Zum Inhalt der Seite

Meine schöne Lüge

Von Lügnern und Luftpost
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Was ist dem Wahnsinn näher als wahre Liebe?

Was einfacher, als das als wahr anzunehmen, was man sieht?

Und was, wenn eine Lüge schöner ist als die Wirklichkeit?
 

...
 

Es war wie das erste Mal, als ich mit meiner alten Reisetasche über der Schulter die Straße hinauf gekommen war, gerade zurückgekehrt aus einem fernen Land, ihren Brief in meiner Hemdtasche steckend, da, wo auch mein Herz war. Das letzte Haus der Vorstadt, eine aufgegebene Bruchbude, die früher wohl einmal eine noble Villa gewesen war, mit Veranda, inmitten eines wilden, verwachsenen Gartens, umrahmt von einem verrostenden, geschwungenen Eisengitter.

Es war Sommer, du standest auf der Terrasse und dein glückliches Lachen lag in der Luft, als ich das quietschende Tor öffnete und bei dem disharmonischen Kreischen fürchterlich zusammenzuckte.
 

Aber diesmal, heute an diesem strahlenden Sommernachmittag ist niemand mehr da, der mich erwartet, niemand steht auf dem Balkon und lacht und die Eingangstür hängt verzogen in ihren Angeln.

Ohne dich.

Ich komme kaum noch die Treppe hinauf, die rohen Holzplanke, aus denen die Treppenstufen einmal bestanden haben, sind durchzogen von der Feuchtigkeit, die durch das an vielen Stellen undichte Dach in die Wände kriecht, manche davon brechen mir, kaum, dass ich einen Fuß darauf gesetzt habe, eben unter diesem weg. Oder sie geben nach, als wollten sie mir sagen, dass ich nicht wieder hinunterkommen werde. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird nichts mehr hier halten, dann stürzt alles ein.

Aber so weit wird es nicht kommen.
 

Ich kann hören, dass niemand da ist. Was habe ich erwartet?

Oder ist das ein Atmen, in einem der Zimmer - oder in meinem Nacken, bist du ...?

Aber selbst nach einem hastigen Umdrehen ist da niemand und das alte Haus erbebt nicht unter einem Schrei des Entsetzens.
 

Langsam gehe ich den Flur entlang, immer bedacht auf den Boden unter meinen Füßen, ein Schritt nach dem anderen, obwohl das Wasser hier wahrscheinlich noch nicht eingedrungen ist, sondern sich oben auf dem Dachboden sammelt und tatsächlich ist der Boden trocken, als ich mich bücke und ihn berühre. Der vertraute alte Geruch nach Staub und einer langen Vergangenheit in der andere, ganz andere hier lebten. Aus dem ehemaligen Badezimmer höre ich ein stetes Tropfen. Ich wage es nicht die Tür zu öffnen, die Badezimmer alter verlassener Häuser mit ihren blinden Spiegeln und den undefinierbaren Flüssigkeiten im Waschbecken, den verrosteten Armaturen in die alte Zinkwanne.

Ich tue es trotzdem, starre in den blinden Spiegel und mir sieht mein eigenes Anlitz, knochig, rattenkurze Haare, die weit aufgerissenen dunklen Augen, das karierte Hemd, darunter ein schwarzes Tanktop, entgegen. Ein paar der Kacheln sind zerbrochen, ich habe dieses Blumenmuster nie leiden können, du mochtest es. Du mochtest Lilien und all den Kram, ich nicht.

Ich schneide mich an einer Scherbe und merke es kaum, als ich mich bücke - da hatte ich immmer Zigaretten versteckt, aber irgendwann hast du die lose Fliese entdeckt und das Päckchen zerrissen, die Zigaretten zerrieben. Weil es mich krank mache, meintest du. Aber der Grund aus dem ich dann krank wurde, war ein ganz anderer - so war es doch?

Und überall Staub.
 

Weiter.
 

Nebenan der Raum, das "Wohnzimmer". Eine alte Couch. Ein Fernseher ohne Röhre auf einem Stuhl mit drei Beinen, das vierte haben wir durch einen alten Umzugskarton ersetzt. Stapel alter Bücher, eines findet wie von selbst in meine Hand, ein abgegriffener gelber Reclamband, der schon oft von einer Hand zu anderen gegangen ist. Verstaubt. Romeo und Julia. Wieder dieses flüchtige Lächeln, das über mein Gesicht huscht, ohne, dass ich es festhalten kann, dazu zwingen zu verschwinden, oder zu verstehen, warum ich denn lächle. Darüber, über so etwas vor vielen Jahren noch so banales.

Und ich lasse es fallen, mitten auf den verblichenen Teppich. Es staubt.
 

Weiter.
 

Der Bogengang. Die Tür ist wieder einmal aus ihren Angeln gefallen und gibt den Blick frei in unseren Ballsaal, wie du ihn immer genannt hast, der Kronleuchter ist heruntergestürzt, sein Glanz in vielen kleine Splittern auf dem Boden vergangen. Glas knirscht unter meinen Schuhen, als ich hinüber zu dem verrotteten Flügel gehe, der kaum mehr ist als ein Stahlrahmen mir gerissenen Saiten und Anschlagsmechanik. Manchmal habe ich mich hier auf den klapprigen Drehstuhl gesetzt, vor mich hin gesummt und mir vorgestellt, einen Walzer, ein Menuett oder eine Nocturne für uns zu spielen und du hast dazu getanzt, du hast mir geglaubt, dass ich wirklich für dich spiele, damals, unter dem Kronleuchter.

Probeweise schlage ich eine Taste an, aber nur ein Klacken und ein sanftes Schnarren ist die Antwort.

Das Fenster ist inzwischen überrankt vom Efeu, das an dem Spalier aus Eisen vor den halb heruntergelassenen Jalousien nach oben zum Dach wächst, sodass kaum Licht den Raum erreicht.

Auch hier dieses fahle, zeitlose Licht, das schon immer da war und das wir mit Kerzen zu vertreiben suchten. Auf dem Boden ist noch immer ein Brandfleck.

Aber der Kronleuchter hängt nicht mehr an der Decke und kein Glanz liegt mehr auf seinen gläsernen Einzelteilen.
 

Weiter.
 

Der letzte Raum, neben dem verrammelten Aufgang zum Dachboden. Dein Zimmer. Mein Zimmer. Unser Zimmer.

Der Ort unserer Träume, Leidenschaften und unseres Untergangs.
 

Das Zimmer ist unverändert. Ein Bett. Der Kamin. Die beiden Stühle. Die alten Bilder aus Illustrierten, Fetzen von deinen abgerissenen Zeichnungen an den Wänden, weil du behauptest hattest, die Gesichter darauf wären die, die nachts mit dir reden würden. Und du könntest sie nicht sehen, denn wenn sie dich, wenn sie uns von den Wänden herab ansehen würden, dann würden sie uns wahnsinnig machen. Ich habe dich gelassen, aber insgeheim habe ich jeder deiner verkrumpelten Zeichnungen wieder aus dem Müll gezogen, glattgestrichen und aufgehoben. War das ein Fehler, war das der Grund ...?

Das Fenster gegenüber dem Bett hinaus zur grauen Vorstadtstraße, halb versteckt hinter diesen Fetzen, die wir "Vorhänge getauft haben, aus verschlissenem Samt, sie haben jenen gehört, die dieses Haus von einem Tag auf den anderen zu verlassen haben scheinen, man konnte sich in sie hineinwickeln und sie tragen wie königliche Gewänder. Neben dem Bett stehen sogar noch deine eingestaubten Schuhe, die, die du damals in jener hoffnungslosen Nacht anhattest, als ich dich beinahe an den Haaren aus den Armen dieses schmierigen Kerls ziehen musste, der am nächsten Morgen mehr als nur ein paar gebrochene Rippen und einen gebrochenen Kiefer zu verzeichnen hatte. Wie konntest du nur. Und gesagt hast du nur: "Lassmisch." und ich konnte den Alkohol hören, der aus dir sprach, dir wäre es wohl in diesem Augenblick völlig egal gewesen, was mit dir geschieht und ich weiß auch, dass das nicht stimmt. Und deshalb habe ich dich festgehalten und nur deshalb waren diese Narbe an meinen Armen, die sich weigerten zu verheilen, Monate lang.
 

Dann fällt mein Blick auf die Schrift an der Wand, das jüngste in diesem Raum. LIAR. Du hattest immer schon eine Schwäche für das englische, für seine kurzen prägnanten Worte, ja, und das bot sich an, mich damit am nächsten Morgen aufwachen zu lassen, einsam auf diesem Bett, nicht einmal die Bettdecke hattest du mir da gelassen und ich erwachte nackt und frierend.

Was hätte ich dazu sagen sollen, dramatisch-poetisch und dann auch noch auf englisch, in meinem verschlafenen Zustand, bis sich das Begreifen endlich durchsetzte gegen den Schlaf: It ends tonight?

Oder was glaubst du?
 

Oder bin ich das gewesen, die "LIAR", es klingt selbst ausgesprochen so unausgesprochen kalt in diesen zwielichtigen Räumen, über das Bett gesprüht hat?

War ich das - ich war das nicht.

Oder ist das auch gelogen?

Nein, nein, das warst du - warst du das? Wenn ich nicht einmal mehr weiß, dann - aber ich weiß es noch.

Natürlich warst du das.
 

Du.
 

Wir haben hier früher gewohnt. Wir waren Rebellen gegen das System aus Verrat, wir waren Schiffbrüchige auf unserer selbstgewählten Insel inmitten eines endlosen Ozeans, ich war die Sonne und du warst der Mond und hier zwischen uns die Sterne. Ich weiß noch wie wir diese Bruchbude zu unserem neuen Heim auserkoren. Ich habe keinen Platz, an den ich zurückkehren kann, du ebenfalls nicht, komm' lass uns von Luft, Liebe und der Wärme langer Sommerabende leben. Wann immer wir gerade im Land waren. Wie Vögel, die sich in den Bäumen ein Nest bauen und im Herbst dann fortfliegen in die warmen Länder im Süden, jeder in eine andere Richtung.

Du hast hier früher schon einmal gewohnt, in diesem Haus, das vom Schimmel geschwärzt ist, in der Zeit, hast du gesagt, als du noch nicht so kaputt warst. Dann kamen und gingen Dinge und am Ende hat es dich soweit zerbrochen, dass du einer Wildfremden in einer Bar deine Adresse gegeben hast, am nächsten Morgen war ich am Flughafen, der kleine zerknickte Zettel vorne in der Brusttasche meines Hemds, direkt bei meinem Herzen, wenn ich das damals schon gewusst hätte.
 

Die Asche im Kamin ist noch frisch. Es ist noch nicht lange her, dass hier jemand Feuer gemacht hat, ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass das du warst, nein, das weiß ich zu genau.

Neben ihm stapeln sich die Briefe. Was soll das. Hattest du vor, im Winter von der kurzweiligen Hitze von sich im Feuer verzehrendem Papier zu leben?

Am Anfang noch sehr förmlich. "Liebe ... herzliche Grüße, deine ..." Manchmal auch nur der Name, wenn mein Name kaum noch auf das Papier gepasst hatte.

Dann mit der Zeit mehr als das.

All diese Briefe, Luftpost. Verfärbt vom Alltag, von der Luft, vergilbt und eingerissen.

Hast du meine Briefe jemals gelesen? Jeder einzelne von ihnen ist geöffnet. Auf jedem von ihnen glaube ich deine Spuren zu erkennen, kann ich deine Schrift sehen, deine Augen ruhen fühlen und deinen Atem spüren.

Von dem Papier wolltest du leben, von dem Papier, auf dem all die Worte standen, Worte, mit denen wir uns über die Meere, über die Ozeane hinweg wärmen wollten, Wörter aus Papier, Liebe aus Luft - Luftpost eben.
 

Und schließlich wollten wir mehr als Briefe, mehr als eine Schnur aus Papier zwischen unseren Herzen.

Ich wusste nicht einmal was du arbeitest, ich wusste nicht einmal, was du tust, es war mir egal, ich wusste auch nicht, ob du die warst, für die du dich ausgabst, nur deine Schrift kannte ich, den Klangder Wörter.

Nichts wusste ich und gleichzeitig waren wir uns so vertraut, dass ich zu dir kam, in dieses bruchreife Haus, obwohl wir uns auf der Straße nicht erkannt hätten, wenn wir uns begegnet wären

Als ich im ersten unserer Sommer hierher kam, wusste ich, als ich dich im verwilderten Garten auf der Veranda stehen sah, dass es mir egal sein wird, solange eine und nur eine Voraussetzung erfüllt ist, nämlich, dass du da bist, dass ich dir nah sein kann, war es nicht.
 

Ich weiß, dass es für dich keinen festen Platz in der Welt gibt, genau wie für mich. Bei dir hat es andere Gründe. Ich bin damit geboren, ich habe das Reisen, das Fortziehen im Blut, ich war noch an keinem Ort wirklich zu Hause, ich trage das Uhrwerk, die Unruhe mit mit herum, das sich erbarmungslos weiterdreht und mein Herz zum Bluten bringt, wenn ich länger verweilen will. Mich kann man nicht halten. Kaum, dass ich es länger als sieben Jahre an einem Ort ausgehalten habe.

Mit einem Menschen.

Mit dir.
 

Oder ohne dich.
 

Aber ohne dich kann ich nicht sein.

Ohne mich.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ohne uns.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Epilog

Und sie steht vor dem Eisengitterzaun, hinter dem die Trümmer der alten Villa immer noch rauchen, ein schmales Lächeln liegt auf ihren Lippen. Der letzte Wind eines warmen Sommers spielt in ihren langen dunklen Haaren.

Vielleicht ist sie die andere, die, deren Knochen eigentlich in der Asche im Kamin zu Staub werden sollten.

Oder vielleicht ist sie die eine, die hinauf gegangen war, um nie wieder zu kommen, um ihre Schuld, ihre Lüge in Flammen aufgehen zu lassen.
 

Vielleicht ist sie ja auch beide.

Oder keine von beiden.
 

Doch da ist sie auch schon gegangen, sie, die gerade noch zärtlich über die gratigen Eisenstangen des Zauns gestrichen hat, ihre Silhouette wird eins mit der Stadt und dem aufsteigenden Abend und verschwindet.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück