Rätsel und Helden - oder sowas in der Art
Da saßen sie nun. Januar, Februar, März, April, Mai und Juni – ein halbes Jahr versammelt in einem... Loch, einer Falle, einem Spalt zwischen Felsen. Wie genau hatte X es geschafft, die Felsen nicht Felsen sein zu lassen? Einen davon hinab stürzen zu lassen, genau im richtigen Moment? Und wo hielt er sich in diesem Moment auf?
„Februar hat doch Erfahrung mit Räuberleitern, wir könnten doch einfach...“, begann Januar, wurde aber von März unterbrochen.
„Er hat mir, und ja, auch dir, über ein Tor hinweg geholfen. Ein Tor. Hier sind Felsen, deren Höhe wir nicht einmal kennen und ich fürchte, die wir auch so schnell nicht herausfinden werden.“
Februar war im Begriff Januar die Zunge herauszustrecken, ganz nach dem Motto: „Hätte ich auch gesagt.“
„Aber vielleicht ist die Idee gar nicht so dumm“, überlegte April. „Anstatt einer einfachen Räuberleiter, versuchen wir uns an einer Pyramide. Drei stehen unten, dann zwei und einer klettert hoch und der nächste muss dann eben noch höher.“ Sie sprang während ihrer Ausführung ständig auf und nieder, was zum Einen Verwirrung auslöste und zum Anderen zumindest ihr irgendwie Spaß zu machen schien. Juni ließ ein leises, abschätziges Lachen vernehmen. Als März ihn ansah, hörte er abrupt damit auf und täuschte ein Husten vor.
„Nun, allerdings ist es gleich stockdunkel,“ er deutete nach oben „und so werden wir wohl kaum noch etwas erreichen.
„Hmmm...“ April schien sich mit ihren Gedanken zu beschäftigen, während sie an den Felsen entlang schlich, immer im Kreis und eine Hand dabei über den Stein gleiten ließ.
Januar hatte sich inzwischen wieder zurück gelehnt und täuschte Resignation vor, um in Ruhe sitzen zu können und Februar hatte sich näher zu März gestellt. Vielleicht wollte er ihr seine starke Schulter anbieten. Mai hielt sich aus allem raus, strich sich noch immer fortwährend über den Bauch und hielt sich ab und an eine Hand vor den Mund, trank einen kleinen Schluck Wasser und senkte wieder den Kopf. So langsame aber sicher wirkten ihre Blicke jedoch etwas zerstreut.
„Sag' mal Mai, wie geht es dir inzwischen?“, fragte Juni unvermittelt. Nicht, dass einer der Monate jetzt eine Wohltat dieses arroganten Schnösels erwartete, aber aufhorchen taten sie doch.
„M-Mir geht es g-ganz gut. Danke“, antwortete sie recht leise.
„Hat sie was gesagt?“, ließ April daraufhin verlauten und hockte sich, aufmerksam lauschend in die von ihr geschätzte Mitte der Felsenfalle.
„Du hast doch ein kleines Geheimnis, habe ich nicht Recht?“ Juni, eine Hand in seiner Weste verborgen – trug man eigentlich noch Beige? - stolzierte immer drei Schritte nehmend vor und zurück.
„Was meinst du mit Geheimnis?“, brummte Februar. Mai wird doch wohl nicht...
„N-Nein, ich habe sicher keines!“, stieß Mai, leider wenig überzeugend hervor.
„Doch“ bestimmte Juni, blieb stehen und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Mai. Nervöser werdend, umklammerte sie unbewusst ihre Tasche.
„Was versteckst du da drin?“ Juni kam bedrohlich auf sie zu – sagen wir einfach, die Schatten zu dieser Uhrzeit taten ihren Dienst – und wollte ihr die Tasche enteignen.
„Juni, ich bitte dich. Verschreck' sie doch nicht so“, mischte März sich ein und ging ihrerseits leichtfüßig auf die Jüngere zu. „Was hast du da drin?“, fragte sie ausdruckslos.
Januar hatte eigentlich Schlaf vortäuschen wollen, linste nun aber doch mit einem Auge in Mais Richtung. Was war eigentlich schon alles schief gelaufen in diesem Jahr?
Mai spürte alle Blicke auf sich gerichtet, Februar schien ununterbrochen zu brummen und von April hörte sie leises Gemurmel und Gekicher – dass sie nicht ganz dicht war, war hinlänglich bekannt, aber in dieser Atmosphäre wirkte es beängstigend.
„Es... es tut mir leid. Ich... Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Die zurückgehaltenen Tränen liefen ihr in Sturzbächen über die Wangen. Aus ihrer Tasche zog sie ein Stück Papier und reichte es März.
Hallo Mai.
Hast du gedacht, dein und Julis Plan bleibt unbemerkt? Da hast du dich geirrt. Das hier ist ein Drohbrief und ich drohe dir damit, nie wieder arbeiten zu dürfen. Die früheren Monate, sowie Juni sind schon so gut wie aus dem Weg geräumt. Hüte dich davor, mit Juli Kontakt aufnehmen zu wollen.
Viel Spaß mit deinen... Früchten,
X
April war auf den Boden geplumpst, Januar auf Knien näher gekrochen und Juni hatte sich an eine der sie umgebenen Felswände gelehnt.
Februar war es leid, darüber nachzudenken, dass irgendwer nicht nur schneller als er selbst gewesen war, sondern auch unglaublich... rücksichtslos vorging. War er selbst wirklich von demselben Schlag?
„Es ist hoffnungslos“, stieß Mai aus.
„Moment, von was für Plänen redet X da?“, fragte April.
„Also... ich...“
„Sag' nichts!!“, erreichte sie eine Stimme aus dem Off. Umsehen brauchten sie sich nicht, die Steine werden es nicht gewesen sein, also blickten alle nach oben, Richtung Nachthimmel, vor dem sich eine schwarze Silhouette abhob. April meinte eine Peitsche erkennen zu können, alle anderen waren sich über einen Hut sicher.
„Juli!“, rief Mai und sprang plötzlich auf. Wie auch immer er das machte, er stand plötzlich mitten unter ihnen und begrüßte Mai mit einem leidenschaftlichen Kuss. Eine Hand um ihre Taille geschlungen und die andere noch immer die Peitsche haltend, die, irgendwo jenseits ihres Sichtfeldes, festgezurrt zu sein schien.
„Hi, Juli Jones“, kicherte April während Juni aufstöhnte, den Kopf in seinen Händen verbarg und Februar etwas von Karneval und Aufzug brummelte - und sich nicht anmerken lassen wollte, dass er beeindruckt war und ein wenig froh, nie den Versuch einer Entführung gestartet zu haben.
„Bye, bye“, sagte der jüngste Monat und verschwand gen Ausweg, mit Mai im Arm.
„Hey! Das ist beeindruckend. Bringst du mir den Trick auch mal bei?“ April schien ihren Spaß an der Darbietung, von der sie kaum etwas hatte erkennen können, gehabt zu haben. Kurz verharrten Mai und Juli auf einem der Felsen, ehe sie verschwunden waren.
„Aber...“, begann Januar, „was ist mit uns?“
„Hattet ihr etwa erwartet, der große Juli kommt und rettet uns alle?“, höhnte Juni. „Wir sitzen hier fest!“
„Juli! Ich bin ja so froh. Ich hatte mir schon solche Sorgen gemacht.“ Mais Stimme nahm ungeahnte Höhen an.
„Du kannst damit aufhören, wir sind außer Hörweite“, erwiderte Juli, während sie an einem Stein vorbeikamen, unter dem etwas metallenes hervorlugte – hätten sie darauf geachtet, hätten sie vielleicht eine Wettermaschine erkannt, aber die beiden kümmerten sich schon lange nicht mehr darum.
„Gut.“
„Hast du alles besorgt?“, fragte Juli.
„Natürlich. Es ist mir ein leichtes, April auszutricksen, die ist immer nur mit sich selbst beschäftigt.“ Ein leises, gehässiges Lachen ertönte.
„Dann also los, keine Zeit verschwenden!“Die beiden Verbündeten machten sich in der Dunkelheit auf den Weg, ihre eigene Mission zu erfüllen.