Willkommen zurück“, antwortete Seto etwas gedämpfter aus dem Wohnzimmer.

Katsuya zog schnell seine Schuhe aus und ging zu ihm. Er lächelte ob des Anblicks. Was tat ein Seto Kaiba, wenn er nichts zu tun hatte? Er las Bücher über Mathematik. Katsuya küsste ihn, bevor er das Buch aus seinen Händen zog und versuchte, es zu entschlüsseln.

„Es wird nicht leichter, wenn du es umdrehst“, mockte sein Freund ihn mit einem guten Schuss Arroganz in der Stimme.

Katsuya streckte ihm nur die Zunge raus und gab es ihm zurück. Nachdem er ein Lesezeichen hinein und es zur Seite gelegt hatte, glitt Katsuya auf seinen Schoß und schmiegte sich an ihn.

„Du bist erstaunlich kuschelbedürftig“ Lächelnd legte Seto die Arme um ihn. „Hast du mich vermisst?“

„Ja.“

„Ernsthaft?“ Der amüsierte Unterton wurde durch Erstaunen ersetzt. „Ich dachte, du wärst mal froh, mich ein paar Stunden los zu sein.“

Katsuya schwieg nur und begann, Setos Hals zu küssen. Das kleine Schnalzen, wenn sich Setos Lippen und seine Zunge voneinander lösten, wurde gefolgt von einem feinen, langen Ausatmen. Katsuya unterdrückte das Grinsen und leckte stattdessen mit der Zunge Setos Halsmuskel bis zu seinem Ohr hinauf. Als er in dieses biss, sackte Setos Hand über seinen Rücken hinab zu seinem Hintern. Seine zweite Hand legte sich auf Katsuyas Oberschenkel.

„Ich habe da eine Frage“, hauchte Katsuya in das Ohr des anderen und lehnte sich ein Stück zurück, „die anderen wollen, dass du nächstes Mal mitkommst. Magst du?“

Seto, der etwas tiefer atmend die Augenlider geschlossen hatte, zog die Stirn in Falten und sah auf.

„Ja?“ Katsuya lehnte sich wieder vor.

„Du bist ein Biest“ Setos Stimme war so tief, dass Katsuya fast mit ihr vibrierte. „Warum verführst du mich, um mir diese Frage zu stellen? Ist dir das so ein Anliegen?“

„Verführen?“ Er versuchte sein bestes unschuldiges Augenklimpern zustande zu bringen.

„Ich sollte dich bestrafen“ Seto atmete tief durch. „Wie schade, dass du nicht auf Spanking stehst.“

„Glaubst du?“ Katsuya hob eine Augenbraue.

„Weißt du überhaupt, was du da zustimmst, Hündchen?“

„Nenn mich nicht Hündchen“ Katsuya zog eine Schnute. „Kommst du nun mit oder nicht?“

„Darf ich dir den Hintern versohlen?“ Seto lehnte sich mit einem Grinsen vor und griff dessen Kinn.

„Häh?“

„Schon gut“ Ein Kuss wurde auf Katsuyas Lippen gesetzt. „Zu was erkläre ich mich denn bereit, wenn ich mitkomme?“
 

„Keine Ahnung. Karaoke, Essen gehen, Freizeitpark … irgendwie so etwas“ Katsuya grinste und drückte dem anderen einen schnellen Kuss auf die Lippen, bevor er sich zurück lehnte.

„Ich mag Freizeitparks“ Seto lächelte mit einem Hauch von Nostalgie in den Augen. „Wir könnten in meinen eigenen gehen. Nur … ich kann nicht garantieren, dass nicht Klein-Seto oder Ikar sehr viel lieber da hin wollen als ich. Ich denke nicht, da-“

„Macht mir nichts aus. Ich kann den anderen das vorher erklären“, ging Katsuya dazwischen, bevor Seto seinen Selbsthass auspacken konnte, „die sind so alt wie meine Schwester. Sie hat das gut aufgenommen, also sollten die anderen es auch gut aufnehmen. Du hast eine Krankheit, durch die hast du mehrere Persönlichkeiten, könnte sein, dass eine andere auftaucht während des Ausflugs, bitte nicht erschrecken.“

Seto schwieg einen Moment, bevor er erwiderte: „Das klingt erstaunlich einfach, wenn du es so formulierst.“

„Wenn ich mir nicht immer wieder vorbete, dass es einfach ist, werde ich wahnsinnig“ Katsuya hätte seine Stimme gern etwas weniger ernst klingen lassen, aber im Endeffekt war es wahr. „Sechs Persönlichkeiten sind … schon irgendwie okay. Dass manche davon gefährlich sind, macht mir Angst, aber auch das ist okay. Der Gedanke, dass du dich jederzeit verändern könntest, dass plötzlich neue Personen da sind oder alte verschwinden, das macht mir ziemlich Angst. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, tritt das nicht ein, wenn du jetzt nicht zutiefst traumatisiert wirst oder plötzliche Heilungssprünge machst.“

„Und beides ist unwahrscheinlich“ Seto schluckte und wandte den Kopf ab. „Ich mag das nicht, was mit mir passiert. Ich wurde für die Realität geschaffen, also sollen sie mir gefälligst auch die Realität überlassen. Es stört mich, dass die anderen sich dauernd einmischen. Imalia ist ganz in Ordnung, die gibt nur Tipps, aber der Wächter ist eine sehr herrische Person. Er kann es gar nicht ausstehen, wenn er seinen Willen nicht kriegt. Er hält die Idee mit dem Ausflug für bescheuert, weil du dafür anderen von meiner Krankheit berichten musst. Er will nicht, dass mehr Leute darüber wissen, weil er meint, dass uns das angreifbar macht. Ikar und er schreien sich in meinem Kopf an. Ikar hat nämlich keine Lust, auf ewig zuhause sitzen zu bleiben und nicht rauszugehen aus Angst, wir könnten switchen. Klein-Seto hält sich demonstrativ die Ohren zu. Ich habe früher immer mal wieder Stimmen gehört, aber das hier ist eine ganz neue Klasse. Es ist, als wärst du permanent von Leuten umgeben und kannst nicht von ihnen weg. Allerdings gehen sie mir freundlich gesagt auf den Wecker“ Seto hob eine Hand an seine Stirn. „Und sie machen mir Kopfschmerzen.“

„Kannst du sie nur hören oder auch sehen?“, fragte Katsuya interessiert.

„Sie laufen nicht hier im Raum rum, falls du das meinst. Ich sehe sie nicht wirklich … es ist eher, dass ich genau weiß, was sie tun. Wie dass Klein-Seto sich die Ohren zuhält. Das weiß ich einfach … ohne es zu sehen.“

„Und hat der Streit schon ein Ergebnis?“

„Ikar, Klein-Seto und ich sind dafür. Der Wächter und Angst dagegen. Da Imalia sich enthält, haben wir gewonnen“ Seto grinste fast schadenfroh.

„Angst hat Stimmrecht? Angst spricht?“ Katsuya blinzelte verwirrt.

„Ne, aber Angst ist immer gegen alles“ So langsam verriet ihm das Grinsen und die Sprache, dass er eher Ikar als Seto vor sich hatte. „Hey, morgen ist Samstag, oder? Wollen wir aufbleiben und Filme gucken?“

„Morgen ist Yamis Umzug. Wir müssen früh aufstehen. Lass uns schlafen gehen.“

„Laaangweilig“, maulte Ikar, „oder meinst du die andere Art schlafen?“

Katsuya setzte ihm einen Kuss auf die Nase.

Umzug

Und bald muss ich mich wieder an die Doktorarbeit setzen ... wo ich doch stets so eine große Lust dazu habe. Nun ja, ich vermute, ich werde diese Woche alles andere abarbeiten und dann nächste damit beginnen. So langsam gehen mir die Ausreden des Nicht-Arbeiten aus XD

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Der Umzug lief erstaunlich katastrophenarm. Da sie relativ schnell merkten, dass man Ryou besser keine Kisten in die Hand geben sollte, ernannten sie ihn zum Umzugsorganisator. Dadurch hatte Bakura keine Probleme mehr, Bitten und Aufforderungen zu folgen und Yami rotierte weniger vor Aufregung. Seto und Katsuya tauschten mehr als einen langen Blick über die Vorfreude, mit der Yami den Wohnungswechsel anging.

Katsuya hatte keine Ahnung, woher Seto gewusst hatte, wie gerne Yami umgezogen wäre, aber hier und heute merkte man, dass es ihm ein echt großes Anliegen gewesen war. Er warf seinem alten Zuhause nicht einen sehnsuchtsvollen Blick zu. Hingegen lief er in der neuen Wohnung jedes Zimmer ab, obwohl er in den letzten Tagen schon mehrfach da gewesen war und erzählte jedem, ob er es nun hören wollte oder nicht, wie er es einzurichten gedachte. Ryou schenkte ihm ein aufmerksames Ohr, während Seto und Katsuya das eher aus Höflichkeit taten – nur Bakura ließ sich von Yamis Geplapper nicht ansatzweise aufhalten sondern ging einfach an ihm vorbei, während er redete.

Nicht dass sich irgendwer darüber beschwert hätte. Zum einen waren sie es von ihm ja nicht anders gewohnt, zum anderen wurde erstaunlich schnell klar, dass Bakura neben Katsuya das einzig praktisch orientierte Hirn hatte. Selbst Seto, der ja in der Durchführung meist genau so gut wie in der Planung war, wich vor dem Aufbau von Schränken, Betten und anderen Möbelstücken eher zurück und überließ das den zwei Neunzehnjährigen. Während die zwei schraubten, lud er weiter Kisten aus, die Yami und Ryou in den entsprechenden Zimmern auspackten.

Dass Bakura praktisch gesehen wirklich verdammt nützlich war, zeigte sich, als es langsam dunkel wurde und Ryou überrascht fragte, warum das Licht nicht funktioniere. Katsuya wies ihn höflich darauf hin, dass es eine Lampe brauche, damit die Kabel an der Decke Licht ausspuckten. Keine zwei Sekunden später hielt Ryou eine Taschenlampe in der Hand, Katsuya bekam die Anweisung, eine Leiter zu holen und Bakura begann, in der kompletten Wohnung Lampen zu montieren. Wie zur Hölle er die Kabel den richtigen Anschlüssen zuordnen konnte, war auch Katsuya ein Rätsel, aber wie immer hatte Bakura interessante Talente. Dies alles geschah, während Yami die Küche einräumte und Seto eine rauchen war.

Als Seto wieder herauf kam, hatte Bakura bereits drei Lampen angeschlossen, ebenso wie Kühlschrank und Herd, sodass Yami Getränke kalt stellen konnte. Während er maulte, was das eigentlich für ein bescheuerter Umzug sei, wo weder ein Kasten Bier noch Essen für arme Handwerker bereit stehe, erklärte Seto, dass Noah und Shizuka auf dem Weg zu ihnen seien. Shizuka habe Sandwiches für alle gemacht. Freudigerweise erstickte das Bakuras Maulerei im Keim. Er murrte nur leise, dass er immer noch keinen Alkohol habe.

Ryou lächelte nur wohlwollend. Als Katsuya ihm einen fragenden Augenaufschlag sandte, erklärte er leise, dass er Bakura ein Versprechen abgenommen hatte, nie wieder Alkohol anzurühren. Und Zigaretten. Und Drogen. Und Leute umzubringen oder schwer zu verletzen, wenn es nicht dringend notwendig war.

Katsuya schwieg dazu und wanderte in Yamis Wohnzimmer, um sich auf der Couch nieder zu lassen. Keine Leute umbringen … war es notwendig gewesen, Jon und Dean umzubringen? Hatte er sie wirklich töten müssen, um Katsuya zu befreien? Hätte es nicht irgendeine Möglichkeit gegeben, sie am Leben zu lassen? Sie abzulenken oder nur ohnmächtig werden zu lassen? Natürlich war es sicherer und einfacher, sie zu töten, aber … nein, Seto und Bakura waren auf Nummer sicher gegangen. Zwei gegen einen, da war ein Hinterhalt oder ein Überraschungsangriff das einzig Sichere. Das war kein Film, wo der Held plötzlich eine Betäubungspistole mit schnell wirksamen, nicht gefährlichen, immer funktionierenden Giftpfeilen dabei hatte. Und für jemanden wie Bakura, dem Töten nichts auszumachen schien, war es wohl das Einfachste.

Und wer hätte schon erwarten können, dass Katsuya ihr Tod Schmerzen bereitete? Er zog die Beine an den Körper und legte die Arme darum. Ja … wer außer ihm würde sich schon mit dem Feind anfreunden?
 

„Hast du dir weh getan?“, fragte eine hohe, kindliche Stimme.

Katsuya seufzte innerlich, wischte mit einer Hand die Tränen aus seinem Gesicht und versuchte ein Lächeln auf sein Gesicht zu kriegen, während er zu Klein-Seto sah.

„Ich musste an jemanden denken, der gestorben ist“, erklärte Katsuya ganz wahrheitsgetreu.

„Oh … so wie Mama?“ Die blauen Augen wandten sich zu Boden.

„Ja … vermisst du sie?“ Katsuya legte eine Hand auf das braune Haar und fuhr darüber.

„Manchmal … aber die anderen sagen, das ist schlecht. Dass sie böse ist und ich sie nicht vermissen soll. Aber ich hatte sie lieb. Und sie hat mich auch lieb gehabt. Warum sind die anderen so wütend auf sie?“ Tränen stiegen in Setos Augen auf.

Katsuya schluckte. Wie zur Hölle sollte er denn auf diese Frage antworten? Wie sollte man das Dilemma, dass man seine Mutter liebte, auch wenn sie ein Monster war, einem Fünfjährigen erklären? Er versuchte es etwas einfacher: „Sie war böse zu den anderen. Deswegen erinnern sie sich nur an eine böse Mama. Du hast die Erinnerung an eine gute Mama, aber die haben die anderen nicht. Weil eure Mama zu den anderen nicht gut war.“

„Die anderen sind auch Mamas Kinder? Sind sie dann meine Geschwister?“ Setos Augen weiteten sich erstaunt.

Na toll. Ging es noch schwerer? Hätte das nicht irgendwer anders Klein-Seto erklären können? Wie erklärte man einem Fünfjährigen eine multiple Persönlichkeit? Katsuya rettete einige Momente mit Ähms. Aber so lange er auch nachdachte, er hatte keine Ahnung, wie er das erklären sollte. Allerdings fiel ihm eine andere Lösung ein: „Wie wäre es, wenn wir Yami fragen? Ich wette, er kann das viel besser erklären als ich.“

„Okay“, stimme Klein-Seto zu, drehte sich in Richtung Tür und schrie mit lauter Stimme nach Yami.

Katsuya seufzte nur und hob eine Hand an seinen Kopf. Hoffentlich wusste Yami irgendeine Antwort. Irgendeine Erklärung, die für ein fünfjähriges Kind passend war.

„Was denn?“, fragte Yami mit Überraschung in der Stimme.

„Katsuya sagt, ich soll dich fragen, ob die anderen meine Brüder sind.“

„Welche anderen?“ Mit Falten auf der Stirn und einem fragenden Augenaufschlag kam er hinein und setzte sich auf die Couch.

„Na, die anderen in meinem Kopf“ Seto drückte sich einen Finger in die Haare. „Die, die immer so viel reden.“

„Wir sprachen über seine Mutter und ich habe erklärt, dass die anderen schlechte Erfahrungen mit seiner Mutter haben. Und dann fragte er, wie das sein kann, wenn es doch seine Mutter ist. Ob die anderen seine Brüder sind, wenn es ihrer aller Mutter ist“ Katsuya seufzte tief. „Ich weiß nicht ganz, wie ich das beantworten soll. Wie erklärt man einem Kind eine multiple Persönlichkeit?“

„Mit Bildern“ Yami erhob sich wieder und ging zum Wohnzimmerschrank, den Ryou und er vorhin bereits mit Yamis Fachordnern befüllt hatten. „Wie seid ihr gerade jetzt auf solche Themen gekommen? Nun ja … besser jetzt als nie. Hier müsste es doch ...“ Er blätterte durch ein Buch, was er heraus genommen hatte. „Ah, hier ist es. Setz' dich doch mal, Seto.“

Gehorsam nahm Seto auf der Couch Platz.

„Wir machen jetzt ein kleines Denkspiel“, kündigte Yami an und setzte sich neben ihn. In der Hand hielt er ein Buch, in dem drei Bilder waren. Eines von durcheinander liegenden Teilen eines Kreises, eines, wo die Teile bereits halb zusammen gesetzt waren und eines, wo der Kreis vollständig war.

Voll Faszination hörte Katsuya zu, wie Yami dem Fünfjährigen seine Seele daran erklärte.
 

„Märchenstunde?“, brummte Bakura leise, aber setzte sich schweigend, nachdem Yami einfach weiter erklärte und ihn ignorierte. Ryou, der ihm ins Zimmer gefolgt war, setzte sich neben ihn und schmiegte sich in seine Umarmung.

„Jeder von euch ist also so ein Teil und hat einen Teil der Erinnerungen, die dieser Körper gemacht hat. Es ist euer aller Körper. Und deswegen sind die anderen keine Freunde oder Geschwister sondern genau wie du Teile der Seele dieses Körpers.“

„Passen wir denn da alle rein?“, fragte Klein-Seto mit fasziniert geweiteten Augenlidern.

„Ja, ihr passt alle rein. Ihr alle zusammen seid eine vollständige Seele.“

„Aber die sind doch schon groß. Und mein Körper ist klein“ Seto hielt eine Hand vor sein Gesicht.

Katsuya währenddessen verzog verwirrt das Gesicht. Zwei Meter waren jetzt nicht gerade klein, oder? Klein-Seto wusste schon, wie groß er war, oder? Schließlich sah er im Stehen auf alle hinab, denen er begegnete.

„Dein Körper ist schon groß, Seto“ Yami hob dieselbe Hand und legte sie auf Setos. „Guck mal, ich bin schon erwachsen, aber meine Hand ist kleiner als deine.“

Fast erschrocken zog Seto seine Hand zurück. Mit schreckgeweiteten Augen sah er zu Katsuya und fragte diesen: „Ich bin groß?“

„Dein Körper ist schon groß, ja“, erwiderte Katsuya unsicher. War das so ein Schock für Klein-Seto? Hatte er wirklich nicht gewusst, dass er erwachsen war? Er hatte doch … hatte er zwischen seinem fünften Lebensjahr und jetzt überhaupt etwas mitbekommen?

„Warum?“ Setos Stimme war kaum mehr als ein Wimmern. Seine Lider waren weit aufgerissen. Er schien es wirklich nicht gewusst zu haben.

„Seto, dein Körper ist bereits neunundzwanzig Jahre alt. Deswegen ist er auch schon groß.“

„Ich bin neunundzwanzig?“ Er drehte sich zurück zu Yami. „Warum sagt mir das denn keiner?“

„Jetzt haben wir es doch gesagt, oder?“ Yami lächelte und strich mit einer Hand über Setos Rücken. „Du lebst in einem Körper, der schon groß ist. Du bist sogar größer als wir alle.“

„Cool!“ Mit einem Mal sprang Klein-Seto, drehte sich im Kreis und sah alle hinab. „Ich bin wirklich groß! Größer als alle! Darf ich jetzt Auto fahren?“

„Dafür musst du erwachsen sein“ Yamis Stimme blieb vollkommen ruhig. Wie ein Fels in der Brandung. Er sah aus, als hätte er das hier schon tausendmal gemacht und beste Erfahrung in allem, obwohl er auch ziemlich unsicher war. Das wusste Katsuya durch die zitternde Hand, die Yami hinter seinem Rücken hielt. Er rückte näher heran und griff diese mit einer Hand.

„Und wann bin ich erwachsen?“

„Wenn deine Seele so alt ist wie dein Körper.“

„Oh … und wie wird man älter?“

Yami schluckte. Katsuya warf ihm einen unsicheren Blick zu. Wie wurde man als DID-Kranker älter? Wie wurde eine Kinderpersönlichkeit älter?

„Man wird älter, indem man neue Erfahrungen macht. Je mehr du weißt und erlebt hast, desto älter bist du“, antwortete urplötzlich Bakura, „wenn du dich in deinem Kopf versteckst, wirst du nicht älter. Du musst mit den anderen Teilen zusammen neue Erfahrungen machen. Richtig so?“ Er sah zu Yami.

„Äh … ja, genau so“ Dieser nickte überrascht. „Ja, mit neuen Erfahrungen wirst du älter?“

„Hm … mein Körper ist neunundzwanzig und ich bin fünf“ Seto hob beide Hände und zählte an seinen Fingern etwas ab – sehr viel schneller als Katsuya es mit fünf getan hatte. „Das heißt, ich brauche vierundzwanzig Jahre Erfahrungen, richtig?“ Diesmal antwortete keiner, aber Seto zählte auch schon weiter. „Aber wenn ich vierundzwanzig Jahre brauche, dann ist mein Körper doch schon dreiundfünfzig, oder? Und dann muss ich nochmal so viel nachholen.“

„Du brauchst die Erfahrungen nicht alle selbst machen. Du kannst von den anderen Seelenteilen Erfahrungen haben. Ihr müsst euch nur austauschen“ Yami hob unsicher seine Mundwinkel. „Dann dauert es nicht so lange.“

„Okay“ Klein-Seto lächelte. „Darf ich etwas Saft haben?“

Der Frage kam Yami schnellstens nach und zog ihn hinter sich her in die Küche. Katsuya währenddessen kippte auf dem Sofa zur Seite und seufzte tief. Hilfe … Erziehung war echt schwierig.
 

„Danke noch mal für die Schnitten!“ Yami winkte Shizuka und Noah hinterher, die bereits die Treppen hinab stiegen.

Ryou winkte zurück, ebenso wie Shizuka, da Noah Isamu auf dem Arm hatte. Bakura währenddessen ging stur weiter und sah sich nicht noch einmal um.

„Das wäre erledigt“ Ikar streckte sich und drehte sich um, um sich im Wohnzimmer auf die Couch fallen zu lassen.

„Du klingst, als wäre es deine Wohnung“ Katsuya schüttelte den Kopf und folgte ihm.

„Es ist meine ausgelagerte Wohnung. Wenn du mich raus schmeißt, kann ich hier unterkommen. Oder, Yami?“

„Meinetwegen“ Dieser hob eine Augenbraue. „Aber wenn Katsuya dich raus schmeißt, dann höchstwahrscheinlich, weil du etwas sehr Unverzeihliches getan hast. Und dann weiß ich auch nicht, ob ich dich aufnehmen will.“

„Außerdem würde ich eher herkommen als dass ich dich raus schmeiße“ Katsuya lehnte sich zurück. „Das ist immer noch dein Haus.“

„Hm … stimmt. Es ist Setos Haus, damit ist es wohl auch mein Haus“ Ikar machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, obwohl er ziemlich spannungslos auf der Couch hing. „Krass. Ich hab' ein Haus.“

„Stell keinen Blödsinn damit an“ Katsuya rutschte etwas näher und zog den anderen in seine Arme. „Und warum wolltest du jetzt länger bleiben?“

„Imalia meinte, ich soll dich so bald wie möglich fragen, warum du vorhin geweint hast. Also dachte ich, das kann ich auch hier tun. Okay so?“ Eine braune Augenbraue hob sich.

„Nein, so etwas macht man besser, wenn man mit der Person allein ist“ Katsuya kniff ihm in die Nase.

„Soll ich euch allein lassen?“, fragte Yami vorsichtig.

„Nein, nein“ Katsuya winkte ab. „Ich … ich musste vorhin an die zwei Männer denken, die Bakura getötet hat, als er mich befreite. Ich … das mag komisch klingen, aber ich habe sie gemocht. Sie waren beide ganz okay. Sie haben versucht … sie wollten mich beschützen. Und der eine hat sich um mich gekümmert, nachdem … ich wollte nicht, dass sie sterben. Sie waren vielleicht keine guten Menschen, aber sie sind gut mit mir umgegangen. Und jetzt sind sie tot.“

„Gibt dir das Schuldgefühle?“, fragte Yami.

„Hm … ein bisschen. Aber es war ihr Job. Sie haben sich da selbst zu entschieden. Es ist trotzdem irgendwie … schade um sie“ Katsuya atmete tief durch. „Es hat mich ein bisschen traurig gemacht. Es wäre besser gewesen, sie hätten nicht getötet werden müssen.“

„Es ist okay, traurig um sie zu sein. Erst recht, wenn sie nett zu dir waren. Dir hatten sie nichts getan, außer auf dich Acht zu geben.“

„Dean hat geguckt, dass ich nicht erfriere. Und er hat mich wieder angezogen … er hat Ted angezeigt bei Pegasus, nachdem er herausfand, was passiert war. Er war wirklich nicht schlimm“ Katsuyas Stimme versiegte.

„Aber die Kerle haben dich doch festgehalten“, warf Ikar unsicher ein.

„Das war ihr Job.“

„Sie hätten dich gehen lassen sollen. Die Kerle haben dich entführt und festgehalten. Ich find' das nicht okay. Ich hatte eine scheiß Angst um dich“ Der Brünette legte die Arme um ihn.

„Es ist okay, traurig zu sein und es ist auch okay, wütend zu sein. Ihr seht das aus verschiedenen Perspektiven“ Yami lehnte sich zurück und schloss die Lider. „Ich bin nur froh, dass es vorbei ist. Pegasus wird verurteilt, dieser vierte Kerl ist zurück in Amerika und die drei Leichen sind alle bis heute nicht aufgetaucht.“

„Die hat Bakura entsorgt, oder?“ Ikar sah zu Yami, der einfach nur nickte.

„Wie macht er so etwas?“, flüsterte Katsuya.

„Hm?“ Beide sahen zu ihm.

„Bakura … nein, alle. Pegasus hat Ted erschossen, ohne mit der Wimper zu zucken. Und Jon und Dean haben seine Leiche entsorgt und keinen Ton dazu gesagt. Und dann Bakura … er hat beide erschossen und verschwinden lassen. Ich meine … ich wäre da wie Jason. Der war völlig verstört durch den Mord an Ted. Und er konnte nicht einmal das Blut weg machen, weil er so verstört war. Er war völlig fertig … genau wie ich. Ich könnte niemals jemanden einfach so töten. Oder einfach so verschwinden lassen. Wie machen die das?“

Antisoziale Persönlichkeit

Na, hat irgendwer die Fachkapitel vermisst? Hier ein kleines, das ich sehr einfach gehalten habe. Ich hoffe, es interessiert euch. Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Wie sie das machen ...“ Yami seufzte und schwieg einen Moment. „War das eine rhetorische Frage oder willst du eine Antwort?“

„Ich will eine Antwort“, bestimmte Katsuya. Wenn Yami so etwas beantworten konnte, dann wollte er es auch wissen. Wenigstens, um zu wissen, wie er vermeiden konnte, je so zu werden.

„Das ist die zweithöchste Form von Dissoziationen. Setos Persönlichkeitsspaltungen sind ganz klar die höchste Form, aber direkt dahinter steht die Fähigkeit, alle Gefühle vollkommen wegzuschalten. Auch wenn bei vielen, die diese Fähigkeit haben, die Gefühle einfach bereits vollkommen dissoziiert sind. Sie können gar nicht mehr fühlen, selbst wenn sie es wollten und sie erinnern sich auch nicht mehr daran, wie es war, fühlen zu können.“

Katsuyas Lider weiteten sich. Gar nicht fühlen? Gar nichts? Weder Wut noch Freude?

Das Letzte musste er wohl ausgesprochen haben, da Yami ihm antwortete: „Ja, gar nichts. Es gibt viele Menschen, die Probleme mit ihren Gefühlen haben. Viele, die gern weniger fühlen würden und einige, die gern mehr fühlen würden. Aber es gibt halt auch diese kleine Gruppe von Menschen, die nicht fühlen können und das auch meistens nicht vermissen. Einfach, weil sie es gar nicht anders kennen. Unterbewusst suchen sie oft nach etwas, was sie fühlen lässt und diese Suche führt sie dann oft in gefährliche und wenig legale Angelegenheiten. Solche Leute haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, Straftaten zu begehen. Auch weil ihre dissoziierten Gefühle dazu neigen, bisweilen explosiv auszubrechen.“

„So wie bei Bakura, der bei kleinster Gelegenheit in die Luft geht?“ Oder Setos Angstpersönlichkeit … nun ja, diese Definition traf wahrscheinlich nicht auf gespaltene Persönlichkeiten zu, schließlich waren die einzelnen Teile ja eben genau das: Teile.

„Bakura hat sicherlich eine Störung mit seinen Emotionen, aber für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung hat er zu viel Mitgefühl. Er hat eine ganz klar erkennbare Schwäche für Kinder, ich habe jetzt schon mehrmals gehört, dass er sich entschuldigt hat und ich habe auch das Gefühl, dass er sein Verhalten sehr kontrolliert einsetzt, um sich unangreifbar zu machen. Ich glaube, er handelt aus Angst, nicht aus emotionaler Unfähigkeit. Wenn andere keine Erwartungen an ihn setzen, kann er sie auch nicht enttäuschen. Antisoziale Persönlichkeiten hingegen zeigen meist auch keine Reue für ihre oft doch schlimmen Taten. Über ihre Emotionsausbrüche sagen sie, dass sie gesteuert wurden, dass das gar nicht sie waren. Prinzipiell sind eigentlich immer die anderen Schuld. Sie erinnern ein bisschen an Zweijährige in der Trotzphase, nur sind sie dabei meist muskelbepackte Riesen, die andere mit ihrer Art einschüchtern. Da sie kaum oder gar keine Emotionen haben, haben sie meistens auch keinen Gesichtsausdruck. In einem Buch wurden sie Reptiliengesichter genannt.“

„Das erinnert mich schon ein bisschen an Bakura. Der schüchtert die meisten einfach nur mit einem Blick ein“, warf Katsuya dagegen.

„Ja, aber dabei zeigt er Wut. Er jagt einem Angst ein, weil er das Gefühl vermittelt, einen jederzeit wie ein tollwütiger Hund anzuspringen. Ein Reptiliengesicht jagt einem Angst ein, weil man absolut gar nichts aus ihrem Gesicht deuten kann. Man hat keine Ahnung, woran man bei ihnen ist und das verunsichert sehr.“

„Und das nennt man dann antisoziale Persönlichkeit? Aber … Pegasus zum Beispiel. Der hat mir echt Angst eingejagt. Aber der hat oft gelacht und meist auch gelächelt. Der hat so etwas dann nicht, oder? Aber er konnte ja anscheinend seine Emotionen problemlos wegschalten.“
 

„Pegasus ist dieser weißhaarige Mafiaboss, oder?“ Ikar, der sich auf Katsuyas Schoß zusammen gerollt hatte und bequem in dessen Armen lag, sah zu ihm hoch. „Der meist in diesem roten Anzug 'rum rennt … ich erinnere mich an den. Wächter hat mit ihm Geschäfte gemacht. Ich fand ihn auch etwas unheimlich.“

„Ich habe ihn ja nur zweimal kurz gesehen“ Yami zog seine Beine in einen Schneidersitz. „Aber ja, der kam mir wie eine antisoziale Persönlichkeit vor. Man muss zu so etwas nur immer noch andere Faktoren rechnen – Intelligenz zum Beispiel. Auch wenn man keine Emotionen hat, kann man sozial angemessene Reaktionen erlernen. Oder zumindest, was für Ausdrücke welche Reaktion auslösen. Die meisten echten Reptiliengesichter sieht man nur bei den etwas weniger Intelligenten, die halt keine sozialen Reaktionen erlernen. Oder wenn man eine antisoziale Persönlichkeit in einem entspannten Moment entdeckt. Andererseits hat die Diagnose der antisozialen Persönlichkeit mehrere Voraussetzungen. Die eine ist die Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden. Die andere ist der Ausbruch dieser Gefühle in nicht akzeptablen Bedingungen“ Yami legte die Arme um sich. „Ich habe einen Wutanfall bei ihm gesehen, wo er wirklich Zeter und Mordio geschrien hat, aber das war bei seiner Verhaftung. Ich glaube, da würden viele nicht gerade gefasst reagieren.“

„Wir schon“, warf Ikar ein, „solange niemand Angst anstupst.“

„Ihr seid ein Sonderfall“ Katsuya tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Lippen. „Als er Ted tötete … da war er nicht unbedingt wütend. Er war völlig kalt. Aber trotzdem … ich fand die Ermordung übertrieben. Natürlich hatte Ted dem Befehl, mich nicht anzurühren, nicht gehorcht, aber … also, ich will ihn nicht verteidigen, aber ...“

„Mord ist trotzdem etwas viel“ Yami nickte. „Antisoziale Persönlichkeiten neigen ebenso wie Borderline-Persönlichkeiten zu impulsivem, wenig durchdachtem Verhalten, sobald ihre Emotionen durchbrechen. Sie zählen auch beide in denselben Krankheitsbereich und sind beide mögliche Folgen frühkindlicher Misshandlung. Da bestimmt die Genetik, ob man anfällig für eine dieser Störungen ist.“

„Das heißt, Isamu hat die Veranlagung ein feiges, rückhaltloses Arschloch wie sein Vater zu werden?“ Katsuyas Lider verengten sich.

„Ich traue Noah genug Kompetenz zu, dass er ihn zu etwas Besserem als das erzieht. Bei Shizuka und dir sind auch eine feige, rückhaltlose Mutter und ein impulsives, möglicherweise antisoziales Arschloch zusammen gekommen und ihr seid trotzdem beide sehr angenehme Menschen.“

Katsuya wandte den Blick ab.

„Kein Vater, der nicht sehr gestört ist, geht mit seinem Kind um so wie dein Vater mit dir“ Yami schien den Punkt nicht ruhen lassen zu wollen. „Er hatte keinerlei Mitgefühl mit dir, er hat sich völlig unkontrolliert an dir ausgelassen und das kann man nicht nur auf Alkohol schieben. Alkohol nimmt einem die Hemmung, es macht nicht künstlich aggressiv.“

„Warum hat meine Mutter so einen Kerl geheiratet?“, flüsterte Katsuya leise.

„Weil Frauen mit einer Borderline-Störung dazu neigen, sich an Männer mit einer antisozialen Störung zu hängen. Und natürlich in allem anderen Geschlechtskonstellationen, auch wenn das die häufigste ist“ Yami seufzte. „Borderliner brauchen jemanden, der ihre heftigen Emotionsausbrüche stoisch ertragen kann und Antisoziale brauchen jemanden, der viele Emotionen hat. Schließlich haben sie selbst keine.“

Hilfe, was war diese Welt traurig … seine Eltern hatten ihm wahrscheinlich wirklich nicht die besten Anlagen mitgegeben. Aber Yami meinte, er sei okay so, wie er war … wenn er nicht gerade Leute zusammen schlug.
 

„Unsere Mutter war kein sehr emotionaler Mensch. Sie war verzweifelt“ Ikar drückte Katsuya gegen die Sofalehne, damit er es auf dessen Brust bequemer hatte. „Sie hat geweint, lag tagelang im Bett und hat sich nicht bewegt oder schlich wie ein Geist durch die Gegend. Und hat mich halt sonst wo hin gesperrt, damit ich ihr nicht auf die Nerven ging. Ihr war das alles immer zu viel … wahrscheinlich hat sie sich deswegen umgebracht.“

„Was hat sie?“ Katsuya schreckte auf und zog Ikar an sich. „Sie hat sich umgebracht?“

„Ja. Nach Mokubas Geburt. Sie hat sich in unserem Kinderzimmer erhängt“ In Ikars Stimme lag wenig Mitgefühl. Nicht, dass Katsuya welches erwartet hätte. Seine Kindheit war schließlich schlimm genug, dass er sie mittlerweile auf sechs Personen verteilt hatte. „Ich weiß noch, dass ich sie gefunden habe. Ich kann mich noch an das Bild ihrer baumelnden Füße erinnern. Aber dann … nichts mehr. Dann ist alles schwarz.“

Yami schloss betroffen die Lider. Katsuya ebenso. Dabei legte er eine Hand in das braune Haar, zog den Kopf zurück an seine Schulter und strich darüber. Er wusste nicht, ob der Gedanke gut oder schlecht war, aber in diesem Moment dankte er allen Göttern dafür, dass nicht Klein-Seto seine Mutter damals gefunden hatte. Und ihn fürchtete der Moment, an dem Klein-Seto mit diesen Erinnerungen konfrontiert werden würde. Kein Kind sollte je seine tote Mutter finden. Weder Seto noch Ryou.

„Möchtet ihr etwas trinken?“, fragte Yami nach sicherlich zwei Minuten des Schweigens.

„Wasser“, flüsterte Katsuya. Sein Hals fühlte sich an, als hätte man ihn Staub schlucken lassen.

„Hätte ich das nicht erzählen sollen?“, fragte Ikar leise.

„Nein, das ist gut so“ Katsuya richtete sich etwas auf und küsste das braune Haar. „Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll. Ich wünschte, du hättest es leichter gehabt.“

Dass Ikar ihm darauf danke gesagt hatte, hätte Einbildung sein können, so leise war es, aber er ging gern davon aus, dass er es wirklich gesagt hatte. Yami kam wieder mit zwei Gläsern Wasser und reichte jedem von ihnen eins, sodass sie sich etwas voneinander lösten, um zu trinken.

„Ist morgen eigentlich immer noch Kaffee trinken geplant?“, fragte Yami nach.

„Seto will nicht“, meinte Ikar.

„Er will nicht?“ Katsuya sah überrascht auf.

„Er ist grad' in so einer Depri-Schlechtfühl-Phase, deswegen bin ich ja auch draußen. Er hat gerade Lust auf gar nichts. Irgendwie ist er der einzige von uns, der Schuldgefühle hat, was er Katsuya mit uns aufbürdet“ Er lehnte sich seitlich gegen den Genannten und grinste zu ihm hoch. „Aber er hat auch genug Schuldgefühle für uns alle.“

„Und du hast gar keine, was?“ Trotz der neckend gehobenen Augenbraue ratterte es in Katsuyas Kopf. Seto hatte Schuldgefühle? Warum gerade jetzt? War deswegen vorhin Klein-Seto raus gekommen?

„Wieso sollte ich? Du hast uns doch lieb, oder?“ Katsuya nickte. „Dann sag ich selbst schuld und genieße es“ Er rieb seinen Kopf an dessen Schulter, als wäre er eine Katze. Ein etwas verstörendes Bild für Seto Kaibas Äußeres, aber wie alle Sonderheiten nahm Katsuya es mit einem Seufzen hin.
 

Im Endeffekt fuhr Ikar sie beide zurück, nachdem er hoch und heilig versprochen hatte, dass er ordentlich fahren und keinerlei waghalsigen Manöver hinlegen würde. Er hatte nicht ganz Setos ruhigen Fahrstil, er nahm die Kurven allgemein etwas schneller, aber im Großen und Ganzen war es wohl in Ordnung.

Weniger in Ordnung war der Versuch, Katsuya im Bett zu Sex zu überreden, aber diesen Abend gab er Ikar zum ersten Mal eine Abfuhr. Der Tag war lang und anstrengend genug gewesen und Sex war für ihn derzeit eher nervenaufreibend als entspannend. Ikar schmollte für volle fünf Sekunden, bevor er sich lächelnd an Katsuya kuschelte und wenige Momente später einschlief. Einen Moment lang beneidete er Ikar um seine sorglose Jugend, bevor ihm einfiel, dass sein Freund in Wirklichkeit neunundzwanzig und sehr wenig sorglos war.

Tja … wie sollte das in Zukunft weitergehen? Seto würde vielleicht irgendwann eine Therapie machen, aber derzeit schien das eher weit entfernt. Also würde er wohl erstmal so bleiben, wie er war. Mit Seto, Klein-Seto und Ikar lief das eigentlich ganz okay.

Es waren die unbekannten Faktoren, die ihm Angst machten.

Allen voran Wächter. Er war kalt genug, dass er andere umbringen konnte. Das hieß, dass er seine Gefühle entweder wegschließen konnte oder diese Persönlichkeit gar nicht mit Gefühlen ausgestattet war. Alle Entscheidungen von Wächter bisher schienen sehr rational, aber er konnte ja anscheinend Gefühle anderer verstehen. Also war er entweder wirklich ein in sich dissoziativer Charakter oder er war antisozial. Nein, dafür müsste er Gefühlsausbrüche haben. Die hatte er nicht. Also nicht antisozial. Er konnte Gefühle dissoziieren oder hatte keine, das waren die zwei Möglichkeiten. Aber er hatte emotionales Verständnis. Kein Wunder, dass er der Planer der Gruppe war.

Wenn er allerdings wirklich keine emotionalen Ausbrüche hatte, dann brauchte man ihn auch nicht fürchten. Dann beging er Straftaten aus Berechnung. Er schlug nicht impulsiv wie Angst um sich. So lange also die negativen Folgen der Konsequenzen die positiven der Straftat überstiegen, würde der Wächter auch nichts Verbotenes tun.

Wie einen Attentäter anzuheuern, der die Entführer seines Geliebten umbringen sollte.

Katsuya atmete langsam aus. Er wusste zwar immer noch nicht, was genau Yami und Seto für Pegasus ausgeheckt hatten, aber bestimmt hatte der Wächter da mitgemischt. Allein, dass die Polizei ihn wirklich verhaftet hatte und immer noch halten konnten, zeigte, wie erfolgreich sie gewesen waren.

Im Endeffekt schien er also keine Angst vor dem Wächter haben zu müssen. Er war zwar ein Mörder, aber er war es nur, weil er extrem rational war. Weil er es konnte, nicht weil er das Verlangen danach hatte. Genau genommen waren die wirtschaftlichen Morde als schlimmer als der Mord an Gozaburo anzusehen. Dieser war eine Notwendigkeit gewesen – die danach reiner Profit.

Vielleicht sollte er – ähnlich wie Ryou – den Wächter mal treffen und ihm ein Versprechen abringen, in Zukunft nur bei absoluter Notwendigkeit Straftaten zu begehen. Vielleicht würde er sich nicht komplett daran halten, aber vielleicht könnte wenigstens Katsuya mit der Illusion leben, dass er es täte.

So, wie Ryou glaubte, dass sein Bruder nicht mehr tötete.

Mehr Persönlichkeiten

Mich hat ein KreaHoch gepackt o.o Ich habe eine neue FF begonnen und in der letzten Woche über 70 Seiten geschrieben. Bis ich das mal alles hoch geladen habe ... dafür kann ich garantieren, dass ich ganz regelmäßig etwas on zu stellen habe bei

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/314473/
 

Würde mich freuen, wenn ihr da rein lest. Und jetzt viel Spaß mit dem neuen DS-Kapitel ^.^
 

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Katsuya schlug langsam die Lider auf, bevor er sie plötzlich aufriss.

Irgendetwas war falsch. Irgendetwas … Aspahlt? Beton? Er legte den Kopf zur Seite. Beton. Warum lag er auf einem Betonboden? Er versuchte, so viel wie möglich von seiner Umgebung zu sehen, ohne sich zu bewegen. In Sichtlinie befanden sich gestapelte Kisten, rechts und links davon schien der Boden nur in die Unendlichkeit weiter zu gehen. Durch die Dunkelheit konnte er allerdings nicht weit sehen. Hinter ihm schien eine kleine Lichtquelle zu sein.

Feuer, wenn ihn das Geräusch nicht täuschte. Da er keine Wärme im Rücken spürte, musste es etwas entfernt sein. Wie zur Hölle war er hier hin gekommen? War er wieder entführt worden? Es sah dieser verdammten Lagerhalle erstaunlich ähnlich. Er hob vorsichtig den Kopf, um mehr zu sehen. Einen kurzen Moment später erstarrte er.

Stahlbalken.

Er kannte diesen Stahlbalken. Er sog tief die Luft ein. Entweder war er in einem Traum oder er war entführt worden. Er biss auf seine Unterlippe – was weh tat – und tippte damit auf Zweiteres.

Wie zur Hölle waren die in Setos Haus gekommen? Ohne, dass einer von ihnen etwas bemerkt hatte? Und wo war Seto? Pegasus war der einzige mit einem sinnvollen Grund, sie zu entführen. Was würde er mit Seto machen? Katsuya versuchte, mit so etwas wie einem inneren Radar Kontakt aufzunehmen, aber leider hatte er noch keine übernatürlichen Kräfte entwickelt, um zu wissen, wo Seto sich befand.

„Our puppy is awake.“

Katsuya erstarrte.

Er kannte diese Stimme. Sie konnte nicht real sein. Das hier konnte nicht sein.

Er setzte sich blitzschnell auf und fuhr herum.

Ihn begrüßte ein Pistolenlauf an seiner Stirn.

„Don't even try“ Ted grinste ihn mit einem breiten, dreckigen Grinsen an.

„Du bist tot“ Katsuya verzog trotzdem das Gesicht.

Er sollte aufwachen. Er musste aufwachen. Das hier war nicht real. Ted war nicht real. Ted war tot. Das hier war ein Traum. Er musste verdammt nochmal aufwachen! Er drehte den Kopf weg, aber plötzlich saß er gegen den Pfeiler gelehnt und war festgebunden.

„Afraid?“ Ted strich mit der Waffe eine Strähne von Katsuyas Pony zur Seite und ließ sie an dessen Schläfe weilen. „You don't like this? Shall I put it away?“ Die Waffe sank Katsuyas Körper hinab, die Brust entlang bis zu seinem Schritt. „Or shall I put it here?“

Es war ein Traum. Ein fucking Traum. Es war nicht real. Selbst, wenn Ted ihn im Traum vergewaltigen würde, wäre es nicht real. Selbst, wenn er ihn erschießen würde. Es war alles nicht real. Katsuya zitterte trotzdem.

Es sah verdammt real aus. Er roch real und es fühlte sich auch real an. Und die scheiß Waffe zwischen seinen Beinen war genau so kalt und schwer, wie er sie sich immer vorgestellt hatte. Er schloss die Lider und biss die Zähne zusammen.

„What are you doing?“

Katsuya stieß überrascht wie erleichtert die Luft aus. Dean. Dean war hier. Dean würde Ted abhalten. Er sah auf. Nicht nur Dean, auch Jon war da. Sie würden ihn beschützen. Sie würden Ted aufhalten.

„Care to play?“ Ted grinste über die Schulter.

„Hmpf“ Dean zuckte mit einer Schulter. „Why not?“
 

Katsuya zog die Lider auseinander, als würden sie zusammen kleben. Seine Lippen hatte er in Ekel, nein, Revulsion verzogen. In seinem Mund befand sich ein Nachgeschmack von Magensaft, auch wenn das Laken vor ihm sauber schien. Mit einer Mischung von Müdigkeit und Widerwillen drehte er den Kopf und tastete nach Seto an seiner Seite.

Nur war entsprechende Seite leer.

Katsuya seufzte leise. Heute musste irgendwie alles schief gehen, oder? Er drehte sich in die Kuhle, die Seto hinterlassen hatte und versuchte, noch einen Rest Wärme zu erhaschen. Das Laken war allerdings schon kalt. Mit einem sehr tiefen Seufzen richtete Katsuya sich auf. Sollte er …? Na ja, er würde eh nicht mehr schlafen können. Irgendwo würde Seto schon sein. Er drehte sich zur Seite, schwang die Beine über die Bettkante und erhob sich langsam. Jedes Gelenk schien einzeln knacken zu wollen. Wie sich seine Muskeln anfühlten, wollte er gar nicht erst beschreiben. Sein Körper gab ihm nur die Rückmeldung, dass er mindestens achtzig war.

Im Badezimmer war Seto nicht. Allerdings war dort der Wasserhahn, an dem sich Katsuya die Reste des Alptraums aus dem Gesicht wusch. Den Mund wusch er sicherlich fünfmal aus. Der Traum war einfach nur zu real gewesen. Er ging Richtung Flur, warf einen Blick in Setos Arbeitszimmer, doch drehte schnell wieder ab. Oben schien sein Freund nicht zu sein. Wahrscheinlich saß er wieder im Wohnzimmer und sah den Mond an.

Als er Seto jedoch weder im Wohnzimmer noch in der Küche fand, musste Katsuya schlucken. Seto war doch nicht ausgegangen, oder? Mitten in der Nacht? Keine seiner Persönlichkeiten würde so etwas machen. Wächter vielleicht, aber der wollte ja nicht raus kommen. Ob Angst sich des Körpers bemächtigt hatte und geflohen war? Das schien das einzig Plausible. Setos Schuhe standen vorne an der Tür – außer Angst wäre niemand barfuß nach draußen gegangen.

Katsuya ließ sich einfach dort auf den Boden sinken, wo er gerade stand. Wenn Angst wirklich weggelaufen war, was zur Hölle sollte er dann machen? Sollte er ihn suchen? Sollte er einfach warten, bis Seto von selbst zurück kam? Andererseits könnte Angst da draußen sonst was passieren. Sollte er Yami anrufen?

War Seto vielleicht bei Yami? Ikar meinte doch, das wäre seine erste Anlaufstelle. Nur warum sollte Ikar einfach gehen, ohne etwas zu sagen? Weder Ikar noch Seto würden so etwas tun und Klein-Seto schonmal gar nicht. Da blieb nur Angst, oder?

Hinter sich hörte er ein Knacken, als würde sich etwas großes Festgeklebtes von etwas lösen.

Katsuya fuhr herum. Er kniff die Lider zusammen.

Da war nichts … oder?

Er erhob sich ganz langsam und schlich den Flur herab. Küche, nichts. Wohnzimmer, nichts. Dann war doch nur noch … er sog scharf die Luft ein.

Da war der Treppenabgang.

Der Keller.
 

Einen kurzen Moment sah er Seto an einem Strick um den Hals baumelnd vor seinem inneren Auge auftauchen, schon raste Katsuya die Treppe hinab.

„Seto!“ Am Treppenabgang schlug er gegen die Wand, wandte sich sofort in die Richtung, aus der Licht kam und stürzte in die Waschkammer. „Seto!“

Seto drückte sich erschrocken gegen den Trockner, die Lider geweitet, eine Hand an sein Herz gehoben. Einen Moment lang starrten sie sich gegenseitig in die Augen. Nach sicherlich zwei Sekunden atmete Seto langsam aus und sackte etwas nach vorne mit den Worten: „Hast du mich erschrocken.“

„Seto?“ Katsuya blinzelte. „Was zur Hölle machst du hier unten?“

„Waschen?“ Seto deutete auf die Maschine.

„Ja … schon“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Ich meine … hast du nicht panische Angst vor dem Keller?“ Er sah Seto in die Augen. „Oder bist du gar nicht Seto?“

„Oh, entschuldige bitte“ Seto lächelte sanft und kam auf ihn zu, die rechte Hand mit dem Handrücken nach oben ausgestreckt. „Wir kennen uns noch gar nicht persönlich, nicht wahr?“

„Imalia?“, riet Katsuya ins Blaue.

„Es ist mir ein Vergnügen“ Sie hob die Hand, um zu erinnern, dass er mal Benehmen gelernt hatte.

Anhand der Handhaltung nahm er an, dass er ihr den Handrücken küssen sollte. Dass er dabei in Setos Gesicht sah, machte die Situation außerordentlich skurril. Er tat es trotzdem, worauf sie ihr Lächeln kokett mit zwei Fingern bedeckte. Und das alles in Setos Körper!

Katsuya blinzelte verwirrt und murmelte: „Äh … ja … ähm … du hast kein Problem mit Kellern?“

Selten intelligent. Wirklich gut gemacht, Katsuya. In Gedanken gab er sich selbst eine Kopfnuss. Ein Glück, dass Imalia ihn schon etwas länger kannte als das hier. Wenn, dann hatte er seinen ersten Eindruck eh schon früher versaut.

„Natürlich nicht“ Sie schüttelte mit einem tadelnden Lächeln den Kopf. „Ich muss doch die Waschmaschine bedienen. Wie sollte ich das denn tun, wenn ich Angst vor dem Keller hätte?“

Sie ins Badezimmer stellen. Katsuya verkniff sich diese Antwort jedoch und fragte stattdessen: „Ich dachte, unsere Haushälterin wäscht.“

„Welche Haushälterin?“ Sie blinzelte fragend, doch verlor ihr Lächeln nicht. Das schien recht permanent zu sein. Es war kaum fassbar, aber wenn sie ihre Lippen kurz bewegte, waren um Setos Augen herum kleine Lachfalten zu sehen. Die waren absolut nicht da, wenn irgendeine andere Persönlichkeit draußen war.

„Äh … Seto sagte, wir hätten eine Haushälterin. Haben wir keine?“

„Ich fürchte, damit hat er mich gemeint“ Sie legte eine Hand auf Katsuyas Haar und strich darüber, als wäre er fünf Jahre alt. „Ehrlich … ich mache zwar den Haushalt, aber das klingt doch etwas herabsetzend“ Sie spitze die Lippen und legte einen Finger an ihre Wange. „Ich muss ihn schelten, wenn er wieder wach ist.“
 

Katsuya musste seinen Unterkiefer kontrollieren, damit sein Mund nicht durchgehend offen stand. Das hier war Seto. Setos Körper. Eine Frau in Setos Körper, die sich verdammt wie eine Frau benahm. Wenigstens trug sie, also er, kein Kleid.

„Und du?“ Sie faltete die Hände vor ihren Oberschenkeln und beugte sie zu ihm. „Kannst du nicht schlafen?“

„Äh … ja … ich hatte einen Alptraum“ Tja, der war wie weggewischt bei diesem Anblick. Wenigstens etwas.

„Soll ich dir etwas Milch mit Honig warm machen?“ Ihr Gesicht drückte Sympathie und Fürsorge aus. Katsuya konnte sich nicht erinnern, den Ausdruck schonmal gesehen zu haben, aber er erkannte ihn trotzdem. Es war der Gesichtsausdruck, den er sich als Kind auf die Züge seiner Mutter gewünscht hatte.

„Ja, bitte“ Seine Stimme klang wie von selbst jünger. Er sah Setos Gesicht vor sich, aber er hatte trotzdem das Bedürfnis, Mama zu sagen. Es war … verstörend. Und gleichzeitig irgendwie normal. Der typische Wahnsinn mit Seto im Haus. „Und Kekse?“

„Solange du nachher ordentlich die Zähne putzt“ Sie griff mit einer Hand in eine kleine Tonne, die auf der Waschmaschine stand und nahm einen Plastikbecher Waschmittel heraus. „Lass mich eben diese Maschine anstellen.“

„Sicher“ Katsuya lehnte sich gegen den Türrahmen und biss auf seine Unterlippe. Dabei lächelte er dennoch. Imalia war wirklich eine Mama. So wie sie im Buche stand. So wie er sich immer eine erträumt hatte. Durfte er so egoistisch sein und eine Runde Kind bleiben? Oder musste er ihn – und sie – daran erinnern, dass sie, also er, sein Verlobter war. Irgendwie konnte er sich vorstellen, dass sie ihn dafür herzlich auslachen würde. In ihren Augen war er nicht mehr als ein kleiner Bengel. Er konnte ja erstmal ein Bengel bleiben und morgen Yami anrufen. Oder Seto selber fragen.

Nachdem die Maschine lief, strich sie ihm noch einmal über das Haar und nahm seine Hand, um ihn nach oben zu führen. Ein bisschen kam er sich vor, als wäre er auch fünf, aber das war schon okay so. Er fühlte sich scheiße und gerade war Imalia genau das, was er brauchte. Wenn sie ihn jetzt noch in den Arm nehmen würde, wäre alles perfekt.

Für's erste würde er seine Milch mit Honig genießen und sich danach ins Bett bringen lassen. Und vielleicht war bis dahin auch Seto wieder da und würde sich zu ihm legen.

Enthusiasmus

Ich entschuldige mich für die Verspätung. Die Sonne hat auch an mir seinen Zoll genommen. Wir waren bis gestern noch in Berlin und gestern Abend war ich zu erschöpft für alles, erst recht DS weiter schreiben. Also schnell noch heute Morgen fertig gemacht und hier ist euer Kapitel :)

Viel Spaß beim Lesen!
 

P.S.: Ihr seid die besten Kommentatoren ever, ich hoffe, das habe ich schonmal gesagt :)
 

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Katsuya räkelte sich wohlig und rutschte ganz blind zurück in Setos Arme. Es war warm. Es war weich. Und das Brummen und Heranziehen war auf jeden Fall Seto. Alles gut.

„Guten Morgen“ Er setzte einen Kuss auf dessen Brustmuskulatur.

„Grmbl“ Seto zog ihn halb auf sich und erschlaffte dann wieder.

„Die Sonne scheint“, zwitscherte er weiter.

„Essis sonnach mochen“, knurrte Seto, „schlaf!“

Gehorsam schloss Katsuya die Lider wieder und genoss es, seinen Freund wieder zu haben. So ein altes Grummeltier konnte nur Seto sein. Vor seinem Kaffee war er auf eine liebevolle Art und Weise unausstehlich.

Eine halbe Stunde später wurde das stetige Auf und Ab von Setos Brust allerdings doch langweilig. Und da Seto nicht direkt danach aussah, als wäre er gerade zu Morgensport zu bewegen, schlich sich Katsuya doch aus dem Bett. Vielleicht konnte er seinen Drachen ja später mit Kaffee locken.

Oder er könnte das Frühstück fertig machen und es ins Bett bringen. Und dann konnten sie Morgensport machen. Oder irgendetwas anderes Spannendes. Schließlich hatten sie ja den ganzen Tag für sich. Lächelnd taperte Katsuya in die Küche und begann mit den Vorbereitungen. Er summte vor sich hin, während er die Kaffeemaschine befüllte.

An Imalia konnte er also auch ein inneres Häkchen setzen. Sie war völlig in Ordnung. Es war komisch, sie in Setos Körper zu sehen, aber sie war okay. Sie war sogar besser als okay. Er hätte zwar lieber einen Freund als eine Mutter, aber kurzzeitig eine Mutter zu haben, war auch cool. Und sie war ja nicht durchgehend anwesend.

Seto mochte sie auch, oder? Er hatte gesagt, dass er ihre Vorschläge und Einflüsterungen zu schätzen wusste. Oder zumindest, dass er sie in Ordnung fand. Mit Ikar, Imalia, Klein-Seto und Seto war schonmal ein größerer Teil der Gesamtpersönlichkeit als in Ordnung zu befinden. Und da ihm durch das Gespräch gestern auch der Wächter weniger Angst machte, war die einzige wirklich problematische Persönlichkeit wohl Angst.

Was hatte Angst so werden lassen, wie er war? Natürlich, wenn Angst alles Böse und Klein-Seto alles Gute erlebt hatte, dann war es wohl nicht verwunderlich, dass Angst verstört war. Aber so verstört? Er schien alles von sich zu stoßen und nichts loslassen zu können. Er hatte vor allem Angst und zerstörte dabei alles, was er zerstören konnte. Er war wirklich nur ein Kloß von Aggressionen und Angst. Was musste er gesehen haben, um so zu werden? Wie war es überhaupt je zu dieser Spaltung in viele Persönlichkeiten gekommen? Die Antwort schien bei Angst zu liegen.

Irgendwann würde er die Antworten wahrscheinlich heraus finden. Irgendwann, wenn Seto doch bereit war, eine Therapie zu machen. So langsam konnte er Setos Angst nachvollziehen … wenn er wüsste, dass ihm etwas angetan worden war, das schlimm genug war, dass es seine Persönlichkeit zerrissen hatte … und er könnte sich nicht erinnern … würde er es wirklich wissen wollen? Nicht nur wissen sondern erneut erleben? Für sich selbst das erste mal erleben? Es mochte wahr sein, dass sein Körper es schon einmal überlebt hatte, aber dennoch war die Angst wohl berechtigt, ob man noch derselbe war, sobald man es wusste. Es ging nicht um die Angst vor dem Tod des Körpers aber sehr wohl vor dem Tod des Selbst. Mit der Therapie würde die Persönlichkeit Angst ein Teil der Gesamtpersönlichkeit werden. Und wenn es eins gab, was Seto nicht ausstehen konnte, dann war es lähmende Angst und hilflose Abhängigkeit.

Bevor er diese nicht als Teile von sich selbst akzeptieren konnte, würde er niemals heilen. Und wahrscheinlich würde sie nicht akzeptieren, bevor Katsuya sie nicht akzeptierte.
 

„Ich fühle mich, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen“, murmelte Seto wie erschlagen und nahm den Becher Kaffee, den Katsuya ihm in der Küche hingestellt hatte.

„Erinnerst du dich an letzte Nacht? Unser Treffen und Gespräch?“, fragte Katsuya.

Seto trank einen Schluck und starrte dabei die Wand an. Nach einem Moment senkte er die Tasse und seufzte. Er studierte Katsuya mit seinem Blick und sagte schließlich: „Ich will ehrlich sein. Meine letzte Erinnerung ist gestern Nachmittag, als ich Bücher aus einer Kiste hob.“

„Oh, stimmt“ Katsuya schüttelte über sich selbst den Kopf. „Ich scheine auch noch nicht wach zu sein. Klein-Seto war draußen, dann Ikar. Ikar sagte, du hättest dich mit Schuldgefühlen begraben.“

„Hm … begraben. Ja, das trifft es wohl. Ich erinnere mich, dass ich über uns beide nachdachte. Das … irgendwo muss ich dissoziiert sein“, sinnierte Seto, „ich habe mich in meinen Gedanken verloren.“

„Tja … vielleicht könntest du ein paar deiner Zweifel auf Ikar schieben. Der scheint sehr unerschütterlich zu glauben, dass ich ihn liebe und immer lieben werde“ Nicht, dass das nicht wahr war. Aber Setos Zweifel gaben ihm irgendwie mehr … Anerkennung. „Auf jeden Fall habe ich letzte Nacht auch Imalia kennen gelernt.“

Setos Blick richtete sich auf ihn, nicht schnell oder erschrocken, aber dennoch von Angst durchzogen. Nein, eigentlich nicht Angst. Eher misstrauischer Widerwillen, vielleicht sogar ein Hauch von Scham. Nein, auch nicht Scham … eher Unsicherheit. Seto war nicht leicht zu deuten.

„Sie war sehr nett. Eine richtige Mama“ Katsuya redete schnell, auch wenn er nicht wusste, ob er es wirklich sagen sollte. „Ich hatte einen Alptraum und sie hat mir heiße Milch gemacht. Das war sehr … lieb“ Er sank in sich zusammen unter Setos kaltem Blick. „War das … schlecht?“

Seto knurrte nur, wandte mürrisch den Blick ab und trank mehr Kaffee.

„Seto?“ Katsuya leckte vorsichtig über seine Lippen. Hatte er etwas Falsches gesagt? Mochte Seto es nicht, dass er Imalia getroffen hatte? „Was ist los?“

„Nichts“ Ein weiterer Schluck. „Ich habe nur nicht gut geschlafen“ Seto stellte den Becher ab. „Ich geh' duschen.“

Einen kurzen Moment wollte Katsuya ihn zurück halten, aber dann stoppte er sich. Er konnte Seto eh nicht zum Reden zwingen. Wenn er darüber sprechen wollte, würde es tun. Katsuya kaute lieblos an seinem Brot. Warum störte es ihn, dass Imalia und er sich getroffen hatten? Oder war es etwas anderes? Vielleicht hatte er auch einen Flashback gehabt. Oder eine Person hatte etwas dazu gesagt, was ihm nicht gefiel.

Vielleicht könnte er Seto irgendwie wieder aufmuntern. Was mochte er denn? Außer dem Offensichtlichen? Andererseits … auch das Offensichtliche war vielleicht keine schlechte Idee. Oral in der Dusche war zwar doof, aber vielleicht würde Seto sich über eine Hand freuen?

Bestimmt. Grinsend stand Katsuya auf und ging Richtung Bad.
 

Mit schreckgeweiteten Lidern und starrem Blick schloss er die Badezimmertür wieder.

Das war … also … warum? Warum sollte Seto … sie waren doch in einer Beziehung, oder? Warum holte Seto sich dann ohne ihn einen runter? Machte er das öfter? Warum bloß? Er hatte doch ihn. Er müsste doch nur … er hätte doch fragen können. Andeuten. Katsuya war schließlich mehr als willig.

Seto dachte doch an ihn, oder?

Nein, er würde nicht an andere denken … oder? Vermisste er etwas in der Beziehung? Die wechselnden Partner? Die Jagd? Den etwas außergewöhnlichen Sex? Er hatte jetzt schon zweimal angedeutet, dass er gern gefesselt werden würde … er sagte zwar, bei S/M sei es ihm nur um Schmerzen gegangen und die Phase sei vorbei, aber vielleicht wollte er etwas in die Richtung? Katsuya hatte ehrlich gesagt gar keine Vorstellung, was man da tat. Man trug Lack und fesselte sich mit Lederbändern, oder?

Oder war das was anderes? Er hatte ehrlich gesagt nicht den geringsten Schimmer. Wollte Seto das? Sollte er ihn darauf ansprechen? Oder wäre er sauer, wenn Katsuya ihn auf … na ja … das eben ansprechen würde. Warum er sich in der Dusche selbst befriedigte. Konnte man so etwas fragen?

Andererseits sprach er mit Seto vom Selbstmord seiner Mutter bis hin zu seiner Sexsucht über alles, also sollte er auch so etwas fragen können. Was sollte Seto schon tun? Sauer werden? Wenn er ihm die Sache mit Yami vergeben konnte, würde er auch so etwas vergeben. Katsuya wollte zwar keinen Streit, aber das … das wollte er schon wissen.

Seto verlor doch nicht das Interesse an ihm, oder?

Er war in seine Gedanken vertieft, dass er gar nicht merkte, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde. Er plumpste einfach hinten über und landete mit dem Kopf zwischen Setos Füßen. Dass er damit unter Setos Handtuch guckte, ließ ihn errötend die Augen schließen. Seto schien sich weg zu bewegen, während er sich aufrichtete, aber einen Moment später stützte ihn eine Hand zwischen seinen Schulterblättern.

„Darf ich fragen, warum du vor der Tür sitzt?“

„Äh …“ Katsuya blinzelte die Augen wieder auf, sah zu Seto, doch senkte den Blick schnell wieder. Er konnte ihn nicht ansehen. „Ich … ich wollte rein kommen … aber … machst du das öfter?“ Das Letzte platzte eher unkontrolliert aus ihm.

„Duschen? Alltäglich“ Seto kniete sich hinter ihn und setzte einen Kuss auf seine Schulter. „Was das andere angeht … hat dir der Anblick gefallen?“

„Was?“ Katsuya zischte erbost und setzte sich auf. „Bist du … geht es dir noch gut? Natürlich nicht! Warum machst du so etwas?“
 

„Schon gut, schon gut“ Seto hob etwas verwirrt die Hände. Er sah ein bisschen verloren aus, kniend auf den Fliesen, die Hände oben wie ein Verbrecher. „Du stehst nicht auf Zusehen beim Masturbieren, richtig? Ist okay.“

„Darauf stehen?“ Katsuya erhob sich mit angeekeltem Gesichtsausdruck. „Wer würde … nein, schon gut. Ich frage nicht. Nein, ich stehe nicht darauf. Ich will wissen, warum du das machst, obwohl wir zusammen sind.“

„Ähm“ Seto blinzelte verwundert und erhob sich auch langsam. „Das … soll ich nicht? Was hat das damit zu tun, ob wir zusammen sind?“

„Wie, was hat das …“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Machst du das nicht, weil du mit mir unzufrieden bist?“

„Nun … nein?“ Seto legte seine Hände auf den Türrahmen. „Ich … keine Ahnung. Ich hätte nicht gedacht, dass es dich stören würde. Ich finde es entspannend.“

„Oh“ Katsuya wandte mit geröteten Wangen den Blick ab. „Ach so … ich dachte schon“ Dass Seto das machte, weil er zur Zeit nicht unten liegen wollte. „Schon gut. Entschuldige.“

„Es hält mich auch nicht von dir ab“ Seto trat näher, ein Mundwinkel gehoben und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. Seine Hände legten sich auf Katsuyas Hüfte. „Ich bin jung und vital. Ich habe gar keine Schwierigkeiten, jetzt direkt erneut einen hoch zu kriegen“ Er zog Katsuya gegen sich. „Interesse?“

„Meine Emotionen sind kein Fähnchen im Wind, Seto“ Er lehnte sich dennoch vor und legte den Kopf auf dessen Schulter. „Später vielleicht. Ich dachte wirklich … ich bin nie auf die Idee gekommen. Du lastest mich sexuell ziemlich aus, weißt du?“

„Das ist bei mir wirklich keine Auslastungsfrage“, versicherte Seto noch einmal, „mein Körper ist Zeiten gewöhnt, da habe ich … sicherlich zehn, fünfzehn Männer jeden Tag durchgehauen. Das brauche ich nicht, aber … das kann ich sozusagen. Selbst an einem Tag wie heute, wo wir die ganze Zeit im Bett bleiben könnten, wenn wir wollten, würden wir nicht mehr als drei- oder viermal miteinander schlafen. Mein Körper kann also weit mehr als das, was ich tue.“

„Andere Männer in deinem Alter nehmen bereits Viagra“ Katsuya hob die Arme und legte sie um Seto. „Sollte ich nicht gerade auf dem Höhepunkt sexueller Potenz sein?“

„Das ist alles eine Frage der Übung“ Seto tippte ihn mit seiner Nasenspitze, damit er den Kopf hob und küsste ihn. „Also sollten wir üben, damit du in zehn Jahren noch mithalten kannst.“

„Mund … was anderes schaffe ich gerade nicht. Warst du nicht eben noch unendlich müde?“

„Duschen belebt. Und Kaffee. Und vor allem die Aussicht auf Sex“ Seto hob ihn in die Höhe. „Mittlerweile hast du ein schön normales Gewicht. Das steht dir“ Er trug ihn Richtung Schlafzimmer. „Genau so siehst du toll aus.“

Katsuya, der die Arme um Setos Schultern gelegt und die Lider geschlossen hatte, lächelte müde. Wo nahm der Kerl seine Energie her? Anscheinend schlief er ja wirklich fast nie. Katsuya fühlte sich schon überfordert, wenn er mehr als einmal die Nacht durch Alpträume aufwachte.

„Mund und Finger?“, hauchte Seto und legte mit der Zunge über Katsuyas Ohr.

Dafür schnippte er gegen Setos Hinterkopf und grummelte: „Romantik, Seto.“

Alltagsstress

Ich wurde dazu gebracht, mich jetzt nicht nur auf fanfiktion.de, sondern auch auf fanfiction.net als Autor zu verewigen. Da ist natürlich nicht mehr als hier hochgeladen (ehrlich gesagt ist hier am meisten hoch geladen...).

Shiza-Chan schickte mir ein Video, in dem sehr anschaulich gezeigt wird, wie verschiedene Persönlichkeiten in einem Menschen agieren können. Er sagte, ihm hätte es geholfen, sich Setos Persönlichkeiten besser vorzustellen, daher sende ich seine Empfehlung hiermit an euch:

http://www.youtube.com/watch?v=TA27afOsBMY

Und jetzt viel Spaß mit dem neuen Kapitel ^.^
 

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Die folgende Woche war erstaunlich normal.

Keine neuen Persönlichkeiten, keine erschreckenden Geschichten aus Setos Kindheit und keine plötzlichen Katastrophen. Mitsuki redete nicht mit ihnen, aber weder Ryou noch Katsuya konnten sagen, ob das jetzt ihr normales Verhalten war oder ob sie sie irgendwie mied. Sie fragten, ob Yuji noch etwas zu ihr gesagt habe, aber auch dort schwieg sie natürlich nur. Sie schüttelte nicht einmal mehr den Kopf oder nickte. Sie war wie ein Geist, anwesend, aber nicht interagierend. Karin machte es traurig und auch für den Rest war es bedrückend, aber was sollten sie schon tun? Mit mehr Druck würde sie kaum mehr sprechen.

Wirklich spannend war nur die Selbsthilfegruppe am Mittwoch Abend. Seto kam aus seiner schweigend, schon fast bleich, aber er wollte nicht darüber reden. Auch am Tag darauf nicht. In seiner eigenen war das große Thema, dass Nene, Leylas Schwester, ihr gestanden hatte, dass sie einen Mann kennen gelernt habe, mit dem sie sich weiter treffen wolle. Demnach fragten die anderen drei Tomoko und ihn aus, wie es war, mit jemandem mit DID eine Beziehung zu führen.

Auch wenn er selbst keinen Vergleich zu einer normalen Beziehung hatte, ihre Punkte waren sich eigentlich ziemlich ähnlich. Anstrengend war die Umstellung durch die vielen Wechsel. Wenn man auf eine Persönlichkeit sauer war, konnte man das nicht bei den anderen ausleben, auch wenn im Endeffekt derselbe Mensch vor einem stand. Man musste seine Emotionen wegpacken und wieder raus holen, wenn die Persönlichkeit wieder auftauchte. Man musste selbst dringende Themen ruhen lassen, bis die entsprechende Person wieder da war. Man musste sein eigenes Verhalten sehr flexibel der Situation anpassen können und das war echt kompliziert. Da das Gegenüber kaum emotionale Konsistenz hatte, blieb einem nichts anderes übrig als entweder sich mit zu verändern oder alle Emotionen sehr eng an sich zu halten.

Katsuya tat Ersteres. Tomoko war irgendwann zu Zweitem übergegangen.

Tomoko berichtete außerdem von einigen Situationen, die Katsuya zum Glück noch nicht erlebt hatte. Dass beim Geschlechtsverkehr die Persönlichkeit wechselte, das wäre wohl Katsuyas persönlicher Horror. Aber auch einige öffentliche, höchst peinliche Aktionen wollte er nicht mit Seto wiederholt haben. Zum Beispiel die Kinderpersönlichkeit, die sich im Supermarkt schreiend auf den Boden warf, weil sie keine Schokolade bekam. Aggressive Persönlichkeiten, die das kleinste Wort persönlich nahmen und plötzlich handgreiflich wurden. Verwirrte Persönlichkeiten, die das erste mal auftauchten und auch nicht informiert waren von anderen. Wie sie ihren Mann suchte und ihn mit einem Messer in den Händen im Wandschrank fand. Oder hinter der stehenden Badewanne. Oder auf dem Dachboden. Oder zwischen Sofa und Wand eingeklemmt. Oder im Kleiderschrank im Kinderzimmer.

Katsuya hörte ihr mit zunehmendem Horror zu. Wie zur Hölle sie das wirklich Jahre ausgehalten hatte, war ihm absolut unverständlich. Andererseits – würde er sich wirklich von Seto trennen, wenn er das alles erleben würde? Sie wusste ja damals gar nicht, was eigentlich mit ihrem Mann falsch war. Er wusste wenigstens, woher all das käme, wenn er es erleben würde.

Aber er glaubte auch nicht, dass es je so weit kommen würde. Alle Persönlichkeiten – mit Ausnahme von Angst vielleicht – wussten über DID Bescheid. Selbst Klein-Seto hatten sie das jetzt erklärt. Sollte Seto nicht Persönlichkeiten haben, von denen keiner etwas wusste, dann würde er viele von Tomokos Erinnerungen nie selbst durchleben müssen.

Bis auf die Gewalt. Die konnte selbst er nicht ausschließen.
 

Seto teilte ihm am Donnerstag Abend mit, dass er Freitag einen Termin bei seinem Psychiater habe. Als Katsuya etwas schmollend murmelte, so etwas könnte er auch vorher mal sagen, erwiderte er nur, dass er den gerade erst ausgemacht habe. Mehr wollte er dazu auch nicht sagen. Kombiniert mit der Verschwiegenheit über das gestrige Treffen fühlte Katsuya sich wirklich nicht wohl bei der Sache, aber weder Fragen noch Beschwören half, dass Seto ihm mehr sagte.

Also nahm er es hin. So, wie er alles hin nahm, wie ihm manchmal schien.

Er rief Yami an und fragte den, wann er Feierabend habe und was er mache und verabredete sich mit ihm zum Streichen des Wohnzimmers. Nicht die normalste Freizeitbeschäftigung, aber körperliche Arbeit hörte sich gar nicht mal so schlecht an. Und man konnte schließlich auch mit einem Pinsel in der Hand reden.

Als er in der Kaiba Cooperation ankam, war er ziemlich spät dran. Er hatte Ryou und die Mädels überredet, gemeinsam Hausaufgaben zu machen, bevor sie nach Hause gingen, was unerwartet lang gedauert hatte. Demnach hastete er etwas atemlos in die Telefonabteilung, wurde dort langsamer und suchte nach seinem besten Freund. Er fand ihm im Pausenraum mit Isamu auf dem Arm und plaudernd mit Shizuka.

„Bruder!“ Sie erhob sich lächelnd, stand auf und küsste seine Wange. „Na, wie war deine Woche?“

„Ganz okay“ Er lächelte, aber er merkte selbst, dass er sich dafür anstrengen musste. Er war bei Yami. Yami hieß Entspannung. Er merkte selbst erst in diesem Moment, wie sehr er sich bis zu diesem Punkt zusammen gerissen hatte, denn gerade wollte er einfach nur auf einen Stuhl fallen und all den Stress aus sich heraus sprudeln lassen.

„Cool“ Sie zog ihn mit zu einem Stuhl. „Yami und ich waren Mittwoch Tanzen. Das war toll! Das müssen wir bald nochmal machen, ja?“

„Sicher“, meinte dieser nur lächelnd und spielte mit dem wachen Isamu. Als er jedoch seinen Blick hob, fror dieses Lächeln kurz ein, bevor es sich etwas legte.

„Was habt ihr heute denn so vor?“, plauderte sie weiter.

„Streichen“, erwiderte Katsuya nur.

„Woran wir uns auch bald begeben sollten, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit noch anfangen wollen. Der Winter macht einen müde, nicht?“ Yami reichte Shizuka ihren Sohn. „Also machen wir uns jetzt auch auf. Wir sehen uns ja Sonntag.“

„Okay“ Sie lächelte fröhlich. „Dann gehen wir mal wieder zu Grummel-Noah, nicht?“ Sie arrangierte Isamu an ihrer rechten Seite. „Grummel-Noah muss seine Jahresabrechnung überprüfen.“

Katsuyas Mundwinkel zogen sich etwas in die Höhe. Das klang nach schrecklich trockener Arbeit. Wenigstens ging es nicht nur ihm so, dass er das Gefühl hätte, er würde auf dem Zahnfleisch laufen.

„Na komm“ Yami, der seine Jacke gegriffen hatte, stellte sich neben ihn. „Wollen wir los?“

Er nickte nur und erhob sich. Shizuka setzte ihnen beiden einen Kuss auf die Wange und sie trennten sich am Fahrstuhl. Erst außerhalb des Gebäudes fragte Yami schließlich: „Und was ist dir passiert?“
 

Katsuya atmete tief durch, bevor er seinen ganzen Stress raus ließ. Setos Wechsel, die Angst vor dem Wächter, die Unsicherheit, ob er sich Imalia gegenüber fallen lassen durfte, seine Alpträume, sogar seine sexuellen Probleme. Auch wie kompliziert das Normalsein war, wie er immer wieder sein Bestes gab, um in der Gruppe der Mädchen nicht zu negativ aufzufallen. Yujis Reaktion auf Bakura, Mitsukis Schweigen und auch die Reaktionen der Mitschüler auf Setos Deklaration vor dem Schultor.

Erst während er erzählte, merkte er, was sein Unterbewusstsein noch alles wahr genommen hatte, was er selbst gar nicht so wirklich bewusst bemerkt hatte. Das Tuscheln der Lehrer, die vielen schiefen Blicke, die Kalkulation in den Augen von Mitschülern. Dass er es unheimlich fand, wenn Seto mal wieder eine Wand anstarrte. Zweimal war er sogar mitten im Gespräch weg gedriftet. Oft war Katsuya sich gar nicht sicher, wen er jetzt eigentlich vor sich hatte, da Setos Persönlichkeiten teilweise fließend ineinander übergingen und bisweilen ja auch zusammen auftauchten. Zum Glück stritt er normalerweise nicht mit Seto und zur Zeit hatten sie auch nichts auszudiskutieren, aber sogar bei normalen Gesprächen störten ihn Wechsel schon. Dass Seto letztes Wochenende einfach verschwunden war, weil er in Gedanken gekommen war, das machte ihm auch Angst. Setos Persönlichkeiten waren okay, aber was, wenn sie irgendwann so häufig draußen waren, dass er Seto vermissen würde?

Denn er hatte ihn Samstag Abend vermisst. Imalia war nachts wirklich toll gewesen, aber was, wenn Setos Körper neben ihm gewesen wäre und er Ikar aufgeweckt hätte? Er hätte Seto gewollt. Und wie wäre er dann an Seto gekommen? Diese Woche hatte er auch immer mal wieder Alpträume gehabt, aber da war jedes Mal Seto da gewesen. Einmal Imalia, die ihn im Arm gewogen hatte, das war auch okay.

Aber eigentlich war ihm Seto am liebsten. Denn Seto war der, der diese Wunde auch endgültig wieder heilen würde. Er hatte Katsuya schon wieder so weit, dass er nicht zusammen schreckte, wenn er etwas an seinem Hintern spürte. Er ertrug Finger in sich nicht nur, er fand sie gar nicht mal schrecklich. Nicht unbedingt gut, aber … angenehm erträglich.

Er erzählte Yami das alles.

Irgendwo im Hinterkopf war ihm klar, dass es Yami vielleicht verletzte, schließlich liebte dieser ihn, aber er wusste auch, Yami konnte es ertragen. Er ertrug es für ihn, weil er ihm helfen wollte. Katsuya wusste, das war ziemlich selbstsüchtig, aber gerade wollte er all diese Ängste einfach nur loswerden. Und Yami war nunmal der einzige, der ihn beruhigen und ihm gleichzeitig Hilfe geben konnte.

Da er irgendwann sein Handy hervor geholt hatte und während Katsuyas Monolog immer wieder kurze Memos eintippte, schien er auch einige Ideen zu haben, was den Blonden äußerst beruhigte. Zum Glück war Yami organisiert genug nach halbstündigen Monologen noch alles Wichtige, was es anzusprechen gab, auch anzusprechen. Warum er nicht einfach Psychotherapeut wurde, wusste Katsuya manchmal wirklich nicht. Somit endete er seinen Monolog irgendwann mit: „Okay … ich glaube, das war alles. Was können Sie mich lehren, Herr Freud?“

Yami lächelte und meinte: „Wir müssen an deiner ödipalen Fixierung arbeiten.“

„Meiner was?“

„Nur ein Scherz“ Er warf einen Blick auf sein Handy. „Deine Alpträume sind etwas, über das sollten wir reden. Ich glaube, ich kann dir ein paar gute Techniken geben, die dir helfen können. Zu Imalia solltest du mit Seto, Ikar und in Übertragung auch dem Wächter sprechen, was die für sinnvoll erachten. Theoretisch sollte es kein Problem sein, solange du nicht irgendwann das Gefühl vermittelst, dass du Imalia aktiv brauchst. Es ist für dich sicherlich heilsam, eine Ersatzmutter zu haben, aber wenn du dadurch andere Teile ablehnst oder das Gefühl gibst, dass Imalia und Seto für dich unvereinbar sind, dann ist das sehr zerstörerisch für Seto. Imalia als Ersatzmutter ist okay, solange du dabei im Kopf behalten kannst, dass sie gleichzeitig ein Teil deines Verlobten ist.“
 

Eine Mutter, die gleichzeitig ein Teil des Verlobten ist … okay, das war schon ein bisschen krass. Katsuya versuchte sich das vorzustellen, aber es war wirklich schwer. Setos Körper mit den weiblichen Gesten war schon skurril gewesen. Jemanden als Mutter annehmen, der gleichzeitig der Partner war … ne, das passte wirklich nicht. Die Trennung würde er nicht hinkriegen. Er sollte Imalia wie eine sehr fürsorgliche Partnerin wahrnehmen, damit würde er sich wohl am besten an die Wahrheit annähern. Und dann wäre es auch kein zu großer Schock, sollten Seto und sie einmal eine Person sein, denn dann hätte er ja einen … überfürsorglichen, grummeligen Partner.

Wie genau das aussehen würde, würde er ja dann sehen. Vielleicht so ein eifersüchtiges Bärchen, was ihn auf Händen trug. Katsuya musste lächeln. Wie genau Seto und Imalia als eine Person wären, war ihm echt ein Rätsel – aber er würde es schlimmer machen, würde er dem Drang sich Imalia gegenüber wie ein Fünfjähriger zu verhalten nachgeben.

Denn würden sie dann verschmelzen, wie könnte er sich dann noch verhalten? Ein fünfjähriger Partner? Ganz sicher nicht. Imalia als Verlobte zu sehen wäre wohl das Sinnvollste. Und das traute er sich auch zu, solange das keine sexuelle Komponente bekam. Mit Seto zu schlafen, während der sich wie eine Frau verhielt, die ihn wie ein Kind behandelte … nein, das war zu viel.

Yami hatte einfach nur geschwiegen, während er überlegte und – da sie schon in seiner Wohnung waren – Wasser für Tee aufgesetzt. Über einer Tasse Kamille erklärte Katsuya seinen Entschluss und Yami stimmte dem zu, riet ihm aber, dass jeder Persönlichkeit auch noch mal zu erklären. Besonders Imalia.

Bei Seto war es sehr wichtig, jeder Person ihre Rechte, aber auch ihre Grenzen klar zu machen und was sie für Katsuya war. Auch Klein-Seto solle er mal erklären, dass er nicht Vater oder Bruder war sondern der Partner vom großen Seto. Und Klein-Setos Spielkamerad. Aber keinesfalls eine Vaterfigur, denn sonst würde Seto nach einer Integration seine Gefühle für seine eigenen Eltern möglicherweise auf Katsuya projezieren. Und von ihm noch abhängiger sein, als er es sowieso war.

Klang alles so weit eigentlich sehr logisch. Auch riet Yami ihm, dass er allen Personen erkläre, dass er manchmal mit einer bestimmten Person reden müsse und er deswegen erwarte, dass entsprechende Person auftauche, wenn er diese mit Namen rief. Auch hier müsse er den Personen erklären, dass das nicht hieß, dass er sie nicht sehen wolle oder nicht mochte. Auch das war sehr einleuchtend, auch wenn Katsuya darauf von selbst nicht gekommen wäre.

Anscheinend würde er mit Seto morgen eine Runde Persönlichkeitenruftraining machen. Irgendwie konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ziemlich stressig werden könne … nun, es diente einem guten Zweck, wenn er so Seto rufen könnte, wenn er wieder Alpträume gehabt hätte. Was sie zurück zu den Techniken für Alpträume führte.

Träume

Etwas außerplanmäßig kommt hiermit ein Kapitel zusammen mit einer Entschuldigung. Ich habe gerade erfahren, dass ich die nächsten drei Wochen kein Internet haben werde. Ich werde also bis zum 02. September nichts hochladen und keine Kommentare und Meldungen beantworten.

Bis dann und tut mir nochmal Leid!

Viel Spaß mit diesem Kapitel :)
 

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„Ich muss aber vorweg nehmen, über Träume lerne ich gerade, Ich weiß nicht, ob das jetzt schon die perfekte Zusammenfassung wird“, gab Yami zu.

„Egal, wenn es irgend etwas Hilfreiches gibt, ich will es hören. Bisher war absolut jeder deiner Tipps richtig und hilfreich, so eine gute Trefferrate hat wahrscheinlich keiner außer dir“ Katsuya grinste. Ihm ging es schon dadurch blendend, dass er all diesen Ballast einmal von sich gedrückt hatte. Dadurch waren die Probleme vielleicht nicht weg, aber sehr viel machbarer.

Yami währenddessen errötete – ein seltener Anblick! – und fuhr fort: „Äh … ja … danke. Ich kenne euch ja nun auch schon ein bisschen. Nun … Träume sind vor allen Dingen im tiefenpsychologischen Paradigma besonders wichtig, die anderen legen da kaum Wert drauf. Das kommt daher, dass die Tiefenpsychologie danach fragt, was für Probleme unterbewusst noch vorhanden sind, während alle anderen psychologischen Richtungen sich nur mit den akuten Problemen beschäftigen. Du weißt ja, manche Leute haben immer irgendwo Schmerzen und fühlen sich ermattet und ihnen ist oft übel und sie gehen zu vielen Ärzten, aber keiner kann etwas finden. Die denken natürlich oft nicht daran, dass das alles von ihrer Psyche kommen könnte. Oder sie wollen nicht hören, dass es von ihrer Psyche kommen könnte. Und wenn du sie fragst, dann wissen sie natürlich auch nicht, was sie psychisch belastet. Da kommst du oft nur über die Träume an die eigentliche Problematik, oft Misshandlung oder Vernachlässigung in der Kindheit, spätere Ohnmachtsgefühle, Versagensängste und Verlustängste. Aber ich schweife ab ...“

Katsuya lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

„Das Wichtige an Träumen ist, dass sie nicht nur Mitteilungen unseres Unterbewusstseins sind, sie verarbeiten auch die Dinge, die sie abspielen – meistens“ Yami hob einen Zeigefinger. „Aber manchmal sind sie auch Hilferufe, dass etwas nicht verarbeitet werden kann. Wenn sie sich immer und immer wieder wiederholen, dann sollte man aufmerksam werden. Besonders, wenn das Ereignis schon ein Stück zurück liegt.“

„Hm“ Katsuya senkte den Blick zu Boden. „Heißt, ich kriege das nicht gut verarbeitet?“

„Bis drei Monate nachher ist bei einer Vergewaltigung noch in Ordnung. Zumindest, wenn der Alptraumgehalt nachlässt und sich immer andere Dinge abspielen. Es sollte eine Entwicklung erkennbar sein.“

Katsuya seufzte tief. Sogar Jason war in seinen Träumen bereits dazu gekommen. Fehlte eigentlich nur noch Pegasus, dann hätte er sein Gruselkabinett zusammen. Das war ähnlich wie mit den Träumen über seinen Vater und sich selbst, die schienen auch eher schlimmer als besser geworden zu sein, auch wenn sie gerade weg waren.

„Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dem nicht so“ Yami wärmte seine Hände an seinem Teebecher. „Selbst in deinen Träumen bist du hilflos und ausgeliefert. Deine Träume helfen dir nicht, sie machen es sogar noch schlimmer. Du musst wissen … rein rational wissen wir natürlich, dass Träume nicht echt sind. Aber der Großteil des Kopfes nimmt Träume und auch Phantasien wahr, als wären sie Realität. Alles, was wir in unserer Vorstellung sehen, hören und fühlen, das verarbeitet unser Kopf, als würde es wirklich geschehen.“

„Das heißt, in meinem Kopf werde ich immer und immer wieder vergewaltigt und er verarbeitet es, als wären es Erinnerungen? Als wäre es wirklich passiert?“ Katsuyas Lider weiteten sich.

Yami nickte nur.
 

„Darum können Träume auch verarbeiten. Sie legen Dinge neu aus, verknüpfen sie mit anderen Erinnerungen, geben ihnen positive Aspekte oder lassen dich die Situationen im Traum sogar lösen. Aber mit der Vergewaltigung fühlt sich dein Kopf überfordert.“

„Genau so wie mit der Gewalt meines Vaters. Da habe ich auch andauernd Alpträume“ Katsuya schloss die Lider. Was sollte er denn jetzt machen? Das hieß, die Zeit machte es gar nicht besser, sie machte es schlimmer. Würde er Seto irgendwann gar nicht mehr berühren können?

„Die Sache mit deinem Vater ist sehr komplex. Aber gegen die Vergewaltigung kannst du gegensteuern“, erklärte Yami.

„Wie?“ Katsuya sah auf und lehnte sich vor.

„Wie gesagt, auch Phantasie wird vom Kopf wahr genommen als würde es wirklich geschehen. Also fängst du ganz vorne an. Du wurdest in einen Transporter gezerrt, oder? Also stellst du dir vor, wie du dem Transporter entkommst. Immer und immer wieder. Wenn du da mehrere Szenen hast, dann gehst du weiter, wie du wieder aufwachtest und entkommst da. Stell dir nicht vor, dass du gefangen wurdest, stell dir einfach die nächste Situation vor. Das machst du, bis du irgendwann bei der Vergewaltigung angekommen bist. Das hört sich jetzt noch schrecklich an, aber wenn du die Schritte bis dahin hast, ist dir die Vorstellung, der Vergewaltigung zu entkommen, auch nicht mehr fremd. Dann löst du deine Fesseln und schlägst diesen Kerl zusammen. Oder rennst einfach nur weg. Du musst dir selbst in deiner Vorstellung die Macht und Kontrolle über die Situationen wieder geben.“

Sich selbst die Kontrolle geben … ja, Kontrolle war das Problem. Er war völlig hilflos gewesen. Er hatte nichts ändern können und das tat weh. Und genau dasselbe erlebte er jetzt mit Seto. Er hatte keinerlei Kontrolle über Setos Wechsel, seine Dissoziationen und seine Persönlichkeiten. Dass er nicht über Mittwoch sprach und jetzt beim Psychiater war. Das alles machte Seto mit sich selbst aus und Katsuya hatte das Gefühl, als hätte er keinen Boden unter den Füßen. Deswegen tat gerade jetzt die Vergewaltigung so weh.

Katsuya nickte und lächelte. Ja, das konnte er. Sich das einfach nur vorzustellen, war nicht so schwer, in seinem Kopf war schließlich er der Herr. Er fragte: „Kann ich das auch zeichnen?“

„Wenn du willst, natürlich“ Yami nickte. „Zeichnen ist gut. Es lässt deine Vorstellungen aus dir heraus. Kunst erweckt in uns Bilder und Eindrücke, die für unseren Kopf natürlich auch Realität sind. Wenn du ein Bild malst, was für dich Sicherheit und Kontrolle vermittelt, dann ist das sehr heilsam.“
 

„Gut“ Der Blonde nickte. „Wo wir dabei sind, kann ich Papier und Stift haben?“

„Sicher“ Der andere erhob sich, ging kurz in den Nebenraum und kam mit drei Blättern und fünf verschiedenen Bleistiften wieder. „Es ist lange her, dass du bei mir gezeichnet hast. Frühjahr? Irgendwann Anfang Sommer im letzten Jahr.“

„Ich weiß, du mahnst immer, ich soll mehr zeichnen. Aber unter Stress macht mein Kopf einfach zu“ Katsuya stellte seinen Becher zur Seite und breitete das Gereichte vor sich auf. Ein Bild der Sicherheit … hm, wo sollte er anfangen? Dem Transporter entkommen war eigentlich eine ganz hübsche Vorstellung.

„Gerade bei Stress solltest du zeichnen. Gerade dort ist es wichtig.“

Gerade dort vergaß er so etwas. Stress hieß meistens, dass es zwischen Seto und ihm kriselte und da dachte er bestimmt nicht als erstes daran, dass er etwas zeichnen solle. Und Seto würde ihn da auch kaum dran erinnern, dass es eine gute Idee wäre.

Er sah von den ersten groben Strichen seiner Skizze auf und fragte: „Hat Seto irgendeine Kunst, die er ausübt?“

„Hm … gute Frage. Außer mit Kreide Straßenbilder malen?“ Yami lächelte schief. „Ich habe ihn noch nie eine Kunst ausüben sehen. Ich weiß nicht, ob er eine hat. Oder mehrere. Die Persönlichkeiten bei DID tendieren dazu, alle verschiedene Künste auszuüben. Oft sogar sehr meisterhaft, das geht nur leider mit der Integration verloren.“

„Das heißt, er könnte ein begnadeter Maler sein und würde diese Fähigkeit mit der Integration vollständig verlieren?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten. „Ist Kochen eine Kunst? Er sagt, Imalia könnte das sehr gut, während Seto selbst nicht mal ein Ei braten kann.“

„Wahrscheinlich würde er als vollständige Persönlichkeit eher schlecht als recht kochen können, ja. Er müsste es neu erlernen“ Yami ging zum Kühlschrank und sah hinein. „Apropos, auf was hast du Hunger? Ich hatte Gnocchi in Käse-Sahne-Sauce geplant.“

„Wie gut, dass du dich mit niemandem integrieren musst“ Katsuya leckte über seine Lippen. „Klingt köstlich.“

„Ich werte das als ja“ Er begann, Zutaten aus dem Kühlschrank zu holen. „Ich bin ehrlich gesagt auch ganz froh, dass solche Sachen wie Wut und Angst bei mir nur verdrängt sind und keine eigene Persönlichkeit bilden. So lange ich nicht auf meine Familie treffe, muss ich sie nicht hervor kramen.“

„Willst du sie denn ewig verdrängen?“

„Hm“ Yami seufzte und wandte den Blick zu Boden. In seinen Händen drehte er langsam die Packung Gnocchi. „Ich werde es nicht können. Rein rational weiß ich das. Aber … ich will einfach nicht. Ich … ich bin nicht stark genug, mich dem jetzt zu stellen. Später vielleicht. Mit einem sicheren Job. Na ja, eigentlich ist mein Job sicher, Noah hat mir einen Vertrag für ein ganzes Jahr gegeben, aber ...“ Er seufzte erneut, diesmal tiefer. „Ich habe mir früher immer gesagt, wenn ich mit der Prostitution aufhöre und in einer guten Wohnung lebe, dann mache ich das. Ich vermute mal, das habe ich jetzt, nicht? Ich sollte wohl ...“ Er schüttelte den Kopf und stellte die Gnocchi zur Seite. „Ich bewundere dich, Katsuya. Du siehst ein Problem und du nimmst dich ihm an. Du rennst nicht vor dir selbst davon, so wie Seto und ich das machen. Wir versuchen beide, unsere Probleme so lange unter den Teppich zu kehren, bis es nicht mehr geht.“

„Seto muss in Therapie und du solltest, verstehe ich das richtig?“ Katsuya stützte den Kopf auf seinen Arm. „Seto sagt, mir könnte das auch helfen, aber … ich will irgendwie nicht. Ich glaube, ich renne auch davon.“
 

Während Yami kochte, zeichnete Katsuya weiter. War wohl auch besser so, sie schienen beide in Gedanken. Wahrscheinlich sogar in ziemlich ähnlichen.

Eine Therapie … er musste die Vergewaltigung und seine Erinnerungen an seinen Vater besser auf die Reihe bekommen, das stimmte schon. Auch war das alles mit Seto nicht so schrecklich einfach. Aber ihm reichte eigentlich, dass er mit Yami darüber sprechen konnte. Andererseits … fühlte Yami sich dadurch vielleicht einfach zu belastet? Konnte er ihn das fragen? Würde er sich wünschen, dass Katsuya eher zu einem Psychotherapeuten ging als all diese Probleme auf ihn zu häufen?

Verstehen könnte er es ja. Andererseits schien Yami daraus auch Kraft zu ziehen. Er konnte Katsuya nicht haben, aber er konnte sein bester Freund sein. Würde er Yami den Boden unter den Füßen wegziehen, würde er zu einem Therapeuten gehen? Die Möglichkeit gab es auch. Alles in allem nicht gerade einfach. Würde er Yami verletzen, wenn er ihn fragen würde?

Rargh … all dieses Gedenke machte einen kirre.

„Yami?“ Der Angesprochene sah über seine Schulter. „Wenn ich jetzt in Therapie gehen würde, würde dich das verletzen? Oder wärst du eher erleichtert?“

„Hm“ Yami, der gerade die Sauce gerührt hatte und ganz automatisch noch weiter rührte, obwohl er sich zu Katsuya wandte, sah zu Boden. „Ich weiß, das ist falsch … ich sollte nicht so denken ...“

„Es täte dir weh“ Katsuya nickte langsam. „Heißt das, du möchtest, dass ich eher zu dir komme?“

„Katsuya … ich“ Er sah auf, das ganze Gesicht verzerrt in Zweifel und Sorge gleichermaßen, doch schloss die Lider und zog den Kopf ein, als sich ihre Blicke kreuzten. „Ich will nicht … es tut mir Leid.“

„Was tut dir Leid?“ So ganz war Katsuya aus diesen Worten nicht schlau geworden, wenn er ehrlich war.

„Meine Selbstsucht“, hauchte Yami.

„Du tust gut daran, mal selbstsüchtig zu sein. Du bist ein Paradebeispiel, wie man nicht selbstsüchtig ist“ Katsuya tippte mit dem Bleistift auf den Tisch. „Ich komme gern zu dir und ich rede gern mit dir. Und solange dich das nicht belastet und runter reißt, möchte ich das auch gern weiter machen. Aber wenn du mal deine Meinung änderst und es dir zu viel wird, dann sag das, ja? Ich will nicht zu einem dieser Energievampire werden.“

Yami lächelte, obwohl der Rest seines gesenkten Gesichts noch immer verzogen war. Er ließ den Schneebesen in seiner Hand einfach los und kam sehr vorsichtig zu Katsuya hinüber. Er sah noch einmal kurz auf, bevor er sich auf Katsuyas Schoß setzte und die Arme um ihn legte. Dieser lächelte nur und schloss die kleine, zitternde Gestalt in die Arme. Auch Yami hatte seine schwachen Momente. Und das war völlig okay für Katsuya.

„Ich brauche das“, flüsterte Yami nach einem Moment, „ich brauche es, gebraucht zu werden. Ich sollte nicht … es ist schlecht … aber ich kann nicht davon weg. Wenn du mich nicht brauchst … dann bin ich nichts mehr. Dann habe ich für mich selbst keinen Wert.“

Katsuya unterdrückte das Seufzen. Was würden Seto und Yami ohne ihn machen? Beide sterben? Warum hängten Menschen ihr Leben unbedingt an ihn?

„Ist ja gut“ Er strich über Yamis Wange, da in dessen Haaren Gel war. „Das wollte ich nur wissen. Ist okay … ich will nicht böse sein, aber ich glaube, dir brennt die Sauce an.“

„Shit“, fluchte Yami wie neu gestartet und sprang auf, „argh, dieser doofe Herd … mein alter war vielleicht kaputt, aber dessen Macken kannte ich wenigstens!“

Ja … so war das wohl auch mit Katsuyas Beziehungen. Alle waren sie kaputt, aber bei allen kannte er zumindest die Macken.

Unerwartete Nachrichten

Ich gab gerade den Titel ein und Auto-Vollständigen schlug ihn mir vor o.o Hatte ich das Kapitel schon hochgeladen? Ich sah nach. Nein ... aber wie konnte das dann sein? Hatte ich versehentlich zwei Kapiteln denselben Namen gegeben? Auch nein. Obwohl - gewissermaßen ja. Des Rätsels Lösung ist, dass ein Kapitel von "Arie der Verzweiflung" denselben Titel trägt. Aber bis man das mal raus findet...

Viel Spaß mit diesem Kapitel ^.-
 

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Sie saßen gerade an ihren Gnocchi mit der noch geretteten Sauce, als Yamis Handy klingelte.

„Seto“, meinte er nach einem Blick auf das Gerät und nahm das Gespräch an, „Yami hier … was?“

Katsuya sah auf. Das war ein wirklich entsetztes Zischen gewesen, mit dem der andere dieses eine Wort gesagt hatte. Seto war doch nichts passiert, oder?

„Aber … wie?“ Yami schüttelte den Kopf und hob eine Hand an seine Stirn. „Bist du dir ganz sicher?“ Er bemerkte, dass Katsuya aufgesprungen war und machte mit einer Hand eine beschwichtigende Geste. „Auf welcher Station? Hm … weißt du irgendetwas Genaueres?“ Seine Stimme beruhigte sich ebenso. „Kannst du etwas herausfinden?“ Er schwieg einen Moment. „Hm … gut. Okay … ja, der ist hier … mach ich. Bis später, Seto. Und danke.“

Katsuya setzte sich langsam wieder. Bei der Frage nach der Station hatte er gedacht, dass sie Seto direkt da behalten hatten. Jetzt war er sich nicht ganz sicher. Blieb Seto in der Psychiatrie? Hatte er Yami angerufen, damit er ihm das schonend beibrachte? Wenn ja, dann hatte er das hiermit vermasselt.

„Yugi ist in der Psychiatrie.“

Yugi? Katsuya blinzelte. Yugi … Yamis Bruder? Sein ehemaliger Sport- und Mathelehrer, den er seit den Winterferien nicht mehr gesehen hatte? Er hatte vermutet, dieser habe wegen der Sache mit Seto und ihm gekündigt … er war in der Psychiatrie? Nun … es war schon gerechtfertigt, er war sicherlich nicht ganz richtig im Kopf, aber … warum war er da?

„Seto versucht herauszufinden, warum … eigentlich fällt das alles unter Schweigepflicht, aber Seto hat immer Wege und Mittel. Er weiß bisher, dass Yugi auf der geschlossenen Station ist, also ist er entweder akut psychotisch oder suizidal. Da psychotische Erkrankungen in unserer Familie bisher nicht vorkamen, vermute ich Zweiteres … das heißt, Yugi hat versucht, sich umzubringen.“

Yamis Stimme wurde leiser zum Ende des Satzes. Er starrte mit hohlem Blick den Tisch an und fuhr mit der Hand von seinem Haar vor sein Gesicht. Er senkte den Kopf, die Handinnenfläche über beide Augen gelegt.

„Es ist nicht deine Schuld.“

Die Worte purzelten aus Katsuyas Mund, noch bevor er über sie nachdenken könnte. Plötzlich waren sie einfach da und bahnten sich den Weg über seine Zunge. Sie brachen aus ihm heraus, ungehindert und unbedacht, ohne dass er auch nur einen Moment über sie nachgedacht hatte.

Aber ja … er wusste es von all den Gedanken, die er sich um Setos möglichen Selbstmord gemacht hatte. Der Verlust wäre schlimm – eigentlich gab es kein Wort, um zu beschreiben, wie entsetzlich schmerzhaft das wäre – aber schlimmer wäre die Schuld. Das klare Wissen, dass er sowohl der Grund wäre als auch, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, es zu verhindern. Dass sein Tun und Nichttun vielleicht nicht die Ursache, aber sicherlich der Auslöser wären.

Und damit hatte er starken Anlass zu vermuten, dass das genau die Gedanken waren, die Yami durch den Kopf rasten. Hätte er etwas tun können? Ja. Hätte er es verhindern können? Vielleicht. Hätte er seinen Bruder retten können? Möglicherweise.

Yamis in Qual, Schmerz, aber auch dünner Hoffnung verzogene Mimik sah Katsuya entgegen. Ein Gesicht voll Schuld, voll Angst, aber auch gefüllt von einer Bitte um Vergebung. Gefüllt von einem vagen Hoffen, einem Greifen nach den dahin geworfenen Worten. Ein Gesicht, auf dem die feurigen Fänge des Selbsthasses mit dem stummen Flehen um Anerkennung kämpften.

„Es ist nicht deine Schuld“, wiederholte Katsuya noch einmal.
 

„Wie könnte es nicht meine Schuld sein? Nach acht Jahren haben wir uns wieder gesehen und ich hatte nur Worte des Hasses für ihn übrig. Ich habe nicht einmal versucht, mich auf ihn einzulassen. Wenn ich ihm zugehört hätte-“

„Yami, das ist mehrere Monate her. Unsere Einweihungsfeier war noch vor Setos Geburtstag Ende Oktober. Danach war Yugi in der Schule, bis zu den Winterferien sogar. Wenn er wirklich Selbstmord versucht hat, dann muss das in den zwei Wochen Ferien geschehen sein. Da war die Sache mit dir lange her. Es muss irgendetwas anderes passiert sein.“

Wie Setos Kuss vor dem Schultor an seinem letzten Tag in der Schule.

Katsuya schloss die Lider und verzog das Gesicht in Schmerz. Was, wenn es seine Schuld war? Ihre Schuld? Yugi war in ihn verliebt. Was, wenn diese öffentliche Deklaration das Fass zum Überlaufen gebracht hatte?

Yamis Handy klingelte erneut. Er sah darauf, nickte nur und hob es an sein Ohr mit der Frage: „Seto? Hast du etwas raus gefunden?“

Es entstand ein längeres Schweigen. Yamis ängstliche Mimik wandelte sich schnell in Schmerz und er schloss die Lider. Mit einem Seufzen senkte er den Kopf und griff mit der freien Hand in sein Haar. Nach einem Moment sagte er leise: „Ja … bitte gib sie ihm. Es ist wohl Zeit, dass meine Vergangenheit mich einholt.“

Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Nein, schon gut. Es ist Zeit. Und ich will ihm helfen. Dein Psychiater ist gut, das weiß ich. Er hat zwar die multiple Persönlichkeit nicht erkannt, aber KPTBS mit peritraumatischer Dissoziationen war echt nah dran. Wenn er Yugi helfen kann, dann will ich mein Bestes geben, um ihn dabei zu unterstützen.“

Setos Psychiater war auch Yugis Psychiater? Was für ein Zufall. War es ein Zufall? Es gab wahrscheinlich nicht so schrecklich viele Psychiatrien in der Gegend, aber sie war doch groß gewesen. Sicherlich fünf oder sechs Stationen. Vielleicht mehr. Er hatte ja nur das große Gebäude gesehen. Andererseits, dieser Arzt hatte sich ja anscheinend eine spezielle Station ausgewählt, auf der er arbeiten wollte. Da, wo Seto nach seinem Selbstmordversuch hingekommen war. Da, wo Yugi hingekommen war … es machte schon Sinn.

Es musste einiges von Yami fordern, dass er dem hier zustimmte. Dem Doktor mit Yugi zu helfen, das hieß, ihm die ganze Vergangenheit zu erzählen. Das hieß, selbst in Gedanken noch einmal all das zu durchleben, was ihn in die Hände eines Loverboys und darüber in die Prostitution getrieben hatte.

Katsuya stand auf, stellte sich hinter Yami und legte seine Hände auf dessen Schultern. Was sollte er auch sonst tun? Er hatte Yami mit seinem Gerede vorhin dazu gebracht, darüber nachzudenken. Dass er das so schnell umsetzen musste … aber vielleicht war es auch der beste Weg. Yami tat immer eher etwas für andere als für sich selbst. Für seinen Bruder würde er auch seine eigenen Dämonen bekämpfen.

„Mach das“ Yami schluckte. „Wenn er möchte, kann er mich auch am Wochenende anrufen. Während seiner Arbeitszeiten … müsste ich frei machen … aber das ginge auch. Vielleicht ist es besser, wenn ich hin fahre. Oder vielleicht … ich weiß auch nicht. Du kannst das schon erklären“ Yami lehnte sich zurück gegen Katsuya, der direkt hinter der Lehne seines Stuhls stand. „Ja, das ginge … könnte … könntest du mich hin fahren? Oder zumindest abholen?“ Er schwieg einen Moment. „Danke. Machen wir das … danke, Seto.“

Er ließ die Hand mit dem Handy sinken und ließ es knapp über dem Tisch fallen, sodass es keinen Schaden nahm. Mit einem tiefen Seufzen schloss er die Lider wieder und ließ alle Anspannung aus sich fahren.
 

„Und?“, fragte Katsuya nach einem längeren Moment und begann, Yamis Schultern zu massieren.

„Ich fahre morgen hin. Seto holt mich danach ab“ Sein Kopf lehnte an Katsuyas Oberschenkel. „Er hat natürlich nichts über Yugi gesagt. Der Arzt hat Schweigepflicht und die achtet er auch, sonst würde Seto ihm nicht vertrauen. Er wird bestimmt gleich noch mit Yugi besprechen, dass er mit mir reden wirft … hoffentlich wirft ihn das nicht aus der Bahn.“

„Ich glaube, er ist ziemlich aus der Bahn, wenn er sich auf der geschlossenen Station befindet“, warf Katsuya ein.

„Mag sein“ Yami seufzte erneut. „Ach scheiße … warum jetzt? Warum er?“

„Weil mein Leben gerade in Gefahr kam, mal ruhig zu werden“ Katsuya lehnte sich vor und grinste den Sitzenden an. „Na komm. Jetzt wird Yugi ordentlich therapiert und du arbeitest auch an dir und dann bringen wir Seto in eine Therapie und dann haut Bakura plötzlich ab und wir müssen uns um Ryou kümmern. Dann kriegt Noah noch ein Burnout und meine Schwester angelt sich einen Kerl mit Schizophrenie.“

„Das denke ich auch“ Yami schnaubte. „Das Weggehen war wirklich lustig. Sie will irgendeinen Mann für Haus und Kind, aber sie flirtet nur mit diesen testosterongeschwängerten Muskelpaketen. Ich sag dir, du wirst eine wichtige Rolle in der Auswahl ihrer Männer spielen müssen. Sie hat ein ganz schlechtes Auge, wer gut für sie ist.“

„Und ich habe ein besseres?“ Katsuya hob eine Augenbraue.

„Hm … gutes Argument. Noah muss ein Auge darauf haben, wen sie anschleppt“ Ein schelmisches Lächeln legte sich auf Yamis Lippen. „Obwohl ich ja immer noch nicht weiß, ob ich ihm trauen soll. Vielleicht sollte ich ein Auge auf ihre Männer haben.“

„Du passt bestimmt gut auf sie auf“ Katsuya drückte seine Hände noch einmal in Yamis Schultern, dann kehrte er zu seinem Teller zurück. „Aber Seto kommt wieder, oder? Er bleibt nicht bis morgen da?“

„Ich glaube, du hast bei seinem letzten Aufenthalt ausreichend klar gemacht, was du davon hältst, nicht informiert zu werden“ Auch Yami nahm seine Gabel wieder auf. „Frag ihn einfach heute Abend. Nach der Autofahrt, dann ist Ruhe und er kann in seine Dissoziationen versinken, ohne dass es Ärger macht.“

„Ich glaub', ich will Urlaub“ Katsuya stützte sein Kinn auf eine Hand. „Die blöde Entführungssache hat mir die Winterferien zerstört. Das im Herbst war echt toll … ich möchte nochmal mit Seto weg. Wann sind wieder Ferien?“

„In etwas mehr als drei Monaten. Golden week.“

Katsuya murrte nur. Was für eine blöde Regelung. Warum waren denn vier Monate zwischen Winterferien und Golden week? Hatte er nicht irgendwo noch Prüfungsferien für die Halbjahresprüfungen? Konnte Seto sich da nicht frei nehmen? Das könnte er auch mit ihm besprechen. Oder vielleicht ein Wochenende … zwei Tage in einem Onsen, das wäre doch etwas.

Gerade hatte er übel Lust, Seto richtig auf der Tasche zu liegen. Er sollte einen Trip nach Hokkaido verlangen.
 

Als Seto kam, fragte Yami ihn noch einmal haargenau aus. Seto hatte das Büro verlassen, wollte eine rauchen, aber hatte Yugi auf dem Balkon entdeckt. Er hatte sofort einen Blick ins Schwesternzimmer geworfen und Tatsache, Yugi Muto stand dort auf dem Pflegebrett. Aus dem Pflegepersonal hatte er keine Informationen bekommen, hatte Yami angerufen, war zurück zum Doktor und hatte von dort erneut angerufen.

Er hatte demnach auch keine Ahnung. Der Doktor wollte wohl mit Yugi reden, bevor er morgen mit Yami sprach. Katsuya fragte sich im Stillen, ob der Arzt jetzt nur für das Gespräch morgen zur Arbeit fuhr, schließlich war das Samstag, aber er wagte es nicht, die Frage laut zu stellen.

Überraschenderweise erzählte Seto ganz von selbst während der Autofahrt von seinem Termin: „Ich habe meinem Psychiater das jetzt alles mit der Erkrankung erzählt. Er war ein wenig erschüttert. Er hat nach mehreren Persönlichkeiten gefragt und auch mit ein paar geredet, aber ich weiß nicht, worüber. Er meint, er muss jetzt erstmal darüber nachlesen und dann guckt er noch mal, ob er meine Medikation ändern sollte. Ich soll vorerst besser gar nichts mehr nehmen.“

„Dann bin ich dafür, dass wir einen abschließbaren Medikamentenschrank aufhängen, so dem ich den Schlüssel habe“, warf Katsuya sofort ein.

Seto brummte nur, aber es hörte sich wie ein halbwegs zustimmendes Brummen an. Er fuhr fort mit der Frage: „Wie lange musst du deine Tabletten noch nehmen?“

„Vier oder fünf Tage. Sind nicht mehr viele da“ Katsuya atmete tief durch. „Dann steht auch der erste Test an, oder? Der für Hepatitis.“

„Mittwoch nach der Schule“ Seto warf ihm einen kurzen Blick zu. „Da ich das eh alles selbst zahle, habe ich mir gedacht, wir machen einfach beide. Auch den für HIV. Der ist zwar dann nicht die klare Absicherung, wenn er negativ ist, aber … er wäre auf jeden Fall ein gutes Zeichen. Und dann machen wir noch einen in vier Wochen und den letzten die acht Wochen.“

„So viele?“ Katsuya blinzelte etwas überrascht.

„Nach vier Wochen hat er zwischen fünfzig und siebzig Prozent Zuverlässigkeit, nach acht Wochen fünfundneunzig und nach zwölf Wochen achtundneunzig. Einfach … dann können wir ganz sicher sein“ Ein weiterer Blick. „Ist das okay oder … ich meine, im Endeffekt ist es deine Entscheidung.“

„Du bist der Kontrollfreak. Ich werde mich nicht wegen dreimal Pieksen aufregen. Wenn es dich beruhigt, dann machen wir drei Tests. Ist für mich okay“ Katsuya schluckte. „Ich glaube, in diesem Fall bin ich auch ganz gern auf der Seite der Sicherheit.“

„Danke“ Seto nahm eine Hand vom Steuer, umschloss Katsuyas damit und drückte kurz.

„Ich danke dir, du bezahlst das alles. Die Tabletten sind sauteuer, wenn ich das richtig verstanden habe“ Er legte seine zweite Hand auf Setos. „Und meine Krankenversicherung zahlt die nicht, richtig?“

„Sie zahlt, wenn du nachweislich krank bist“ Diesmal blieb Setos Blick auf der Straße. „Sie zahlt auch den Hep-C-Test und den HIV-Test nach acht Wochen. Der Rest … ist halt privat. Aber es beruhigt meine Kontrollsucht.“

„Ist gut“ Katsuya hob die große Hand zu seinen Lippen und küsste den Handrücken, bevor er die Hand los ließ, sodass Seto sie wieder ans Steuer nehmen konnte. „Früher dachte ich immer, Kontrolle ist etwas Schreckliches. Immer nur Regeln und Pflichten. Aber ich muss sagen, deine Kontrolle finde ich gar nicht so schlimm. Sie hat etwas … sie lässt mich gut fühlen. Weil ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst. Und wenn ich was blödsinnig finde, erklärst du es ja auch. Das ist schon okay so.“

„Ich bin dir unendlich dankbar, dass du das alles mitmachst. Du bleibst nicht unangekündigt weg, du gehst nicht spontan mit Leuten irgendwo hin und du gehst immer an dein Handy. Das … das ist für mich wirklich wichtig.“

„Solange es nicht ausartet, dass ich meine Freunde nicht sehen darf, ist das alles in Ordnung“ Katsuya sank tiefer in seinen Sitz. „Ryou muss Bakura fragen, ob er weggehen darf. Ich mein', ich sage dir Bescheid, okay, aber ich würde das nicht von deiner Erlaubnis abhängig machen.“

„Ryou ist aber auch vier Jahre jünger und sehr viel weniger misstrauisch als du“ Seto warf doch noch einen Blick zur Seite. „Du würdest nicht mit Fremden mitgehen und du würdest dich auch nicht zu irgendetwas einschüchtern lassen. Selbst wenn dich jemand mit einer Waffe bedroht, würdest du ihn wahrscheinlich noch zusammen schlagen. Du bist sehr viel fähiger auf dich selbst aufzupassen als Ryou. Ryou ist ein richtiges Opferkind, den kriegt man zu allem. Du hingegen hast Selbstbewusstsein.“

Katsuya lächelte einfach und ließ die Worte so stehen.

Persönlichkeitenruftraining

So, bin wieder auf festem Boden :) Eine Woche mache ich noch "Urlaub" (acht Stunden täglich Lernen bei meinen Eltern statt bei mir zu hause, das macht ... weniger putzen und waschen?) und dann nähere ich mich ganz langsam wieder diesem Zustand namens Arbeit an. Besonders vor meiner Doktorarbeit graust es mich jetzt schon T.T (auch wenn ich dafür dann weniger eklige Bakterien pro Tag auswending lernen muss ... positiv denken, nicht wahr?).

Euch wünsche ich viel Spaß beim Lesen ^.^ Durch meinen Urlaub habe ich wieder ganz viele Kapitel auf Vorrat ^.-
 

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Seto stimmte dem Ruftraining zu und verstand auch nach wenigen Worten, warum Katsuya das wollte. Er sagte sogar, ihm sei das ganz recht, denn dann könnte Katsuya vielleicht sogar in einer schwierigen Situation eine andere Persönlichkeit rufen.

Sie einigten sich allerdings darauf, Angst nicht in das Training mit einzubeziehen. Das hielten sie beide zu gefährlich.

Nur wie anfangen? Sollte er einfach den Namen sagen? Würde das reichen? Versuch machte klug, nicht wahr? Katsuya fragte also: „Kann ich jetzt Ikar sprechen?“

Seto schloss die Lider und mit einem mal änderte sich seine ganze Haltung, seine ganze Aura. Katsuya hatte ja schon Wechsel mitbekommen, aber nie so bewusst. Es war, als würde ein Mensch in einen anderen morphen. Zwar sahen die beiden genau gleich aus, aber er wäre sich nicht sicher, dass er Seto als Ikar wieder erkannt hätte, wenn er ihn nur mal vorher gesehen hätte. Da sie eine völlig andere Ausstrahlung hatten, wirkten sie wie verschiedene Menschen.

„Hey, Katsuya!“ Ikar schlang die Arme um ihn und setzte einen Kuss auf seine Lippen.

„Hallo Ikar“ Er lächelte und strich dem anderen ein paar Strähnen des braunen Haares nach hinten. Da Setos Haare gerade trockneten, hatten sie nicht ihre schicke Form, die bei keinem Wetter Makel zeigte. „Hast du zufällig gerade zugehört?“

„Wie? Oh, bei Seto? Ne, nicht wirklich. Ist was?“

Also von vorne. Ganz toll. Er erklärte alles noch mal und auch Ikar schien es mit einigen Nachfragen zu verstehen und fand es sinnvoll. Er gab ihm sogar Tipps und sagte, wenn das Rufen nicht klappte, solle er der derzeit aktiven Persönlichkeit sagen, die solle sich vorstellen, von der großen Leinwand wegzutreten und die gewünschte Person dorthin stellen. Er hatte ja vor dem Wächter die Aktivität der Persönlichkeiten gesteuert und verstand daher ein bisschen was von der Theorie, wie das funktionierte.

Er rief erst Seto zurück, was problemlos klappte und dann Imalia hervor, was zwei Anläufe brauchte. Imalia kam heraus und atmete erstmal tief durch, als wäre sie gelaufen und erklärte, Ikar hätte ihr erzählt, was sie gerade übten. Sie hätte zwar den Wunsch nach Erscheinen gespürt, aber da sie noch nie aktiv gerufen wurde, war sie ihm nicht gefolgt. Anscheinend mussten für einen Wechsel also beide Persönlichkeiten irgendwie willig sein.

Der Wechsel zu Seto war kein Problem, zurück zu Imalia auch nicht, über zu Ikar nicht und zurück zu Seto auch nicht. Die drei schienen das schnell und gut zu erlernen, aber sie waren es ja auch nicht, bei denen Katsuya sich Sorgen gemacht hatte.

Als nächstes rief er Klein-Seto. Bis der hervor kam, dauerte es Minuten, in denen Katsuya immer mal wieder rief, aber größtenteils wartete. Als er hervor kam, rannte er in Katsuyas Arme und erklärte mit tränendem Auge: „Katsuya! Mama sagt, ich muss jetzt auf dich hören und zur Leinwand gehen, wenn du mich rufst. Aber Wächter hat doch gesagt, ich soll nicht zur Leinwand gehen.“

Katsuya blinzelte etwas verwirrt, bevor er auf das wahrscheinlich unwichtigste Detail einging: „Mama?“

„Mama Imalia. Sie ist doch meine Mama, oder?“ Er hatte wirklich große Augen, die vor Tränen funkelten. Es war fremd auf Setos Gesicht, aber es erweckte einen großen Beschützerinstinkt in Katsuya. Wie auch immer er die Lider so weit auseinander bekam, ohne verschreckt auszusehen.
 

„Imalia … erinnerst du dich noch, wie wir dir das mit den Teilen deiner Seele erklärt haben?“

„Meine Seele ist eine große Torte und ich bin ein Tortenstück“, wiederholte Klein-Seto artig und sank auf seinen Hintern.

„Ganz genau, deine Seele hat sechs Stücke. Du bist eins und Wächter ist eins und auch Imalia ist eins. Sie ist eine Ersatzmutter für dich, aber sie ist eigentlich ein Stück deiner Seele. Du und Imalia und die anderen zusammen, ihr ergebt den Menschen Seto.“

Eine Torte namens Seto … egal, die Erklärung erfüllte einen Zweck.

„Darf ich sie nicht Mama nennen?“, fragte er kleinlaut und seine Unterlippe begann zu zittern.

„Ähm … das kann ich nicht entscheiden“ Anders gesagt, er hatte nicht den geringsten Schimmer. „Wie wäre es, wenn ihr das zusammen besprecht?“

„Okay“ Klein-Seto senkte traurig den Kopf.

„Wegen der Leinwandsache ...“ Ganz toll, Katsuya. Sehr eloquent. „Wächter hat recht, du sollst nicht zur Leinwand gehen. Außer, wenn ich dich rufe. Wenn ich ganz laut nach dir rufe, dann läufst du zur Leinwand, okay?“

„Okay“ Er sah wieder auf, nicht lächelnd, aber zumindest auch nicht weinend.

„Die anderen und ich, wir üben das gerade. Ich rufe nach einem der anderen, dann trittst du von der Leinwand zurück und der andere tritt hervor. Und dann rufe ich dich gleich wieder, okay?“

„Ist das ein Spiel?“ Er lächelte breit.

„Es ist … es ist so eine Art Notfallübung. Wenn zum Beispiel … wenn mir das Essen anbrennt und ich brauche Hilfe von Imalia, weil es sonst nur Verkohltes gibt, dann muss ich sie ja rufen können, nicht? Und das üben wir gerade.“

„Du rufst Imalia und dann gehe ich und dann kommt Imalia und dann rufst du mich, dann geht sie wieder und ich komme. Richtig?“

„Genau. Und dann rufe ich noch die anderen. Damit das im Notfall auch gut klappt. Schaffst du das, Seto?“ Er strich mit einer Hand über das braune Haar.

„Na logo!“ Der Kleine grinste, als hätte er ein verbotenes Wort gesagt und würde sich furchtbar darüber freuen, dass er damit durchkam.

„Okay“ Katsuya kniete sich auch hin. „Bereit?“ Der Andere nickte begeistert. „Imalia!“

Seto kniff ganz fest die Lider zusammen und schien sich schrecklich zu konzentrieren. Es fehlte nur noch das große Puff und der Dampf, der aus seinen Ohren pfiff. Nach einem Moment glätteten sich seine Züge und Imalias sanftes Lächeln erschien darauf.

„Wow, das hat richtig gut geklappt“ Katsuya grinste.

„Seto ist ein gutes Kind. Er lernt sehr schnell und ist ganz brav“ Sie lächelte voller Stolz.

„Dann holen wir ihn doch mal wieder zurück – Klein-Seto!“ Sie schloss nur die Lider und keine Sekunde später war aus der eleganten Damenhaltung – wenn auch im Sitzen – wieder Klein-Setos schiefes, ungelenkes Knien geworden, als könnte er seine Beine nicht ordnen.

„War ich gut? War ich gut?“, fragte er begeistert.

„Ganz toll war das“, versicherte Katsuya ihm sofort, „das hast du klasse gemacht.“

„Hurra!“ Mit einem Mal hüpfte er durchs Wohnzimmer, wobei er beim dritten Hüpfer mit einer Hand an die Decke kam und sie dann schniefend hielt. Anscheinend war ihr Wohnzimmer nicht hoch genug für ausgelassene zweimetergroße Fünfjährige.

„Jetzt machen wir das nochmal, ja?“ Katsuya lächelte mit einem Hauch von Mitgefühl. Mit einem beleidigten Schniefen setzte Klein-Seto sich wieder vor ihn. „Diesmal möchte ich Ikar sprechen.“

Bei geschlossenen Lidern wurde aus der Schnute schnell ein Lächeln, bevor Ikar überrascht seine Hand hob und meinte: „Au … das tut ja weh.“

„Hat er sich ernsthaft etwas getan?“ Katsuyas Blick fiel auf das Handgelenk.

„Ne … zieht nur“ Ikar schnaufte. „Das kannst du jemand anderem antun, ruf wen anders.“

„Seto“, meinte Katsuya nur bestimmt und lächelte dabei.

Ikar schloss die Lider, das Lächeln verfloss und aus der ausdruckslosen Mimik öffneten sich blaue Augen mit einem eiskalten Blick. Kein Lächeln. Kein Ausdruck. Nicht Setos unter Angst starre Mimik sondern einfach ein völlig ausdrucksloses Gesicht.

Und mit einem mal verstand Katsuya, was ein Reptiliengesicht war.
 

„Wächter?“, fragte er, die Stimme unnatürlich hoch und zitternd. Sie klang fast wie ein Krächzen, das sich den Weg durch einen trockenen, verspannten Hals gesucht hatte. Katsuya wich ein Stück zurück.

Dieser Ausdruck – oder eher Nicht-Ausdruck – ließ rote Alarmsirenen losgehen, die ganz klar von Gefahr kündeten. Es war Wächter, oder? Was wollte er plötzlich hier? Hatte er nicht entschieden, sich nie wieder zu zeigen? Er hatte doch Seto gerufen, oder?

„Mir missfällt diese Übung“ Auch die Stimme klang tonlos, dabei jedoch auch einen Hauch von Wut durchsetzt und damit sehr einschüchternd. Sie hatte überhaupt keine Modulation, keine Höhen und Tiefen. „Du untergräbst meine Autorität.“

„Es tut mir sehr Leid“, platzte es sofort aus Katsuya und er senkte den Kopf.

„Das sollte es“ Auch wenn es keinen Ton hatte, es klang ganz klar nach einer Drohung. Vielleicht machte auch nur Katsuyas Kopf eine Drohung daraus, aber er hatte panische Angst vor diesem … Wesen. Er atmete schneller, ganz ungewollt. „Ich will keine Wechsel. Es stört das Gleichgewicht.“

„Es ist nur für Notfälle“, brachte Katsuya fast stotternd hervor.

„Was ein Notfall ist und was nicht, entscheide ich“ Der Satz und die Art, wie er gesagt wurde, ließen keine Widerrede zu. „Du beeinträchtigst mich schon genug. Du verbrauchst Zeit, Geld und Platz und bringst Unordnung in mein Leben. Wage es nicht, Kontrolle über diese Psyche gewinnen zu wollen.“

Katsuya schluckte nur und nickte.

„Katsuya?“

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und ganz instinktiv zuckte er zurück. Sein Blick traf blaue Augen, gefühlvolle Augen in einem besorgten Gesicht. Er hauchte Setos Namen und schmiss sich in dessen Umarmung. Wie hatte er je glauben können, Seto sei ausdruckslos? Sei kalt oder starr in der Mimik? Sei gefühlsarm? Seto war ein Vulkan, wenn man ihn mit Wächter verglich.

Scheiße, das war gruselig gewesen.

Er wollte Wächter nie, nie, nie wieder sehen. Wenn es ging. Wenn es sich vermeiden ließ. Er hinterließ dasselbe Gefühl wie Katsuyas Vater es getan hatte: pure, nackte Angst vor einem völlig unkontrollierbaren Wesen, das alles tun könnte.

Seto hielt ihn einfach nur im Arm, wiegte ihn hin und her, wie sonst eher Imalia es tat und flüsterte beruhigende Worte in seine Ohren. Den Inhalt bekam Katsuya wie meist nicht mit, aber der Ton enthielt Liebe, Zuneigung und Sorge. Das war genug. Es waren Gefühle. Es war alles, was Katsuya brauchte. Er klammerte sich an ihn wie an eine Rettungsleine.

„Ganz ruhig … was war denn los? Habe ich dir weh getan?“ Eine Hand fuhr durch Katsuyas Haar, die andere über seinen Rücken.

„Nein … nein … Wächter … Wächter war da … ich habe Angst vor ihm“, brachte der Blonde nach und nach hervor. Vielleicht in Sekunden. Vielleicht in Minuten. Zeit schien gerade relativ.

Seto hielt ihn einfach nur, sagte gar nichts dazu und verfiel wieder in einen Strom aus beruhigenden Worten. Eine endlose Litanei ohne Anfang und Ende, aber trotzdem wie Manna auf einer vertrockneten Kehle. Katsuyas Atem beruhigte sich, bis sie beide schließlich Arm in Arm auf dem Fußboden einschliefen.
 

Natürlich nicht tief. Der Fußboden war hart, gegen Mittag knurrte der Magen und der Tag war noch lang. Nach dem beruhigenden Kurzschlaf machte Katsuya sich ans Mittagessen – vor allem, um ja nicht nachzudenken – und Seto setzte sich mit einem Buch zu ihm in die Küche.

Die Nudelsuppe aßen sie in ruhiger Eintracht, spielten eine Runde Karten und schließlich setzte sich Katsuya sogar an Setos Buch mit gesammelten Werken von Shakespeare. Er rätselte gerade über die Bedeutung des Wortes thous't, als Setos Handy klingelte.

„Yami?“ Der Brünette hatte gar nicht nachgesehen, ob wirklich dieser angerufen hatte. „Das ist sehr gut. Und wie geht es dir?“ Erneut ein längeres Schweigen, bei dem Seto abwesend vor sich hin nickte. „Okay, dann fahre ich jetzt los. Die Klinikküche ist übrigens überraschend gut. Folge einfach den Schildern Richtung Casino, das ist der Essenssaal“ Er musste nach einem Moment lächeln. „Die Idee ist nicht schlecht, aber nein, es ist einfach nur ein Essenssaal. Wenn es Kaiserschmarrn gibt, lass mir einen Teller reservieren.“

„Bist du nicht satt geworden?“, murmelte Katsuya leise.

„Kaiserschmarrn geht immer“, erwiderte Seto in seine Richtung, „ja, ich meinte Katsuya … uhum … ja, mach ich. Bis gleich. Ciao.“

„Ihm scheint es nicht so schlecht zu gehen“, schloss Katsuya aus dem Telefonat.

„Es geht ihm ganz gut. Aber er ist verständlicherweise aufgewühlt“ Seto hob eine Hand, als Katsuya aufstand. „Er würde gerne mit mir reden. Allein“ Katsuya sank langsam in den Sessel zurück. „Einfach, weil ich die Familie der beiden kenne und auch die Situation vor neun Jahren. Nichts gegen dich, aber dieses eine mal würde ich gern allein fahren.“

Nichts gegen ihn? Das war eine Menge gegen ihn. Er konnte doch auch helfen. Er war Yamis bester Freund! Er sollte mitfahren! Er öffnete den Mund, aber kein Ton kam heraus, als er in Setos Augen blickte. Für eine so harsche Abweisung stand eine Menge Mitgefühl in ihnen.

„Katsuya ...“ Seto erhob sich, kam zum Sessel hinüber und beugte sich hinab zu einem Kuss, aber Katsuya drehte den Kopf weg.

„Geh. Yami wartet.“

„Katsuya?“ Seto betrachtete ihn einen kurzen Moment. „Tut mir Leid. Das hätte ich vorher ansprechen sollen. Ich wusste nicht, dass dich das so trifft.“

„Lass das Psychogelaber und fahr“ Der Blonde verschränkte die Arme. „Ich komm schon drüber weg.“

„Kats ...“ Seto wartete noch einen Moment, dann seufzte er und richtete sich wieder auf. „Ich bin in ein paar Stunden wieder da. Mach dir einen schönen Nachmittag, ja? Ich habe Badekugeln gekauft, die sind in der zweiten Schublade des Badschranks.“

Seto wandte sich um und hatte fast das Zimmer verlassen, als Katsuya doch noch fragte: „Diese Blubberkugeln, die Klein-Seto so liebt?“

„Genau die“ Seto lächelte kurz, bevor er in den Flur trat und kurz darauf das Haus verließ.

Von Selbstmord und Käsekuchen

Yay, nach sieben Monaten hat es mich doch dann glatt wieder in meine eigene Wohnung verschlagen XD Und wie sieht so eine Wohnung aus, wenn sich ein halbes Jahr Staub und Kalk sammelt?

Richtig, sehr eklig. Ein Tag Putzen. Genau so stellt man sich die freudige Heimkehr vor -.- Ich will auch eine Imalia T.T

Euch viel Spaß beim Lesen!
 

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Badekugeln waren faszinierend. Seto hatte sogar eine gekauft, die das Wasser erst rosa färbte und dann zunehmend dunkler über lila zu blau. Und als letztes löste sich der Kern, der Glitzerstaub enthielt. Die Badekugel war passend mit „Abendhimmel“ tituliert. Als Klein-Seto bei dem einen mal Baden nach Badekugeln gefragt hatte, hatte er ihm erstmal erklären müssen, was das überhaupt war, aber jetzt fühlte Katsuya sich im Bilde.

Und Badekugeln waren wirklich cool.

Ob Klein-Seto den großen Seto von innen so lange bequatscht hatte, bis er Badekugeln gekauft hatte? Schließlich badete Seto überhaupt nicht. Da steckte bestimmt eine interessante Story hinter. Er sollte ihn beizeiten danach fragen.

Der Entsprechende kam erst gegen halb neun wieder, während Katsuya in einem weichen Bademantel auf der Couch lag und den Shakespeare-Wälzer gegen eine Lehne gestellt hatte mit einem Wörterbuch daneben. Mit einigem Querlesen und Lautsprechen erkannte er die meisten Worte, auch wenn thous't als you have sicherlich nicht die leichteste Form von Englisch darstellte.

„Abend“ Seto setzte einen Kuss auf Katsuyas schon lang nicht mehr nasses Haar und kniete sich neben ihn. „Sag mal … kann es sein, dass du glitzerst?“

„Badekugeln sind cool“, meinte dieser nur und wandte sich nicht von seinem Wälzer ab. Gerade hielt Hamlet eine mitreißende Rede, von der er gerade mal die Hälfte verstand. Der Kerl konnte auch nicht ganz richtig im Kopf sein.

„Kannst nächstes Mal mit Klein-Seto baden gehen, der freut sich. Ich kaufe euch meinetwegen auch noch mehr davon“ Eine Hand legte sich in seinen Nacken und kraulte ihn. „Auch wenn das Zeug verdammt teuer ist.“

„Gemein … wie soll ich mich so auf Hamlet konzentrieren?“ Katsuyas Lider fielen zu. Nicht ganz ungewollt. Hamlets Rede war ziemlich träge. Er ließ seinen Kopf auf einen Arm sinken.

„Hamlet hat mir ein wenig zu viel Pathos. Lies A midsummer night's dream oder The merchant of Venice, das sind beides etwas interessantere Stücke. Auch wenn ich den Kaufmann lieber aufgeführt sehe als ihn zu lesen“ Seto lehnte sich vor und küsste seine Schläfe. „Wie wäre es, wenn ich Karten für eine Aufführung besorge? Das gibt Shakespeare mehr Leben als trockenes Papier.“

„Verstehe ich das?“, murmelte Katsuya nur.

„Ich kann ja ein übersetztes Stück nehmen“ Seto legte einen Arm auf die Couch und stützte seinen Kopf darauf. „Yami entschuldigt sich nochmal, dass er dich ausgeschlossen hat. Er wollte nicht das Gefühl vermitteln, dass er dich nicht schätzt. Ich soll dir einen Kuss von ihm geben, weil ich das darf und er nicht. Ich hätte der Kröte fast den Hals umgedreht.“

Katsuya grinste nur. Wenn Yami über Setos Eifersucht scherzte, war zwischen den beiden und mit ihm alles okay. Das waren gute Nachrichten.

„Yugi hat eine Schweigepflichtsentbindung für Yami unterschrieben, daher weiß Yami jetzt über die Gründe und den Verlauf der Behandlung Bescheid. Allerdings ist das nicht gerade viel Wissen. Yugi hat eine Tablettenüberdosis genommen, seine Eltern haben den Krankenwagen gerufen und die Intensivstation hat ihn so früh wie möglich in die Psychiatrie geturft. Seine einzige Aussage derzeit ist, dass er sich dazu gezwungen fühlte, nicht weiß, warum und dass er es nie wieder machen würde. Allerdings denkt der Arzt, dass Yugi ihn anlügt. Und Yami denkt es auch.“
 

„Warum lügt er? Oder warum denken sie das?“, fragte Katsuya nach einem Moment des Schweigens nach.

„Soziale Erwünschtheit“ Seto brachte sein Gesicht auf Katsuyas Höhe, seine Mimik eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Trauer. „Du weißt doch, seine Familie hält nichts von psychischen Erkrankungen. Das sind alles nur Phasen. Der Dreck wird unter den Teppich gekehrt. Seine Eltern klopfen jeden Tag beim Doc und erzählen eine neue Story. Dass der Onkel gestorben sei, dass er wohl dachte, es sei Traubenzucker, dass er etwas getrunken habe auf einer Feier und nicht bei Sinnen war, all so ein Mist. Sie finden alle möglichen Ausreden und Yugi plappert sie nach. Das hat beim Doktor einen ungutes Bauchgefühl hinterlassen, deswegen hat er ihn erstmal da belassen und den Richter überzeugt, die Verwahrung zu verlängern. Yamis Sicht konnte das Ganze sehr relativieren. Jetzt muss der Doktor nur Yugi überredet kriegen, dass er zum einen eine behandelbare Krankheit hat und sie zum anderen auch behandeln lassen sollte. Und er will ein Besuchsverbot der Eltern erwirken.“

„Und was hat Yugi dann?“ Katsuya drehte sich auf die Seite, um Seto leichter sehen zu können.

„Tja“ Seto schnaubte. „Was für einen Namen gibst du etwas, das eigentlich Hörigkeit von beschissenen Eltern genannt werden sollte?“ Katsuya senkte den Blick. „Erst einmal hat er es depressive Episode mit suizidalen Gedanken und Handlungen tituliert. Das ist das naheliegenste. Yugi hat keine Freude am Leben, ist nicht mehr in der Lage zu lachen und interessiert sich für nichts, das reicht für die Diagnose einer Depression. Warum, wie man dagegen vorgehen kann und vor allem, was er noch hat … das braucht seine Kooperation. Wenn er nicht behandelt werden will, wird man ihn entlassen müssen.“

„Aber wird er dann nicht noch einen Selbstmordversuch starten?“, fragte Katsuya erschrocken.

„Früher oder später, ja. Aber man kann ihn auch nicht auf immer festhalten“ Seto seufzte leise. „Tablettenüberdosen sind praktisch nie tödlich. Das ist … man unterscheidet zwischen hartem und weichen Selbstmordmethoden. Die harten sind die, die auch klappen. Erschießen oder … erhängen. Das sind Leute, die meinen es auch. Tabletten sind eine weiche Methode, das ist meist eher ein Hilferuf als ein wirklicher Todeswunsch. Also wird er wahrscheinlich auch beim nächsten Mal irgendetwas machen, wo er entdeckt wird.“

„Oh“ Katsuya setzte sich auf. „Gut … also, nicht gut, aber … du weißt schon. Besser als wenn er wirklich stirbt.“

Seto nickte nur und setzte sich neben ihn.

„Ist … ist es eine harte oder weiche Methode, sich ins Hafenbecken zu schmeißen?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Wenn du wie ich vorher Steine in deine Jackett- und Hosentaschen tust, ist es ganz klar eine harte Methode“, gab der neben ihm Sitzende leise zu.

„Wie hast du das überlebt?“ Er lehnte sich gegen dessen Schulter.

„Mich hat jemand gesehen und ist hinterher gesprungen“ Seto zuckte mit der freien Schulter. „War ein Hafenarbeiter … ich habe nie danke gesagt. Sollte ich vielleicht mal tun. Der Doktor hat bestimmt irgendwo seinen Namen vermerkt.“

„Mach das“ Katsuya legte die Arme um ihn. „Und bitte spring nie wieder ins Hafenbecken“ Er sah vorsichtig hoch und biss kurz auf seine Unterlippe, bevor er das Folgende zugab. „Ich kann nämlich nicht schwimmen.“
 

Als Yami am nächsten Tag kam, sah er völlig überarbeitet und kaputt aus, aber er lächelte. Wahrscheinlich hatte er nicht schlafen können. Katsuya nahm ihn zur Begrüßung in den Arm und verfrachtete ihn aufs Sofa. Seto murrte nicht einmal, dass Katsuya ihn in die Küche schickte, um Yami und ihm Kakao heiß zu machen.

Sie sprachen nicht viel und erst recht nicht über irgendwelche Probleme, aber die Welt war damit wieder in Ordnung, dass sie auf dem Sofa zusammen heißen Kakao schlürften. Seto deckte währenddessen den Kaffeetisch und richtete den Kuchen an, nachdem auch Noah, Shizuka und Isamu angekommen waren. Bakura kam natürlich wie fast immer zu spät, wofür Ryou sie beide entschuldigte. Seto winkte nur ab.

Shizuka hatte sich währenddessen neben Yami gesetzt und ganz besorgt gefragt, ob etwas Schlimmes passiert sei. Yami, der ihr Isamu abnahm, erzählte sogar ganz frei, dass sein Bruder wegen eines Selbstmordversuchs in der Psychiatrie sei. Mehr erzählte er allerdings nicht und Katsuya vermutete, dass eher die aufwühlenden Gedanken über seine Eltern als die Schuld Yami zerfraßen.

Obwohl natürlich beides sein konnte. Yami fraß schließlich immer alles in sich rein statt es raus zu lassen. Für Katsuya war klar, wenn er traurig war, dann weinte er, wenn er sauer war, dann schrie er. Aber Yami war nicht so. Yami behielt alles in sich und ließ es selten raus. Er ertrug still alles, was man auf ihn warf. So wie auch Seto. Und wie auch Ryou, wenn er den Jüngeren so ansah. Vielleicht – auch wenn es im ersten Moment paradox schien, da Bakura schließlich oft laut wurde – ähnlich wie auch sein Bruder.

Katsuya fand das nicht sehr sinnvoll. Er hatte zwischendurch mal Sachen in sich gefressen, aus Angst etwas zu sagen, aber das hatte immer nur mehr Probleme gemacht. Und Yami und Seto bestanden schließlich beide darauf, dass er sich selbst eher ausließ. Außerdem erinnerte das In-sich-fressen nur an seine Eltern, wo er immer hatte einstecken und schweigen müssen. Dass Seto das nicht wollte, war eigentlich sehr beruhigend. Nicht so wie am Anfang, wo sich in Katsuyas Gedanken Seto und sein Vater noch auf groteske Weise gemischt hatten.

„Katsuya?“

„Huh?“ Er sah auf. „Was?“

Yami grinste ihn von der Seite an. Anscheinend war er es, der gesprochen hatte. Allerdings deutete er mit dem Finger zur Seite auf Seto, der mit verschränkten Armen an der Seite des Sofas stand.

„Ja, bitte?“, fragte Katsuya und lächelte so unschuldig wie möglich.

Seto verdrehte nur die Augen und wiederholte: „Was für ein Stück Kuchen möchtest du haben?“

„Ähm … was ist denn da?“ Das löste allgemeines Kichern aus.

„Immer noch alles auf der Liste, die ich gerade erst vorgetragen habe“ Seto hob nur eine Augenbraue. „Um mal meine weibliche Ader hervor zu holen: Du hörst mir nie zu.“

Da Seto dramatisch den Ton wechselte und sogar eine Hand über sein Herz legte, schaffte er es, dass die gesamte Gruppe in Gelächter ausbrach. Mit Ausnahme von Bakura, der die Augen verdrehte. In seinem Kopf markierte Katsuya den Tag mit der Bemerkung „Seto hat das erste Mal gewollt einen Witz gemacht“.
 

Während Seto Noah zum Jahresabschlussbericht der Firma befragte und Shizuka und Yami sich über Isamu beugten und gleichzeitig ihren nächsten Ausflug in die schillernde Nachtwelt der Stadt planten, wandte sich Katsuya an Ryou: „Seto hat übrigens vorgeschlagen, wir könnten mit den Mädels einen Freizeitpark besuchen. Ihm gehört doch einer nahe der Stadt. Oder Noah zumindest.“

„Du meinst Ayumi und die anderen?“ Ein Lächeln legte sich auf dessen Lippen.

„Sie wollten doch, dass auch Seto mal mitkommt. Und wenn Mitsuki dabei ist, verliert sie vielleicht ein bisschen ihrer Angst. In einem Freizeitpark muss man nicht unbedingt reden.“

„So lange ihr bescheuerter Freund nicht dabei ist“ Bakura schnaubte. „Der Kerl ist nicht gut für sie.“

Ryou und Katsuya sahen beide überrascht zu ihm.

„Was?“ Bakura zog Ryou auf seinen Schoß. „Sie ist zu verängstigt, um auch nur zu sprechen. Und er trifft einfach alle Entscheidungen und versucht nicht einmal, sie einzubinden. So wird er ihr ja wohl kaum helfen. Sie braucht jemanden, der sie aus sich selbst heraus kitzelt und nicht einen, der sie noch weiter unterdrückt. Das ist ihr vielleicht am Anfang recht, weil sie dann keine eigenen Entscheidungen treffen muss, aber irgendwann wird das für sie erdrückend.“

Katsuya blinzelte überrascht und traute sich nach einem Moment doch das auszusprechen, was er dachte: „Woher weißt du das?“

„Ich habe Augen im Kopf“ Bakura schnaubte. „Und ich habe lange lernen müssen, das zu hören, was Menschen nicht aussprechen. Mich überrascht eher, dass du das nicht hinkriegst.“

„So blöd bin ich nun auch nicht“, murrte Katsuya und ging im Kopf die Szenen mit den beiden durch. Yuji hatte sie geküsst, sie hatte … nichts getan. Er hatte entschieden, dass sie zum Essen mitkamen. Er hatte entschieden, was sie aß, sie hatte es nur abgenickt. Er hatte sie weg gezerrt, ohne dass sie sich verabschieden konnte. Vielleicht hatte Bakura recht. Aber konnte man wirklich so schnell ein Urteil über jemanden fällen? Da konnten doch tausende Dinge und Vereinbarungen hinter stecken, von denen sie nichts wussten. War das nicht ein zu schnelles Urteil?

„Wann wollen wir denn da hin?“, fragte Bakura. Ganz zufällig registrierte Katsuya dabei, dass er damit die Entscheidung für Ryou traf. Bezüglich Unterdrückung musste er sich wahrlich an die eigene Nase fassen.

„Ähm … Seto?“ Dieser erzählte Noah gerade etwas, sprach seinen Satz noch zu Ende und wandte sich Katsuya zu. „Wann könnten wir mit den Mädels in den Freizeitpark gehen?“

„Jederzeit eigentlich. Ein Samstag, wenn gutes Wetter ist. Ihr solltet das allerdings mit den Prüfungen abstimmen, ich toleriere es nicht, wenn du deine Noten schleifen lässt.“

„Ja, Vater“ Katsuya streckte ihm die Zunge raus.

„Denk daran, dass ich die Karten besorge“ Mit einem bösen Lächeln lehnte Seto sich zurück. „Ich finde, das ist zu riskant, noch vor den Prüfungen einen solchen Ausflug zu machen. Du kriegst deinen Ausflug all inclusive, wenn du es unter die besten fünfzig des Jahrgangs schaffst.“

„Was?“ Katsuya blieb kurz der Mund offen stehen. „Aber … aber … wir sind über hundertfünfzig Leute! Das heißt, ich muss unter die besten dreißig Prozent!“

„An Mathe wird es wohl nicht scheitern“ Seto winkte nur ab. „Streng dich an.“

Mit Angst im Blick sah Katsuya zur Seite und fiepte nur: „Ryou … Hilfe?“

Erneut verdrehte Bakura die Augen.

Eine falsche Frage

Warnung: In diesem Kapitel fliegen Fetzen. Nicht unbedingt Flashback-triggernd, aber sehr wenig harmonisch.

Persönliche Mitteilung: Mag jemand meine Doktorarbeit für mich schreiben? T.T (Wie gut verstehe ich all diese Politiker mit ihren Plagiatsarbeiten...)

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Als Yami fragte, ob jemand noch Tee wolle, erwiderte Bakura, dass sie noch Tee wollten. Auch wieder so ein Beispiel, was Katsuya dazu verführte zu bemerken: „Findest du nicht, du solltest Ryou nicht erst fragen statt voraus zu setzen, dass er etwas will?“

Er sagte es mit einem entsprechenden Grinsen, um anzudeuten, dass er nur neckte. Zum Glück kam das wohl auch so an, da dieser erwiderte: „Wenn ich ihn nicht klein halte, haut er mir nur ab. Dieser Stalker macht mir keine Sorgen, aber Le-Long aus eurer Klasse hat gefährlich offensichtliche Intentionen.“

Beim ersten Satz wollte Katsuya noch fragen, ob Bakura das nicht eigentlich wollte. Schließlich hatte er der ganzen Beziehungssache mehr widerwillig zugestimmt, wenn er Ryou richtig verstanden hatte. Der zweite Satz war jedoch so alarmierend, dass er mit geweiteten Lidern fragte: „Woher weißt du das jetzt wieder?“

„Du bist eine äußerst unzuverlässige Informationsquelle, also habe ich andere genutzt“ Bakura, der noch immer Ryou auf seinem Schoß hatte, zog dessen Kopf an seine Schulter und strich darüber, als wäre dieser ein braves Tier und nicht sein Freund.

„Le-Long ist an dir interessiert?“ Katsuyas Blick fiel auf Ryou.

„Ist er das?“, fragte dieser wiederum Bakura.

„Er hat es gegenüber seinem Leibwächter erwähnt“ Die hellblauen Augen waren auf irgendeinen Punkt über Katsuyas Kopf gerichtet. „Le-Long ist der Neffe eines Triadenbosses, der Krieg mit mehreren Yakuza dieser Stadt hat. Er ist gefährlich“ Der Blick wandte sich Ryou zu. „Es scheint nur jugendliche Kuriosität zu sein, da er weiß, dass du mit einem Mann zusammen bist. Aber sollte sich dieses Interesse vertiefen, könnte es sein, dass wir es mit Triaden zu tun bekommen und das möchte ich gern vermeiden. Diese Irren haben ihre Ehre in China zurückgelassen.“

„Ah ja … lass mich raten, Ayumis Vater ist in Wirklichkeit Waffenschmuggler, richtig?“ Katsuya hob nur kopfschüttelnd eine Augenbraue.

„Nein, er führt ein chinesisches Restaurant mit dem Namen Peking Palace, was äußerst erfolgreich ist, da er seine drei Töchter alle als schwarz arbeitende Kellnerinnen missbraucht“ Bakuras Blick richtete sich auf Katsuya. „Und du würdest dem Wort Missbrauch zustimmen, wenn du ihre Arbeitsuniform gesehen hättest.“

„Sag mal, beschattest du unsere Klassenkameraden?“ Entsetzen sprach aus Katsuyas Stimme. Mittlerweile waren die anderen Gespräche verstummt und alle verfolgten ihren Wortaustausch.

„Nein, es reicht, ihre Namen durch das Polizeiregister laufen zu lassen und dann noch einmal mit ein paar anderen weniger legalen Plattformen abzugleichen. Man nennt es Recherche“ Bakura machte eine wegwerfende Handbewegung. „Dasselbe für Lehrer und alle anderen Schüler. Oder denkst du, Seto hätte ihre Akten nicht alle durchgesehen?“

Katsuya ließ unsicher den Blick zu seinem Verlobten schweifen. Hatte er das wirklich? Er war stellvertretender Schulleiter gewesen. Er hatte Zugriff auf all diese Akten gehabt. Aber war er auch so weit gegangen?

„Habe ich“, bestätigte dieser nur, „und all deine Schulkameraden inklusive Eltern habe ich persönlich kennen gelernt. Ebenso die meisten Lehrer.“

„Und … wenn du nicht dort gearbeitet hättest … hättest du das auch alles überprüft?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Wahrscheinlich“ Seto nickte nur. „Das ist eine Frage der Sicherheit. Spätestens nach … spätestens dieses Jahr hätte ich es sicherlich getan. Und hätte ich sie nicht vorher gekannt, hätte ich bestimmt auch bald darauf bestanden, deine Freunde kennen zu lernen.“
 

„Aber warum?“ Katsuya sah schier entsetzt zwischen Bakura und Seto hin und her. „Warum all das? Glaubt ihr ernsthaft, dass jemand Ryou oder mir etwas tun würde? Das sind praktisch Kinder!“

„Angst ist nie rational“, antwortete Seto, „und sie äußert sich als allererstes in einem starken Kontrollbedürfnis. Nicht nur Wissen, auch Handlungsmöglichkeiten. Um es platt zu sagen, je mehr ich mit dir anstellen kann, desto sicherer bin ich. Das ist der Kern, aus dem Missbrauch in Beziehungen entsteht. Je mehr ich dir antun kann, ohne dass du dich wehrst, desto sicherer fühle ich mich.“

„Das ist krank“, murmelte Katsuya nur und schüttelte den Kopf.

„Dass Seto nicht ganz richtig im Kopf ist, hatten wir schonmal festgestellt“, meinte Bakura nur.

„Und du bist besser, ja?“, giftete Katsuya.

Einen Moment später war eine Klinge nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, gehalten von einem aufgesprungenen Bakura, der von Ryou zurückgehalten wurde, der noch immer die Arme um dessen Hals schlang. Mit einem Schnauben ließ Bakura sich zurück sinken, behielt jedoch das Messer in den Händen.

Katsuya schluckte nur, nickte und hauchte etwas, was eine Entschuldigung gewesen sein könnte. Bakura begann, das Messer zwischen seinen Fingern zu drehen. Katsuya rückte etwas zu Yami auf, der ihm gern mehr Platz gab.

„Besonders Männer verarbeiten ihre Angst oft so, dass sie Macht ausüben. Dass sie kontrollieren und regeln und entscheiden. Und nichts ist schlimmer, als wenn der entsprechende Gegenpart sich nicht kontrollieren lässt. Es macht unendliche Angst und lässt zu Gewalt greifen, um die Kontrolle zu behalten“ Seto sprach sehr ruhig. Ob er dabei mit Katsuya oder Bakura sprach, konnte wohl keiner so genau sagen, da er ins Nichts starrte. „Manchmal sind es verständliche Dinge. Wenn der Gegenpart plötzlich wichtige Entscheidungen trifft, ohne den Mann gefragt zu haben. Bei manchen sind es aber auch völlige Hirngespinste. Sie kauft ein und er entwickelt einen krankhaften Wahn, sie hätte mit dem Verkäufer geflirtet, hätte vielleicht sogar eine Affäre mit ihm. Angst ist nicht rational.“

Katsuya wusste nicht ganz, ob er Bakura beobachten sollte, der praktisch erstarrt war oder eher Seto, der wie ein Orakel aus einer anderen Welt zu sprechen schien.

„Ich habe solche Ängste auch. Vielleicht willst du lieber jemand weniger Komplizierten? Vielleicht jemand in deinem Alter? Vielleicht ein Mädchen? Und dann gehst du plötzlich mit Mädchen weg. Glaub mir, Katsuya, das ist verdammt hart für mich, auch wenn ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.“

„Warum es verstecken?“, zischte Bakura, „warum den alles verstehenden und unterstützenden Partner spielen, wenn man sie am liebsten alle abstechen würde? Am Ende wirst du nur verlassen.“

„Das kommt auf deinen Partner an“ Setos Blick richtete sich auf Bakura. „Es gibt Menschen, die wollen ein bisschen Eifersüchtigkeit bei ihrem Partner. Dann fühlen sie sich sicher und geliebt. Und es gibt welche, die können Eifersucht nicht ausstehen und fühlen sich eingeschränkt und kontrolliert.“

Bakura richtete seine Augen auf Ryou, der nur lächelnd blinzelte und sich näher an Bakuras Brust drückte. Anscheinend ein Charakter, der sehr gerne eifersüchtig gehalten und kontrolliert wurde. Katsuya ließ das nur den Kopf schütteln. Er war ganz froh, dass Seto seine Eifersucht für ihn im Zaum hielt, er würde dagegen nämlich ganz sicher rebellieren.

Bakura hatte seinen Gesichtsausdruck wohl bemerkt und nickte in Katsuyas Richtung: „Und wie gewinnst du dann Sicherheit, dass er dich nicht mit dem Erstbesten betrügt?“
 

Katsuya schloss nur wie unter Schmerzen die Lider.

Er hatte Seto nicht betrogen. Zumindest nicht in seiner Sicht der Dinge. Er hatte mit Yami nicht geschlafen, weil er ihn plötzlich schrecklich attraktiv fand oder mit Seto unzufrieden war. Ob Seto das mittlerweile auch so sah, wusste er nicht.

Aber hätte er damals gewusst, was er Seto damit antat, was für Ängste er damit weckte und wie sehr er ihn verletzen würde, er wusste nicht, ob er es trotzdem getan hätte. Gerade weil Seto lieb und verständnisvoll war – meist zumindest – hatte Katsuya ja gedacht, er würde ihn erklären lassen und es verstehen. Weil er meist so rational war und Katsuya von diesen extremen Ängsten zwar erzählte, aber sie ihn meist nicht spüren ließ.

Natürlich war es besser für Katsuya, aber verletzte Seto sich so nicht selbst?

„Die habe ich nicht“, antwortete Seto auf Bakuras Frage, was Katsuyas Aufmerksamkeit wieder fing, „wie sollte ich auch? Selbst wenn ich ihn im Haus fest kette, selbst wenn ich ihm die Achillessehnen durchschneide, damit er nicht wegrennen kann und ihm mit Säure das Gesicht verätze, sodass er so entstellt ist, dass er sich nicht nach draußen wagt, selbst dann kann ich nicht sicher sein, dass er mich nicht verlässt. Bei Katsuya bin ich sogar sehr sicher, dass er mich gerade dann verlässt. Ich könnte ihn mit Angst terrorisieren, aber er ist ein zu starker Charakter als dass er sich lang terrorisieren lassen würde.“

Es war an Noah mit zitterndem Atem das Gesicht abzuwenden. Katsuya sah zu Yami, aber der beobachtete das Geschehen nur interessiert. Er war anscheinend nicht terrorisiert worden oder hatte es nicht als Terror empfunden. Gemessen daran, dass er von einem Partner in die Prostitution getrieben worden war, war Katsuya sich nicht sicher, welche der zwei Möglichkeiten der Wahrheit wohl am nächsten kam.

„Dass Terror nicht der richtige Weg ist, um einen Menschen zu halten, hat der Tod meines Bruders mich gelehrt“ Während er sprach, sah Seto noch immer Bakura an. „Und dass auch Geld und Schutz nicht ausreichend sind, um jemanden zu halten, hat Yami mir ausreichend gezeigt. Im Endeffekt kann man nur sein Bestes geben, jemanden mit positiven Gefühlen bei sich zu behalten. Das hilft der Angst nicht, aber es ist eine Hilflosigkeit, die man in Beziehungen aushalten muss. Dieses Aushalten musste ich erst lernen, aber ich denke, mittlerweile bin ich ganz gut darin.“

Katsuya erhob sich, ging zu Seto hinüber und unterbrach das weitere Gespräch ganz unhöflich damit, dass er ihn küsste. Lang und tief. In seinen Augen hatte Seto das verdient und welch schönere Art gab es, Stolz und Liebe auszudrücken?

„Was für eine Schnulze“ Bakura schnaubte. „Mit dem Vorwissen, dass er dich betrogen hat, entführt wurde und finanziell von dir abhängig ist, erlaube mir, deine schöne Rede als Müll zu verwerfen“ Katsuya wandte erschrocken den Kopf zu ihm. „Und lass mich kurz in meiner Erinnerung kramen … betrunkene Prügelattacken? Betrug vor Katsuyas Augen? Selbstmorddrohungen?“ Durch Seto ging ein Zucken, sodass Katsuya lieber zu ihm sah. Seine Lider waren vor Schreck geweitet. „Weckt das noch Erinnerungen oder wurden die aus deinem Bild einer heilen Welt bereits gestrichen?“

Seto schlang ganz langsam seine Arme um Katsuyas Taille und zog den Stehenden an sich, das Gesicht auf dessen Bauch gepresst. So nah an ihm konnte Katsuya das feine Zittern spüren, dass durch Setos ganzen Körper ging.

„Deine Predigt mag schön sein, aber alle paar Wochen knallst du durch und kannst deine Ängste nicht mehr unter Kontrolle halten. Erinnerst du dich noch, dass ich nun schon zweimal hier war, um irgendwelche Türen aufzuknacken und einmal Katsuya in unserer Wohnung versteckt habe, weil er vor dir weggerannt ist? Wo genau bist du in der Lage, deine Ängste auszuhalten?“
 

Katsuya schluckte.

Gut, Bakura log nicht, aber … das war doch viel zu radikal gesehen! Das strich all die guten Momente ihrer Beziehung und reduzierte sie auf alles, was schief gelaufen war. Er stellte Seto als unkontrolliertes Monster dar und das war er nicht. Okay, seine Krankheit machte ihn etwas unberechenbar und Katsuya hatte Angst vielleicht einmal zu oft gereizt, aber … aber … er schüttelte den Kopf.

„Was nein?“, reagierte Bakura darauf, „er wandelt seine Angst zu Aggressionen um und die lässt er an Möbeln oder an sich selbst aus, um nicht auf dich einzuschlagen. Aber glaubst du, das klappt immer? Hat er dir wirklich noch nie körperlich weh getan? Ich erinnere mich zufällig, dich schonmal mit einer blutenden Kopfwunde in deinem eigenen Erbrochenen gefunden zu haben, weil er sich nicht unter Kontrolle hatte.“

„Es reicht“ Katsuyas Lider hatten sich verengt. Sein Ton war scharf, schneidend und von unterdrückter Wut durchzogen. „Das liegt in der Vergangenheit.“

„Vier Monate sind keine sehr weit entfernte Vergangenheit. Dass es nur dieses eine mal war und nie wieder passieren wird, ist nichts als eine hübsche Lüge. Und dass du trotz all dessen zu ihm zurück rennst, sagt mir, dass es nicht nur positive Gefühle sind, die dich in seine Arme treiben. So stark ist keine Liebe“ Bakura stellte die Teetasse, die er die ganze Zeit gehalten hatte, ohne ein Geräusch auf ihre Untertasse. „Also nehmt es mir nicht übel, dass ich nicht auf die Worte von der Kanzel höre, wenn ich den Priester im Hurenhaus treffe.“

„Raus“, erwiderte Katsuya nur.

Ohne ein weiteres Wort klappte Bakura das Messer ein, steckte es in die Innentasche seines Mantels und erhob sich mit Ryou auf dem Arm. Er brauchte gerade mal einen Arm, um ihn sicher an seiner Seite zu halten und Ryou wehrte sich auch nicht. Wie immer schien er nicht einen Hauch Widerstand gegen das zu haben, was sein Bruder tat. Ob er mit ihm überein stimmte oder einfach nur nicht das Wort gegen ihn erheben wollte, war nicht zu erkennen. Vollkommen wort- und gestenlos ging Bakura hinter dem Sofa her und trat in den Flur. Kurz darauf öffnete und schloss sich die Haustür und er und Ryou waren verschwunden.

Während all dessen sagte keiner von den anderen ein Wort.

Nicht einmal Isamu quäkte.

Entsetzen

Lernen ist doof. Ich hab' keine Lust mehr T.T Und es ist schrecklich langweilig. Wen interessieren die über zehn leukämischen Unterarten, die sich weder in Symptomen noch in Behandlung unterscheiden? *seufz*

Nun ja, wenn das Lernen nicht gerade meine Motivation frisst, schreibe ich gern und präsentiere daher hiermit das neue Kapitel ^v^ Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ist das wahr?“, fragte Shizuka mit einem bittenden Flehen in der Stimme.

Noah öffnete kurz den Mund, schloss ihn jedoch und sah ebenfalls zu ihnen beiden. Zum ersten mal sah man, dass er wirklich der Älteste war, denn die sonst kaum erkennbaren Falten in seinem Gesicht schienen plötzlich tief eingesunken und ließen ihn sogar noch viel älter wirken als er es eigentlich war.

„Es ist alles wahr, aber es ist reichlich aus dem Kontext gegriffen. Und ich werde mir ganz sicher von keinem Kerl, der seinem Bruder kaum aussprechbare Dinge antut, anhören, dass meine Beziehung schlecht laufen würde. Das zwischen Seto und mir läuft gut und ganz wie Seto sagt, terrorisiert er mich nicht ansatzweise. Bakura hat vor vielen Monaten sein Urteil gefällt und es seitdem nicht überdacht, obwohl sich unendlich viel verändert hat. Wenn er glaubt, besser kontrolliert zu sein als Seto, dann kann er das seinem Ego gern erzählen, aber ich bin hundert mal lieber mit Seto zusammen als mich auch nur in seine Nähe zu wagen.“

„Aber er hat-“, begann Seto leise.

„Wage es nicht, dir diesen Mist auch noch zu Herzen zu nehmen. Du zweifelst dich selbst und unsere Beziehung Tag und Nacht an. Das allein sollte dir sagen, dass du dir genug Sorgen darum machst, wie du dich verhältst“ Katsuya atmete einmal tief durch. „Ich gehe jetzt Gemüse hacken oder so etwas. Sonst schreie ich nur irgendwen an. Bis später.“

Er setzte noch einen Kuss auf Setos Haar, dann wandte er sich ab und stapfte in die Küche. Dieser bescheuerte Idiot. Musste Bakura echt jedes Treffen zerstören? Warum zur Hölle luden sie ihn überhaupt ein? Ayumi hatte vollkommen recht, dass man keine guten Seiten an ihm entdecken konnte mit Ausnahme von Ryou. Und der war eine eigenständige Person und keine Seite von Bakura. Auch wenn er nicht immer danach aussah.

Er hatte kein Recht, Seto zu kritisieren. Erst recht nicht über Kontrolle. Katsuya arbeitete sich den Arsch ab, um ihre Beziehung aufrecht zu erhalten und Setos Selbstbewusstsein zu stärken und in nur fünf Minuten zerstörte Bakura die Arbeit von Monaten. Seto würde sich das nur wieder zu Herzen nehmen und es als besser ansehen, Katsuya zu verlassen oder sich gleich umzubringen. Vielen Dank nochmal!

Und er hatte gedacht, der Kerl hatte vielleicht doch einen Hauch von Mitgefühl. Erst recht bei den letzten Treffen und das eine mal, wo er Klein-Seto etwas erklärt hatte. Aber nein, der Kerl hatte nach wie vor die Freundlichkeit eines feuerspuckenden Igels. Was sollte er auch erwarten von einem Kerl, der seinen Bruder schlug und vergewaltigte? Bei allen Göttern, er hasste den Mistkerl! Er würde absolut nie wieder dieses Haus betreten. Sollte Ryou doch ohne ihn kommen, der konnte bestimmt auch ganz allein mit der U-Bahn fahren.

Idiot.

Mit einem Schnauben nahm Katsuya sich ein paar Äpfel und begann, die kleinzuschneiden. Als er diese fertig hatte, ging er dazu über, den Salat kleinzurupfen. Den Salat verstaute er im Kühlschrank, die Apfelstücke füllte er in Schalen und trug sie ins Wohnzimmer.

Shizuka hatte dort Isamus Spieldecke ausgebreitet, auf der Isamu sich hin und her rollte. Sein Spielzeug währenddessen wurde von Seto – nein, Klein-Seto – begutachtet, neben dem Shizuka ebenfalls auf dem Boden hockte und ihm Neues anreichte. Noah, der sich in den Sessel gesetzt hatte, hörte derweil Yami zu, der ihm die dissoziative Identitätsstörung erklärte. Noahs Gesichtsausdruck schrie schon von weitem, dass ihm das alles zu viel war und er am liebsten hören würde, dass das alles nichts mit Seto zu tun hatte.

Katsuya ging zuerst zu Seto hinüber, strich ihm über das Haar und reichte ihm eine Schale mit Apfelstückchen, für die Seto sich auch brav bedankte.
 

Es kam, wie es kommen musste: Es kam niedlich.

Klein-Seto bemerkte irgendwann, dass über ihn gesprochen wurde und plapperte Yami dazwischen, um Noah die Theorie vom großen Sechseck zu erklären. So zumindest hatte er seine Erkrankung für sich selbst getauft. Yami sah nur lächelnd zu, während Katsuyas Finger zuckten, da Klein-Seto zur Erklärung das Sechseck aufmalte und dafür Katsuyas gute Zeichenstifte und sein bestes Papier nahm, die unter dem Tisch gelegen hatten.

Der Erklärung hörte auch Shizuka interessiert zu und erwiderte auf Setos besserwisserisch klingendes „Kapiert?“: „Er hat also doch eine multiple Persönlichkeit, oder?“

„Ja, hat er“ Yami lobte Seto, indem er ihm mit einer Hand durch das Haar fuhr. „Das wissen wir aber auch erst seit kurzem.“

„Und woher weißt du jetzt wieder, was das ist?“, fragte Noah nur mit einem Hauch Verzweiflung.

„Fernseh-Doku“ Sie zuckte mit den Schultern. „Hab' ich beim Zappen gefunden.“

Katsuya lächelte nur. Tja, bei ihnen kam die Bildung halt aus dem Fernseher. Ein Wunder, dass sie beide doch relativ gut geratene Kinder geworden waren. Aber als sie jung waren, lief im Fernsehen ja auch noch halbwegs sinnvolles Zeug.

Sie wandte sich zu Seto und fragte: „Und wie viele Persönlichkeiten hast du?“

Er hob eine Hand mit vier Fingern, guckte nochmal hin und streckte dann die ganze Hand aus. Katsuya korrigierte leise: „Sechs, Seto. Deswegen ist es ja auch ein Sechseck mit sechs Teilen.“

Grinsend hob er also auch noch die zweite Hand und zeigte ganz richtig sechs Finger hoch. Shizuka lächelte nur und fragte: „Und wie heißen die?“

„Imalia und Ikar und Wächter und Seth und Angst“ Klein-Seto guckte seine Finger an. „Das sind aber doch nur fünf!“

„Und du selbst?“, fragte Katsuya zurück.

„Oh“ Der Brünette zog lächelnd den Kopf ein. „Und Seto.“

„Und Seto“ Sie setzte sich auf und legte die Arme um ihn. „Mein süßer, kleiner Seto“ Sie setzte sich an seine Seite, damit die Umarmung etwas einfacher war und sah zu Katsuya. „Ich find' den hier toll. Ich mag Kinder in dem Alter. Sie sind super süß!“

„Wie alt schätzt du ihn denn?“, fragte Katsuya, mittlerweile doch etwas erstaunt, wie gut Shizuka das nahm. Anscheinend war es eine sehr umfangreiche Dokumentation gewesen.

„Hm … so vier vielleicht?“

„Ich bin fünf!“, rief Seto empört und zeigte wieder seine ganze Hand.

„Tut mir Leid“ Sie sah sein schmollendes Gesicht an und küsste ihn auf die Wange. „Dir kann man aber auch schlecht ansehen, wie alt du bist.“

„Ich bin schon richtig groß, ne?“ Seto strahlte wieder. „Mein Körper ist schon ganz erwachsen, darum bin ich ein Riese!“

„Ich kann das alles nicht fassen“, murmelte Noah nur und schüttelte den Kopf.

„Ach komm“ Yami grinste ihn an. „Von drei Persönlichkeitsanteilen zu sechs Persönlichkeiten ist kein so großer Sprung, meinst du nicht?“

„Von einem Kerl, der abwechselnd seine Mitmenschen zusammen schlägt und wegen Selbstmordversuchen im Krankenhaus landet zu dem da“ Noah zeigte dabei auf Seto. „Das ist ein himmelweiter Sprung.“

Darauf konnten weder Yami noch Katsuya etwas erwidern.
 

Als die Apfelstückchen schließlich aufgegessen waren und Noah sich halbwegs beruhigt hatte, fuhren die drei auch wieder nach Hause. Yami fragte noch, ob Katsuya mit irgendetwas Hilfe bräuchte, aber dieser verneinte nur, sodass auch er fuhr. Blieb er also mit Klein-Seto zurück, der keine Anstalten machte, zu jemand anderem zu werden.

Katsuya überlegte kurz, ob er nach jemand anderem fragen sollte, aber die Erinnerung an Wächter zuckte durch seinen Kopf und er wollte es demnach lieber gar nicht erst versuchen. Er konnte auch mal einen entspannten Sonntagabend mit einem Fünfjährigen verbringen.

Er stellte jedoch schnell fest, dass Entspannung etwas Relatives war, wenn man einen Fünfjährigen und kein Spielzeug hatte. Vor die Konsole oder den Fernseher wollte er Klein-Seto nicht setzen und auf Malen hatte dieser keine Lust. Kreidemalen vielleicht, aber draußen war gerade mal wieder eine Ladung Schneematsch, sodass sie das leider auch nicht machen konnten. Man konnte damit nicht einmal einen Schneemann bauen. Und da es langsam dunkel wurde, konnte er auch nicht mit Seto zum Spielplatz gehen. Ganz abgesehen von dem Problem, dass Klein-Seto zwar fünf, aber nicht ansatzweise klein war und kein Spielplatz in der Gegend auf zwei Meter große Kerle ausgelegt war.

Im Endeffekt machte er ihn zu seinem Küchengehilfen und ließ ihn die Salatsauce rühren. Damit dauerte das Kochen zwar doppelt so lange, aber es machte echt viel Spaß. Und Klein-Seto war bei weitem nicht so ein Gourmet wie seine große Version, er war mit Spagetthi mit Tomatensauce vollkommen zufrieden. Nur musste die Tomatensauce extra viel Zucker haben. Katsuya zuckte nur mit den Schultern, mischte mehr rein und dachte sich, dass seinem Freund die paar Kalorien mehr schon nicht schaden würden.

Er würde sie bestimmt in kurzer Zeit im Fitnessstudio wieder abgearbeitet haben. Zumindest, wenn er seinen Freund da mal hin lassen würde. Gestern hatte er ihn mal wieder zuhause festgekrallt. Wenn aus den schönen Muskeln Fett wurde, musste er sich wohl selbst die Schuld geben.

Und nach dem Essen? Er konnte Klein-Seto wahrscheinlich nicht ins Bett bringen. Auch wenn Fünfjährige sicher irgendwo zwischen sieben und acht ins Bett sollten, war Setos Körper nunmal ein gutes Stück älter. Oder? Was galt denn jetzt? Seelenalter oder körperliches Alter?
 

„Wollen wir etwas singen?“ Klein-Seto grinste begeistert von seiner eigenen Idee. „Mama hat abends immer etwas mit mir gesungen. Wir hatten ein großes Gesangsbuch! Sie hat vorgesungen und dann haben wir zusammen gesungen. Mama konnte ganz toll singen!“

„Ich weiß aber nicht, ob wir ein Gesangsbuch haben“ Ganz davon zu schweigen, dass er weder Noten lesen konnte noch irgendein Gesangstalent hatte. „Wollen wir mal den Bücherschrank durchschauen?“

Das wollte er sowieso schon immer mal machen. Eigentlich mit Seto, sodass dieser ihm sagen konnte, was für ein Buch was war, aber das würde er schon hinkriegen. Also schauten Klein-Seto und er die Bücher durch, wobei der Andere jeden Titel langsam vorlas. Anscheinend hatte ihm irgendwer Lesen beigebracht, aber er hatte nicht sehr viel Übung. Besonders bei langen Wörtern oder Wörtern in westlichen Buchstaben gab er das Buch lieber Katsuya und lies sich den Titel vorlesen.

Im Endeffekt sangen sie ein Lied, das Katsuya in der Grundschule gelernt hatte, auch wenn er sich nur noch an eine einzige Strophe erinnern konnte. Und sahen die CDs durch, wo natürlich wenig außer Klassik zu finden war und nichts mit japanischen Texten. Im Endeffekt brachte Katsuya seinen Freund gegen neun ins Bett, erzählte ihm eine der vielen Geschichten, die er auch seiner Schwester früher erzählt hatte und legte sich auf die andere Seite des Bettes. Nach wenigen Minuten stand er auf, holte sich eines der Bücher, das sich spannend angehört hatte und las im Bett.

Irgendwann später erhob sich die Gestalt neben ihm leise, grüßte ihn freundlich und stand auf. Nach einem Moment der Überlegungen schloss Katsuya, dass es wohl Imalia war, die sich kurz das Gesicht wusch.

„Wo gehst du hin?“, fragte er, als sie vom Bad Richtung Zimmertür schritt.

„Ein wenig staubsaugen. Jetzt laufe ich ja nicht in Gefahr, dich zu wecken“ Sie wandte sich halb zu ihm und lächelte.

„Warum machst du das eigentlich nachts? Du machst das immer nachts, oder?“ Was schon irgendwie ein bisschen gruselig war, wenn man das so bedachte. Er schlief seit vier Monaten in Setos Bett und hatte jetzt erst bemerkt, dass dieser fast jede Nacht verschwand, um die Wohnung zu putzen.

„Nun … wenn er nicht schläft, ist das hier Seths Körper. Ich kann nur nachts rauskommen“ Sie sah etwas verwirrt von der Frage aus, als wäre die Antwort ganz selbstverständlich. Für sie war sie das wahrscheinlich.

„Ja, aber jetzt, wo er von euch allen weiß, wäre nicht abends sinnvoller? Ich meine, hat euer Körper so denn überhaupt genug Schlaf?“ Oder mischte er sich hier zu viel ein? Würde der Wächter ihm das übel nehmen?

„Hm … ich glaube, durchgehenden Schlaf hatte dieser Körper schon sehr lange nicht mehr. Auch wenn ich meine Routine erst habe, seit wir dieses schöne Haus hier besitzen“ Sie betrachtete das Schlafzimmer. „Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir schlafen würden … ich würde gern morgens putzen. Ganz früh, während die Sonne aufgeht“ Ihr Blick fiel wieder auf Katsuya. „Aber dann würdest du ganz allein aufwachen, das geht ja auch nicht.“

Hm … wäre es in Ordnung, morgens allein aufzuwachen? Oder zum Geräusch eines Staubsaugers? Klang beides nicht sehr berauschend. Er schlug stattdessen vor: „Wie wäre es, wenn wir einmal die Woche zusammen putzen? Samstag als Wasch- und Putztag zum Beispiel?“

„Hm … ich denke darüber nach“ Sie nickte. „Ich gehe dann mal ein wenig saugen. Schlaf bald, ja? Es ist schon Mitternacht.“

Während sie ging, hob Katsuya nur eine Augenbraue. Woher zur Hölle wusste sie das?

Beim Arzt

War heute das erste mal bei der Polizei, um eine Anzeige zu erstatten (war schon mehrfach da, weil andere Anzeigen erstatteten oder gegen jemanden, den ich kannte, Anzeige erstattet wurde). Ehrlich, das macht irgendwie Angst, selbst wenn man gar nichts falsch gemacht hat. Als ich als Kind auf der Polizeistation war, da hat man mir noch freundlich Schokolade angeboten, heute werde ich angesehen, als wäre ich ein Schwerverbrecher o.o Sehe ich irgendwie bösartig aus?

Euch viel Spaß mit diesem Kapitel, in dem ebenfalls Authoritäten vorkommen ^.-
 

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Ayumi war begeistert. Nein, begeistert war gar kein Ausdruck. Sie war … hypermotiviert, hochenergetisch und überfreudig. Mina und Karin klatschten lachend die Hände zusammen und Mitsuki lächelte. Freizeitpark all inclusive klang für sie anscheinend nach einer sehr guten Idee.

Dass diese Einladung an Katsuyas Platzierung unter den besten Fünfzig der Stufe gekoppelt war, brachte ein ganz gefährliches Funkeln in Ayumis Augen. Ganz unschuldig schlug Karin vor, sie könnten ja alle zusammen lernen. Ayumi griff das sofort auf und schlug einen Lernplan vor, der Katsuya bleich werden ließ.

„Ich hab' noch'n Leben ...“, murmelte er vorsichtig.

„Nicht während der Prüfungszeit“, erwiderte sie nur und packte seine Oberarme, „du bist mein Ticket in den besten Freizeitpark des Landes. Meine Eltern würden mir so etwas höchstens zum besten Schulabschluss oder zur Aufnahme auf die T-Uni schenken. Also wirst du auch unter die besten Fünfzig kommen.“

Mina und Karin warfen sich nur ein halb amüsiertes, halb verschwörerisches Lächeln zu.

„Ryou?“ Katsuya sah mittlerweile wirklich verunsichert an seine Seite. War hier noch irgendwer für ihn da?

„Wir können es ja auf drei Nachmittage die Woche begrenzen“, versuchte er Ayumis vorherige Forderung einzugrenzen.

„Montags, dienstags und donnerstags“, forderte sie sofort, „die anderen Tage ist das Restaurant eh voll. Mittwochs haben wir nämlich Rabatt.“

Mitsuki hob eine Hand vor ihren Mund, da so etwas wie ein ganz leises Kichern von ihren Lippen brach. Alle wandten sich ihr kurz zu, lächelten und schließlich fragte Katsuya: „Okay, irgendwer gegen den Plan? Wir lernen montags, dienstags und donnerstags nach der Schule bis … bis?“

„Halb sieben“, bestimmte Ayumi, „ab sieben haben wir Abendkarte, da gibt es die meisten Trinkgelder. Ich brauche mein Trinkgeld, sonst kann ich mir nur einen Daifuku täglich leisten.“

Karin und Mina schüttelten lächelnd den Kopf und Mitsuki wandte ihr Gesicht ab, ihr Lachen weiterhin hinter ihrer Hand versteckend. Katsuya sah sein Gegenüber einen langen Moment mit perplexer Verwirrtheit an, bis er schließlich fragte: „Sag mal, müssen wir alles nach euren Restaurantzeiten richten?“

„Wenn wir meinen Notendurchschnitt in Relation zu meinem außerschulischen Arbeitsaufwand rechnen, ist es nur sinnvoll, das zu tun. Von allen Anwesenden – mit Ausnahme von Ryou – habe ich am meisten zu bieten und am wenigsten Zeit. Und Ryou hat seinen Wunsch von drei Nachmittagen ja geäußert“ Ayumi verschränkte überzeugt die Arme und Katsuya blinzelte nur und ging im Kopf noch einmal ihre Worte durch, um zu überprüfen, ob er sie wirklich verstanden hatte. „Das nennt man Verhandlungen, Katsuya. Diskussion. Das, was Herr Kaiba uns am Anfang des Schuljahres beibringen wollte.“

„Äh … ja“ Wenn sie um halb sieben enden würden, könnte er danach zu Yami fahren, bis Seto aus dem Sportstudio wieder da war. Dann müsste er nur die Hausaufgaben bei Yami machen. Würde schon irgendwie klappen.

„Auf unseren Ausflug!“, rief Ayumi begeistert, schnappte sich Mina und tanzte mit ihr im Kreis, während Karin dazu klatschte.

Katsuya schüttelte nur etwas verwirrt den Kopf.
 

Zum Glück hatte Ayumi nicht darauf bestanden, es direkt Montag auch in die Tat umzusetzen. Allerdings telefonierte sie am Montagabend alle durch, am nächsten Tag mit allen Übungsunterlagen zu kommen und datierte damit ihre erste Übungseinheit.

Seto zeigte seinen vollen Sadismus darin, dass er Katsuya einen Rucksack für seine Bücher überreichte. Über Katsuyas Beschwerden, Verwünschungen und Flüche lächelte er nur und mahnte ihn, den Ton zu bewahren. Warum bloß war er mit so einem bescheuerten Überflieger zusammen?

Dienstag überlebte Katsuya. Anders war es nicht zu nennen. Ayumi war eine Hexe, eine schreckliche Sklaventreiberin und alle folgten ihrem grausamen Lehrplan, der auch noch selbstständiges Lernen außerhalb ihrer Treffen vorsah. Den kompletten Abend hing Katsuya erst über Hausaufgaben, dann über Büchern, dabei erst Yami an seinen Rücken gelehnt und später Seto mit einem Buch an seiner Seite.

Schreckliche Despoten, alle miteinander. Ein Glück, dass ihre Prüfungen schon in zwei Wochen anfingen und in dreieinhalb vorbei sein würden.

Als Seto am Mittwoch vor der Schule stand, ging Katsuya kurz durch den Kopf, dass er ihn vielleicht hätte vorwarnen sollen. Alle vier Mädchen, selbst die schüchterne Mitsuki, rannten zu ihm und führten eine Art Tanz um ihn herum auf. Mina und Ayumi dankten ihm für die Einladung und schworen bei ihrer Ehre, Katsuya unter die besten fünfzig zu bringen. Karin nickte wild in völliger Unterstützung dieses Vorhabens und auch Mitsuki nickte, wenn auch weniger wild.

Und Seto hatte auch noch die Nerven zu sagen: „Meine Lieben, ich verlasse mich auf euch.“

Mistkerl. Katsuya verengte die Lider und spitzte beleidigt die Lippen. Und hier verbündete sich der Kerl auch noch mit den Mädels … na ja, Katsuya wollte ja auch gern gut in der Schule sein. Aber die besten fünfzig waren schon ein echt hohes Ziel.

Ryou griff seine Hand und drückte sie in Unterstützung. Wenigstens einer, der noch an seiner Seite stand. Mit einem Lächeln meinte er: „Du schaffst das schon. Die besten fünfzig heißt nur einen Durchschnitt von zweiundachtzig Punkten pro Arbeit.“

Na danke. Katsuya rollte mit den Augen. Zweiundachtzig von hundert klang vielleicht für Ryou machbar, aber für den normalen Menschen war das eine ziemlich gute Leistung. Für jemanden wie Katsuya eine eher unfassbar hohe Leistung.

Alles Sklaventreiber. Ganz klar.
 

In der Klinik mussten sie eine halbe Stunde warten, bevor sie dran kamen. Seto hatte das Buch von Shakespeare mitgenommen und las leise daraus vor. Mit seiner perfekten englischen Aussprache klang es nicht nur sehr melodisch sondern war auch viel verständlicher als wenn Katsuya es nur las. Er legte den Kopf auf Setos Schulter und blieb dort, bis er sich bewegen musste. Seinetwegen hätten sie auch länger warten können.

Der Doktor, dessen Untersuchungszimmer sie aufsuchten, war derselbe wie beim ersten Mal, wo sie hier waren. Er begrüßte sie freundlich, nahm die bereit gelegte Akte, schlug sie auf und murmelte nach wenigen Sekunden: „Ups.“

Seto hob nur eine Augenbraue.

„Äh … ich hatte sie nicht zufällig vor zwei oder drei Wochen angerufen?“, fragte der Arzt nach.

„Nein“, erwiderte Seto nur, wobei seine Stimme bedrohlich grollte.

„Dann muss ich mich erst einmal entschuldigen“ Auch der Arzt sank auf seinen Hocker. „Ich hatte ja einen Abstrich gemacht und die Ergebnisse sind natürlich schon da. Ich habe nur in dem ganzen Chaos vergessen, sie deswegen auch anzurufen.“

„Das heißt?“ Irgendwie schaffte Seto es, noch eine Nuance böser zu klingen.

„Nun, es kam zu mehreren verschiedenen bakteriellen Infektionen. Normalerweise harmlos, aber sie sollten mit Antibiotika versorgt werden“ Der Arzt sah zu Katsuya. „Was für Symptome hast du denn in den letzten vier Wochen bemerkt?“

„Uh … Übelkeit. Aber sie sagten ja, das käme durch die Tabletten öfters. Vielleicht hatte ich etwas Fieber, hab' nicht gemessen, aber ich fühlte mich warm.“

„Dann ist zum Glück alles gut gegangen. Komplikationen einfacher Infekte sind selten, aber so etwas sollte mir trotzdem nicht passieren. Hast du deine Tabletten alle wie angeordnet genommen?“ Katsuya nickte. „Das heißt, heute morgen die letzte?“ Erneutes Nicken. „Sehr gut. Dann brauchst du nur für diese Infektionen Antibiotika und die gibt es als Spritzen.“

Katsuya seufzte nur. Wenigstens nicht noch mehr Tabletten. Anscheinend gehörte er ja zu den Menschen, die wenig Nebenwirkungen von Tabletten hatten, wenn er die Erklärungen des Arztes letztes mal richtig verstanden hatte. Wenn diese, die er jetzt vier Wochen genommen hatte, für sehr harte Nebenwirkungen bekannt waren, machte ihm die Ansage von Antibiotika sicher keine Angst. Aber jeden Morgen daran zu denken, irgendetwas zu schlucken, war reichlich nervig. Zum Glück hatte er keine Angst vor Spritzen.

„Und welche Infektionen hat er?“, fragte Seto nach, mittlerweile in einem etwas gemäßigteren Ton.

Der Arzt warf einen schnellen Blick in die Akte und sagte: „Syphilis, Gonorrhö und ein paar Enterokokken, die wahrscheinlich ins Blut übergegangen sind durch die Verletzungen. Die Enterokokken hat sein Immunsystem wahrscheinlich schon beseitigt, aber die beiden anderen brauchen Antibiotika, sonst gehen sie nicht von alleine weg.“

„Machen Gonorrhö und Syphilis nicht sichtbare Läsionen?“ Setos Stirn legte sich in Falten.

„Meist, ja. In seinem Fall ist der Eintrittsort allerdings im Rektum, darum sind die Ulzerationen auch, wenn überhaupt, dort“ Wovon auch immer die da redeten … der Arzt sah wieder zu Katsuya. „Hattest du Schmerzen beim Stuhlgang?“

Musste der das unbedingt in Anwesenheit von Seto fragen? Mit einem Rotschimmer auf den Wangen und abgelenktem Blick murmelte Katsuya: „Ja.“

„Dann sollten wir noch eine Rektoskopie und einen Abstrich machen. Und ...“ Der Arzt sah vorsichtig zu Seto. „Normalerweise werden Partner mitbehandelt. Das heißt, ich sollte auch von Ihnen Abstriche nehmen.“

„Das ist nicht notwendig“, erwiderte Seto nur.

Der Arzt sah ihn einen längeren Moment schweigend an, nickte dann allerdings. Da die zwei ja anscheinend dieselbe Sprache sprachen, vermutete Katsuya, dass Seto wusste, wovon er da sprach. Er selbst verstand aus dem Kauderwelsch nur, dass man ihm nochmal irgendwelche Instrumente in den Hintern stecken wollte, um reinzusehen und dass Seto nicht laut nein schrie, also musste er es wohl über sich ergehen lassen. Sklaventreiber, ganz wie er es immer gewusst hatte.
 

Es folgte eine Batterie von Tests. Erst wurden sowohl ihm als auch Seto mehrere dieser Kleinkanister Blut abgezapft. Dabei erklärte der Arzt noch einmal, was Seto ihm auch schon gesagt hatte: Dass sie Hepatitis C damit jetzt bestimmen könnten und dass der HIV-Test nur einen Hinweis gab und noch keine endgültige Aussage. Was Seto nicht erzählt hatte, war, dass die beiden Tests über eine Woche brauchen würden, bevor es ein Ergebnis gab. Und dass die Ergebnisse nur persönlich mitgeteilt wurden, auch wenn alles negativ war. Darum bekamen sie direkt für nächste Woche noch einen Termin.

Des Weiteren musste sich Katsuya dieser schrecklichen Untersuchung seines Unterleibs unterwerfen. Für die schickte er Seto dann doch raus. Er wusste vom letzten Mal, dass er sich dafür in den Boden schämte, auch wenn es nur eine Untersuchung war. Aber es war … es war halt irgendwie … wenn Seto ihn da berührte, war das angenehm und durfte auch angenehm sein, aber hier war das definitiv nicht angenehm und trotzdem reagierte sein Körper ein bisschen.

Es war keine Vergewaltigung, aber es hatte schon einen solchen Nachgeschmack.

Irgendwie wünschte er sich Seto doch wieder rein, aber er biss die Zähne zusammen und dachte an etwas anderes. Er könnte bestimmt sagen, dass er eine Belohnung wollte, weil er das hier artig über sich ergehen ließ. Ein Eis vielleicht. Oder eine neue Packung Spielkarten. Oder … eine Brezel mit Butter. Das hatte Yami ihm mal mitgebracht, als er noch was mit diesem Bäckereiverkäufer am Laufen hatte. Das war lecker gewesen. Ja, er würde still bleiben und dann nachher eine Brezel dafür verlangen. War vielleicht ziemlich kindisch, aber gerade machte der Gedanke das hier sehr viel erträglicher.

„So, alles ist aus deinem Hintern wieder raus. Kannst einmal tief durchatmen“ Was Katsuya auch gern tat. „Ich muss dir jetzt noch zwei Spritzen in den Po geben, hältst du das noch durch?“

Katsuya murrte nur wortlos, was in ein leicht selbstmitleidiges Jaulen überging.

Der Arzt beugte sich zur Seite, sah Katsuyas unglücklich verzogenen Ausdruck und meinte: „Ich kann auch deinen Oberarm nehmen, aber da wird es weh tun, weil es große Spritzen sind“ - er hielt eine in Katsuyas Sichtbereich - „am Po kann man so etwas reinspritzen, ohne dass es weh tut.“

„Schon gut“, murmelte Katsuya nur. Definitiv würde er Seto überreden, dass er hierfür eine Brezel bekam. Und eine Waffel zum Nachtisch, die hatte er auch schon lange nicht mehr gegessen. Er fiepte trotzdem, als das kalte Desinfektionsmittel drauf gesprüht wurde. „Was ist das überhaupt?“

„Das Antibiotika für die Gonorrhö. Und die danach ist dann für die Syphilis, die setzte ich dir in die andere Pobacke.“

Na toll. Zwei Spritzen für zwei Pobacken. Ob er danach überhaupt noch sitzen konnte? Er konnte Setos Kondommanie verstehen, wenn das hier die Alternative war. Er fragte den Arzt: „Sind das zwei sexuell übertragbare Krankheiten? Also die, gegen die man sich mit Kondomen schützt?“

„Ganz genau“ Man musste echt den ganzen Tag am Hintern von Leuten rumfuhrwerken, um so nonchalant zu klingen, oder? „Chlamydien, Gonorrhö, Syphilis, Herpes und Genitalwarzen sind die häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. Immer wenn es brennt, juckt oder komisch riecht, sollte man zum Arzt.“

„Warzen sind ansteckend?“, fragte Katsuya ziemlich irritiert.

„Genitalwarzen entstehen durch Viren. Und diese Viren sind ansteckend“ In dem Moment gab der Arzt ihm die erste Spritze, was Katsuya zusammen zucken ließ. „Gegen die Viren gibt es eine Impfung, hast du die? Die Krankenkasse zahlt das nicht für Männer, aber dein Freund kennt sich ja gut aus und scheint auch ganz gut zu wirtschaften.“

Ja, Seto hatte Geld. Fiel auf. Und was Gesundheit anging, war er schrecklich penibel. Katsuya hatte eine Menge Impfungen bekommen, an zwei verschiedenen Terminen und er wusste, irgendwann im Frühjahr und dann im Herbst diesen Jahres bekam er noch mehr, aber er hatte nie zugehört, gegen was sie ihn da überhaupt impften. Er wusste nur, dass er einmal jährlich zur Impfung musste, sobald er alle Grundimpfungen hatte.

Er verneinte demnach und zuckte währenddessen zusammen, weil das kalte Spray seine zweite Pobacke einfror.

Eine objektive Meinung

Alles tut weh T.T Ich werde niemals mit Küche umziehen. Und ich kaufe für jede Wohnung eine neue Waschmaschine. Leute müssen verrückt sein, so was auf- und abzubauen... Autos und Material zum Nachkaufen kostet so viel wie eine neue Küche *drop* Und mir tut alles weh...

Viel Spaß beim Lesen!
 

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Der Arzt hatte – nachdem Katsuya wieder angezogen war – danach gefragt, wie es ihm allgemein ging, nach Träumen und dem Alltag. Schon bei der ersten Frage wusste Katsuya, worauf er hinaus wollte und meinte nur, dass er keinen Therapeuten bräuchte, vielen Dank auch. Der Arzt sah nicht sehr überzeugt aus, aber er ließ es ruhen.

Er wies Katsuya weiterhin darauf hin, dass viele Patienten besonders die Woche des Wartens auf die Testergebnisse als sehr schlimm empfanden und gab ihm die Karte einer Notrufnummer. Die Beschreibung „Wir sind für sie da, wenn es in ihrem Leben eine Krise gibt, die sie verzweifeln lässt“ sagte alles und nichts, aber er bedankte sich trotzdem. Wenn er jemals bei so etwas anrufen würde, dann nicht, weil er Angst vor einem Testergebnis hatte, selbst wenn es eine Krankheit war, die ihn sein Leben kosten könnte.

Er hatte gerade echt größere Probleme und die ließen einen sehr ekligen Tod in vielen Jahren relativ unwichtig erscheinen. Seto hatte gesagt, er würde bei ihm bleiben, selbst wenn er positiv war und das war das einzig Wichtige. Demnach würde sein verzweifelter Anruf die Schwierigkeiten des Lebens mit einem DID-Patienten beinhalten und irgendwie bezweifelte er, dass ihm jemand bei einer generellen Hotline für Krisen da helfen konnte.

Na ja. Vielleicht war Yami ja mal so krank, dass er nicht reden konnte, dann wäre so eine Nummer vielleicht gar nicht so verkehrt. Er zog sein Handy hervor und speicherte sie ein, während Seto und der Arzt noch ein paar Worte wechselten, die er sowieso nicht verstand. Sprachtalent Seto sprach also nicht nur unendlich viele Fremdsprachen sondern auch noch ärztisch. Manchmal fragte er sich, was der Kerl eigentlich nicht konnte.

Zumindest ließ er sich überzeugen, zu einer europäischen Bäckerei zu fahren, damit Katsuya eine Brezel und eine Waffel kriegen konnte. Nicht nur das, sie fuhren sogar zu einem Cafe, wo Katsuya eine beschmierte Brezel und eine Waffel mit Sahne und heißen Kirschen bekam. Da machte alles wieder wett, selbst das blöde Stechen seiner Pobacken. Von wegen schmerzlos … doofe Ärzte.

Seto fragte ihn über alles mögliche aus, von Musik bis zu seiner Lieblingsfarbe, aber Katsuya unterbrach die Fragerei irgendwann: „Du musst mich nicht ablenken, Seto. Ich werd' dir hier nicht gleich in Depressionen verfallen, weil mich meine Gesundheit verzweifeln lässt.“

Seto, der sich interessiert vor gelehnt hatte beim vorherigen Gesprächsthema, seufzte und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. Er griff mit zwei Fingern an seine Schläfe und fragte: „Bin ich so durchschaubar?“

„Nein, ich kenne dich nur gut“ Katsuya grinste. „Dich interessieren meine Lieblingssüßigkeiten nicht ansatzweise.“

„Denkst du … wer weiß, wann ich dich damit mal bestechen muss“ Mit einem leicht maliziösen Lächeln verschränkte Seto die Arme, doch das Lächeln fiel wieder, bevor er weiter sprach. „Möchtest du … über deine Gesundheit reden?“

„Nein“ Katsuya atmete tief durch. „Nächste Woche wissen wir mehr, bis dahin machen wir einfach genau so weiter wie zuvor. Oder?“ Seto nickte nur. „Gut … dann reden wir über deine Gesundheit“ Das böse Grinsen schlug sich auf Katsuyas Züge. „Hattest du schonmal eine Geschlechtskrankheit?“

„Einmal“, murmelte Seto recht leise.

„Hm-mh?“ Interessiert lehnte Katsuya sich vor.

„Das … willst du das wirklich hören?“ Sein Gegenüber sah etwas gequält auf und seufzte. „Na gut … es gibt ein, zwei sexuell übertragbare Krankheiten, vor denen man sich nicht mit Kondomen schützen kann“ Katsuya legte nur fragend den Kopf zur Seite. „Mann … na gut, ich sage es. Man kann Läuse nicht nur auf dem Kopf bekommen.“

Läuse? Die kleinen Tierchen in den Haaren? Katsuya erwiderte: „Aber du rasierst dich doch komplett.“

„Seitdem schon“, knurrte Seto und wandte den Blick ab.

Katsuya grinste nur. Hatte er doch noch was gefunden, was Seto peinlich war.
 

Die Frauen aus der Selbsthilfegruppe begrüßten ihn freundlich und Leyla reichte ihm eine Tasse Tee, noch bevor er überhaupt danach fragen konnte. Er war erst das dritte mal hier, aber ehrlich gesagt fühlte er sich hier heimisch. Auch wenn gerade mal eine hier wirklich verstehen konnte, was er so durchmachte, waren alle hier sehr unterstützende Menschen. Ihre Anwesenheit war einfach angenehm.

„Okay, auf geht's“ Leyla lehnte sich lächelnd zurück. „Wer will mit seiner Woche anfangen?“

„Hier“ Misa hob die Hand. „Meine Woche war beruflich anstrengend, deswegen konnte ich Eri erst am Wochenende wiedersehen. Am Samstag sind wir zusammen in den Zoo gegangen, das hat sie sehr gefreut. Sie liebt Tiere über alles. Aus dem Streichelzoo habe ich sie erst wieder weg bekommen, als der Park schloss“ Die anderen drei Frauen lächelten und nickten, als war es ihnen die Situation nur zu gut bekannt. „Am Sonntag sind wir spazieren gegangen. Sie hat auf einer Bank gewartet, während ich Crepes holen ging. Sie steht ja nicht so gern in Schlangen, weil ihr da die Menschen zu nahe kommen“ Erneutes Nicken. Katsuya musste da eher an Ryou denken. „Ein Mann hat sich zu ihr gesetzt und sie angesprochen. Ich wollte eigentlich sofort hin, aber er schien nicht bedrohlich, also habe ich von der Schlange aus zugesehen. Sie hat die ganze Zeit ausgesehen wie ein verängstigtes Eichhörnchen und kein Wort gesagt, während er gesprochen hat. Als ich mit den Crepes dazu kam, sprach er gerade über die Scheidung von seiner Ehefrau und dem Sorgerechtsstreit über seinen Sohn. Er sah ein wenig beschämt aus, als ich Eri ihren Crepe gab und hat sich dann verabschiedet und ihr für das nette Gespräch gedankt. Anscheinend hat er ihr seine halbe Lebensgeschichte erzählt, weil sie nichts gesagt hat“ Misa musste lächeln. „Eri war natürlich völlig verstört und hat die nächste Stunde lang kein Wort mehr gesagt, aber ich fand das Ganze sehr lustig. Mittlerweile lacht sie auch darüber, aber sie hat jetzt noch mehr Angst, alleine die Wohnung zu verlassen.“

Alle nickten nur und wandten sich Katsuya zu, der links von Misa saß.

„Öh, ja … meine Woche war … ehrlich gesagt erinnere ich mich kaum an meine Woche“ Katsuya seufzte. „Der Bruder meines besten Freundes ist wegen eines Selbstmordversuchs in der geschlossenen. Deshalb ist mein bester Freund ziemlich durch den Wind. Wir alle eigentlich, dieser Bruder war bis vor wenigen Wochen Setos bester Freund und mein Lehrer und … ich habe echt Angst, dass ich an diesem Selbstmordversuch schuld habe. Er war in mich verliebt und dann bin ich mit seinem besten Freund zusammen gekommen … das macht mir echt Gedanken. Alles macht mir Gedanken. Ein anderer … ein Bekannter hat Seto vorgeworfen, dass er keine Kontrolle über sich hat und es nur eine Frage der Zeit ist, bis er mich wieder verletzt. Seto hat seitdem gar nichts dazu gesagt, ich weiß nicht, ob er es verdrängt hat, aber … was, wenn er sich die ganze Zeit Gedanken dazu macht? Was, wenn er auch versuchen wird, sich umzubringen? Mal wieder“ Katsuya atmete tief durch. „Und ich bin jetzt auch der letzten Persönlichkeit begegnet. Wächter ist … er ist einfach nur schrecklich, anders kann man das nicht sagen. Er hat überhaupt keine Gefühle und scheint klar etwas gegen mich zu haben. Er hat mir jetzt nicht direkt gedroht, aber … ich weiß, zu was er fähig ist. Und ich will keinesfalls auf der Liste seiner Feinde stehen.“

Er ließ eine Pause, in der die anderen vier ihn nur ansahen. In ihren Augen stand Mitgefühl. Tomokos Stirn lag in leichten Falten. Katsuya ließ den Kopf hängen, atmete noch einmal tief durch und fügte schließlich hinzu: „Und Mister Super-Anspruchsvoll will, dass ich mit den Halbjahresprüfungen unter die besten fünfzig komme, deswegen darf ich nebenher auch noch Tag und Nacht lernen. Er hat ein Rad ab. Und mein Arzt gibt mir so eine tolle Notrufkarte, falls ich Angst um meine Gesundheit habe. Vielen Dank auch – ich glaub', ich hab' andere Probleme.“
 

Tomoko hob eine Hand. Leyla nickte ihr zu, worauf diese sagte: „Ich würde gerne Katsuyas Lebenssituation später zum Thema machen, wenn er nichts dagegen hat.“

Katsuya nickte nur müde. Hilfe konnte er gerade wirklich gebrauchen.

Leyla fragte: „Okay? Gut … soll ich dann erstmal weiter machen?“ - Nicken - „Nun, Nene hat sich am Freitag Abend und am Sonntag mit besagtem Mann getroffen. Am Sonntag ist sie zwischendurch auch ausgeritten, sodass ich mich etwas mit ihm unterhalten konnte. Er … man merkt, er hat das mit der Erkrankung noch nicht ganz durchblickt. Er kennt nur eine Persönlichkeit von Nene und dass sie mehrere haben soll, dass kommt ihm eher wie Hokuspokus vor … seine Worte. Ich … möglicherweise bin ich etwas laut geworden.“

„Das wundert uns jetzt mal gar nicht“ Kimi grinste.

„Na ja, er sollte das schon etwas ernster nehmen. Er scheint ihr wirklich etwas zu bedeuten und dabei glaubt er, sie sei nur ein scheues Ding, an dem zu viele Leute herum gedoktort haben. Er hat mir ganz klar gesagt, er glaubt nicht an solch esoterisches Zeug, aber ihr zuliebe wird er ihr das nicht ausreden. Auch seine Worte“ Leyla schnaubte erbost. „Ich habe Nene abends gesagt, was er gesagt hat. Ich habe extra versucht, mich nicht gegen ihn zu stellen sondern ganz nüchtern zu bleiben. Auch wenn ich am liebsten geschrien hätte, so viel Angst hatte ich. Was, wenn er das ihr gesagt hätte? Sie hätte doch nie wieder jemandem vertraut.“

„Und was hat sie gesagt?“ Misa lehnte sich interessiert vor.

„Zuerst einmal hat sie natürlich als allererstes hinterfragt, ob er nicht recht hat und sie sich ihre Erkrankung nur einbildet“ Der Rest der Gruppe seufzte, Katsuya inklusive. „Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, ich habe ihr das nicht ausgeredet. Ich bin raus gegangen und habe einen Busch angeschrien.“

„Das verlangt auch eine Menge Selbstbeherrschung“ Kimi lächelte schräg. „Warum den Busch und nicht den Esel?“

„Der Esel zuckt schon, wenn ich vorbei gehe“ Leyla schüttelte den Kopf. „Na ja, sie hat genug von meinem Geschrei gehört, dass sie das bisher nicht nochmal gesagt hat. Sie meint, wir könnten ihm ja mal eine andere Persönlichkeit vorstellen und gucken, was er dann sagt. Ich habe dazu erstmal ja gesagt.“

Die anderen nickten. Das klang wie eine sehr sinnvolle Lösung. Das hatte wenigstens den Hauch einer Chance, dass sie ihn nicht verlieren musste. Aber es klang sicherlich nicht nach einem guten Beginn für eine Beziehung.
 

Kimis Cousine schien erstaunlich friedlich, denn erneut hatte sie nichts zu erzählen. Tomoko berichtete, dass Hayato jetzt in der Psychiatrie war und es ihm dort erstaunlich gut ging. Er hatte am ersten Tag den jungen Assistenzarzt aufgeklärt, was seine Krankheit war und am zweiten, warum die Sache mit der Polizei passiert war. Da der Assistenzarzt sich überfordert fühlte und der Oberarzt nicht an DID glaubte, organisierte Tomoko gerade die Verlegung in die Psychiatrie, die Katsuya ihr beim letzten mal genannt hatte. Zufällig wusste er, wer gerade dort Arzt in der geschlossenen Abteilung war und was für Kompetenzen dieser hatte.

„Gut, gibt es Themen außer Katsuyas Situation?“, fragte Leyla in die Runde. Es meldete sich keiner. „Okay … Tomoko?“

„Was denkst du denn, was dir gerade am meisten Sorgen macht, Katsuya?“, fragte diese ihn.

„Am meisten … auf jeden Fall nicht die Prüfungen, die gehen mir sonstwo vorbei. Und meine Gesundheit auch nicht, Seto hat mir versprochen … also“ Er seufzte, vergrub das Gesicht in den Händen und hielt einen Moment inne, bevor er weiter sprach. „Ich bin vergewaltigt worden. Weihnachten“ Kimi und Misa hoben eine Hand vor ihren Mund. Tomoko verzog nicht einen einzigen Muskel. „Danach stand im Raum, mit was der Kerl mich alles angesteckt haben könnte. Für zwei Krankheiten habe ich Antibiotika bekommen und es wurde heute ein Hepatitis- und ein HIV-Test gemacht.“

„Oh Himmel ...“, murmelte Misa.

„Aber Seto hat versprochen, er bleibt bei mir, selbst wenn ich es habe“ Katsuya schluckte und sah auf. „Daher macht mir das nicht allzu viele Sorgen. Aber …“ Was konnte er sagen? Was durfte er sagen? Konnte er wirklich sagen, was ihm auf der Zunge lag? „Ich kann nicht mit Seto schlafen. Nicht so. Und das macht mir Angst.“

Leyla schien erstarrt. Kimi blinzelte nur und schüttelte den Kopf. Tomokos Hände hatten sich zu Fäusten geballt, in denen sie ihren Rock zerknitterte.

„Seto ist … shit, ich fasse nicht, dass ich das alles sage … Seto braucht Sex. Er wird echt instabil, wenn er keinen hat. Und gerade wird er immer instabiler. Dass sogar Wächter jetzt aufgetaucht ist … Wächter wollte sich nie wieder der Welt zeigen. Er ist nur aufgetaucht, um mir zu sagen, dass ich es nicht wagen soll, mich in Setos Psyche einzumischen. Aber wie soll ich das denn lassen? Seto ist mein Verlobter, verdammt. Ich kann doch nicht … ich kann nicht nichts tun. Das geht nicht. Ich weiß nicht, womit ich Wächter verärgern könnte und das macht mir Angst. Und gerade fehlt mir mein bestes Mittel, um Seto im Gleichgewicht zu halten ...“

„Weil er sonst bisweilen ausrastet und Persönlichkeiten hervor kommen, die dir weh tun?“, fragte Tomoko mit erstaunlich tonloser Stimme.

Katsuya nickte nur und schloss die Lider.

„Dann scheint dieser Bekannter damit recht zu haben, dass Seto sich nicht unter Kontrolle hat“ Tomoko ließ eine Pause. Vielleicht wollte sie sehen, wie er reagierte. Aber irgendwie schien in Katsuya keine Energie für eine Reaktion. „Und das heißt, du bist in Gefahr.“

In Gefahr

Ich warne direkt vor, leicht verstörendes Gespräch folgt :)

Ansonsten hätte ich gern etwas Sonne. Könnte jemand die bitte wieder anknippsen? Viel Spaß beim Lesen und verfallt nicht der Winterdepression!
 

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„Ja“ Katsuya seufzte und hob langsam die Lider wieder. „Das bin ich.“

Leyla und Kimi öffneten beide den Mund, als wollten sie etwas sagen, aber Tomoko kam ihnen zuvor: „Und? Bleibst du trotzdem bei ihm?“

Katsuya nickte nur.

„Bist du verrückt?“ In Misas Gesicht stand blankes Entsetzen. „Ich meine … Hayato hat Tomoko geschlagen, das wissen wir alle. Und Seto hat dich geschlagen, das wissen wir auch. Aber … ich meine ...“

„Und dann?“ Katsuya schnaubte. „Kannst du dir vorstellen, was ich ohne Seto war? Ich habe mich täglich verprügeln lassen von meinem Vater. Ich habe gesoffen wie ein Loch und mir alle Drogen rein gepfiffen, die ich in die Hände bekommen konnte. Ich habe nicht gelernt für die Schule, ich habe meine Lehrer bedroht und zusammen geschlagen, damit ich eine Klasse weiter komme. Ich bin Abschaum ohne Seto. Er hat mich von der Straße geholt und mir ein Leben gegeben.“

Mit einem mal stand Tomoko auf, trat mit festem Schritt zu ihm, sank auf die Knie und zog ihn in ihre Arme. Katsuya blinzelte nur verwirrt. Sie war … warm. Ihre Arme und ihre Schulter waren warm. Wie Imalias, nur hatte sie wirklich die schlanke Figur einer Frau. Und ihre Stimme war so weich wie die einer echten Frau, als sie mit Bestimmung sagte: „Sag das nie wieder.“

Katsuya schluckte. Er schluckte erneut. Er atmete tief ein, aber all das konnte die Tränen nicht zurückhalten, die in seine Augen stiegen. Er wandte den Kopf ab, aber dafür brach nur ein Schluchzen durch seine Lippen. Shit … er wollte nicht. Er wollte nicht zusammen brechen.

„Du musst das alles nicht allein schultern. Und vor allem musst du nicht bei ihm bleiben, um ein guter Mensch zu sein. Keiner in diesem Raum denkt schlecht von dir außer du selbst.“

Trotz seiner Tränen brachte Katsuya ein Schnauben über die Lippen. Er legte den Kopf zurück und atmete tief durch. Mit seinem Pulloverärmel strich er seine Tränen von seinen Wangen. Er wollte überzeugt klingen, aber er musste zugeben, seine Stimme brach mitten im Satz: „Das sagst du nur, weil es nicht deine Kinder waren, denen ich Geld geklaut habe, um Drogen zu kaufen.“

„Machst du das jetzt auch noch?“ Er schüttelte nur niedergeschlagen den Kopf. „Und leid tut es dir auch … mein Bruder hat Drogen genommen. Und er hat auch immer gelogen und geklaut. Manchmal tat es ihm leid, aber meistens nicht. Und irgendwann hatte er sich so sehr zerstört, dass er auch keine Fähigkeiten mehr dazu hatte, Mitleid zu empfinden“ Sie seufzte tief. „Er war trotzdem kein schlechter Mensch. Er hatte nur nicht die Kraft, sich aus diesem Sumpf namens Drogen wieder raus zu ziehen. Die wenigsten haben das. Aber du bist clean, richtig?“

Während sie sprach – noch immer vor ihm kniend und die Hände auf seinen Schultern – hatte er von Leyla ein Taschentuch entgegen genommen. Er wandte den Kopf ab, um sich die Nase zu putzen und antwortete ihr darauf: „Seit … August, glaube ich. Da habe ich das letzte mal was genommen.“

„Das sind fast sechs Monate“ Sie lächelte stolz. „Sechs Monate sind der Punkt, ab dem die meisten es schaffen. Wenn du auf sonst nichts stolz sein kannst, dann ist das ein sehr guter Grund, auf dich stolz zu sein.“

Katsuya brummte nur und ließ den Blick sinken.
 

Sie stand auf und betrachtete ihn einen Moment mit locker vor ihrem Bauch übereinander gelegten Händen. Falls sie darauf wartete, dass er stolz auf sich war, könnte sie wohl länger warten. Vielleicht könnte er stolz sein, wenn er abhängig gewesen wäre. Aber er hatte nicht einmal zurück gedacht. Er hatte nichts vermisst und sein körperlicher Entzug war eher lachhaft gewesen. Er hatte Drogen benutzt, damit die Zeit verging. Damit er vergessen konnte und er älter wurde, während er nicht an die Schmerzen in ihm denken musste.

Aber bei Seto brauchte er das nicht. Seine Zeit war gefüllt. Es gab immer etwas zu tun. Es gab einfach keine Löcher, die er verzweifelt füllen musste. Langsam lernte er ja sogar, sich selbst zu überlegen, was er mit seiner Zeit tun konnte. Und älter musste er auch nicht mehr werden. Er hatte älter werden wollen, damit er arbeiten konnte. Und er wollte arbeiten, um von seinem Vater wegzukommen. Aber da lebte er nicht mehr. Also brauchte er auch keine Drogen mehr. Wahrscheinlich hatte er Drogen einfach aus anderen Gründen als andere genommen.

„Würde ich mich von Seto trennen, hätte ich keinen Wohnort mehr. Ich hätte kein Geld. Selbst wenn das Jugendamt mir helfen würde, ich könnte nicht weiter zur Schule gehen. Ich würde mir also irgendwo eine Arbeit suchen müssen. Das kann ich, das ist nicht das Problem. Ich würde wahrscheinlich zu meinem besten Freund ziehen, ich wäre nicht einmal allein. Ich würde keine Freunde verlieren, denn unsere Freunde sind alle meine Freunde“ Er sah auf und in Tomokos kalkulierende Augen. „Aber selbst wenn Seto sich nicht umbringen würde … für mich wäre mein Leben vorbei.“

„Warum?“ Sie trat etwas zurück, damit er nicht so weit aufsehen musste.

„Weil ...“ Ja, weil? Warum? Warum wollte er unbedingt bei Seto bleiben? „Weil ich ihn liebe. Vielleicht nicht jede einzelne Persönlichkeit, aber … am Anfang war da ein Mensch. Und dann waren da drei. Und dann sechs. Vielleicht bin ich für Monogamie nicht gemacht, aber ich kann mir gar nicht vorstellen, nur einen Menschen, eine Persönlichkeit zu lieben. Ich liebe Seto nicht, obwohl er DID hat sondern weil er es hat … okay, das klingt krank. Aber ich lebe schon seit Monaten nicht mehr mit nur einem Menschen. Liebe braucht Zeit und die Zeit, die ich mit ihm hatte, war eine Zeit mit einem Haufen Persönlichkeiten. Ich habe noch nie in meinem Leben eine einzige Persönlichkeit geliebt. Meine Schwester mal ausgenommen, die ist Familie“ Das klang immer noch völlig falsch. Klang es völlig falsch? Die anderen sahen ihn halb unverständig, halb ungläubig an. „Ich meine … klar, DID ist schrecklich kompliziert. Es gäbe keine Selbsthilfegruppen mit Angehörigen, wenn dem nicht so wäre. Aber es ist doch gleichzeitig auch richtig … ich weiß nicht, spannend. Belebend. Wenn ich mir vorstelle, mit jemandem mit einer intakten Persönlichkeit zusammen zu sein, klingt das gerade ziemlich langweilig.“

Kimi grinste. Leylas Stirn lag in Falten, aber sie nickte trotzdem. Misa sah nur hilfesuchend zu Tomoko, die sich wieder auf ihren Stuhl setzte. Ihr Gesicht wirkte ernst, minimal verzogen in einem Hauch von Unmut. Ihre Stimme klang merklich kontrolliert, als sie fragte: „Und wenn er einmal geheilt ist, verlässt du ihn, weil er nicht mehr spannend ist?“

„Keine Ahnung. Vielleicht verliebe ich mich auch in die Person, die er dann ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß ja nicht einmal, was für ein Mensch er wäre, wenn er integriert wäre“ Tomoko wandte den Kopf ab. „Ich … ich kann nur sagen, dass ich den Menschen liebe, der er gerade ist. Auch wenn er manchmal die Kontrolle verliert. Es wird seltener und weniger schwer. Klar habe ich Angst vor seinen Ausbrüchen … aber die Persönlichkeit Angst ist berechenbar. Meistens“ Er seufzte. „Mir macht Wächter Angst … was, wenn er mich endgültig als Bedrohung einstuft? Wie weit würde er gehen? Er ist nicht impulsiv, er ist berechnend. Wenn sein Ergebnis ist, dass das beste Ergebnis mein Tod ist, dann wird er mich ohne Zögern töten. Das macht mir sehr viel mehr Angst als Setos Kontrollverluste.“
 

„Was ist Wächter denn für eine Persönlichkeit?“, fragte Leyla tonlos nach. Vielleicht wusste sie nicht, was sie fühlen sollte, vielleicht fühlte sie auch nichts mehr. Wenn ihre Schwester DID hatte, wäre es nur verständlich, wenn sie zumindest Dissoziationssymptome hätte.

„Er ...“ Tja, wie viel durfte er sagen? „Er wurde geschaffen, um im Notfall eine Persönlichkeit zu haben, die ohne Zögern morden könnte. Er ist absolut gefühllos.“

„So eine hat meine Cousine auch“ Kimi lächelte zur Abwechslung nicht, aber sie klang auch nicht sehr betroffen. „Ist etwas gruselig, aber ich habe mich vor ihr noch nie gefürchtet. Ich rufe sie immer, wenn wir Fleisch filetieren müssen. Ich fass' das nicht gern an und sie kann mit Messern schlichtweg alles. Und sie fängt Spinnen ein. Und einmal meinte ein Kerl in der Disko nicht auf mein Nein hören zu müssen, dem hat sie die Hand gebrochen. Wenn du diesen Wächter auf deine Seite bringst, dann ist er super nützlich, versprochen.“

Katsuya schwankte zwischen Lachen und Weinen und sein Körper entschied sich für fassungsloses Kopfschütteln. Wächter würde nie im Leben Spinnen für ihn fangen. Oder Fleisch filetieren. Allein der Gedanke … da könnte er auch gleich Bakura bitten, die Wände mit rosa Blumentapete zu bekleben.

„Derzeit bin ich für ihn eine potenzielle Bedrohung. Dass die anderen mich mögen und mir Vertrauen schenken, sieht er als Schwäche und Gefahr.“

„Aber er jagt dich nicht weg“ Kimi machte eine drehende Handbewegung mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger, die einfach nur ein Handzeig oder das Richten einer imaginären Waffe auf ihn sein könnte. Noch bevor er die Geste deuten konnte, zuckte sie mit den Schultern mit einer Offenheit und Intensität, die er noch nie bei einer Japanerin erlebt hatte. Vielleicht war sie Amerikanerin? „Irgendeinen Grund gibt es dafür. Und auf dem kannst du aufbauen. Du musst ihn nur heraus finden.“

„Ich vermute mal, die anderen verbieten es ihm“, murmelte Katsuya unschlüssig.

„Dann sollen sie ihn überzeugen, dass sie es eh nicht zulassen, wenn er dich verletzt und er sein Misstrauen besser auf andere lenkt. Gib ihm ein paar andere Feinde, dann konzentriert er sich auch nicht mehr auf dich. Bei mir haben die anderen Persönlichkeiten Bull gesagt, dass ihr Auftrag ist, mich und ihren Körper vor den körperlichen Angriffen anderer zu schützen. Sie hat das nicht hinterfragt … die anderen haben ihr ehrlich gesagt auch nicht die Intelligenz gegeben, um so etwas zu hinterfragen. Man befiehlt ihr etwas und sie macht es.“

„Wächter ist ziemlich intelligent. Wenn er jemanden, den er für besser tot ansieht, in den Selbstmord jagen kann, dann tut er das eher als die Gefahr einzugehen, dass man ihm eine Tat nachweisen kann“ Katsuya biss sich von innen in die Wange. Scheiße. Das hätte er nicht sagen dürfen.

„Und vermutlich hat er das auch schon gemacht“, schloss Kimi folgerichtig, „und hat damit nichts getan, was illegal ist.“

„Im Gegensatz zu Hayato“, murmelte Tomoko, die noch immer zum Fenster sah.

„Und meiner Cousine. Bull hat meinen Vater mit einem Baseballschläger den Kopf zertrümmert“ Kimi sagte das völlig nonchalant. Nicht tonlos. Es schien wirklich so, als würde ihr das rein gar nichts ausmachen. „Ich stand daneben.“
 

„A- aber … oh Himmel“ Misa schüttelte entsetzt den Kopf. „Aber warum?“

„Weil er ein perverses Arschloch war, der uns beide vergewaltigt hat, deswegen“ Mit einem mal verzog sich Kimis Gesicht in Wut und ihre Worte waren ein harsches Schnauzen. „Und ich bin ihr dankbar, dass sie es getan hat.“

Katsuya nickte nur. Kimis Wut konnte er bestens verstehen. Auch wenn sein Verstand freundlich fragte, ob er das wirklich einfach so gutheißen konnte. Das war Mord. Aber auch das mit Gozaburo Kaiba war Mord gewesen. Und auch ohne viel darüber zu wissen, was der Mann gemacht hatte, reichte das, was Katsuya wusste, um nicht einen Funken Mitleid mit ihm zu haben.

Misa währenddessen starrte auf ihre Hände. Sie war jung. Sie war unschuldig. Ihre Freundin Eri schien selten mehr als extreme Verängstigung zu zeigen. Für sie waren sowohl Hayato als auch Seto und Kimis Cousine wahrscheinlich Gestalten aus Horrormärchen. Dinge, über die man nichts hören wollte und von denen man wünschte, sie nie gehört zu haben, wenn es doch geschah.

Leyla schien weiter in Dissoziationen zu sinken. Sie saß gerade, sah vollkommen ausdruckslos zu Kimi und schien nicht eine Gefühlsregung außer Schwere und Lethargie zu haben. Sie fragte mit tonlosem Interesse, als wäre nicht die Person auf dem Stuhl neben ihr die Betroffene: „Was habt ihr mit der Polizei gemacht?“

„Gesagt, es sei Notwehr“ Kimi atmete tief durch und schien dadurch alle Anspannung von sich zu wälzen. „Ein als unnahbar bekannter Kerl und zwei psychisch labile junge Mädchen. Mir traute man zu, dass es vielleicht nicht Notwehr war, aber es waren nur ihre Fingerabdrücke auf dem Schläger. Und sie ist meistens eine stille, unscheinbare Maus gewesen“ Kimi zuckte erneut mit den Schultern. „Ich habe sie eine ihrer verängstigten Kinderpersönlichkeiten zeigen lassen, da hat kein Polizist es auch nur gewagt, sie ernsthaft zu verhören. Als einer sie zweifelnd angesehen hat, ist sie schon in Tränen ausgebrochen.“

Katsuya hatte während der Erzählung beide Augenbrauen gehoben. Die Worte drückten von innen gegen seine Lippen und schließlich ließen sie sich doch nicht zurückhalten: „Du scheinst auch von Gefühlen eher Abstand zu halten.“

„Macht das Leben einfacher. Ich hatte meines Wissens nach noch nie viele“ Kimis Blick wandte sich ihm zu. „Macht dir das Angst?“

„Nach der Begegnung mit Wächter glaube ich nicht, dass ich vor normalen Menschen noch viel Angst haben kann“, gab Katsuya ehrlich zu, „ich bin ein ziemlich guter Messerkämpfer. Ich kann meine Gegner einschätzen. Und ich wüsste nicht, warum wir beide je in eine Situation kommen sollten, wo ich mich vor deiner Gefühlsarmut fürchten müsste.“

„Meiner nicht. Bulls vielleicht. Mein Vater hat ihr ein Messer in die Brust gerammt, bevor sie ihn erschlagen hat. So etwas stört sie nicht, sie hat auch kein Schmerzempfinden. Aber ich glaube nicht, dass du auf die Idee kommen würdest, meine Cousine zu bedrohen“ Kimi nickte ihre eigenen Worte ab. „Obwohl es für dich vielleicht interessant sein könnte, sie zu treffen. Absolute Gefühlslosigkeit befähigt einen Menschen zu einer Menge Taten, aber es hat auch Vorteile. Vielleicht würde es dir eine andere Sicht auf diesen Wächter geben. Schließlich hat der Name auch eine Bedeutung. Er wacht. Das heißt, er passt auf und verteidigt. So lange du Seto nichts Böses tust, tut er dir auch nichts. Bull ist kurz für Bullet, also eine Kugel einer Schusswaffe. Der Name beschreibt ihre Fähigkeit und ihren Existenzgrund: Präzise und schnell zu töten. Davon ist der Name Wächter weit entfernt.“

Katsuya nickte langsam. Kimi hatte recht … vielleicht malte Katsuyas Angst ihm Schreckensgespenster. Vielleicht brauchte er Wächter nicht fürchten, auch wenn er instinktiv vor ihm zurück geschreckt war. Vielleicht sollte er die Persönlichkeit Bull wirklich mal kennen lernen. Kimi grinste nur.

Mütter

Das folgende Kapitel wird hoffentlich bewegend :) Auch wenn es von der Realität der meisten meilenweit entfernt ist, denke ich, gerade die Extreme können der Normalität eine neue Sicht geben (nun ja, das zieht sich ja sowieso schon durch ganz DS). Also viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: Ich wurde aufgeklärt, dass Abtreibung in Japan etwas relativ Undenkbares ist. Ich habe Katsuya trotzdem mal eine eher mitteleuropäische Sicht des Themas verpasst. Bitte verzeiht den kulturellen "Fehler".
 

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Seto, Nene, Eri und Kimis Cousine – Katsuya fiel auf, dass er gar nicht wusste, wie sie eigentlich hieß – warteten in der Küche auf sie. Eri und Nene hockten mit je einer Tasse Tee zusammen am Tisch, sodass dieser zwischen ihnen und den anderen beiden war. Seto und jene Cousine, eine im Cyberpunk-Stil gekleidete Frau von ungefähr dreißig, lehnten gegen die Küchenregale und unterhielten sich leise.

Kimi steuerte direkt auf ihre Cousine zu und stellte sich neben sie. Setos Augen suchten nach Katsuya und einem kurzen Moment nach dem Entdecken breitete sich ein Lächeln auf dessen Lippen aus. Er sah müde, aber nicht unglücklich aus. Diesmal schien wohl kein Unglück über ihn hinein gebrochen zu sein.

„Du siehst aus, als ginge es dir besser“, meinte er und legte einen Arm um Katsuya, als dieser näher trat. Dieser schmiegte sich an ihn und schlang die Arme um Setos Taille.

„Ich wünsche noch einen schönen Abend“, sagte Tomoko leise und ging, ohne den Blick zu heben. Unsicher sah Katsuya ihr nach. Irgendetwas, das er gesagt hatte, hatte ihr weh getan, aber er wusste nicht ansatzweise was.

Und Kimis Worte hatten Misa verstört. Leyla führte sie mit den Händen auf ihren Schultern zu ihrer Cousine und goss ihr eine Tasse Tee ein.

„Sieht aus, als sei diesmal bei euch was explodiert“ Die Cousine sah fragend zu Kimi.

„Dualität scheint irgendwie ein kompliziertes Thema“ Diese zuckte mit den Schultern. „Dass Liebe und Hass immer miteinander einher gehen und sicherlich niemandes Leben hier Friede, Freude, Eierkuchen ist, scheint für manche doch überraschend zu sein.“

„Was faselst du jetzt wieder?“ Eine der schwarzen, mit einem neongrünen Dreiviertelring mit Kugelbesatz gepiercte Augenbraue hob sich. „Seit wann führst du denn so ein Wort wie Dualität?“

„Ich kann auch schlau sein, du Oberflieger“ Kimi piekste ihre Cousine mit einem Finger in die Seite. „Ich meine, dass das ganz normal ist, dass ich dich liebe und hasse. Wir leben seit Jahren zusammen und du bist der zweitwichtigste Mensch in meinem Leben. Und gleichzeitig hast du 'ne Schramme weg und wegen dir kann ich nie Urlaub machen und muss mich mit zwei Katzentieren rumschlagen, obwohl sie mir auf die Nerven gehen.“

„Wenn's dich zu sehr stört, such dir 'ne andere Blöde, die jede Woche mit dir shoppen geht“ Miss Cousine zog einen Schmollmund. „Und ich hab' dich auch lieb, Doofnuss.“

Katsuya musste grinsen. Die zwei schienen wirklich füreinander gemacht. Ob sie wohl auch eine Beziehung führten? Oder verstanden sie sich einfach nur so gut? Er sah zu Seto auf, der die zwei mit Verwirrung im Blick betrachtete. Wahrscheinlich fragte er sich dasselbe.

Dualität … das hieß, es war völlig okay, Seto zu lieben und gleichzeitig sauer zu sein, dass er so viel Aufmerksamkeit brauchte und Angst zu haben, dass er austickte. Er musste nicht dringend nur ein Gefühl für Seto haben. Hass, Enttäuschung und Wut durften sein, nicht obwohl sondern weil er Seto liebte. Irgendwie war das eine extrem befreiende Erkenntnis. Und erstaunlich simpel.

„Jetzt hat er's auch geschnallt“ Katsuya spürte Kimis Blick auf sich. Sie betrachtete ihn mit einem breiten Grinsen. „Das ist wie mit Eltern und Kindern. Du hast dein Idealbild, wie Eltern sein sollten und deine eigenen liebst und hasst du, weil sie es teils erfüllen, teils nicht“ Kimi zuckte mit den Schultern, erneut erstaunlich expressiv. „Und wenn du mal Kinder hast, dann hast du auch ein Bild, wie du deine Kinder gern hättest und du liebst und hasst sie auch. Wenn nicht, ist was falsch. Und für deine Beziehung und sogar für dich selbst gilt das gleiche. Irgendetwas liebst du und irgendetwas hasst du. Du musst nur gucken, dass sich alles in Waage hält.“

„Fang' nich' an, Aristoteles zu zitieren. Warst du an meinem Bücherschrank?“ Diesmal piekste die Cousine Kimi.
 

„Mann, Sasu“ Kimi verschränkte die Arme. „Du machst mir voll meine Rede kaputt. Ich muss mir immer deine Vorträge anhören, jetzt lass mich auch mal deine großen Lebensweisheiten weitererzählen.“

„Die kann ich selber erzählen, ich muss nicht daneben stehen und mir anhören, wie du mehrere davon durcheinander wirfst“ Mit jedem Satz versuchten die beiden der jeweils anderen mit dem Finger in den Bauch zu stechen, sodass beide vor und zurück hüpften, während sie redeten.

„Du fängst nur wieder an, tausend Worte zu benutzen, die kein Mensch versteht“ Kimi landete einen Treffer, da sie ihre Cousine zurück gegen die Küchenregale gedrängt hatte.

„Wer hat denn plötzlich mit Dualität angefangen? Außerdem habe ich dir den Vortrag vor Jahren gehalten, warum erinnerst du dich da noch dran?“ Die Cousine – Sasu – griff Kimi an den Handgelenken, um sie aufzuhalten. „Hörst du mir etwa zu?“

„Nö“ Kimi grinste. „Aber der war voll peinlich“ Sie sah zurück zu Katsuya. „Den hat sie mir am Ausgang eines riesigen Einkaufszentrums gehalten, weil mein Sohn einen rosa Luftballon wollte und ich meinte, er darf aber nur den blauen haben, rosa sei schwul.“

„Das war diskriminierend“, verteidigte diese sich.

„Entschuldigung, dass ich ihm ersparen wollte, von den anderen Kindern aufgezogen zu werden“ Kimi verdrehte die Augen. „Deine liberale Attitüde ist schuld, dass er den halben Tag in Weiberklamotten rumrennt. Mein Sohn versteht mehr von Make-Up als ich, das ist traurig.“

„Du bist nur sauer, dass kein muskulöser Football-Spieler aus ihm geworden ist, sodass jeder glaubt, du hättest dir einen Prachtkerl geangelt, wenn ihr einkaufen geht“ Obwohl sie Kimis Handgelenke hielt, schaffte sie es, die andere an der Taille zu kitzeln. Kimi machte einen erschrockenen Satz zurück. „Eitle Schrulle.“

„Ey, wenigstens hält man mich meistens für seine Schwester.“

„Du meinst, man hält euch meistens für Schwestern“ Sasu ließ die Handgelenke los und lehnte sich grinsend zurück. „Lass ihm doch seine Hobbys. Wenigstens ist es nur Crossdressing. Stell dir vor, er hätte mit Drogen angefangen. Oder würde plötzlich wirklich 'ne Freundin mitbringen, da kämst du gar nicht mehr runter von deiner Palme. Ihr seid wie Pech und Schwefel, du würdest das nicht aushalten, wenn du ihn teilen müsstest.“

„Hühnerhaufen“, murmelte Seto leise.

„Ich find' sie cool“ Katsuya grinste.

„Aah!“ Es war mehr ein hohes, entzücktes Quietschen als alles andere. „Hörst du? Von wegen alte Schrulle!“ Kimi zeigte auf ihn, während sie ihre Cousine angrinste.

„Vorsicht, sie steht auf groß und muskulös“, meinte Sasu mit einem Seitenblick zu Katsuya.

„Ich bin sicher, solange er neben mir steht, oder?“ Er zeigte auf Seto.

„Erwähnte ich jung?“ Sasu schlug ihrer Cousine auf die Hand, damit sie den Arm senkte. „Sie ist irgendwie bei sechzehn stehen geblieben, glaub' ich“ Sie seufzte. „Ihr Sohn ist erwachsener als sie.“

„Sie sehen gar nicht so alt aus“, merkte Seto an.

„Hab' ihn mit fünfzehn bekommen“ Kimi wandte sich ihm zu. „Jetzt hat er eine hübsche, knackige Mama.“

„Und einen besseren Modegeschmack als sie hat er noch obendrein. Ich sag' immer, sie soll ihn zum Shoppen mitnehmen, aber sie ist eingeschnappt, weil er eine Kleidergröße kleiner tragen kann als sie“ Sasu grinste. „Nix mit knackig.“

„Doofe Kuh“, murmelte Kimi beleidigt, „er wächst bestimmt noch.“

„Wenn dir der Gedanke Seelenfrieden gibt“ Sasu grinste nur fies.
 

„Das … war mal etwas anderes“, erwähnte Seto, nachdem sie im Auto Platz genommen hatten.

„Ich glaube, sie brauchte das Kindischsein“ Katsuya schnallte sich an und lehnte sich zurück. „Sasus Persönlichkeit Bull hat ihren Vater mit einem Baseballschläger umgebracht. Er hat sie wohl beide als Kinder … ich kann mir vorstellen, dass allein die Erinnerung reiner Horror ist. Das hat sie uns in der Gruppe erzählt.“

„Kein Wunder, dass die anderen Frauen verstört waren“ Seto seufzte und parkte den Wagen aus. „Heißt, ihr Sohn kommt aus der Vergewaltigung durch ihren Vater?“

„Wie?“ Katsuyas Kopf schnellte zur Seite. „Du meinst … oh.“

„Es braucht eine gewisse Kraft, um einen ausgewachsenen Mann zu erschlagen. Und Sasu und ihre Cousine sind ungefähr gleich alt. Wenn sie mit fünfzehn ein Kind bekommen hat, ist das der naheliegendste Schluss.“

„Bei allen Göttern“ Katsuya legte die Arme um sich. Wie hatte sie … wie konnte sie … warum hatte sie das Kind nicht abgetrieben? Mit vierzehn oder fünfzehn, schwanger von ihrem leiblichen Vater, der sie vergewaltigt hatte … allein die Vorstellung. Und die zwei Mädchen hatten alleine dieses Kind groß gezogen? Eine mit DID, die andere … scheiße. Kein Wunder, dass Kimi tough wie sonst was war. Nach so etwas war man entweder kaputt oder verdammt gut drauf. Sie musste Nerven aus Stahl haben oder so etwas.

Na ja, zumindest musste ihr Junge keine Angst davor haben, seiner Mutter zu gestehen, dass er schwul war. Wenn er es war. Aber Sasu hatte von Freundin geredet. Gab es heterosexuelle Kerle, die gerne Frauenklamotten anzogen? Allein die Vorstellung, dass das größte Problem zwischen Mutter und Sohn Eifersucht auf die Kleidergröße war … ganz ehrlich, er hätte seine Familie mit Ausnahme seiner Schwester jederzeit gegen Kimi und Sasu eingetauscht. Völlig egal, ob man ihn dann für den Sohn von minderjährigen, kriminellen Lesben gehalten hätte. Die zwei wirkten so, als könnten sie den Hass der ganzen Welt mit Liebe wettmachen.

Und das klärte die Frage, warum Kimi trotz des sicherlich extremen Drucks ihrer Umwelt ihr Kind nicht abgetrieben hatte. Sie liebte ihren Sohn abgöttisch, das merkte man. Katsuya schluckte. Wie auch schon vorhin half das nicht, um die Tränen unten zu behalten. Sie liefen einfach so seine Wangen hinab.

Und da sollte sie nochmal sagen, dass sie kaum Gefühle hatte.

„Hey“ Seto legte eine Hand auf Katsuyas Schulter, auch wenn er natürlich weiter auf die Straße sah. „Was ist?“

„Ich“ Katsuya zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. „Ich wünschte, ich hätte so eine Mama wie Kimi gehabt. Sie hätte bestimmt einen riesigen Haufen Fehler gemacht, aber sie hätte mich zumindest lieb gehabt. Ich glaube, meiner Mutter war ich schlichtweg egal.“
 

„Das warst du nicht“ Seto klang vollkommen überzeugt. „Das bist du nicht“ Er musste die Hand wieder ans Steuer nehmen. Katsuya vermisste die Wärme sofort. „Du und auch Shizuka, aus euch sind tolle Menschen geworden. Dafür muss ein Grundstein in eurer Kindheit gelegt worden sein. Zumindest die ersten paar Jahre, auch wenn du dich daran wahrscheinlich nicht erinnerst, muss sie dich geliebt haben. Und Liebe vergisst man nie. Man kann sie höchstens verdrängen und im Hass ertränken.“

„Heute stehe ich fraglos auf ihrer Hassliste“ Katsuya wandte den Blick aus dem Fenster.

„Und das heißt, sie liebt dich auch. Wie Kimi gesagt hat, man kann nicht lieben ohne zu hassen und auch nicht hassen, ohne zu lieben. Jedes starke Gefühl ist aus positiven und negativen Teilen zusammen gesetzt“ Seto atmete tief durch. „Meine Mutter … ich bin sicher, dass sie mich geliebt hat. Sonst gäbe es Klein-Seto nicht. Und Imalia wäre auch nicht so eine starke Persönlichkeit, wenn ich nicht zumindest eine Vorstellung davon gehabt hätte, was sein kann. Auch wenn eben diese Mutter Dinge getan hat, die Ikar und vermutlich auch Angst geschaffen haben.“

„Aber warum hat sie mich dann aufgegeben?“ Katsuya blinzelte und atmete durch den Mund, um die Tränen zu kontrollieren. „Warum hat sie den Deal gemacht, dass mein Vater mich kriegt, wenn er sie in Ruhe lässt? Sie hat mich für ihre eigene Haut verkauft.“

„Das tut dir sehr viel mehr weh als alles, was dein Vater je getan hat, oder?“, fragte Seto ruhig nach.

Katsuya nickte nur. Sein Vater machte ihm Angst. Der Gedanke an ihn erinnerte an die Schmerzen. Aber sein Vater hatte praktisch nie sein Herz verletzt. Das hatte Katsuya ihm nie gegeben. Für seinen Vater hatte er weder Hass noch Liebe übrig, allerhöchstens Mitleid, denn der Kerl war ein Wrack. Wahrscheinlich war er mittlerweile sogar tot. Und es interessierte Katsuya nicht einmal.

Seine Mutter hingegen … das war über zehn Jahre her, aber es brannte und schmerzte und zog fürchterlich. Seto hatte recht. Sie musste ihn einmal geliebt haben, sonst würde er nicht so viel für sie empfinden. Hätte sie ihn nicht geliebt, täte es ihm heute nicht weh, was sie alles getan hatte.

„Ich weiß es nicht, warum sie das getan hat“ Seto warf einen schnellen Blick aus dem Augenwinkel zu ihm. „Aber ich habe ihre Adresse, falls du sie fragen willst.“

Ein kalter Schauer lief über Katsuyas Rücken. Ihre Adresse. Sie sehen. Sie fragen! Er wandte sich zu Seto: „Sie würde mir weh tun.“

„Das wird sie. Und sie wird dir wahrscheinlich nicht antworten. Und falls doch, wird sie wahrscheinlich lügen“ Die blauen Augen richteten sich erneut auf ihn. „Andererseits quält dich die Frage. Deine Mutter ist zumindest am Leben, sodass du sie fragen kannst.“

Katsuya schluckte. Seto hatte bestimmt ähnliche Gedanken zu seiner eigenen Mutter, wenn sie ihn gequält und geliebt hatte. Warum sie ihm unaussprechliche Dinge angetan hatte, warum sie sich umgebracht hatte … Seto musste auf ewig mit den Fragen leben. Katsuya hatte zumindest eine Chance, Antworten zu kriegen.

Er sollte darüber nachdenken.

Alle meine Kleider

Big revelation coming :) Dementsprechend versehe ich das Kapitel hiermit mit einer Warnung!

Und wünsche ansonsten viel Spaß beim Lesen ^.^

(Könnte irgendwer mir etwas Motivation für die Uni geben? Irgendwie? T.T)
 

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Am Donnerstag quälte Ayumi sie durch eine weitere Lerneinheit. Da sie Freitag zum Glück nicht so viele der Stunden hatten, die am Donnerstag unterrichtet wurden, ließ Katsuya seine Hausaufgaben erstmal links liegen. Er fiel bei Yami aufs Sofa und blieb dort liegen, bis sein bester Freund einen Teller Spagetthi neben ihn stellte. Sie aßen schweigend und anstatt beim Abwasch zu helfen, blieb Katsuya auf den Polstern liegen.

„War das Lernen wirklich so schrecklich?“, fragte Yami halb amüsiert, halb besorgt.

„Schlimmer“, murmelte Katsuya nur und streckte die Arme nach dem anderen aus, um diesen dann so hinzusetzen, dass er seinen Oberschenkel als Kissen nutzen konnte.

„Scheint sehr anstrengend gewesen zu sein“ Yami strich ihm mit einer Hand den Pony aus dem Gesicht. „Und wie kann man dich wieder aufmuntern?“

„Erzähl mir etwas“ Er griff dessen Hand und sah vorsichtig auf. „Zum Beispiel über Yugi und deine Gespräche mit dem Psychiater.“

Yami seufzte nur und wandte den Blick ab. Katsuya war drauf und dran nach etwas anderem zu fragen, als er doch noch antwortete: „Gespräch. Einzahl. Da hat er über unsere häusliche Situation und unsere Eltern gefragt. Und hat kurz die Sache mit Yugi erklärt. Tja … er hat gestern noch einmal angerufen und wir haben einen weiteren Termin für übermorgen ausgemacht. Da will er wohl über Yugi reden.“

„Und was?“ Katsuya beobachtete Yamis Gesicht genau, um zu wissen, wann er stoppen sollte.

„Ich weiß es nicht“ Yami seufzte. „Unsere Kindheit. Wie er sich verhalten hat. Was für ein Mensch er ist. Solche Dinge … wie hat er sich denn als Lehrer verhalten?“

„Uhm … normal. Nein“ Katsuya legte in Konzentration die Stirn in Falten. „In Mathe ist er wie jeder andere Lehrer auch. Freundlich, aber öde. In Sport ist er … nicht so galaktisch. Er kann die Regeln erklären und auch Techniken, aber er führt nie etwas vor. Ich glaube auch nicht, dass er so schrecklich sportlich ist.“

„Ist er auch nicht. Ich wette, unsere Eltern haben ihn zu diesem Studium gezwungen. Ein echter Mann macht schließlich Sport“ Yami schnaubte. „Mal missachtend, dass der Junge nicht einmal einssiebzig ist und sich so oft wie möglich geweigert hat, Sport zu machen. Er hatte eine schreckliche Angst vor den Umkleiden, weil die anderen ihn immer schikaniert haben. Er ist aber auch echt ein Zwerg“ Er endete mit einem Seufzen.

„Ich kann mir vorstellen, dass das Sportstudium Horror für ihn war“ Katsuya verzog einen Mundwinkel in Sympathie. „Er trägt immer ausladende Kleidung. Man merkt, dass er sich für seinen Körper schämt. Aber ehrlich gesagt lässt ihn das noch mehr wie einen Zwerg aussehen. Als hätte er die Pubertät noch nicht erlebt.“

„Und wie hat er sich außerhalb des Unterrichts so verhalten?“ In Yamis Stimme lag ernstes Interesse.

„Freundlich. Er hat sich immer gefreut, wenn ich ihn angesprochen habe. Aber außer mir hat er auch mit kaum jemanden geredet … aber ich fand ihn ungewöhnlich selbstbewusst. Wenn er mit mir sprach, schien er sich auch sicher zu fühlen. Über Seto sprach er sehr wissend. Und einmal hat er zugesehen, wie ich einen Klassenkameraden bedroht habe und er war selbst gegen Protest auf meiner Seite. Er meinte, wenn ich jemanden bedrohe, dann muss dieser jemand vorher etwas angestellt haben, was mich dazu gebracht hat.“

„Reichlich parteiisch“, urteilte Yami.

„Nun ja … er war halt ernsthaft in mich verknallt, wenn ich das richtig verstanden habe.“

„Irgendwie schaffst du es, all den Menschen Selbstbewusstsein zu geben, die sich in dich verlieben“ Yami lächelte sanft und sah zu ihm hinab. „Schade, dass Seto deine ganze Kraft braucht … es wäre toll, wenn du Yugi helfen könntest.“

„Das kannst du auch. Ich glaube, er hat nur dich in mir gesehen. Er wollte jemanden, der ihn beschützt. Ich habe ihn immer beschützt … manchmal haben ihn die Beleidigungen der Schüler zum Weinen gebracht. Ich vermute, ich war einfach nur da.“

Yami nickte mit einem Seufzen und sagte: „Das hört sich sehr nach ihm an.“
 

Beinahe hörten sie über den Staubsauger das Handy nicht. Imalia machte das Gerät aus, schnellte in den Flur und kam zurück mit dem noch klingelnden Handy, das sie Katsuya hinhielt.

Er sah kurz sie an, dann das Telefon und nahm mit einem Seufzen ab: „Katsuya Kaiba?“

„Oh, Katsuya“ Es war Ryou am anderen Ende. „Entschuldige, ich dachte, ich hätte Herr Kaibas Nummer gewählt.“

„Hast du auch. Er ist nur“ Katsuya sah in Imalias entschuldigenden Ausdruck. „Ähm … unpässlich. Kann ich dir helfen oder willst du später nochmal anrufen?“

„Ich … ich wollte fragen wegen … wegen morgen … wegen des Kaffeetrinkens … Herr Kaiba und Bakura telefonieren normalerweise einmal die Woche, aber diesmal hat er nicht angerufen. Nach dem, was letztes mal passiert ist … ich weiß jetzt auch nicht. Sollen wir morgen kommen oder besser … nicht?“

„Du kannst gern kommen, aber dein Bruder bleibt zuhause“, bestimmte Katsuya hart, „bevor der sich nicht entschuldigt, ist er hier nicht willkommen.“

„Das … also … ich“ Ryou schluckte. Sein Atem ging schneller. Er war doch hoffentlich in Ordnung? „Ich kann versuchen … ich spreche noch mal mit ihm. Ja? Also … bis morgen … vielleicht.“

„Ryou?“ Katsuya hielt ihn auf, bevor er auflegen konnte. „Ryou, hör zu, ja? Du bist hier immer willkommen. Egal, was ist. Bakura hat recht, ich habe mich einmal bei euch versteckt. Aber das gilt auch anders herum. Du kannst jederzeit herkommen. Hast du verstanden, Ryou?“

Der Andere schluckte und murmelte eine Bestätigung. Nach einem Moment des Schweigens legte er ohne ein weiteres Wort auf.

Katsuya betrachtete nachdenklich das Handy in seiner Hand. Ryou hatte sich nicht gut angehört. War er in Ordnung gewesen? Würde Bakura ihm etwas tun? Wäre Katsuya daran schuld, wenn Bakura ihm etwas tat? Würde Ryou herkommen, wenn Bakura ihm etwas tat? Hätte er … würde er noch in der Lage sein herzukommen, wenn Bakura ihm etwas tat?

Er hob den Blick zu Imalia, die beide Hände gefaltet vor ihrem Herz liegen hatte. Sie fragte vorsichtig: „Schlechte Nachrichten?“

„Vielleicht“, murmelte er nur. „Aber ich denke nicht, dass wir etwas machen können.“

Sie trat vor und legte die Arme um ihn. Er seufzte und ließ dabei alle Anspannung fahren. Auch wenn sie Setos Körper trug, er konnte sich die sanften Arme einer Frau vorstellen. Sie sprach nach einem Moment: „Manchmal ist man leider machtlos. Ich konnte nie etwas tun, wenn ich Angst oder Ikars Terror spürte. Ich konnte sie nur danach halten. Manchmal ist das alles, was man tun kann.“

Katsuya nickte an ihrer Schulter.

„Soll ich dir einen Kakao warm machen?“ Sie lehnte sich etwas zurück und sah ihm in die Augen.

Er schüttelte nur den Kopf, küsste sie auf die Wange und schmiss den Staubsauger wieder an. Seines Empfindens nach lag in diesem Haus nicht ein Körnchen Staub, aber Imalia bestand auf einen Großputz einmal die Woche. Na, was auch immer … wenigstens hatte er nicht mehr das Gefühl, sie auszunutzen. Jetzt, wo er ihr half. Auch wenn sie einen echten Sauberkeitsfimmel hatte. Küche, Bad … das konnte er ja noch verstehen. Aber jede Woche die Möbel abstauben und die Polster saugen? Teppiche ausklopfen und die Fenster reinigen? Wie zur Hölle hatte sie das alles bei Nacht gemacht, sodass es keinem aufgefallen war?

Oder … war es jemandem aufgefallen? Hatte er deshalb noch nie die Nachbarn zu Gesicht bekommen? Hielten die sie für komische Freaks, die immer um Mitternacht ihre Teppiche ausklopften? Vielleicht ein Sektenritual?

Katsuya schüttelte nur den Kopf und lächelte. So viel zur Geheimhaltung, Herr Wächter. Dass Imalia in Anzugshose und Hemd mit einer Kochschürze darüber putzte, tat wahrscheinlich sein Übriges.
 

„Da bist du ja“ Katsuya seufzte erleichtert und öffnete die Tür ganz, damit Yami eintreten konnte. „Du bist erstaunlich spät. Alle anderen sind schon da.“

„Hab' verschlafen“, murmelte dieser nur. Dass er relativ farblos und ermattet aussah, tat sein Übriges.

„Schlechte Nacht?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Gar keine Nacht“ Der Andere zog die Schuhe aus und trottete Richtung Wohnzimmer. „Nur eine Sorge und Angst nach der nächsten, tausend Gedanken … die Erschöpfung hat mich erst heute Morgen übermannt.“

„Oh“ Der Blonde fühlte sich irgendwie automatisch an Imalias Worte von gestern erinnert. „Soll ich dir einen Kakao warm machen?“

„Gerne“ Yami lächelte noch kurz und trat dann ins Wohnzimmer, wo er die anderen begrüßte.

Katsuya währenddessen setzte in der Küche Milch auf, holte Geschirr aus dem Schrank und trug die Teller und Gabeln rüber, bevor er sich dem Kakao widmete. Als er das erste mal Sachen ins Wohnzimmer trug, fragte Yami Shizuka gerade, ob sie ihm vielleicht ihre Haare leihen würde. Er wollte Flechten üben. Sie sah zwar etwas überrascht drein, doch stimmte zu. Als er das zweite mal kam, hatte sie eine Bürste aus ihrer Handtasche geholt, reichte sie Yami und setzte sich auf den Stuhl, den sonst Seto oder Noah nahmen, während Yami sich hinter sie stellte.

Da Seto es sich im Sessel gemütlich gemacht hatte, übernahm Noah es, das Geschirr und Besteck zu verteilen sowie Kuchen aufzufüllen. In klarer Unsicherheit, wie viele Leute heute da sein würden, hatte er vorsorglich einfach eine Menge kleiner Törtchen gekauft statt große Tortenstücke zu nehmen. Während Katsuya Yamis – und seinen eigenen – Kakao herein trug, musste er Noah in Gedanken gratulieren. Er war zwar nicht so schrecklich flexibel, was Setos Psyche anging, aber in allen sonstigen Fällen schien er ein schneller Denker.

Ryou saß stumm und verunsichert an seiner Seite. Ohne Bakura verfiel er erneut in den verängstigtes-Kaninchen-Modus, obwohl er sie alle doch eigentlich kannte. Ein bisschen erinnerte er Katsuya an Eri, auch wenn sie fraglos schlimmer war. Er setzte sich neben den Jungen und fragte, ob er Tee haben wolle. Der Junge fragte vorsichtig zurück, ob er auch Kakao haben dürfte.

Seto und Noah, die sich nebenher wieder über irgendwelchen Firmenkram unterhalten hatten, verstummten in ihrem Gespräch, sodass Shizuka die Stille nutzte, um zu fragen: „Warum willst du eigentlich Flechten üben, Yami?“

„Nur so“, murmelte dieser und beendete ihren ersten Zopf, nur um ihn wieder aufzumachen und einen anderen zu beginnen, „ich habe das sehr lange nicht mehr gemacht. Genau genommen habe ich mich gestern erst daran erinnert, dass ich es überhaupt kann.“

„Dafür erinnerst du dich anscheinend gut“ Sie zeigte auf ihre Handtasche. „Katsuya, kannst du mir mal meinen Spiegel daraus geben, bitte? Ich möchte sehen, wie ich aussehe.“

„Immer ich“, murrte Katsuya nur, aber stand wieder auf und holte ihr einen kleinen Handspiegel.

„Guck mal, Isamu, deine Mama wird hübsch gemacht“, meinte Noah und drehte das auf seinem Schoß sitzende Baby in Shizukas Richtung.

„Erwartet nicht zu viel. Ich wollte üben, weil ich das seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gemacht habe“ Yami lächelte selbstironisch.

„Und dann erinnerst du dich daran? Wow“ Shizuka richtete ihren Spiegel aus, um Yami ins Gesicht zu sehen. „Ich bin nicht mal zwanzig Jahre alt und habe keine Ahnung, was ich gestern gefrühstückt habe.“

„Ach du“ Yami grinste, aber seine Augen behielten dabei ihren müden Ausdruck. „Ich war selbst ganz verwundert, an was ich mich alles erinnere. Der Doc hat mich gestern über unsere Zeit als Kleinkinder ausgefragt. Schon erstaunlich, was da wieder hoch kommt.“
 

„Und wem hast du als Kleinkind die Haare gemacht?“, fragte Seto ganz nonchalant nach.

„Yugi natürlich“ Yami seufzte leise, aber er schien bereit, ein wenig zu erzählen. „Wir waren … zwei oder drei so. Wir haben immer Mutter, Vater, Kind mit unseren Stofftieren gespielt. Yugi bestand darauf, dass ich Papa spiele und er Mama. Irgendwann bestand er auf Zöpfe in den Haaren. Und nachdem ich das mit meinen kleinen Händen halbwegs hinbekam, wollte er Kleider. Er hat mich angestiftet, dass ich Oberteile aus Mutters Schrank klaue, damit er sie als Kleider anziehen konnte.“

Shizuka musste leise lachen. Die Vorstellung war schon irgendwie niedlich. Katsuya grinste und sah zu den anderen. Seto hatte eine Schmolllippe. Da Seto nicht wirklich der Typ für Schmolllippen war, riet Katsuya mal, dass er auf Klein-Seto gewechselt hatte bei der Kindererzählung. Noah währenddessen hatte die Stirn in Falten gelegt und einen zweifelnden Gesichtsausdruck. Schien, als wären solche Kinderspiele ihm völlig fremd. Typisch Einzelkind. Wenn Katsuya sich erinnerte, wie oft er Shizuka ermahnen musste, dass sie nicht an Mamas Make-up zu gehen hatte …

„Ich fand das als Kind ziemlich lustig“, fuhr Yami fort, „wir haben ein paar Oberteile unter Yugis Bett versteckt und Mutter hat sie nie vermisst. Und einen Lippenstift haben wir auch geklaut. Yugi hatte total Spaß, mit Zöpfen und improvisiertem Kleid mit roten Lippen rumzurennen und Kuscheltiere in den Schlaf zu wiegen. Ich fand meinen Bruder einfach süß und habe jeden Mist mitgemacht.“

„Seto hat mal im Kaufhaus gebettelt, weil er ein Kleid haben wollte“ Alle Augen wandten sich Seto zu, der … anscheinend gerade nicht Seto war, gemessen daran, dass er von sich selbst in der dritten Person sprach. Nach einem Moment konnte Katsuya die Pose Ikar zuordnen. „Die Konsequenzen durfte Angst tragen. Mutter hat uns nie wieder mit in ein Kaufhaus genommen.“

„Warum zur Hölle wolltet ihr Kleider haben?“ Katsuya sah zweifelnd zwischen Seto und Yami hin und her. „Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, ein Kleid tragen zu wollen.“

„Kleider sind für Mädchen“, meinte Shizuka im gehässig aufziehenden Ton eines kleinen Kindes, „hat er immer gesagt. Mein Bruder hat sich sogar geweigert, die Kleiderabteilung auch nur zu betreten. Mama hat ihn jedes mal auf dem Gang stehen gelassen, wenn sie mit mir neue Klamotten einkaufen ging.“

„Nur für's Protokoll: Ich mag Röcke und Kimonos, aber keine Kleider. Und ich mag auch erst Frauenkleidung, seit ich gemerkt habe, wie heiß man manche Kerle damit kriegt“ Yami war wie immer nicht ansatzweise beschämt, so etwas zu sagen und machte Shizuka gerade die dritte Flechtfrisur. „Nur Yugi lief gern als Mädchen rum.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass eure Mutter das gut fand“, meinte Ikar mit einem Blick auf Yami.

„Nicht wirklich“ Yami seufzte. „Es war der Beginn dieses absurden Verhaltens unserer Eltern“ Das Lächeln verließ die Gesichter und alle Blicke wandten sich zu ihm. „Mutter hat uns natürlich irgendwann erwischt. Unbedingt dann, als ich Yugi gerade schminkte. Er hatte zwei Zöpfe, ihr schwarzes Oberteil mit Glitzersteinen an, trug eine im Kindergarten gebastelte Perlenkette und ich malte ihm gerade die Lippen rot.“

„Und an dem Punkt hat sie angefangen, dich für alles, was Yugi falsch machte, verantwortlich zu machen?“, fragte Ikar nach.

Der Stehende nickte nur.

„Dumme Pute“, knurrte Ikar und verschränkte die Arme.

„Das klingt wirklich absurd“, stimmte selbst Noah zu.

„Eigentlich nicht“ Yami hielt inne im Flechten und sah auf. „Sie wollten so eine Sportskanone, der in jedem Fach gut ist und beliebt bei den Mädchen. Yugi ist nunmal das absolute Gegenteil davon. Er, den sie liebten, versagte in allem und ich, den sie hassten, erreichte das alles … kein Wunder, dass ihnen das einen Schlag gegeben hat.“
 

„Ich meine, dass sie dich hassten, das macht keinen Sinn“, erwiderte Noah ruhig, „sie hatten in dir den Sohn, den sie sich gewünscht hatten.“

„Schon, aber ...“ Yami atmete tief durch, sah auf Shizukas Haare und löste alles, was er gerade erst geflochten hatte. „Sie wollten, dass Yugi dieser Sohn ist. Ich konnte das alles. Bei mir musste man sich nicht anstrengen. Bei ihm schon … und irgendwie waren unsere Eltern der klaren Überzeugung, dass sie ihn zu einem guten Mann machten und ich ihre Arbeit zerstörte. Dass ich ihn in Frauenkleider steckte und sogar schminkte, das war der Auslöser für dieses Verhalten. Ab da konnte ich einfach nichts mehr richtig machen.“

„Yami, da warst du drei Jahre alt.“

Katsuya sah zwischen Noah und seinem besten Freund hin und her. Irgendwie schien es fast surreal, dass es gerade Noah war, der den anderen versuchte … der ihn irgendwie von dem überzeugen wollte, was alle hier im Raum wahrscheinlich dachten. Sonst ignorierten die beiden sich ja meistens.

„Nicht nur“, gab Yami kleinlaut zu, „er … er liebte Mädchenklamotten. Und unsere Eltern waren beide berufstätig. Ich … ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm seinen Spaß zu verbieten, wenn sie nicht da waren. Also hat er sich nach der Schule immer in Mädchenklamotten geworfen und sich wieder umgezogen, wenn unsere Eltern abends wieder kamen.“

„Große Brüder sind was Tolles“, warf Shizuka ein und lächelte Katsuya zu.

„Ich habe nichts Tolles gemacht außer dich regelmäßig in Gefahr zu bringen“, murmelte dieser nur.

„Gar nicht wahr. Du hast mich immer an den Strand gebracht, wenn ich wollte, egal wie oft dich Papa dafür versohlt hat“ Sie sah zu Yami, der gerade nichts mehr mit ihren Haaren machte. „Und er hat mir Geschichten vorgelesen, nachdem Mama gesagt hat, dass ich zu groß für Gute-Nacht-Geschichten bin.“

„Brüderlichkeit verpflichtet“ Yami seufzte tief und hob die Bürste wieder, um ihr die nächste Frisur zu machen. „Wir waren vorsichtig. Ich habe ihm Schminken verboten, damit Mama die Abschminktücher nicht findet. Wir haben ihm echte Kleider von unserem Geburtstagsgeld gekauft und sie versteckt. Und er hat den Mädchen in unserer Klasse ihre bunten Haarklammern abgeschwatzt. Wenn es um so etwas ging, war er überhaupt nicht schüchtern. Nur vor Jungs hatte er Angst.“

„Und auch das haben sie bestimmt herausgefunden“, vermutete Ikar.

„Mit acht bekamen wir getrennte Zimmer. Alles wurde renoviert. Natürlich hat Mutter dabei die Kleider gefunden“ Dieses mal überwältigten die Emotionen ihn nicht so weit, dass er mit dem Flechten aufhörte, allerdings glänzten Yamis Augen verräterisch. „Sie hat die Kleider im Kamin verbrannt. Vor Yugis Augen. Er hat geschrien und geheult und gebettelt, aber sie hat kein einziges übrig gelassen. Und das erste mal in meinem Leben hat mein Vater mich geschlagen.“

„Weil sie meinten, du hast ihn dazu angestiftet?“ Noahs Stirn lag in tiefen Falten. „Wie kann man … ich gebe zu, wenn Isamu mir irgendwann erzählt, dass er Mädchenkleider haben will, dann … das würde mich auch sehr verstören. Ich glaube auch, dass ich es im ersten Moment verbieten würde. Aber wenn ein Kind das fünf Jahre lang macht, dann sollte man sich doch irgendwann Gedanken machen.“

„Sollte man“, stimmte Yami zu. Was er gerade flocht, sah extrem kompliziert und sehr artistisch aus. Als würde er Shizuka eine Krone aus Haaren basteln. „Yugi hat nie wieder nach einem Kleid gefragt. Nicht einmal, als wir allein waren. Es hat nicht mehr gelacht und kaum noch gelächelt. Er vernachlässigte all seine Hobbys, sprach nicht mehr mit seinen Freundinnen und wehrte sich nicht mehr, wenn die Jungen ihn schikanierten. Ich habe alles versucht. Ich habe die Jungen verprügelt, habe mich mit ihm zu den Mädchen gesetzt, habe Sportarten und Spiele und alles mögliche mit ihm gemacht, aber … er war wie tot. Und ich konnte ihn nicht mehr aufwecken.“

Geschlecht

Ich sehe, ich war erfolgreich mit Andeutungen im letzten Kapitel :) Oder DS wird nur noch von sehr schlauen Leuten gelesen. Ja, Yugi ist transsexuell. Und hier die weitere Ausführung:
 

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„Aber wir haben Karten gespielt“ Ikar lehnte sich vor, die Ellbogen auf den Knien. „Er liebte Magic&Wizards.“

„Ja, hatten dich deine Eltern nicht gezwungen, das aufzugeben, weil er es so mochte?“ Katsuya, der zu seinem Verlobten gesehen hatte, wandte sich wieder zu Yami.

„Das war … nun, ich kam mit dreizehn in die Pubertät. Yugi theoretisch auch. Ich fand das toll. Ich wollte schon lange größer werden. Und die Älteren hatten mir erzählt, was man mit gewissen Körperteilen so anfangen konnte, das klang sehr spannend in meinen Ohren.“

Shizuka kicherte erneut und bewegte dabei den Kopf, wodurch sie beinahe Yami eine Strähne aus der Hand zog. Katsuya grinste nur. Das klang definitiv nach Yami.

„Yugi fand es schrecklich. Er hasste seinen Körper. Für die Mädchen war er zu jungenhaft und die Jungs nannten ihn alle Schwuchtel, weil er so weiblich war. Und jetzt kamen Hormone und ungewollte Erektionen und der restliche Mist dazu“ Yami atmete tief durch. „Mir ist das erst gestern klar geworden, als ich das alles nochmal erzählte, dass Yugi damals seinen ersten Selbstmordversuch gemacht hat.“

Shizuka zog scharf die Luft ein und sah auf, wodurch sie Yami wirklich die Haare aus den Händen riss. Sie entschuldigte sich schnell, als sie es bemerkte und saß wieder still. Mit ein wenig Suchen konnte Yami die Strähnen wieder aufnehmen und fuhr fort: „Er hat auch Tabletten genommen damals. Ritzen war in unserer Zeit praktisch unbekannt und Drogen wurden auch noch nicht auf dem Schulhof vertickt, demnach waren Tabletten das Mittel der Wahl. Natürlich hat er sich einfach nur ein paar Stunden ins Krankenhaus gebracht und unsere Eltern sind mit einer Rüge davon gekommen, den Kindern zu erklären, dass sie nicht an den Medikamentenschrank dürfen, das seien keine Süßigkeiten. Selbstmord bei einem Dreizehnjährigen schien für die meisten Ärzte undenkbar.“

„Das heißt, Yugi ist seit dreizehn Jahren chronisch suizidal?“, fragte Seto nach. Ja, Seto, Katsuya erkannte die Stimme sofort, sie war einen Hauch tiefer als die von Ikar. Außerdem hatte Seto einen weit emotionsloseren Tonfall als Ikar. Er warf einen Blick zum Sessel, um sich zu versichern. Jupp, überschlagene Beine, Hände, die sich nur an den Fingerspitzen berührten und ein angespanntes Gesicht. Hundert Prozent Seto.

„Sieht so aus“ Yami beendete die Haarkrone und steckte die Enden unter das restliche Haar mangels eines Haargummis. Er setzte sich neben Katsuya auf die Sofalehne. „Ich habe das damals auch nicht verstanden, dass das ein Suizidversuch war, aber zumindest war mir klar, dass es Yugi schlecht geht. Also habe ich meinen Eltern gesagt, ich würde gern einen Job als Zeitungsträger annehmen, um von dem Geld meiner Freundin etwas schenken zu können.“

„Und in Wirklichkeit ...“, murmelte Noah leise.

„Habe ich Yugi neue Kleider gekauft. Und Schmuck. Und Schminke. Und ich habe sie in meinem Zimmer versteckt. Ich würde eh den Ärger kriegen, wenn Mutter das Zeug finden würde. Also hoffte ich, dass ich so zumindest Yugi vor ihrem Zorn bewahren konnte. Ich habe Yugi die Sachen gezeigt, ich habe mein Zimmer immer offen gelassen und mich ansonsten mit meinen Freunden getroffen. Ich habe keine Ahnung, ob er die Sachen jemals angerührt hat. Aber er hat auf jeden Fall wieder am Leben teilgenommen.“

„Du hast ihm das Leben gerettet“ Noahs Aussage klang nicht einen Deut unsicher. Es klang eher vollkommen überzeugt.

„Vielleicht“ Yami seufzte. „Magic&Wizards war sein erstes großes Hobby danach. Er hat sogar beim Sport mitgemacht und wieder gegessen. Er … hatte gehungert, damit sein Körper weniger Testosteron herstellt und nicht wächst“ Er sank auf die Couch neben Katsuya und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. „Shit … hätte ich ihn im Oktober nicht so behandelt, wäre er jetzt vielleicht nicht in der Psychiatrie.“

„Yami, du warst sauer“ Katsuya legte einen Arm um ihn. „Du darfst sauer sein, weißt du? Trotz all dem redet er, als sei das Wort eurer Eltern heilig. Da wäre ich auch sauer. Du hast nicht ein einziges Wort gegen ihn gesagt damals. Du hast nur über eure Eltern geschimpft und dass er sich jetzt genau so verhält. Du hast recht, das sollte er eigentlich besser wissen.“
 

„Andererseits hättest du ihm auch einfach ein Kleid vor die Nase halten können statt zu versuchen, ihn mit Worten zu überzeugen“ Setos Blick schien irgendwo ins Nirgendwo gerichtet.

„Seto, nicht hilfreich“, ermahnte Katsuya und legte seine Arme um Yami.

Dieser drückte sein Gesicht in dessen Schulter, als könnte er damit die böse Welt um sich herum einfach vergessen. Wie ein Kind, dass sich die Augen zuhielt und glaubte, dadurch könnte man es nicht mehr sehen.

„Nun ja, wenn er wirklich transgender ist – und so hört sich das an – dann wird er irgendwann seinen Selbstmord schaffen, wenn er nicht anfängt, seine eigenen Wünsche zuzulassen. Und dazu gehören anscheinend Kleider und Schminke“ Die blauen Augen richteten sich auf Yami. „Hat der Doc schon etwas dazu gesagt? Sollen wir ihm ein Regal Kleider in die Abteilung schicken?“

Yami schien nicht mitbekommen zu haben, dass man ihn angesprochen hatte. Vielleicht hatte er es wirklich geschafft, die Welt um sich herum auszuschalten. Normalerweise hatte er nur dissoziative Zustände nach einer Vergewaltigung, aber er hatte noch nie vorher wirklich von seiner Familie erzählt. Das könnte ein zweiter solcher Fall sein.

„Hey, Yami“ Katsuya schüttelte sanft dessen Schulter. „Yami?“ Er drückte den anderen ein Stück von sich, sah in dessen Augen und lehnte ihn wieder gegen sich. „Dissos.“

„Kein Wunder“ Seto seufzte und erhob sich. Mit ein paar Schritten war er bei Katsuya und hob Yami hoch, als wäre er ein kleines Kind. Ehrlich gesagt sah Yami – zusammengerollt wie er war – in Setos Armen auch aus wie ein kleines Kind. Der Brünette kehrte zu seinem Sessel zurück und drapierte Yami auf sich so, dass es ansatzweise komfortabel aussah.

„Diesen … Zustand“ Noah nickte in Yamis Richtung. „Das habe ich außer bei euch noch nie bei einem Menschen gesehen. Aber bei euch scheint das … häufiger.“

„Derealisierung“ Seto hatte wie immer kein Problem auf Lehrermodus umzuschalten. „Es ist der stärkste psychische Abwehrmechanismus des Körpers gegen alles, was keinen physischen Schmerz zufügt“ Shizuka sah verunsichert zu Katsuya, während Seto sprach. Plötzlich wirkte sie ganz verloren allein auf dem Stuhl. Katsuya winkte sie zu sich und setzte sie auf seinen Schoß. „Depersonalisation, das hast du bestimmt schon oft gesehen und selbst erlebt. Es ist die Fähigkeit des Kopfes, die Empfindungen des Körpers zu minimieren oder sogar abzuschalten. Jedes mal, wenn du dich verletzt, dann wird der Schmerz nach ein paar Momenten weniger. Das ist Depersonalisation. Es reguliert den menschlichen Sinn des Fühlens. Derealisation reguliert alle anderen. Sicht und Gehör setzen als erstes aus, dann Geschmack und Geruch.“

„Das verstehe ich“ Noah nickte. „Das habt ihr mir jetzt mehrfach erklärt und ich habe es mehrfach gesehen. Aber warum sehe ich das nur bei euch?“

„Würdest du einem Autounfall zusehen oder bei einem Banküberfall dabei sein, würdest du es öfter sehen“ Seto strich mit einer Hand Yamis Rücken auf und ab. „Es ist die Reaktion, wenn einem Menschen die Realität absolut zu viel wird. Die meisten verlassen vorher den Raum oder schreien die Personen an, um die auslösende Situation zu beenden. Oder wenn sie geübt sind, dann bitten sie vorher, ein gewisses Thema zu vermeiden. Sie weinen oder halten sich die Ohren zu oder irgendetwas anderes. Das hier ist wirklich die letztmögliche Reaktion des Körpers auf Überlastung.“

„Nun, dann … ehrlich gesagt verstehe ich es dann noch weniger“ Noah schüttelte den Kopf. „Bei dir ist das wie ein Kippschalter. Du springst von Unwohlsein sofort zu diesen … Zuständen. Katsuya das eine mal auch, das ich miterlebt habe. Und Yami jetzt auch.“
 

„Ich auch“, murmelte Ryou leise. Katsuya zuckte fast zusammen. Ryou hatte die ganze Zeit neben ihm gesessen, aber er hatte seine Anwesenheit vollkommen vergessen. Ryou schien einfach mit dem Möbelstück verschmolzen zu sein, so wenig Präsenz hatte er.

„Nun“ Seto schluckte und wandte den Blick ab. „Das kommt daher, dass wir vier alle wiederholt in Situationen waren, wo wir körperlich und seelisch in Todesangst waren und nicht entkommen konnten. Es … es trainiert diesen Abwehrmechanismus ein wenig an.“

„Ich hatte länger keine Dissos mehr“, fiel Katsuya auf, „und Yami hat auch sehr selten welche.“

„Ja, ihr seid beide etwas stabiler“ Seto sah auf den jungen Mann in seinem Arm. „Es sind über vier Monate vergangen, seit du hier wohnst und knapp drei seit der Verhandlung. Dein Geist gewöhnt sich daran, etwas mehr Frieden zu haben.“

Bamm.

Katsuya blinzelte. Natürlich! Was war er für ein Idiot! Der beste Beweis, dass Seto ihm nicht über den Kopf wuchs, war ganz einfach: Weder nahm er Drogen noch hatte er Dissoziationen. Er hatte kein Bedürfnis, aus der Realität zu flüchten.

„Und Yamis auch“, fuhr Seto fort, der von Katsuyas Erkenntnis natürlich nichts mitbekommen hatte, „Spätestens mit dem Umzug hat er einen Strich unter das Leben gesetzt, in dem die Realität regelmäßig unerträglich war.“

„Das heißt, bei Katsuya wird das gar nicht mehr passieren und bei Yami könnte das auch das letzte mal sein?“, fragte Noah interessiert nach.

„Man sollte niemals nie sagen“ Seto seufzte. „Man weiß nie, was das Leben einem entgegen wirft“ Sein Blick kam auf Katsuya zu liegen. Der Blonde überlegte einen Moment, aber der Blick schien zu sagen, dass Seto etwas Bestimmtes meinte. Hm … wenn er raten müsste, würde er sagen, Seto spielte auf die Testergebnisse an. Ihm machten die Diagnosen mehr Angst als Katsuya selbst, so viel hatte er schon mitbekommen. „Aber ja, es besteht die Möglichkeit, dass es nicht wieder passiert.“

„Nun, dann freut es mich sehr, dass es euch beiden anscheinend besser geht“ Noah warf Katsuya ein Lächeln zu, das dieser erwiderte. Shizuka legte ihre Arme um ihn und lächelte ebenfalls. „Und können wir Yami gerade irgendwie helfen?“

„Sollen wir dir helfen?“, fragte Seto mit einem eher amüsierten Lächeln und hob Yamis Kopf mit einer Hand unter dessen Kinn.

„Nein“, flüsterte dieser und sah sich etwas verwirrt um, „warum sitze ich bei dir?“

„Weil ich ein eifersüchtiger Mensch bin und du dich um meinen Freund geschlungen hast“, erwiderte Seto ohne einen Funken Scham in der Stimme, „Dissoziationen oder nicht, das mag ich nicht.“

„Entschuldige“ Yamis Blick sank zu Boden.

„Mann, Seto, jag' ihn nicht gleich in die nächste Phase“ Katsuya schubse Shizuka etwas grob von seinem Schoß an seine Seite, stand auf und brachte Yami seinen halb leeren Becher Kakao. „Hier, trink etwas. Das belebt.“

„Das war ein sehr erwachsener Umgang“, lobte Noah währenddessen Seto.

„Vielleicht sollte ich doch lieber eine Szene machen. Katsuya kriegt das nicht ansatzweise mit. Übertreibe ich?“, fragte dieser zurück.

„Ein bisschen“ Noah lehnte sich zur Seite und legte eine Hand auf die Schulter seines Bruders. „Du kannst ja eine Szene machen, wenn die Situation etwas weniger angespannt ist.“

Seto schnaubte nur.

„Was ist?“, fragte Katsuya etwas verwirrt.

„Nichts. Geh ihm doch noch einen Kakao kochen und dann löffel es ihm in den Mund statt ihm ganz unpersönlich einen Becher zu reichen“ Setos Gesicht blieb abgewandt.

„Seto, keine Szene“, wies Noah ihn zurecht.

„Schon gut“ Yami gab Katsuya den Becher und erhob sich vorsichtig, da seine Beine wackelig schienen. „Ich koche welchen. Das bringt auf andere Gedanken.“

Katsuya sah ihm besorgt nach und schoss einen kurzen wütenden Blick zu Seto, bevor er sich auf den Stuhl setzte, der durch Shizuka frei war.
 

„Und was genau heißt das jetzt für Yamis Bruder?“, fragte Shizuka, die sich über Ryou beugte und Isamu von Ryous Schoß nahm. Der schien mittlerweile zu schlafen und war sehr unbeeindruckt davon, von einem Arm in den nächsten zu wechseln.

„Transgender?“ Seto wartete auf ihr vorsichtiges Nicken, bevor er weiter sprach. „Man weiß nicht genau, woher das kommt. Es scheint nach derzeitigen Erkenntnissen eine Entwicklungsstörung im Mutterleib zu sein. Das Gehirn bildet sich sozusagen mit einem falschen Geschlecht aus. Wir lernen unser Geschlecht und einige Verhaltensweisen nicht mit der Zeit sondern sie sind angeboren. Im Fall einer Person, die transgender oder bekannterweise als transsexuell bezeichnet wird, stimmt das Geschlechtsverständnis des Gehirns nicht mit dem angeborenen äußeren Geschlecht überein. Meistens bemerkt man das schon in der frühen Kindheit, einige Kinder äußern sogar ganz klar, welchem Geschlecht sie angehören und dass sie ihre Geschlechtsteile nicht haben wollen. Yugi scheint überzeugend eine Frau sein zu wollen“ Seto zuckte mit den Schultern. „Mir ist es egal, welches Geschlecht er oder sie hat, solange er damit glücklich ist. Ob er jetzt Frauenkleider trägt, Hormone nimmt oder sich umoperiert, ist mir eigentlich gleich. Er soll nur aufhören, sich töten zu wollen.“

„Umoperieren?“, piepste Katsuya und spürte eine Art Phantomschmerz in seiner unteren Region. Sich die Geschlechtsteile abschneiden? Wer zur Hölle war so verrückt? Und was bekam er stattdessen? Eine Gebärmutter? Ging so etwas?

„Soll ich dir die Technik erklären?“ Ein böses Lächeln legte sich auf Setos Züge.

„Ich verzichte“ Katsuya drückte die Beine zusammen.

„Ich will das auch nicht hören“, gab Noah zu und versuchte seine entgleisten Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu kriegen.

„Mich interessiert das schon. Erklärst du es mir?“, fragte Shizuka nach.

„Aber sicherlich“ Seto lächelte und sah mit einer Intensität zu ihr, als wäre sie die einzige im Raum. „Die Hoden werden natürlich vollständig entfernt. Aus den Hodensäcken werden die großen Labien moduliert-“

„Ich muss dringend Kakao kochen!“ Katsuya sprang auf und raste in die Küche. Wenige Schritte hinter ihm folgte Noah, der auch direkt die Wohnzimmertür hinter sich zuzog. Im Flur sahen sie sich einen Moment mit geteiltem Entsetzen an, bevor sie sich zu Yami drehten, der in die Küchentür getreten war.

„Alles in Ordnung mit euch?“

„Seto- Seto- er … ich will nicht drüber nachdenken“ Katsuya schüttelte den Kopf, was in ein Schütteln des ganzen Körpers überging.

„Mein Bruder erklärt meinem Zögling, wie man sich von einem Mann in eine Frau umoperiert“, brachte Noah mit Ekel in der Stimme hervor.

„Äh … und?“ Yami sah zwischen ihnen beiden hin und her.

„Das ist krank!“ Katsuya sah mit geweiteten Lidern auf. „Wer macht denn so etwas?“

„Jemand, der von seinem eigenen Körper angeekelt ist“, erwiderte Yami mit völliger Ruhe.

„Kann man nicht … kann man das nicht irgendwie behandeln, dass er seinen eigenen Körper akzeptiert?“ Katsuya lehnte sich etwas an die Wand neben sich. „Muss er sich gleich verstümmeln?“

„Besser verstümmeln als töten“ Yami hob nur eine Augenbraue. „Ich habe lieber eine infertile Schwester als einen toten Bruder“ Er verschränkte die Arme. „Und wie viel Behandlung brauchst du, um nur noch Frauen hübsch zu finden und dich vor Geschlechtsverkehr mit Männern zu ekeln?“

„Das … das hat doch gar nichts miteinander zu tun“, murmelte Katsuya und sank etwas in sich zusammen.

„Doch, das ist genau dasselbe. Du wurdest bisexuell oder schwul geboren, das ist ein Teil von dir. Meine Schwester wurde in einem Männerkörper geboren. Ich werde Yugi deswegen nicht ausreden, ein Mädchen zu sein, das haben unsere Eltern zur Genüge getan.“

Schwester

Ich weiß, dass ich bei extensiven Lernen in ansatzweise depressive Phasen verfalle. Das führt natürlich dazu, dass ich noch schlechter lerne. Lösung ist, etwas zu machen, was nicht mit Lernen zu tun hat. Aber das löst Schuldgefühle aus, dass ich nicht lerne. Und das löst Genervtheit aus, denn warum sollte ich mir nicht mal Freizeit gönnen? Aber diese Mischung aus Genervtheit und Schuld sorgt dafür, dass ich Entspannung nicht genießen kann und im Endeffekt Dauerlernen weniger auf die Psyche schlägt als zu versuchen, Freizeit zu machen.

Und ist das nicht vollkommen bescheuert?

Und das Schlimmste ist, dass es erst nächstes Jahr April vorbei ist T.T Manchmal hasse ich mein Studium.

Na ja, euch währenddessen viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
 

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„Bitte entschuldige, wenn uns der Gedanke an … derartige körperliche Veränderungen etwas fern erscheint“, versuchte Noah diplomatisch zu intervenieren, „mein Bruder scheint sich wie immer selbst mit den obskursten Themen auszukennen. Wir beide“ - er deutete auf Katsuya und sich - „wurden etwas überrascht.“

„Ich bin ja auch nicht böse“ Yamis verschränkte Arme und seine verengten Lider sprachen eine andere Sprache. „Ein Drittel aller Eltern würde ihre Kinder lieber einsam, unglücklich und ohne Beziehung sehen als in einer glücklichen homosexuellen Ehe mit Kindern. Es scheint also nur natürlich zu sein, Yugi lieber als Mann sterben als als Frau leben zu sehen. Meine Eltern haben mir diese Philosophie eine ganze Kindheit lang vorgelebt, also wer bin ich, Menschen für diese Denkweise zu verurteilen?“

Katsuya schluckte und wandte den Blick ab.

„Nun beruhige dich mal“ Noah atmete tief durch und legte eine Hand an seine Taille. „Dass mich der Gedanke schockt, Geschlechtsteile umoperieren zu lassen, heißt nicht, dass ich deinen Bruder lieber tot sehen würde. Ich weiß überhaupt nichts über solche Sachen, aber wenn die Wahl Operation oder Tod ist, dann wählt man natürlich die Operation. Bei Krebs wäre das nicht anders.“

Katsuya nickte nur. Seine Gedanken schienen gerade still zu stehen, aber Noahs Worte hörten sich sinnvoll an. Er hätte nicht ansatzweise gewusst, was er sagen sollte.

„Entschuldige“ Yami lockerte seinen Stand und atmete ebenfalls einmal durch. „Es … erinnert nur.“

„Verständlich“ Noah nickte vorsichtig.

„Die Wahl ist nicht Operation oder Tod. Transgender hat eine riesige Bandbreite. Um glücklich zu sein, wird Yugi wahrscheinlich als Frau leben. Aber ob er sich umoperieren lässt oder ob er nur einige kleinere Operationen macht oder sogar nur Kleider trägt, das wird er dann entscheiden. Nur wenn er seine Bedürfnisse weiter verneint, wird das irgendwann dazu führen, dass er sterben wird.“

„Damit kann sicher jeder hier wunderbar leben“ Noah legte eine Hand auf Katsuyas Schulter. „Nicht wahr?“

„Hm?“ Katsuya schreckte aus irgendeiner inneren Versackung und sah auf. „Wie?“

„Ob du damit leben kannst, wenn Yugi Frauenkleider trägt?“, wiederholte Noah langsam.

„Ähm … aber er ist Sportlehrer“ Katsuya blinzelte und sah etwas verwirrt zu Yami. „Tragen Sportlehrerinnen so Höschen wie die Mädchen?“

Yami brach nur in schallendes Gelächter aus. Noah blinzelte und ein Hauch von Verzweiflung verzog seine Züge. Katsuya fragte verwirrt: „Was denn?“

„Nichts“ Noah lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Ich habe das Bedürfnis, zu meiner Jahresabrechnung zurückzukehren.“

„Ha … köstlich“ Yami strich sich mit zwei Fingerspitzen über ein Auge. „Soll ich dir noch etwas über Männerstrings und Hodenklammern erzählen, Noah?“

„Nein!“ Der Älteste hielt sich die Ohren zu. „Ich will weder über Operationen in dem Bereich hören noch über sonstige Foltermethoden. Lasst einem Mann seinen Glauben an die Unversehrtheit seiner Manneskraft.“

„Nur noch zehn Jahre und du wirst Viagra brauchen für deine Manneskraft“ Yami grinste und trat an ihnen beiden vorbei zur Wohnzimmertür. „Katsuya, bring doch den Kakao mit“ Er öffnete die Tür. „Seto? Ich muss dir etwas erzählen! Du glaubst nie, was Katsuya jetzt wieder für einen Kommentar gemacht hat ...“
 

„Sind wir denn die einzigen, denen der Gedanke einer Geschlechtsumwandlung etwas ausmacht?“, fragte Noah vorsichtig und seufzte.

„Tja“ Katsuya nickte Richtung Küche und ging hinein, wobei Noah ihm folgte. „Yami ist mit Yugi aufgewachsen. Und er hat für seinen Job öfters mal … ziemlich ausgefallenes Zeug getragen. Und Seto … nun ja, der ist Seto.“

Der hatte eine weibliche Persönlichkeit in seinem Kopf. Es war verstörend genug, seinen Freund weibliche Gesten machen zu sehen. Yugi hatte manchmal welche gemacht, ja, aber ganz selten. Natürlich hatten die Schüler über ihn gelacht, weil er ein Zwerg war, weil er absolut unsportlich und einfach nur zerbrechlich aussah. Aber niemand hatte ihn je als Weib beschimpft. Als Mädchen vielleicht, aber halt nicht, weil er sich weiblich benahm sondern weil er einfach … weil er wie eine kleine Heulsuse aussah. Wenn Imalia draußen war, dann sah man wirklich, dass sich eine Frau in einem Männerkörper bewegte. Aber bei Yugi hatte er nie bezweifelt, dass er männlich war. Also warum? Das wirkte so … es passte einfach nicht. Es hatte nie irgendwelche Anzeichen gegeben.

„Ein Yen für deine Gedanken“, murmelte Noah.

„Ich kann das noch nicht ganz glauben“ Katsuya nahm den fertigen Kakao vom Herd und füllte ihn in eine Kanne um. „Ich meine … Yugi war ein Jahr mein Lehrer. Ich hätte das doch bemerkt, wenn er … wenn er sich irgendwie weiblich benommen hätte. Für mich hört sich das gerade an den Haaren herbei gezogen an, auch wenn ich Yami vertraue, dass es schon so stimmt, was er gesagt hat.“

„Tja“ Noah ließ seine Schultern kreisen. Ihm war die ganze Situation sichtlich unangenehm. „Ich kenne diesen Bruder nicht, ich erlaube mir da kein Urteil.“

„Nicht? Oh, stimmt. Bei der Party damals kannten wir uns noch nicht“ Er hatte Noah erst einige Tage später getroffen.

„Sieht dieser Yugi wenigstens etwas weiblich aus? Könnte er als Frau durchgehen, wenn er Kleider tragen würde? Oder bräuchte er viele Operationen dafür?“

„Ne, das schafft er sofort“ Katsuya schnaubte. „Er ist keine einssechzig groß, hat große Augen wie ein Panda, eine kleine Stupsnase und lange Haare. Er hat eine ähnliche Frisur wie Yami früher. Wenn er kein Gel benutzt und stattdessen ein paar Locken rein macht, hält ihr keiner mehr für männlich. Er hat nicht einmal einen sichtbaren Adamsapfel. Er sieht wirklich so aus, als hätte er nie eine Pubertät gehabt.“

„Nun, das klingt unkompliziert“ Noah nickte. „Wenn er seine Kleidung und seinen Arbeitsplatz ändert, dürfte das für den Anfang reichen.“

„Und Seto könnte beim Schulamt den Wechsel überwachen, sodass er mit einem weiblichen Namen bei einer neuen Schule ankommt“ Katsuya nahm die Kanne und ging Richtung Wohnzimmer. „Eigentlich ist das erstaunlich unkompliziert … Bakura kann sicher problemlos jeden Ausweis fälschen, wenn Ryou ihn darum bittet.“

„Man kann Namenswechsel beantragen, so weit ich weiß.“

„Zeit und Geld“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Den offiziellen Kram kann man nachholen.“

„Deine Kontakte zur Unterwelt haben dich nicht zum Besseren verändert.“

Katsuya stoppte. Er erstarrte. Er drückte den Impuls, sich umzudrehen und Noah eine Faust ins Gesicht zu setzen. Er schluckte stattdessen. Atmete tief durch. Zwischen zusammen gespressten Zähnen quetschte er hervor: „Sag das nie wieder.“

„Ah … entschuldige“ Noah hob vorsichtig die Hände.

Katsuya ging resolut weiter.
 

„Na, beruhigt?“ Seto lächelte, bevor das Lächeln auf seinen Lippen plötzlich erstarb und er die Arme nach Katsuya ausstreckte.

Hypersensibelchen. Der Blonde stellte die Kanne ab und ging mit einem leichten Lächeln zu seinem Freund, um sich auf dessen Schoß zu setzen. Da sollte nochmal irgendwer behaupten, sein Freund sei ein Eisklotz und hätte das Mitgefühl eines Backsteins. Nur weil er seine Sensibilität selektiv wegschalten konnte, hieß das nicht, dass er keine hatte.

„Was hast du jetzt wieder gesagt?“, fragte Yami leise in Noahs Richtung.

Dieser winkte nur ab und setzte sich mit einem Seufzen. Shizuka reichte ihm Isamu, der in Spiellaune war und sich immer wieder aus dessen Armen zu drehen versuchte. Ryou nahm sich die Kanne Kakao und schenkte allen ein.

„Wenn ich also meine Frage wiederholen darf, was machen wir jetzt bezüglich Yugi?“, wandte sich Seto an Yami.

„Erstmal nichts“ Dieser nickte langsam und sah grob in Richtung des Bücherschranks. „Der Doc wird mit Yugi darüber sprechen. Und natürlich wird der alles abstreiten. Entweder wird er sich selber in ein paar Tagen fangen oder der Doc kriegt ihn zum Reden oder er stimmt irgendwann einem Gespräch mit mir zu. Und wenn nichts davon funktioniert, wird er entlassen und wir versuchen das Ganze nochmal nach dem nächsten Selbstmordversuch.“

Noah seufzte tief.

„Weckt Erinnerungen?“, fragte Seto nur.

„Warum hast du damals plötzlich mit deinen Versuchen aufgehört?“ Noahs Stimme war dünn und leise, als hätte er Angst, mit der Frage etwas kaputt zu machen.

„Weil du meintest, ich soll mir ein Hobby suchen. Also habe ich alle Jungs der Oberstufe durchgevögelt. Das hat recht effektiv von meinen Selbstmordtendenzen abgelenkt. Das war damals ein sehr guter Vorschlag.“

Noah schnaubte leise und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß, das war nicht das, was du dir vorgestellt hast. Aber du warst der einzige Mensch, der je den Vorschlag gemacht hat, dass ich mal etwas tun sollte, was ich gerne mache. Alle anderen sagten immer nur, was ich nicht tun sollte, aber ich hatte keine Ahnung, was ich tun soll, wenn ich mich nicht umzubringen versuchte. Ich hatte zwar auch keine Ahnung, was ich gern machen könnte, aber die Jungen in meiner Klasse erzählten alle, dass Sex das Tollste der Welt sei. Also habe ich damit angefangen.“

„Nun ja“ Noah atmete tief durch. „Im Endeffekt war es mir wohl lieber als die Selbstmordversuche.“

„Und schau, dreizehn Jahre später habe ich nun doch auch gelernt, was eine liebevolle Beziehung ist“ Seto legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter. „Und dass es bei Sex nicht darum geht, den anderen nieder zu machen.“

„Für die meisten Menschen ist so etwas selbstverständlich“ Noahs Stirn legte sich in Falten.

„Hm“ Setos Blick fuhr erst zu Yami, dann zu Shizuka und schließlich zu Ryou. „Ich würde sagen, du bist in der Unterzahl mit dieser Erfahrung.“

„Ich weiß“ Noah nickte nur. „Euren Gesprächen zuzuhören ist manchmal, als wäre ich in einer völlig anderen Welt oder käme von einer anderen Spezies. So viele Dinge sind für mich selbstverständlich … und das, obwohl ich mehrere Jahre mit dir gelebt habe.“

„Du hast damals aber auch nie versucht, mich zu verstehen. Du warst verstört, was ich alles getan habe, aber du hast dir einfach vorgebetet, dass ich krank bin und nicht darüber nachgedacht, warum ich das alles tue.“

Noah öffnete den Mund, als wolle er widersprechen, doch schloss ihn nach einem Moment mit einem Seufzen wieder. Im Endeffekt nickte er nur und erwiderte: „Du hast mir zu viel Angst gemacht.“

„Ich konnte mit mir selbst nicht leben. Da kann ich kaum von dir verlangen, dass du es konntest. Du warst auch nur ein Kind.“

„Ich war achtzehn“, widersprach Noah.

„Kind“, neckte Seto ihn nur grinsend.
 

„Aber bist du sicher, dass wir nichts weiter tun sollten?“, wechselte Seto urplötzlich das Thema und wandte sich wieder zu Yami. „Ich würde ihm einfach ein Kleid schicken. Ich denke, das dürfte seinen Denkprozess stark beschleunigen. Man kann viel verdrängen, wenn man nicht eine ständige Erinnerung an.“

„Und du hältst es für sinnvoll, ihn zu destabilisieren?“, fragte Yami abfällig.

„Warum nicht? Jetzt ist er schließlich gerade in der geschlossenen. Es ist nicht so schrecklich leicht, dort Selbstmord zu begehen, wenn man keinen starken Willen hat. Und den scheint er nicht zu haben.“

„Nun … schon, aber …“ Yami biss sich von innen in die Wange. „Was, wenn sie ihn dann destabilisiert entlassen müssen? Wenn seine Eltern das Kleid dann beim Packen finden?“

„Weil wir ja sehen, wie gut es ist, den Status quo beizubehalten“, argumentierte Seto dagegen.

„Was, wenn wir ihn dadurch zwingen? Was, wenn er für sich entschieden hat, als Mann leben zu wollen? Dann wäre so etwas sehr verletzend. Wir wissen nicht einmal, ob der Selbstmordversuch irgendetwas mit seiner – wohl bemerkt – möglichen Transsexualität zu tun hat. Wir wissen nicht mal, ob das etwas miteinander zu tun hat“ Yami atmete tief durch und schien mit den Augen etwas zu suchen, als würde er weitere Argumente in der Luft finden. „Außerdem weiß er doch gar nicht, dass jemand außer mir irgendetwas darüber weiß. Wie beschämend wäre das, wenn du ihm ein Kleid schenkst? Und es könnte genau den gegenteiligen Effekt haben. Dass er es noch mehr ablehnt.“

„Wovor hast du Angst, Atemu?“, schnitt Seto in diesen Monolog.

Yamis Mund fiel zu. Sein Blick senkte sich zu Boden. Er antwortete nur mit einem Flüstern: „Meinen Bruder zu verlieren.“

„Du hast ihn schon verloren. Das erste mal, als eure Eltern seine Sachen verbrannt haben. Das zweite mal, als du ihn geschlagen hast. Das, was er jetzt ist, ist ein Mensch, den du nicht aushältst. Also was erzählt dir dein Kopf? Wenn ich mich nur mehr anstrenge, dann könnte ich auch sein jetziges Ich mögen? Wenn ich mich nur genug anstrenge, mögen unsere Eltern mich vielleicht doch?“ Absolutes Schweigen. Katsuya betrachtete seinen Freund mit Entsetzen, aber er wagte es nicht, ihn aufzuhalten. „Wie wäre es, wenn du deine Kraft lieber darauf richtest, den verlorenen Bruder wieder zu kriegen, den du liebtest?“

Katsuya schwankte dazwischen, Seto zu küssen und ihm eine runter zu hauen. Wie konnte er nur so etwas Verletzendes sagen? Selbst wenn es stimmen mochte, das war … das konnte er doch nicht machen.

„Vielen Dank“ Yami hob den Blick. Aus beiden Augen rannen Tränen. „Du machst einen wunderbaren Aushilfs-Bakura. Man merkt praktisch gar nicht, dass er nicht da ist“ Er schüttelte den Kopf und atmete dabei durch den Mund. „Du bist so ein Arschloch.“

„Die Wahrheit ist nunmal leider meist sehr verletzend. Es hilft nicht, wenn man vor ihr davon läuft“ Setos Blick wandte sich zu Ryou. „Und das war sogar original von deinem Bruder.“

„Und es reicht, wenn wir einen von der Sorte haben“, entschied Katsuya, „Ryou, dein Bruder ist uns wieder willkommen. Ich will nicht, dass mein Freund anfängt, zu einem asozialen Arschloch zurück zu mutieren.“

Der Junge nickte nur etwas perplex.

„Du wirst gar nichts tun“, bestimmte Yami hart, „meinetwegen schicke ich ihm ein Kleid. Mehrere. Ich habe genug. Aber du wirst erstmal keinen Kontakt mit Yugi haben.“

„Ja, Mutter Henne“ Seto hob eine Augenbraue.

„Ich fasse es nicht, wie nett und höflich du gewirkt hast, solange Bakura neben dir stand“ Yami schüttelte den Kopf. Katsuya unterstützte das mit einem Nicken und stand von Setos Schoß auf.

Neben Bakura hatte Seto erstaunlich zahm gewirkt.

Ein Recht verletzt zu sein

Ich bin mit meinem blöden Buch durch! Endlich! Knapp 4000 Seiten und ich habe sie alle gelernt.

Während ich also feiere, schmeiße ich ganz schnell (frühzeitig) ein Kapitel in die Runde in der Hoffnung, dass es früh für euch on ist ^.^ Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Na, seid ihr mit dem Lernen voran gekommen?“, grüßte Ayumi.

Katsuya stöhnte nur gequält und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Gab es denn in ihrem Leben nichts anderes außer Lernen und Arbeiten? Ryou tätschelte ihm beruhigend die Schulter.

„Ich habe meine Vokabeln mit deiner Lernmethode versucht“ Karin hielt einen Stapel Karteikarten hoch, die sie schon seit ihrer Ankunft durchging. „Hat echt gut funktioniert.“

„Wann findet ihr die Zeit, so etwas zu schreiben?“ Katsuya sah mit einem Hauch von Verzweiflung die sicher fünfhundert Karten an, die sie auf ihrem Tisch in mehreren Stapeln ordnete.

„Das ganze Schuljahr lang“ Ayumi hob einen Finger. „Lernen beschränkt sich doch nicht nur auf die paar Wochen vor den Prüfungen. Lernen sollte ein ständiger Prozess sein.“

„Ihr macht mich fertig“, murmelte Katsuya nur. So langsam begann er daran zu glauben, dass er es unter die besten Fünfzig schaffen könnte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Ayumi ihn auch in die besten Zwanzig geprügelt hätte, wenn das Setos Bedingung gewesen wäre.

„Sieh es so“ Ryou lächelte aufmunternd. „Es sind für dich nur drei Tage die Woche. Mich fragt Bakura jeden Abend ab. Das macht Seto nicht, oder?“

„Der Kerl hat sie eh nicht alle“ Katsuya schnaubte. Bakura machte es Spaß, andere zu quälen, aber eines musste man ihm lassen: Es hatte meist einen positiven Effekt. Nur bei Ryou war sich Katsuya nicht sicher, ob der Kerl nicht übertrieb.

„Mein so genannter Kerl ist bestens beisammen“ Ryou hob die Nase.

Katsuya blinzelte verwirrt.

„Er sagt, ich soll mir keine Gemeinheiten gefallen lassen sondern direkt etwas sagen. Also werde ich mir auch keine Gemeinheiten über ihn gefallen lassen“, bestimmte Ryou.

„Okay“ Katsuya nickte langsam. „Aber wenn es wahr ist, darf ich es aussprechen, oder? Wie zum Beispiel, dass er super mega aggressiv ist?“

„Das ist er“ Ryou nickte. „Aber nur manchmal. Ehrlich, neunzig Prozent der Zeit ist er ganz ruhig.“

„Es sind die zehn Prozent, die hängen bleiben“ Katsuya lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Und wenn du anfängst, ihn zu verteidigen, könntest du ihm dann auch sagen, wenn er zu weit gegangen ist? Du bist nämlich der einzige, den er dafür nicht mit einem Messer angreift.“

„Dich auch nicht. Nicht mehr zumindest. Und Seto greift er auch nicht an. Genau so, wie er nie einem Kind was tun würde. Shizuka würde er nie angreifen.“

„Zählen wir als Kinder?“, fragte Ayumi nach und zeigte auf Karin und sich.

„Natürlich“ Ryou nickte.

„Also auch, wenn er andere anschnauzt und bedroht, uns tut er ganz sicher nichts?“ Ayumi wollte wohl wirklich auf Nummer sicher gehen.

„Wenn du nicht ihn zuerst angreifst. Also … gefährlich angreifst. Ich glaube, selbst wenn du ihn trittst, wird er das nicht sehr ernst nehmen“ Ryou sah in die Luft, als würde er mehrere Szenarios durchspielen. „Katsuya nimmt er ernst. Meistens zumindest. Aber euch würde er nicht als gefährlich sehen.“

Mitsuki, die von der Seite heran getreten war, hielt Ryou ihr Handy hin. Darauf schien sie etwas getippt zu haben, worauf der Junge auch antwortete: „Yuji sieht er als Gefahr, ja. Er findet, dein Freund behandelt dich nicht gut genug. Er kann ihn deswegen nicht leiden.“

Sie zog erschrocken ihr Handy zurück. Einen Moment lang sah sie es an, bevor sie etwas Neues tippte und es Ryou hin hielt. Er erwiderte: „Weil er für dich Entscheidungen trifft, ohne dich zu fragen und du nicht so verängstigt wärst, wenn er dich gut behandeln würde. Sagt Bakura.“

Sie zog das Handy an ihre Brust und tippelte zurück zu ihrem Platz.
 

„Ich bin so tot ...“, murmelte Katsuya nur und wankte in Yamis Wohnung. „Ich habe noch nie im Leben so viel Stoff in meinen Kopf gedrückt.“

„Man gewöhnt sich daran“ Yami klopfte ihm auf die Schulter und ging in die Küche vor.

„Woran? Das Gefühl, dass der Kopf platzt?“

„Nein, an das Lernen“ Yami schüttete ihm einen Tee ein und gab ihm den Becher. „Je öfter du etwas lernst, desto leichter nimmt dein Kopf es auf. Du wirst sehen, bei der nächsten Prüfungsphase ist es schon viel leichter.“

„Sagt die Theorie“ Katsuya ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Die Praxis sagt, dass ich nicht mehr will. Wir haben erst fünf Lerntage rum und ich will einfach nur, dass es vorbei ist. Ayumi ist schrecklich.“

„Wann hast du Prüfungen?“, fragte Yami nach.

„Ab nächste Woche“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Am Dienstag die erste.“

„Dann ist es doch schon bald vorbei“ Der Ältere setzte sich zu ihm. „Was macht denn dein Stresslevel sonst so? Mit Seto und … all dem anderen?“

Sein Stresslevel … nichts, über das er nachdenken wollte. Punkt eins: Seto. Seto war okay. Kimis Rede hatte echt geholfen. Er sollte sie morgen Abend mal fragen, wann er sie mal besuchen könnte. Er wollte wissen, wie ihr Haushalt so aussah, wie Sasu im normalen Leben war, wie ihr Sohn so drauf war. Irgendwie hatte er das Gefühl, das könnte ihm mit Seto helfen. Und Kimis Sohn kleidete sich als Frau, oder? Vielleicht hatte er dasselbe wie Yugi. Vielleicht konnte ihm das auch da ein bisschen weiterhelfen. Denn ehrlich gesagt verstand er noch nicht ganz, was da mit seinem Mathelehrer los war.

Und das war auch schon Punkt zwei. Yugi. Denn alle Probleme mit Yugi wirkten sich im Endeffekt auf Seto und Yami aus und die beiden waren Katsuyas Stütze. Wenn die Sache mit Yugi die beiden belastete, wirkte das automatisch auf ihn. Nach dem Streit am Sonntag hatte er sich den ganzen Abend schlecht gefühlt.

„Was ist da jetzt eigentlich … zwischen dir und Seto? Du bist ja am Sonntag recht schnell gefahren. Habt ihr … seid ihr noch im Streit, oder …?“

Yami seufzte nur tief und lehnte sich zurück. Er zog ein Bein an und stellte es zu sich auf die Sitzfläche. Nach einem Moment erwiderte er: „Seto hat recht. Ich hänge immer noch daran, es allen recht zu machen und ja keinen Streit zu schaffen. Und er hat auch ein Recht, mir das so heftig zu sagen. Denn ansonsten stelle ich total auf stur oder rede mich da raus. Es muss wehtun, damit ich darüber nachdenke. Und das weiß er auch. Ich mache total zu, wenn man mich kritisiert. Ich würde hundert mal eher weglaufen als mich der Wahrheit zu stellen. Aber gerade braucht Yugi mich und da helfe ich nicht, wenn ich meine eigenen Probleme nicht auf die Reihe kriege. Wir haben gestern telefoniert und es noch mal etwas ruhiger durchgesprochen.“

Katsuya seufzte erleichtert. Hatten die beiden das also schon wieder geklärt. Allen Göttern sei Dank. Wenn Seto und Yami sich anfeindeten, dann … das war die Scheidung seiner Eltern neu aufgerollt. Das war wie diese unendliche Angst, einen dieser Menschen auf immer zu verlieren. So wie er seine Mutter und seine Schwester damals verloren hatte. Das wollte er nie wieder fühlen.
 

„Und das alles jetzt wegen der Frage, ob du ihm ein Kleid schickst?“, fragte Katsuya mit in Falten liegender Stirn.

„Nein, nein, das war nur der Aufhänger. Das hat Seto auch schnell erkannt. Es geht gar nicht darum … es ging darum, dass ich Angst vor Veränderungen habe. Ich habe Angst davor, mich meinen Eltern zu stellen. Und wenn Yugi wirklich zu seiner Transsexualität stehen würde, dann müsste ich das. Ich weiß, dass er dazu zu labil wäre. Und ich habe Angst davor, dass Yugi sich gegen die Überzeugungen unserer Eltern entscheidet. Weißt du … irgendwo in mir ist die klare Überzeugung, dass sie recht haben. Ich weiß, das ist bescheuert, aber meine ganze Welt kippt, wenn ich mir eingestehe, dass meine Eltern Unrecht haben. Denn wo bin ich dann? Was bin ich, wenn ich nicht das schwarze Schaf der Familie bin? Was bin ich … wenn ich einen Wert hätte?“ Yami atmete tief durch und sah in Katsuyas Augen. „Du hast mir beigebracht, dass ich einen Wert habe. Dass Prostitution nicht das einzige ist, was ich kann. Dass ich … dass ich es wert bin, Rechte zu haben. Auf meine Rechte zu bestehen.“

Katsuya nickte.

„Aber gleichzeitig glaube ich immer noch an alles, was meine Eltern gesagt haben. Wenn ich jetzt wirklich verinnerlichen würde, dass sie nicht recht hatten … wenn ich wirklich daran glauben würde, dass ich einen Wert habe, dass ich gut bin ...“ Katsuya nickte weiter, während Yami sprach. „Allein diese Worte nur zu sprechen ...“ Tränen stiegen in Yamis Augen. „Wenn ich einen Wert hätte, was sollte ich über die letzten acht Jahre denken? Ich könnte mit mir selbst nicht leben.“

Katsuya rückte mit seinem Stuhl näher, doch Yami hob nur abwehrend eine Hand. Mit der anderen fuhr er über seine Lider. Er schluckte und atmete tief durch, um die Tränen zu vertreiben. Er murmelte etwas, trank einen Schluck Tee und schloss einen Moment lang die Lider. Schließlich sagte er: „Ich habe mir vorgestern und gestern deswegen die Augen ausgeheult. Es reicht wirklich. Wenn du mich umarmst, heule ich nur nochmal los.“

„Wenn du das brauchst, ist das völlig okay“ Katsuya stellte seinen Becher auf den Küchentisch. Ehrlich, was sollte das? Sonst predigte Yami doch immer, dass man seine Gefühle auslassen sollte. Was war denn jetzt in ihn gefahren?

„Ich will aber nicht“, erwiderte Yami mit einer Stimme, die zu ernst war, um einem trotzigen Kleinkind zu gehören. Eher schien er sich selbst damit überzeugen zu wollen.

„Yami, du hast dich acht Jahre lang prostituiert. Und das hast du gemacht, weil du dich für wertlos gehalten hast“ Der Andere sprang auf und tigerte seine Küchenarbeitsplatte auf und ab, als suche er eine Ablenkung. „Du hast damit aufgehört, als du erkannt hast, dass du mehr wert bist als das. Also wofür willst du dich jetzt hassen oder schämen?“

„Dass ich es nicht früher getan habe!“, schrie Yami und pfefferte seine Holzbretter von der Küchentheke auf den Boden, „warum habe ich acht Jahre dafür gebraucht? Warum habe ich sechsundzwanzig Jahre meines Lebens damit verschwendet, mich selbst zu hassen?“

Katsuya saß nur still da und wartete ab.

Sein bester Freund atmete tief durch, vergrub sein Gesicht in seinen Händen und blieb einen Moment so stehen. Schließlich griff er die Bretter vom Boden, stellte sie zurück und sagte: „Entschuldige, bitte. Ich habe mich gehen lassen.“

„Lass weiter“, forderte Katsuya und rückte seinen Stuhl so, dass er im Zweifelsfall aufspringen konnte, „Du hast ein Recht darauf, wütend zu sein. Deine Eltern haben dir deine Kindheit zerstört und ihr Hass hat dazu geführt, dass du dich acht Jahre lang prostituiert hast. Du hast ein verdammtes Recht darauf, wütend zu sein.“
 

Yami sah ihn an mit einem Ausdruck, der Entsetzen wie auch Unglauben nahe kam.

Mit einem mal wurde Katsuya klar, was für einen Punkt er da getroffen hatte. Natürlich … Yami war immer kontrolliert. Immer. Sei es Wut, sei es Freude, sei es Trauer. Er hatte das alles weggeschlossen. Er hatte Katsuya immer gesagt, er solle seine Gefühle leben und genau das hatte Katsuya getan. Manchmal waren es zu viele, dann hatte er Dissos gehabt, aber allgemein hatte er immer raus geschrien, was in ihm war.

Yami hatte das nie. Yami hatte immer alles irgendwo hin gestopft und weiter gemacht. All die Vergewaltigungen, die er nach ein paar Stunden mit einem Lachen abgetan hatte. Von seinen Eltern war er ohne einen Blick zurück in die Prostitution gegangen. Von der Prostitution war er ohne einen Blick zurück in ein neues Leben gegangen.

Katsuya stellte sich tausend Fragen. Warum hatte seine Mutter die Gewalt zugelassen? Warum hatte sie ihn zurück gelassen? Warum hatte kein Lehrer ihm je geholfen, obwohl seine Lebensverhältnisse bekannt waren?

Yami stellte sich überhaupt keine Fragen. Yami nahm all das, was ihm passierte, als gegeben hin. Er überstand das alles, was er erlebte – nicht, weil er damit umgehen konnte sondern weil er es unterdrückte.

Stärke lag nicht darin, all diese Schläge zu ertragen und weiter zu machen. Stärke lag darin, für diese Schläge Wut, Trauer und Verletzung aufbringen und diese durchleben zu können. Denn sonst war keine Heilung möglich und eines Tages würden all diese Wunden einen einholen.

So wie Yamis es jetzt taten.

Katsuya legte die Arme um den Älteren, der sich weinend gegen seine Brust drückte. Nein, Yami weinte nicht. Eher schrie er, unterbrochen von Schluchzern. Seine Welt fiel zusammen und alles, was Katsuya tun konnte, war ihn aufrecht zu halten.

Die Erkenntnis, dass er einen Wert hatte, hieß all seine Verletzungen als Verletzungen anzuerkennen. Dass das, was er durchlebt hatte, falsch war. Dass er es wert war, besser als das behandelt zu werden als so, wie er behandelt worden war. Katsuya schluckte und versuchte, seine eigenen Tränen zu kontrollieren.

Er wollte für Yami stark sein.

Aber seine eigenen Wunden zogen. Er wusste immer, er war die Behandlung durch seinen Vater nicht wert. Dass sein Vater ihm etwas antat, was er nicht durfte. Vielleicht war es ihm nicht immer klar, aber den größten Teil der Zeit. Seine Mutter hingegen … das hatte er auch nicht verdient. Ihren Hass. Ihre Ablehnung. Ihre Ignoranz seinen Schmerzen gegenüber.

Seto hatte ihm weh getan. Immer wieder. Aber er hatte sich jedes Mal entschuldigt. Er hatte mehrfach die Möglichkeit aufgebracht, dass es Katsuya besser gehen könnte, wenn er nicht in der Nähe wäre. Seto stellte echt viel Scheiße an, aber er wusste selbst, dass Katsuya mehr wert war als das und genau das Gefühl gab er ihm auch.

Seto gab ihm mehr als je ein anderer Mensch ihm gegeben hatte und sagte ihm dennoch, dass er mehr wert war.

Als Katsuya aufschluchzte, fühlte er so viel Dankbarkeit für Seto wie er Wut und Trauer für seine Mutter übrig hatte.

Das Verdrängte

Hatte ich erwähnt, dass ich einen neuen One-Shot hochgeladen habe? Nein? Ich bin recht sicher, dass ich es vergessen habe, hier also der Link zu "Another trial" (englische HP-Fanfic ohne Romanze):

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/321145/
 

Viel Spaß beim Lesen und noch einmal vielen lieben Dank für eure tollen Kommentare! Ihr schafft und lenkt diese Geschichte mit mir (und ich kann euch verraten, dass eure Worte mich dazu gebracht haben, kein Sad End zu schreiben, wie eigentlich mal geplant war...).
 

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Eine Hand auf seinem Arm. Eine zweite, dritte, vierte. An seinen Beinen, seinen Schultern, seinem Hals. Modriger Geruch. Dunkelheit. Sie hielten ihn, packten ihn, zogen ihn.

Schreie.

Gespenstige Schreie in der Nacht.

Und keiner, der ihn hörte.

Katsuya schreckte hoch, orientierte sich einen Moment und sank mit einem gequälten Stöhnen zurück, als er das Schlafzimmer erkannte. Nicht schon wieder … warum hatte er immer noch Alpträume? War es nicht langsam mal gut?

Seto hob müde ein Augenlid und zog ihn an seine Brust. Er nuschelte in das blonde Haar: „Alptraum?“

„Ich wurde auf einem Friedhof von Zombies angegriffen, die mich lebendig begraben wollten“, gab Katsuya zurück und platzierte sich auf Setos Arm. Bei allen Göttern, er hasste seine Träume.

„Schlaf weiter“, brummte Seto nur und schien einen Moment später auch selbst wieder im Land der Träume zu sein.

Katsuya seufzte nur und schloss die Augen. Sagte der Kerl so einfach … Katsuyas Puls war auf bestimmt hundertachtzig. Er legte die Finger auf seinen Hals. Na ja … vielleicht nicht hundertachtzig, aber zumindest hundertzwanzig. Zu viel auf jeden Fall. Er kuschelte sich trotzdem in Setos Arme.

Als er die Lider wieder öffnete, stellte er überrascht fest, dass er wohl doch sofort wieder eingeschlafen war. Zumindest konnte er sich nicht erinnern, lang wach gewesen zu sein und jetzt war es … nun ja, nicht hell, aber der Wecker zeigte halb sieben. Er schob sich hoch und küsste Seto.

Dieser murrte nur und drückte Katsuya von sich weg.

„Aufstehen“, flötete der Blonde gut gelaunt.

„Kaffee“, maulte Seto nur und drehte ihm den Rücken zu.

Katsuya grinste. Wie schön, dass sich manche Dinge einfach niemals änderten. Er schwang sich aus dem Bett und tapste Richtung Badezimmer. Kam selten genug vor, dass er vor Seto wach wurde. Er könnte zur Abwechslung mal Frühstück machen.

„Kats?“, murmelte Seto verschlafen und steckte den Kopf ins Badezimmer.

„Ja, Grummelchen?“ Der Blonde grinste neckisch und trat zu ihm.

Seto gab nur einen definitiv unverständlichen Laut von sich, rieb sich mit einer Hand den Schlaf aus den Augen und sagte schließlich mit wacherer Stimme und Ausdruck: „Ich wollte dich in meine Dusche einladen.“

„Hm?“ Katsuyas Mundwinkel hob sich. „Hat das Hintergedanken?“

„Wenn es diese Reaktion hervor ruft, dann schon“ Seto öffnete die Tür ganz und streckte einladend eine Hand aus. „Darf ich euch entführen?“

„Mit Freuden, oh böser Drache“ Katsuya schmiss das Shirt, das er gerade ausgezogen hatte, auf den Wäschekorb und ließ sich von Seto zurück ins Schlafzimmer ziehen, wo die Tür zu dessen Bad war.

Es sollte nur bloß kein Prinz auftauchen. Er war mit seinem Drachen nämlich fraglos glücklich. Wie gut, dass Märchen nicht wahr wurden.
 

„Shit, ich hab' die Hausaufgaben vergessen“ Katsuya legte mit einem Stöhnen die Hände auf sein Gesicht und hielt einen Moment inne, bevor er sich auf seinem Platz nieder ließ.

„Guten Morgen“ Ryou beobachtete ihn lächelnd. „Hast du sie nicht gemacht oder zuhause gelassen?“

„Völlig vergessen“, murmelte Katsuya nur und seufzte, „bin nach dem Lernen zu Yami, dem ging's nicht so gut, dann kam Seto vom Sport und wir haben gegessen und … dann habe ich's vergessen.“

„Für Englisch mussten wir diesen Text lesen“ Ryou reichte ihm sein Buch. „Die Fragen wirst du auch so beantworten können, falls du gefragt wirst. Chemie und Physik kannst du von mir abschreiben während der Stunde. Sozialwissenschaft hatten wir ja zum Glück nichts auf und Mathe kannst du in der Mittagspause machen.“

Katsuya blinzelte. Jetzt … echt? Er durfte bei Ryou Hausaufgaben abschreiben? Yeah! Grinsend schnappte er sich das Buch, lehnte sich zurück und meinte: „Besten Dank!“

Ayumi, die eine Reihe vor ihnen saß, schüttelte nur den Kopf und murmelte: „Und das so kurz vor den Prüfungen ...“

Ja, ja, er war halt kein sehr tugendhafter Schüler. War nichts Neues, oder? Hey, er hatte fünf Monate jetzt regelmäßig Hausaufgaben gemacht, das war das letzte Mal in der Grundschule passiert. So etwas sollte man zu würdigen wissen. Und er schaffte das sogar ohne Setos Aufsicht. Am Anfang hatte er ja noch jede Hausaufgabe gegen gelesen und kommentiert, aber mittlerweile fragte er nicht einmal mehr, ob Katsuya sie gemacht hatte. Er vertraute darauf, dass er das selbst hinbekam.

Und das tat er ja auch. Meistens. Wenn er etwas nicht hinbekam, fragte er Ryou oder Seto. Und manchmal vergaß er halt etwas. Nichts Schlimmes. Jetzt hatte er einmal seine kompletten Hausaufgaben vergessen, okay … aber es war das erste mal seit Beginn des Schuljahres, verdammt. So schlimm war das nicht, oder?

Er schnaubte. Hilfe … zu Anfang des Schuljahrs hätte er sein jetziges Ich als ekligen Streber beschimpft. Wie Zeiten – und vor allem Menschen – einen doch verändern konnten. Das Beste war, er wusste ganz genau, wenn er es wirklich unter die besten Fünfzig schaffte, dann könnte er sein altes Ich sehr schadenfreudig angrinsen. Denn darauf wäre er früher sehr eifersüchtig gewesen. Nicht, dass er sich hatte anstrengen wollen – aber die Früchte dafür ernten, das schon. Hilfe, er war ein Idiot gewesen.

Die zwei Sportstunden saß er mal wieder höchst gelangweilt auf der Bank. Sein neuer Sportlehrer – und wenn er Yugi in einem sehr vermisste, dann war das als Sportlehrer – sah ihn wie immer schief an, beschwerte sich über das ständige Übertreiben von Ärzten und fragte wie jede Stunde scharf nach, an was Katsuya denn nun erkrankt war, dass er kein Sport machen dürfte.

Und wie jede Stunde schwieg er. Was sollte er schon sagen? Zwei so Krankheiten, für die ich Spritzen bekommen habe und – ach ja – Verdacht auf HIV und Hepatitis C? Katsuya schnaubte. Würde er antworten, wüsste es innerhalb eines Tages jeder Lehrer und innerhalb von zwei jeder Schüler. Danke nein.
 

Er traf Seto etwas abseits vom Schultor, verabschiedete sich von Ryou und verlangte als allererstes eine Umarmung. Seto sagte eh niemals nein zu Körperkontakt, demnach bräuchte er eigentlich gar nicht erst fragen, aber irgendwie tat er es doch lieber.

„Denkst du an die Ergebnisse?“, fragte Seto vorsichtig, während er ihn hielt.

„Ergebnisse?“ Ach ja, die Testergebnisse der Krankheiten. Manchmal war er ein Idiot. „Ne … nur Lehrer und so. Mein Sportlehrer ist ein Arsch.“

„Was hat er getan?“ Seto strich mit einer Hand über seinen Rücken.

„Ach, nichts“ Katsuya drückte sein Gesicht demonstrativ gegen Setos Brust. Blöder Winter … er wollte wieder Sommer, dann hätte Seto weniger an. „Fragt nur jede Stunde wieder, was ich habe und ob ich wirklich nicht mitmachen kann. Er nervt.“

„Wir werden ja gleich wissen, ob du überhaupt noch etwas hast. Komm, lass uns fahren“ Seto küsste sein Haar und packte seine Schultern, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen.

Katsuya zog nur einen Schmollmund, stieg dann aber ein, als Seto zur Fahrerseite ging.

„Hast du Shakespeare für die Wartezeit mitgenommen?“

„Liegt auf der Rücksitzbank.“

Katsuya warf kurz einen Blick über die Schulter und lächelte. Er liebte Seto, hatte er das schonmal gesagt? Jetzt mal ehrlich, wann hatte er das das letzte Mal gesagt?

„Ich liebe dich.“

Seto lächelte und antwortete mit einem kurzen Blick in Katsuyas Richtung.

„Du bist ungewöhnlich ruhig“ Katsuya rutschte ein wenig auf dem Sitz hin und her, da er irgendwie nicht bequem war. „Ich hatte das Gefühl, dir machen die Ergebnisse mehr Angst als mir.“

„Ob mehr, das kann ich nicht sagen“ Seto seufzte leise. „Es macht mir Angst. Aber es macht dir auch Angst und du brauchst mich mehr als meine Panik drückt.“

„Ich hab' keine Angst“ Katsuya grinste schief. „Du hast gesagt, du bleibst bei mir“ Er schluckte und verlor das Grinsen. „Das … gilt noch, oder?“

„Natürlich gilt das noch. Es ist gewissermaßen heuchlerisch, wenn du alle zwei bis drei Monate Selbstmordattacken von mir durchmachst, aber ich Angst vor etwas habe, was mich in ein paar Jahren töten könnte, oder? Nachdem ich mir das vor Augen hielt, schien die ganze Krankheitssache sehr viel weniger schlimm“ Er unterbrach sich selbst mit einem tiefen Durchatmen. „Es macht mir trotzdem Angst.“

Katsuya nickte langsam. Er sah einen Moment aus dem Fenster, bevor er den Kopf senkte. Seine Finger hatte er krampfhaft in der Hose verhakt. Er löste sie, hob sie und beobachtete, wie sie unter seinem Blick bebten. Es war, als würde er etwas beobachten, was zu einem anderen Menschen gehörte.

Er schluckte und meinte: „Ich glaube, ich depersonalisiere.“

Seto sah nicht einmal zu ihm, als er antwortete: „So lange du sagst, dass du keine Angst hast, glaube ich das sofort.“

Katsuya seufzte tief, schloss die Lider und sackte in den Autosessel. Er schaffte es nicht, mit dem ganzen Rücken die Lehne zu berühren. Er kniff sich mit einer Hand in die Schulter und stellte fest, dass seine Muskulatur steinhart war. Nach einem weiteren Seufzen murmelte er: „Shit.“
 

Mit dem Eingeständnis, dass er vielleicht doch Angst hatte, half gar nichts mehr.

Er konnte nicht still sitzen. Er konnte nicht zuhören. Er konnte nicht sprechen. Er tigerte im Krankenhausgang auf und ab und selbst das schien es nicht besser zu machen. Es war zum Verrücktwerden. Warum hatte er plötzlich Angst? Und wovor denn?

Seto blieb bei ihm. Es gab Medikamente. Er würde nicht plötzlich morgen dahinraffen.

Scheiße.

Mit der nächsten Kurve des Auf- und Abwanderns lief er in eine Wand. Er stolperte zurück, hob eine Hand zum Gesicht und wurde von Händen auf seinen Schultern abgehalten, weiter zurück zu gehen. Die Wand stellte sich als recht warm und moderat weich heraus. Nach einem Aufblicken erkannte er Seto.

„Komm her“, verlangte dieser und schloss ihn langsam in seine Arme.

Katsuya seufzte nur tief und ließ sich gegen den Älteren sacken. Ach shit … warum schob er plötzlich Panik? Wo war die die ganze Zeit gewesen? Er hob die Arme und legte sie um den Älteren. Nach einigen Momenten, in denen sich sein Atem beruhigte, legte Seto eine Hand unter sein Kinn und zog ihn so in einen Kuss.

Seto zu küssen war immer schön. Diesmal allerdings fühlte er sich, als würde er auf der Stelle schmelzen. Als würden sich seine Beine jeden Moment auflösen und nur Setos Arm um seine Taille könnte ihn halten.

Eine Krankenschwester trat neben sie und räusperte sich.

Seto ignorierte sie schlichtweg.

Nach einem tiefen Seufzen räusperte sie sich erneut.

Fast entschuldigend strich Setos Zunge über seine, bevor er den Kuss langsam und zärtlich löste. Katsuya sank liebestrunken und für diesen einen Moment völlig zufrieden mit der Welt auf seine Fußballen zurück und beobachtete, wie Setos sanfter Blick zur Krankenschwester fuhr und sich in absolut eiskalte Ablehnung wandelte.

Sie fiepte erschrocken, zog den Kopf ein und machte einen Schritt zurück.

„Verschwinden Sie, wenn Sie nichts Sinnvolles zu sagen haben“, fuhr er sie in völliger Gnadenlosigkeit an.

Katsuyas Stirn legte sich in Falten. Diese Stimme … irgendetwas …

„Wächter?“, flüsterte er, während die Krankenschwester den Flur mehr stolpernd rennend hinter sich brachte als zu gehen.

Der Blick wandte sich ihm zu, noch immer kalt, aber weniger offen ablehnend. Er erinnerte sich an diesen Blick. Als sie sich damals kennen lernten, hatte Seto so oft diesen kalten, teils ablehnenden Blick gehabt. War das etwa damals Wächter gewesen?

War es Wächter gewesen, den er bewundert hatte? Dem er hinterher gestrebt hatte?

In den er sich verliebt hatte?

Der Andere trat einen halben Schritt von ihm, hob eine Hand und legte sie auf Katsuyas blonden Schopf. Er strich darüber, als würde er ein Tier streicheln. Es zauberte dennoch ein Lächeln auf Katsuyas Lippen.

„Herr Kaiba?“, fragte eine Schwester, die gerade um die Ecke getreten war.

„Hm?“ Seto wandte sich um, sah sie nicken und drehte sich zurück zu Katsuya. Seine Hand fiel hinter dessen Kopf zu seiner Taille, so dass Seto ihn daran halten wie führen konnte, sollte es nötig sein. „Lass uns gehen.“

Sein Lächeln war erneut voller Wärme.

Im Namen der Gesundheit

...gehe ich nun schlafen und beantworte eure wunderbaren Kommentare morgen, sobald ich wieder zuhause bin =.= Vielen Dank schon jetzt!
 

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„Herr Kaiba“ Der Arzt schüttelte erst Setos, dann Katsuyas Hand mit einem Lächeln. Hieß Lächeln, dass alles gut war? War er gesund? „Nehmen Sie Platz, bitte.“

„Geht es bitte schnell und schmerzlos?“, fragte Katsuya mit erstickter Stimme, während er sich setzte. Seto griff seine Hand und drückte einmal kurz. Eine Mahnung? Eine Unterstützung? Katsuya drückte zurück, nur ließ er nicht locker.

„Wie du wünscht“ Der Arzt schlug kurz die Akte auf. „Eine gute, eine schlechte Nachricht. HIV ist negativ, also hast du das mit sechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht.“

Katsuyas Lider fielen zu und sein Atem zitterte, als er tief durchatmete. Seto erwiderte den Druck seiner Hand. Nach einem Moment sah Katsuya auf und nickte langsam. Der Arzt sagte trotzdem nichts, sodass er fragte: „Das heißt, ich habe Hepatitis?“

Der Andere nickte bedächtig und sah auf die Akte, als er weiter sprach: „Ich weiß nicht, ob ich das erklärt hatte, aber es gibt fünf verschiedene Hepatitis-Formen. A und E sind ungefährlich. B und D können gefährlich sein, sind es aber selten. Nur C ist relativ gefährlich“ - Katsuya nickte - „Und du hast B, C und D.“

Ein Zucken ging durch Seto, was einen kurzen Moment den Druck ihrer Hände in Schmerz wandelte. Katsuyas Blick schnellte zu ihm. Jede Farbe schien aus Setos Gesicht gewichen und ein Augenlid zuckte.

„Was heißt das?“, er sah zurück zum Arzt, diesmal wirklich besorgt.

„Das heißt, du hast drei Krankheiten, die gleichzeitig deine Leber angreifen. Es kann sein, dass du absolut gar nichts davon spürst, es kann sein, dass sie deine Leber so weit zerstören, dass es sogar lebensgefährlich werden kann“ Der Arzt ließ eine Pause und beobachtete sie beide einen Moment. „C erreicht seinen Krankheitshöhepunkt normalerweise nach sieben Wochen, also in zwei Wochen. Und B und D haben ihren nach zwölf Wochen, also noch etwas hin. Normalerweise ist C das gefährliche, weil es bei fünfundachtzig Prozent der Patienten chronisch wird und demnach nach und nach die Leber zerstört. Und B und D sind ungefährlicher, weil es da nur in zehn Prozent passiert. Wenn jetzt aber B und D auf eine frische, chronische Hepatitis C trifft, dann kann das deine Leber stark mitnehmen. Kann, das möchte ich betonen. Es kann auch sein, dass du das gut wegsteckst.“

„Und können wir irgendetwas tun?“ Katsuya schluckte. Seine Leber … er hatte nicht viel Ahnung, aber die Leber war zur Entgiftung da, oder?

„Es gibt Medikamente“ Der Arzt schürzte die Lippen. Sah nicht so aus, als würde er das gern sagen. „Aber die Forschung hat bewiesen, dass diese nur wirken, um eine chronische Erkrankung zu bekämpfen. Für die akute Erkrankung haben wir leider gar nichts“ Der Arzt sah noch einmal in die Akte. „Aber es gibt verschiedene Faktoren, die mich zuversichtlich stimmen.“

Verschiedene Faktoren? Bescheuerte Ärzte mit ihrer geschwollenen Sprache. Katsuya sah noch einmal zu Seto, aber der spielte wieder stoische Ruhe.

„Zum einen scheinst du HepB entweder schonmal gehabt zu haben oder geimpft worden zu sei-“

„Geimpft“, warf Seto tonlos ein.

„Ah, wunderbar. Dein Virustiter ist nämlich erstaunlich niedrig für diese Erkrankungswoche und dein Abwehrtiter hoch“ Das war gut, oder? Das hieß, sein Immunsystem siegte, richtig? „Und obwohl du im Endeffekt sechs Krankheiten gleichzeitig zu bekämpfen hattest, ist auch dein HepC-Titer niedrig. Das liegt möglicherweise an den Anti-HIV-Medikamenten, die du bis letzte Woche genommen hast und verzögert sich dadurch nur, aber vielleicht ist es auch ein Zeichen, dass dein Immunsystem gut mit den Viren klar kommt. Schließlich sind fünfzehn Prozent der Bevölkerung in der Lage, das Virus selbst zu besiegen.“
 

Okay … und das hieß jetzt was? Er sah fragend zwischen Seto und dem Arzt hin und her.

„Ich denke, bis das Gegenteil bewiesen ist, sollten wir erstmal davon ausgehen, dass du die Krankheiten besiegt kriegst“ Der Arzt lächelte ihn freundlich an und irgendwie entspannte er sich dadurch ein bisschen. „Zuversicht ist eines der besten Heilmittel dieser Welt.“

„Wie ist es mit Immunboostern?“, fragte Seto in kalter, tonloser Manier nach.

Katsuya währenddessen fragte sich eher, wie viel davon Seto und wie viel Wächter war.

„Die würden zwar eine größere Chance geben, dass das Virus bekämpft wird, aber sie würden gleichzeitig auch mehr Schäden an der Leber machen. Sowieso, falls sie an Alternativmedizin denken, in diesem Fall bitte nicht. Die meisten alternativen Therapeutika sind auf Alkoholbasis und das schädigt die Leber weiter. Sowieso, Katsuya, in den nächsten Monaten darfst du nicht einen Tropfen Alkohol zu dir nehmen, keine Drogen und keine Medikamente, die über die Leber abgebaut werden. Und schau, dass du dich von kranken Menschen fernhältst und stets eine Atemmaske trägst. Jede Erkältung würde dein Immunsystem schwächen. Schau, dass du viel schläfst, dich warm einpackst und dich nicht überanstrengst.“

„Kein Sport?“ Katsuya hob nur eine Augenbraue.

„Moderat Sport. So lange du nicht außer Atem kommst und dein Puls nicht über hundert geht, ist Sport okay. Sogar gut. Jeden Tag fünfzehn bis dreißig Minuten zum Beispiel joggen stärkt das Immunsystem“ Sein Blick fiel auf Seto. „Du kannst auch dein menschliches Trainingsgerät dort nehmen, aber nicht zu wild. Und immer und auf jeden Fall mit Kondom.“

Katsuya errötete. Huh … sein menschliches Trainingsgerät. Jeden Tag? Wäre schon cool … so aus medizinischer Sicht. Jeden Tag Sex auf Rezept. Ob Seto das mitmachte? Bestimmt, oder?

„Stress sollte auch nur moderat sein. Du solltest jetzt nicht die nächsten Monate im Bett liegen, aber die Nächte für Lernen für die Schule zu nutzen ist auch keine gute Idee. Geh normal zur Schule, mach deinen Alltag, aber mach auch um spätestens acht Uhr abends Schluss. Überanstrengung ist wirklich keine gute Idee für das Immunsystem, auch wenn es ein bisschen Nervenkitzel braucht, um in Fahrt zu kommen.“

Und wie genau sollte er Stress in seinem Leben vermeiden? Er hatte Seto, Yami und Yugi. Und Bakura, der war nicht zu vergessen. War nicht so, als könnte oder wollte er die alle plötzlich aus seinem Leben schmeißen.

„Hier habe ich eine Liste von Lebensmitteln und anderen Stoffen, die du vermeiden solltest, weil sie die Leber schädigen“ Der Arzt reichte ihm eine Seite.

Gamander? Kava-Kava? Was zur Hölle war das?

„Kräutertee ist leberschädigend?“ Das erste mal seit Betreten des Arztzimmers lag so etwas wie Amüsement in Setos Stimme. „Ich bin seit fast vierzehn Jahren leberkrank und habe noch nie eine Liste bekommen, was ich nicht essen oder trinken soll“ Er legte einen Finger auf den Abschnitt, was man vermeiden sollte, wo fett gedruckt Alkohol, Drogen und einige Medikamente standen. „Ich kenne nur das hier.“
 

„Du bist leberkrank?“ Katsuya sah überrascht auf.

„Nie bemerkt?“ Seto sah ernsthaft verwirrt aus.

„Woran bemerkt man so etwas?“

„Das Weiß der Augen färbt sich gelb“ Da Setos Kopf nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war, konnte man das sogar gut erkennen. „Siehst du es?“

„Jetzt, wo du es sagst … nö, ist mir vorher nie aufgefallen“ Jetzt, wo er darüber nachdachte … als sie sich über Katsuyas mögliche Krankheiten unterhielten, hatte Seto schonmal gesagt, dass er etwas an der Leber hatte. Und dass die Krankheiten zu kriegen ihn deswegen umbringen könnte. „Ist das schlimm?“

„Halbwegs. Es wird bei mir nicht zunehmend schlimmer, so wie bei vielen anderen. Aber ich bin nur noch eine Wertverschlechterung davon entfernt, dass man mich theoretisch auf die Transplantationsliste setzen kann. Deswegen macht es mir ja auch solche Angst, dass du Hepatitis hast. Wenn ich das kriege, dann könnte es das für mich gewesen sein.“

„Wäre dir HIV lieber gewesen?“ Katsuyas Mundwinkel hob sich.

„Nein, nicht wirklich. Eine Leber zu transplantieren ist leichter als den Körper zu wechseln“ Seto lehnte sich etwas weiter hinüber und küsste Katsuyas Schläfe.

„Child-Pugh Stadium A?“, fragte der Arzt, nachdem Seto sich wieder zurück gelehnt hatte.

„Sechs Punkte“ Seto nickte. Und da sprachen sie mal wieder ärztisch …

„Darf ich fragen, wie sie dazu gekommen sind?“ Der Arzt lehnte sich interessiert vor.

„Bei einem Suizidversuch habe ich zwei Packungen Paracethamol geschluckt. Eine der bescheuertsten Ideen meines Lebens“ Seto wandte den Kopf ab und seufzte leise. „Eine Woche Intensivstation und den Rest meines Lebens beinahe ruiniert.“

Katsuya griff die Hand, mit der Seto ihn zwischendurch losgelassen hatte.

„Nun, dann können wir den nächsten Teil wohl kurz fassen, da sie auf ihren Freund aufpassen werden. Wie gesagt kann innerhalb der nächsten Wochen durch die Viren ein Leberversagen eintreten. Das erkennt man an einer Gelbfärbung des Augenweiß, Juckreiz am ganzen Körper, hellem Stuhl, dunklem Urin, einem dick werdenden Bauch, Konzentrationsstörung und Koordinationsstörungen sowie einem allgemeinen „Mir geht es schlecht“. Wenn auch nur eine Sache davon eintritt, dann geh bitte sofort in ein Krankenhaus, Katsuya.“

Freundlicherweise hatte der Arzt all das auch auf den Zettel gedruckt, den er Katsuya gegeben hatte. Ebenso wie das, was er alles tun sollte. Atemmaske … na, wenn er jetzt mit Atemmaske zum Sport ging, aber kein Artest mehr hatte, würde sein Lehrer noch doofer gucken.

„Und das war es im Endeffekt. Ach ja, wie ist es mit dem Stuhlgang? Hast du noch Schmerzen?“

Katsuya erzitterte nur. Irgh … wie konnte der Kerl so selbstverständlich so etwas Ekliges fragen? Er schüttelte einfach nur den Kopf.

„Wunderbar. Dann dürfte es das mit den Bakterien gewesen sein. Wenn es keine Fragen mehr gibt, sehen wir uns dann in drei Wochen zu einem weiteren Hepatitis- und dem gültigen HIV-Test.“

Allen Göttern sei Dank. Der Kerl wollte ihm nicht nochmal irgendwelche Schläuche oder Spritzen in den Hintern stecken. Das war unendlich schrecklich gewesen. Vor Erleichterung brauchte Katsuya glatt zwei Momente mehr, um sich zu erheben, während Seto sich bereits verabschiedete.

Ganz ehrlich? Das war hundertfach weniger schlimm gewesen als er gefürchtet hatte.
 

„Hey, Katsuya“ Kimi hob eine Tasse Tee zur Begrüßung. Er währenddessen ging sofort zu ihr und als sie nicht zurückwich, umarmte er sie auch. „Was ist denn in dich gefahren?“

„Ich hab' kein HIV.“

„Wahrscheinlich kein HIV“, verbesserte Seto und goss sich einen Kaffee ein. Irgendwer hatte eine Kanne angestellt. Katsuya hatte die leise Ahnung, dass Seto jemanden, der stets früh kam, bestach.

„Lass mir meine Freude“ Katsuya ließ die Ältere los und drehte sich mit in die Hüfte gestemmten Händen zu Seto. „Zuversicht ist das beste Heilmittel, also sei nicht so negativ.“

„Ich bin nicht negativ, ich bin realistisch“ Er deutete auf Kimi. „Und eifersüchtig.“

„Auf sie?“ Mit in Falten gelegter Stirn sah Katsuya zu ihr und zurück zu Seto. „Warum auf sie?“

„Auf jeden“ Seto beugte sich vor, sodass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. „Du bist mein und das hat so zu bleiben.“

Katsuya schnaubte und verdrehte die Augen.

„Guten Abend“ Leyla trat in die Küche. „Wie sieht es aus, wollen wir anfangen?“

„Sobald mein Kerl von seinem Egotrip runter ist und mich gehen lässt“ Katsuya hob eine Augenbraue.

Einen Bruchteil einer Sekunde später fand er sich in Setos Arm mit erstickendem Protest, da dieser seine Lippen mit den eigenen verschloss. Er schlug halb ernst auf Setos Oberarme ein, bis ihm der Gedanke kam, wie unglaublich weiblich er dabei aussehen musste. Mit einem tiefen Seufzen ergab er sich dem Kuss. Seto löste ihn langsam, jedoch mit einem hörbaren Geräusch. Er wich nicht zurück, verharrte mit kaum einem Abstand zwischen ihren Gesichtern, sodass Katsuya fast schielen musste, und flüsterte: „Ich meine es ernst.“

Der Blonde nickte langsam. Was zur Hölle meinte der Kerl damit? Und musste er so aussehen, als würde gleich die Welt untergehen? Jetzt gerade wäre es ganz angenehm, losgelassen zu werden … nicht, dass er es wirklich wollte, aber die Mädels warteten. Waren Setos Augen schon immer so tief blau?

„Wir fangen dann schonmal an“ Kimi drückte sich hinter ihm vorbei.

„Warte, hey“ Katsuya löste sich von dem fast hypnotisierendem Blick. „Bin sofort bei euch“ Er sah Seto, der ihn noch immer hielt wie eine Marmorstatue. „Seto?“

„Ich würde dich am liebsten einsperren“ Wenigstens hatte dieser sich aufgerichtet, sodass etwas Abstand zwischen ihnen war. „Dich anketten, damit du niemals weg kannst.“

„Seto?“ Die Stirn des Blonden legte sich in Falten.

„Ich kann sie spüren“ Der Ältere schluckte. „Alle fünf. Sie sind alle da. Sie haben mir einen Moment lang ihre Gefühle gegeben.“

„O … kay?“ Katsuya blinzelte einmal.

„Ich liebe dich“ Setos Züge verhärteten sich, als wäre das etwas Schlimmes oder als würde er Verletzung für seine Worte erwarten. „Ich will dich in mich aufnehmen und in dich kriechen und dich töten und dich für immer an mich binden. Und gleichzeitig liebe ich dich einfach nur“ Er atmete tief durch. „Meine … unsere Gefühle machen mir Angst. Unsere Impulse.“

Katsuya nickte nur. Er setzte einen vorsichtigen Kuss auf Setos Lippen und erwiderte: „Lass uns nachher darüber reden, ja? Zuhause.“

Impulse

Ich hasse Allergie. Ich hechle jetzt schon den zweiten Tag durch, ich habe praktisch seit gestern Kopfschmerzen und bewegen ist auch kaum drin. Mein Immunsystem ist klasse bei Erkältungen, aber ich hasse es, wenn Pollen fliegen ... das Leben ist halt unfair.

Während ich hier vor mich hin leide, sende ich euch das neue Kapitel und wünsche viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Na, Loverboy?“ Kimi grinste, als er eintrat. „Hast du deinen Schatz rückversichert, dass ich dich nicht klauen werde?“

Katsuya verdrehte nur die Augen und meinte: „Wenn er wirklich meint, ich würde ihn für jemand anderes verlassen, hat er wirklich einen Dachschaden.“

Kimi lachte nur. Ein Lächeln schlug sich auf Misas Lippen, während Leyla den Kopf schüttelte und sagte: „Er hat DID. Die meisten Menschen würden das als Dachschaden bezeichnen. Und findest du seine Angst nicht gerechtfertigt?“

„Nein“ Katsuya grinste und lehnte sich zurück. „Ich habe kein HIV. Ich habe festgestellt, dass ich Wächter mag. Und es gibt anscheinend eine wunderbare Erklärung und halbwegs einfache Lösung für die Probleme des suizidalen Bruders meines besten Freundes“ Er breitete die Arme aus. „Gerade ist meine Welt voller Sonnenschein und Regenbogen!“

„Und Seto springt auf einem Einhorn von Wolke zu Wolke“ Kimi hob eine Augenbraue. „Bist du high?“

„Sehr witzig“ Er streckte ihr die Zunge raus. „Ich freue mich einmal und gleich wird vermutet, dass ich meinem Freund fremdgehe oder Drogen genommen habe. Was seid ihr für ein Haufen?“

„Menschen mit Lebenserfahrung“, erwiderte Tomoko knapp. Sie sah ihm nicht in die Augen dabei sondern über Leyla hinweg.

„Nun gut, lasst uns anfangen“ Ihre Gruppenleiterin sah zu Katsuya. „Hat deine Woche noch etwas zu bieten oder war das dein Wochenbericht?“

„Ich hasse es, bald Prüfungen zu haben und bei einem Lehrer zu wohnen“ Der Blonde verschränkte die Arme. „Bericht Ende.“

Leyla lächelte nur und nickte. Sie sah einen Moment lang auf ihre in ihrem Schoß gefalteten Hände, bevor sie nickte und begann zu sprechen: „Nene und ich haben mit ihrem Freund über DID gesprochen. Das lief … nicht gut.“

Ein leises Seufzen ging durch die Reihen.

„Nein, eigentlich ist das untertrieben“ Ihre gefalteten Hände ballten sich zu Fäusten. „Er ist ein absoluter Mistkerl, er- ich fasse nicht, was er gesagt hat! Er hat sie eine Lügnerin und Betrügerin genannt. Dass sie ihm etwas vorspielt, nur damit er ihr später ihre Exzesse vergibt. Er hat sie behandelt, als- als … als wäre sie eine Frau, die einen Kerl nach dem nächsten ausnimmt, bis er sie nicht mehr aushalten will. Ich … ich habe noch nie jemand so Ekelhaften getroffen. Nene hat sich die Augen ausgeweint, nachdem er gefahren ist“ Leyla legte ihr Gesicht in ihre Hände und atmete tief durch, wobei ihre Kehle hörbar zitterte. Als sie die Hände senkte, sah man ihre Augen vor Tränen glänzen. „Einmal … ein einziges Mal hat sie sich getraut, einen Menschen kennen zu lernen. Von sich aus, ganz allein … und dann das. Wie soll ich ihr jemals beibringen, dass die Welt nicht böse ist?“

Kimi reichte ihr eine Hand, die sie ergriff und drückte.

„Ich weiß einfach nicht … manchmal verliere ich meinen Glauben daran, dass es gute Menschen auf dieser Erde gibt. Ich komme hier her und treffe euch und ich denke mir: Ja, es gibt sie. Ich fahre nach Hause und ich sehe Nene mit ihrem Pferd und lächle und denke mir, wie schön das Leben ist. Und am nächsten Tag fahre ich zur Arbeit und sehe nichts als Hass und Ablehnung. Wie schlecht die Wirtschaft bei anderen läuft und wer jetzt wieder eine Gefahr ist und gegen wen wir Krieg zu führen haben. Manchmal möchte ich einfach nur aufgeben.“

„Wir alle gehen durch solche Phasen“ Kimi drückte ihre Hand zurück. „Sie kommen, aber sie gehen auch wieder. Es gibt ein paar Idioten auf dieser Welt, aber es gibt auch gute Menschen, die das ausgleichen.“
 

„Und? Gehst du noch feiern?“, fragte Kimi, als sie den Raum verließen.

„Feiern?“ Er sah überrascht auf.

„Ja, du weißt schon … mit den Testergebnissen. Ich würde mich in die Disko schmeißen“ Sie grinste. „Eine Runde Cocktails und tanzen lässt das Leben gleich viel besser aussehen.“

„Ich darf keinen Alkohol“ Sie kamen in die Küche, wo Sasu bereits stand und Kimi einen Tee reichte. „Und ich muss früh ins Bett, um meine Gesundheit zu pflegen“ Er seufzte tief. „Vielleicht kriege ich Seto dazu, am Wochenende mit mir weg zu gehen.“

„Apropos, wo ist der eigentlich?“, fragte Sasu.

„War er nicht in eurer Gruppe?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Nein … sollte er?“ Sie hob eine Augenbraue.

Er war nicht in der DID-Gruppe gewesen? Aber … wo dann? War er etwa gegangen? Ohne etwas zu sagen? Nein, das hörte sich gar nicht nach Seto an. War etwas passiert?

„Oh nein“ Katsuya schloss die Augen und atmete tief durch. „Okay … wo könnte er sein … Auto“ Er sah auf. „Entschuldigt mich, bitte, ich muss ihn suchen gehen. Nicht, dass er irgendwelchen Schwachsinn angestellt hat.“

„Wir helfen“ Kimi nickte und stellte ihren unberührten Tee in die Spüle. „Ich bin gut im Suchen, Sasu ist zu Anfang auch immer weggerannt.“

„Das war nicht ich“ Auch die andere stellte ihre Tasse ab und ging Richtung Flur, im sich ihre Jacke anzuziehen. „Das waren die anderen in meinem Kopf.“

„Welche Persönlichkeiten von Seto könnten denn weggerannt sein?“ Auch Kimi zog sich an. Beide schienen ganz ruhig, als wäre das völliger Alltag. Katsuya betrachtete sie etwas skeptisch.

„Ähm … Angst. Klein-Seto und Ikar würden mich suchen und Imalia wäre in die Sitzung gegangen. Wächter … ich habe ehrlich keine Ahnung, was Wächter tun würde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so verschwindet. Obwohl … vielleicht nach heute im Krankenhaus … oder wegen der Krankheiten … oder die Szene vorhin? Vielleicht wollte er mir etwas Wichtiges sagen?“ Katsuya atmete zitternd durch und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

„Ganz ruhig“ Kimi legte ihre Hände auf seine Schultern. „Wir schauen erstmal nach seinem Wagen. Würde Angst das Auto benutzen?“

„Niemals“ Sie wandten sich der Treppe zu und verließen das Selbsthilfezentrum. „Angst würde … er würde irgendetwas suchen, wo er sich verstecken kann.“

„Wir finden ihn, keine Sorge“ Kimi warf ein Lächeln über ihre Schulter. „Erstmal schauen wir nach dem Auto und wenn er als Angst rum rennt, dann finden wir ihn sicher auch bald. Verängstigte Persönlichkeiten folgen alle bestimmten Mustern, das ist nicht schwer. Und wenn er Wächter ist, dann kommst du einfach mit zu uns, bis er wieder er selbst ist. Oder kannst du ihn anrufen?“

Katsuya zog sein Handy hervor. Keine neuen Nachrichten, keine unbeantworteten Anrufe. Er hob es schnell und fragte: „Soll ich jetzt?“

„Nein, gleich“ Sie erreichten die Straße. „Angst würde das Klingeln verängstigen. Wo habt ihr geparkt?“

„Da drüben“ Katsuya stellte sich auf die Zehenspitzen. Da stand ein Auto. Ein langes. Er joggte hin. Doch, definitiv, das war Setos Mercedes. „Das ist seins.“

„Gut“ Kimi nickte. „Dann beschreibe doch mal Angst. Je mehr wir über ihn wissen, desto einfacher werden wir ihn finden.“
 

Kimi und Sasu waren ganz fraglos Frauen der Tat. Katsuya kämpfte immer wieder die Panik runter, die in ihm aufstieg. Was, wenn Seto etwas passiert war? Was, wenn sie ihn nicht finden würden? Was, wenn in einer völlig unbekannten Gegend plötzlich Klein-Seto raus geschleudert werden würde?

Aber die zwei planten souverän und systematisch ihre Suche und zeigten nicht einen Funken Unsicherheit. Als würden sie das hier andauernd tun. Nun ja, vielleicht war Kimi das ja wirklich gewöhnt, aber so zusammen? Die beiden waren wirklich ein eingespieltes Team.

Sasu ließ sie alle Telefonnummern austauschen, falls sie sich verlieren würden. Kimi ging zurück ins Selbsthilfezentrum, um die Toiletten und Schränke abzusuchen. Sasu sah in der Nähe des Wagens nach. Sie schickte Katsuya zu verschiedenen Häuserecken und Nischen.

Da das Zentrum in einer Art riesigen Innenhof lag, der nur einen einzigen Ausgang hatte, suchten sie zuerst natürlich dort alles ab. Kimi erklärte ihm, dass Persönlichkeiten kleiner Kinder sich oft ganz kleine Nischen suchten, um sich dort rein zu quetschen. Sie sahen also hinter – und nach Katsuyas Hinweis auch in – jeder Mülltonne nach und bei parkenden Autos.

Aber Fehlanzeige.

Was sie zur Straße führte und damit zu der Frage: Rechts oder links?

Sasu wandte sich zielstrebig nach rechts, ohne auch nur einen Moment zu überlegen.

„Warum hier lang?“ Katsuya hastete ihr hinterher.

„Neunzig Prozent der Menschen gehen automatisch nach rechts“, erklärte sie knapp, „Einfaches psychologisches Phänomen.“

„Wir haben hier mehr Chancen“, fügte Kimi hinzu, „Sasu, hast du den Park im Auge?“

„Ist wahrscheinlich Fehlanzeige, aber manche traumatisierten Kinder rennen automatisch zu Spielplätzen. Die sind meist etwas älter, aber da Katsuya nicht weiß, welche Traumata Angst geschaffen haben, sollten wir auch da suchen.“

„Ihr wisst echt viel“, murmelte dieser nur.

„Erfahrung“ Kimi zuckte mit den Schultern. „Ich denke, du solltest mal versuchen, ihn anzurufen. Vielleicht hat das alles ja auch eine unschuldige Erklärung und schaden kann es jetzt nicht mehr.“

Katsuya zog sein Handy wieder hervor, drückte die Schnellwahltaste für Seto und hielt das Gerät an sein Ohr, während er Sasus doch ziemlich schnellen Schritt folgte.

Tut. Tut. Tut.

Er seufzte. Klang nicht so, als würde Seto bald dran gehen. Nach dem zehnten Tut gab er auf. Schien, als wäre wirklich Angst mit Setos Körper durchgebrannt. Das war bisher noch nie passiert … würde er das jetzt öfter erleben?

Katsuya atmete tief durch.
 

„Kats!“

„Dank sei allen Göttern“ Er wandte sich in Richtung der Stimme. Danke, danke, danke – er war es wirklich. Er war unverletzt. Katsuya öffnete seine Arme und stolperte einige Schritte zurück, da Seto sich mit voller Wucht gegen ihn warf. Nun ja, Klein-Seto. Da war er sich sehr sicher.

„Na, das ging doch schnell“ Kimi hörte sich noch immer völlig nonchalant an, als hätten sie nur eine entlaufene Katze gesucht. Sagte sie nicht, sie hätte zwei Katzen? Vielleicht deshalb.

„Kats“ Seto hatte die Hände zum Glück über seinen Schultern, sodass er ihn nicht durch den Druck erwürgte. Seine Stimme klang verweint und er zog geräuschvoll die Nase hoch. Er zitterte am ganzen Körper. „Wo warst du?“

„In der Selbsthilfegruppe“ Katsuya strich mit seiner Hand Setos großen Rücken auf und ab. „Schhh … ganz ruhig, wir haben dich ja gefunden. Wie kommst du denn hierher?“

„Hier?“ Klein-Seto ließ Katsuya etwas Raum und sah sich um. Sie waren im Park, wirklich in der Nähe eines Spielplatzes. „Ich … weiß nicht?“

Katsuya seufzte nur tief und legte den Kopf auf Setos Schulter. Natürlich, es war Klein-Seto, er war theoretisch der Erwachsene, aber … verdammt, er konnte nicht immer stark sein. Das hier war gerade der Schock seines Lebens gewesen! Warum war Seto plötzlich weggerannt? Und welche von Setos Persönlichkeiten war weggerannt? Wahrscheinlich Angst, aber … Katsuya seufzte.

„Habe ich etwas Dummes gemacht?“, fragte Klein-Seto unsicher.

Katsuya atmete tief durch. Natürlich nicht. Gar nichts. Aber die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen. Er würde am liebsten heulen und er wollte Seto und … shit, er sollte sich zusammen reißen. Klein-Seto brauchte ihn, er war nur ein Kind. Katsuya schaffte es, zumindest seine Arme zu heben und Seto darein zu schließen.

„Du hast nichts falsch gemacht“, antwortete Kimi Klein-Seto mit sanfter Stimme, „jemand ist mit deinem Körper weggelaufen und Katsuya hat sich Sorgen gemacht.“

„Oh … ei, ei“ Seto strich über seinen Kopf, als wäre er ein Baby. „Ei, ei, alles gut.“

„Guter Junge“ Kimi klang überzeugend stolz, obwohl Seto wahrscheinlich zutiefst lächerlich aussah und sich noch lachhafter anhörte. „Jetzt geht es ihm bestimmt gleich wieder gut.“

Katsuya atmete tief durch. Ja, alles gut … Seto brauchte ihn. Er lehnte sich zurück und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Seto sah noch immer unsicher aus, sodass er sagte: „Danke. Es ist alles gut. Ich war nur besorgt.“

Setos Lächeln war unsicher, aber da. Und in seinen Augen leuchtete Stolz. Hach, wenn es bloß so einfach wäre, den großen Seto von seinem Selbstwert zu überzeugen … egal, das war ein anderes Thema.

„Beherrscht er shiften?“, fragte Sasu.

„Persönlichkeiten wechseln?“ Katsuya wandte sich langsam zu ihr und griff dabei mit einer Hand nach Setos. Nicht, dass er noch einmal verschwand. „Kann er, aber Wächter mag es nicht, wenn ich Wechsel einleite.“

Sasu verdrehte nur die Augen.

„Kommt ihr denn so nach Hause?“ Kimi kniff ihre Cousine in den Arm, was diese beleidigt einen Schmollmund ziehen ließ. „Hast du einen Führerschein?“

Katsuya sah zu Seto. Der lächelte unschuldig. Sah nicht so aus, als würde er bald jemand anderen raus lassen. Seufzend schüttelte der Blonde den Kopf.

„Soll ich euch fahren?“

„Du willst doch nur mal mit der Limo cruisen“, murmelte Sasu und rieb die Stelle, die Kimi gekniffen hatte.

„Pscht!“ Beleidigt schlug Kimi ihr auf die Pobacke.

Die kleinen Unterschiede

Ich versuche mich verzweifelt davon abzulenken, dass DS bald beendet sein wird. Demnach hier eine weitere neue FF, diesmal aus der TV-Serie "Hannibal": (wieder Englisch, ich übe weiter)

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/323110/

Liest hier eigentlich gerade jemand mit, der wirklich ganz von Anfang an dabei war? Wenn ja, ist dir klar, dass diese Geschichte jetzt seit sieben Jahren läuft? Ich selbst kann das nicht ganz fassen...

Egal, viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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In Endeffekt fuhr Kimi sie, da Katsuya nicht wirklich viel Wahl sah. Wächter konnte sich selbst überlegen, ob er ihm nicht doch lieber erlauben sollte, Persönlichkeiten zu rufen, falls es ihm missfiel, fremde Frauen ans Steuer seines Wagens zu lassen. Klein-Seto ließ sich ganz brav auf die Rücksitzbank setzen und schnallte sich nach einigen gescheiterten Versuchen – in Kindversion war er sehr viel ungeschickter als als Erwachsener – auch erfolgreich an. Sasu folgte ihnen mit ihrem Auto und nahm Kimi mit, nachdem sie die Limousine etwas holprig, aber insgesamt ganz annehmbar in der Auffahrt geparkt hatte. Und während der Fahrt hatte sie ganz enthusiastisch einem Treffen am Samstag zugestimmt, also löste sich alles doch ganz gut auf.

Stellte ihn nur wieder vor das Problem, einen Fünfjährigen zu beschäftigen, während er Essen kochen und Hausaufgaben machen musste. Er seufzte tief. Shizuka hatte draußen gespielt oder gemalt oder Kinderserien geguckt, aber leider war es nicht drei Uhr nachmittags. Er brauchte dringend Kinderspielzeug.

„Seto?“ Er sah das zwei Meter große Energiebündel an. „Kannst du dich im Wohnzimmer selbst beschäftigen, während ich koche?“

„Oke“ Mit einem Nicken rannte Seto Richtung Wohnzimmer – nicht dass es viel zum Rennen gab, wenn man meterlange Beine hatte – und rutschte mit einigem Stolpern um die Kurve.

„Vorsicht! Und mach nichts kaputt!“ Katsuya seufzte tief und schüttelte den Kopf. So langsam verstand er, warum Seto keine Kinder wollte. Er war Kind genug, um Katsuya auf den Füßen zu halten.

Er setzte seinen Weg in Küche fort und starrte den Kühlschrank an, während er sich in Gedanken verlor. Was sollte er kochen? Was würde Klein-Seto mögen? Er hatte Kartoffelpuffer mit lächelnden Gesichtern gekauft, als er sie im Supermarkt gesehen hatte, die würde er sicher toll finden. Nur was dazu? Fischstäbchen? Hatten sie nicht. Würstchen? Ja, doch, sie hatten noch irgendwo ein Glas Würstchen. Und was Gesundes … nicht, dass Seto noch wachsen müsste, aber Gemüse war immer gut. Vielleicht Möhren. Ja, Kinder mochten gekochte Möhren.

Er überließ sich der Routine des Kochens.

Und was zur Hölle war das jetzt vorhin gewesen? War Angst weggelaufen? Warum? Hatte er etwas Falsches gesagt? Hatte er Seto unsicher gemacht, indem er ihm gesagt hatte, dass er Setos Gefühle später besprechen wollte? Hätte er das Treffen lieber sausen lassen sollen, um mit Seto zu reden?

Oder könnte es jemand anderes als Angst gewesen sein? Seto wäre dort geblieben, Wächter wäre auf jeden Fall nicht zu einem Spielplatz, Ikar ... gute Frage, aber wahrscheinlich wäre er zur Gruppe gegangen oder hätte Katsuya gesucht. Imalia hätte wahrscheinlich die Küche sauber gemacht oder sich anderweitig beschäftigt und Klein-Seto wäre von selbst niemals weg gerannt. Es musste Angst gewesen sein, oder?

Und Angst wurde nur durch Angst gerufen. Vielleicht hatte Seto auch einen Flashback gehabt. Ja, vielleicht hatte er einen Flashback gehabt und Angst war raus gekommen. Und Angst hatte sich dann im Endeffekt allein in einer fremden Wohnung vorgefunden. Vielleicht war er raus gerannt, um nach Hause zu finden.

Das klang wenigstens halbwegs plausibel. Hieß aber auch, es könnte jederzeit wieder passieren, dass Angst durch einen schweren Flashback einfach so hervor kam. Ganz ohne Vorwarnung – das machte Seto nicht unbedingt weniger gefährlich. Katsuya seufzte nur.
 

„Hey, du.“

Katsuya warf einen Blick über die Schulter. Seto hing im Türrahmen, anders war das nicht zu beschreiben. Er stand im Flur, hielt sich mit einer Hand am Türrahmen und hatte sich in die Küche geschwungen, sodass er schräg in der Luft hing. Er grinste vorsichtig und senkte kurz den Blick.

„Abend, Ikar“ Katsuya wandte sich wieder dem Rühren der Sauce für die Möhren zu. „Du weißt nicht zufällig, was genau vorhin geschehen ist?“

„Nicht wirklich“ Aus dem Geräusch der Schritte konnte er schließen, dass Ikar näher kam. „Ich habe nur Black-Outs, wenn Angst oder Wächter draußen sind, also einer von beiden“ Er legte von hinten die Arme um Katsuya und das Kinn auf dessen Schulter. „Bist du in Ordnung?“

„Außer, dass du mich schrecklich erschreckt hast?“ Katsuya drehte den Kopf zur Seite und küsste Ikar auf die Wange. „Und warum hast du Klein-Seto abgelöst? Ich koche hier für ihn.“

„Ich mag das bestimmt auch“ Die Arme lösten sich und kaum eine Sekunde später kniete Ikar neben dem Ofen. „Smileys! Cool!“

Katsuya schüttelte lächelnd den Kopf. Anscheinend war Ikar jung genug, um Kartoffeln in Smiley-Form auch etwas abzugewinnen. Vielleicht sollte er öfter Essen für Kinder kaufen. Mindestens zwei von Setos Persönlichkeiten konnte er damit begeistern. Und wer wusste schon, ob er nicht irgendwann Setos aggressive Attacken mit Chips in Form von Teddybären bekämpfen würde?

„Deckst du den Tisch?“

„Sofort!“ Hach ja ... Seto würde grummeln und sehr viel weniger begeistert aussehen. Aber irgendwie war es ja schon bisweilen erfrischend. Auch wenn jetzt nur noch Imalia fehlte, damit er jede Persönlichkeit heute einmal getroffen hätte.

„Sag mal, war heute in der Klinik Wächter kurz draußen?“

„Hm ... gut möglich“ Ikar legte gerade Besteck neben die Teller. „Ich habe nicht so schrecklich aufgepasst heute, aber Wächter war auf jeden Fall bei Seto. Du weißt ja, Seto ist so etwas wie eine Leinwand. Jeder, der will, kann sich dahinter stellen und mitsteuern. Wächter fand heute wichtig“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich nicht so.“

„Du findest es nicht wichtig, ob ich krank bin?“ Katsuyas Augenbraue hob sich, auch wenn Ikar das nicht sehen konnte.

„Na ja“ Unsicherheit mischte sich in Ikars Stimme. „Ich mein' ... ich verstehe davon eh nicht so viel. Ist doof für dich, aber ich kann daran auch nichts ändern, oder? Wächter hat uns eine Predigt gehalten, dass wir nicht an deinen Rasierer oder deine Zahnbürste dürfen und mich sicher fünfmal durchgegrillt, absolut immer darauf zu achten, dass du ein Kondom trägst, aber sonst ... hey, ich bin nicht der Kerl, der mit dir ins Krankenhaus geht. Ich geb' dir keine Medis, ich koche nicht, also ... ich meine, es ist mir nicht egal, dass du krank bist, aber ...“

Katsuya grinste mittlerweile. Ikar war der Knüller – genau so sozial begabt wie jeder durchschnittliche Teenager. Er dachte nicht nach, bevor er redete und verhaspelte sich dann selbst.

„Das hört sich total arschig an“ Ikar seufzte. „Sorry?“ Er guckte vorsichtig an Katsuyas Schulter vorbei, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Bist du sauer?“

„Nein“ Katsuya lehnte sich zur Seite und küsste ihn. „Das hört sich genau so unbeholfen an, wie ich noch vor ein paar Monaten geklungen habe“ Er sah über die Schulter. „Wenn du mir Untersetzer hinlegst, kann ich servieren.“

„Sofort!“

Katsuya musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht loszulachen. Echt, Jugendliche waren so selbstunsicher, dass sie jede Gelegenheit nutzten, um etwas Positives zu hören. War er auch so gewesen, als er zu Seto gekommen war? Hatte er Seto auch so zum Lächeln gebracht? Irgendwie konnte er gut verstehen, dass Seto ihn als Sonnenschein bezeichnet hatte. Genau so wirkte Ikar gerade auf ihn.
 

„Ikar, ich muss das hier jetzt fertig machen“, wiederholte Katsuya zum bestimmt dritten Mal.

„Aber mir ist langweilig“ Der Andere versuchte seinen Kopf unter Katsuyas Arm herzudrücken, um ihn von seinen Hausaufgaben abzubringen. „Lass uns was anderes machen ... ich hab' sogar aufgeräumt!“

„Du hast das Chaos aufgeräumt, das du selbst veranstaltet hast“, erinnerte Katsuya. Waren Jugendliche schon immer so nervtötend gewesen?

„Das war Klein-Seto!“ Ikar schlang die Arme um ihn und ließ sich hängen, was nicht gerade leicht war. „Es ist schon elf durch. Komm, lass uns ins Bett gehen.“

„Ikar, ich muss meine Hausaufgaben fertig machen. Und ich werde nicht schneller fertig, wenn du mich nervst. Und ich werde auch bestimmt nicht mit dir schlafen, wenn ich genervt bin.“

Die Arme lösten sich auf einen Schlag und Ikar setzte sich vollkommen brav neben ihn. Die Stille hielt volle acht Sekunden, bis er fragte: „Was musst du noch machen?“

Katsuya atmete tief durch. Ikar war sehr erfrischend – in angemessenen Dosen. Ansonsten war er doch gern mit Seto zusammen, definitiv. Er antwortete nach einem Moment der Beruhigung: „Englisch, Chemie, Physik, Sozialwissenschaft und Mathe. Und ich werde bestimmt zwei Stunden dafür brauchen, also bitte lass mich jetzt weiter machen.“

„Der Arzt hat gesagt, du sollst zeitig ins Bett“, hielt Ikar dagegen.

„Du hast ein wunderbares selektives Gehör, weißt du das?“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Ich habe heute schon meine Hausaufgaben vergessen. Ich habe bald Prüfung, ich kann mir das nicht leisten, keine zu machen.“

Ikar verschränkte die Arme und spitzte die Lippen. Als Katsuya sich schon fast wieder in seine Aufgaben vertieft hatte, fragte er: „Kann ich helfen?“

„Nein, das muss-“ Katsuya stoppte sich selbst. „Ja, warum eigentlich nicht ... kannst du meinen Aufsatz für Sozialwissenschaft schreiben? Ich hatte noch nie das Gefühl, dass mich die Hausaufgaben irgendwie weiter gebracht haben. Und es dauert immer am längsten.“

Ikar grinste und schlug eine Faust siegesreich in die Luft. Na, wenigstens einer freute sich über Hausaufgaben. Katsuya gab ihm Papier, einen Kugelschreiber und das Buch, in dem die Fragen und der Text standen, den sie behandeln sollten.

„Wie lang?“, fragte Ikar nur und legte sich seitlich von Katsuya auf den Boden. Anscheinend teilten sie die Ansicht, dass auf dem Boden zu liegen die beste Position war, um Hausaufgaben zu machen.

Und Setos Anzug war durch die Flecken vom Spielplatz und Klein-Setos Spielerei sowieso reinigungsreif, da war Liegen auf dem Fußboden auch kein Problem mehr. Ein Glück, dass Imalia die Hemden bügelte und Katsuya das nicht lernen musste.

„So zwei, drei Seiten. Und so, dass ich es lesen kann, bitte“ Setos Handschrift war nicht immer die einfachste. Er schrieb so kursiv, dass die meisten Buchstaben eher wie EKG-Zacken aussahen. Sollte man als Lehrer nicht eine gute Handschrift haben?
 

„Bitte“ Der Andere schob ihm einige Seiten hinüber. „Erklärst du mir, warum ich mitten in der Nacht deine Hausaufgaben schreibe?“

„Seto?“ Katsuya sah überrascht auf.

„Wolltest du Ikar zu Tode langweilen?“ Ein Mundwinkel hob sich vorsichtig. „Wenn ja, hat es funktioniert.“

„Er hat sich freiwillig gemeldet, mir zu helfen“ Katsuya lächelte vorsichtig. Irgendwie hatte er nicht erwartet, dass Seto ihn erwischen würde ... nicht gut.

„Ist wohl besser so“ Seto sah auf seine Uhr. „Und ... wo war ich?“

„Keine Ahnung“ Er schrieb die letzten Teile der Rechnung auf, an der er gesessen hatte und setzte sich auf. „Du warst nicht da, als ich aus der Gruppe kam. Kimi und Sasu haben mir geholfen, dich zu suchen. Wir haben Klein-Seto in einem Park in der Nähe gefunden.“

Seto schluckte hörbar. Nach einem Moment wandte er den Blick ab.

„Ich habe mich oder uns für Samstag mit den beiden verabredet. Ist das okay?“, wechselte Katsuya das Thema.

„Wie? Sicher“ Seto schüttelte abwesend den Kopf. „Katsuya, es tut mir wirklich Leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich habe keine Ahnung, was geschehen ist-“

„Ist gut“, unterbrach Katsuya ihn, „heute war ein stressiger Tag, belassen wir es dabei. Hast du den Aufsatz zu Ende geschrieben, obwohl Ikar dich einfach raus geworfen hat?“

Er hob die Seiten, die Seto ihm zugeschoben hatte. Ikar hatte sich wohl wirklich angestrengt, schön zu schreiben. Das war eine sehr ordentliche Schrift. Er blätterte um. Die Schrift wurde immer unordentlicher, die Buchstaben hielten kaum noch dieselbe Höhe. Es wurde schludriger, aber hatte überhaupt keine kursive Neigung. Erst auf der dritten Seite kippte die Schrift ganz abrupt und wurde kursiv.

Katsuya hob mit gerunzelter Stirn den Blick.

„Was denn?“ Seto sank ein wenig in sich zusammen. „Solltest du noch mehr Aufgaben machen?“

„Nein, aber ... das sind mindestens zwei verschiedene Schriften“ Er sah noch mal auf den Punkt, wo von einem Satz zum anderen die Schrift abrupt wechselte. „Haben deine Persönlichkeiten eigene Schriften?“

„Ja?“ Seto lehnte sich etwas vor und sah auf den Aufsatz. „Das ist Ikars Krakelei, das ist meine Schrift. Falls du mal Einkaufszetteln mit Herzen statt I-Punkten findest, das ist Imalia.“

Katsuya blinzelte nur. Okay, er wusste schon, Seto hatte sechs Persönlichkeiten, die verhielten sich anders. Die wussten verschieden viel und konnten verschiedene Dinge. Imalia konnte kochen, Seto nicht. Seto beherrschte ärztisch und wusste allen möglichen skurrilen Kram, Ikar nicht. Ikar hörte gern Radio, Seto hasste es. Aber verschiedene Schriften? Langsam wurde es ernsthaft schwierig noch zusammen zu halten, dass sie alle eine Person, eine Seele waren.

„Musst du das einreichen?“, fragte Seto besorgt.

„Hm?“ Katsuya blinzelte. „Nein, nein, passt schon. Danke dir. Ich muss noch zwei Aufgaben für Mathe lösen, dann bin ich auch fertig. Kannst du dir währenddessen mein Physikzeug ansehen? Das Ergebnis ist komisch, ich glaube, ich habe was falsch gemacht.“

Seto streckte nur die Hand aus. Die Geste war der von Ikar vorhin sehr ähnlich. Im Endeffekt waren sie wohl wirklich ein Mensch, auch wenn Katsuya es nicht immer glauben konnte.

Intimität

Ich entschuldige die Verspätung! (und ich fasse es nicht, dass ich Heiligabend Kapitel hochlade...) Irgendwie ist Weihnachten stressiger als Alltag X.X

Ich hoffe, ihr habt eine besinnliche und schöne Zeit und eine ganz tolle Weihnacht mit möglichst wenig Familienstreit ^.^

Und vielen Dank für eure tollen Kommentare, das muss einfach noch mal erwähnt werden! (ich beantworte die zum letzten Kapitel morgen, sonst dreht meine Mutter mir wirklich den Kopf ab...)
 

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„Und wie geht es ihm wirklich?“, fragte Seto im Wagen, nachdem er ihn von Yami abgeholt hatte.

„Gute Frage, nächste Frage“ Katsuya sank in den Stuhl und seufzte. „Er ist nicht vollständig konzentriert. Er rennt versehentlich gegen Türrahmen oder lässt Sachen fallen. Ich vermute, es heißt, er denkt über alles nach. Aber er will nicht darüber reden.“

„Besser als nichts“ Seto wechselte auf die Hauptstraße und schüttelte seinen Kopf über einen anderen Fahrer. „Ich habe versucht, ein paar Infos aus meinem Psychiater zu kriegen. Leider ist er wirklich ein Vertreter der Schweigepflicht. Ich weiß nicht einmal, ob Yugi noch da ist.“

„Doof“ Katsuya seufzte tief. „Sag mal ... hast du in letzter Zeit mit Bakura gesprochen?“

„Vorhin erst“ Setos Stimme blieb ganz neutral. „Ich habe wissen wollen, was er gesagt hat. Ich wusste noch, dass es dich schrecklich aufgeregt hat, aber aus meinem Gedächtnis wurde es ausradiert. Wir haben es mit etwas mehr Ruhe und Abstand durchgesprochen.“

„Und jetzt willst du mir sagen, dass du findest, dass er vollkommen recht hat“ Katsuya verdrehte die Augen. Er kannte Seto mittlerweile.

„Nun, ich vermute, er hat sich vorletzte Woche etwas schärfer ausgedrückt. Aber so, wie er es mir heute gesagt hat, hat er schon recht. Ich habe keine perfekte Impulskontrolle. Natürlich hat er die manifeste Impulskontrollstörung, nicht ich. Ikar ist ein bisschen impulsiv, aber nicht gefährlich, Klein-Seto ist zu jung, um alle Konsequenzen zu durchdenken, aber mein einziger wirklich impulsiver Teil ist Angst. Wenn man Angst allein betrachtet, habe ich ganz klar eine sehr schwere Impulsstörung, aber Angst ist nur ein kleiner Teil von mir. Und bis auf wenige Aussetzer habe ich Angst unter Kontrolle“ Wow, Seto ... woher das positive Selbstbild? „Ich werde weiter daran arbeiten, dass Angst mich nicht überwältigt, insofern gebe ich ihm recht, dass ich noch an mir arbeiten muss“ Seto sah vorsichtig zu Katsuya und bemerkte dessen Lächeln. „Oder denkst du da anders?“

„Nein, gar nicht“ Das Lächeln wurde zum Grinsen. „Ich bin nur überrascht, wie positiv du das siehst. Ich hätte erwartet, dass du dich gleich wieder selbst schlecht redest.“

„Bin ich so schlimm?“, fragte Seto etwas kleinlauter.

„Neeeeeeein“ Katsuya dehnte das Wort fast endlos. „Außer du kannst mal wieder posaunen, wie schlimm du dich selbst findest.“

„Idiot“, murmelte Seto, aber lächelte leicht.

„Das heißt, ich kann keine Entschuldigung von Bakura erwarten?“ Katsuya seufzte – mehr gespielt als ernst.

„Ganz sicher nicht“ Seto sah kurz zu ihm. „Du weißt, wie er ist. Entschuldigungen setzen Reue voraus. Er bereut nachher allerhöchstens die Wortwahl, selten den Inhalt, also wird er sich auch nicht entschuldigen.“

„Wie hast du ihn eigentlich damals dazu gebracht, sich zu entschuldigen? Als er Yami mit dem Messer angegriffen hat?“ Katsuya lehnte sich in Richtung des Fahrers.

„Da ging es nicht um Worte“ Seto hielt einen Moment inne, als müsste er überlegen, wie er seine Worte formulieren sollte. „Wie gesagt, Bakura ist sehr impulsiv. Er kann nicht anders, er kann nicht vorher über Worte oder Taten nachdenken. Er weiß zwar meist, dass etwas negative Konsequenzen hat, aber das Wissen reicht oft nicht, um ihn von einer Handlung abzubringen. Er hat sich so weit unter Kontrolle, dass er nicht wahllos Sachen klaut oder Leute angreift, nur weil er etwas von ihnen haben will, aber seine Selbstkontrolle ist halt eher eingeschränkt.“
 

„Ist das irgendeine besondere Krankheit?“ Auf jeden Fall war es mal eine verdammt einfache Erklärung, warum Bakura so war, wie er war.

„Nein, das ist ein Symptom verschiedener Krankheiten. Jeder Mensch hat mehr oder weniger Selbstdisziplin. Diese bildet sich bis Anfang zwanzig aus. Wer in der Zeit sein Hirn schädigt oder eine angeborene Störung in dem Bereich hat, dem fehlt halt ein Stück Selbstkontrolle. Und Bakura fehlt überproportional viel.“

„Hm“ Katsuya lehnte sich wieder zurück. „Schädigt im Sinne von Alkohol und Drogen? Ryou hat mir erzählt, dass Bakura damit mal ziemliche Probleme hatte.“

„Bakura hat die wunderbare Kombination einer genetischen antisozialen Persönlichkeit, gepaart mit extremen Traumata und starkem Substanzmissbrauch bis zum achtzehnten Lebensjahr. Das ist die Kombination, die Menschen normalerweise ganz unwiderbringlich ins Gefängnis steckt. Seine Intelligenz ist das einzige, was ihn in Freiheit belässt und dafür gesorgt hat, dass noch keiner seiner doch zahlreichen Morde bekannt geworden ist.“

Katsuya atmete tief ein und aus. Die Morde ... er wusste von mindestens drei, war bei zwei dabei gewesen und war sich verdammt sicher, dass Bakura noch mehr zu bieten hatte. Er fragte nach einer längeren Pause: „Ist das eigentlich ... ich weiß nicht ... wir sind mit einem Kerl befreundet, von dem wir wissen, dass er Leute ermordet hat. Macht uns das nicht irgendwie ... ich weiß nicht ...“

„Katsuya, ich habe auch gemordet“ Setos Stimme war kalt. „Vielleicht habe ich nicht selbst abgedrückt, aber ich bin nicht weit davon entfernt. Bakura ist kontrolliert genug, dass er keinen von uns einfach umbringen würde. Und ich bin ebenso kontrolliert. Aber natürlich besteht immer noch eine ganz kleine Chance, dass einer von uns irgendetwas tut oder dass jemand aufdeckt, was wir früher gemacht haben.“

„Bakuras letzter Mord ist nicht ganz so lang her wie deiner“, warf Katsuya ein.

„Mag sein. Aber er hat nach dem Mord an seinem Vater, der sich übrigens bald zum ersten mal jährt, geschworen, dass er nicht mehr töten wird. Er hat es für dich gemacht, weil ich sehr, sehr überzeugend sein kann“ Er ließ eine kleine Pause. „Genau genommen hatte er das nach seinem letzten Auftragsmord geschworen und dann seinen Vater für Ryou ermordet. Aber das sind Kleinigkeiten.“

„Das ist eine komische Art, Zuneigung zu zeigen“ Katsuya hob eine Augenbraue.

„Es ist Bakuras Art. Es mag eine abstruse Art von Romantik sein, aber für einen Freund zu töten ist etwas, was Bakura kann und getan hat. Ich kann auch sagen, ich würde für dich töten, aber ich weiß nicht, ob ich das für Freunde tun würde.“

Katsuya schluckte. Er hatte dem nie viel Bedeutung beigemessen, was damals passiert war. Natürlich ... Bakura hatte ihn da raus geholt. Er war dankbar. Aber ansonsten hatte er das alles nur vergessen wollen. Er wollte ganz sicher nicht darüber nachdenken.

Er legte die Arme um sich selbst.

Seto warf ihm einen kurzen Blick zu, aber schwieg.
 

„Sprich mit mir“, forderte Seto leise, als sie in der Dunkelheit des Schlafzimmers zusammen lagen, „was geht dir durch den Kopf?“

Katsuya schnaubte. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte man so lange Watte hinein gepackt, bis er fast explodierte. Er wusste, Seto hatte recht. Bakura hatte etwas sehr Außergewöhnliches für ihn getan und er hatte ihm nie gedankt. Er war ein bisschen wie Noah, wenn es um Bakura ging: Er wollte nicht verstehen.

Bakura machte ihn rasend. Er ekelte ihn an. Er war hilfreich, aber seine Hilfe kam mit hohen Preisen.

Dieser Teil war klar. Dieser Teil war allerdings verbunden mit dem, der wie eine riesige Schlucht in seiner Erinnerung saß und ihn in den Abgrund lockte, wenn er zu nahe kam.

Sein Kopf sprach das Wort und er winselte vor Schmerz. Kopf- wie Seelenschmerz.

„Fang einfach irgendwo an“ Seto lockte ihn mit seiner Stimme. „Irgendetwas. Rede einfach drauf los.“

„Ich will mich nicht erinnern“ Katsuya drückte seinen Kopf in Setos Seite. Da dieser wie in den meisten Nächten ein Licht angelassen hatte, war es dimm, sodass Seto ihn sehen konnte, wenn er sich anstrengte. „Ich will einfach nur ... ich wünschte, es wäre nie geschehen. Die Entführung und die ... ich meine, die Entführung ging. Ich wusste, Pegasus hatte mich aus einem Grund entführt und du würdest mich da raus holen. Es war kalt und das Essen war schlecht, aber es ... es ging halt. Natürlich hatte ich ein bisschen Angst, aber ich wusste, Pegasus wollte nicht, dass mir etwas geschieht und ich wusste, dass du alles tust, um mich zu befreien“ Seto strich mit einer Hand über seine Seite, eine stetige und versichernde Wärme. „Die Befreiung war ... das war Horror. Ich kannte die zwei Wächter mittlerweile. Der eine war wirklich nett zu mir gewesen. Und Bakura hat sie einfach erschossen. Sie konnten sich nicht einmal wehren. Sie hatten nicht einmal ihre Waffen gezogen.“

Ein Schluchzen durchzuckte ihn und er drückte sich mit seinem ganzen Körper gegen Seto. Dieser legte beide Arme um ihn und hielt ihn fest an sich gedrückt.

„Ich weiß ... natürlich hätten sie zurück geschossen, aber ... hätte man nicht irgendetwas anderes tun können? Umzingeln mit Polizei? Betäuben? Mussten sie unbedingt sterben?“ Seine Worte wurden von seinen Tränen verwaschen. „Ich bin ja dankbar, aber ... warum das? Warum sie kaltblütig erschießen? Ich kann Bakura ... ich finde ihn einfach schrecklich. Wie konnte er so etwas tun?“

Seto schwieg einfach nur. Katsuya war auch nicht sicher, ob er Setos Antwort hören wollte. Er fürchtete, sie würde ihm nicht gefallen. In diesem Moment war Setos Wärme zu wichtig, als dass er sie aufgeben könnte.

„Und ich kann noch immer nicht ... ich kann es nicht aussprechen ... ich kann nicht daran denken“ Ein Schluchzen unterbrach, was auch immer noch gefolgt hätte. Er war sich nicht sicher, was er noch gesagt hätte. An diesem Punkt begann der Abgrund und er wollte, er konnte nicht weiter gehen.

Seto nickte nur gegen seinen Kopf und küsste sein Haar.

„Ich- ich ... ich wünschte einfach nur, es wäre nie geschehen. Einfach ... ich will es nicht. Die Angst und den Ekel und ... ich will, dass wir zusammen sein können. Richtig.“
 

„Ruhig“ Seto drehte sich etwas weiter zu ihm und drehte sich zurück, wobei er Katsuya etwas über sich zog. „Was heißt das denn? Wir sind richtig zusammen.“

Katsuya schluckte. Er atmete tief durch den Mund ein und aus. Mit seinem Schlafanzugärmel wischte er die Tränen von seinem Gesicht. Schließlich flüsterte er: „Ich meine ... sexuell.“

„Wir sind auch sexuell richtig zusammen“ Setos Arme schienen seinen ganzen Körper zu umschlingen, obwohl das natürlich physisch unmöglich war. Aber es war ein schönes Gefühl. „Ich bin glücklich mit dem, was wir haben.“

„Hör doch auf“ Beinahe hätte Katsuya sogar geschnaubt. Er schüttelte einfach nur den Kopf. „Du vermisst Sex, was anderes glaube ich dir nicht.“

„Wir haben Sex“ Seto zog Katsuya etwas hoch, sodass er ihm ins Gesicht sehen konnte. „War vorgestern kein Sex für dich?“

„Kein richtiger“ Er wandte die braunen Augen zur Wand. „Das ist ... das ist einfach etwas anderes.“

„Wirklich?“ Setos Stimme vertiefte sich. Nicht in Wut. Nicht in Unglauben. Nein, es hatte etwas von ... Trauer? „Fühlst du nichts, wenn wir ... Nicht-Sex-Sex haben?“

„Natürlich fühle ich etwas“ Katsuya verschränkte die Arme auf Setos Brust und stemmte sich damit etwas hoch. „Das Gefühl ist dasselbe, es ist nur ... trotzdem nicht dasselbe.“

„Für mich ist es dasselbe“ Seto ließ seine Arme fallen und legte seine Hände auf Katsuyas Wangen. „Menschen, denen so etwas wie dir passiert, die verlieren ihr Vertrauen. Sie verlieren die Möglichkeit, sich fallen zu lassen. Sie können keine Intimität mehr empfinden und einem kein Gefühl von Nähe geben, weil ihr Vertrauen geschädigt ist“ Katsuya schluckte. Hatte er das? Hatte er sein Vertrauen in Seto verloren? „Aber du hast das nicht. In deinem Vertrauen in mich hat das alles nichts geändert. Deswegen ist mir egal, was wir machen, das Gefühl ist dasselbe.“

Bei allen Göttern. War Seto von Feenstaub getroffen worden? Tränen rannen Katsuyas Wangen hinab. Das war ... das gehörte definitiv in die Top Ten der Dinge, die ihm je ein Mensch gesagt hatte. Eher Top Three.

„Ich dachte ja auch, dass es mich stören würde. Dass es für mich schwer wird“ Seto seufzte leise. „Aber ich meine es ernst. Ich vermisse es nicht. Es ist nur eines der Dinge, die wir tun können.“

„Aber ... warum habe ich so viel Angst?“ Katsuya presste die Zähne aufeinander, um das Schluchzen nicht hinaus zu lassen. „Ich meine ... wenn ich dir vertraue ... wieso kann ich es dann nicht?“

„Weil dein Körper sich an die Schmerzen erinnert“ Setos Finger fuhren in sein Haar und massierten seine Kopfhaut. „Alles Vertrauen dieser Welt hilft nicht, dein Körper verbindet die Berührung mit Schmerzen. Das kann man nur austrainieren, indem ich dich so berühre, bis die Angst gerade noch ertragbar ist. Und dich dann so lange weiter so berühre, bis dein Körper wieder gelernt hat, dass diese Berührung nicht schmerzt.“

Katsuya blinzelte. Irgendwie ... hatte er keine Ahnung, wovon Seto da redete. Aber es klang machbar. Er griff ein Taschentuch von der Kommode, putzte sich die Nase und fragte nach: „Wie?“

„Leg dich hin“ Seto tätschelte das Laken neben sich.

„Tut es weh?“ Der Blonde legte sich vorsichtig hin.

„Nein, versprochen“ Seto legte beruhigend einen Arm um ihn. „Dein Körper wird sich allerdings an Schmerzen erinnern. Das kann weh tun, sollte es aber nicht.“

Katsuya nickte langsam und schluckte.

„Ich werde mit meiner Hand über dich streichen. Irgendwann wirst du dich verspannen und es kommt Angst auf. Sag sofort Bescheid“ Katsuya brummte eine Zustimmung und spürte eine Hand über seinen Rücken zu seiner Seite fahren. Er verspannte sich, als die Hand über seine Pobacke strich und Seto stoppte, ohne das Katsuya etwas gesagt hatte. „Bescheid ...“

„Ich spüre keine Angst“ Er verzog den Mund. „Höchstens ein bisschen.“

„Ich werde meine Hand so lange nicht weiter bewegen, bis du dich wieder entspannt hast.“

„Das kann Jahre dauern!“ Okay, wahrscheinlich nicht, aber er würde sich doch sofort wieder verspannen, wenn Seto seine Hand bewegte.

Mit dem zweiten Arm hob dieser Katsuyas linke Hand zu seinen Lippen und küsste den Ring dort. Die blauen Augen richteten sich wieder auf Katsuya, bevor Seto sagte: „Ich habe Jahre.“

Eine chaotische Familie

Bald ist Neujahr ^.^ Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Ich hatte sehr viel Spaß mit diesem Kapitel. Zwar sind die darin vorkommenden nicht gesund, aber sicherlich sehr robust und ein gutes Lernumfeld, was eine Familie sein kann. Ich muss zugeben, als ich das erste Mal im realen Leben selbst so etwas sah, habe ich geheult wie ein Schlosshund. Einfach vor Freude. War schön so etwas zu erleben.

Also viel Spaß beim Lesen, aber seid auch gewarnt ^.^
 

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„Hey, Katsuya“ Kimi grinste und zog die Tür ganz auf. „Gut gefunden?“

„Seto hat 'n Navi“ Er nickte und trat ein. „Guten Morgen.“

„Wo ist deine zweite Hälfte?“ Kimi lehnte sich auf den Flur hinaus und sah sich um.

„Der fährt samstags immer ins Fitnessstudio“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, der braucht seinen festen Plan. Ist das ein Problem?“

„Nö, nö“ Sie streckte sich und gähnte, während sie zwei Schritte den Flur hinab machte. „Oh, äh ... Bad, Wohnzimmer“ Sie zeigte auf zwei Türen und ging weiter, während Katsuya ihr folgte. „Prinzessinnenzimmer, Sasus Gruft, Küche, mein Zimmer“ Sie trat in die Küche und Katsuya folgte ihr. Der Raum war recht klein, der Tisch war in der Wand verankert und klappbar. Gerade stand eine halbleere Flasche Orangensaft darauf. „Hast du Hunger? Ich hab' noch nicht gefrühstückt.“

„Hätte ich besser später kommen sollen?“ Seto sagte, elf Uhr war in Ordnung, um bei Leuten aufzutauchen. Hätte er lieber anrufen sollen statt nur eine SMS zu senden?

„Macht keinen Unterschied“ Sie reichte ihm einen Klappstuhl und nahm sich einen zweiten. „Samstag ist Gammeltag. Ich liege den ganzen Tag auf der Couch, Tyler steht vor ein Uhr eh nie auf und Sasu sitzt in ihrem Zimmer. Meistens arbeitet sie, aber sie genießt die Ruhe“ Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zur Seite, öffnete den Kühlschrank und fingerte mit einiger Anstrengung durch die Entfernung ein Joghurt heraus. „Und es gibt den ganzen Tag Frühstück.“

„Klingt nach meinem Lebensstil“ Katsuya grinste und sah sich in der Küche um. Bei Seto war alles immer sauber und ordentlich. Hier war kreatives Chaos und in der Ecke lag eine einsame Fussilini neben ein paar Körnern und verstreutem Salz. Imalia würde dem Putzwahn verfallen.

„Seto sieht nach einen ziemlichen Snob aus“ Mit einem weiteren weiten Strecken fischte sie nach einem Löffel. „Schickes Innenstadtappartment oder so.“

„Vorstadthaus. Roter Backstein“ Sie teilten ein wissendes Nicken. „Aber irgendwie ist es schon cool. Ich habe immer geträumt, irgendwann in so einem Haus zu wohnen. Irgendwo, wo es sauber ist und es warmes Wasser und Strom gibt und wo ich nicht nachdenken muss, wenn ich das Licht anlasse.“

„Das ist nicht sehr umweltorientiert“ Sie winkte mit dem Zeigefinger, aber lächelte dabei.

„Ich mach's ja auch nicht. Aber ich könnte! Das ist der Punkt. Ich kann baden und essen und nachts lesen und muss mir keine Gedanken machen, ob ich das bezahlen kann. Das ist super cool.“

„Ich erinnere mich, das hatten wir am Anfang oft“ Kimi wandte ihren Blick verträumt nach oben. „Babys sind sauteuer. Wir hatten Geld vom Jugendamt und die zahlten die Miete, aber das war halt echt nicht viel. Wir mussten noch zur Schule, ich hatte Tyler, Sasu war sowieso ein einziges Chaos ... Nebenjob war da nicht drin. Das waren ziemlich knappe Zeiten.“

„Wie habt ihr es geschafft?“ Katsuya lehnte sich vorsichtig auf den Tisch. Er sah nicht allzu stabil aus.

„Andere Arbeit gesucht“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hatte Tyler und Sasu, die konnte man beide nicht allein lassen. Also habe ich nach Heimarbeit geguckt. Mein Lehrer hat da über einen Freund was organisiert und dann habe ich Transkriptionen gemacht. Also so Text hören und abtippen. Sasu macht das heute noch.“
 

Hinter ihm ... geschah irgendetwas. Etwas Großes schlug in eine Wand und eine Hand auf Holz. Er schnellte herum, aber sah nichts.

„Mom!“

Er wollte gerade aufstehen, aber bei dem beleidigten Ton vermutete er, dass sich nicht gerade jemand verletzt hatte. Eher war jemand beinahe in die Küche gekommen und hatte dann einen Satz nach hinten gemacht.

„Warum sagst du mir nicht, dass jemand da ist?“ Ein dunkelbrauner Schopf wurde sichtbar, gefolgt von einem halben, recht femininen, aber männlichen Gesicht. Das eine sichtbare Auge musterte ihn von oben bis unten durch. „Seit wann schleppst du so gut aussehende Kerle ab?“

„Guten Morgen, Tyler“ Kimi klang etwas genervt. „Wie wäre es mit einer Begrüßung? Und Katsuya ist mein Bekannter aus der Gruppe, ich habe dir gesagt, dass er heute kommt.“

„Der ist aus der Gruppe?“ Aus dem halben Gesicht wurde ein ganzes, gefolgt von einer unbekleideten Schulter. Seine Haare waren noch vollkommen in der gerade-aus-dem-Bett-gefallen-Form. „Ich dachte, der Kerl sei älter. Ihr seid doch nur Omas da.“

„Ich bin gerade mal dreißig, du Nudel!“

„Rache“ Der Junge steckte ihr die Zunge raus. „Okay, unbekannter Fremder, du hast mich nie gesehen“ Eine Hand war kurz zu sehen und machte eine esoterisch wirkende Handdrehung. „Ich bin gleich wieder da.“

„Heißt, in zwei Stunden stöckelt er aus dem Bad“ Kimi verdrehte die Augen.

„Halt die Klappe, Mom!“

Katsuya drehte sich nur mit gehobenen Augenbrauen wieder zu Kimi und konnte das Lächeln auf seinen Lippen nicht unterdrücken. Das war also der berühmt berüchtigte Sohn. Mal sehen, ob er als Kerl oder Mädchen wieder kommen würde. Er hörte sich ja schon danach an, als würde er auf Männer stehen.

„Ich weiß noch nicht ganz, auf was er eigentlich steht. Normalerweise erzählt er nur, welche Mädchen er toll findet“ Sie schüttelte mit einem Ausdruck der Resignation den Kopf. „Na ja. Er kann nicht mal entscheiden, welches Geschlecht er gern hätte, also warum frage ich nach Sexualität?“

„Könntest du mir mehr darüber erzählen?“ Katsuya lehnte sich zurück auf den Tisch. „Weil ... der Bruder meines besten Freundes, der scheint irgendwie eine Frau sein zu wollen und ich verstehe das noch nicht so ganz.“

„Oh Hilfe, frag Sasu. Die blickt da durch. Ich kriege den ganzen Tag lang nur gesagt, wie ich mich verhalten soll und versuche das“ Kimi atmete tief durch. „Tyler hat das Entscheidungsvermögen eines pubertären Mädchens. Und schon immer gehabt. Einen Tag mag er Fleisch, den nächsten will er Vegetarier sein. Einen Tag lang will er Beamter im Kulturamt werden, den nächsten Astronaut. Manchmal trägt er schreckliche Gangster-Klamotten, den nächsten Tag ein Blümchenkleid. Da war er schon als Kind schrecklich. Du denkst, du bereitest ihm eine Freude und fährst mit ihm in den Freizeitpark, aber nein, er will ins Museum. Ich bin bei fünf verschiedenen Psycholeuten gewesen, ob Sasus DID bei ihm auch DID hervor gerufen hat, aber nein, der Junge ist ein Ausbund psychischer Gesundheit. Sie sagen mir alle, ich soll es einfach akzeptieren und das Beste daraus machen.“
 

„Also hat er nie gesagt oder angedeutet, dass er lieber ein Mädchen sein würde?“ Katsuyas Stirn lag in Falten. Das machte doch jetzt absolut keinen Sinn mehr. Yugi schien ja ganz konsequent dabei zu bleiben, ein Mädchen sein zu wollen, aber was war das jetzt?

„Nie. Er meint, er hat keine Lust sich zu entscheiden. Anscheinend macht es mehr Spaß, als Mädchen mit Mädchen und als Junge mit Jungen wegzugehen“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er zieht halt das an, auf was er gerade Lust hat. Mittlerweile können wir das zum Glück ja auch bezahlen.“

„Ja, aber ...“ Katsuya sah zur Seite. Wie formulierte man das denn? „Ich meine ... ein Mann zu sein, das ist ... das ist ein Teil meines Selbst. Meiner Identifikation“ Ja, stimmt, er hatte doch mal diese total nervige Identitätsfindungsphase. „Als was identifiziert er sich denn dann?“

„Nichts anscheinend“ Sie seufzte und holte sich ein zweites Joghurt. „Er ist weder männlich noch weiblich. Er ist Tyler, er ist sechzehn, er hat kein festes Geschlecht. Das scheint ihm Identität genug zu sein. Wie gesagt, der Junge ist nachweislich ein erstaunliches Beispiel psychischer Gesundheit. Anscheinend braucht er kein Geschlecht.“

Huh ... kein Geschlecht ... Katsuya war es ziemlich wichtig zu wissen, wer und was er war. Das gab einem doch auch ein Gefühl von Zugehörigkeit. Männlich, jung, blond, muskulös, anscheinend schwul – das waren alles Eigenschaften, die einen mit anderen verbanden. Selbst Setos DID hatte ihm ja irgendwie eine Art Identität gegeben. Andererseits hatte er sich früher darüber definiert, Abschaum zu sein, er gegen die Welt, der Einsame, der allein Kämpfende, der Leidende – das hatte er alles abgeworfen. Jetzt war er sehr viel normaler, aber fühlte sich dabei trotzdem besser. Er war nicht mehr sehr besonders, aber er mochte sich dennoch. Einfach, weil Seto ihm eine Menge Sicherheit gegeben hatte. Wenn sich also jemand in sich selbst vollkommen sicher fühlte, vielleicht war das Geschlecht nicht mehr allzu wichtig? Oder vielleicht war Tyler sich schon bewusst, männlich zu sein, aber es war ihm völlig egal, als was andere ihn wahrnahmen?

Katsuya hatte schon bemerkt, je sicherer er wurde, desto weniger interessierte ihn die Meinung anderer. Früher hatte er immer vorgegeben, es würde ihn nicht interessieren, was andere dachten, aber eigentlich war es für ihn extrem wichtig gewesen. Heutzutage war es wirklich nicht so wichtig. Was Seto dachte, das zählte. Was seine Freunde dachten, ja. Alle anderen? Lehrer vielleicht noch, aber das war es eigentlich. Vielleicht war es wirklich nicht wichtig, ob Tyler jetzt männlich oder weiblich war. Seine Mutter und Sasu liebten ihn anscheinend, ganz egal, was er mit sich machte.

„Hat er denn damit keine Probleme in der Schule? Wie reagieren denn die anderen auf ihn? Und was denken seine Freunde?“

„Seine Freunde sind an ihn gewöhnt. Als Mädchen hängt er bei den Mädchen, als Junge bei den Jungs. Sasu besucht alle Lehrer an den Lehrersprechtagen und regelt irgendwie, dass keiner Tyler das Leben schwer macht. Und sonst gibt es eigentlich gar keine Probleme“ Sie lächelte ihren leeren Joghurtbecher an. „Sein Aussehen ist so perfekt, es kommt mittlerweile öfter vor, dass Leute aus anderen Klassen fragen, wo denn sein jeweils anderes Geschlecht ist, weil sie glauben, es wären zwei verschiedene Personen“ Sie stand auf, um die beiden Becher wegzuschmeißen und packte Cornflakes und Milch aus den Schränken, um sie auf die bereits recht zugestellte Arbeitsfläche zu stellen, bevor sie einen weiteren Klappstuhl aufstellte und sich wieder setzte. „Manchmal habe ich ein bisschen Sorge, ob er nicht doch irgendwie DID entwickelt. Es ist, als hätte er zwei Persönlichkeiten. Aber manchmal trägt er auch seine fast zu weiten Jeans zu BH und Top und mischt seine männlichen und weiblichen Verhaltensweisen. Es ist, als würde er auf dem Kontinuum zwischen männlich und weiblich fröhlich hin und her schwanken.“
 

„Guten Morgen“ In der Tür erschien ein junges Was-auch-immer. Halblange braune Haare, leicht geschminkt, ein schulterfreies rotes Oberteil, was eher eine Frau tragen würde, dazu eine verboten eng anliegende Jeans. Die Kreolenohrringe sagten eher Frau, die Sneaker eher Mann. Von oben nach unten gesehen schien Tyler von Frau zu Mann zu wechseln.

„Morgen“ Katsuya hob einen Mundwinkel. „Ich habe gerade deine Mutter über dich ausgefragt.“

„Glaub' ihr kein Wort“ Tyler grinste breit und kam hinein. Aus einem Schrank griff er – sie? – eine Schale und nahm von den Cornflakes und der Milch, die Kimi gerade raus gestellt hatte. „Ich bin kein nerviger Satansbraten. Und ich kann mich sehr wohl für Dinge entscheiden. Ich bin nur experimentierfreudig.“

„Mit dem Teil Satansbraten hatte sie noch gar nicht angefangen“ Katsuya musste ganz ungewollt lächeln. Tylers Laune war ansteckend.

Der Andere setzte sich auf den gerade aufgestellten Klappstuhl zwischen sie und stand mit einem Verdrehen der Augen wieder auf, als Kimi ihm ihren leeren Becher hin hielt.

„Und was bist du so für einer? Ich dachte ja, irgendein Dino kommt vorbei. Wie alt bist du? Darf ich du sagen?“

„Klar“ Katsuya sah ihm dabei zu, wie er seiner Mutter einen Kaffee zusammen mischte. Sie trank ihn mit ... Honig und Zimt? „Ich bin neunzehn und ... tja, was für einer bin ich?“ Er sah zu Kimi.

„Ein sehr starker Kerl, der an einen übermenschlich hübschen Mann mit DID vergeben ist“ Sie sah dabei eher zu ihrem Sohn und betonte das Wort vergeben.

„Mist“ Tyler reichte ihr ihren Kaffee. „Hast du einen Zwillingsbruder? Der zufällig auch so offen ist?“

„Offen?“ Katsuya blinzelte. „Wir haben noch keine vier Sätze gewechselt und du weißt schon, was für ein Mensch ich bin?“

„Nö“ Tyler aß einen Löffel Cornflakes und unterbrach sich so. „Aber meine Mutter mag dich und du bist mit einem Kerl mit DID zusammen. Also musst du ziemlich offen und flexibel sein. Außerdem hast du mich nicht angestarrt, als wäre ich krank oder so. Sind doch gute Voraussetzungen. Liebe kommt mit der Zeit, sagt Sasu.“

„Sasu und ihre Lebensweisheiten“ Kimi verdrehte die Augen. „Außerdem bist du viel zu jung für eine Beziehung für den Rest deines Lebens.“

„Ein kompatibler Mensch kann jederzeit auftauchen, ganz egal, wie alt man ist. Und man sollte keine Chance vergeuden, um Erfahrungen zu sammeln“ Tyler nickte bedeutsam. „Tante Sasu ist eine weise Frau.“

„Nur hat weder sie einen Freund noch ich. Vielleicht sind ihre Weisheiten doch nicht die Spitze der Erkenntnis“ Ihr Blick richtete sich auf Katsuya. „Also wie steht es um den Zwillingsbruder?“

„Mom!“

Katsuya musste nur herzhaft lachen. Das war einfach zu köstlich. So konnten Mutter und Sohn sich benehmen? Das würde seine nie und nimmer machen. Der Gedanke dämpfte sein Lachen genug, dass er antworten konnte: „Ich habe eine jüngere Schwester mit einem zwei Monate alten Sohn. Das war's leider. Seto hat noch einen Bruder, der single ist, aber der ist eher ... konservativ.“

Mit welchem Wort konnte man Noah besser beschreiben? Obwohl ihm das eigentlich auch nicht gerecht wurde. Der Kerl war Pflegevater für seine Schwester und hatte türkise Haare. Nicht ganz das Bild eines Konservativen.

„Ich glaube, ich tue ihm Unrecht. Für einen dreißigjährigen Konzernchef ist er eigentlich ganz offen. Er ist auch durch eine Menge Mist und braucht einfach immer ein bisschen Zeit, bevor er sich an Neues gewöhnt. So wirklich konservativ ist er jetzt nicht.“

„Dreißig ist was für dich“, murmelte Tyler nur und konzentrierte sich lieber auf seine Cornflakes.

Kimi streckte ihrem Sohn nur die Zunge raus und meinte: „Erzähl mehr.“

Bull

Lang nicht mehr geschehen: Das Kapitel für nächste Woche ist noch nicht fertig o.o

Liegt daran, dass es mir innerlich widerstrebt weiter zu schreiben. Schließlich ist es bald vorbei T.T Die Zahl restlicher Kapitel ist einstellig *seufz*

Nun ja, ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß mit diesem ^.^
 

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„Ihr seid zu laut“, maulte eine dunkle Frauenstimme mit einem schweren Akzent. Katsuya könnte nicht sagen, woher der Akzent stammte, aber es schien kein asiatisches Land zu sein.

„Morgen, Claudine“, grüßten Kimi und Tyler. Vom Tonfall her hätte es Katsuya nicht überrascht, wenn sie salutiert hätten. In seinen Kopf gingen die Alarmglocken los, dass das eine gefährliche Persönlichkeit sein könnte und er grüßte sie ebenfalls.

„Wer bist du denn?“ Egal ob gefährlich oder nicht, diese Claudine in Sasus Körper hatte einen verdammt unhöflichen Tonfall.

„Katsuya. Von der Gruppe.“

Wussten Sasus Persönlichkeiten nicht, was die anderen taten? Kannte diese Persönlichkeit ihn nicht? Oder war das eine Art Test?

„U-huh“ Sie sah zu Kimi. „Und was macht der hier?“

„Wir haben ihn eingeladen“ Kimis Ausatmen könnte fast als Seufzen bezeichnet werden. „Wir werden versuchen, leiser zu sein. Schließe doch bitte die Tür.“

Was Claudine auch prompt tat. Mit Gewalt. Zuknallende Türen hatte Katsuya in seinem Leben viele gehört, aber das hier hörte sich an, als könnte sie problemlos die Türklinge raus reißen, wenn sie nur einen Hauch mehr Kraft anwenden würde. Mit ihrer Zimmertür geschah ein paar Sekunden später dasselbe.

Katsuya zuckte beide Male zusammen.

„Posttrauma oder Autismusspektrum?“, fragte Tyler mit einem Blick auf Katsuya.

„Tyler, das ist unhöflich“ Kimi kniff ihn in die Seite. „Und du sollst Sasus Psychobücher nicht lesen.“

„Die sind lustig“, meinte er nur, anscheinend absolut unbeeindruckt von ihrem Kniff, „warum ist es unhöflich, jemanden zu fragen, was für 'ne psychische Erkrankung er hat, wenn er offensichtlich eine hat?“

„Es tut mir Leid, Katsuya. Umgangsformen sind nicht immer seine Stärke“ Sie schüttelte nur den Kopf. „Tyler, die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen schämen sich für ihre Erkrankungen. Deswegen ist es unhöflich, sie darauf hinzuweisen, dass sie sie nicht verstecken konnten und zu fragen, welche genau sie haben.“

„Das ist idiotisch“ Tyler stellte seine leere Müslischale auf den Tisch und verschränkte die Arme. „Warum sollte man sich schämen, dass man krank ist? Ist nicht so, als hätte man sich das ausgesucht.“

„Ist das eine Weisheit von Sasu?“, fragte Katsuya nur vorsichtig. Er wusste nicht genau, was Tylers Worte in ihm auslösten, aber es war kein angenehmes Gefühl. Eher gab es ihm das Bedürfnis wegzurennen. Oder im Boden zu versinken.

„Für seine Handlungen kann man sich schämen, nicht jedoch für sich selbst“ Tyler schien sie direkt zu zitieren, während er nickte. „Und weder posttraumatische Störungen noch Autismusspektrumsstörungen haben irgendetwas mit den eigenen Handlungen zu tun. Nur wie man damit umgeht, das kann man kontrollieren.“

„Hm“ Katsuya nickte langsam. Er hatte keine Ahnung, was er hatte, auch wenn er ganz intuitiv auf eine posttraumatische Störung tippen würde. Seto oder Yami hatten ihm irgendwann auch mal erklärt, was das war, oder? Ehrlich gesagt hatte er nicht mehr den geringsten Schimmer. „Und woran merkt man, dass ich irgendetwas habe?“

„Du zuckst bei lauten Geräuschen zusammen“ Er griff die Orangensaftflasche. „Heißt, dein Regulator ist entweder schon immer kaputt oder ist durch Angst hoch gedreht.“

Als er die Flasche zum Mund heben wollte, griff Kimi sie und zischte: „Glas.“
 

Die nächsten zwei Stunden lang wurde größtenteils Katsuya ausgefragt. Nicht über seine Psyche oder Vergangenheit, da zügelte Kimi ihren Sohn, aber jedes andere Detail wurde von Tyler ausgeschlachtet. Der Junge war pure Energie und damit belebend, ja, aber er war gleichzeitig extrem intensiv und damit sehr anstrengend.

Katsuya kam zumindest so weit, dass er ein paar Fragen über Claudine einwerfen konnte. Anscheinend hielt sie sich für eine Französin, allerdings nicht die hübsche, elegante Variante sondern eher ein ländliches Fischweib. Sie sprach fließend französisch und fluchte auch in der Sprache, wenn sie wirklich sauer war. Weder Kimi noch Tyler hatten jemals französisch gelernt und Kimi konnte auch überhaupt nicht sagen, wann ihre Cousine das wohl gelernt hatte, aber ohne Frage sprach sie es fließend. Und ihre Wutattacken schienen legendär. Zumindest in dem Teil unterbrachen die beiden sich ständig, um irgendwelche Anekdoten einzuwerfen. Claudine wurde wohl nie irgendwie gewalttätig, aber beide hatten augenscheinlich mehr Angst vor ihr als vor Bull. Als Katsuya das ansprach, meinte Tyler nur, dass eine Tante, die wegen jeder Kleinigkeit rum schrie immer schlimmer war als ein Hund, der zubiss, wenn man sich bescheuert benahm.

Die Metapher fand Katsuya erstaunlich einleuchtend. Schließlich konnte er die Aggressivität von Angst mittlerweile ganz gut abschätzen, während Wächter noch immer ein halbes Mysterium war.

Während des Gesprächs waren sie auch ins Wohnzimmer umgesiedelt, wo Kimi sie für zwanzig Minuten allein ließ, um zu duschen und sich etwas anzuziehen. Als sie wieder kam, war Tyler dazu übergegangen, Katsuya über Seto auszufragen. Er hatte das Gefühl, noch nie so viel am Stück über seinen Verlobten geredet zu haben. Es war ein praktisch erlösendes Gefühl, als dieser auch endlich klingelte.

Kimi erhob sich, während Tyler an ihr vorbei jagte, um eher an der Tür zu sein. Sie verdrehte nur die Augen und murmelte: „Ich sollte öfter ankündigen, dass der Gast hübsch sein wird.“

Katsuya lehnte sich nur zurück und schmunzelte in Vorfreude auf Setos Reaktion.

Bevor allerdings Seto irgendeinen seiner kühl kalkulierten, absolut sarkastischen Kommentare bringen konnte, musste er über Tylers Ausruf lachen: „Boah, der ist ja wirklich hübsch!“

„Ich wünschte, er würde Kontrolle über sein Mundwerk lernen“, murmelte Kimi nur und massierte ihre Schläfen.

„Kindermund tut Wahrheit kund“, wiederholte Katsuya eines der Sprichwörter, das Lehrer früher in seiner Verteidigung gebracht hatten. Allerdings war er da sechs und nicht sechszehn gewesen.

„Aus“, meinte Seto nur, der wohl mittlerweile eingetreten war, „geh und mach Sitz.“

Kimi und Katsuya warfen sich nur einen Blick des Mitleids zu. Auch Setos Mundwerk war nicht immer sozial angepasst. Katsuya hatte schon fast vergessen, was für ein Arschloch Seto in fremden Situationen sein konnte.

„Seto, sei höflich“, rief Katsuya nur.

„Es starrt mich mit großen Augen an, als wollte es gleich an mir hochspringen. Hundekommandos sind eine höfliche Art, mit so einer Begrüßung umzugehen“ Natürlich schwang nur reine Selbstüberzeugung in seiner Stimme mit. Einen Moment später trat er ins Wohnzimmer. „Ich mag Kinder nur, solange sie mir bis zur Hüfte gehen.“

„Ich bin kein Kind!“, maulte Tyler, der hinter ihm her ging. Katsuya könnte sich vollkommen bildlich vorstellen, wie Seto ihn schlichtweg hatte stehen lassen.

„Das glaube ich, sobald du dich wie ein Erwachsener benimmst“, erwiderte Seto, ohne sich auch nur umzudrehen. Er ging direkt zu Katsuya und grüßte diesen mit einem Kuss auf die Lippen. Erst danach gab er Kimi die Hand.

Tyler setzte sich schmollend zurück in seinen Sessel, während Seto neben Katsuya auf der Couch Platz nahm. Kimi sah nur zu ihrem Sohn, verdrehte die Augen und fragte schließlich: „Was hasst du über alles?“

„Wenn Leute mich nicht ernst nehmen“, meinte er grummelig.

„Was noch?“

„Angestarrt werden?“ Er sah kurz zu ihr, dann zu Seto, dann zu Boden. „'Tschuldigung.“
 

„Wie soll man bei diesem Lärm arbeiten?“, schallte es mit wirklich gewaltigem Stimmvolumen von weiter hinten in der Wohnung. Während es Katsuya zucken ließ – nach dem Hinweis nahm er es das erste Mal wirklich wahr –, riss es Seto fast von der Couch.

Als Claudine in den Raum stürmte, war Seto längst auf den Füßen und Katsuya war sich – auch ohne den Gesichtsausdruck zu sehen – zu neunzig Prozent sicher, dass er gleich irgendwie ein Blutbad zwischen Wächter und Claudine würde verhindern müssen.

„Ihr seid nicht besser als Blutegel! Lebt von meinem Geld, aber lasst mir nicht eine Minute Frieden, um es zu verdienen!“, schrie sie mit der Stimme einer überdimensionierten Raubkatze.

Katsuya hing sich an Setos Arm, um ihn zumindest zu behindern, bevor er auf sie los ging. Dieses eine mal schien es keinen Unterschied zu machen. Nicht, weil Seto mehr Kraft als fünf Kerle zusammen hatte, sondern weil er gar nicht auf sie los ging. Er donnerte in absolut astreinem irgendetwas – wahrscheinlich französisch – dagegen.

Claudine stand da wie vom Blitz getroffen. Die Lider weit, die Pose erstarrt, der Mund im Luftholen zum nächsten Gebrüll noch geöffnet. Einen Moment, nachdem Seto seinen zweiten oder dritten Satz in der Fremdsprache beendet hatte und nicht fortgefahren war, murmelte sie etwas Kurzes in Fremdsprache und drehte sich schlicht und einfach um, um zu gehen.

„Holy fuck“, murmelte Tyler, während Seto sich setzte, als wäre nichts gewesen.

Und es war Seto. Er legte vollkommen selbstverständlich einen Arm um Katsuya und prüfte mit einem Blick, ob es ihm gut ging. Den Schock und den Unglauben auf dessen Gesicht küsste er mit einem Schmatzer auf Katsuyas Nase weg.

„Hat er gerade Claudine klein geschrien?“, fragte Kimi in völligem Unglauben.

„Au“, kam es wehleidig aus Richtung der Tür. Irgendeine von Sasus Persönlichkeiten – ganz klar nicht Claudine – lehnte gegen den Türrahmen und fragte: „Kimi? Kriege ich eine Novalgin?“

„Äh … klar“ Noch immer etwas aus dem Equilibrium nickte diese und stand auf.

Seto sah ihnen hinterher. Katsuya sah zu Tyler, aber dieser starrte noch immer Seto an. Die Szene schien die Warnung seiner Mutter völlig aus seinem Kopf gelöscht zu haben.

„Wir sollten auch einen abschließbaren Medizinschrank kaufen“, sagte Seto in die Stille und drehte sich zu Katsuya, „die Idee ist ziemlich gut.“

Dieser nickte nur langsam.

„Habe ich etwas falsch gemacht?“ Ein Hauch von Falten legte sich zwischen Setos Augenbrauen.

„Was hast du ihr denn gesagt?“ Was fragte er ihn? Katsuya hatte keine Ahnung, wie man auf so etwas reagieren sollte.

„Dass ich es sehr unhöflich finde, zur Begrüßung angeschrien zu werden und dass ich nicht wusste, dass sie arbeitet. Und dass sie ein Schild an die Tür hängen soll, wenn sie Ruhe will.“

Katsuya nickte nur und legte schließlich mit einem Seufzen den Kopf auf Setos Schulter. Ob sich Ryou wohl so fühlte, wenn Bakura irgendwelche Leute anfuhr? Völlig unsicher, ob das eigentlich richtig war oder nicht? Als Angegriffener hatte man eine andere Sicht als wenn man auf der anderen Seite saß.

„Das war saucool, Mann“ Zumindest Tyler schien sich für eine Reaktion entschieden zu haben. „Ich habe mich das noch nie getraut.“

Katsuya fühlte sich zu ausgelaugt für eine Reaktion, aber sie wäre wohl ein Schnauben gewesen. Irgendwie konnte er nicht ganz glauben, dass es etwas gab, was Tyler sich nicht traute.

„Angeschrien zu werden ist ebenso unhöflich wie angestarrt zu werden“, erwiderte Seto nur mit einem kühlen Blick, der Tyler in Schweigen versetzte.
 

Kimi kam mit Sasu im Schlepptau wieder. Während Erstere problemlos ins Wohnzimmer trat, blieb die andere auf der Schwelle stehen, als wäre sie in eine unsichtbare Barriere gelaufen.

Am Blick erkannte Katsuya, dass sie definitiv nicht Sasu war. Die Pupillen waren so eng wie er es sonst nur von Bakura kannte. Bei Setos und Katsuyas Anblick verengten sich ihre Lider sofort. Aus ihrem Blick sprach aggressives Misstrauen.

„Bull“ Kimi hatte sich zu ihr umgewandt. „Das sind Freunde. Keine Feinde.“

Na klasse. Nachdem Claudine mit Seto ohne Blut geendet hatte, kam jetzt Bull mit Seto? War es wirklich eine gute Idee gewesen, Seto hierher zu bringen?

Bull bestätigte Kimis Worte mit einem abrupten Nicken und folgte ihr in den Raum, als wäre nichts gewesen. Ihre Bewegungen wirkten ein wenig wie die eines Roboters. Rein effizient. Sie stellte sich hinter Kimis Sessel und nach einem kurzen Abschätzen der beiden Neulinge blieb ihr Blick auf Seto liegen.

„Warum werde immer ich als die größte Gefahr wahrgenommen?“, moserte Seto leise, „Bakura starrt auch immer mich an.“

„Vielleicht, weil du einfach die gefährlichere Person bist?“ Katsuya hob nur ermattet den Blick zu ihm. Ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung, was ihn so ausgelaugt hatte. Vielleicht Tylers Inquisition. „Ich wehre mich nur, wenn man mich angreift.“

„Ich auch“, hab Seto zurück.

„Du bist nur weit schneller angegriffen. So wie Bakura bei der kleinsten Kleinigkeit angepisst ist.“

„Katsuya, Wortwahl“, ermahnte Seto ihn.

Der Blonde verdrehte nur die Augen.

„Du lässt dir so etwas von deinem Freund bieten?“ Tylers Stimme war voller Unverständnis. „Warum lässt du ihn an dir rum kritisieren? Er ist nicht deine Mutter.“

„Weil ich keine Mutter habe“, erwiderte Katsuya nur ohne jeglichen Biss in der Stimme.

Seto seufzte nur. Nach einem Moment des Schweigens – von Seiten Tylers und Kimis recht unangenehm – warf er ein: „Sie ist nicht tot, weißt du?“

„Für mich ist sie tot genug“ Er sah zu Seto auf und bemerkte, dass dessen Gesicht sich noch mehr verspannt hatte, als es sowieso durch die Anwesenheit Fremder immer war. „Entschuldige, das war unsensibel“ Er lehnte sich etwas hoch und küsste Seto auf die Wange. „Kimi und Tyler zuzusehen ist nur ein tiefer Schlag in die Magengrube.“

„Du scheinst ein bisschen aus dem Lot, Kats“, schloss Seto mit einem Seufzen und zog ihn mehr an seine Seite, „soll ich dich heim fahren?“

„Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte Tyler leise seine Mutter.

„Ihn nach vier Sätzen zu fragen, ob er eine posttraumatische Belastungsstörung hat, zum Beispiel. Wenn man jemanden kennen lernt, fragt man besser nach dem Musikgeschmack oder Hobbys“, antwortete diese in derselben Lautstärke, „und ich habe dir mehrfach gesagt, dass deine Fragen zu weit gehen. So verjagst du Menschen nur.“

„Es waren mehr als vier Sätze“, maulte Tyler nur, allerdings noch leiser.

„Na komm“ Seto zog Katsuya mit sich in die Höhe. „Du schläfst sowieso nicht gut und gerade siehst du aus, als müsste ich dich gleich ins Auto tragen“ Er richtete sich komplett auf, wobei Katsuya sich stark gegen ihn lehnte, um nicht umzukippen. „Meine Damen, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag. Und du kannst dich ja melden, wenn ich euch mal zusammen zum Stöckchenholen ausführen soll.“

„Ich bin kein Hund!“

Irgendwie kamen Katsuya diese Reaktionen auf Seto vage bekannt vor.

Seto griff nur Katsuyas Hand und winkte damit, bevor er ihn mit beiden Armen hoch hob und zum Auto trug. Oder zumindest nach draußen. Mit Verlassen der Wohnung war er bereits an Setos Schulter eingeschlafen.

Kuppelei

Ich habe lange nicht mehr ein Kapitel am Tag der Veröffentlichung fertig stellen müssen XD Normalerweise schreibe ich vor Ferien so viel vor, dass es auch für danach ausreicht, aber diesmal war ich wohl etwas zu beschäftigt. Egal, jetzt habe ich vier Tage, wo etwas Zeit zum Schreiben ist, also werde ich das nächste Kapitel vor nächster Woche fertig kriegen.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
 

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„Du siehst irgendwie nicht gut aus.“

„Du ebenso.“

Yami und Katsuya legten die Arme umeinander und blieben einige Momente so stehen. Yamis Augenringe mochten verdammt gut überschminkt sein, aber Katsuya wusste ihn zu deuten. Er währenddessen hatte sich nicht mal ansatzweise die Mühe gemacht, seine Augenringe zu überschminken. Dabei hatte er doch eigentlich schier unendlich lange geschlafen: gestern Nachmittag und die komplette Nacht durch.

Nicht, dass er von Alpträumen verschont geblieben wäre.

„Was plagt dich?“, fragte Katsuya und löste sich von Yami.

„Das Übliche“ Dieser seufzte nur und begann, seine Schuhe auszuziehen. „Gedanken an früher ... Yugi geht es anscheinend besser. Also nein, er ... genau genommen ist er völlig am Ende, aber das ist er, weil der Doc mit ihm über sein Geschlecht gesprochen hat. Er hat sich eingestanden, dass er lieber eine Frau wäre.“

„Hey, das ist doch gut“ Katsuya lächelte. „Oder?“

„Relativ“ Yami sah auf, aber er sah nur die Wand an. „Seitdem hatte er drei Selbstmordversuche auf Station. Keine Hilferufe ... echte Versuche.“

„Oh“ Der Blonde schluckte und zog ein wenig den Kopf ein.

„Ich hatte nichts anderes erwartet … die Frage ist nur, wie er aus dem Loch wieder raus kommt. Ich bin erstmal froh, dass er überhaupt so weit ist. Ich hatte … ich hatte Schlimmeres erwartet.“

„Willst du dich erstmal setzen?“ Katsuya legte einen Arm um Yami. „Komm, ich mache dir einen Kakao.“

„Schokolade hilft immer“ Der Andere lächelte schwach. „Und was war bei dir?“

„Nichts wirklich. Hab' Hepatitis, aber wahrscheinlich kein HIV“ Katsuya zuckte mit den Schultern.

„Den Göttern sei Dank“ Yami stützte sich gegen seine Schulter und lächelte. „Das sind gute Nachrichten. Welches Hepatitis?“

„B, C und D.“

Yami stoppte wie ein sturer Esel. Er riss Katsuya schon fast zurück. Mit einem mal sah er sich konfrontiert mit geweiteten Lidern. Er seufzte nur und meinte: „Schon gut. Ich bin geimpft und der Arzt ist zuversichtlich.“

Yami schwieg nur. Durch seine Augen zuckten mehrere Emotionen, alle nur Millisekunden kurz und so schnell verworfen wie sie aufkamen. Schlussendlich schloss er nur die Lider über sie, seufzte erneut und nickte.

„Du wirst sehr vorsichtig sein müssen. Das mit Seto … bisher heilte seine Leber langsam, aber wenn er sich ansteckt ...“

„Stirbt er dann wirklich?“, flüsterte Katsuya.

Der Andere nickte nur bedächtig.

Nach einem Moment des stummen Blickwechsels setzten sie ihren Weg in die Küche fort. Katsuya nahm wie ferngesteuert den Topf hervor und begann, Schokolade zu schmelzen. Seine Gedanken schienen ein komplettes Universum entfernt zu sein.

Seto war also wirklich schwer krank. Der Hinweis, dass er nur eine Wertveränderung von der Transplantation entfernt war, hätte eigentlich schon klar genug sein müssen. Aber wenn er ihn nicht ansteckte, dann wäre alles gut, richtig? Zumindest körperlich. Setos Seele war wie immer etwas anderes.

„Yami? Hat Seto noch irgendetwas, von dem ich wissen sollte?“

„Außer der Leber, den vielen Narben und seiner Psyche?“ Yami schien auf eine Erwiderung zu warten, aber Katsuya gab ihm keine. „Ich wüsste von nichts.“
 

„Du hast Bakura wieder eingeladen?“ Noah blinzelte nur verwirrt. „Warum … was hat diesen Sinneswandel herbeigeführt?“

„Ich denke, es ist erstaunlich hypokritisch ihn auszuschließen, nur weil er die Wahrheit sagt. Er mag sie nicht allzu freundlich formulieren, aber er hat im Grunde recht“ Seto lehnte sich mit einem Kaffee im Sessel zurück. „Wir haben uns ausgesprochen.“

„Na dann …“ Noah verzog dennoch besorgt das Gesicht. „Das heißt, alles, was er gesagt hat, ist wahr?“

Das ließ auch Shizuka ängstlich aufsehen. Katsuya sah den Blick nur, da er gerade den Tisch deckte und daher im Raum war. Obwohl er eigentlich fertig war, rückte er noch einmal alle Löffel zurecht, um Setos Antwort zu hören.

„Ich weiß nicht genau, was er an dem Tag sagte. Aber höchstwahrscheinlich ist alles wahr, ja.“

„Betrunkene Prügelattacken?“, war Shizukas erste Frage. Der Ton war recht monoton, als müsste sie sich zusammen reißen, nicht loszuschreien. Katsuya hatte so etwas noch nie bei ihr gehört.

Seto schloss nur die Lider und seufzte tief. Noah sah vorsichtig zwischen Shizuka und seinem Bruder hin und her, bevor sein Blick auf Katsuya zu liegen kam, der die Löffel schon ein drittes Mal richtete.

„Er hat für eine Woche getrunken, nachdem ich ihn betrogen habe“ Die Worte waren wie Kaugummi, was in seinem Rachen steckte und nicht rauskommen wollte. Es war erstaunlich schmerzhaft, sie auszusprechen. „Er war … gemein. Aber nichts ansatzweise in der Nähe von dem, was unser Erzeuger angestellt hat.“

„Oh“ Sie nickte nur überrascht, bevor sich ihr Ausdruck in Erleichterung wandelte. „Und dass du weggerannt bist?“

„Dieselbe Situation“ Wenn er jetzt so zurück dachte, war es schon komisch, dass er gerade zu Bakura gerannt war. Und dass dieser ihn ohne ein weiteres Wort aufgenommen hatte. Als Seto aufgetaucht war, hatte Bakura ihn sogar verteidigt und vor Seto beschützt. Eigentlich war er erstaunlich hilfsbereit gewesen. Andererseits war das auch die Nacht, wo … Katsuya presste die Lippen zusammen gegen die Übelkeit. Ryou hatte gesagt, es sei nichts gewesen. Vielleicht hatte er sich verhört. Vielleicht war nichts gewesen.

„Und die Kopfwunde?“ Bei dieser Frage klang sie wieder besorgt. „Das ist nicht die auf deiner Stirn, oder?“

„Nein, das war er“ Bei der Betonung des Wortes war wohl jedem im Raum klar, dass er nicht von Seto sprach. Er strich das Haar über seiner Schläfe zur Seite. „Die hier ist von Seto.“

„Und warum war das?“ Dieses mal sah sie wieder zu dem Brünetten.

Dieser jedoch ließ seinen Blick langsam zu Katsuya wandern. Hoffte er, dass Katsuya alles für ihn beantwortete? Oder … der Blonde fragte: „Kannst du dich daran erinnern?“

Dass Seto den Blick zu Boden lenkte, sagte alles.

„An was erinnerst du dich denn?“

Seto sah nur bittend auf. Sein Blick schnellte zu Yami, zurück zu Katsuya. Vorsichtig, in klarer Sorge um die Reaktion antwortete er: „Wie wir verletzt im Bett aufgewacht sind und Religion besprachen.“

„Huh … welche Persönlichkeit hat mich denn dann geschlagen?“ Katsuya sah ebenfalls zu Yami, als hätte er alle Antworten der Welt. „Angst ist ziemlich aggressiv. Schreiend und schlagend. Aber er war völlig ruhig. Mit unterdrückter Wut, aber ich sah den Schlag gar nicht kommen, bis es schmerzte.“

„Nun … es könnte Wächter gewesen sein“, schlug dieser vorsichtig vor.

„Aber der hätte sich nicht die Arme aufgeschnitten“ Katsuyas Stirn zog sich in Falten.

„Ikar“ Yami sah vorsichtig zu Seto, doch der hörte nur zu, als würde es ihn kaum betreffen. „Du lagst in einer Blutlache, hast dich nicht mehr bewegt, wachtest nicht auf … wahrscheinlich glaubte er, dass Wächter dich getötet hat. Ikar wäre derjenige, der euren Körper dafür töten würde, den einzigen Menschen umgebracht zu haben, den er liebte“ Zum Ende hin sprach er zu Seto.

Dieser nickte nur langsam und legte die linke Hand auf seinen Unterarm.
 

Mitten in die entstandene Stille erklang das Schellen der Klingel. Katsuya gab nur ein halb geplagtes Grunzen von sich und ging Richtung Tür. Genau der richtige Moment für Bakura, um aufzutauchen – als wäre die Situation nicht schon unangenehm genug.

„Lass mich“, hielt Seto ihn auf, „ich muss noch ein, zwei Worte mit ihm wechseln.“

Katsuya nickte nur und blieb einfach mitten im Gehen stehen. Er wusste nicht ganz, ob er erleichtert oder ängstlich sein sollte. Mal wieder flogen die Emotionen ziemlich heftig und Seto und Bakura waren immer eine explosive Mischung.

„Ist … wenn ich fragen darf“ Noah klang ungewöhnlich unsicher. „Wie hoch ist die Gefahr … könnte das nochmal passieren?“

Katsuya und Yami warfen sich nur einen kurzen Blick zu, bevor sie beide den Kopf schüttelten. Es war Katsuya, der sprach: „Ich glaube, Wächter hat mich akzeptiert. Ich glaube nicht, dass er so etwas jetzt machen würde. Angst ist der einzige, der jetzt noch Menschen verletzt.“

„Und das nur, wenn man Seto stark verängstigt“, fügte Yami hinzu.

„Alles okay?“, fragte Ryou statt einer Begrüßung und schien wie aus dem Nichts neben Katsuya aufgetaucht zu sein.

„Geht schon“ Katsuya legte müde lächelnd einen Arm um den Kleineren. „Schön, dass du da bist.“

„Danke für die Einladung“ Ryou sah einen Moment schweigend auf. „Ist es wirklich okay, dass Bakura auch da ist?“

„Wo ist er eigentlich?“

„Er und Seto sind vor der Tür“ Ganz automatisch erhob sich Yami bei diesen Worten und ging zum Fenster. „Aber sie wirkten nicht angespannt.“

„Sie rauchen nur“, bestätigte Yami.

„Solange es so bleibt“ Katsuya seufzte nur. „Ich möchte wirklich keine Gewalt mehr. Ich hatte genug für mein ganzes Leben.“

„Bakura hat versprochen, sich zu benehmen“ Ryou lächelte mit Stolz in den Augen. Niedlich wie immer. Er glaubte glatt daran, dass das bei seinem Bruder wirklich einen Effekt hatte.

Katsuya nickte nur und setzte sich auf den Teppich, wobei Ryou sich auch direkt neben ihn setzte. Dieser begann ein Gespräch mit Shizuka und Noah, aber Katsuya blendete die drei aus. Irgendwie schien diese Woche ein bisschen übermäßig geladen. Er beendete die aufkommenden Gedanken mit einem tiefen Seufzen und versuchte, das Gespräch doch noch mitzubekommen.

„Er dreht sich immer öfter“ Shizuka sah gerade zu Isamu, der auf einer Spieldecke neben der Couch lag. „Und er kann sich bereits ein paar Sekunden halten, wenn er sich hoch drückt. Er fürchte, bald werden wir alles kindersicher machen müssen.“

„Mein Büro habe ich schon umgebaut“ Noah strich sich mit einer Hand durch das türkise Haar. „Gut, dass man bereits diese Schubladenstopper erfunden hat. Die halten zumindest, bis er zwei Jahre alt ist.“

„Wir sollten nächste Woche mal das Haus abgehen, was gemacht werden muss, nicht?“ Shizuka sah zu Noah.

„Klingt gut“ Er nickte. „Die Ärztin meinte übrigens, wir können bald mit Beikost anfangen. Sollen wir diese Woche auch einkaufen fahren?“

„Können wir bei Modena vorbei?“ Auf ihre Züge schlug sich Begeisterung.

„Hast du schon wieder ein neues Kleid gefunden?“ Seine Stimme drückte das Seufzen aus, das er zurückhielt.

„Es ist ein gefüttertes Winterkleid und wunderschön“ Shizuka sprach weiter, aber Katsuya ließ seine Konzentration wieder schwinden. Die Erinnerung an damals zog ihn mehr in deren Bann als Shizukas Kleiderwunsch.
 

Katsuyas Bewusstsein kehrte mit dem Geruch von Erdbeeren zurück. Er blinzelte verwirrt, zog den Kopf zurück und konnte die ungewöhnliche Sensation schließlich dem Stück Erdbeertorte auf einer Gabel direkt vor seinen Lippen zuordnen. Er verfolgte den haltenden Arm bis zu Setos Gesicht.

„Probier' mal“, meinte dieser nur.

Nach einem kurzen Blinzeln beugte er sich vor und nahm die Gabel zwischen seine Lippen. Hm … die war wirklich gut. Zwischen Früchten und Tortenboden war eine Schokoladenschicht eingebacken. Er leckte sich über die Lippen und sah sich um, ob er den Rest des Tortenstücks entdecken konnte. Er bemerkte eher nebenbei, dass er auf Setos Schoß im Sessel saß. Dieser hielt ihn mit einem Arm um die Hüfte, während er sich vorlehnte und den Teller mit dem Tortenstück griff.

„Sauer“, murmelte Ryou währenddessen und verzog das Gesicht.

„Sauer? Das ist Torte. Die ist immer süß“ Bakura sah irritiert zu seinem Freund, der wohl auch gerade mit Torte gefüttert wurde.

„Da sind Stachelbeeren drauf. Die sind mir zu sauer“ Er stellte den Teller mit Stachelbeertorte vor seinen Bruder und ließ sich von Noah etwas Süßeres servieren.

„War ich lang weg?“, flüsterte Katsuya. So langsam hatte er sich so weit zusammen geflickt, dass er verstand, dass er wohl Dissoziationen gehabt hatte.

„Nur ein paar Minuten. Alles gut“ Seto küsste seine Schläfe.

„Überall küssende Paare“ Noah sah sich mit einem Seufzen um.

„Gräme dich nicht, ich bin auch single“, erwiderte glatt Yami zur Aufheiterung.

„Wer weiß, wie lange? Shizuka ist jung, du wirkst zumindest jung … in meinem Alter sind alle Frauen gerade entweder unausstehlich oder noch nicht wieder geschieden. Und ich werde meine Zukünftige bestimmt nicht auf einer Ü30-Party kennen lernen.“

„Aprospos, ich habe einer Bekannten von dir erzählt“ Mit der Erinnerung an Kimi floss wieder Leben in Katsuya. Das war lustig gewesen. „Sie schien sehr interessiert, dich kennen zu lernen.“

„Solange es ihr um mehr als meine Kreditkarte geht, bin ich ganz Ohr“ Noah seufzte leise. Er schien nicht sehr optimistisch.

„Keine Sorge, sie kennt Seto und ist interessiert, weil du mit Seto auskommst“ Ob das eine gute Empfehlung war? „Ihre Cousine hat DID und sie möchte nur mit jemanden zusammen kommen, der das zumindest akzeptieren kann.“

„Es beruhigt mich sehr, dass du nicht damit angefangen hast, dass sie psychische Probleme hat und jemanden braucht, der ihre Kapriolen durchsteht.“

„Gar nicht, sie ist kerngesund“ Oder zumindest nahe an dem, was Katsuya für sich selbst gerne hätte. „Sie ist einunddreißig, hat einen Sohn und arbeitet … hatte sie gesagt, als was sie arbeitet?“ Katsuya sah zu Seto.

„Sekretärin einer wissenschaftlichen Abteilungsleitung“ Da er immer noch die Gabel hielt, trennte er Katsuya etwas von der Erdbeertorte ab und fütterte ihn weiter. „Sie wollte etwas möglichst Normales machen.“

„Und was denkst du?“, wandte sich Noah an seinen Bruder, „würde ich mich mit ihr verstehen?“

„Keine Ahnung“, erwiderte dieser in trockener Ehrlichkeit, „sie wäre ein Typ Frau, dem du noch nie zuvor begegnet bist.“

Noah blinzelte überrascht, nickte langsam und sah wieder zu Katsuya: „Dann würde ich sie gern treffen.“

„Cool. Ich … was mache ich jetzt?“ Er sah hilfesuchend zu Seto, welcher aber nur mit den Schultern zuckte.

„Du fragst Noah, ob du ihr seine Telefonnummer geben darfst und gibst sie ihr dann. Oder anders herum. Wahrscheinlich ist Noah der beschäftigtere, also sollte er sie anrufen“, half Shizuka ihn aus, „du musst das mit dem Kuppeln noch lernen, Bruder.“

Zurück ins Krankenhaus

Der Titel spoilert leider. Wer hat das hier geahnt?

Viel Spaß beim Lesen, vielen Dank für eure lieben Rückmeldungen und bitte drückt mir nächste Woche Montag die Daumen. Ich schreibe Innere und ich darf da einfach nicht durchfallen, sonst bin ich zu wütend auf mich selbst.
 

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„Müde“, murmelte Katsuya klagend und ärgerte sich zum wiederholten male wieder, einen Glastisch für die Küche gekauft zu haben. Er war kalt, unbequem und gänzlich nicht geeignet, um den Kopf darauf abzulegen.

„Iss etwas“, forderte Seto ihn auf, aber Katsuya brummte nur unbestimmt.

Einen Moment lang sah sein Gegenüber ihn mit einem kritischen Blick an, bevor er aufstand und zu Katsuya trat. Neben diesem beugte er sich hinab und forderte nach einem Moment der Betrachtung: „Leg mal den Kopf in den Nacken.“

„Huh?“ Katsuya hob nur zweifelnd seine Augenbrauen, aber ließ sich einfach mitziehen, als Seto seinen Kopf mit beiden Händen sanft griff.

„Dacht' ich mir doch“ Seto seufzte tief. „Deine Augen sind leicht gelb.“

„Hn … Leber?“ Das war jetzt gefährlich, oder? Sollte er nicht sofort in die Klinik, sollten seine Augen gelb werden?

„Ja, Leber“, bestätigte Seto, „ich rufe den Arzt an, was wir am besten machen sollten. Und deine Schule und meine Arbeitsstellen. Pack' währenddessen schonmal eine Tasche, ja?“

„Tasche?“ Irgendwie schien seine Kombinationsgabe stark unter seiner Müdigkeit zu leiden.

„Ja, für die Klinik. Ein Schlafanzug und eine Zahnbürste machen das Leben dort sehr viel schöner.“

„Ich will nicht in die Klinik“, wehrte sich Katsuya schwach, aber Seto schien ihm nicht einmal zuzuhören, „menno ...“

Seto setzte noch einen Kuss auf sein Haar, bevor er sein Handy zückte und ins Wohnzimmer ging. Katsuya seufzte nur und schloss die Augen. Musste das Zeug unbedingt jetzt ausbrechen? Er hatte nächste Woche Prüfungen. Ayumi würde ziemlich enttäuscht sein, wenn er bei ihrer ganzen Mühe doch keine guten Prüfungen schrieb.

Er zog sich ermattet aus seinem Stuhl und machte sich auf nach oben. Andererseits … lenkte er sich mit den Gedanken nicht nur davon ab, an was er nicht denken wollte? Dass das hier gefährlich war? Er seufzte tief. Nun … er konnte eh nichts tun, oder? Positiv denken. Der Arzt hatte gesagt, er solle positiv denken.

Er stoppte nur Millimeter vor dem Türrahmen, blieb stehen und lehnte seinen Kopf dagegen. Denken – egal ob positiv oder negativ – schien verdammt schwer, wenn man dabei beinahe einschlief. Er gähnte einmal tief, trat zur Seite und überprüfte lieber nochmal, ob da wirklich keine Tür war, bevor er weiter ging.

Packen … da brauchte man eine Tasche. Eine Tasche … er hatte damals eine im Kleiderschrank gefunden, als er für Seto gepackt hatte. Er öffnete besagten Kleiderschrank und fand dort auch die gewünschte Sporttasche. Gut. Unterwäsche. Er öffnete die Schublade. Und wie viel bräuchte er? Wie lange musste er dort bleiben? Er blinzelte müde, schaffte es mehr recht als gut die Lider wieder zu öffnen und packte einfach alles ein. Schlafanzug hatte Seto gesagt. Zahnbürste. Badsachen … Bad … er stellte die Tasche auf den Toilettensitz und gähnte herzlich. Ob er im Krankenhaus schlafen dürfte? Nicht darüber nachdenken. Fertig packen. Shampoo brauchte er. Eine Bürste. Zahnpasta. Rasierzeug.

„Katsuya?“

„Huh?“ Er drehte sich zu Seto, welcher heran trat und einen Arm um seine Hüfte legte. „Alles in Ordnung?“

„Müde ...“, murmelte Katsuya nur.

„Ich sehe es. Du hast gerade mein Duschgel eingepackt.“

„Habe ich?“ Katsuya versuchte über seine Schulter zu sehen.

„Schon gut, lass mich das besser machen. Setz' dich doch … aufs Bett. Noch besser, ich bringe dich hin.“

Katsuya brummte nur etwas Unverständiges und lehnte sich gegen Seto.
 

„Wir werden Sie so schnell wie möglich dran nehmen“ Die etwas ältere Schwester warf Katsuya einen besorgten Blick zu, als wolle sie ihm am liebsten über das Haar streicheln und ihm sagen, dass bald wieder alles gut wäre.

Katsuya fühlte sich zu müde, um seiner sarkastischen Ader Ausdruck zu verleihen. Seto schwieg ganz uncharakteristischerweise einfach. In diesem Fall war es dem Jüngeren herzlich egal. Er kuschelte sich an seinen warmen, atmenden Sitz und befand, dass die Situation auch schlechter sein könnte. Weder hatte er Schmerzen noch drehte Seto am Rad. Er war einfach nur hundsmüde.

„Wach bleiben, Katsuya“, erinnerte der andere ihn.

„Aber du bist bequem“, murrte dieser nur.

„Soll ich dich auf den Stuhl setzen?“, fragte Seto nur amüsiert.

Als Antwort festigte Katsuya seine Umarmung, mit der er sich auf Setos Schoß hielt. Nicht, dass sein Freund noch auf doofe Gedanken kam. Obwohl er die Lider geschlossen hielt, wusste er, wo sie ungefähr waren und fragte demnach: „In welchem Teil des Krankenhauses sind wir hier?“

„Die stationäre Aufnahme der internistischen Stationen. Irgendein Arzt wird gleich noch mal einen Blick auf dich werfen und dich dann einer Station zuweisen.“

„Neuer Arzt?“, grummelte Katsuya nur.

„So ist das halt“ Seto strich mit einer Hand über sein Haar. „Ich kann für dich sprechen, solange du dabei nicht einschläfst.“

„Herr Kaiba?“ Eine jüngere Schwester war zu ihnen getreten. „Bitte folgen Sie mir.“

Ganz selbstverständlich erhob Seto sich mit Katsuya im Arm und trug ihn hinter ihr her. Sie warf ihnen einen kurzen, verwunderten Blick zu und fragte: „Soll ich eine Trage holen?“

„Gehen Sie einfach, wir folgen“, erwiderte Seto nur mit kalter Stimme.

„Wie Sie wünschen“ Sie brachte sie einen kurzen Gang entlang und öffnete eine Tür. „Bitte legen Sie ihn doch auf dieses Bett.“

Katsuya öffnete kurz die Lider und fand sich in einem sehr kleinen Raum wieder, in das außer dem Krankenbett und einem Schreibtisch mit PC nicht viel mehr passte. Auf der anderen Seite war eine breite Tür, die geschlossen war.

„Die Ärztin wird gleich bei Ihnen sein“, versicherte die Schwester und schloss die Tür, durch die sie eingetreten waren.

„Geht flott heute“, murmelte Katsuya nur.

„Du würdest auch flott machen, wenn du dich sehen könntest“, erwiderte Seto mit klarer Sorge in der Stimme und setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, „du bist kalkweiß mit einem leichten Gelbstich, kannst kaum die Augen offen halten und musst getragen werden.“

„Ich könnte selber laufen, weißt du?“ Katsuya grinste.

„Nichts, was die hier wissen müssen“ Seto erwiderte das Grinsen. „Aber ehrlich … du siehst nicht so blendend aus. Ich weiß, mir ging es damals bedeutend schlimmer, aber dein Zustand wird noch schlimmer werden, bevor er besser wird.“

„Ich wollte schon immer mal wissen, wie es ist, ein paar Tage zu verschlafen“ Katsuya konnte die Lider nicht oben behalten. „Was mache ich denn jetzt wegen der Prüfung?“

„Nicht dran denken. Du kannst sie in den Ferien nachschreiben. Die Nachprüfungen sind eh immer leichter als die ersten Versionen“ Seto strich ihm den Pony aus dem Gesicht.

„Klingt gut“, murmelte Katsuya nur.
 

„Guten Morgen“ Eine beleibte, dunkelhaarige Frau mit langem Kittel trat ein. „Ich bin Doktor Mishima.“

„Kaiba“, erwiderte Seto einsilbig.

Katsuya deutete nur ein Nicken an. Eine Verbeugung schien gerade weit über seinem Können zu liegen, wenn es nicht dringend nötig war. Sie sah ihn nur kurz an und richtete ihre Fragen an Seto, sodass er seine Lider wieder schloss, bis eine Antwort vonnöten war.

„Verstehe“ Sie tippte ihn an die Schulter. „Junger Mann? Ich nehme Ihnen jetzt Blut ab. In Ordnung?“

Er nickte nur und streckte seinen Arm aus. Mittlerweile gab es Schlimmeres als Nadeln. Irgendwie hatte er in letzter Zeit genug davon gesehen, als dass ihn das noch schocken würde. Auch wenn sie nicht unbedingt übermäßig sanft mit ihm umging, die Nadel saß. Da der Schmerz doch etwas unerwartet groß war, blickte er zu seinem Arm und sah, dass sie ihm da nicht einen kleinen Pieks gegeben hatte sondern gleich einen Infusionszugang. Hieß wohl, dass er bleiben würde.

„Haben Sie noch ein anderes Symptom außer Müdigkeit?“ Er schüttelte energielos den Kopf. „Schmerzen irgendwo? Übelkeit? Juckreiz? Konzentrationsschwierigkeiten?“

„Ich bin müde“, murmelte er nur.

„Wie haben Stuhl und Urin ausgesehen?“, fragte sie weiter, während sie noch seinen Arm verklebte.

Mussten die immer solche ekligen Fragen stellen? War das wirklich wichtig? Er berichtete mit verzogenem Gesicht, dass alles wie immer gewesen war.

„Gut“ Sie nickte. „Sollte sich irgendetwas davon ändern, sagen Sie sofort einer Schwester Bescheid. Sind Sie schon einundzwanzig?“

„Ich bin sorgeberechtigt“, warf Seto sofort ein.

„Auch gut“ Sie nickte auch diese Information ab. Sie schien zwar schroff, aber erstaunlich effizient. „Wir werden ihm Infusionen geben und eine Interferontherapie starten.“

„Ist die Datenlage über eine Interferontherapie nicht unschlüssig?“ Setos Gesichtsausdruck verdunkelte sich.

„Bei unkomplizierter akuter Hepatitis, ja, bei möglicherweise fulminanter Hepatits sollte behandelt werden“ Sie deutete auf Katsuya. „Das könnte fulminant werden. Mit Therapie trägt er auch weniger Leberschäden davon und die Heilungsrate wird verdoppelt.“

„Wenn die Therapie für zwei Jahre durchgeführt wird“, warf Seto ein.

„Möchten Sie, dass ich Ihnen die Leitlinie ausdrucke oder ein Fachbuch bringe?“, erwiderte sie nur trocken.

„Schon gut“ Seto nickte, wenn auch mit verschränkten Armen. „Fangen Sie an. Was denken Sie, wie lange es dauert, bis es ihm besser gehen wird?“

„Mindestens eine Woche“ Sie wandte sich wieder zu Katsuya. „Ich mache jetzt noch eine Untersuchung deines ganzen Körpers, einmal von oben nach unten, dann kommt die Schwester für den Katheter und dann darfst du schlafen.“

„Katheter?“ Das Wort hatte er vorher noch nicht gehört.

„Ein Schlauch, der in deine Blase kommt. Dann musst du nicht mehr selbst zur Toilette gehen.“

Toilette? Schlauch? Wie kam der denn in seine Blase außer-

„Halt mal! Ich kann allein auf Toilette gehen!“ Seine Lider weiteten sich.

„Jetzt noch“ Sie lächelte, aber ihr Lächeln verzog ihr Gesicht in einen wirklich ungünstigen Ausdruck. „Morgen sieht das ganz anders aus.“

Aus Katsuyas Kehle kam nur ein hohes, ängstliches Fiepen. Er hasste Krankenhäuser …
 

Er schlief nicht, aber er war auch nicht wach. Es war ein ganz komisches Zwischenstadium, was er am ehesten als Dösen bezeichnen würde. Er bekam schon irgendwie mit, wie Seto den Schwestern auf die Nerven ging, aber er hätte nicht sagen können, womit. Immer mal wieder war er wach genug, um die Augen zu öffnen. Seto reichte ihm Wasser, irgendwann sogar Mittagessen, Süßigkeiten und schließlich Abendessen. Dass er vor dem Dessert einschlief, nahm er sich selbst ziemlich übel, schließlich hatte es lecker ausgesehen.

Es war Nacht, als er soweit erwachte, dass er sich halbwegs klar fühlte. Seto saß nicht mehr neben dem Bett, also hatten sie ihn wahrscheinlich trotz aller Proteste rausgeworfen. Oder vielleicht war er kurz gefahren, um noch etwas von zuhause zu holen. Katsuya sah sich um. Nein … kein Zettel irgendwo. Wahrscheinlich war er einfach nur zuhause.

Mit einem Seufzen setzte Katsuya sich auf. Nun … was sollte er jetzt tun? Hatte er eigentlich Zimmernachbarn? Er zog den Vorhang etwas zurück. Nein, der schien nur gegen das Mondlicht zu sein. Seto hatte ihm wahrscheinlich ein Einzelzimmer bezahlt, damit er selbst sich nicht über andere Menschen ärgern musste. Katsuya lächelte nur und suchte nach dem Fernseher. Kein Zimmernachbar hieß, dass er nicht super leise sein musste.

Der Fernseher war schnell gefunden, die Fernbedienung allerdings weniger schnell. Er war gerade dabei, dass zweite mal seinen Beistelltisch zu durchwühlen, als es leise klopfte. Er flüsterte in die Dunkelheit: „Herein?“

„Du bist wach?“, fragte eine weibliche Stimme von der Tür aus. Er hatte das Gefühl, sie zu kennen, aber ihm fiel nicht ein, wer sie sein könnte.

„Gerade schon. Wer sind sie?“

„Schwester Yumi“ Sie kam im Halbdunkel des Raumes näher. „Na, erkennst du mich noch?“

„Klar“ Er grinste breit. Das war die Schwester, die Seto so mochte. „Nachtdienst?“

„Es ist zum Glück ruhig“ Sie machte eine Nachtlampe an und lächelte. „Wie fühlst du dich?“

„Tjo … geht so“ Er zuckte mit den Schultern. „Müde vor allem. Bin ich sehr gelb?“ Er hielt seine Hand ins Licht.

„Es geht“ Sie hielt ihre daneben. „Ich denke, du bist auf einem guten Weg. Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, dass du mit mir sprechen kannst.“

„Ich habe gar nicht mitbekommen, dass Seto gegangen ist“ Er sah fragend zu ihr auf.

„Das ist so vier Stunden her“ Sie legte eine Hand gegen seine Stirn, eine andere an sein Handgelenk. „Wir haben uns noch kurz unterhalten, dann ist er gefahren. Er meint, ich soll ihn anrufen, wenn auch nur die kleinste Veränderung ist … aber ich glaube, wir sollten ihn schlafen lassen.“

„Der schläft nicht“, murmelte Katsuya nur, „nicht, solange er sich Sorgen macht.“

„Seto ist eine treue Seele“ Ihr Lächeln war voller Stolz. Sie nahm die Hände zurück und zog sich den Stuhl heran, auf dem Seto vorhin gesessen hatte. „Aber sag mal … ich weiß, das geht mich nichts an, ich frage jetzt nicht als Krankenschwester … wie ist es hierzu gekommen?“

„Ich wurde vergewaltigt“, purzelte es aus Katsuyas Mund, noch bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte, ob er antworten wollte.

„Oh“ Sie wich zurück, eine Hand an ihrem Herzen. „Das … oh, das tut mir so Leid. Und ich frage auch noch so unsensibel. Das tut mir schrecklich Leid, Katsuya.“

„Schon gut“ Er blinzelte überrascht. Das hatte ihm jetzt nicht einmal einen Stich versetzt. Dissoziierte er oder warum fühlte er kaum etwas darüber? „Es … ist schon was her.“

„Trotzdem … wie geht es Seto dabei?“

„Tja“ Katsuya zuckte nur mit den Schultern. „Schuld, Selbsthass, Verzweiflung, Wut … und den Rest frisst er in sich hinein.“

„Ich verstehe, warum er so angespannt war“ Sie seufzte leise. „Es war also doch nicht nur Sorge … ich rufe ihn besser doch mal an, nicht? Soll ich ihn dir dann auch geben?“

Katsuya nickte nur und lächelte kurz.

Vertrauen

Und bitte die Daumen weiter drücken T.T Ich habe nicht den geringsten Schimmer, ob ich bestanden habe... ich hoffe es! Ich bete dafür. Ich werde dann einfach mal auf gut Glück für mein Staatsexamen lernen, in der Hoffnung, dass ich es machen darf.

Und euch nun viel Spaß beim Lesen des Kapitels ^.^
 

P.S.: Dank MarieSoledads Kommentar fiel ein Plothole auf. Natürlich wissen die Mädels nicht, dass Ryous Freund sein Bruder ist. Habe ich jetzt auch endlich geändert. Danke für den Hinweis!
 

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„Heyho!“ Ayumi kam mit einem breiten Grinsen ins Krankenzimmer geschossen. „Na, schwänzt du gut?“

„Klar“ Er zog das Wort sarkastisch in die Länge. „Mit Freude und Entspannung“ Er versuchte sich aufzurichten und schaffte es mit einer Menge Willenskraft auch. „Kommt ihr mit dem Lernen gut voran?“

„Natürlich nicht“ Sie sah sich im Raum um. „Alle machen sich Sorgen um dich. Finden wir hier irgendwo Stühle?“

„Fragt bei den Schwestern. Sie haben einen Aufenthaltsraum voller Stühle“ Da niemand seine volle Aufmerksamkeit zu verlangen schien, lehnte er sich wieder zurück. Kraftlos war er eigentlich nicht, aber es zehrte trotzdem, wenn man das Gefühl hatte, mindestens zwei Nächte wach gewesen zu sein.

„Wie geht es dir?“, flüsterte Ryou, während die Mädels von Ayumi auf der Suche nach Stühlen wieder raus gescheucht wurden.

„Schon besser“ Na ja, es klang zumindest gut. Ehrlich gesagt fühlte er sich genauso schlecht wie vor drei Tagen, als er hierher gekommen war. „Und dir?“

„Gut“ Der Jüngere lächelte. „Nicht ein einziger hat irgendwelche Sprüche gemacht oder mir Streiche gespielt.“

„Ayumi ist auch noch furchtbarer als ich“ Katsuya grinste schief. „Unsere Klasse ist erstaunlich ruhig geworden seit meiner Schlägerei mit diesem einen Kerl.“

„Er heißt Hijiri“, murmelte Ryou.

„Ja, der“ Katsuya machte eine wegwerfende Handbewegung. „Hat sich Le-Long eigentlich an dich ran gemacht, jetzt, wo ich nicht da bin?“

„Nicht … wirklich“ Ryous Blick sank zu Boden. „Jetzt, wo du es ansprichst … er hält schon seit einiger Zeit ziemlichen Abstand. Er sieht mich nicht einmal mehr an. Ist dir das aufgefallen?“

Aufgefallen sicherlich, nur wollte er nicht darüber spekulieren, was Bakura dem Kerl wohl gesagt hatte, dass er sich nun so benahm. Hatte er nicht gesagt, Le-Long sei der Sohn eines Triadenbosses? Was genau hatte er bloß angedroht, um so einen Jungen einzuschüchtern?

„Na ja, so muss sich zumindest dein Bruder keine Sorgen machen“ Oder so … „Bei dem alles okay?“

„Natürlich“ Ryou lächelte breit. „Seto und er gehen seit Montag abends zusammen ins Fitnessstudio. Ich bin froh, dass Bakura ein Hobby für sich findet.“

Ein Hobby … sollte er dem Jungen erzählen, was für ein Platz dieses Fitnessstudio war? Bakura traute er auch zu, dort jeden Abend Kerle flachzulegen und nonchalant nach Hause zu kommen. Im Endeffekt atmete Katsuya doch nur tief durch und sagte nichts. Aber gut zu wissen, was Seto eigentlich machte, nachdem er vom Nachtdienst hier rausgeschmissen wurde. Selbst Bakura war eine besser Alternative dazu, den Abend allein zu verbringen.

„Warum lässt du eigentlich uns schleppen?“, meinte Ayumi von der Tür aus, während sie gerade einen Stuhl trug, „Ryou, du bist ein miserabler Gentleman.“

„Oh, da- das tut mir-“

„Ach, Klappe“ Sie stellte ihren Stuhl neben seinen, der schon im Raum gewesen war. „Das war ein Scherz.“

„Oh“ Er senkte seinen schamesroten Kopf.

Mitsuki trat hinter ihn und legte ihm ihre Hände auf die Schultern. Zwar sagte sie nichts, aber er erwiderte nach einem kurzen Moment ihr Lächeln.
 

„Ihr seid eine biologische Unmöglichkeit“, sagte Seto statt eines Grußes, was natürlich alle verstummen ließ, „die menschliche Reproduktionsrate ist nicht hoch genug, dass ihr euch in dieser halben Stunde meiner Abwesenheit so vermehrt habt. Oder hast du doch noch den Status einer Amöbe erreicht, Kats?“

Dieser streckte ihm nur die Zunge raus.

„Guten Nachmittag, Herr Lehrer Kaiba!“, grüßte Ayumi artig, obwohl er nicht mehr ihr Lehrer war.

„Gerne ohne den Lehrer-Titel“ Er nickte. „Hallo, ihr alle.“

„Guten Nachmittag, Herr Kaiba“ Karin und Mina stockten kurz bei dem geänderten Titel. Mitsuki hatte ihren Mund bewegt, aber Katsuya saß nah genug, um zu hören, dass kein Ton ihre Lippen verließ.

„Ich gehe mir mal einen Stuhl holen.“

„Warten Sie, ich-“

„Bleib sitzen, Ryou“, unterbrach Seto ihn sofort und war bereits zur Tür hinaus.

„Oh, ihr kennt euch näher?“, bemerkte Ayumi sofort.

„Ah … ja. Mein Bruder und er sind Freunde“ Ryou zog schüchtern den Kopf zwischen die Schultern.

„Du hast einen Bruder?“ Ihr Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten.

Der Blick der blauen Augen schnellte ängstlich zu Katsuya.

„Bakura“, antwortete dieser für ihn, „Bruder und Freund sind derselbe.“

„Was?“ Minas Züge verzogen sich in Entsetzen. Selbst Karins Lider weiteten sich. Mitsuki blinzelte nur überrascht. Alle sahen sie nach einem Moment des Schreckens zu Ayumi, ihrer inoffiziellen Anführerin.

„Hm … irgendwie hatte ich das schon vermutet. Der Kerl sieht ja fast genau so aus wie du“ Sie nickte langsam. „Er ist aber nicht dein Zwilling, oder?“

„Nein“ Ryou senkte seinen hochroten Kopf. „Er ist vier Jahre älter.“

„Tja“ Sie seufzte tief. „Zumindest scheint dein Bruder überhaupt kein Problem damit zu haben. Er ist sehr … dickhäutig.“

Wäre Katsuya nicht müde wie Hölle, er wäre wahrscheinlich in schallendes Gelächter ausgebrochen. So grinste er nur breit. Dickhäutig war ein gutes Wort für Bakura. Manche Dinge nahm er sehr, sehr genau, aber im Allgemeinen schien er doch eher resistent gegen vieles.

„Alles in Ordnung bei euch?“, fragte Seto, als er in ein eher unangenehmes Schweigen trat.

„Wussten Sie, dass Ryous Bruder auch sein Freund ist?“, wandte sich Ayumi direkt an ihn.

„Ist bei Bakuras Verhalten nicht zu übersehen“ Seto stellte den mitgebrachten Stuhl auf Katsuyas andere Seite, wo bisher nur Ayumi und Mina saßen. „Der sieht Ryou weder als Bruder noch als Freund sondern eher als Eigentum“ Auf seine Aussage folgte nur Schweigen. „Ich bin der Falsche in moralischen Fragen zu Beziehungen. Katsuya war mein Schüler und ist minderjährig. Was ist verwerflicher?“

„Hm“ Ayumis Gesicht war noch immer von ihrer Nachdenklichkeit verzogen. „Aber Brüder … ihr seid doch zusammen aufgewachsen, oder? Ich meine, ich bin sowieso nicht lesbisch, aber ich könnte mir gar nicht vorstellen, etwas für meine Schwestern zu empfinden. Das ist … meiner jüngsten Schwester habe ich die Windeln gewechselt. Das geht im meinem Kopf nicht zusammen.“

Ryou schwieg nur, den Kopf dabei tief gesenkt. Seine Schultern zitterten, als würde er jeden Moment weinen müssen. Katsuya hob seine Hand aus dem Bett und ergriff Ryous damit. Der Druck zurück war überraschend stark.

„Eine außergewöhnliche Kindheit führt zu außergewöhnlichen Umständen“, warf Seto mit der Stimme der Weisheit ein, „belassen wir es dabei.“

Ayumi drehte sich überrascht zu ihm, blinzelte nur, doch nickte nach einem längeren Moment tonlos. Sie warf Karin, Mina und Mitsuki einen Blick zu, bevor sie sich zu Katsuya wandte und fragte: „Und wie geht es dir?“
 

Ryou zögerte einen Moment, aber schließlich ging er zusammen mit den Mädels, nachdem Seto ihm beruhigend zugenickt hatte. Es ließ eine Menge Stühle zurück, die Seto an der Wand aufstapelte. Noch bevor er damit fertig war, war Katsuya bereits wieder eingeschlafen.

Er wachte kurz auf, als Seto ihn auf die Wange küsste und ihm eine gute Nacht wünschte. Während der Nacht blieb er sogar eine ganze Stunde wach und las in dem Buch, was Seto auf seinem Nachttisch hatte liegen lassen. Er durfte sich glücklich schätzen, dass es englisch war, denn das vorherige war in einer Sprache gewesen, die er gar nicht sprach.

Nur ein paar Stunden später weckte ihn eine viel zu fröhliche Krankenschwester und öffnete die Vorhänge, um Sonnenlicht reinzulassen. Katsuya murrte nur und drehte sich weg. Sie versuchte es sogar mit einer Hand auf seiner Schulter, erzählte ihm von dem leckeren Frühstück, aber er hielt stoisch die Augen geschlossen.

Erst der Daumen, der über seine Wange strich, ließ ihn mit einem Lächeln die Lider heben. Nicht viel, so wach war er noch nicht, aber zumindest genug, um Seto sehen zu können.

„Guten Morgen, Murmeltier“, grüßte dieser in mit sanfter Stimme.

Katsuya formte die Worte nur mit den Lippen.

„So müde?“ Der Andere sah zu etwas auf dem Nachttisch. „Dabei gibt es Rettichsalat. Und eine Misosuppe, die sogar noch lauwarm ist.“

„Hrm“, gab Katsuya nur als Antwort und versuchte, sich aufzurichten. Es ging schon, aber Setos Hilfe war gern genommen. Dieser richtete auch das Tablett an, sodass Katsuya die Misosuppe nehmen und trinken konnte.

„Gestern sahst du besser aus“ Setos Stirn legte sich leicht in Falten. „Soll ich doch besser noch Besuch fernhalten? Ich dachte, es ginge … ich will dich nicht überfordern.“

„So lange die wissen, dass ich einschlafen könnte“, murmelte Katsuya nur.

„Yami wollte heute vorbei kommen. Nun, sie alle stehen hier schon seit Dienstag Schlange, aber ich dachte … besser einer nach dem anderen“ Seto klang unsicher.

„Yami ist okay“ Katsuya stellte die leere Schale ab und nahm den Salat. „Was sagt der Arzt?“

„Du bist zwar knallegelb, aber deine Werte sind noch nicht allzu schlecht. Er meint, solange du noch regelmäßig bei Bewusstsein bist, bleibt erst mal alles so, wie es ist.“

Katsuya streckte eine Hand aus, um sie auf Setos zu legen. Na ja … so schlimm war es jetzt nicht, oder? Er war etwas gelber, okay, aber er war nicht so gelb wie die Wand. Er verglich seine andere Hand mit dem Rettichsalat. Nein, eigentlich war es nicht zu schlimm.

„Hast du gestern nochmal mit Ryou geredet? Haben sie wegen Bakura etwas gesagt?“

„Ich habe ihn angerufen“ Allein die Aussage ließ Katsuya beinahe die Augen aus dem Kopf fallen. Er hatte nicht erwartet, dass Seto wirklich an so etwas gedacht hatte. „Sie haben nichts mehr gesagt. Aber sie haben wegen meiner Narbe gefragt“ Katsuyas Blick wanderte wie von selbst zu Setos Wange. „Ich sagte ihm, er soll ihnen sagen, es sei ein Rasierunfall.“

„Bisschen heftig für einen Unfall ...“ Katsuya hob die Hand, um über die Narbe zu streichen.

„Was sollte ich sonst sagen?“ Seto lehnte den Kopf in die Berührung. „Ich vermute mal nicht, dass sie viele Details über unsere Beziehung wissen, oder?“

„Nein“ Katsuyas Stimme war mehr ein Hauch. „Ist schon richtig so … das ist zwischen uns.“

„Nun … Bakura weiß, wieso. Yami auch. Und Noah“ Das brünette Haupt wurde etwas gesenkt.

„Ich mag es nicht, wie viel Bakura weiß“ Katsuya seufzte leise. „Andererseits … ihr habt so eine komische Art von Freundschaft. Ich denke, es ist deine Sache, was er weiß. Auch wenn ich es nicht mag … es ist okay, wenn es für dich wichtig ist.“

„Sicher?“ Setos Kopf war mittlerweile halb abgewandt, auch wenn ihre Blicke noch immer aufeinander lagen.

Katsuya nickte nur und begann, den Rettich zu essen. Mit einem Lächeln durfte er feststellen, dass der Rettich mit Honig gemischt war.
 

„Ich wollte dich was fragen“, erinnerte sich Katsuya gegen Mittag, als er für das Essen wieder hatte aufwachen müssen.

„Ich bin ganz Ohr“, erwiderte Seto nur, der gerade Äpfel schnitt.

„Wegen Mitsuki … und Ryou“ Er strich sich den Schlaf aus den Augen. Für das Gespräch wollte er zumindest ein bisschen wach sein. „Was macht man mit Menschen, die so wenig Selbstbewusstsein haben?“

„Solltest du dich gerade nicht um dich selbst sorgen?“ Seto lächelte trotz des ausweichenden Kommentares.

„Ich hab' nix zu tun außer Denken, wenn ich mal wach bin“ Katsuyas Lider wurden ganz bewusst geschlossen und nach einem Moment wieder gehoben. Er war echt müde wie sonstwas. „Und das bin ich vor allem nachts.“

„Soll ich mir doch ein Bett geben lassen?“, fragte Seto lächelnd.

„Du hast dir schon frei genommen, um jeden Tag hier zu sein“ Auch Katsuya lächelte. „Was kann ich mehr verlangen?“

„Ich kann rund um die Uhr hier sein“ In den blauen Augen blitzte Schalk. „Du brauchst es mir nur erlauben.“

„Ich glaube nicht, dass das meine Entscheidung ist“ Katsuya musste noch einmal lang blinzeln, um seine Augen offen zu halten. „Obwohl … so, wie ich dich kenne, werden Krankenhausregeln dich wahrscheinlich nicht aufhalten, oder?“

„Mein liebster Katsuya“ Seto lehnte sich verschwörerisch näher. „Mir gehört dieses Zimmer. Ich kann hier tun und lassen, was ich will. Dieses Krankenhaus lebt von den Spenden der Kaiba Corporation.“

„Manchmal vergesse ich das“ Katsuya schüttelte lächelnd den Kopf. „Also, Frage … bevor ich wieder einschlafe.“

„Die Antwort ist ganz einfach“ Seto lehnte sich wieder zurück und konzentrierte sich auf das Obst. „Du musst diesem Menschen ein Freund sein, ihm oder ihr beistehen und unterstützen. Egal, ob dieser Mensch nun redet oder schweigt, sich etwas traut oder sich einigelt, du musst da sein. Freundschaft im guten wie im schlechtem, im erwünschten und bescheuerten Benehmen.“

„Bescheuert?“ Katsuya schmunzelte.

„Du könntest mich fragen, warum ich so entspannt bin, obwohl du hier schwer krank bist. Die Antwort wäre, dass ich schon längst beschlossen habe, mich umzubringen, solltest du wirklich versterben“ Seto sagte das absolut nonchalant und hielt nicht einmal eine Millisekunde inne im Obstschneiden. Katsuyas Blick währenddessen schnellte sofort zu dem Messer, mit dem er schnitt und zurück zum Gesicht. „Ich weiß, das würde dich kurz verschrecken. Aber ich weiß auch, dass du das nach ein paar Minuten abhakst und mich genau so behandelst, als hätte ich das nicht gesagt. Du bist einfach nur konstant da und liebst mich mit derselben Intensität, ganz egal, ob ich einfach nur lesend vor dem Kamin liege oder mit meinem Blut den Kamin anmale.“

Das Bild drängte sich Katsuya kurz auf. Obwohl ihn Ekel wie Angst packten, hatte die Vorstellung gleichzeitig etwas Artistisches, wie Seto im Flackern des Kamins Blutranken auf den Stein malen würde.

„Und gerade weil ich weiß, dass du da bist und da bleibst, brauche ich so einen Mist nicht zu machen“ Seto sah vorsichtig auf. „Ich … denke, ich vertraue dir so langsam.“

Katsuya konnte den Herzschlag in seinem ganzen Körper spüren. Es machte ihn zwar nicht wacher, aber es erfüllte ihn mit einer fast brennenden Wärme. Es schlug ein Lächeln auf seine Lippen.

„Das ist viel schöner als deine Reaktionen auf meine Selbstmorddrohungen“ Seto erwiderte das Lächeln. Er legte Messer und Obst zur Seite, erhob sich und legte sich neben Katsuya. Dieser robbte ganz von selbst in die angebotene Umarmung. „Darf ich dich halten?“

Eigentlich wollte Katsuya etwas Romantisches erwidern, aber er wurde von einem Gähnen überrascht. Es ließ sie beide schmunzeln. Ein paar Momente später schon überkam Katsuya der Schlaf.

Solide Hoffnung

Traurig, aber wahr - das Nachwort ist nur noch wenige Kapitel weg. Da es unendlich lang werden würde, wenn ich es alles zusammen schreiben würde, möchte ich hier schonmal mit den Statistiken anfangen:

DID (Setos Krankheit) wird zur Zeit als äußerst seltenes Phänomen behandelt und viele Experten streiten sich, ob es die Krankheit wirklich gibt. In Studien von Leuten, die sich mit der Krankheit auskennen, lassen sich folgende Ergebnisse finden: 30% der unheilbar Schizophrenen (die Leute mit Halluzinationen, zwei kamen im ersten Kapitel in der Psychiatrie vor) haben in Wirklichkeit DID. Das macht ca. 1% der aktuellen in der Psychiatrie befindlichen Menschen. Bei dem Vorkommen in der Bevölkerung reichen die Hochrechnungen von 0,01% bis 1%. Während 1% recht hoch gegriffen scheint, ist etwas bei 0,2% wahrscheinlich richtig. Die meisten Leute mit DID fallen nicht auf, da sie nur zwei oder drei Persönlichkeiten haben. (ganz persönlich kenne ich drei Menschen mit DID und keiner davon war je psychiatrischer Patient)

Bei 0,2% liegt auch die Rate transsexueller Personen (nochmal zum mitrechnen, das heißt jedes 500. Kind). Nur ein Zehntel dieser Personen strebt am Ende auch eine OP an, dass heißt neun von zehn arrangieren sich mit ihrem Körper.

Beide "Krankheiten" gehen in hohen Prozentsätzen (heißt hier: fast alle) mit Hochintelligenz einher.

Und schließlich noch die letzte Statistik, mit der ich das Nachwort von DS1 ergänzen wollte: Jede Woche sterben in Deutschland drei Kinder durch Kindesmisshandlung.
 

Ab davon wünsche ich viel Spaß mit diesem Kapitel ^.^
 

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„... nur müde“, hörte er Seto gerade noch sagen.

„Schlaf macht ihn immer erstaunlich niedlich“, sagte jemand irgendwo hinter ihm.

„Ich glaube, er wacht auf“ Die Rücken mehrerer Finger strichen ihm seinen Pony aus dem Gesicht. „Na, bereit zum Aufwachen?“

„Hrml ...“, brummte Katsuya nur und drückte seine Nase zwischen Setos Brust und seinen Arm. Es war noch nicht Zeit zum Abendessen. Es war Zeit zu gar nichts. Sie sollten ihn schlafen lassen.

„Sollten wir ihn nicht besser schlafen lassen?“ Die Stimme hielt Besorgnis. Katsuya kannte die Tonlage gut genug, besonders bei Yami. Hatte er echt verschlafen, dass Yami gekommen war? „Du hattest mir ja gesagt, dass er sehr erschöpft ist, aber ich dachte eigentlich, dass du maßlos übertreibst. Ich gebe zu, es scheint ihm wirklich nicht allzu berauschend zu gehen.“

„Ach?“ Setos Stimme war von Sarkasmus durchzogen. „Ich fühle mich geehrt durch dein Vertrauen.“

„Ich würde auch jeden draußen halten, wenn mein Partner im Krankenhaus wäre. Ich merke ja schon, wie aggressiv ich auf deinen Vorschlag reagiere, Yugi zu besuchen“ Eine Schwere hatte sich über sie gelegt. Katsuya erwachte langsam, aber er entschied sich, die Lider geschlossen zu halten. „Yugi ist … sagen wir, sein Zustand ist nicht gut. Katsuya scheint es eher marginal besser zu gehen.“

„Er hat noch kein Messer ergriffen“ Das vorherige Lachen war aus Setos Stimme gewichen. Die Vibration seiner Brust, während er sprach, durchdrang Katsuya. „Bisher musste ich nur eine Schwester zusammen schreien, weil sie ihm Tee statt Wasser gebracht hat.“

„Tee ist böse?“ Yami klang gegen seinen Willen amüsiert.

„Ich will kein Risiko eingehen. Tee kann einer geschädigten Leber einen Stoß versetzen. Ich will nur … Katsuya soll so bald wie möglich wieder gesund werden“ Seto sprach mit einem leichten Zittern der Töne. Hätte Katsuya nicht schon die Arme um ihn geschlungen, er hätte ihn umarmen müssen.

„Dafür bete ich“ Yamis Stimme schien weiter entfernt. „Wir brauchen ihn. Alle.“

Eine Stille legte sich für mehrere Momente über sie. Eine Hand strich über sein Haar, vom Gefühl her Setos, und beruhigte doch nicht die aufkommende Spannung des Schweigens. Katsuya spürte das Heben und Senken von Setos Brust und den Atem, der über seine Haut strich. Es war ein tonloses Seufzen. Die Hand verharrte in seinem Nacken, fuhr schließlich in sein Haar und drückte ihn sanft, aber spürbar an Setos Brust. Das tiefe Vibrieren an Katsuyas Ohr erschreckte ihn schon fast, als Seto die Stille brach: „Hast du nochmal mit Doktor Kowa gesprochen? Oder mit … Yugi?“

„Ich habe ihn vorgestern besucht“ Yamis Antwort war kaum hörbar, so leise sprach er.

„Was?“ Ein Zucken ging durch Seto. „Wie … du hast gar nichts gesagt.“

„Ich musste erstmal selbst damit klar kommen“ Ein Seufzen. „Muss es immer noch ...“

„Es geht ihm … schlechter?“ Vorsicht und Angst durchzog Setos Stimme.

„Er hatte ja ein paar Versuche gemacht … war natürlich nichts. Die Brotmesser sind stumpf, die Laken reißen bei Belastung und das mit dem Kopf-gegen-die-Wand-schlagen hat er nach dreimal auch aufgegeben. Allerdings ist er an ein paar Zigarettenstummel gekommen und hat diese geschluckt. Das war wirklich gefährlich. Sie haben ihm natürlich sofort den Magen ausgepumpt und ihn ins Krankenhaus gebracht. Im Endeffekt war es nicht allzu schlimm, sie konnten ihn noch am selben Tag zurück verlegen. Das war Montag“ Yami seufzte tief, diesmal gut hörbar. „Das hat er angestellt, nachdem Doktor Kowa ihm gesagt hatte, dass ich am Mittwoch kommen würde.“
 

„Es war nicht deine Schuld ...“, murmelte Katsuya leise.

„Oh?“ Setos Brust entfernte sich ein Stück. Wahrscheinlich sah er ihn an. „Du bist ja doch wach.“

„Zu … müde“ Katsuya wusste nicht mal so ganz genau, ob er verständlich genug sprach. Er konnte sich nur leider nicht zu mehr aufraffen. Nicht einzuschlafen, während die zwei so wichtige Dinge besprachen, war schwer genug.

„Zu müde zum Wachsein“ Seto schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen das Bettende und zog Katsuya wieder an sich. „Nun, tun wir so, als würde er doch schlafen. Aber er hat recht, Yami – es ist nicht deine Schuld.“

„Ich weiß“ Yamis Stimme klang dennoch gebrochen. „Aber das Wissen hilft nicht.“

„Den Zustand kenne ich gut“ Für wenige Sekunden herrschte Schweigen. „Nun … wie lief Mittwoch?“

„Er hat sich im Badezimmer versteckt.“

„Bist du ihm nachgegangen?“

„Seto“ Yami klang mahnend. „Nur, weil es keine Schlösser gibt, heißt das nicht, dass man alle Grenzen disrespektieren darf“ Vor seinem inneren Auge konnte Katsuya Yami den Kopf schütteln sehen. „Ich habe mich vor die Tür gesetzt und von dort aus gesprochen.“

„Hat er geschrien, um dich nicht hören zu müssen?“ Sarkasmus hatte sich in Setos Ton gemischt.

„Und so schlimm wie du ist er zum Glück nicht“ Dunkler Humor spielte mit Yamis Worten. „Er hat mich nicht einmal mit Shampooflaschen beworfen, als ich dann eingetreten bin. So wie ein gewisser Jemand.“

„Ich hatte keine Lust, dir meinen nackten Körper zu zeigen“, ging Seto in die Defensive.

„Du hast mit mir geschlafen.“

„Na und?“ Trotz des Themas musste Katsuya lächeln. Das war einfach original Seto. „Kein Grund, ungefragt ins Badezimmer zu kommen.“

„Mein Badezimmer?“ Der Sarkasmus war in Yamis Stimme gewechselt.

„Also was hat Yugi gemacht?“ Schöner Themenwechsel, Seto.

„Sich umarmen lassen und geheult wie ein Schlosshund“ Yami seufzte tief. „Er glaubt auch, dass kein Mensch ihn jemals mögen könnte. Da seid ihr euch sehr ähnlich. In Gegensatz zu dir hat er mir allerdings nach kurzer Zeit geglaubt, dass ich ihn doch mag.“

„Ich glaube auch manchmal an Lügen, wenn sie mir ins Konzept passen“ Seto murrte leise. „Das tut weh, Katsuya.“

Sollte es auch. Er drehte noch einmal ein bisschen, bevor er Setos Brustwarze, die er zwischen Daumen und Zeigefinger gezwirbelt hatte, wieder los ließ. Der Kerl hatte bisweilen wirklich das Taktgefühl eines Ochsen.

„Danke, Schlafnase“ Yami klang, als hätte er sich gerade wieder hoch gekämpft, nachdem ihm jemand einen Dolch durch die Brust gejagt hatte. „Und nein, Seto, das war nicht gelogen. Ich liebe meinen Bruder. Meine Wut darüber, dass er unseren Eltern nachplappert, war auch nur ein Ausdruck meiner Eifersucht, dass er geliebt wurde und ich nicht. Ich denke … ich glaube, im Endeffekt hatte ich die bessere Position. Bei der Art, wie unsere Eltern Liebe zeigen, ist geliebt zu sein ein schlimmeres Gefängnis als ihr Hass.“

Seto schluckte. Katsuya konnte es hören, da sein Kopf auf Setos Brust lag. Yami würde er wahrscheinlich nicht mehr als eine steinerne Maske zeigen. Jedes Gespräch über Eltern würde ihn unweigerlich an seine eigenen erinnern. Katsuya konnte Setos Gedanken hören, als wären es seine eigenen. Hätte seine Mutter ihn besser behandelt, hätte sie ihn nicht geliebt? Hätte sie ihn nur geschlagen statt ihn in eine Mülltonne zu sperren? Oder war das ein Ausdruck ihres Hasses gewesen?

War Katsuyas Auslieferung an seinen Vater ein Akt der Liebe oder des Hasses?
 

„Ich bin übrigens deinem Vorschlag gefolgt“, sprach Yami nach vielen Momenten in das geladene Schweigen, „mit dem Kleid. So halb. Ich habe ihm meinen zwölflagigen Kimono mitgebracht. Und meinen kompletten Schminkkoffer.“

„Kam das wirklich gut an?“ Zweifel lag in Setos Stimme. Anscheinend wusste er doch, dass sein Vorschlag eher schlecht gewesen war.

„Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich ihn liebe und mir eine Schwester sehr viel lieber ist als ein suizidaler Bruder, ja. Er hat sich schrecklich geziemt, aber ich habe ihn noch nie glücklicher gesehen als in diesen Kimonos mit gestylten Haaren und Schminke.“

„Hast du ein Foto gemacht?“ Seto klang sehr ernsthaft interessiert. Als würde Yami von seinem neuen Freund erzählen statt von Yugi.

„Klar“ Der Andere zog sein Handy hervor und schien es Seto hinzuhalten. Katsuya versuchte sich zu drehen, um auch etwas zu sehen, aber er bekam nicht mal seine Lider richtig auf. Nach einem Moment erschien das Bild jedoch mitten in seinem Sichtfeld, da Yami für ihn aufgestanden war.

„Hübsch“, murmelte Katsuya nur und sackte wieder an Setos Seite. Ehrlich gesagt hatte er nicht viel gesehen, aber er hatte gesehen, dass Yugi lächelte. Es war das einzig Wichtige.

„Steht ihm gut“ Seto nickte. „Er trägt es nicht mit derselben Selbstsicherheit wie du, aber man sieht, er fühlt sich darin wohl.“

„Und die Schwestern haben sich praktisch überschlagen“ Yamis Grinsen war aus seiner Stimme zu hören. „Sie alle wollten mit ihm fotografiert werden. Doktor Kowa und Doktor Atsu sind vorbei gekommen, um auch Fotos zu kriegen. Und kein einziger Kommentar der Kerle konnte Yugi kränken, nachdem eine Mitpatientin gesagt hat, dass sie auch gerne so hübsch wäre.“

„Happy End“ Trotz der Worte seufzte Seto tief durch. „Meinst du, er wird sich annehmen können?“

„Das wird noch dauern“ Yami seufzte. „Aber er hat mich gebeten, den Schminkkoffer behalten zu dürfen. Und er hat geweint. Er war vollkommen überwältigt, dass Leute ihn nicht ausgeschimpft oder sich über ihn lustig gemacht haben. Er war abends wirklich völlig am Ende. Ich bin dankbar, dass sie dort so gut auf ihn aufpassen.“

„Heißt, ich kann ihm jetzt ein Kleid schicken?“ In Setos Stimme schwang ein Lächeln mit.

„Ja, jetzt kannst du ihm meinetwegen ein Kleid schicken. Ich habe ihm gestern alles, was ich an Damenklamotten da hatte, vorbei gebracht“ Yami schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Schlussstrich unter meine Prostitution ziehe, indem ich meine Klamotten meinem Bruder schenke.“

„Hast du ihm das gesagt?“ Seto klang amüsiert. „Wofür du die Sachen mal benutzt hast?“

„Ich habe ihm gesagt, dass ich mit der Prostitution aufgehört habe. Er wird schon eins und eins zusammen zählen können“ Yamis Stimme entfernte sich. Wahrscheinlich setzte er sich zurück auf den Stuhl. „Ich habe die Sachen gewaschen, das muss reichen.“

„Hast du ihm auch den strasssteinbesetzten roten Minirock gegeben?“ In Setos Stimme schwang ein Unterton mit, der in Katsuya Wut aufflammen ließ. Er erkannte das Gefühl als Eifersucht.

„Ich habe meine Hotpants behalten, falls du was zum Angucken willst“ Und auch Yami verfiel automatisch ins Flirten. „Solltest du dich nochmal an meinen Bruder ran machen, werde ich dir das heimzahlen.“

„Ist ja gut“ Seto gluckste. „Ich habe nur Augen für den hier, dein Bruder ist vollkommen sicher.“

„Dein Wort in den Ohren der Götter“ Sie ließen eine kurze Pause. „Jetzt, wo unsere Eltern vorerst aus den Bild sind, da Doktor Kowa ihnen keine Besuche erlaubt … da merke ich erst, wie unglaublich ich Yugi vermisst habe. Ich brauche jemanden, den ich beschützen kann, für den ich da sein kann … ich glaube, Yugi hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, um zusammen zu brechen.“

„Und an welchem Punkt wirst du für dich selbst da sein?“, fragte Seto leise.

„Look who's talking“, gab Yami nur zurück.
 

Katsuya verschlief das Abendessen. Keine Chance, dass er nach dem Gespräch nochmal in kurzer Zeit wach sein würde. Somit schmuggelte ihm die Nachtschwester um zwei Uhr nachts ein Eis von der Hals-Nasen-Ohren-Station in sein Zimmer. Yay für die Krankenschwestern auf Kinderstationen, die großen, wässrigen Augen absolut nie widerstehen konnten.

Der Samstag kam und ging. So langsam nervte Katsuya seine Müdigkeit. Wie lange hielt den so etwas normalerweise? Na gut, normalerweise hatte man nicht gleich drei verschiedene Hepatitisformen, aber trotzdem – könnte ihm irgendwer sagen, wann das mal wieder besser werden würde? Er war doch nicht Dornröschen.

Andererseits hatte er gar nichts dagegen, morgens von Seto wach geküsst zu werden. Das war gar nicht schlecht. Es war auf jeden Fall angenehmer als jeder Wecker. Vielleicht könnte er Seto zuhause dazu kriegen, morgens den Wecker leise zu machen, damit er nur ihn weckte. Und dann könnte er Katsuya wecken … klang nach einem Plan, oder? Er fand die Idee gut.

„Hm … ja, warum nicht?“ Seto, der gerade telefonierte, sah kurz zu Katsuya. „Noah und Shizuka wollen mit Kuchen vorbei kommen. Was magst du?“

„Erdbeer“, murmelte Katsuya leise. Kuchen und Kaffeetrinken im Krankenhaus – irgendwie schien das bekannt. Nur gut, dass Herr Sarowski diesmal nicht dabei war. Der hätte sicher etwas dazu zu sagen, dass Katsuya mit Hepatitis im Krankenhaus lag.

„Selbst lebensbedrohliche Krankheiten scheinen uns nicht von Traditionen abzuhalten“ Seto hatte das Handy wieder eingesteckt und sich Katsuya zugewandt. Irgendwie hatte er das restliche Gespräch nicht mitbekommen. „Soll ich die anderen auch einladen oder ist dir das zu viel?“

„Lad' sie ein“, gab Katsuya nur zurück.

„Gut“ Allerdings zog Seto das Handy nicht sofort wieder hervor. „Ich habe das Gefühl, du bist wacher als gestern. Du bist auf jeden Fall wacher als Freitag. Was denkst du?“

„Vielleicht“ Der Blonde schloss die Lider. „Ich schlafe, bis die anderen kommen.“

„Dann telefoniere ich draußen“ Seto lehnte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. „Bis später.“

Katsuya brummte nur als Bestätigung. Wacher … na, wenn Seto meinte. Er verbrachte mehr Zeit in diesen halbwachen Phasen, aber machte ihn das wirklich wacher? Er fühlte sich immer noch wie ein Farbklebs, den man an die Wand geworfen hatte und langsam verstrich.

Zumindest sah Seto zuversichtlich aus. Das war eigentlich das einzige, was Katsuya wichtig war. Wenn er zuversichtlich war, dann hieß das, dass er nicht aus Angst Blödsinn anstellen würde. Das war Katsuya neben seiner eigenen Gesundheit eigentlich am wichtigsten. Er wollte nicht hier im Krankenhaus heilen, nur um festzustellen, dass Seto sich zuhause mit Selbstverletzungen beinahe in den Tod getrieben hatte.

Allerdings hatte Katsuya durch die Ärmel keine Bandagen gespürt. Auch nicht durch die Hose. Und Seto wirkte weder so, als hätte er Alkohol getrunken noch Tabletten genommen. Er schien wirklich halbwegs mit dem allen hier klarzukommen. Natürlich … mit dem Wissen, dass nichts sie trennen würde, auch nicht Katsuyas Tod, war das ganze wohl etwas einfacher. Trotzdem war Katsuya erstmal froh, dass Seto das an Sicherheit reichte.

Wenn er ein wenig zurück blickte, konnte er mit Stolz feststellen, dass Seto ziemlich weit gekommen war. Trotz des endgültigen Wissens über seine gespaltene Persönlichkeit war er mehr beisammen den je. Trotz der Erinnerung an Katsuyas Betrug war er treuer und loyaler als zuvor. Und trotz Bakuras Anschuldigungen, Shizukas Zweifeln und Noahs Sorgen stand Seto fest an seiner Seite.

Er musste gar nichts machen und Seto wurde mit jeden Tag ein bisschen mehr perfekt. Und das, obwohl er mit perfekt vollkommen glücklich war.

Kaffee im Krankenhaus

Des Nachwortes zweiter Teil:

Ich möchte euch allen danken. Diese Geschichte hat mich jetzt fast acht Jahre begleitet und ich habe das Gefühl, selbst wenn kein DS-Teil mehr kommen wird, es wird trotzdem nicht das Ende sein. Ihr habt mir all diese Zeit beigestanden. Ihr habt mich mit euren Kommentaren, euren Fanworks (Bilder, Videos, sogar FFs und Gedichte) und euren ENS zum Lachen und Weinen gebracht und mich immer wieder motiviert. Ich hatte nie eine Phase, wo ich dieses Werk hinschmeißen wollte oder mir dachte "Für wen mache ich den Mist eigentlich?", weil ihr mich stets unterstützt habt. Ihr habt diese Geschichte mit mir zusammen geformt und ohne euren Input wäre einiges davon heute nicht so, wie es wäre. Und für all das möchte ich euch herzlich danken.

Ich sehe dem baldigen Ende mit einem lachenden und einem tränenden Auge entgegen. Ich kann nicht ganz glauben, dass DS bald zuende sein soll und gleichzeitig freue ich mich auch auf alles, was dahinter liegt - dazu mehr im nächsten Teil des Nachworts :)
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

WARNUNG: Der letzte Abschnitt impliziert ein paar unschöne Dinge ...
 

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„Wie geht es dir?“ Shizukas Stirn zierten tiefe Falten der Sorge. „Seto sagte, du bist auf dem Weg der Besserung, aber ...“

„Wann hat Seto nicht recht?“ Katsuya lächelte und richtete sich sogar kurz von seinem Kissen auf, um sie zu umarmen. „Bin nur noch etwas erschöpft.“

„Und gelb“, stellte sie überrascht fest und verglich ihre Haut, „warum bist du gelb?“

„Die Krankheit macht einen gelb“ Er hob die Hand und strich über ihr glattes Haar. „Das geht wieder weg“ Er sah zu Seto. „Oder?“

„Natürlich geht das wieder weg“ Seto griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger. „Dauert nur ein paar Tage.“

„Na dann“ Sie sah sich um. „Oh … ich glaube, Noah holt Stühle. Ich gehe ihm mal eben helfen. Bis sofort!“ Sie winkte kurz und verließ das Zimmer wieder.

„Sie hat jeden Abend angerufen“, verriet Seto leise, „Sie war Dienstag auch einmal kurz da, aber du hast geschlafen und warst auch nicht weckbar. Sie wollte Freitag nochmal kommen, aber sie hat sich mit Yamis Wort zufrieden gegeben, dass du nach seinem Besuch zu erschöpft warst.“

„Ich habe euch allen ganz schöne Sorgen bereitet, was?“ Zeitform Perfekt – eigentlich war er sich sicher, dass er mindestens Seto noch immer Sorgen bereitete, ganz egal, was dieser den anderen erzählte. Er konnte ja nicht einmal für eine halbe Minute aufrecht sitzen. Selbst jetzt wurde er von drei Kissen gestützt, um so auszusehen, als ginge es ihm gut.

„Na, bist du wach?“ Yami grinste von einem Ohr zum anderen, während er einen Stuhl herein trug.

„Und zurechnungsfähig“ Katsuya grinste. „Sorry, dass ich Freitag so daneben war.“

„Kein Problem“ Er stellte den Stuhl Setos gegenüber ab und setzte sich. „Deine Gesundheit ist gerade wirklich das Wichtigste.“

Katsuya formte seinen Dank nur mit den Lippen. Hinter Yami folgte Noah mit zwei Stühlen und Shizuka mit einer Babytrage und der Babytasche. Noah stellte die Stühle nur ab und ging wieder mit den Worten: „Ich muss schnell den Kuchen vor den Schwestern retten.“

„Bring Teller und Besteck mit“, wies Seto ihn an.

„Ganz wie damals, als ich Isamu bekommen hatte, nicht?“ Shizuka lächelte. „Ich habe mich zentnerschwer gefühlt, obwohl ich ja eigentlich Gewicht verloren hatte. Und völlig ausgelaugt.“

„Kann ich gerade bestens nachvollziehen“, gab Katsuya nur zurück.

„Das artet jetzt nicht in eine neue Diskussion über Babys aus, oder?“ Seto hob eine Augenbraue.

Katsuya verdrehte die Augen, wodurch sein Blick auf Yami fiel. Der hatte Isamu im Arm und schien vollends mit ihm beschäftigt zu sein. Katsuya hatte gar nicht mitbekommen, dass Yami Isamu aus seiner Trage genommen hatte.

„Hat Doktor Kowa dich noch einmal angerufen mit Neuigkeiten?“, wandte sich Shizuka an diesen.

Katsuya blinzelte nur und versuchte in seinem Kopf zusammen zu kriegen, wie und warum gerade Shizuka diese Frage stellte. Irgendetwas schien an ihn vorbei gegangen zu sein. Er schüttelte den Kopf darüber und sah zu Yami, da ihn die Antwort auch interessierte.

„Yugi ist sehr, sehr ängstlich. Redet kaum, versucht mit der Wand zu verschmelzen ...“ Dennoch lächelte Yami, während er sprach. „Aber er hat keinen weiteren Suizidversuch unternommen. Ich besuche ihn am Dienstag nochmal.“
 

Noah und Shizuka machten sich gemeinschaftlich daran, den Kuchen auf Teller zu verteilen. Da sie keinen Tortenheber hatten, mussten sie sich mit mehreren Gabeln ans Werk machen, was äußerst lustig und selten komisch aussah. Seto verdrehte nur die Augen und meinte: „Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht?“

Es klopfte an der Tür. Die anderen sahen interessiert auf, obwohl natürlich nur eine Tür zu sehen war. Katsuya währenddessen schloss die Lider und gab ein Seufzen von sich. Warum nochmal hatte er zugestimmt, auch Bakura einzuladen? Wenn er ganz ehrlich war, fühlte er sich wirklich nicht gut genug, um sich dem auszusetzen. Er hätte vorhin besser nachdenken sollen.

„Guten Nachmittag“, grüßte die eingetretene Schwester und Katsuya ließ erleichtert seinen Atem fahren, „oh … ich glaube, ich hab' mich im Zimmer geirrt. Entschuldigung.“

Sie verbeugte sich und zog die Tür hinter sich zu, allerdings wurde diese gestoppt und von Flur hörte man: „Kaiba, richtig?“

„Ehm ...“ Die Schwester klang eingeschüchtert.

„Richtige Tür“, meinte Seto nur, dessen Stimme tragend genug war, dass er sie nicht heben musste, damit man ihn auch auf dem Flur hörte. Die Vorzüge langjährigen Trainings darin, eine Klasse zu beschallen. Oder einen Konferenzraum.

Bakura drückte die Tür auf und ließ die konsternierte Schwester einfach auf dem Gang stehen. Ryou folgte ihm natürlich brav wie immer, allerdings schenkte er der armen Dame ein Nicken und ein Lächeln. Das schien sie zu beruhigen, sodass sie weiter ging.

„Ich helfe dir, euch Stühle zu holen“, kündigte Seto an und stand auf.

„Das kann ich bestens alleine“, fauchte Bakura sofort – nicht, dass das Seto stoppen würde. Er legte sogar eine Hand auf Bakuras Schulter und zog diesen daran aus dem Raum.

„Guten Nachmittag“, grüßte Ryou höflich und ließ sich gar nicht davon bekümmern, dass sein Bruder praktisch handgreiflich aus dem Raum entfernt worden war. Katsuya wusste immer noch nicht ganz, ob er nicht einfach nur Gewalt als gegebene Realität wahrnahm.

Sie alle grüßten ihn und Shizuka ließ ihn ein Kuchenstück auswählen, nachdem sie Katsuya seine Erdbeertorte gereicht hatte. Ganz von selbst stellte sie Seto ein Stück Schokoladentorte auf den Stuhl und reichte Yami seine Mandarinentorte über das Bett. Erst bei Noah fragte sie wieder, was er denn gern hätte. Während sie ihm und sich selbst servierte und schließlich Ryou das letzte Stück für Bakura gab, trug dieser demonstrativ zwei Stühle hinein und stellte sie neben Yamis. Sein Gesichtsausdruck sagte klar, dass ihm Setos Worte auf dem Weg nicht geschmeckt hatten.

Jener setzte sich nur nonchalant wieder, nachdem er seinen Teller genommen hatte. Mit einer Freundlichkeit, von der absolut jeder im Raum wusste, dass sie gespielt war, sagte er zu Noah: „Vielen Dank für die wunderbare Torte. Sie ist jede Woche wieder ein Genuss.“

Bakura erdolchte ihn mit Blicken über seinen Kuchen hinweg. Allerdings blieb er still.

Katsuya wandte nach einem Moment den Blick ab und schenkte seine Aufmerksamkeit lieber der Erdbeertorte. Essen klang produktiver als zu entziffern, was jetzt wieder zwischen den zweien lief. Falls es wichtig war, würde Seto es ihm sicher erzählen.

„Und wie läuft das Lernen? Du hast morgen Prüfung, oder?“, wandte Shizuka sich an Ryou.
 

Katsuya war zu müde, um viel zum Gespräch beizutragen. Also nutzte er das Mitgefühl aller aus, indem er sich stattdessen sehr genau auf die ihn umgebenden Menschen konzentrierte. Shizuka war gesprächiger als sonst, das war ihm schnell aufgefallen. Sie hatte etwas sehr viel Lebendigeres in sich, als hätte sie lange nach etwas Wichtigem gesucht und es jetzt gefunden. Auch Noah schien besser gelaunt als sonst. Er unterhielt sich ganz frei mit Yami und ihre frühere gegenseitige Abneigung schien auf beiden Seiten wie fortgewischt. Seto war natürlich wie immer, da machte eine Woche jetzt auch keinen großen Sprung. Ryou und Bakura währenddessen waren interessant.

Zuerst konnte Katsuya gar nicht sagen, warum. Etwas zwischen den beiden schien anders, aber es war eher ein diffuses Gefühl, was er kaum zuordnen konnte. Sie saßen nebeneinander, so wie meist. Bakura sprach, Ryou schwieg, auch wie meist. Und wie meist behielten sie irgendwie doch eine Verbindung. Heute war es Ryous Hand, die auf Bakuras lag, der seine auf die Lehne von Ryous Stuhl gelegt hatte. Also alles normal so weit – bis auf ein kleines Detail: Ryou verstärkte seinen Griff. Jedes Mal, wenn Bakura unfreundlich war oder etwas angreifend formulierte, kommentierte Ryou das ganz im Stillen, indem er dessen Hand drückte.

Hatte Ryou das früher schon getan? Katsuya hatte nie so genau auf sie geachtet, also könnte es ihm auch stets entgangen sein. Wenn die zwei zusammen waren, saß Ryou oft auf Bakuras Schoß, lehnte gegen seine Schulter oder hielt zumindest seinen Unterarm oder seine Hand. Ryou war eigentlich fast nie ohne Körperkontakt von Bakura. Aber war dieser Körperkontakt je etwas anderes gewesen als eine Versicherung für Ryou? War es möglicherweise immer eine Kontrolle für Bakura gewesen? Natürlich, ohne Bakura war Ryou verunsichert und sehr viel schüchterner.

Aber was war Bakura ohne Ryou?

Hm … wann hatte er Bakura mal ohne Ryou erlebt? Als sie zusammen Ryuji gejagt hatten. Als Bakura ihn aus der Lagerhalle geholt hatte. Die Stunden, die er mal bei der Polizei verbracht hatte. Ja, diese Stunden waren eigentlich die längste Zeit, die sie zivilisiert miteinander ausgehalten hatten, ohne dass Ryou in der Nähe gewesen war. Das waren alles Zeiten, wo sie größtenteils geschwiegen hatten oder Katsuya in Gedanken mit etwas anderem beschäftigt gewesen war.

Er hatte Bakura noch nie ein längeres Gespräch mit jemanden führen sehen, ohne dass Ryou in der Nähe gewesen war. Bakura war im Endeffekt ruhiger, wenn Ryou nicht da war. Andererseits erwartete auch keiner von ihm, dass er sprach, wenn Ryou nicht in der Nähe war. Nur wenn Ryou dabei war, sagte er erstaunlich viel – natürlich auch erstaunlich unhöflich.

Eigentlich war es ungewöhnlich. So ungewöhnlich wie der Gedanke, dass Ryou irgendwie kontrollierte, was Bakura sagte oder wie er es sagte. Es passte nicht zu dem, was Katsuya von Bakura wusste. Dass Ryou ihn kontrollieren konnte, ja – aber dass er es freiwillig zuließ? Irgendetwas passte nicht. Aber Katsuya wusste nicht, wie er dieses Rätsel lösen sollte.

Katsuya merkte auf, als es ungewöhnlich still geworden war. Alle Blick waren auf ihn gerichtet. Shit … hatte irgendwer eine Frage gestellt? Er schluckte und fragte mit einem Blick in die Runde: „Ja …?“

„Ich glaube, das beantwortet die Frage“ Amüsiert schüttelte Yami den Kopf und legte Katsuya eine Hand auf den Oberarm. „Werde bald wieder gesund, ja?“

„Äh … okay?“ Er blinzelte verwirrt, während alle mit einem einhelligen Nicken aufstanden und begannen, ihre Sachen zusammen zu räumen. Er sah zu Seto. „Habe ich etwas Dummes gemacht?“

„Nein, wir haben nur entschieden, dass wir dich wieder schlafen lassen sollten. Du bist noch zu erschöpft für lange Besuche“ Seto strich ihm lächelnd seinen Pony aus dem Gesicht. „Wach kurz für die Verabschiedungen wieder auf, ja?“
 

„Seto?“

„Hm?“ Der Andere sah auf von seinem eigenen Abendessen. Die Schwestern waren dazu übergegangen, ihnen zwei Portionen zu liefern.

„Sag mal, hast du Ryou und Bakura bei unseren Treffen schonmal genau beobachtet?“ Seto blinzelte nur etwas verwirrt. „Ich meine … wie sie sich anfassen. Das ist nicht nur für Ryous Sicherheit, oder? Ryou scheint Bakura auch Zeichen zu geben, oder?“

„Ich habe mich schon gefragt, warum du sie so angestarrt hast“ Seto lächelte um die Stäbchen herum, die er gerade wieder hervor zog. „Das ist schon länger so. Sie haben damit angefangen, als wir die Treffen hier im Krankenhaus hatten, weil deine Schwester hier war.“

„So lange?“ Katsuya sah überrascht zu seinem Freund.

„Am Anfang funktionierte es auch ziemlich gut. Ich glaube, damals haben sie das gemacht, damit Bakura nicht vor Herrn Sarowski irgendetwas Dummes sagt. Danach haben sie es weiter gemacht, aber Bakura hört zunehmend weniger auf Ryou.“

Hm … das machte Sinn. Wenn Herr Sarowski erfahren hätte, dass zwei Minderjährige zusammen lebten ohne jegliche Aufsicht … wie war das dem Jugendamt überhaupt entgangen? Oder war … Katsuya schluckte.

„Weiß eigentlich irgendwer außer uns, dass der Vater der beiden tot ist?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Bakura hat ihn aufgeschlitzt, ausgeweidet und die Einzelteile sehr fachgerecht entsorgt“ Seto hob eine Augenbraue. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass er danach einen Polizeibericht ausgefüllt oder eine Anzeige gemacht hat?“

„Ja, aber … wird er nicht vermisst? Auf der Arbeit oder bei irgendeinem Amt?“ Man konnte doch nicht einfach so Menschen verschwinden lassen, oder?

„Ich vermute, Bakura hat eine Kündigung geschrieben und ein paar ärztliche Atteste gefälscht. Wir wissen, dass er das kann“ Seto aß während des Gesprächs weiter, als würde ihn das alles kaum bewegen. „Wenn man sich danach nicht arbeitslos meldet, ist man den Ämtern reichlich egal.“

„Das ist … warum, ich meine … wie wusste er das?“ Katsuya schüttelte den Kopf. „Er kommt mir nicht vor wie jemand, der sein Wissen aus vielen interessanten Freunden zieht. Und es scheint mir auch nicht wie etwas, was man mit ein bisschen Surfen im Internet heraus findet.“

„Ich vermute, es war nicht die erste Leiche, die er verschwinden ließ“ Seto sah nicht einmal auf, sondern legte neue Rindfleischscheibchen auf seinen Reis. „Dementsprechend sollte er auch mit den entsprechenden Methoden vertraut sein, wie man jemanden ohne viel Aufsehen verschwinden lässt.“
 

Katsuya schüttelte nur den Kopf. Das war eine Welt, die noch viel dunkler und kranker als alles war, was er je erlebt hatte. Zu verzerrt, als dass er sie wirklich verstehen wollte. Er seufzte tief und fragte: „Warum versteht ihr zwei euch so gut?“

„Wir haben dieselbe Wellenlänge“ Katsuyas Gesichtsausdruck musste zweifelhaft genug ausgesehen haben, sodass Seto nach einem Blick in sein Gesicht etwas genauer wurde. „Wir fühlen in vielen Situationen dasselbe. Auch wenn wir verschiedene Krankheiten haben, wir haben ein intuitives Verständnis füreinander.“

„Warum?“ Katsuya spürte die Bitterkeit der Eifersucht auf seiner Zunge. Er hatte die Implikation sehr wohl gehört, dass er dieses Verständnis nicht hatte.

Seto seufzte leise und legte die Stäbchen nieder. Er betrachtete Katsuya einen Moment lang mit einer schier undeutbaren Mimik und fragte schließlich: „Was weißt du darüber, was ihr Vater Ryou angetan hat?“

„Er hat ihn vergewaltigt, als er vierzehn war. Oder Anfang fünfzehn, ich weiß es nicht genau“ Worauf genau wollte Seto heraus? Dass der Kerl kein Liebreiz in Person war und Bakura sehr protektiv Ryou gegenüber, so viel verstand er fraglos.

„Er hat ihn vergewaltigt, als Bakura nicht da war“ Seto sah ihm in die Augen ohne zu Blinzeln. Sein Blick hatte etwas Dunkles, eine Mischung aus Angst, Hass und vielleicht auch Verzweiflung. Nichts davon spiegelte sich in seiner Stimme.

„Weil Bakura nicht da war, um ihn zu schützen“ Katsuya nickte. Er wusste, dass Bakura oft verprügelt worden war.

„Weil Bakura nicht da war. Punkt“ Setos Stimme hatte jede Emotion verloren.

Katsuya blinzelte. Wo war denn da der Unterschied? Weil Bakura nicht da gewesen war, hatte- er erstarrte. Nein … weil Bakura nicht da gewesen war, hatte der Kerl Ryou genommen? Im Sinne von „anstelle“? Seto nickte nur, als könnte er Katsuyas Gedanken lesen und wüsste ganz genau, zu welcher Schlussfolgerung er gekommen war.

„Aber … dein Vater ...“ Katsuya legte fragend den Kopf zur Seite.

„Hat mich nie angefasst“ Seto lächelte, erhob sich und setzte Katsuya einen Kuss auf die Stirn. „Es ist spät. Die Schwestern werden mich bald raus werfen. Ich lasse mir für die nächste Woche wieder Urlaub geben und bin dann morgen wieder da, ja?“

Katsuya nickte nur langsam. Irgendetwas hatte er verpasst. Irgendeinen Punkt hatte er nicht verstanden. Irgendwo hatte er eine falsche Schlussfolgerung gezogen. Irgendwas lief hier komplett falsch und seine Gehirnwindungen waren zu langsam, um es zu verstehen. Er seufzte und sank zurück in die Kissen, nachdem Seto den Raum verlassen hatte.

Plötzlich fühlte er sich überhaupt nicht mehr müde.

Prüfungen

Des Nachworts dritter Teil:

Okay, also was kommt als nächstes? Ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, dass ich einen Haufen Meldungen hatte, doch noch DS4 zu schreiben. Und während ich sicherlich bis an ihr (oder alternativ mein) Lebensende weiterschreiben kann, sind wir an dem Punkt angelangt, auf den ich seit Anfang von DS zugesteuert habe. Allerdings gibt es in meinem Kopf noch einige Szenen, die in der Zukunft liegen, aber nichts im Epilog zu suchen haben. Viele, die auch gar nicht aus Katsuyas Sicht sind. Daher habe ich mich entschlossen, einen neuen Spin-off unter dem Namen "Dead Society - Future" zu veröffentlichen und da die Szenen zu sammeln, die noch in der Zukunft liegen :)

Ansonsten steht als nächstes ein Buch an, derzeitiger Arbeitstitel "Flamme der Macht". Wie aus dem höchst klischeehaften Titel zu erkennen, wird es um ein Fantasybuch gehen :) Wir begleiten ein junges Mädchen namens Maya auf ihrem Weg von einer einfachen Bauernstochter durch die Wirren der Revolution zur Diplomatin für die Menschenwelt. Eine Menge bekannter und relativ unbekannter Fabelwesen, weitreichender Intrigen und unerwartet charmanter Assassinen inklusive ^.- Der Rohentwurf wird hier veröffentlicht, schließlich hoffe ich, auch diese Geschichte mit euch zusammen entwickeln zu können.

In der Welt der Fanfiction schreibe ich natürlich weiter an allen aktuellen und in nicht allzu weiter Ferne wird eine AtemXSeth-FF im alten Ägypten folgen. Aktuelle Infos gibt es stets in meinem Weblog oder indem ihr meine FF-Seite abonniert.
 

P.S.: Das hier ist übrigens das letzte Kapitel. Nächste Woche folgt der Epilog ^.-
 

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Katsuya streckte seine Arme aus, schloss die Augen und drehte sich so, dass die Sonne ihm direkt ins Gesicht schien. Zwar war es Anfang Februar und dementsprechend kalt, aber er konnte trotzdem einen Hauch von Wärme auf seinen Wangen spüren. Und es tat so gut. Sonne, frische Luft, ein Ansatz von Farbe überall um ihn herum.

Es war das Gefühl von Freiheit.

„Nicht, dass ich mich beschweren will, aber war es nicht dein sehnsüchtiger Wunsch, weit weg vom Krankenhaus zu sein?“ Ein Hauch von Sarkasmus legte sich in die Stimme. „Aktuell befindest du dich knappe sechs Meter davon entfernt.“

„Es ist ein wunderschöner Tag“ Katsuya drehte seinen Kopf zu Seto, auch wenn er den Rest seines Körpers frontal zur Sonne behielt. „Lass uns spazieren gehen.“

„Katsuya, sie haben dich entlassen unter der Auflage, dass ich dich sofort zuhause ins Bett stecke“ Ein Hauch der Qual lag in Setos Stimme. Wahrscheinlich fiel es ihm nicht leicht, Katsuya etwas auszuschlagen. Welch eine interessante Tatsache.

„Ich habe anderthalb Wochen im Bett gelegen. Findest du nicht, das reicht?“ Katsuya grinste.

„Spazieren“ Seto seufzte tief und knetete mit zwei Fingern seine Nasenwurzel. „Kein Rennen oder andere Anstrengungen. Und nicht länger als eine halbe Stunde. Du musst dich schonen.“

Fast wäre es Katsuya raus gerutscht, dass Seto sich benahm, als wäre er todkrank. Er schluckte das im letzten Moment und lächelte stattdessen. Auch wenn er die letzten anderthalb Wochen verschlafen hatte, hatte Seto jeden Tag neben seinem Bett gewacht und darum gebangt, dass sich sein Zustand nicht verschlechterte. Das war nicht der Moment, um solche Witze zu machen. Er trippelte lieber zu Seto rüber, nahm dessen Hand in seine und steckte ihre zwei Hände in eine der großen Taschen von Setos Trenchcoat. Seto küsste seine Schläfe, als hätte er Katsuyas Gedanken gehört.

„Wie geht es allen?“, fragte der Blonde, nachdem sie ein paar Minuten in Stille durch den Park nahe der Klinik gewandert waren.

„Gut so weit“ Setos Blick blieb auf den Horizont gerichtet. Vielleicht auch auf den Spielplatz, der zwischen ihnen und dem Horizont lag. „Ryou und Ayumi wetteifern um den ersten Platz in den Prüfungen. Bakura und ich tauschen Wissen. Noah arbeitet wie immer, Shizuka hat heute ihre erste Prüfung und Yami geht auch zur Arbeit. Er hat gestern Abend angerufen und mir von dem Treffen mit Yugi erzählt. Sie haben vor allem über ihre Eltern gesprochen, erst zusammen mit Doktor Kowa, dann nochmal allein. Yami sieht es als gutes Zeichen, dass Yugi ihm ruhig zugehört hat, aber er weiß nicht, ob das reicht, damit Yugi sich für sein eigenes Leben und gegen sie entscheidet.“

„Sag mal, wenn Yugi sich jetzt für sich entscheidet … meinst du, dann wird er nur noch Frauenkleider tragen? Und eine Frau sein wollen?“ Katsuya lehnte seinen Kopf an Setos Schulter.

„Wäre das schlimm?“, fragte Seto zurück.

„Ich weiß nicht … ich habe das Gefühl, ich würde einen Freund verlieren. Auch wenn dieser Mann, den ich mochte, vielleicht nie existiert hat. Ist das doof?“ Seine Stirn legte sich in Falten.

„Ein bisschen“ Katsuya zuckte zurück, auch wenn er ihre Hände ineinander verschlossen hielt. Hat Seto das gerade echt bejaht? „Bist du derselbe wie letztes Jahr? Ja und nein. Deine Grundpersönlichkeit hat sich nicht geändert, aber viele Kleinheiten schon. Wir sind und bleiben nicht dieselben. Wir ändern uns ständig. Meist ist das unsichtbar, manchmal ist es sichtbar. Du trägst kaum mehr schwarz, dabei hast du nichts anderes getragen, als wir uns kennen lernten. Yugi wechselt halt auf Frauenkleider. Macht ihn das wirklich zu einem anderen Menschen?“
 

Tja. So gesehen nicht. So gesehen klang er ziemlich bösartig, wenn er sagte, dass er diesen neuen Menschen nicht mehr mit Yugi überein bringen konnte. Natürlich hatte er keine Ahnung, wie eine weibliche Yugi wäre. Er hatte keine Ahnung, ob sie anders sein würde als der er, den er gekannt hatte. Er hatte nur irgendwie erwartet, dass sie ganz anders wäre.

„Ich muss dann ab jetzt sie sagen, oder?“, stellte Katsuya zwischen all seinen Gedanken fest.

„Wahrscheinlich. Kommt darauf an, was Yugi entscheidet“ Seto klang nicht so, als würde ihm das viel ausmachen. Andererseits hatte er auch eine Frau in seinem Kopf, also sollte Katsuya sich wohl nicht zu sehr wundern.

„Wechselt man da auch seinen Namen? Der große Führer ist kein sehr passender weiblicher Vorname“ Der Name sagte einiges darüber, was Yugis Eltern bei der Geburt von ihm erwartet hatten. Katsuya hatte noch nie das Gefühl gehabt, dass der Name gut zu Yugi passte.

„Wenn er sich entscheidet, eine Frau zu sein, dann wird er bestimmt auch seinen Namen ändern“ Seto sah zu ihm und schien ihn für einen Moment zu beobachten. „Wenn er sich dazu entscheidet, wird Yami ihn wahrscheinlich zu sich nehmen, bis Yugi eine eigene Wohnung findet. Und Yugi wird wieder unterrichten. Als Frau.“

„Das wird einen ziemlichen Aufruhr geben“ Katsuya musste blinzeln bei der Vorstellung, wie das aussähe. „Wir hatten noch nie eine weibliche Sportlehrerin.“

Seto prustete los und wandte den Kopf ab, um sein Lachen wieder unter Kontrolle zu bringen. Mit einem breiten Lächeln und funkelnden Augen sah er zurück und meinte: „Das ist wie immer völlig am Thema vorbei.“

„Was? Wieso?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten.

„Die Eltern werden protestieren, dass Yugi einen schlechten Einfluss auf die Schüler nimmt. Dass er ihnen so kein Vorbild sein kann und man jemand so Abartigen nicht in die Nähe von Kindern lassen kann. Da geht die Tatsache, dass Sport von einer weiblichen Person unterrichtet wird, völlig unter.“

„Hm … stimmt“ Katsuya legte den Kopf schief. „Meinst du, er will dann überhaupt noch Sport unterrichten? Da kann man keine Kleider tragen.“

„Du und deine Gedankensprünge“ Seto schüttelte lächelnd den Kopf. „Wir werden sehen, was kommt. Ich hoffe erstmal, dass er sich überhaupt dazu entscheidet.“

„Was … was ist denn, wenn er sich dagegen entscheidet?“ Die Antwort auf diese Frage lauerte in den Untiefen seines Bewusstseins, aber er wollte sie eigentlich nicht wahrhaben wollen. Sie klang nicht allzu positiv.

„Er würde zu seinen Eltern zurück gehen und in ein paar Wochen wieder versuchen, sich umzubringen. Oder er würde es ganz ernsthaft tun.“

„Warum sollte man sich für den Tod entscheiden, wenn man genau so gut auch leben kann?“ Katsuya legte all seine Frustration über Setos ständige Selbstmordversuche und -drohungen in diese Frage.

„Leben kann einem sehr viel Angst machen“ Seto drückte seine Finger, die noch immer um die seinen geschlossen lagen. „Und der Tod erscheint sehr viel friedlicher als ein schmerzhaftes Leben.“

„Dann sollte er glücklich leben. Das kann jeder. Man muss sich nur dafür anstrengen“ Das hatte Seto ihm beigebracht. Es lag auf Katsuyas Zunge, aber er hatte das Gefühl, es war nicht der richtige Moment, um das auszusprechen. Egal, wie wahr es war.

„Sich selbst glücklich zu machen ist ein schwer begehbarer, felsiger Weg.“

„Kein Grund, ihn nicht zu gehen“, entschied Katsuya.

Seto schwieg, doch wenn Katsuya sich nicht ganz täuschte, nickte er langsam.
 

„Au“ Katsuya schüttelte seine Hand aus.

„Was ist?“ Ryou trat sofort an seine Seite und suchte ihn mit Blicken nach einer Verletzung ab.

„Ich habe vor Nervosität die ganze Zeit meine Hand verkrampft“ Er zog den Kopf ein wenig ein und lächelte entschuldigend. „Mein Fehler.“

„So schlimm?“ Wie immer nahm Ryou alles ernster, als es eigentlich war.

„Ach was“ Katsuya verwuschelte ihm mit einer Hand das Haar. „Danke, dass du gekommen bist, obwohl du eigentlich schon Ferien hast.“

„Es war schließlich deine letzte Prüfung“ Ein Lächeln legte sich auf Ryous Lippen. „Und … wie lief es?“

„Wie soll es schon laufen, wenn der große Seto Kaiba mir persönlich Nachhilfe gibt?“ Katsuya grinste breit. „Okay, wie genau bildet man das Futur zwei von lay?“

Ryou und er vertieften sich in verschiedene Fragen, an die Katsuya sich noch erinnern konnte. Englisch, Mathe und Sozialwissenschaften waren die einzigen Prüfungen gewesen, die er verpasst hatte und im Endeffekt war er ganz dankbar gewesen für die Extrazeit zum Lernen. Besonders Sozialwissenschaften hatte er mehr schlecht als recht in Erinnerung und die mathematischen Übungen, die Seto für ihn geschrieben hatte, hatten auch noch ein paar Defizite aufgedeckt. Der Kerl wusste, was er tat, auch wenn er die Fächer nie studiert hatte. Katsuya hatte längst aufgegeben heraus zu finden, was genau Seto nicht wusste – mit Ausnahme der Tatsache, wie man sich selbst glücklich machte.

Er stand am Tor und störte sich wie immer nicht an den Blicken, die die wenigen Schüler ihm zuwarfen. Da theoretisch Ferien waren, waren es zum Glück nicht so viele. Auf Katsuyas Lippen legte sich ein Grinsen, knapp bevor er Seto wortwörtlich ansprang und küsste. Seto schlug durch die Wucht gegen das Auto, aber seine einzige Reaktion war ein missmutiges Grummeln, während er den Kuss erwiderte.

„Katsuya ...“, murmelte Ryou leise.

Der Blonde löste sich von Seto und trat sogar extra auch einen Schritt zurück. Er sah sich kurz um – und natürlich starrten einige – und drehte sich zu Ryou: „Entschuldige. Ich wollte das ein einziges mal tun. Und heute ist kaum einer hier.“

„Ab ins Auto“, meinte Seto nur und öffnete Katsuya die Beifahrertür.

Ryou stieg mit einem Seufzen hinten ein. Nachdem auch Seto saß und sich angeschnallt hatte, fragte er: „Wo fahren wir denn hin?“

„Feiern“, erwiderte Seto schlicht, „aus was habt ihr Hunger?“

„Burger!“, meldete sich Katsuya.

Seto, der gerade ausparken wollte, drückte auf die Bremse. Der Blick, der sich einen Moment später auf Katsuya legte, sprach Bände. Es war diese Mischung aus Unglauben, Verzweiflung und noch verzweifelterer Hoffnung, dass das ein Scherz gewesen war.

„Es war meine Prüfung. Ich darf mir was wünschen. Ich will Burger“, bestimmte Katsuya.

Das folgende Seufzen drückte von „Warum habe ich mir das angetan?“ bis „Ich bringe die Mistkröte eines Tages um“ alles aus. Für Katsuya drückte es vor allem aus, dass er seinen Wunsch bekommen würde, also drehte er sich siegreich zur Rückbank und meinte zu Ryou: „Burger! Yeah!“

Ryou sah nur unsicher zwischen Seto und ihm hin und her, aber lächelte, als Seto wortlos ausparkte. Das Lächeln wurde zu einem Grinsen, als Seto auf Katsuyas nächsten enthusiastischen Ausruf nur grummelte.
 

„Da seid ihr ja endlich!“ Gerade noch hatten Katsuya und Ryou sich gefunden und entschieden, nach den Mädels zu schauen, da stand Ayumi auch schon vor ihnen. Als hätte sie die Fähigkeiten zu teleportieren oder wie ein Ninja mit dem Schatten zu verschmelzen. „Warum seid ihr so spät?“

„Spät? Der Unterricht beginnt erst in einer halben Stunde“ Katsuya blinzelte verwirrt und nickte den anderen drei Mädchen zum Gruß zu.

„Na und? Die Ergebnisse hängen seit zwanzig Minuten!“, meckerte Ayumi.

„Und? Was habt ihr?“, fragte er interessiert.

„Keine Ahnung!“ Sie schnappte seinen Ärmel und zog daran. „Wir müssen zusammen gucken.“

„Eh … okay“ Er sah fragend zu Ryou, aber schien auch etwas verloren. Die beste Idee war wohl, Ayumi einfach zu folgen. „Warum?“

„Weil dein Ergebnis das Wichtigste ist. Und weil ich im gleichen Moment wie Ryou sehen will, wer den Wettstreit gewonnen hat“ Sie warf diesem ein fieses Lächeln über die Schulter zu. „Der Titel der Jahrgangsbesten gehört mir.“

„Mir reicht Jahrgangsbester“, murmelte Ryou diplomatisch.

„Freizeitpark, Freizeitpark“, sang Karin leise, während sie neben ihnen ging und Mitsuki an einer Hand hinter sich her zog.

Da die Ergebnisse ja anscheinend schon zwanzig Minuten hingen, war der Auflauf vor der Tafel nicht zu groß. Ayumi ließ ihn los, um mit Ryou zusammen ganz am Ende der Tafel zu schauen, wo sie gelandet waren. Katsuya währenddessen begann einfach mal irgendwo im hinteren Drittel nach seinem Namen zu suchen.

Nach einigen Sekunden rief Mina aufgeregt: „Wir fahren in den Freizeitpark!“

Katsuya sah zu ihr und blinzelte nur. Häh? Sein Hirn verarbeitete den Gedanken nicht direkt, sodass er erstmal neben sie trat und versuchte ihrem Blick zu folgen. Woah … Tatsache. Katsuya Kaiba. Platz Nummer sechsundvierzig. Er las noch zweimal nach, ob das wirklich sein Name war und ob die Punktzahl wirklich zwischen die Leute vor und nach ihm passte.

Ein Gewicht schlug in seine Seite. Ein Mensch. Eine Umarmung und ein kleinerer Körper, der sich gegen ihn drückte, wie er nach einem Moment registrierte. Noch bevor er reagieren konnte, schluchzte Ayumi herzzerreißend auf und schlug ihren Kopf gegen seine Rippen.

„Äh ...“, meinte er nur verwirrt.

„Bitte entschuldige. Es tut mir so Leid“ Ryou war nur wenige Schritte hinter ihr. „Das hatte ich wirklich nicht erwartet. Es muss Glück gewesen sein. Ehrlich, Ayumi, du konntest das alles viel besser als ich. Vielleicht hat das Lesegerät ein Kreuz nicht erkannt.“

„Er ist besser!“ Ayumis Ausruf klang wie eine Ankündigung des Untergangs der Welt. Ein weiteres Schluchzen brach aus ihr, das sie in Katsuyas Uniformjacket drückte. Ryou stand einen Meter entfernt, sein Mund öffnend und schließend, ohne dass ein weiterer Ton seine Kehle verließ. Von einer Sekunde auf die nächste trat Ayumi plötzlich zurück, der Ausdruck auf ihrem Gesicht vollkommen selbstsicher, als hätten die letzten zwanzig Sekunden nie existiert. „Nächstes Mal werde ich besser sein.“

Mina legte vorsichtig eine Hand auf Ayumis Oberarm. Sie sagte nichts, aber in ihren Augen stand eindeutig eine Frage.

Ayumi drehte sich resolut zu ihr und fragte: „Fahren wir wenigstens in den Freizeitpark?“

Minas durch Sorge in Falten liegende Gesicht glättete sich und ein Lächeln schlich sich auf ihre Züge. Sie nickte nur und ließ ihre Hand sinken, sodass sie sich in Ayumis legte.

„Freizeitpark!“ Ayumis Ausruf hielt nichts mehr von der bitteren Enttäuschung, die nur eine halbe Minute vorher ihre Stimme durchsetzt hatte. Sie begann halb hüpfend, halb tanzend um Katsuya zu laufen und zog Mina an ihrer Hand hinter sich her. „Freizeitpark, Freizeitpark!“

Karin griff Mitsukis Hand und hängte sich hinter Mina in die Schlange und stimmte mit ein: „Freizeitpark, Freizeitpark!“

Mit einem schnellen Handgriff war auch Ryou in den Kreis gezogen und sie alle tanzten händehaltend um Katsuya und sangen zusammen: „Freizeitpark, Freizeitpark!“

Katsuya spürte Tränen in seinen Augen, als er Mitsukis Stimme im Gesang hörte.

Zeit des Friedens

Des Nachworts letzter Teil:

Also was wäre das böse Ende nun gewesen? Ich hatte ein paar ENS mit Überlegungen und der gemeinsame Nenner war: Katsuya stirbt. Das ist auch ganz richtig so. Im bösen Ende hätte Seto in Teil 3 das Vertrauen zu Katsuya nicht wieder gefunden. Er hätte zunehmend versucht, Katsuya zu kontrollieren und einzusperren. Nicht mit Gewalt sondern durch Schuld und Sorge. Katsuya wäre - weit mehr als sowieso - Setos Ein und Alles geworden. Katsuya hätte zunehmend seine Freunde vernachlässigt, um für Seto da zu sein. Nach der Pegasus-Geschichte hätte er sogar die Schule dafür schleifen lassen. Im Endeffekt hätten die beiden praktisch isoliert und nur noch füreinander gelebt.

Das ist eine sehr kritische Situation. Wenn man sich selbst über seine Beziehung und die Anerkennung seines Partners (und nur darüber) definiert, dann ist eine kleine Ablehnung der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Intimizid - die Ermordung des eigenen Liebespartners - ist ein mögliches Ende einer solchen Geschichte. Und fast jeder Intimizid hat eine solche Vorgeschichte. Dafür muss man nicht krank sein. Es reicht auch, zwanzig Jahre miteinander zu verbringen und dabei nach und nach alle anderen Kontakte zu verlieren (die meisten Intimizid-Täter sind ca. fünfzigjährige Männer, die von ihrer Frau - ihrem Ein und Alles - beschimpft wurden).

Katsuya wäre mit der Situation unglücklich gewesen, hätte ausbrechen wollen und das entstandene Chaos in Setos Kopf hätte Wächter die Entscheidung treffen lassen, den "Störfaktor zu eliminieren".
 

Und nun viel Spaß mit dem Epilog des (guten) dritten Teils :) Wir sehen uns wieder in DS-Future!
 

________________________________________________________________________________________________
 

„Oi!“ Katsuya sprang auf und schmiss dabei fast den Liegestuhl um. „Doch nicht mich, ihr kleinen Teufel!“

Isamu und Meryl lachten nur und rasten davon. Katsuya verfolgte sie bis zum Bürgersteig, bevor er aufgab und mit tiefem Atem kehrt machte. Blöde Knirpse. Er drehte sich zu Seto, der das Geschehen von seinem Liegestuhl aus beobachtete und meinte: „Das ist alles deine Schuld. Warum hast du ihnen Wasserpistolen geschenkt?“

„Es ist einundvierzig Grad. Andere wären dankbar“ Der kühle Blick wanderte Katsuyas Körper hinab und wieder hoch. „Soll ich die bösen Wassertropfen wegwischen?“

„Hier kann uns jeder sehen“ Katsuya errötete leicht.

„Denkst du, unsere prüden Nachbarn würden die Show nicht genießen?“

„Würden sie nicht“ Allerdings murmelte Katsuya das nur. Bei manchen Nachbarn war er nicht so sicher. Nicht, dass er viele kennen würde. „Soll ich dir einen neuen Eiskaffee machen?“

„Wartest du ernsthaft auf eine Antwort?“ Seto hob nur eine Augenbraue, bevor er seine Sonnenbrille wieder aufsetzte. „Bring Sonnencreme mit. Die Zwerge haben die letzte Schicht bestimmt schon wieder runter gewaschen.“

„Warum erfindest du nicht mal wasserfeste Sonnencreme?“ Katsuya hatte zwar ihre beiden Gläser geschnappt, aber machte keinerlei Bewegung Richtung Haustür.

„Weil Programmieren und Chemie nicht derselbe Studiengang sind“ Mit plötzlich ausgestreckter Hand schnellte der Brünette vor, um Katsuya zu kneifen, aber dieser tänzelte nur weg. „Verdammt, Sonne macht langsam.“

„Und matschig im Hirn. Programmieren hast du auch nie studiert, du hast es dir selbst beigebracht. Ist Chemie da so weit entfernt?“

„Wasserfeste Sonnencreme muss in die Haut eingebaut werden. Es gibt verschiedene Präparate, die man schlucken kann. Allerdings braucht der Einbau mehrere Tage und mehr als Sonnenschutz zehn bis fünfzehn kann nicht erreicht werden. Einzig mehr kriegt man, wenn man den Melaninstoffwechsel anregt, allerdings erhöht das die Wahrscheinlichkeit von Hautkrebs. Und jetzt hol Sonnencreme.“

Katsuya grinste nur. Setos Wissen zu testen war in den letzten Jahren zu einer seiner Lieblingsbeschäftigungen geworden. Manchmal war es gruselig, was Setos Hirn alles ausspuckte, aber in den meisten Fällen war es einfach nur interessant und lustig. Und auch wenn Seto mittlerweile nicht mehr als Lehrer arbeitete, hatte der Kerl immer noch Freude daran, Leuten etwas beizubringen.

Er öffnete das Küchenfenster und schmiss die Sonnencreme im hohen Bogen, sodass sie auf Setos Bauch landete. Natürlich löste das sofort ein indigniertes „Hey!“ aus.

„Ich Küche, du Kinder“, schmiss Katsuya ihm mit falschem Akzent entgegen und schloss das Fenster wieder. Eis aus der Tiefkühltruhe zu holen war eine sehr viel angenehmere Aufgabe als die Zwerge jagen zu gehen. Und das Schönste: Seto machte auch noch, was er wollte.

Natürlich würde er zetern wie Hölle, allerdings wusste Katsuya ganz genau, dass Seto es auch so gemacht hätte, um sicher zu sein, dass die Kleinen vollständig eingecremt waren. Wenn es um die Gesundheit und Sicherheit von Kindern ging, traute er niemandem, auch nicht Katsuya. Dabei waren die zwei ja nicht mal ihre. Sie waren nur geliehen – so zweimal die Woche und die halben Schulferien lang. Isamus Schulferien zumindest, Meryls Einschulung war noch einen Monat hin. Katsuya konnte zwar nur vermuten, aber er war sich relativ sicher, dass Seto das mehr mit einem weinenden als einem lachenden Auge sah. Meryl aus dem Kindergarten zu entführen war praktisch eine seiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen.
 

Er stellte Setos Eiskaffee auf den Beistelltisch, den sie zwischen ihre Sonnenliegen gepackt hatten und genoss seine eigene Eisschokolade mit geschlossenen Augen. Zumindest bis er mit einem höchst unmännlichen Kreischen auffuhr, weil etwas ziemlich Kaltes auf seinen Bauch träufelte. Anstatt einer neuen Wasserattacke stand allerdings Seto neben ihm und besprenkelte ihn mit Sonnencreme.

„Eines Tages gibst du mir noch einen Herzinfarkt“, murmelte Katsuya, stellte sein Glas beiseite und lehnte sich wieder zurück.

„Bei deiner Gesundheit ist das frühestens in siebzig Jahren“ Seto schloss einhändig die Kappe, ließ die Sonnencreme einfach neben den Stuhl fallen und setzte sich auf Katsuyas Liege, um seine Cremesauerei einzumassieren.

Einen Moment lang überlegte Katsuya, ob er Seto nochmals ermahnen sollte, dass sie hier einfach nur vor ihrem Haus und demnach in klarer Sicht aller Nachbarn lagen, aber Setos Hände auf seiner Brust erwiesen sich als zu ablenkend. Seto, der heimliche Gedankenleser, quittierte das mit einem Lächeln und beugte sich vor, um Katsuya zu küssen. Der Blonde ergab sich mit einem Seufzen.

„Iiiih!“, quiekte Meryl von hinter der halbhohen Hecke der Nachbarn.

„Das tun eure Eltern auch“, erwiderte Seto vollkommen ruhig und grinste zu den zwei hinüber.

Es ließ sie mit einem Schrei des Ekels wegrennen.

„Böse“, murmelte Katsuya nur, „meinst du, Atemu und Shizuka küssen sich wirklich nicht vor ihren Augen?“

„Ich will nicht darüber nachdenken, was die zwei in ihrem vier Wänden machen. Das ist nicht sexy“ Setos Blick lag auf Katsuyas Brust. „Irgendwie hat das die Stimmung versaut ...“

„Ein Nebeneffekt von Kindern.“

Seto zwickte ihn in die Seite und grinste, als Katsuya weg zuckte und sich wand, um der Hand zu entkommen. Nach einem Moment ging er wieder dazu über, ihn einzucremen. Katsuya griff nur zur Seite, um Seto den bereits halb geschmolzenen Eiskaffee hinzuhalten. Seto schloss seine Lippen um den Strohhalm und kaum eine Sekunde später war das Glas halbleer.

„Du weißt schon, dass du mir deine Saugfähigkeiten nicht mit Eiskaffee beweisen musst?“

Als Antwort fuhr Setos Zunge über seine Lippen.

„Onkel Kats! Kriegen wir was zu trinken?“

Setos Augen wandten sich nur gen Himmel, was zum Glück für die Kinder nicht sichtbar war. Katsuya kicherte hämisch, grinste und schob den Größeren von sich. Mit seiner freien Hand zog er die Kühlbox unter dem Tischchen hervor, während er mit der anderen den Eiskaffee weg stellte. Versorgt mit kaltem Apfelsaft zogen die zwei Zwerge auch sofort wieder ab, um weiter Autos zu beschießen.

Seto fing erst an zu grummeln, als sie außer Hörreichweite waren.

„Selbst schuld“ Trotz seiner Neckerei setzte der Blonde sich auf, damit Seto ihn ordentlich eincremen konnte. Als dieser saß lehnte Katsuya sich kurz zurück und küsste ihn auf die Wange. „Aber weißt du, was das Schöne ist? Wir können sie heute Abend wieder zurück geben.“

„Glaubst du“ Seto schnaubte. „Atemu hat Shizuka versprochen, mit ihr in den neuen Club zu gehen, der letzte Woche aufgemacht hat. Wir haben die beiden bis Sonntag.“

Katsuyas entsetzter Blick ließ zur Abwechslung Seto boshaft grinsen.
 

„Und sie heirateten und waren glücklich bis an ihr Lebensende“ Katsuya schlug das Märchenbuch zu und lächelte zu Meryl hinab. „Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht.“

„Nacht“, murmelte Isamu von der anderen Bettseite, als würde er schon schlafen und drehte sich in die Decke ein.

„Onkel Kats?“ Meryl schien trotz ihrer drei Jahre weniger als ihr Bruder kaum ermüdet, obwohl sie heute genau so viel gerannt war wie ihr Bruder. „Ich bin doch eine Prinzessin, richtig?“

„Für uns bist du unsere kleine Prinzessin, ja“ Er strich ihr dunkelbraunes Haar zur Seite, sodass es nicht in ihre Augen fiel.

„Und eines Tages findet mich ein Prinz“ Das war definitiv nicht als Frage formuliert. Katsuya fürchtete schon ein wenig um den armen Kerl, der sich ihrer irgendwann annehmen würde. Meryl hatte schon erstaunliche Prinzessinnenallüren. „Onkel Seto ist dein Prinz, richtig?“

„Ja, Onkel Seto ist mein Prinz“ Katsuya lächelte nur.

„Bist du auch eine Prinzessin?“ Sie sah ihn mit großen, dunkelbraunen Augen an.

„Nein, ich bin auch ein Prinz“ Isamu hatte er das auch schonmal erklären müssen. Nur mit weniger Hoheitstiteln. „Manchmal werden auch Prinzen von einem Prinz gefunden. Und manchmal werden Prinzessinnen von Prinzessinnen gefunden.“

„Und die heiraten dann auch?“ Auch das war kaum als eine Frage sondern fast wie eine Feststellung formuliert.

„Die heiraten dann auch und sind glücklich“ Katsuya hob seine linke Hand, an der er nun seit acht Jahren den Verlobungsring trug. „Bei der Hochzeit bekommt man einen Ring. Den nennt man Trauring. Deine Eltern haben auch beide einen, nicht?“

„Und Onkel Noah und Tante Kimi auch“ Meryl nickte mit Ernst im Gesicht. „Aber Tante Yuri hat keinen Ring.“

„Tante Yuri hat auch noch keinen Prinzen“ Genau genommen hatte Tante Yuri Beziehungen gerade ziemlich satt, aber das Konzept wäre wohl etwas zu schwer für Meryl. Genau so, dass das mit dem Prinzen etwas komplizierter war, wenn die Tante unter der Kleidung ein Mann war. Aber auch das war nichts, was er seiner fünfjährigen Nichte jetzt erklären würde.

„Es wird sie schon noch einer find-“ Meryl unterbrach sich selbst mit einem Gähnen.

„Ich glaube, es ist Zeit, die müden Äuglein zu schließen. Morgen kommt früh genug“ Er beugte sich hinab und küsste sie auf die Stirn. „Träume süß, Prinzessin.“

„Gute Nacht, Onkel Prinz“ Mit einem unverständlichen Murmeln kuschelte auch sie sich in der großen Decke ein.

Mit einem amüsierten Lächeln verließ Katsuya das Kinderzimmer. Sie hatten das zweite Schlafzimmer neben ihrem vor ein paar Jahren in ein Zimmer für die zwei Zwerge umgebaut. Irgendwie hoffte er, dass sie noch ein paar mehr Betten hinein stellen könnten. Shizuka würde so bald wohl kein weiteres Kind kriegen – sie war zu sehr mit ihrem Studium beschäftigt – aber Kimi könnte doch vielleicht mal. Sie war zwar neununddreißig, aber das war doch bei weitem noch nicht zu alt. Von Tyler erwartete er in der Hinsicht nicht viel, der turnte gerade durch Afrika und half bei einem Programm zum Artenschutz von Löwen.

Na ja. Und vielleicht würde er irgendwann Seto überredet kriegen, ein Kind zu adoptieren. Genug Wasser verwandelte auch den höchsten Berg in einen Haufen Kiesel. Es brauchte nur Zeit. Und vielleicht ein paar Gesetzesänderungen, aber irgendwie würde das schon werden. Seto würde das schon hinkriegen, da machte Katsuya sich gar keine Sorgen.

Es war schließlich Seto.
 

„Ist das Jacko?“ Katsuya lehnte sich über Setos Schulter und studierte die Punkte auf dem Bildschirm. Derzeit waren es eine Menge Punkte, verbunden mit grünen Linien, aber relativ bald würde da ein animierter Welpe über den Bildschirm stolpern.

„Im Film heißt er Arimedes“, klärte Seto ihn auf. Nicht zum ersten mal.

„Ich kann meine Zeichnungen nennen, wie ich will. Er heißt Jacko. Arimedes ist ein scheußlicher Name für einen Hund in einem Kinderfilm.“

„Da stimme ich zu“ Seto speicherte seinen Arbeitsstand und aktivierte Katsuya zuliebe die bereits programmierten Skins, sodass sich über die Punkte grobes Fell in bisher drei Farben zog. „Ich habe darüber nachgedacht, ihm eine weiße Pfote zu geben. Soll schließlich ein Mischling sein.“

„Ich mag die Idee“ Katsuya küsste Setos Wange. „Hat sich Industrial Illusions nochmal gemeldet?“

„Sie geben das Projekt an Smith. Dem Chef scheint die Arbeit über den Kopf zu wachsen“ Mit ein paar Klicks begann das dreifarbige, detaillose Hundewesen zu laufen. „Das rechte Hinterbein hakt noch ein bisschen, das bessere ich gerade aus.“

„Das würde kein Mensch außer dir sehen.“

„Kein Grund, es nicht trotzdem zu machen“ Seto grinste. „Oder willst du so dringend ins Bett?“

Katsuya warf ihm nur einen bösen Blick zu und ließ die Finger gefährlich nahe über dem Not-Aus des PCs schweben. Seto hob nur kurz die Hände, bevor er alle Programme schloss und den Rechner runter fuhr. Er folgte ihm auch brav ins Schlafzimmer.

„Wir müssen leise sein“, flüsterte er, während er Katsuya sein Shirt auszog.

„Dann musst du mich leise halten“ Der Blonde hob herausfordernd eine Augenbraue und knöpfte Setos Hemd auf. „Nicht, dass ich die Gäste wecke.“

„Ich denke, ich muss nochmal nach ihnen schauen“ Setos Mundwinkel hob sich und er drehte sich um Richtung Tür.

„Nein!“ Katsuya sprang vor und schlang die Arme um ihn. „Du hast mich den ganzen Tag wuschig gemacht, jetzt hör endlich auf. Du machst mich noch wahnsinnig“ Er löste sich langsam und zog Seto das aufgeknöpfte Hemd runter. „Bleib hier und kümmer' dich um mich.“

„Mein armer vernachlässigter ...“ Seto ließ eine spannungsreiche Pause, aber füllte das Ende doch nicht.

„Ja?“ Katsuya setzte Küsse auf Setos Wirbelsäule. Und noch ein paar warnende Hautbisse daneben.

„Geliebter“ Irgendwie schaffte Seto es, das Wort mit Sarkasmus zu füllen.

„Idiot“, murmelte er nur. Na ja, das war halt Seto. Er würde sich wohl nie ändern. Mit einem feinen Lächeln küsste er das Tattoo auf Setos linker Schulter.

Es zeigte ein vollständiges Sechseck.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und was aus Ryou und Bakura wurde, steht in DS1 XD
Ich melde mich, sobald DS neu aufgelegt wird! Bis dahin gibt es Future-Sequenzen:
http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/339770/?js_back=1

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Von: abgemeldet
2014-05-25T17:58:56+00:00 25.05.2014 19:58
Himmel, da sind wir nun nach so vielen Jahren beim Ende angekommen…. Echt krass. Aber irgendwie fehlt mir was:
Da es sich zuvor um Yugi gedreht hat, hätte ich gern gewusst, ob er den Absprung geschafft hat. Die Tendenz war ja durchaus positiv.
Ich hätte auch gerne noch einen kleinen Wink auf Bakura und Ryou gehabt, zumal ja Ryou etwas aus seiner Passivität rausgekommen ist, indem er Bakuras Hand gedrückt hat, wenn ihm was nicht gepasst hat, aber Bakura ja immer weniger drauf reagiert hatte. Die Erkenntnis, dass Bakura zuerst vom Vater missbraucht wurde und während seiner Abwesenheit Ryou herhalten musste, war kein überraschender Fakt. Ich habe mir sowas schon gedacht… die endgültige Wahrheit zu wissen ist natürlich trotzdem nochmal realistischer.
Und: UM GOTTES WILLEN!!! YAMI UND SERENITY?????????????? Ich finde, das passt SO GAR NICHT!!!!!!! Freunde, die ab und an feiern gehen, ok… aber Familie mit 2 Kindern???? Ich finde das überhaupt nicht passend, zumal Yami ja konsequent in ihren Bruder verliebt war… irgendwie MEGA SCHRÄG!!!!!!!!!!!!!!!!!! Damit komme ich gar nicht klar, aber gut… ist, wie’s ist.
Der letzte Satz wiederum ist wunderbar gelungen. Das Sechseck für die Verschmelzung all seiner Persönlichkeiten und das Heilen seiner Krankheit. Wunderschön gedacht….
Das ganze Ende finde ich zwar zu plötzlich und, wie gesagt, fehlte mir da noch eine ganze Menge, aber das entspringt wahrscheinlich nur meinem Wunsch, der Entwicklung der Charas noch weiter folgen zu wollen… wie auch immer, vorbei ist vorbei.
Vielen Dank für deine Ausdauer, Mühe, Zeit und liebevolle Detailarbeit, die du in diese FF gesteckt hast und vielen Dank, dass wir sie lesen durften. Und wunderbar waren die Stunden, in denen wir beide diskutieren konnten…. ;-) Somit zum letzten Mal:
*wink* Pan 

Von: abgemeldet
2014-05-25T17:58:05+00:00 25.05.2014 19:58
Also den Kapiteltitel finde ich durchaus unpassend, denn Kaibas Worte haben mich durchaus geschockt. „Hey, ach übrigends, da du ja jetzt nicht wirklich was dazu sagen kannst: Ich bring mich um, wenn du das hier nicht schaffst.“ Neeeeeeeeeeeein, ist auch überhaupt kein Druck, neeeeeiiiiinnnnnn!!!!!!!!!!! X.x Sein „ich vertrau dir wohl langsam.“ kommt in meinen Augen echt lachhaft rüber, denn Katsuya kann ja nicht wissen, ob er’s übersteht oder nicht… Mit dieser Aussage zuvor lässt er sich immer schön ein Hintertürchen offen. So funktioniert Vertrauen aber nicht.
Das musste ich mal loswerden….
*wink* Pan

Von: abgemeldet
2014-05-11T07:21:37+00:00 11.05.2014 09:21
Wahnsinn! Einfach nur Wahnsinn! Ganz große Geschichte! Fast 8 Jahre in einer Woche durchgelesen, weil es so spannend war und alle Charaktere lieb gewonnen!
Ich habe mich erst nicht getraut, wegen den Warnungen (und das Ende vorgelesen ^^) und mich dann doch hingesetzt und es hat sich sehr gelohnt.

Diese Besetzung Seto als Lehrer auf Kats als Punk treffen zu lassen, ist so eine erfrischende, andere Art. Fand ich super - und dann erst Stück für Stück enthüllt sich die Welt hinter Setos Fassade. Eigentlich müsste man es mit dem Wissen vom Schluss glatt nochmal lesen. :) Um die Situationen Setos Seiten zuzuordnen. Dazu noch alles gut vom Yami erklärt, damit man mit Kats zusammen die Entwicklung macht, fand ich sehr schön.

Was im Epilog meiner Ansicht offen bleibt, ist was aus Bakura und Ryou oder Pegasus geworden ist. Und dieser Ausflug in den Freizeitpark mit Ikar wäre sehr interessant gewesen. Immerhin hat Kats die HepErkrankung überstanden.
Und Setos Heilungsprozess wäre definitiv was für eine Future-Geschichte. Aber es ist schön zu lesen, dass die beiden glücklich sind. Das Kats den EndSeto lieben kann, nicht wie von ihm befürchtet. Aber die Umstellung kann ich mir auch für ihn schwierig und schmerzhaft vorstellen mit der Trauer und Annahme der Teile.

Ein sehr faszinierendes Thema in gewisser Weise so leicht und normal - gut, in einem Hochbegabtenkreis - darzustellen, ist einfach nur wahnsinnig toll! Auch für Laien verständlich, aber auch so dass man mitdenken muss und nicht alles auf die Nase gebunden bekommt. Sehr sehr schön!

Da kann man sich nur auf die Future-Szenen freuen!
Hochachtungsvoll
Ef
Von:  Lady_Ocean
2014-03-08T14:14:02+00:00 08.03.2014 15:14
Ein vollständiges Sechseck... Seto und Katsuya haben es also tatsächlich geschafft, dass er vollständig heilen konnte. Wenn man bedenkt, wie wahnsinnig viele Probleme und wie viel Schmerz dafür aufgearbeitet werden musste, ist es doch trotz der günstigen Umstände ihrer Beziehung und ihres Freundeskreises ein Ergebnis, mit dem man nicht unbedingt rechnen kann, finde ich. Gerade wenn ich da an Angst denke. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie es letztlich geschafft haben, an ihn heranzukommen. So zerstört, wie sein Teil der Seele war. Und auch bei Wächter war das sicher nicht einfach. Er trifft seine eigenen Entscheidungen rein aus der Frage der Notwendigkeit heraus und mag es ja auch überhaupt nicht, wenn ihm irgendwer reinredet und ihm seine Kontrolle streitig macht. Ich kann mir nur vorstellen, dass er dem freiwillig zustimmt, wenn er selbst keinerlei Notwendigkeit mehr darin sieht, als Wächter zu existieren. Wenn er überzeugt ist, dass es auch ohne ihn als Instanz des Aufpassers und Reglers keine Probleme gibt. Werden Episoden der Therapie noch in DS Future gezeigt?
Aber Seto als Ganzes ist trotz allem einfach Seto irgendwie. Nüchtern und realistisch, ein Genie wie eh und je. Aber er wirkt verspielter jetzt. Er neckt lieber, oder? Da sehe ich Ikar ein wenig durchblicken. Und seine Fürsorglichkeit ist ganz klar von Imalia. Dass die Kinder nur keinen Sonnenbrand bekommen, dass sie bei dem Wetter zur Abkühlung Wasserpistolen bekommen. Wie sieht das wohl mit Klein-Seto aus? Als seine Seele gesplittet war, war dieser ursprüngliche Teil seiner Seele ja noch ein fünfjähriges Kind. Ich vermute, dass er im Verlauf der Therapie sicher um einiges reifer geworden ist. Er kam ja auch nicht umhin, zahlreiche Dinge zu erfahen, die alle während Setos Leben passiert sind. Irgendwie musste er lernen, damit umzugehen und ich bin mir sicher, dass ihn das auch stark verändert haben muss. Aber wie das im Ergebnis ausgesehen haben mochte, kann ich mir gar nicht vorstellen. Vielleicht sollte ich mir die ganze Therapie auch nicht so fragmentarisch vorstellen... Du siehst, hier herrscht bei mir noch eine Menge Neugier. ;)

Yami hat Shizuya geheiratet? Wenn ich mich recht entsinne, wurde das auch schon mal angemerkt, dass Yami sich nicht nur für Männer interessiert, sondern beiden Geschlechtern gegenüber offen ist. Und von seiner Art her kann ich mir das auch gut vorstellen. Aber dass er am Ende sogar heiratet - oder jedenfalls Vater wird (das eine bedingt das andere ja nicht unbedingt)! Acht Jahe sind eine echt lange Zeit. Und dennoch scheint sich einiges ja nicht groß geändert zu haben, wenn er immer noch gern in Clubs geht. Da hat er mit Shizuya wirklich eine Seelenverwandte. Und auch sonst hat sie sich mit Yami ja schon zu Schulzeiten echt super verstanden.
Ich freue mich auch für Noah und Kimi, dass das mit den beiden so gut läuft. Einerseits wirken sie so ungleich auf mich, aber andererseits haben sie ja auch wichtige Überschneidungspunkte. Dass sie die Umstände des Partners verstehen und akzeptieren, ohne diesen selbst danach zu beurteilen. Und beide können auf jeden Fall kleinere Lappalien von wirklichen Problemen unterscheiden und letztere sicherlich richtig angehen, wenn es tatsächlich mal welche geben sollte. - Da fällt mir ein: Ob Kimi wohl inzwischen ihre Kindheit und Jugend verarbeiten konnte? Und ob Sasu - ähnlich wie Seto - eine Aussicht darauf hat, dass sich ihr Krankheitszustand verbessert? Bei ihr war die DID ja stärker ausgeprägt als bei Seto, daher wird das sicher noch schwieriger.
Und es ist schön zu hören, dass Yugi, also Yuri, seine Identitätskrise überwinden und sich so akzeptieren konnte, wie er ist. Dass er sich aus der Abhängigkeit seiner Eltern befreien konnte. Theoetisch müsste ich "ihre" schreiben. Menschen, die als Transgender geboren wurden, sind ja letztlich nie das gewesen, was ihr biologisches Geschlecht anzeigt oder angezeigt hat. Aber es ist auch ein seltsames Gefühl, jetzt plötzlich so nonchalant von der Frau Yuri zu sprechen, wenn man sie all die Jahre, seit Teil 1 von DS, immer als den Mann "Yugi" gesehen hat. Zumal das Image von "Yu-Gi-Oh!" ja auch immer ein bisschen mitschwingt. ;)
Aber was aus den Eltern wohl geworden ist? Die Tatsache, dass sich beide Kinder nicht nur von ihnen abgewandt haben, sondern auch zu - in ihren Augen - "abartigen", "nicht gesellschaftskonformen" Menschen geworden sind, muss sie doch auch in eine absolute Krise gestürzt haben. Und bei ihnen habe ich nicht das Gefühl, dass sich an deren Weltbild noch irgendwas ändern lässt. Dass sie irgendwann dazu in der Lage sein werden, ihre Kinder (und andere Mensche, die bisexuell, homosexuell, transsexuell oder sonstwas sind) einfach als das anzuerkennen, was sie sind.

Was mich nun aber immer noch interessiert, ist, was wohl zwischen den anderen los war, während Katsuya wegen der Hepatitis im Krankenhaus war und anfangs kaum etwas von seiner Umwelt mitbekommen hat. Hat sich die Beziehung zwischen Shizuya und Yami da schon angebahnt? Das war Katsuya ja besonders aufgefallen, dass sie sich irgendwie verändert hatte.
Und was machen Ryo und Bakura jetzt eigentlich? Ob Ryo inzwischen mehr Selbstbewusstsein hat? Und was macht er wohl? Bei seinem Wissen und seinem Interesse an Mathematik kann ich mir gut vorstellen, dass er an der Uni geblieben ist und auf dem besten Weg ist, sich als Forscher einen Namen zu machen. Bei Bakura würde mich auch sehr interessieren, wie er sich wohl in diesen acht Jahren verändert hat. Ob er inzwischen vielleicht ein wenig umgänglicher geworden ist... Und auch, wie Katsuya ihn inzwischen einschätzt. Ich hatte das Gefühl, im Verlauf von DS3 ist es ihm zunehmend schwerer gefallen, Bakura zu akzeptieren. Andererseits hat er aber auch immer mehr über ihn nachgedacht und versucht, ihn nachzuvollziehen. Bei Seto könnte ich mir gut vorstellen, dass er nach wie vor mit Bakura in Kontakt ist und die zwei so eine Art nüchterne Informationsaustausch-Freundschaft unterhalten. Diese Freundschaft, die man als Außenstehender wahscheinlich gar nicht erkennen würde.
Und hat Katsuya dann eigentlich seine Mutter irgendwann noch getroffen?

Du siehst, da sind noch ganz viele Fragen übrig, die sich zum Teil auch sicher nicht so kurz beantworten lassen. Oder zumindest wäre es nur halb so schön, das in ein paar wenigen Sätzen erklärt zu bekommen. ;)

Ah, es ist so seltsam, dass nun wirklich das allerletzte Kapitel von DS zu Ende ist. Schön und traurig zugleich. Vor allem fühlt es sich so an, als ob ich genau in dem Moment, in dem ich diesen letzten Kommentar abschicke, das Buch zuklappen würde. Deswegen habe ich ihn wohl auch so lange vor mir hergeschoben. Ich habe noch nie eine Geschichte so lange begleitet. Oder eigentlich hat sie mich die ganze Zeit begleitet. Das ist, als müsse man Abschied nehmen. T_T
Aber ich tröste mich ein bisschen damit, dass der Spin-Off in Aussicht steht. Und spätestens da sieht man sich wieder. :)

Alles Gute,
Nancy
Von:  Kemet
2014-03-06T23:16:12+00:00 07.03.2014 00:16
Ouha.. das was mich dem Chapter am Meisten beeindruckt hat war eigentlich des Vorworts dritter Teil. Intimizid - ein sehr sperriges Wort, aber dafür umso erschreckender. Wenn ich ziemlich ehrlich bin, hätte es mich schon gereizt. Nein, das heisst nicht, dass mir das aktuelle Ende nicht gefällt. Es ist schön, nur eben auf postive Art.
Ich habe fast das gesamte Chapter gebracht, damit ich verstand, dass es ganze acht Jahre sind, welche den Zeitunterschied zum regulären letzten Chapter ausmachten. Es ist so schön zu sehen, oder lesen, dass sie es geschafft haben. Seto als Seto und Katsuya als Katsuya. *_*
Etwas erschrocken war ich über die Zukunft der Anderen. Kimi und Noah ging ja noch, das ist auch gut so, aber wenn mich eines erschrocken hat dann Atemu und Shizuka. Damit hatte ich nicht gerechnet. Beileibe nicht.

Noch schöner ist der Sinn von Seto mit den Beiden umzugehen, aber auch von Katsuya. Sie sind nun vollkommen in ein neues Leben getreten, fern ab von DID und auch Suizid, wie ich hoffe. Die acht Jahre brauchte es wohl, damit es so werden konnte.

Liebe Gepo, auch wenn ich erst später dazu gestoßen bin, möchte ich Dir für dieses wundervolle, erschreckende, ernüchternde, aber auch amüsante Machwerk danken.
Ich freue mich auf soviel mehr von Dir.

LG
Von:  Blanche7
2014-03-06T08:21:46+00:00 06.03.2014 09:21
Das war ein schönes Ende! Atemu und Shizuka sind ein Paar und haben zwei Kinder <3 Die kleinen sind echt süß! Das Altenative Ende finde ich auch sehr interessant (Im Vorwort).

Schade dass es nun vorbei ist! Ich freue mich aber auch auf DS-Future!
LG
Blanche7
Von:  Shakti-san
2014-03-05T22:32:24+00:00 05.03.2014 23:32
es ist vorbei? o.o ;_;
das Ende ist schön, trotzdem schade, das es vorbei ist.

also mit atemu und shizuka hätt ich echt nicht gerechnet, aber schön, wenn sie glücklich sind.
Noah mit Kimi, also hat's kats doch Vermittler spielen können, so das es klappte.

zuerst war ich wg dem Sechseck verwirrt, aber dann hat mich der Hammer getroffen. schön das die Integration funktionierte, wäre bestimmt interessant gewesen, den Verlauf zu lesen.

vorallem ist es schön zu lesen, das die nach all der zeit noch immer verliebt und zusammen sind...und es positive Erlebnisse haben.

irgendwann, wenn ich mal länger zeit hab, werd ich alle Teile nochmal lesen.

liebe Grüße shakti
Von:  Koinu
2014-03-05T15:30:57+00:00 05.03.2014 16:30
Awww~ Zucker! x3
Seto kann so toll mit Kindern, das find ich super und ich wette Kats bekommt ihn irgendwann nochmal weich. xD

Atemu und Shizuka hab ich nicht wirklich erwartet, aber dass das mit Noah und Kimi klappt schon. xD
Die beiden Kleinen sind auch sehr knuffig.

Ich nehme mal an Tante Yuri ist Yuugi? Da würde es mich schon ein wenig interessieren, wie sein Leben so weitergegangen ist.

ein vollständiges Sechseck x3 ! Find ich super!
Ich frag mich wie die Setos zwischendurch waren bis es vollständig wurde und in welcher Reihenfolge sie integriert wurden. Ich nehme doch mal an Angst und Wächter waren die letzten.

Ich freu mich schon auf DS-Future! xD
Von:  Lunata79
2014-03-05T09:17:53+00:00 05.03.2014 10:17
LOL
Schönes Ende. Gott sei Dank. Hätte ungern von Katsuyas Tod gelesen, oder wie Seto in nach einer Ewigkeit umbringt. *zitter*
Hab dennoch nicht gerafft, wie alt die jetzt alle sind.
Freue mich schon auf den Future Teil.

Lg
Lunata79
Von:  Blanche7
2014-02-23T10:14:29+00:00 23.02.2014 11:14
Ich kann noch gar nicht glauben dass es nun vorbei ist! So viele Jahre DS, da werde ich schon einwenig nostalgisch! Wirklich eine wunderbare Geschichte! Ich freue mich schon sehr auf den Epilog!

Liebe Grüße
Blanche<3


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